04.078 Botschaft über die Änderung des Binnenmarktgesetzes vom 24. November 2004

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit der vorliegenden Botschaft den Entwurf einer Änderung des Binnenmarktgesetzes mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2000 P

00.3407 Umsetzung des Binnenmarktgesetzes. Beschwerderecht der Wettbewerbskommission (N 5.6.01, Geschäftsprüfungskommission NR; S 14.3.02)

2000 P

00.3409 Umsetzung des Bundesgesetzes über den Binnenmarkt.

Beschwerderecht der Konsumentenorganisationen (N 15.12.00, Geschäftsprüfungskommission NR)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. November 2004

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Joseph Deiss Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2004-2321

465

Übersicht Mit der Änderung des Binnenmarktgesetzes verfolgt der Bundesrat folgende Hauptziele: ­

Gesamtwirtschaftliches Ziel: Mit der Revision soll die Funktionsfähigkeit des Marktes durch Abbau kantonaler und kommunaler Marktzutrittsschranken verbessert werden. Das geltende Gesetz hat in dieser Hinsicht kaum zu Verbesserungen geführt. Der zentrale Grundsatz des freien Marktzugangs nach Massgabe der Vorschriften des Herkunftsortes, der diesen Abbau hätte begünstigen sollen, wird in seiner Wirkung in zweierlei Hinsicht gehemmt. Zum einen verfügen Kantone und Gemeinden in Bezug auf die Voraussetzungen, welche für die Zulässigkeit von Beschränkungen des freien Marktzugangs erfüllt sein müssen (Art. 3 Binnenmarktgesetz), über einen erheblichen Spielraum. Zum anderen findet der Grundsatz nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts keine Anwendung auf die gewerbliche Niederlassung. Die Erreichung des eingangs formulierten Ziels setzt somit eine Stärkung des freien Marktzugangs voraus.

Zu diesem Zweck sieht die Revision vor, die Ausnahmebestimmung von Artikel 3 restriktiver zu fassen und den Grundsatz des freien Marktzugangs nach Massgabe der Vorschriften des Herkunftsortes auf die gewerbliche Niederlassung auszudehnen.

­

Individualrechtliches Ziel: Mit der Revision soll die Berufsausübungsfreiheit gestärkt und die Schlechterstellung von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern gegenüber EU-Bürgerinnen und Bürgern (Inländerdiskriminierung) verhindert werden.

Kantonale und kommunale Marktzutrittsschranken vermindern nicht nur die Funktionsfähigkeit des Marktes, sondern schränken auch die Berufausübungsfreiheit und die damit einhergehende berufliche Mobilität ein. Entsprechend begünstigt die im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegende Stärkung des freien Marktzugangs auch die Entfaltung der individuellen Berufsausübung.

Das am 1. Februar 2002 in Kraft getretene Abkommen zwischen der EU und der Schweiz über die Personenfreizügigkeit schafft die Gefahr einer Inländerdiskriminierung in Bezug auf die interkantonale Anerkennung kantonaler Fähigkeitsausweise. Damit eine unerwünschte Schlechterstellung von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern verhindert werden kann, soll die interkantonale Anerkennung von Fähigkeitsausweisen für Berufe, die unter das Freizügigkeitsabkommen fallen, künftig nach Massgabe dieses Abkommens (EU-Anerkennungsverfahren) erfolgen. Einheitliche Anerkennungsregeln erleichtern darüber hinaus den Vollzug und sorgen für erhöhte Rechtssicherheit. Vorbehalten bleiben sollen allerdings liberalere interkantonale Vereinbarungen über die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen.

466

­

Institutionelles Ziel: Im Spannungsfeld zwischen föderativer Kompetenzaufteilung und dem Erfordernis eines bundesweiten Binnenmarktes soll einer Bundesbehörde, die nicht an die Weisungen des Bundesrates gebunden ist, eine Möglichkeit zur Intervention vor kantonalen Gerichtsinstanzen eingeräumt werden. Konkret soll mit der Revision die Aufsichtsfunktion der Wettbewerbskommission dadurch gestärkt werden, dass die Wettbewerbskommission den kantonalen und kommunalen Behörden nicht mehr nur (unverbindliche) Empfehlungen abgeben kann wie nach geltendem Recht. Vielmehr soll ihr angesichts der beschränkten Wirkung derartiger Empfehlungen neu ein Beschwerderecht verliehen werden, das ihr erlaubt, gesetzeswidrige Verwaltungsentscheide anzufechten.

467

Inhaltsverzeichnis Übersicht

466

1 Allgemeiner Teil 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Grundzüge des geltenden Binnenmarktgesetzes 1.1.2 Bisherige Praxis 1.1.3 Erkenntnisse 1.2 Parlamentarische Vorstösse 1.3 Revisionsbedarf 1.4 Vorverfahren 1.4.1 Expertenarbeiten 1.4.1.1 Expertengruppe 1.4.1.2 Gutachten Auer/Martenet 1.4.1.3 Grundzüge des Vorentwurfs 1.4.1.4 Nicht in Betracht gezogene Revisionspunkte 1.4.1.4.1 Öffentliche Beschaffungen 1.4.1.4.2 Kantonale und kommunale Monopole 1.4.1.4.3 Staatliche Beihilfen 1.4.1.4.4 Bundesrechtliche Harmonisierung gewerbepolizeilicher Regelungen 1.4.2 Vernehmlassungsverfahren 1.4.2.1 Eröffnung 1.4.2.2 Gesamtbeurteilung 1.4.2.3 Ausdehnung des freien Marktzugangs nach Massgabe der Herkunftsvorschriften auf die gewerbliche Niederlassung 1.4.2.4 Verschärfung der Voraussetzungen für zulässige Beschränkungen des freien Marktzugangs 1.4.2.5 Anerkennung kantonaler Fähigkeitsausweise nach Massgabe des EU-Anerkennungsverfahrens 1.4.2.6 Beschwerderecht der Wettbewerbskommission 1.4.2.7 Andere im Vernehmlassungsverfahren vorgebrachte Anliegen

470 470 470 471 471 472 472 474 474 474 475 475 476 476 476 477

2 Inhalt der Revision 2.1 Ausdehnung des freien Marktzugangs nach Massgabe der Vorschriften des Herkunftsortes auf die gewerbliche Niederlassung 2.2 Verschärfung und Ergänzung von Artikel 3 BGBM 2.3 Anerkennung kantonaler Fähigkeitsausweise nach Massgabe des EU-Anerkennungsverfahrens 2.4 Beschwerderecht der Wettbewerbskommission 2.5 Weitere Revisionspunkte 2.5.1 Präzisierung des sachlichen Geltungsbereichs 2.5.2 Vermutung der Gleichwertigkeit kantonaler und kommunaler Marktzugangsregelungen 2.5.3 Übertragung der Nutzung kantonaler und kommunaler Monopole auf Private mittels Ausschreibung

481

468

477 477 477 477 478 478 479 479 480

481 481 482 482 482 482 482 483

2.5.4 Aufhebung der Konsultations- und Informationspflicht des Bundes gegenüber den Kantonen 2.5.5 Amtshilfe 2.5.6 Auskunftspflicht für betroffene Personen und Sanktionsfolgen 2.5.7 Veröffentlichungen durch die Wettbewerbskommission und behördliche Pflicht, Entscheide zuzustellen 2.6 Kommentar zu einzelnen Bestimmungen

483 483 483 483 484

3 Auswirkungen 3.1 Personelle und finanzielle Auswirkungen 3.1.1 Auf den Bund 3.1.2 Auf die Kantone und Gemeinden 3.2 Volkswirtschaftliche Auswirkungen 3.2.1 Notwendigkeit und Möglichkeit staatlichen Handelns 3.2.2 Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen 3.2.2.1 Auswirkungen auf die Berufstätigen 3.2.2.2 Auswirkungen auf die Kundinnen und Kunden 3.2.2.3 Auswirkungen auf die Aufsichtsbehörden 3.2.3 Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft 3.2.3.1 Gutachten Sheldon 3.2.3.2 Weitere Evidenzen 3.2.4 Alternative Regelungen 3.2.5 Zweckmässigkeit im Vollzug

491 491 491 492 492 492 493 493 494 494 494 494 496 496 497

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

497

5 Verhältnis zum europäischen Recht

497

6 Rechtliche Grundlagen

498

Bundesgesetz über den Binnenmarkt (Entwurf)

505

469

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Grundzüge des geltenden Binnenmarktgesetzes

Das Binnenmarktgesetz bildet zusammen mit dem Kartellgesetz vom 6. Oktober 19951 (KG), dem Bundesgesetz vom 6. Oktober 19952 über die technischen Handelshemmnisse (THG) und dem Bundesgesetz vom 16. Dezember 19943 über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) Teil des Programms zur marktwirtschaftlichen Erneuerung, das nach der Ablehnung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vom Bundesrat lanciert wurde.

Es richtet sich gegen öffentlich-rechtliche Marktzugangsbeschränkungen der Kantone und Gemeinden. Es soll die berufliche Mobilität und den Wirtschaftsverkehr innerhalb der Schweiz erleichtern sowie die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Volkswirtschaft stärken. Als Rahmengesetz konzipiert, verzichtet es auf eine Rechtsharmonisierung der einzelnen Bereiche und beschränkt sich darauf, die für einen funktionierenden Binnenmarkt elementaren Grundsätze festzulegen.

Im Zentrum stehen dabei die Grundsätze für den freien Marktzugang (Art. 2 ff.

BGBM). Jede Person mit Niederlassung und jedes Unternehmen mit Sitz in der Schweiz haben das Recht, Waren, Dienst- und Arbeitsleistungen im gesamten Gebiet der Eidgenossenschaft anzubieten; der Zugang zum Markt richtet sich nach den Vorschriften des Herkunftsortes (Art. 2 BGBM). In Ergänzung dazu haben kantonale oder kantonal anerkannte Fähigkeitsausweise zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der ganzen Schweiz Gültigkeit (Art. 4 BGBM). Das Recht auf freien Marktzugang erfasst schliesslich auch die Beschaffungen der Kantone und Gemeinden (Art. 5 BGBM).

Der freie Marktzugang gilt allerdings nicht absolut. Dieser kann für ortsfremde Anbieterinnen und Anbieter nach Massgabe der Vorschriften des Bestimmungsortes eingeschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

In institutioneller Hinsicht ist die Wettbewerbskommission mit der Überwachung der Einhaltung des Binnenmarktgesetzes beauftragt. Im Rahmen des Auftrags kann sie an die Adresse der Kantone und Gemeinden zu vorgesehenen und bestehenden Erlassen Empfehlungen abgeben sowie Gutachten erstatten (Art. 8 und 10 BGBM).

Ein Verfügungsrecht für die Wettbewerbskommission sieht das Binnenmarktgesetz im Unterschied zum Kartellgesetz nicht vor. Die rechtliche Durchsetzung des freien Marktzugangs ist Sache der betroffenen Privaten. Ihnen gewährt das Binnenmarktgesetz ein Beschwerderecht gegen behördliche Marktzugangsbeschränkungen (Art. 9 BGBM).

1 2 3

470

SR 251 SR 946.51 SR 172.056.1

1.1.2

Bisherige Praxis

Von Bedeutung sind einerseits die Wirkungen des Erlasses auf die Gesetzgebung in den Kantonen und Gemeinden. Positiv hervorzuheben ist hier die Verwaltungsvereinbarung über reglementierte gewerbliche Tätigkeiten, welche in den Kantonen des Espace Mittelland per 1. Juli 1999 in Kraft trat und über die Sprachgrenzen hinweg die Anerkennung von Fähigkeitsausweisen in Gebieten wie dem Taxi-, Gast-, Immobilientreuhand- und Wandergewerbe regelt. Verschiedene weitere Anpassungen im kantonalen Recht waren zumindest indirekt durch das BGBM beeinflusst.

Die Wettbewerbskommission in ihrer Eigenschaft als Überwachungsbehörde unterstützte die Umsetzung des BGBM mit Empfehlungen und Gutachten, namentlich im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens, aber auch bei einzelnen Vorhaben zu gewerbepolizeilichen Regulierungen (siehe Anhang 1).4 Zur Rechtsetzung tritt andererseits die Rechtsprechung. Hier hat das Bundesgericht in mehreren Entscheiden eine punktuelle Konkretisierung einzelner Bestimmungen des Binnenmarktgesetzes vorgenommen (siehe Anhang 2). Im Vordergrund stand dabei die Tragweite des Grundsatzes des freien Marktzugangs (Art. 2 BGBM) und der Anspruch auf ein kostenloses (Prüf-) Verfahren bei Marktzugangsbeschränkungen. Bezüglich Marktzugang hat das Bundesgericht entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit vom Grundsatz des freien Marktzugangs (Art. 2 BGBM) ausgeklammert ist (BGE 125 I 276). Wer mit anderen Worten eine gewerbliche Tätigkeit, die eine Geschäftsniederlassung vor Ort voraussetzt, in einem anderen Kanton ausüben will, kann sich nicht auf die Bestimmungen des Herkunftskantons berufen. Bezüglich Prüfverfahren erstreckt sich der Anspruch auf ein kostenloses Verfahren nach Auffassung des Bundesgerichts nicht bloss auf die Anerkennung des (ausser-) kantonalen Fähigkeitsausweises selbst (Art. 4 Abs. 2 BGBM), sondern auch auf die Erteilung der Berufsausübungsbewilligung (BGE 125 II 56).

1.1.3

Erkenntnisse

Es kann festgestellt werden, dass zwischen den Zielen und den Wirkungen des Binnenmarktgesetzes eine Kluft besteht. Dieser Befund ergibt sich aus dem Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-NR) vom 27. Juni 2000 über die Auswirkungen des Binnenmarktgesetzes auf den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr in der Schweiz (BBl 2000 6027). Er wurde auf der Grundlage einer Evaluation der parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle erstellt (Arbeitsbericht der parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 11. Februar 2000, Evaluation: wie offen ist der Schweizer Binnenmarkt? BBl 2000 6040).

4

Für die Wirkung auf die Bundesgesetzgebung vgl. unten Ziff. 3.2.4.

471

1.2

Parlamentarische Vorstösse

Die Revision des Binnenmarktgesetzes war Thema von vier parlamentarischen Vorstössen: ­

Motionen der Geschäftsprüfungskommission NR (00.3407/00.3408): In ihren beiden Motionen verlangte die GPK-NR vom Bundesrat, der Wettbewerbskommission ein Beschwerderecht gegen alle Formen öffentlichrechtlicher Einschränkungen des freien Marktzugangs zu gewähren und ein Anhörungsrecht vor dem Bundesgericht einzuräumen. Die erste Motion wurde als Postulat überwiesen, die zweite Motion wurde abgelehnt.

­

Postulat Geschäftsprüfungskommission NR (00.3409): Die GPK-NR ersuchte in ihrem Vorstoss den Bundesrat, die Zweckmässigkeit eines autonomen Beschwerderechts für Konsumentenorganisationen zu prüfen. Das Postulat wurde dem Bundesrat überwiesen.

­

Interpellation Imhof (02.3292): Der Interpellant wollte in seinem Vorstoss u.a. wissen, ob der Bundesrat in Bezug auf das Binnenmarktgesetz Handlungsbedarf sehe und eine Anpassung dieses Gesetzes im Sinne der Vorschläge der GPK-NR vornehmen werde.

1.3

Revisionsbedarf

Die bereits erwähnte, von der parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle durchgeführte Evaluation hat gezeigt, dass das Binnenmarktgesetz bisher noch zu keiner spürbaren Öffnung des Binnenmarktes geführt hat. Branchen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes stark segmentiert waren, sind es heute immer noch (z.B. Sanitärund Taxigewerbe). Als Ursachen für diesen negativen Befund sind insbesondere folgende drei Faktoren hervorzuheben: Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung dem Föderalismusprinzip gegenüber dem Binnenmarktprinzip den Vorrang eingeräumt. Ins Gewicht fällt dabei insbesondere die Ausklammerung der Niederlassungsfreiheit vom Anwendungsbereich des Gesetzes. Im Grundsatzentscheid BGE 125 I 276 wies das Bundesgericht die staatsrechtliche Beschwerde eines Zürcher Zahnprothetikers gegen einen Entscheid des bündnerischen Verwaltungsgerichts ab, das dem Bescherwerdeführer und Inhaber eines kantonalen Fähigkeitsausweises die Berufsausübungsbewilligung im Kanton Graubünden mit dem Argument verweigerte, das kantonale Recht verbiete die selbstständige Tätigkeit als Zahnprothetiker.

Zur Begründung führte das Bundesgericht aus: «... Das Binnenmarktgesetz regelt die Rechtsstellung von auswärtigen Anbietern im interkantonalen bzw. interkommunalen Verhältnis, nicht aber diejenige der Ortsansässigen (mit Verweisen). Es bezieht sich mit anderen Worten auf den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr: Dafür ist unter Vorbehalt von Artikel 3 BGBM das Herkunftsprinzip, das heisst das Recht des Herkunftskantons massgebend.

Hingegen gilt der freie Zugang nicht für die Niederlassung. Wer sich in einem Kanton niederlassen will, hat sich nach dem dort geltenden Recht zu richten und kann sich nicht darauf berufen, in einem anderen Kanton würden für eine entsprechende Niederlassung andere Regeln gelten. Dies ergibt sich auch aus Artikel 3 472

Absatz 1 BGBM, welcher sich nur auf die für ortsfremde ­ das heisst nicht im Kanton niedergelassene ­ Anbieter geltenden Einschränkungen bezieht. (...)

Bisweilen wird zwar in der Lehre angenommen, das Herkunftsprinzip gelte auch für die Niederlassungsfreiheit (mit Verweis). Diese Auffassung stünde jedoch im Widerspruch zum klaren Wortlaut von Artikel 2 BGBM wie auch zu allgemeinen Grundsätzen des territorialen Geltungsbereichs verschiedener Rechtsordnungen. Sie würde dazu führen, dass innerhalb eines Kantons Gewerbetreibende unterschiedlich zu behandeln sind, je nachdem ob sie zufälligerweise bisher in einem anderen Kanton die entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben oder nicht. (...) Diese Ungleichbehandlung innerhalb eines Kantons wäre noch unbefriedigender als die in einem föderalistischen Staat systembedingte Ungleichbehandlung von einem Kanton zum andern. (...)

Wenn das Verbot der selbständigen Tätigkeit als Zahnprothetiker eine konkurrenzschützende Wirkung zu Gunsten der Zahnärzte haben mag, so liegt darin nicht ein spezifischer Schutz der bündnerischen Zahnärzte, sondern der Zahnärzte schlechthin. Das Binnenmarktgesetz visiert jedoch nicht generell alle wettbewerbserheblichen Auswirkungen, die sich als Folge wirtschaftspolizeilicher Regelungen ergeben mögen, sondern spezifisch das internkantonale Verhältnis.

Der Sache nach kann zudem die hier streitige Regelung kaum Einschränkungen des interkantonalen freien Dienstleistungsverkehrs zur Folge haben: Zahnprothetiker sind zur Ausübung ihres Berufs praktisch auf gewisse Einrichtungen angewiesen, die in der Regel stationär sind. Der Beruf kann insoweit nur am Ort der Niederlassung ausgeübt werden. Interkantonaler freier Dienstleistungsverkehr bedeutet unter diesen Umständen im Wesentlichen, dass ein Zahnprothetiker in einer ausserkantonalen Praxis auch Patienten aus dem Kanton Graubünden behandeln darf ...

Soweit er hingegen im Kanton Graubünden eine Praxis eröffnen will, ist dies nicht eine Frage des interkantonalen Dienstleistungsverkehrs, sondern ein innerkantonaler Sachverhalt, der ­ unter Vorbehalt von Artikel 4 BGBM ­ nicht unter das Binnenmarktgesetz fällt ...» Die Argumentation des Bundesgerichts gegen eine Ausdehnung des freien Marktzugangs auf die Niederlassung stützt sich massgeblich auf die Bestimmungen von Artikel 2 Absätze 1 und
3 sowie Artikel 3 BGBM. Das Hindernis für eine Ausdehnung des freien Marktzugangs befindet sich mit anderen Worten im Gesetz selber.

Folglich hat es der Gesetzgeber in der Hand, die Ausdehnung mittels einer entsprechenden Anpassung des Gesetzes vorzunehmen.

Des Weiteren können Kantone und Gemeinden den freien Marktzugang nach Massgabe von Artikel 3 BGBM beschränken. Diese Bestimmung erlaubt es den Behörden des Bestimmungsortes, den Marktzugang für Ortsfremde zu beschränken, sofern diese Beschränkungen kumulativ 1) gleichermassen auch für ortsansässige Personen gelten, 2) zur Wahrung überwiegender öffentlicher Interessen unerlässlich und 3) verhältnismässig sind (Art. 3 Abs. 1 BGBM). Sie ist Ausdruck des Bestrebens, einen Ausgleich zwischen den sich widerstrebenden Grundsätzen, d.h. dem Föderalismusprinzip auf der einen und dem Binnenmarktprinzip auf der anderen Seite, zu finden.

Der Spielraum für Beschränkungen des freien Marktzugangs ist, begünstigt durch die tendenziell föderalismusfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichts, relativ gross. So können die Behörden des Bestimmungsortes bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen den Marktzugang unter Umständen gänzlich verweigern.

473

Dies betrifft namentlich Fälle, in denen eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit zum Schutz entsprechender Polizeigüter verboten oder an die Absolvierung einer Berufsausbildung bzw. an den Besitz eines Fähigkeitsausweises geknüpft ist. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung (noch vor Erlass des BGBM) erachtete es beispielsweise als zulässig, die selbstständige Berufsausübung für Dentalhygienikerinnen zu verbieten, da deren Tätigkeit mit gewissen gesundheitlichen Risiken verbunden ist, die ohne umfassende zahnmedizinische Ausbildung nicht richtig beherrscht werden können (BGE 116 Ia 118).

Die aus der Vermutung der Gleichwertigkeit kantonaler Zulassungsvorschriften erhoffte marktöffnende Wirkung bleibt weitgehend aus. Dies ist umso unbefriedigender, als davon ausgegangen werden darf, dass sich das Schutzbedürfnis der Bevölkerung objektiv betrachtet nicht oder allenfalls nur geringfügig von Kanton zu Kanton unterscheidet.

Ferner hat das Beschwerderecht die ihm zugedachte Rolle als «Motor» für die Konkretisierung und Umsetzung des Binnenmarktgesetzes nicht erfüllt. Klagen Betroffener sind weitgehend ausgeblieben, da Dauer und Kosten eines Verfahrens, dessen Ausgang zudem ungewiss ist, abschreckend wirken. Die aus einer Beschwerde gezogenen Vorteile stehen in keinem Verhältnis zum Aufwand. Dies gilt insbesondere dort, wo es um kleine Märkte geht, wie bspw. das Taxi- oder Sanitärgewerbe.

Eine erhöhte Neigung zum Gebrauch des Beschwerderechts konnte einzig bei den Anwälten festgestellt werden.

Durch die Zurückhaltung der Betroffenen konnte sich die Rechtsprechung bislang nur mit einzelnen und teilweise erst noch eher untergeordneten Fragen des freien Marktzugangs beschäftigen. Es fehlt mithin an einer eigentlichen Gerichtspraxis.

Der damit verbundene Mangel an verbindlichen Leitlinien hat insbesondere auch zur Folge, dass sich Kantone und Gemeinden kaum genötigt sehen, die Binnenmarktkonformität ihrer Regelungen sicherzustellen.

Revisionsbedarf ergibt sich schliesslich auch in Bezug auf die geltende Regelung betreffend die Anerkennung kantonaler Fähigkeitsausweise (Art. 4 BGBM). Das am 1. Februar 2002 in Kraft getretene bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Freizügigkeit verpflichtet die Kantone, europäische Fähigkeitsausweise für Berufe, die kantonal geregelt sind, nach
Massgabe des EU-Anerkennungsverfahrens zu behandeln. Es besteht somit die Gefahr, dass Schweizer Bürgerinnen und Bürger auf Grund divergierender Anerkennungsregeln im Innenverhältnis gegenüber EU-Bürgerinnen und -Bürgern schlechter gestellt werden könnten. Konkret: Ein Däne mit portugiesischem Diplom könnte besser gestellt sein als ein Schweizer mit einem Abschluss aus den USA.

1.4

Vorverfahren

1.4.1

Expertenarbeiten

1.4.1.1

Expertengruppe

Das EVD setzte im Dezember 2002 eine Expertengruppe ein mit dem Auftrag, einen Revisionsentwurf unter Beachtung der geltenden Verfassung auszuarbeiten. Die Expertenkommission begann ihre Arbeit Ende Januar 2003 und setzte sich seitens des Bundes aus Vertretern der folgenden Ämter zusammen: Generalsekretariat des 474

Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (GS EVD), Sekretariat der Wettbewerbskommission (Weko), Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), Bundesamt für Justiz (BJ). Seitens der Kantone waren die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) und die Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz (VdK) vertreten. Die Leitung der Expertengruppe wurde vom GS EVD wahrgenommen.

1.4.1.2

Gutachten Auer/Martenet

Ein vom GS EVD in Auftrag gegebenes Gutachten bezweckte, genaueren Aufschluss über die Tragweite von Artikel 95 Absatz 1 und 2 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV)5 zu erhalten, die Verfassungsmässigkeit einer Ausdehnung des freien Marktzugangs nach Massgabe der Herkunftsvorschriften auf die gewerbliche Niederlassung zu prüfen und die Frage zu klären, ob aus verfassungsrechtlicher Sicht die Nichterfüllung der Marktzugangsvoraussetzungen am Bestimmungsort durch am Herkunftsort erlangte Berufserfahrung wettgemacht werden kann. Die beiden Gutachter, Prof. Andreas Auer und Vincent Martenet von der Juristischen Fakultät der Universität Genf, kamen in Bezug auf die beiden letztgenannten Punkte zu einem positiven Befund.6 Ein vom GS EVD in Auftrag gegebenes Zusatzgutachten diente der Klärung der Frage, ob im Lichte der Verfassung die von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung formulierten Voraussetzungen für die Errichtung kantonaler und kommunaler Monopole mittels einer Sonderbestimmung im BGBM restriktiver gefasst werden können. Die beiden Gutachter kamen zum Schluss, dass eine derartige Einschränkung verfassungswidrig wäre.7

1.4.1.3

Grundzüge des Vorentwurfs

Der Vorentwurf der Expertengruppe orientierte sich schwergewichtig am ermittelten Revisionsbedarf (vgl. oben Ziff. 1.3) verbunden mit dem Ziel, mittels punktueller Verbesserungen eine höhere Wirkung des Gesetzes zu erzielen. Die Eckpfeiler der Revision sind die Ausweitung des Rechts auf freien Marktzugang nach Massgabe der Herkunftsvorschriften auf die gewerbliche Niederlassung, die Verschärfung der Voraussetzungen für zulässige Beschränkungen des freien Marktzugangs durch die Behörden des Bestimmungsortes, die Übernahme der EU-Regeln für die interkantonale Anerkennung von Fähigkeitsausweisen und die Schaffung eines Beschwerderechts zu Gunsten der Wettbewerbskommission gegen Verwaltungsentscheide, die den Marktzugang in unzulässiger Weise beschränken.

Weitere Elemente des Vorentwurfs bildeten die Präzisierung des sachlichen Geltungsbereichs des Gesetzes, die Zusammenarbeit der Wettbewerbskommission mit den Kantonen und den betroffenen Bundesstellen bei der Implementierung des EU-Anerkennungsverfahrens sowie die Verankerung der Amtshilfe und der Auskunftspflicht für Private.

5 6 7

SR 101 Vgl. ausführlich Recht und Politik des Wettbewerbs (RPW), 2004/1, S. 277 ff.

Vgl. ausführlich Recht und Politik des Wettbewerbs (RPW), 2004/1, S. 314 ff.

475

1.4.1.4

Nicht in Betracht gezogene Revisionspunkte

Die Expertengruppe stellte im Rahmen ihrer Arbeit zusätzliche binnenmarktfördernde Revisionspunkte zur Diskussion, auf die nachstehend eingegangen wird. Diese mussten aber insbesondere deshalb fallen gelassen werden, weil die Revision des BGBM dann über den Handlungsbedarf hinausgegangen wäre, den die eine Parlamentskammer mit der Überweisung eines Postulates anerkannt hatte. Daran zeigt sich, dass das BGBM nicht einen gleich weit reichenden wirtschaftspolitischen Anspruch hat wie etwa das Binnenmarktprogramm der EU. Ein eigentliches schweizerisches Binnenmarktprogramm würde zusätzliche Gesetzgebungsarbeiten und wohl auch gewisse Anpassungen der Verfassung erfordern.

1.4.1.4.1

Öffentliche Beschaffungen

Der Vorentwurf klammerte die Frage einer allfälligen Revision von Artikel 5 BGBM, welche den diskriminierungsfreien Zugang zu den Beschaffungsmärkten der Kantone und Gemeinden vorschreibt, bewusst aus. Grund dafür war einerseits der Umstand, dass diese Bestimmung die ihr zugedachte integrierende Rolle erfüllt. Im Vergleich zum freien Personen- und Dienstleistungsverkehr ist das Potenzial des Binnenmarktgesetzes im öffentlichen Beschaffungswesen besser zum Tragen gekommen.8 So haben beispielsweise die in Artikel 5 BGBM formulierten Mindestanforderungen für den diskriminierungsfreien Marktzugang namentlich in die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (SR 172.056.4) Eingang gefunden. In ihrer revidierten Version legt sie die Schwellenwerte, ab welchen ein Wettbewerb nach dem offenen oder selektiven Vergabeverfahren stattfinden muss, tiefer als es den staatsvertraglichen Verpflichtungen entspricht, welche die Schweiz mit Bezug auf die Kantone eingegangen ist.

Andererseits ist das Recht zum öffentlichen Beschaffungswesen in Revision begriffen. Auf Grund des Sachzusammenhangs soll über eine allfällige Revision von Artikel 5 BGBM im Rahmen dieser Revision entschieden werden.

1.4.1.4.2

Kantonale und kommunale Monopole

Fallen gelassen wurde ebenfalls die Idee, kantonale sowie kommunale Monopole dem Binnenmarktgesetz zu unterstellen und die Voraussetzungen für die Errichtung derartiger Monopole restriktiver als nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auszugestalten. Der zweifelsohne wettbewerbs- und binnenmarktfördernden Wirkung einer derartigen Regelung stehen schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber, was durch ein entsprechendes Gutachten bestätigt wurde (vgl.

unten Ziff. 1.4.1.2).

8

476

Vgl.: Die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens in der Schweiz in juristischer und ökonomischer Hinsicht, Schlussbericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 14.3.2002.

http://www.pd.admin.ch/ko-au-pvk-beschaffungswesen.

1.4.1.4.3

Staatliche Beihilfen

Nicht in Betracht gezogen wurde, aus ähnlichen Überlegungen wie bei den kantonalen und kommunalen Monopolen, die Einführung einer Überprüfungsmöglichkeit kantonaler und kommunaler Beihilfen.

1.4.1.4.4

Bundesrechtliche Harmonisierung gewerbepolizeilicher Regelungen

Ausser Betracht fiel schliesslich auch eine bundesrechtliche Harmonisierung kantonaler und kommunaler gewerbepolizeilicher Regelungen, da das BGBM von seiner (föderalismusfreundlichen) Konzeption her eben gerade nicht auf eine Harmonisierung derartiger Regelungen abzielt, sondern auf die gegenseitige Anerkennung derselben. Allerdings verfügt der Bundesgesetzgeber gestützt auf Artikel 95 BV über die alternative Möglichkeit, kantonale und kommunale Regelungen durch sektorspezifische Bundesregelungen zu ersetzen.

1.4.2

Vernehmlassungsverfahren

1.4.2.1

Eröffnung

Der Bundesrat hat das EVD am 10. März 2004 ermächtigt, zum Vorentwurf der Änderung des Binnenmarktgesetzes (VE BGBM) ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen. Dieses dauerte bis Ende Juni 2004. Eingegangen sind insgesamt 68 Vernehmlassungen der ­

Kantone (22) und interkantonaler Organe (2)

­

Städte (3)

­

politischen Parteien (6)

­

Spitzenverbände der Wirtschaft und weiterer interessierter Organisationen (32)

­

Eidgenössischen Kommissionen (2) und des Bundesgerichts (1).

1.4.2.2

Gesamtbeurteilung

Das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens fiel mehrheitlich positiv aus. So stimmte die Mehrheit der 22 Stellung nehmenden Kantone (BE, AG, SO, BS, SG, AI, NW, OW, SZ, UR, NE, TI) der Vorlage zu. Die Kantone ZH, SH, GR und ZG stimmten der Vorlage in den meisten Punkten zu. Abgelehnt wurde der Vorentwurf von den Kantonen VD, GE, VS, TG, AR und grösstenteils auch vom Kanton FR.

Ablehnend äusserte sich schliesslich auch die kantonale Konferenz der Gesundheitsdirektoren (GDK), währenddem die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) der Vorlage mehrheitlich zustimmte.

477

Die Bundesratsparteien stimmten dem Vorentwurf zu, wobei die SVP das vorgeschlagene Beschwerderecht der Wettbewerbskommission ablehnte. Zustimmend äusserte sich ebenfalls die CSP, währenddem die Vorlage bei der GPS auf Ablehnung stiess.

Auch die meisten Spitzenverbände der Wirtschaft stimmten der vorgeschlagenen Revision vollumfänglich (economiesuisse, Schweizerischer Bauernverband, Travail.Suisse) bzw. in den meisten Punkten (Schweizerischer Gewerbeverband) zu.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund lehnte die Vorlage zwar nicht ab, kritisierte aber die liberalere Regelung des freien Marktzugangs und äusserte grundsätzliche Zweifel an der Notwendigkeit des Binnenmarktgesetzes.

Bei den gewerblichen und branchenspezifischen Organisationen schliesslich reichte das Echo von mehrheitlich zustimmend (namentlich Verband Freier Berufe, Tourismus-Verband, bauenschweiz) bis ablehnend (namentlich Centre Patronale, GastroSuisse). Die Kritik richtete sich dabei insbesondere und zum Teil ausschliesslich gegen eine liberalere Regelung des freien Marktzugangs.

1.4.2.3

Ausdehnung des freien Marktzugangs nach Massgabe der Herkunftsvorschriften auf die gewerbliche Niederlassung

Einige Kantone (GE, VD, FR und TG) lehnten die Ausdehnung des freien Marktzugangs auf die Niederlassung ab, da sie zu einer unerwünschten regulatorischen Nivellierung nach unten führe. Geteilt wurde die Befürchtung einer derartigen Nivellierung auch vom Verband Freier Berufe und der Fédération des Entreprises Romandes.

Die vorgeschlagene Ausdehnung stellt einen Eckpfeiler für ein wirksameres Gesetz dar, indem das Binnenmarktprinzip gestärkt wird. Deshalb und auf Grund der Tatsache, dass Beschränkungen des Marktzugangs am Bestimmungsort zum Schutze überwiegender öffentlicher Interessen möglich sind (Art. 3 BGBM), ist an der Ausdehnung festgehalten worden.

1.4.2.4

Verschärfung der Voraussetzungen für zulässige Beschränkungen des freien Marktzugangs

Mehrere gewerbliche Organisationen (Schweizersicher Gewerbeverband, Verband Freier Berufe, Schweizer Tourismusverband, GastroSuisse, Schweizerischer Baumeisterverband, Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, Fédération des Entreprises Romandes, Verband Schweizerischer Elektro-Installationsfirmen) kritisierten die neu vorgesehene Möglichkeit, aus Sicht des Bestimmungskantons bestehende Ausbildungsdefizite durch Berufserfahrung zu kompensieren. Sie verlangten, dass zum Schutze öffentlicher Interessen Minimalstandards bezüglich der Ausbildung erfüllt werden müssen und/oder eine zertifizierte Berufserfahrung nachgewiesen werden muss.

Die Pflicht zur Berücksichtigung der Berufserfahrung schmälert die Möglichkeiten der Behörden am Bestimmungsort, den Marktzugang zu beschränken und stärkt somit das Binnenmarktprinzip. Der geäusserten Befürchtung einer erhöhten Gefähr478

dung öffentlicher Interessen ist entgegenzuhalten, dass das Schutzbedürfnis der Bevölkerung in den einzelnen Kantonen vergleichbar, wenn nicht sogar identisch ist, was die vorgesehene Verschärfung der Beschränkungsvoraussetzungen rechtfertigt.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch eine Zertifizierung der Berufserfahrung nicht erforderlich. Abgesehen davon führt eine Zertifizierung zu einem zusätzlichen Administrativaufwand und birgt die Gefahr in sich, dass die mit der Verschärfung der Beschränkungsvoraussetzungen beabsichtigte Erleichterung des Marktzugangs vereitelt wird. Erhöht würde auch das Potenzial einer Inländerdiskriminierung.

Der Forderung nach Minimalstandards schliesslich stehen grundsätzliche Überlegungen entgegen. Das Binnenmarktgesetz regelt einzig den interkantonalen Marktzugang und eben gerade nicht den Marktzugang als solchen (originärer Marktzugang). Die Regelung des originären Marktzugangs hat auf dem Wege der sektorspezifischen Spezialgesetzgebung zu erfolgen.

1.4.2.5

Anerkennung kantonaler Fähigkeitsausweise nach Massgabe des EU-Anerkennungsverfahrens

Die EDK und die GDK sowie der Kanton FR sprachen sich gegen die mit der Einführung des EU-Anerkennungsverfahrens gekoppelte Aufhebung des gesetzlichen Vorbehaltes zu Gunsten interkantonaler Vereinbarungen aus, da die bestehenden interkantonalen Regeln betreffend die Diplomanerkennung vorteilhafter sind (automatische Anerkennung) als diejenigen der EU.

Diese Kritik erweist sich als berechtigt, zumal die Beibehaltung des Vorbehaltes zu Gunsten interkantonaler Vereinbarungen dem Ziel der vorgeschlagenen Neuregelung, mögliche Diskriminierungen von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern gegenüber EU-Bürgerinnen und Bürgern zu vermeiden, nicht zuwiderläuft. Aus diesen Gründen ist dem Anliegen der Vernehmlassungsteilnehmer entsprochen worden.

1.4.2.6

Beschwerderecht der Wettbewerbskommission

Einige Vernehmlassungsteilnehmer (Kantone VD, GE, VS, TG, AR, GR, die GDK und die SVP) sprachen sich gegen die Einführung eines Beschwerderechts der Weko aus, da es unnötig sei und zu mehr Bürokratie führe. Der Kanton ZH schliesslich lehnte ein Beschwerderecht im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens mit Verweis auf die rege Benutzung durch Private und die Gefahr unnötiger Verzögerungen des Beschaffungsprozesses ab. Das Bundesgericht machte diesbezüglich eine Mehrbelastung geltend.

Die Wettbewerbskommission verfügt zur Sicherstellung der Einhaltung des Binnenmarktgesetzes über ein blosses Empfehlungsrecht, was ihre Aufsichtsfunktion schwächt. Das einzige im Gesetz vorgesehene Instrument zur rechtsverbindlichen Durchsetzung des freien Marktzugangs ist das Beschwerderecht, welches aber von den mit Marktzugangsschranken konfrontierten Privaten sehr ungleich benutzt wird.

Mit der Einräumung des Beschwerderechts kann sowohl die Aufsichtsfunktion der Wettbewerbskommission gestärkt als auch die Effizienz dieses Instruments erhöht werden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um das Ziel einer verbesserten Wirksamkeit des Gesetzes zu erreichen.

479

Der geforderten Ausklammerung des Beschaffungswesens ist insofern Rechnung getragen worden, als das Beschwerderecht in diesem Bereich Einschränkungen unterliegt (vgl. unten Ziff. 2.6, Kommentar zu Art. 9 Abs. 2bis). Des Weiteren beschränkt sich das Beschwerderecht der Weko einzig auf die Sicherstellung des diskriminierungsfreien Zugangs zu den Beschaffungsmärkten (Art. 5 BGBM).

Schliesslich soll die Ausübung dieses Rechts durch die Weko generell gezielt erfolgen. Aus all diesen Gründen ist an der vorgeschlagenen Regelung, die einen Eckpfeiler der Revision darstellt, festgehalten worden.

1.4.2.7

Andere im Vernehmlassungsverfahren vorgebrachte Anliegen

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens wurden weitere Anliegen vorgebracht.

So verlangten der Schweizerische Gewerbeverband und der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips für die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates. Diesem Anliegen ist nicht entsprochen worden, da dem Binnenmarktgesetz nicht die Funktion zukommt, den Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates zu umschreiben.

Economiesuisse und die Wettbewerbskommission beantragten die Aufnahme einer gesetzlichen Pflicht, die Übertragung der Nutzung kantonaler und kommunaler Monopole auf Private mittels Ausschreibung vorzunehmen. Der Vorentwurf enthielt lediglich die behördliche Pflicht zur Nichtdiskriminierung bei derartigen Übertragungen. Diesem Antrag ist entsprochen worden, da er den diskriminierungsfreien Marktzugang erleichtert bzw. sicherstellt und den Wettbewerb fördert, ohne dabei die verfassungsrechtliche Kompetenz der Kantone und Gemeinden zur Monopolisierung wirtschaftlicher Tätigkeiten anzutasten.

Die FDP und economiesuisse beantragten, der Wettbewerbskommission als Alternative zum Beschwerderecht, da zeitraubend und kostspielig, die Einräumung eines Verfügungsrechts zu prüfen. Ein Verfügungsrecht wäre, wenngleich in seiner Wirkung stärker als ein Beschwerderecht, mit der Konzeption des Binnenmarktgesetzes als Rahmengesetz kaum vereinbar. Unter anderem würde eine Verlagerung des Rechtsweges von den kantonalen Instanzen auf Bundesinstanzen stattfinden. Dem Anliegen ist deshalb nicht entsprochen worden.

Economiesuisse verlangte ferner die Begründung einer kantonalen Pflicht zur alljährlichen Berichterstattung an die Weko über erfolgte und geplante Anpassungen ihrer Gesetzgebung an die Vorschriften des BGBM. Eine derartige Pflicht erweist sich als nicht erforderlich, da sich die Weko mit dem neuen Instrument der Amtshilfe (Art. 8a BGBM) über den Stand der kantonalen Gesetzgebung informieren kann. Aus denselben Überlegungen ist auch dem Anliegen des Kantons FR nach Schaffung eines aus Kantons- und Bundesvertretern bestehenden «Observatoriums für reglementierte Tätigkeiten» nicht entsprochen worden.

Des Weiteren verlangten einige Kantone die Streichung der Pflicht zur Amtshilfe (VD, VS, TG, GR und ZG) bzw. eine Entschädigung für den aus der Amtshilfe entstehenden Aufwand
(SZ und SH). Die Wettbewerbskommission ist bei der Erfüllung ihrer Aufsichtsfunktion auf die Mithilfe von Kantonen und Gemeinden angewiesen, zumal diese Adressaten des Gesetzes sind. Es handelt sich im Übrigen um 480

ein Institut, das auch in anderen Bundesgesetzen Verankerung gefunden hat (z.B.

Kartellgesetz) und ­ trotz fehlender Rechtsgrundlage im geltenden BGBM ­ bereits heute in einem bestimmten Mass praktiziert wird. Eine Entschädigungspflicht erscheint nicht angemessen, da es um die Konkretisierung von Verfassungsprinzipien geht, was Bund und Kantone gleichermassen betrifft. Es geht nicht um eine Hilfestellung der Kantone bei Vollzugsaufgaben, die dem Bund übertragen sind.

Dem Anliegen der eingangs erwähnten Kantone ist deshalb nicht entsprochen worden.

Schliesslich verlangten der Schweizerische Gewerbeverband, der Verband Freier Berufe und der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein, Berufs- und Standesorganisationen ebenfalls ein Beschwerderecht einzuräumen. Da solche Organisationen weder von Beschränkungen des Marktzugangs direkt betroffen sind noch das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Binnenmarkt wahrzunehmen haben, ist die Einführung eines (Verbands-)Beschwerderechts nicht angezeigt.

Diesbezüglich ist daran zu erinnern, dass den Berufs- und Standesorganisationen immerhin das Instrument der ideellen Verbandsbeschwerde offen steht, mit dem sie sich gegen unzulässige Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit einer Mehrheit ihrer Mitglieder zur Wehr setzen können. Schliesslich wurde auch bei der Schaffung des Kartellgesetzes die Erteilung eines Verbandsbeschwerderechts abgelehnt. Dem Anliegen der Vernehmlassungsteilnehmer ist deshalb nicht entsprochen worden.

2

Inhalt der Revision

2.1

Ausdehnung des freien Marktzugangs nach Massgabe der Vorschriften des Herkunftsortes auf die gewerbliche Niederlassung

Ein Kernanliegen der Revision ist die Ausdehnung des freien Marktzugangs nach Massgabe der Herkunftsvorschriften auf die gewerbliche Niederlassung. Die beabsichtigte Ausdehnung entspricht auch den Zielen des Binnenmarktgesetzes. So will das Gesetz unter anderem die berufliche Mobilität innerhalb der Schweiz erleichtern (Art. 1 Abs. 2 Bst. a BGBM) und die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Volkswirtschaft stärken (Art. 1 Abs. 2 Bst. c BGBM). Die enge Lesart des diese Gedanken konkretisierenden Artikels 2 BGBM durch das Bundesgericht wirkt sowohl mobilitäts- wie auch wettbewerbshemmend. Ganze Berufsgruppen, die auf feste Einrichtungen am Ort der Leistungserbringung angewiesen sind, konnten ihren Anspruch auf freien Marktzugang bislang nicht auf das BGBM abstützen.

2.2

Verschärfung und Ergänzung von Artikel 3 BGBM

Ein weiteres Kernanliegen der Revision stellt die Verschärfung der Ausnahmebestimmung von Artikel 3 BGBM dar, indem die Verweigerung des Marktzugangs durch die Behörden des Bestimmungsortes grundsätzlich nicht mehr möglich sein soll. Vielmehr sind an die Verhältnismässigkeit von Marktzugangsbeschränkungen erhöhte Anforderungen zu stellen. Dass ein Domizilwechsel einen Berufswechsel oder die Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit impliziert, soll die seltene Ausnahme bleiben. Dies soll durch eine grundrechtliche Prüfung erlassener Aufla-

481

gen anhand der konkreten Situation des Belasteten gewährleistet werden. Dadurch wird das Binnenmarktprinzip gegenüber dem Föderalismusprinzip gestärkt.

2.3

Anerkennung kantonaler Fähigkeitsausweise nach Massgabe des EU-Anerkennungsverfahrens

Die Anerkennung kantonaler Fähigkeitsausweise soll künftig nach Massgabe des EU-Anerkennungsverfahrens erfolgen, wobei interkantonale Vereinbarungen wie bis anhin vorbehalten bleiben. Für die nicht interkantonal geregelte Anerkennung gelten somit im Aussenverhältnis zur EU wie im Innenverhältnis, d.h. unter den Kantonen, dieselben Regeln. Die Anwendung einheitlicher Anerkennungsregeln verhindert insbesondere eine mögliche Diskriminierung von Schweizerinnen und Schweizern gegenüber EU-Bürgerinnen und -Bürgern. Sie schafft darüber hinaus erhöhte Rechtssicherheit und erleichtert den Vollzug durch die kantonalen Behörden.

2.4

Beschwerderecht der Wettbewerbskommission

Ein letztes Kernanliegen der Revision ist die Einführung eines Beschwerderechts der Wettbewerbskommission gegen Entscheide, die den Zugang zum Markt in unzulässiger Weise beschränken. Dieses neue Instrument, welches auf den Vorschlägen zur Totalrevision zur Bundesrechtspflege gründet (vgl. unten Ziff. 2.6, Kommentar zu Art. 9 Abs. 2bis) und dessen Schaffung von den eidgenössischen Räten im Grundsatz gewünscht wird (vgl. oben Ziff. 1.2), trägt dazu bei, noch offene und zentrale Fragen des Marktzugangs gerichtlich klären zu lassen und damit die Verwirklichung des Binnenmarktes voranzutreiben.

2.5

Weitere Revisionspunkte

2.5.1

Präzisierung des sachlichen Geltungsbereichs

Der sachliche Geltungsbereich des Binnenmarktgesetzes umfasst nach der geltenden Regelung jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit, die den Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit (heute Wirtschaftsfreiheit9) geniesst (Art. 1 Abs. 3 BGBM). Die Erfahrungen der Wettbewerbsbehörden zeigen, dass eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die Einordnung gewerblicher Tätigkeiten besteht, welche im Rahmen eines öffentlichen Dienstes ausgeübt werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Transparenz soll Artikel 1 Absatz 3 BGBM entsprechend präzisiert werden.

2.5.2

Vermutung der Gleichwertigkeit kantonaler und kommunaler Marktzugangsregelungen

Dem Grundsatz des freien Marktzugangs auf Grund der Herkunftsvorschriften liegt die (widerlegbare) Vermutung der Gleichwertigkeit kantonaler und kommunaler Vorschriften zugrunde. Dies soll explizit im Gesetz verankert werden.

9

482

Art. 27 BV

2.5.3

Übertragung der Nutzung kantonaler und kommunaler Monopole auf Private mittels Ausschreibung

Kantone und Gemeinden können die Nutzung ihrer Monopole mittels Konzession auf private Dritte übertragen. Dies soll künftig zwingend auf dem Weg der Ausschreibung geschehen. Diese Ausschreibungspflicht entspricht der Zielsetzung des Gesetzes, indem sie den Wettbewerb stärkt und die Entstehung eines eigentlichen Binnenmarktes für derartige konzessionierte Tätigkeiten ermöglicht.

2.5.4

Aufhebung der Konsultations- und Informationspflicht des Bundes gegenüber den Kantonen

Gemäss Artikel 7 BGBM informiert und konsultiert der Bundesrat die Kantone regelmässig über die völkerrechtlichen, integrationsrechtlichen und bundesrechtlichen Entwicklungen, die im Rahmen dieses Gesetzes für die Verwirklichung des Binnenmarktes durch Kantone und Gemeinden von Bedeutung sind. Dieser Bestimmung kommt angesichts der in anderen Erlassen verankerten Konsultations- und Informationspflicht des Bundes keine eigenständige Bedeutung mehr zu.

2.5.5

Amtshilfe

Mit der Verankerung der Amtshilfe im Gesetz soll die ­ trotz fehlender Rechtsgrundlage im geltenden BGBM bereits heute in einem bestimmten Mass praktizierte ­ Mitwirkung der betroffenen Behörden gesichert und auf eine solide rechtliche Grundlage gestellt werden.

2.5.6

Auskunftspflicht für betroffene Personen und Sanktionsfolgen

Mit der Verankerung der Auskunftspflicht soll die Mitwirkung betroffener Privater bei den Abklärungen der Wettbewerbskommission sichergestellt werden. Zwecks effektiver Durchsetzung dieser Pflicht ist es erforderlich, dass deren Missachtung bzw. Verletzung sanktioniert werden kann. Deshalb soll eine entsprechende Sanktionsfolge ins Gesetz aufgenommen werden.

2.5.7

Veröffentlichungen durch die Wettbewerbskommission und behördliche Pflicht, Entscheide zuzustellen

Die Wettbewerbskommission soll gesetzlich ermächtigt werden, ihre Empfehlungen und Gutachten sowie Verwaltungs- und Gerichtsentscheide zum Binnenmarktgesetz im Publikationsorgan «Recht und Politik des Wettbewerbs» (RPW) zu veröffentlichen.

483

Die Erfüllung dieses Publikationsauftrags wie auch die Wahrnehmung des Beschwerderechts (vgl. oben Ziff. 2.4) setzen voraus, dass die betroffenen Behörden und Gerichte ihre Entscheide der Wettbewerbskommission zustellen, weshalb eine Zustellungspflicht im Gesetz verankert werden soll.

2.6

Kommentar zu einzelnen Bestimmungen

Art. 1 Abs. 3 Die Bestimmung präzisiert, dass auch gewerbliche Verrichtungen, die von einem öffentlichen Dienst vorgenommen werden, von der Wirtschaftsfreiheit und damit vom sachlichen Geltungsbereich des Gesetzes erfasst werden. Es handelt sich mithin um Tätigkeiten, die auch auf dem freien Markt angeboten werden (z.B. Tätigkeit von Lehrpersonen). Dies entspricht einerseits der neueren Verfassungslehre, welche derartige Tätigkeiten dem sachlichen Geltungsbereich der Wirtschafsfreiheit unterstellt. Auf diesen Umstand wurde bereits in der Botschaft zum Binnenmarktgesetz hingewiesen (BBl 1995 I 1213). Andererseits wird mit dieser Präzisierung, wie von einzelnen Vernehmlassungsteilnehmern gewünscht, die inhaltliche Übereinstimung mit dem bilateralen Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz vom 21. Juni 1999 über die Freizügigkeit sichergestellt.10 Schliesslich wird im Sinne einer terminologischen Anpassung der Begriff Handels- und Gewerbefreiheit durch Wirtschaftsfreiheit ersetzt.

Art. 2 Abs. 4­6 Gemäss Absatz 4 gilt der Grundsatz des freien Marktzugangs nach den Vorschriften des Herkunftsortes neu auch für die Niederlassung. Wer also zur Ausübung einer Tätigkeit an einem Ort eine gewerbliche Niederlassung begründet, kann sich auf die Vorschriften am Ort der Erstniederlassung berufen. Damit gelangen diejenigen Berufsgruppen, die sich auf Grund der Natur ihrer gewerblichen Tätigkeit am Ort der Leistung niederlassen müssen (z.B. Gastwirte), in den Genuss des freien Marktzugangs. Konkret bedeutet dies, dass die Betroffenen nicht verpflichtet sind, am Bestimmungsort eine Bewilligung für die Ausübung ihrer Tätigkeit einzuholen, sondern diese Tätigkeit kraft der am Ort der Erstniederlassung ausgestellten Bewilligung ausüben können. Dies ist insbesondere auch mit Blick auf Zweigniederlassungen eine zweckmässige Lösung. Beschränkungen des freien Marktzugangs sind nach Massgabe von Artikel 3 BGBM zulässig.

Aus Gründen der kantonalen Souveränität (Art. 3 BV) liegt es nahe, dass die Aufsicht über die Einhaltung der Vorschriften der Erstniederlassung durch die Behörde am Bestimmungsort ausgeübt wird. Gegen die umgekehrte Lösung spricht auch der Umstand, dass die Behörde am Bestimmungsort den Marktzugang gestützt auf Artikel 3 BGBM mit Auflagen versehen kann. Die Sicherstellung eigenen
Rechts auf eigenem Territorium ist zweifelsohne Sache der Behörde am Ort. Die Aufgabe der Tätigkeit am Ort der Erstniederlassung ändert nichts an der Rechtslage, d.h. die

10

484

SR 0.142.112.681. Gemäss Art. 10 Anhang 1 zum Abkommen kann einem Staatsangehörigen einer Vertragspartei, der eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt, das Recht auf Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung nur dann verweigert werden, wenn diese die Ausübung hoheitlicher Befugnisse umfasst und der Wahrung der allgemeinen Interessen des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften dient.

Betroffenen können ihre Tätigkeit ungeachtet dessen nach Massgabe der Vorschriften der Erstniederlassung weiterführen.

Bei der Umsetzung der neuen Regelung wird die Praxis verschiedene Fragen zu beantworten haben. Einige dieser Fragen sollen im Folgenden skizziert werden, ohne Anspruch darauf, damit einen vollständigen Überblick über die Umsetzungsfragen zu geben.

Die Zweitniederlassung ist in ihrem rechtlichen Status von der Erstniederlassung abhängig. Für die Zweitniederlassung soll keine eigene Bewilligung erforderlich sein. Es wird den Kantonen überlassen, die nötigen Vorkehren zu treffen, um die Aufsicht über die Zweitniederlassung auf ihrem Gebiet ausüben und insbesondere die Möglichkeit zur Auferlegung von Auflagen nach Artikel 3 des Entwurfs wahrnehmen zu können. Die rechtliche Abhängigkeit der Zweitniederlassung von der Erstniederlassung äussert sich namentlich in der Anwendbarkeit des Rechts des Kantons, in dem die Erstniederlassung gelegen ist, auf die Zweitniederlassung. Dies schliesst beispielsweise auch ein, dass Änderungen des Rechts des Erstniederlassungs-Kantons auch vom Kanton der Zweitniederlassung angewendet werden müssen. In diesem Zusammenhang kann sich, je nachdem, das Bedürfnis nach Koordination der Aufsichtspraxis durch die involvierten Kantone ergeben.

Die rechtliche Abhängigkeit der Zweitniederlassung von der Erstniederlassung soll insofern begrenzt werden, als die Zweitniederlassung auch bestehen bleiben kann, wenn die Erstniederlassung aufgegeben wird (Art. 2 Abs. 4 Satz 2 des Entwurfs). In diesem Fall wird je nach den Gründen für die Aufgabe der Erstniederlassung zu unterscheiden sein. Gibt der Niederlassungsinhaber die Erstniederlassung aus Gründen auf, welche die rechtlichen Voraussetzungen für deren Bewilligung nicht tangieren, so braucht das Fortbestehen der Zweitniederlassung nicht in Frage gestellt zu werden. Wird hingegen die Erstniederlassung aufgegeben, weil die rechtlichen Voraussetzungen für die Bewilligung nicht mehr erfüllt sind, und handelt es sich dabei um Voraussetzungen, die nicht bloss die Erstniederlassung betreffen, sondern gleichermassen auch die Zweitniederlassung, so wird die Zweitniederlassung ebenfalls geschlossen werden müssen.

Die Ausführungen zum rechtlichen Status der Zweitniederlassung gelten gleichermassen auch für allfällige weitere
Niederlassungen.

Absatz 5 verankert die dem freien Marktzugang zugrundeliegende (widerlegbare) Vermutung der Gleichwertigkeit kantonaler und kommunaler Marktzugangsregelungen explizit im Gesetz. Damit ist zwar keine Änderung der geltenden Rechtslage verbunden. Die gesetzliche Verankerung verschafft der Gleichwertigkeitsvermutung jedoch Nachdruck.

Absatz 6 verpflichtet kantonale und kommunale Behörden, die Übertragung der Monopolnutzung auf private Dritte mittels Ausschreibung vorzunehmen. Mit dieser Ausschreibungspflicht wird der gegenseitige Marktzugang erleichtert, ohne dabei die verfassungsrechtlich begrenzte Kompetenz der Kantone und Gemeinden zur Monopolisierung wirtschaftlicher Tätigkeiten in Frage zu stellen.11 Die Festlegung 11

Gemäss Art. 94 Abs. 4 BV sind Abweichungen vom Grundsatz u.a. zulässig, wenn sie durch kantonale Regalrechte («historische» Monopole) begründet sind. Darüber hinaus sind Kantone und Gemeinden befugt, neue Monopole zu begründen, sofern sie sich durch ein öffentliches Interesse rechtfertigen lassen und verhältnismässig sind. In Betracht fallen dabei Gründe des öffentlichen Wohls, nicht aber wirtschaftspolitische oder fiskalische Gründe (BGE 128 I 110).

485

der Ausschreibungsmodalitäten ist Sache der betroffenen Behörden. Naheliegend ist es freilich, die Regeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge analog anzuwenden.

Art. 3 Gemäss Absatz 1 dürfen die Behörden des Bestimmungsortes ortsfremden Anbieterinnen und Anbietern den Marktzugang in der Regel nicht mehr verweigern, sondern höchstens noch in Form von Auflagen beschränken. Der Begriff «grundsätzlich» impliziert, dass eine Verweigerung in Fällen krass divergierender Marktzugangsregelungen möglich bleibt.

Absatz 2 wird aufgehoben, da eine Spezifizierung der für Marktzugangsbeschränkungen in Frage kommenden öffentlichen Interessen nicht erforderlich ist. Diese sind einerseits identisch mit denjenigen öffentlichen Interessen, welche die bundesgerichtliche Rechtsprechung bei Beschränkungen der Wirtschaftsfreiheit als zulässig anerkennt. Andererseits stimmt es mit der in Artikel 2 Absatz 5 neu eingeführten Vermutung der Gleichwertigkeit kantonaler Marktzugangsregelungen nicht überein, wenn mit Artikel 3 Absatz 2 weiterhin suggeriert würde, dass die Regelungen am Herkunftsort diese Schutzanliegen gänzlich ignoriert haben könnten. Die Probleme ergeben sich, wenn Unterschiede im Ausmass bestehen, indem die Kantone schutzwürdigen Anliegen Rechnung tragen, oder wenn sie auf andere Durchsetzungsmechanismen setzen (z.B. indem die Kontrolle nicht beim Aufnehmen einer Tätigkeit, sondern erst bei deren Ausübung stattfindet). Mit der Aufhebung von Absatz 2 wird schliesslich auch dem Gebot einer schlanken Gesetzgebung Rechnung getragen.

Absatz 3 verpflichtet die Behörden, bei der Verhältnismässigkeitsprüfung zusätzlich die Berufserfahrung zu berücksichtigen, welche die Anbieterin oder der Anbieter am Herkunftsort erlangt hat. Die Berücksichtigung der Berufserfahrung ist im geltenden Recht nur im Rahmen der Anerkennung von Fähigkeitsausweisen vorgesehen (Art. 4 Absatz 3 BGBM). Bisher nicht erfasst wurden beispielsweise Fälle, in denen der Marktzugang am Bestimmungsort vom Besitz eines Fähigkeitsausweises abhängig gemacht wird, wogegen der Herkunftsort für die Ausübung der entsprechenden Tätigkeit keinen derartigen Ausweis verlangt (z.B. im Bereich des Gastgewerbes).

Die Behörde des Bestimmungsortes muss neu die Berufserfahrung, welche die betreffende Person am Herkunftsort gesammelt hat, auch losgelöst vom
Vorhandensein eines Fähigkeitszeugnisses berücksichtigen. Dabei stellt sich die auch im Vernehmlassungsverfahren aufgeworfene Frage, was für den Schutz öffentlicher Interessen als hinreichend angesehen werden kann. In Anlehnung an die Verwaltungsvereinbarung Espace Mitteland über reglementierte gewerbliche Tätigkeiten vom 12. März 1999, welche Regeln für den (erleichterten) gegenseitigen Marktzugang zwischen den beteiligten Kantonen enthält, kann eine während drei aufeinander folgenden Jahren einwandfrei ausgeübte Berufstätigkeit als hinreichend betrachtet werden.12 Die Anerkennung der Berufserfahrung ist nicht nur dort wichtig, wo im Herkunftskanton gar kein Titel verlangt wird, sondern auch dort, wo am Herkunftsort der Marktzugang mit einem Titel erworben wurde, der sich für die Diplomanerkennung nach Artikel 4 BGBM nicht qualifiziert. Mit der Einrede der Berufserfahrung soll die Verweigerung des Marktzugangs angefochten werden können, ohne dass simultan Antrag auf Anerkennung der Gleichwertigkeit der Diplome gestellt werden muss. Dies ist namentlich dort relevant, wo ein Berufsfeld in seiner umfassenden Breite nur Inhaberinnen und Inhabern eines akademischen Abschlusses offen 12

486

Art. 3 der Verwaltungsvereinbarung.

stehen soll (z.B. Ärztin/Arzt), wo aber mittels Auflagen den Absolventinnen und Absolventen gewisser nicht-akademischer Ausbildungsgänge Teile dieses Tätigkeitsgebietes freigegeben werden können, ohne dass der Aufnahmekanton explizit neue Berufskategorien schafft (wie z.B. den Akupunkteur ohne eidg. Medizinalprüfung).

Absatz 4 ersetzt mit dem Begriff «verdeckte Marktzutrittsschranken» den bisherigen Begriff «verdecktes Handelshemmnis». Damit wird der materielle Gehalt nicht verändert. Es soll der Eindruck vermieden werden, dass unter verdecktem Handelshemmnis nur eine Beschränkung des freien Warenverkehrs gemeint ist.

Absatz 5 verpflichtet die Behörden des Bestimmungsortes, über Beschränkungen des Marktzugangs in einem einfachen, raschen und kostenlosen Verfahren zu entscheiden. Damit wird eine Lücke im geltenden Gesetz behoben, welche den Anspruch der Betroffenen auf ein derartiges Verfahren bloss bei Beschränkungen vorsieht, die aus der fehlenden Anerkennung von Fähigkeitsausweisen resultieren (Art. 4 Abs. 2 BGBM).

Art. 4 Abs. 2 und 3bis Absatz 2 kann auf Grund der Ausweitung dieser Regel auf sämtliche Marktzugangsbeschränkungen und der damit verbundenen Verankerung in Artikel 3 (vgl. oben, Kommentar zu Art. 3 Abs. 5) aufgehoben werden.

Absatz 3bis stellt die Anerkennung kantonaler und kantonal anerkannter Fähigkeitsausweise für jene Berufe auf eine neue Grundlage, deren Anerkennung nicht gestützt auf die Interkantonale Vereinbarung über die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen vom 18. Februar 199313 gewährleistet ist. Künftig erfolgt die Anerkennung nach Massgabe des bilateralen Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz vom 21. Juni 1999 über die Freizügigkeit bzw. des darin vorgesehenen EU-Anerkennungsverfahrens. Massgebende Rechtsgrundlagen bilden nach dem jetzigen Stand mehrere Spezialrichtlinien für einzelne Berufe (insbesondere Gesundheitsberufe) und drei allgemeine Richtlinien.14 Der Bestand dieser Grundlagen hängt von der Fortentwicklung des EU-Rechts in diesem Bereich bzw. der Übernahme künftigen EU-Rechts in das Freizügigkeitsabkommen ab.

Diesbezüglich sei auf einen Richtlinienvorschlag über die Anerkennung von Berufsqualifikationen hingewiesen, welcher eine Konsolidierung der 15 bestehenden Richtlinien vornimmt und voraussichtlich Anfang 2006 EU-weit in
Kraft treten soll.15 Mit der Übernahme des EU-Verfahrens gelten im Innen- und Aussenverhältnis dieselben Regeln, womit das Risiko einer Schlechterstellung von Schweizerinnen und Schweizern sowie Drittstaatangehörigen, die sich auf Grund eines vorhandenen Domizils auf das BGBM berufen können, gegenüber EU-Bürgerinnen und -Bürgern ausgeschaltet werden kann. Keine Bedeutung soll im Übrigen der Frage zukommen, ob die Gleichwertigkeit eines in der EU oder eines in einem Drittstaat erworbenen Ausbildungsnachweises zu prüfen ist. Massgebend ist nicht die Frage, 13 14

15

Die interkantonale Vereinbarung betrifft erzieherische, soziale und künstlerische Berufe sowie nicht-universitäre Gesundheitsberufe.

RL 89/48/EG regelt die Anerkennung von Diplomen mit einer mindestens 3-jährigen Ausbildung an einer Hochschule; RL 92/51/EG regelt die Anerkennung von Diplomen für Berufe mit einer Ausbildung von 1­3 Jahren; RL 99/42/EG regelt die Anerkennung von Diplomen für Berufe ohne spezifische Anforderungen an die Ausbildung. Diese sehen u.a. Behandlungsfristen für die Anerkennung von Fähigkeitsausweisen vor.

KOM (2002) 119 endg.

487

ob die Fähigkeitsausweise, sondern ob die mittels des Erfordernisses eines Fähigkeitsausweises geschützten Erwerbstätigkeiten im Anwendungsbereich des Diplomanerkennungsabkommens liegen.

Die praktische Bedeutung von Absatz 3bis wird in Zukunft allerdings in dem Masse schwinden, wie der Bund in Anwendung des neuen Berufsbildungsgesetzes von seinen Regelungsmöglichkeiten Gebrauch macht.

Die Tragweite von Artikel 4 Absätze 1 und 3 BGBM wird mit der Übernahme des EU-Anerkennungsverfahrens für die interkantonale Anerkennung erheblich eingeschränkt.

Art. 7 Mit dem Einbezug der Kantone im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zu Erlassen des Bundes und dem zwischenzeitlich erlassenen Bundesgesetz vom 22. Dezember 199916 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes, das den Kantonen die Mitwirkung an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide einräumt, die ihre Zuständigkeiten betreffen oder ihre wesentlichen Interessen berühren, kommt dieser Bestimmung keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Sie kann deshalb in Berücksichtigung des Gebots einer schlanken Gesetzgebung aufgehoben werden.

Art. 8 Abs. 4 Der neue Absatz 4 soll den korrekten Vollzug von Artikel 4 Absatz 3bis BGBM sicherstellen. Unter Berücksichtigung der im Bereich der Anerkennung von Fähigkeitsausweisen bzw. Diplomen notwendigen Koordination zwischen Bund und Kantonen sowie zwecks Sicherstellung der Vollzugstauglichkeit ist es angezeigt, dass die Wettbewerbskommission mit den Kantonen und den mit Anerkennungsfragen betrauten Bundesstellen (Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT und Integrationsbüro IB) bei der Ausarbeitung entsprechender Vollzugsempfehlungen an die betroffenen kantonalen Stellen zusammenarbeitet. Dies entspricht einer schlanken und effizienten Lösung.

Die Einschaltung der Wettbewerbskommission empfiehlt sich, weil sie von den Verwaltungsbehörden unabhängig ist. Sie ist weder gegenüber dem Bundesrat noch gegenüber einzelnen Departementen weisungsgebunden. Die Wettbewerbskommission ist nur administrativ dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD) zugeordnet. Über die Geschäftstätigkeit des Sekretariats übt deren Präsident die Oberaufsicht aus.

Art. 8a Mit dieser neuen Bestimmung werden die Amtsstellen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden zur Amtshilfe bei den Abklärungen der
Wettbewerbskommission verpflichtet. Diese Pflicht, welche eine entsprechende Anfrage seitens der Wettbewerbskommission bzw. deren Sekretariat voraussetzt, rechtfertigt sich einerseits, da die Wettbewerbskommission bei der Durchführung von Untersuchungen und der Erarbeitung von Empfehlungen zwecks Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts regelmässig auf die Mitwirkung anderer Behörden angewiesen ist. Andererseits soll die Wettbewerbskommission mit diesem Instrument die Möglichkeit erhalten, 16

488

SR 138.1

sich über den Stand der kantonalen und kommunalen Vorschriften zu informieren.

Es geht mit anderen Worten darum sicherzustellen, dass die Wettbewerbskommission ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen kann. Im Rahmen der Inanspruchnahme der Amtshilfe hat die Wettbewerbskommission das Gebot der Verhältnismässigkeit zu beachten.

Art. 8b Die Verankerung der Auskunfts- und Editionspflicht für betroffene Personen verfolgt denselben Zweck wie die Amtshilfe. Als betroffene Personen gelten natürliche und juristische Personen, die von Markzugangsbeschränkungen in negativer Weise tangiert sind oder, umgekehrt, einen Nutzen aus derartigen Beschränkungen ziehen.

Dem Gebot der Verhältnismässigkeit gehorchend beschränkt sich die Pflicht auf die Erteilung von Auskünften und die Edition von Unterlagen, die für die Abklärungen der Wettbewerbskommission erforderlich sind.

Art. 8c Absatz 1 sieht bei Nicht- oder nicht richtiger Erfüllung der Auskunftspflicht eine Busse von bis zu 10 000 Franken vor. Damit soll die effektive Durchsetzung dieser Pflicht sichergestellt werden. Mit einer Busse belegt werden primär natürliche Personen, subsidiär aber auch juristische Personen, wenn im konkreten Fall eine Busse von höchstens 5000 Franken in Betracht fällt und die Ermittlung der verantwortlichen natürlichen Person einen unverhältnismässigen Untersuchungsaufwand bedingen würde (Art. 7 des Bundesgesetzes vom 22. März 197417 über das Verwaltungsstrafrecht). In Bezug auf den Bussenrahmen gilt es einerseits zu berücksichtigen, dass sich das Binnenmarktgesetz gegen vom Staat veranlasste Wettbewerbsbeschränkungen und nicht, wie das Kartellgesetz, gegen Wettbewerbsbeschränkungen Privater richtet. Andererseits darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass (privaten) Branchen- und Fachverbänden bei der sektorspezifischen Regulierung auf Grund ihres Knowhows ein erheblicher Einfluss zukommt. Diese Überlegungen lassen eine maximale Bussenhöhe von 10 000 Franken als sachgerecht und verhältnismässig erscheinen.

Absatz 2: Die vorgesehene Sanktion hat strafrechtlichen Charakter im Sinne von Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Dies erfordert die Anwendung des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht auf das Sanktionsverfahren.

Art. 9 Abs. 2bis Die neue Bestimmung verleiht der Wettbewerbskommission das Recht,
mittels Beschwerde feststellen zu lassen, dass ein (kantonaler oder kommunaler) Entscheid den Zugang zum Markt in unzulässiger Weise beschränkt. Der Vorschlag gründet auf den Gesetzesvorschlägen zur Totalrevision der Bundesrechtspflege.18 Danach werden Klagelegitimierte gegen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Rekursbehörden über die Anwendung des BGBM künftig nicht mehr staatsrechtliche Beschwerde, sondern die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Artikel 77 ff. des Entwurfs für ein neues Bundesgerichtsgesetz (EBGG) ergrei17 18

SR 313.0 Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4202.

489

fen können. Zur Beschwerde legitimiert sind dabei nicht nur betroffene Private, sondern auch die Departemente des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die ihnen unterstellten Dienststellen, wenn der angefochtene Akt ihren Aufgabenbereich berührt (Art. 84 EBGG). Artikel 9 Absatz 2bis hat somit die Bedeutung, dass neben den in Artikel 84 EBGG aufgeführten Behörden auch die Wettbewerbskommission auf formellgesetzlicher Stufe ­ und nicht bloss auf Verordnungsstufe (vgl. Botschaft, BBl 2001 4330) ­ als beschwerdeberechtigte Behörde bezeichnet wird.

Für alle übrigen Fragen im Zusammenhang mit dem Beschwerderecht werden die allgemeinen Regeln des künftigen Bundesgerichtsgesetzes zur Anwendung gelangen. Dies bedeutet insbesondere, dass die zur Beschwerde berechtigte Wettbewerbskommission die kantonalen Rechtsmittel ergreifen und sich vor jeder kantonalen Instanz am Verfahren beteiligen kann (vgl. Art. 104 Abs. 2 EBGG). Soweit auch allfällige Beschwerden an kommunale Beschwerdeinstanzen in der Regel als «Rechtsmittel des kantonalen Rechts» im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren sein dürften, ist sichergestellt, dass die Wettbewerbskommission auch ein Beschwerderecht gegen erstinstanzliche Verfügungen hat. Der Bundesrat wird des Weiteren gestützt auf Artikel 105 Absatz 4 EBGG auf Verordnungsstufe bestimmen, welche Entscheide die kantonalen und kommunalen Instanzen der Wettbewerbskommission zu eröffnen haben. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass das Beschwerderecht im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens einer Einschränkung unterworfen sein wird. Nach dem aktuellen Stand der parlamentarischen Beratungen soll das Beschwerderecht auf Entscheide beschränkt werden, die rechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen und Beschaffungen über den ­ für das offene und selektive Verfahren ­ massgebenden Schwellenwerten betreffen.

Die Abstützung des Beschwerderechts der Wettbewerbskommission auf das künftige Bundesgerichtsgesetz impliziert, dass mit der Ausübung dieses Rechts bis zu dessen Inkrafttreten (geplant auf Anfang 2007) zugewartet werden müsste, falls das revidierte BGBM früher in Kraft tritt. Da dies frühestens Anfang 2006 der Fall sein dürfte, erscheint ein allfälliges Zuwarten hinnehmbar.

Das Beschwerderecht der Wettbewerbskommission ergänzt das bereits im Gesetz
verankerte, aber schwach benutzte Beschwerderecht betroffener Privater. Der Wettbewerbskommission wird damit ein Instrument in die Hand gegeben, um die Verwirklichung des Binnenmarktes voranzutreiben, indem offene und zentrale Fragen des Marktzugangs einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden können.

Ein auf blosse Feststellung ausgerichtetes Beschwerderecht trägt dem Umstand Rechnung, wonach bei Beschränkungen des freien Marktzugangs in erster Linie private und erst in zweiter Linie öffentliche Interessen, insbesondere das Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs, tangiert werden. Diesbezüglich ist daran zu erinnern, dass mit dem Gesetz primär die Stärkung der Binnenmarktfunktion der Wirtschaftsfreiheit verfolgt wird. Dementsprechend steht betroffenen Privaten nach geltendem Recht gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide die staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung.

Eine auf Leistung ausgerichtete Behördenbeschwerde würde somit der Interessenlage nicht gerecht und stünde zudem im Widerspruch zu der im Verwaltungsprozess geltenden Dispositionsmaxime, wenn ein Dritter für jemanden einen Vorteil erstreitet, den dieser gar nicht (mehr) geltend machen will.

490

Die Wettbewerbskommission kann ihr Beschwerderecht unabhängig von einer allfälligen privaten Beschwerde auf Durchsetzung des Marktzugangs ausüben. Die Zustimmung der betroffenen Privaten ist nicht erforderlich. Erhebt die Wettbewerbskommission Beschwerde, bewirkt dies keine Unterbrechung der Rechtsmittelfrist für die Einreichung einer Individualbeschwerde. Wird parallel Beschwerde erhoben, so dürfte die urteilende Behörde aus Gründen der Prozessökonomie die beiden Beschwerden vereinigen.

Art. 10a Mit der Ermächtigung der Wettbewerbskommission zur Veröffentlichung ihrer Empfehlungen und Gutachten wird die eingeschlagene Publikationspraxis rechtlich verankert (Abs. 1). Die Ausgestaltung als «Kann»-Vorschrift soll es der Wettbewerbskommission ermöglichen, im Einzelfall auf eine Publikation zu verzichten.

Absatz 2 dehnt die Ermächtigung zur Publikation auf Verfügungen und Urteile von Behörden und Gerichten aus. Die zu diesem Zweck statuierte Zustellungspflicht umfasst dabei nur die Entscheide, die nicht schon gestützt auf das künftige Bundesgerichtsgesetz der Wettbewerbskommission im Zusammenhang mit ihrem Beschwerderecht eröffnet werden müssen (vgl. oben Kommentar zu Art. 9 Abs. 2bis). Angesichts der doch geringen Anzahl derartiger Entscheide kann davon ausgegangen werden, dass die Zustellungspflicht den betroffenen Stellen keinen unverhältnismässigen Aufwand bescheren wird.

3

Auswirkungen

3.1

Personelle und finanzielle Auswirkungen

3.1.1

Auf den Bund

Ein Hauptziel der Revision ist die Stärkung der Aufsichtsfunktion der Wettbewerbskommission. Zur Zielerreichung steht der Weko neu ein Beschwerderecht gegen Entscheide zur Verfügung, die den freien Marktzugang in unzulässiger Weise einschränken. Eine bessere und effizientere Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion verlangt insbesondere auch, dass die kantonale und kommunale Rechtsetzung sowie die Rechtsprechung zum BGBM künftig systematisch erfasst werden. Dies ist die Voraussetzung, um gezielt Empfehlungen an die zuständigen Behörden richten zu können und den Anpassungsprozess voranzutreiben.

Gegenwärtig verfügt das Sekretariat der Wettbewerbskommission über keine Ressourcen für den Vollzug des BGBM. Der Personalaufwand, einer Vollzeitstelle entsprechend, wird durch die Ressourcen gedeckt, welche im Rahmen der Revision des Kartellgesetzes von 1995 für dessen Vollzug gesprochen wurden.

Die effiziente Umsetzung der Revision erfordert die Schaffung von drei unbefristeten Vollzeitstellen im Sekretariat der Wettbewerbskommission, was zu zusätzlichen Personalausgaben inklusive Arbeitgeberbeiträgen von rund 450 000 Franken pro Jahr führt. Der damit verbundene zusätzliche Raumbedarf kann durch die vorhandene Infrastruktur gedeckt werden.

491

3.1.2

Auf die Kantone und Gemeinden

Gegenüber der gegenwärtigen Situation ergeben sich für die Kantone und Gemeinden insgesamt geringe Mehraufwendungen durch die Ausdehnung der Kostenlosigkeit des Verfahrens bei Beschränkungen des Marktzugangs und die Ausschreibungspflicht bei der Übertragung der Nutzung von Monopolen auf Private.

Letzterem ist allerdings die kostendämpfende Wirkung entgegenzustellen, die durch den verschärften Wettbewerb unter den Privaten erzeugt wird.

Kein oder ein höchstens vernachlässigbarer Mehraufwand dürfte aus der Pflicht zur Amtshilfe resultieren, da sie von den Kantonen und Gemeinden trotz fehlender Rechtsgrundlage im Gesetz bereits heute bis zu einem bestimmten Grad praktiziert wird. Schwierig abzuschätzen ist schliesslich der Aufwand, der aus der Anpassung kantonaler und kommunaler Vorschriften an das BGBM resultiert, da der Handlungsbedarf unterschiedlich gross sein dürfte.

3.2

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

3.2.1

Notwendigkeit und Möglichkeit staatlichen Handelns

Die Schaffung eines Binnenmarktes war ein Grundanliegen des Bundesstaates und schloss schon 1848 die Niederlassungsfreiheit ein, wenn auch Reste zünftischer Ordnungen in gewissen Kantonen in Kraft blieben. Die Berufsausübungsfreiheit kam dann explizit 1874 dazu, namentlich auch mit der Gewährleistung der Freizügigkeit für die akademischen Berufe in Artikel 5 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung. Seither hat sich das Rechtsumfeld gewandelt, indem auch bei nicht-akademischen Berufen vermehrt gewerbepolizeilich motivierte Zugangsschranken bestehen. Weiter wurde die erwähnte Übergangsbestimmung wohl durch Bundesgerichtsentscheide, nie jedoch in einem Bundesgesetz näher ausgeführt.

Diese Lücken schloss einerseits das BGBM, anderseits ­ in einem konkreten Gebiet ­ das Anwaltsgesetz. Es bleibt allerdings die Erfahrung, dass man ohne Harmonisierung nur mit generell-abstrakten Rechtssätzen, wie sie das Binnenmarktgesetz oder die Übergangsbestimmungen der alten Verfassung aufstellten, die berufliche Mobilität nicht in jedem Fall wird gewährleisten können.

Heute, nach Inkrafttreten des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU, ergibt sich die Notwendigkeit staatlichen Handelns auch aus der Gefahr der Inländerdiskriminierung. Handlungsbedarf schaffen aber auch die gewachsene Mobilität im Wirtschaftsverkehr sowie die Tatsache, dass immer mehr Frauen in qualifizierten Berufen arbeiten. Daraus ergibt sich vermehrt das Risiko, dass Mann und Frau inkompatiblen Auflagen der Berufsausübung unterliegen.

Das Risiko eines Staatsversagens besteht nicht. Die Liberalisierung löst kein regulatorisches «race to the bottom» aus, an dessen Ende ­ um die Ansiedlung von wirtschaftlichen Aktivitäten nicht zu gefährden ­ kein Kanton mehr einschränkende gewerbepolizeiliche Regelungen zu erlassen wagt. Dem beugt Artikel 3 genügend vor. Vielmehr hat die Wahrung der kantonalen Vielfalt (unter der Auflage der Vermutung der Gleichwertigkeit der Auflagen) mehr innovatorisches Potenzial als eine Zentralisierung der Kompetenzen.

492

Die Globalisierung des wirtschaftlichen Geschehens zwingt zur Herstellung von Kompatibilität zwischen Rechtsordnungen, noch weit über den nationalen Markt hinaus. Kantonale Abschottung führt dagegen zu unterkritischen Betriebsgrössen und zu teuren Leistungen, mithin zu einer Last für diejenigen Firmen, die im nationalen und internationalen Wettbewerb stehen und aus rechtlichen oder praktischen Gründen oft nicht darum herumkommen, auf Vorleistungen lokaler Berufsleute zurückzugreifen, die unter dem Schutz einer kantonalen Regelung ihres Berufsstandes stehen, die ihnen Marktmacht verschafft. Neben diesen statischen Gewinnen bewirkt gesteigerte Offenheit dank verbesserter beruflicher Mobilität auch gesteigerte Innovation, da diese oftmals aus der Konfrontation von Bekanntem mit Neuem entsteht. So hat ein auf das BGBM gestütztes Urteil des Bundesgerichts etwa die Verknüpfung der traditionellen Medizin mit Methoden der Akupunktur begünstigt (BGE 125 I 335).

3.2.2

Auswirkungen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen

Gemäss der Volkszählung 2000 umfassen die reglementierten Berufe rund 15 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Dieser Schätzung liegt die Annahme zugrunde, dass sämtliche reglementierten Berufe auch in allen Kantonen reglementiert sind. Da dies nicht zutrifft, ist erstens die Betroffenheit oftmals nur eine relative (beschränkte Möglichkeit in gewisse Kantone zu wechseln). Zweitens gilt es der Unterscheidung zwischen geschützten Berufen und geschützten Gewerben Rechnung zu tragen. In der Tabelle in Anhang 2 ist es zwar meist der Berufsangehörige, der sich über gewisse Qualifikationen ausweisen muss, gelegentlich betreffen die Auflagen aber auch nur Selbstständigerwerbende oder betreffen den Betrieb, z.B.

eine Praxis, indem verlangt wird, dass sich zumindest eine Person in der Firma über die vorgeschriebene Qualifikation ausweisen können muss. Drittens sind die aufgeführten Berufskategorien so weit gefasst, dass sie sowohl reglementierte wie auch nicht-reglementierte Berufe enthalten können19. Im Lichte dieser Einschränkungen kanndaher davon ausgegangen werden, dass der Anteil der in reglementierten Berufen Tätigen grob geschätzt 7 Prozent der aktiven Bevölkerung ausmacht (250 000 Personen). Neben den Lehrpersonen (145 000) sind als Berufsgruppen vor allem die Gesundheitsberufe (88 000), die Ingenieurinnen, Ingenieure, Architektinnen und Architekten (43 000), Hoteliers, Gastwirtinnen und Gastwirte (35 000), Installateurinnen und Installateure (Sanitär, Elektro und Heizung/ Lüftung), die Arztberufe (21 000), usw. betroffen. Zum Vergleich betrifft das Anwaltsgesetz weniger als 7000 Personen.

3.2.2.1

Auswirkungen auf die Berufstätigen

Das BGBM stärkt die Berufsausübungsfreiheit. Es ist ein Zugewinn an individueller Freiheit in der Berufsausübung und darüber hinaus (Wohnortwahl). Es erleichtert die Begründung einer selbstständigen Existenz, indem vermehrt die Qualifikation der 19

Es wird auf die fünfstellige Berufsnomenklatur abgestellt. In manchen Fällen sind auch nur die Selbständigen einer Regulierung unterstellt (sowie jene Mitarbeiter, die sich verselbständigen möchten).

493

zuziehenden Person zählt und diese deshalb weniger oft eine Anstellung bei einem ansässigen Geschäftsinhaber annehmen muss.

Die Zahl der Erwerbstätigen, die in kantonal geregelten Berufen tätig sind, ist mit rund 15 Prozent aller Erwerbstätigen gross, wie die Tabelle in Anhang 2 zeigt. Auch wenn die Zahl der effektiv betroffenen Personen deutlich geringer ist als die Zahl der potentiell tangierten Personen, hat das BGBM einen verglichen mit andern Bundeserlassen weiteren Anwendungsbereich.

3.2.2.2

Auswirkungen auf die Kundinnen und Kunden

Die Kundinnen und Kunden gewinnen durch die Belebung der Konkurrenz. Konkurrenz heisst auch eine grössere Vielfalt der Angebote und nicht nur günstigere Leistungen. Hält man sich an die empirischen Ergebnisse einer international vergleichenden Untersuchung des Institutes für Höhere Studien in Wien20 zu den Wirkungen der Regulierungsdichte in vier freien Berufen, so kann gefolgert werden, dass ein liberaler Marktzugang über grössere und damit leistungsfähigere Wirtschaftseinheiten zu höherer Produktivität führt. Die höhere Produktivität ist der Schlüssel, der die Verbindung einer besseren Leistung für die Kundinnen und Kunden mit weitgehend gewahrtem Einkommen der Anbieterinnen und Anbieter gestattet.

3.2.2.3

Auswirkungen auf die Aufsichtsbehörden

Für die Behörden steigen die Anforderungen, haben sie sich doch mit Anforderungen aus andern Rechtsordnungen vertraut zu machen, die sie bislang kaum kennen.

Bei der Anwendung des Personenfreizügigkeitsabkommens ist diese Herausforderung allerdings grösser. Die Behörden müssen auch sicherstellen, dass die Verhältnismässigkeit der Auflagen für die zuziehende Person nicht dazu führt, dass diese gegenüber Ortsansässigen privilegiert wird. Die Lösung kann hier auch in der Liberalisierung exzessiver (meist durch Heimatschutz motivierter) kantonaler Bestimmungen bestehen.

3.2.3

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft

3.2.3.1

Gutachten Sheldon

Die ökonomischen Wirkungen klärte ein Gutachten von Prof. Sheldon.21 Es stellt auf die Löhne, resp. Einkommen der Selbstständigerwerbenden gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) ab. Untersuchungsgegenstand sind jene rund 1,2 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse, in denen der Beruf im einen 20

21

494

Iain Paterson, Marcel Fink, Anthony Ogus et al.: Wirtschaftliche Auswirkungen einzelstaatlicher Regelungen für freie Berufe, Untersuchung des Instituts für höhere Studien (IHS) für die GD Wettbewerb der Europäischen Kommission, Wien, Januar 2003.

Sheldon, George (2004): Die gesamtwirtschaftlichen Kosten der unvollständigen Verwirklichung der Ziele des Bundesgesetzes über den Binnenmarkt (BGBM). Gutachten zu Handen des EVD.

http://www.evd.admin.ch/imperia/md/content/dossiers/marche_interieur/d/endberichtrev.

pdf

rund 1,2 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse, in denen der Beruf im einen Kanton geregelt ist, im andern nicht. Die Lohndifferenz zwischen einen Beruf schützenden und einen Beruf nicht schützenden Kantonen soll Hinweise geben auf den volkswirtschaftlichen Gewinn, der sich ergibt, wenn das Domizil frei zwischen den Kantonen gewählt werden kann und nur noch die Lohndifferenzen fortbestehen, die andere Erklärungsgründe als den Schutz eines Berufes durch kantonale Zulassungserfordernisse haben. In Frage kommt z.B. die städtische Lage. Von den 51 000 für die SAKE22 erhobenen Beobachtungen beziehen sich lediglich 2133 auf die 83 Berufe, die diesem Kriterium entsprechen. Das heisst, für die einzelnen geregelten Berufe sind es meist nur ganz wenige Fälle, so dass keine berufsspezifische Auswertung möglich ist.

An sich liegen die Löhne in Kantonen mit einer Regelung des Berufs tiefer. Wendet man sog. Mincer-Funktionen zur Bestimmung des erwarteten Lohnes an, so zeigt sich aber, dass die an Orten mit geregeltem Beruf Tätigen wegen ihrer persönlichen Eigenschaften ausserhalb des geschützten Betätigungsfeldes einen noch tieferen Lohn erzielen würden als in der ausgeübten Tätigkeit. Dies trifft auch zu, wenn für einen «Selektionsbias» korrigiert wird (Arbeitskräfte, die sich wegen ihrer persönlichen Eigenschaften für ein bestimmtes Betätigungsfeld besser eignen, gehen auch bevorzugt in diesen Beruf). Die Marktabschottung durch Zulassungserfordernisse bewirkt somit geschützte Einkommenssituationen, und es stellen sich auch erhebliche Zweifel ein, ob den Zulassungserfordernissen die zugesagte qualitätsfördernde Wirkung wirklich zugestanden werden darf. Die Wirkung des Schutzes eines Berufes auf die Einkommenshöhe ist durchaus beachtlich; sie wird auf 4,3 Prozent des Lohnes geschätzt. Doch der Wertebereich, innerhalb dessen der wahre Wert mit 95prozentiger Sicherheit liegt (Vertrauensintervall), erstreckt sich von ­8,6 bis +18,7 Prozent. Bei Selbstständigerwerbenden wirkt sich der Schutz noch stärker aus, nämlich mit 8,1 Prozent. Allerdings ist das Vertrauensintervall noch weiter, was neben der Zahl der Beobachtungen auch mit der Auskunftsbereitschaft in diesem Bereich zu tun haben mag.

Komparativ-statisch gesehen sind die aus dem Schutz bestimmter Berufe resultierenden gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverluste
relativ klein (5,5 Mio. bei den untersuchten 1,2 % der Beschäftigten). Der Umstand, dass wegen der höheren Löhne weniger Beschäftigungsverhältnisse in den geschützten Berufen angeboten werden, gewichtet volkswirtschaftlich gesehen deshalb nur begrenzt, weil angenommen werden kann, dass die «abgewiesenen» Beschäftigten relativ leicht und mit begrenzten Lohneinbussen eine andere Beschäftigung finden. Hier wirkt sich der Umstand positiv aus, dass nur ca. 15 Prozent aller Beschäftigten in Berufen tätig sind, für die in vielen, manchmal auch in allen Kantonen Zulassungserfordernisse bestehen. Schon dies allein spricht dafür, beim Aufstellen von Zulassungserfordernissen für Berufe restriktiv zu sein, Abschottungen zwischen Kantonen zu vermeiden und die konkreten Bestimmungen auf jenes Mass zu begrenzen, das zum Schutz öffentlicher Güter wie Gesundheit und persönliche Sicherheit unerlässlich ist.

22

Die Untergliederung in der Studie ist feiner als in der Tabelle in Anhang 2.

495

3.2.3.2

Weitere Evidenzen

So genannt dynamische Aspekte verstärken dieses Argument. Es darf vermutet werden (vgl. unten), dass wegen der Marktabschottung ineffiziente Betriebsgrössen gewählt werden und dass Synergien zwischen beruflichen Betätigungsfeldern nicht oder nur ungenügend genutzt werden können. Dadurch wird die Innovation gebremst. Zudem beeinträchtigen teure Vorleistungen die Leistungsfähigkeit der nachgelagerten Sektoren. Dies geht aus der Auswertung des dynamischen InterlinkModells der OECD hervor.23 In die Simulation der OECD wird unter anderem auch eine Senkung des Preisniveaus um 10 Prozent bei den freien Berufen eingegeben.

Dies dürfte etwa 5­10 Prozent der gesamten angenommenen initialen Wirkungen des Liberalisierungsprogramms entsprechen, das in zehn Jahren das Bruttoinlandprodukt um 8 Prozent anwachsen lassen sollte.

Es ist somit auch volkswirtschaftlich ­ und nicht nur individualrechtlich ­ gesehen durchaus lohnend, die geografische Mobilität der Beschäftigten zu gewährleisten und Zulassungserfordernisse zu Berufen einer wirksamen Verhältnismässigkeitsprüfung zu unterwerfen.

3.2.4

Alternative Regelungen

Eine Alternative besteht in der möglichen Zentralisierung der wirtschaftspolizeilichen Regulierungen beim Bund. Dieser Weg ist gangbar ohne Verfassungsrevision.

Er hätte den Vorteil, dass das in der Schweiz geltende Recht auch international gesehen transparenter würde. Die wachsende Mobilität und die damit verbundene internationale Rechtsharmonisierung verlangen in zunehmendem Mass nach Kompetenzen auf Bundesebene. Schon heute kann dem BGBM eine gewisse katalytische Wirkung in dieser Richtung zuerkannt werden. Es hat das Abschottungspotentialbeseitigt und die Kantone dazu veranlasst, Gleichwertigkeitsprüfungen durchzuführen und rascher Hand zur Harmonisierung auf Bundesebene zu bieten (Reisendengewerbegesetz, Anwaltsgesetz, Bundeskompetenzen bei Gesundheitsberufen, soziale und künstlerische Berufe via das Berufsbildungsgesetz).

Die Bundeslösung ergibt zwar etwas mehr Rechtsgleichheit, doch auch dies nur sehr bedingt, da über das Personenfreizügigkeitsabkommen in jedem Fall Berufsleute mit anderem beruflichen Werdegang auf dem schweizerischen Binnenmarkt tätig sein werden. Der Preis einheitlicher Bundesregelungen liegt im Verlust an Vielfalt und damit an Innovationspotenzial. Dies spricht gegen eine systematische Zentralisierung und für den Weg, mittels BGBM das Prinzip der wechselseitigen Anerkennung von Hoheitsakten der Gliedstaaten zu stärken. Für diesen Weg sprechen nicht zuletzt auch die Erfahrungen der EU (wo vielfach von der Harmonisierung zum «new and global approach» gewechselt wurde) und auf weltweiter Ebene. Dabei erfolgt die Überwindung der vielfältigen, im Einzelfall oftmals wenig bedeutungsvoll erscheinenden Schranken für einen freien Wirtschaftsverkehr auch primär über die wechselseitige Anerkennung staatlicher Hoheitsakte («mutual recognition agreements»).

Die Relevanz dieser Vereinbarungen für die Praxis hängt allerdings stark von den Durchsetzungsmechanismen ab.

23

496

OECD Economic Surveys, Switzerland, Supplement No. 2 ­ January 2004, Paris.

3.2.5

Zweckmässigkeit im Vollzug

Der Erlass generell-abstrakter Normen und das Vertrauen auf eine Rechtsdurchsetzung durch die betroffenen Individuen auf dem Weg der staatsrechtlichen Beschwerde haben sich nicht bewährt. Dies aus dem doppelten Grund, dass die Prozessfreudigkeit nach Berufen sehr unterschiedlich ist und dass in Verbindung mit der zurückhaltenden Rechtsprechung des Bundesgerichts alle jene Berufsleute verständlicherweise nicht klagten, die ihren Erwerb ohne Gebrauch stationärer Einrichtungen am Erfüllungsort nicht ausüben können. Diese Situation wandelt sich nun mit der Revisionsvorlage: Einerseits kann sich die Wettbewerbskommission in die Fortentwicklung des Rechts aktiv einschalten und anderseits muss sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung wandeln, da das BGBM neu auch Berufe abdeckt, die auf stationäre Einrichtungen am Bestimmungsort angewiesen sind. Auf einen Wandel wirkt auch hin, dass mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen die einschlägige Rechtsprechung des EuGH übernommen wurde.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Der Bundesrat hat die Revision des Binnenmarktgesetzes als Richtliniengeschäft im Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 unter Ziel 1 «das Wirtschaftswachstum erhöhen» und dem Titel «Staatliche Hemmnisse vermindern, mehr Wettbewerb auf dem Binnenmarkt und Vertrauen in die Wirtschaft stärken» angekündigt (BBl 2004 1160). Die Vorlage bildet auch eine der 17 Massnahmen des vom Bundesrat am 18. Februar 2004 verabschiedeten Wachstumspakets.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Da dem Binnenmarktgesetz grundsätzlich eine selbstständige Bedeutung zukommt, wird die Europakompatibilität durch die Vorlage nicht unmittelbar berührt. Immerhin ist festzuhalten, dass mit der Übernahme der EU-Regeln für die interkantonale Anerkennung kantonaler Fähigkeitsausweise für diejenigen Berufe, deren Anerkennung nicht im Rahmen einer interkantonalen Vereinbarung geregelt ist, eine Annäherung der schweizerischen Binnenmarktgesetzgebung an diejenige der EU stattfindet. Des Weiteren sind in der EU Bestrebungen im Gange, die noch bestehenden Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr zu beseitigen.24 Die vorgeschlagene Regelung sieht insbesondere das Recht von Dienstleistungserbringern auf Niederlassung in einem Mitgliedsstaat nach Massgabe der Vorschriften des Herkunftslandes vor. Sie bildet das Gegenstück zur beabsichtigten Ausdehnung des freien Marktzugangs auf die gewerbliche Niederlassung im Rahmen der BGBMRevision.

24

Vgl. oben Ziff. 2.6, Kommentar zu Art. 4 Abs. 3bis.

497

6

Rechtliche Grundlagen

Bei der Schaffung des Binnenmarktgesetzes im Jahre 1995 stützte man sich auf die Artikel 31bis Absatz 2 und 33 Absatz 2 BV. Diese Verfassungsnormen wurden im Zuge der Nachführung durch die Bestimmungen von Artikel 94 und 95 Absatz 2 BV ersetzt. Letztere Bestimmung weist den Bund an, für einen einheitlichen schweizerischen Wirtschaftsraum zu sorgen. Bestand nach der alten Verfassung für den Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, im Interesse des Binnenmarktes legislatorisch tätig zu werden, so ist dies nun ein Verfassungsauftrag. Wenngleich es sich bei der neuen Bundesverfassung von 1999 im Prinzip um eine blosse Nachführung handelt, verfügt das Binnenmarktgesetz dank dieser neuen Bestimmung somit über ein solides Fundament.

Mangels präzisierender Bestimmungen verfügt der Bund bei der Auftragserfüllung über einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Die vorgeschlagene Ausdehnung des freien Marktzugangs auf die gewerbliche Niederlassung (Art. 2 BGBM) und die Verschärfung von Artikel 3 BGBM bewegen sich nach Auffassung des Bundesrates innerhalb dieses Rahmens. Zu diesem Resultat gelangt auch das in Auftrag gegebene Gutachten Auer/Mertenet.25 Mit der Vorlage geht es namentlich darum, das Binnenmarktprinzip, d.h. den landesweit freien Marktzugang, gegenüber dem Föderalismusprinzip zu stärken. Der schweizerische Föderalismus im Bereich der Wirtschaftsregulierung umfasst die Gesamtheit der kantonalen Kompetenzen zur Regelung der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit. Dazu gehört, was aus verfassungsrechtlicher Sicht besonders hervorzuheben zu werden verdient, u.a. auch, dass kantonale Regelungen auf Volksabstimmungen beruhen und damit durch die höchste demokratische Entscheidungsinstanz legitimiert sein können. Mit der vorliegenden Revision soll nun aber der Föderalismus im Bereich der Wirtschaftsregulierung nicht aufgehoben werden.

Vielmehr bleiben den Kantonen Steuerungsmöglichkeiten erhalten. Sie ergeben sich insbesondere im Rahmen der Aufsichtszuständigkeit des Kantons des Bestimmungsortes (Art. 2 Abs. 4 Satz 3 des Entwurfs), im Zusammenhang mit der Widerlegbarkeit der Vermutung der Gleichwertigkeit kantonaler und kommunaler Marktzugangsregelungen (Art. 2 Abs. 5 des Entwurfs), sowie auf Grund des Umstandes, dass in Artikel 2 Absatz 4 1.Satz des Entwurfs ausdrücklich gesagt wird, dass die Ausübung der
Tätigkeit am Bestimmungsort «unter Vorbehalt von Artikel 3» steht.

Artikel 3 der Vorlage räumt dem für die Aufsicht zuständigen Kanton des Bestimmungsortes die Möglichkeit ein, für die Ausübung privatwirtschaftlicher Erwerbstätigkeiten Auflagen aufzuerlegen.

Die Ausdehnung des freien Marktzugangs auf die gewerbliche Niederlassung ermöglicht die Eröffnung von Zweitniederlassungen (und weiteren Niederlassungen) nach dem Recht des Herkunftskantons. Dies kann dazu führen, dass Unternehmen derselben Branche in ein und demselben Kanton nach verschiedenen Rechtsordnungen tätig sind (die Zweit- und allfällige weitere Niederlassungen richten sich nach dem Recht der Erstniederlassung). Je nachdem führt dies dazu, dass im Kanton «heimische» Unternehmen (Unternehmen also, die nur eine Erstniederlassung haben) schlechter behandelt werden als Niederlassungen von Unternehmen, die ihre Erstniederlassung in einem anderen Kanton haben. Im verschiedentlich zitierten Zahnprothetikerfall (BGE 125 I 276 ff.) wird ein Zürcher Zahnprothetiker bei25

498

Vgl. unten Ziff. 1.4.1.2

spielsweise auch im Kanton Graubünden eine eigene, selbstständige Praxis betreiben können, während die Bündner Zahnprothetiker nur im Rahmen einer Zahnarztpraxis tätig sein dürfen. Diese Ungleichbehandlung der Bündner Zahnprothetiker ist zwar unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel heikel. Sie wird aber im Rahmen der vorliegenden Revision in Kauf genommen, um dem Binnenmarktprinzip zum Durchbruch zu verhelfen. Es wird Sache der Kantone sein, allfällig auftretende Diskriminierungen der einheimischen Wirtschaftsakteure durch eine Liberalisierung ihrer Vorschriften zu beseitigen.

499

Anhang 1

Bisherige Praxis; Tätigkeiten der Wettbewerbskommission (inklusive Sekretariat) (Stand November 2004) Die Tätigkeiten der Wettbewerbskommission gestützt auf das Binnenmarktgesetz lassen sich zweckmässigerweise aufgliedern in: ­

Empfehlungen an die Adresse von Bund, Kantonen und Gemeinden zu vorgesehenen und bestehenden Erlassen (Art. 8 BGBM)

­

Gutachten zuhanden von Verwaltungsbehörden und Rechtsprechungsorganen über die Anwendung des Binnenmarktgesetzes (Art. 10 Abs. 1 BGBM)

­

Erläuterungen und einfache Auskünfte des Sekretariates zuhanden von Verwaltungsbehörden und Privaten

Die ersten beiden Tätigkeiten sowie die Erläuterungen werden statistisch erfasst (vgl. nachstehende Tabelle), währenddem über einfache Auskünfte keine Statistik geführt wird.

Tätigkeit

19961

1997

1998

1999

2000

Empfehlungen Gutachten Erläuterungen des Sekretariates

1 0

1 0

4 1

1 0

2 0

1

5

4

2

2

1

500

1. Semester

2001

2002

2003

2004

Total

1 3

1 0

0 1

1 0

12 4

11

7

6

3

41

Anhang 2

Gesamtschweizerische Zahl der Erwerbstätigen (Selbstständigen) in Berufen, die durch mindestens einen Kanton reglementiert sind 2000

2000

Total Selbständige

84 86504 311 41210 61101 86101 51108 62301 31101 83102 86102 86201 52302 53201 41211 86104 41205 75103 83101 86303 72104 83103 86207 52301 62302 85103 74105 86103 86301 86206

26 27

Berufe des Unterrichts und der Bildung Krankenschwestern/-pfleger Ingenieurberufe Elektromonteure und -installateure26 Geschäftsführer/-innen von Hotels und Gaststätten Ärzte/Ärztinnen Vertreter/-innen und Handelsreisende27 Coiffeure/ Coiffeusen Architekten Erzieher/-innen Arztgehilfen/-gehilfinnen Physiotherapeuten, Ergotherapeuten Treuhänder/-innen und Steuerberater/-innen Berufe des Personentransports uvB Sanitärplaner/-innen und -installateure Apothekenhelfer/-innen Heizungs- und Lüftungsinstallateure Rechtsanwälte und Notare Sozialarbeiter/-innen Zahnarztgehilfinnen Immobilienfachleute und ­verwalter/-innen Heim- und Krippenleiter/-innen Übrige Berufe der Therapie und medizin. Technik Bücherexperten und Revisoren Kosmetiker/-in Psychologen und Berufsberater/-innen Übrige Berufe der Sicherheit Apotheker/-innen Zahnärzt/-innen Medizinisch-technische Assistenten

3 789 416

345 929

145 535 53 087 31 226 30 393 24 249 23 138 22 301 21 096 16 060 14 440 13 774 11 301 9 688 9 263 8 912 7 997 7 937 7 813 7 653 6 955 6 830 6 114 5 996 5 995 4 838 4 814 4 471 3 936 3 829 3 718

23 400 464 11 981 1 674 15 767 10 355 1 253 10 431 8 177 313 119 3 817 2 943 1 799 1 259 79 1 222 4 844 130 35 1 675 663 3 189 344 3 071 1 075 173 922 2 799 18

Gemäss revidierter Niederspannungs-Installationsverordnung (SR 734.27) erfolgt die Bewilligungserteilung neu durch das Eidg. Starkstrominsepktorat.

Neu durch das Bundesgesetz über das Gewerbe der Reisenden vom 23. März 2001 (SR 943.1) geregelt.

501

2000

2000

Total Selbständige 51105 86208 86204 52401 86502 86503 86205 86302 53204 86202 35106 62303 25104 86501 86203 86401 33102 62104 86304 11305 11501 41106 86402 25108 52402 62201 42101 11504 51106 11503

Drogisten Medizinallaboranten Optiker/-innen Vermittler und Versteigerer Kinderkrankenschwester/-pfleger Psychiatriekrankenschwester/-pfleger Masseure Zahntechniker/-in Fahrschullehrer und Experten Psychotherapeuten (nicht medizinisch) Maschinen- und Anlagewärter/in Berufe der Fuss- und Handpflege Netzelektriker, Kabelmonteure Hebammen Heilpraktiker/-innen Tierärzte Vermessungszeichner/-in Kaminfeger/-in Zahnhygieniker/-innen Übrige Berufe der Tierbetreuung Förster/-innen Sprengfachleute, Tunnelbauer, Mineure Tieraztgehilfen Telefon- und Telegrafenhandwerker/-innen Verleiher/-innen und Vermieter/-innen Bestattungsfachleute Bergbauberufe Berufe der Fischerei Tierhändler/-innen Jagdberufe und Wildhüter/-innen

Total Anteil der kantonal geregelten Berufsgruppen

502

3 696 3 572 3 501 3 492 3 450 3 296 2 880 2 537 2 523 2 395 2 132 2 102 2 058 2 033 1 835 1 766 1 591 1 450 1 421 1 408 1 129 722 694 457 368 653 336 305 282 186

444 15 542 1 266 40 29 2 043 965 1 698 1 522 70 1 750 20 284 1 551 894 15 434 20 439 42 13 8 10 166 92 40 188 218 5

577 341

128 832

15,2 %

37,2 %

Anhang 3

Praxis des Bundesgerichts BGE 123 I 313 (Berufsausübung eines Zürcher Anwalts im Kanton Bern, Bewilligungsverfahren): a) Einforderung eines Leumundszeugnisses und eines Strafregisterauszugs stellt eine unzulässige Beschränkung des freien Marktzugangs dar, da die zürcherischen Vorschriften die öffentlichen Interessen des Konsumentenschutzes (Ehrhaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit) hinreichend schützen (Art. 2 i.V.m. Art. 3 BGBM); b) Kostenlosigkeit des Verfahrens (Art. 4 Abs. 2 BGBM) auch in Bezug auf die Überprüfung der persönlichen Voraussetzungen für die Berufsausübung.

BGE 2P.433/1997 (Berufsausübung eines Aargauer Notars im Kanton Solothurn): Keine Anwendbarkeit des BGBM, da die Beurkundungstätigkeit hoheitlichen Charakter hat und somit nicht den Schutz der Wirtschaftsfreiheit geniesst (Art. 1 Abs. 3 BGBM); hoheitlicher Charakter der Beurkundungstätigkeit bestätigt in BGE 128 I 280.

BGE 125 II 56 (Berufsausübung eines Zürcher Anwalts im Kanton Luzern, Bewilligungsverfahren): Kostenlosigkeit des Verfahrens (Art. 4 Abs. 2 BGBM) gilt auch für die Erteilung der Berufsausübungsbewilligung.

BGE 125 I 267 (Verweigerung der Berufsausübung eines Zahnarztes mit deutschem Diplom im Kanton Graubünden): Art. 4 BGBM beschränkt sich auf schweizerische Fähigkeitsausweise, auch wenn ein ausländisches Diplom von einzelnen Kantonen anerkannt wird.

BGE 125 I 322 (Verweigerung der Berufsausübung eines Heilpraktikers mit appenzellisch-ausserrhodischem Fähigkeitsausweis im Kanton Zürich): a) Keine Anwendbarkeit von Artikel 2 BGBM, da sich die Berufsausübung nach den Bestimmungen des Niederlassungskantons richtet; b) die gesetzliche Vorschrift, wonach die Anwendung von Naturheilverfahren diplomierten Medizinalpersonen vorbehalten ist, stellt eine zulässige Beschränkung des freien Marktzugangs (Art. 3 Abs. 1 BGBM) dar; c) Keine Berufung auf Artikel 4 BGBM, da das zürcherische Recht die selbständige Ausübung des Berufs nicht vorsieht, sondern diplomierten Medizinalpersonen vorbehält.

BGE 125 I 276 (Verweigerung der Berufsausübung eines Zahnprothetikers mit zürcherischem Fähigkeitsausweis im Kanton Graubünden): a) Keine Anwendbarkeit von Artikel 2 BGBM, da sich die Berufsausübung nach den Bestimmungen des Niederlassungskantons richtet; b) Keine Berufung auf Artikel 4 BGBM, da das bündnerische Recht die selbständige
Ausübung des Berufs nicht vorsieht, sondern Zahnärzten vorbehält.

BGE 2P.362/1998 (Verweigerung der Bewilligung zur Führung eines Gastwirtschaftsbetriebes im Kanton Basel-Landschaft für Gastwirt aus dem Kanton Solothurn ohne Fähigkeitsausweis): Keine Anwendbarkeit von Artikel 2 BGBM, da sich die Bewilligungserteilung nach den Vorschriften des Niederlassungskantons, der einen Fähigkeitsausweis verlangt, richtet.

BGE 125 II 406 (Berufsausübung eines Zürcher Anwalts im Kanton AppenzellInnerrhoden, Bewilligungsverfahren): Kostenlosigkeit des Verfahrens (Art. 4 Abs. 2 BGBM) schliesst auch die Erhebung einer geringen Kanzleigebühr aus.

503

BGE 125 I 474 (Verbot des Versandes von Medikamenten in den Kanton Waadt durch eine Solothurner Apotheke): Waadtländisches Verbot stellt eine unzulässige Beschränkung des freien Marktzugangs dar, da die Vorschriften des Kantons Solothurn die (legitimen) gesundheitspolizeilichen Interessen hinreichend schützen (Art.

2 i.V.m. Art. 3 BGBM).

BGE 2P.180/2000 (Obligatorische Berufshaftpflichtversicherung für Anwälte im Kanton Aargau): Die obligatorische Berufshaftpflichtversicherung mit einer minimalen Deckungssumme von 1 000 000 Franken stellt eine zulässige Beschränkung des freien Marktzugangs dar (Art. 3 Abs. 1 BGBM).

BGE 128 I 295 (Verbot des Kantons Genf bezüglich des Anbringens von Werbung für Tabak und für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 15 Volumenprozenten auf öffentlichem Grund sowie auf privatem Grund, der vom öffentlichem Grund her einsehbar ist; abstrakte Normenkontrolle durch das Bger): a) Frage offengelassen, ob es sich beim Verbot überhaupt um eine Marktzugangsbeschränkung i.S.v. Art. 3 BGBM handelt; b) falls es sich beim Verbot um eine Marktzugangsbeschränkung handelt, ist sie zulässig (Art. 3 Abs. 1 BGBM).

504