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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährung eines zinslosen Darlehens an die Internationale Arbeitsorganisation zur baulichen Vergrösserung des Internationalen Arbeitsamtes (Vom 27. April 1956)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiemit eine Botschaft zu unterbreiten über ein zinsloses Darlehen, das die Internationale Arbeitsorganisation zur baulichen Vergrösserung des Internationalen Arbeitsamtes in Genf beim Bunde nachsucht.

I.

Die Internationale Arbeitsorganisation wurde, gestützt auf die Teile XII und XIII der am Ende des ersten Weltkrieges abgeschlossenen Friedensverträge von 1919 und 1920, geschaffen und bildete von Anfang an eine unabhängige Institution im Rahmen des Völkerbundes. Als damals die Sitzfrage zur Erörterung stand, haben wir den Gedanken an Genf sogleich lebhaft begrüsst und die zu seiner Verwirklichung nötigen Massnahmen getroffen, sobald der Beitritt der Schweiz zum Völkerbund durch Volksabstimmung vom 16. Mai 1920 beschlossen war.

Mit der Unterzeichnung der Charta von San Francisco im Juli 1945, der die Schaffung der Organisation der Vereinten Nationen und die Auflösung des Völkerbundes im Jahre 1946 folgten, ergab sich auch für die Internationale Arbeitsorganisation die Notwendigkeit, ihr bestehendes Statut abzuändern.

Sie gab sich eine neue Verfassung und wurde durch die Vereinten Nationen als SpezialOrganisation anerkannt, mit der Befugnis, die ihren Satzungen entsprechenden Massnahmen zur Erfüllung ihrer verfassungsmässigen Aufgaben zu treffen.

929 Wir glauben nicht, uns hier weiter auslassen zu sollen über das Werk, das die Internationale Arbeitsorganisation während ihres 85jährigen Bestehens im Gebiete der allgemeinen internationalen Sozialpolitik vollbracht hat und das sie, abgesehen von einer durch den zweiten Weltkrieg verursachten Unterbrechung, von ihrem Genfer Sitz aus in ungestörter Euhe hat verfolgen und ausbauen können. Ihre jährlichen Konferenzen, die in der Eegel in Genf stattfinden, die Sessionen ihres Verwaltungsrates, die zahlreichen Tagungen von Kommissionen und Expertenausschüssen geben den Vertretern der Eegierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gelegenheit, auf dem Fusse der Gleichberechtigung zusammenzukommen zur Behandlung wirtschaftlicher und sozialer Fragen und insbesondere zur Ausarbeitung internationaler Arbeitsübereinkommen. Über die Tagungen der Internationalen Arbeitskonferenz erstatten wir Ihnen alljährlich Bericht. Die Internationale Arbeitsorganisation zählt heute 71 Mitgliedstaaten aus allen Erdteilen, und es darf ohne Übertreibung gesagt werden, dass sie in entscheidendem Masse dem Frieden, der Sicherheit und der Wohlfahrt der Menschheit dient.

Die Schweiz gehört der Internationalen Arbeitsorganisation seit deren Gründung an. Sie nimmt an den Arbeiten sowohl der jährlichen Allgemeinen Konferenz als auch der zahlreichen Kommissionen und Ausschüsse, in denen sie vertreten ist, lebhaften Anteil. Zur Zeit hat unser Land auch einen Sitz im Verwaltungsrat der Organisation, wodurch unser Vertreter die Möglichkeit besitzt, noch nähere Beziehungen zu ihr und ihrem vielgestaltigen Tätigkeitsgebiet zu pflegen.

II.

Das Internationale Arbeitsamt, dem die Stellung eines ständigen Sekretariats der Internationalen Arbeitsorganisation zukommt, hat sich als erste unter den Völkerbundsorganisationen am 19. Juli 1920 in unserem Lande niedergelassen. Seitdem hatte das Amt seinen Sitz dauernd in Genf, obwohl es während des zweiten Weltkrieges mit seiner Verwaltung nach Montreal übersiedeln musste und nur einen kleinen Stab von Beamten in Genf zurückliess. Eine Verlegung des Sitzes käme nach Artikel 6 der Verfassung nur dann in Betracht, wenn dies von der Konferenz mit einer Mehrheit von zwei Drittem der Stimmen beschlossen würde.

Die Eäumlichkeiten, die das Internationale Arbeitsamt zu Beginn seiner Tätigkeit innehatte, erwiesen sich sehr bald als zu eng. Deshalb schenkte die Eidgenossenschaft dem Völkerbund im Jahre 1922 den alten Landsitz im Halte von 86 000 m2, den sie am Seeufer in Genf besass, und hier erstand das jetzige, von einem schweizerischen Architekten erbaute, im Jahre 1926 eingeweihte Amtsgebäude.

Im Laufe der Jahre nahmen die Aufgaben des Internationalen Arbeitsamtes mit der Zahl der Mitgliedstaaten der Organisation ständig zu, und die dadurch notwendige Erhöhung des Personalbestandes (im Jahre 1926, bei

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Einweihung des neuen Gebäudes, 889, heute 826 Personen) hatte zur Folge, dass ein Teil des Personals in auswärtigen Arbeitsräumen untergebracht werden musste.

Im Jahre 1950 konnten durch eine erste Erweiterung des Amtsgebäudes in Gestalt einer Verlängerung seines Südflügels rund 100 weitere Büros und Eäumlichkeiten bereitgestellt werden. Die Finanzierung dieser Arbeiten im veranschlagten Betrage von ungefähr 2 Millionen Franken wurde dadurch stark erleichtert, dass der Kanton Genf der Internationalen Arbeitsorganisation ein Darlehen von 2 250 000 Franken auf die Dauer von 20 Jahren gewährte und ihr zudem ein Geschenk von 500 000 Franken machte.

III.

Heute handelt es sich um eine neue, beträchtliche Erweiterung des Gebäudes des Internationalen Arbeitsamtes. Die ständig zunehmende Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation - erwähnt seien namentlich die Aufgaben, die ihr aus den Zeitumständen erwachsen sind, wie technische Hilfe für unterentwickelte Länder, die Probleme der Produktivität, der Atomenergie, der «Automatisierung», ferner gewisse Fragen sprachlicher Natur - hat zu einer Verknappung der verfügbaren Büroräumlichkeiten geführt, die ein zweckdienliches, erspriessliches Arbeiten nicht mehr gestattet. Um das ganze Personal des Amtes in einem einzigen Gebäude unterbringen und über eine genügende Eaumreserve verfügen zu können, bedarf es rund 100 weiterer Büros. Dazu kommen neue Konferenzzimmer für die wachsende Zahl von Kommissionssitzungen, Garderoberäume usw. Das vom Architekten des Internationalen Arbeitsamtes zu diesem Zweck ausgearbeitete Projekt sieht den schon bei den Bauarbeiten von 1950 geplanten Anbau eines Flügels am Südteil des Amtsgebäudes vor, ferner die Unterkellerung des neuen Hofes und die Aufstockung des Nordflügels. Die auf Grund eines detaillierten Voranschlages berechneten Baukosten betragen 3 851000 Franken. Diese Summe ermässigt sich um 457 446 Franken, die aus einem «Fonds für Bau und Unterkunft» zur Verfügung stehen, so dass noch 3 393 554 Franken zu decken sind.

Um die zu diesem Bauvorhaben notwendigen Mittel zu beschaffen, gelangte der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes mit der Anfrage an den Bundesrat, ob die Eidgenossenschaft zur Gewährung eines zinslosen Amortisationsdarlehens für die Dauer von 25 Jahren bereit wäre. Wir erklärten uns in unserer Antwort, vorbehaltlich Ihrer Zustimmung, grundsätzlich einverstanden, der Internationalen Arbeitsorganisation für den Ausbau ihres Amtsgebäudes in Genf ein zinsloses Darlehen von höchstens 3 400 000 Franken, rückzahlbar innerhalb 25 Jahren durch gleiche Jahresraten, zu bewilligen.

Es ist festzustellen, dass heute fast alle Länder, in denen internationale Institutionen von grösserer Bedeutung ihren Sitz haben, bei der Errichtung oder Erweiterung von Verwaltungsgebäuden diesen Institutionen finanzielle

931 Erleichterungen gewähren. Die Eidgenossenschaft bewilligte schon mit Bundesbeschluss vom 22. Juni 1932 für die Errichtung der Völkerbundsgebäulichkeiten einen Beitrag von 2 800 000 Franken. Für die Erstellung der Büroräumlichkeiten der Weltgesundheitsorganisation bot der Bund in der Folge einen Beitrag à fonds perdu oder ein unverzinsliches Darlehen an. Indessen ·wurde dem festen Beitrag der Vorzug gegeben und mit Bundesbeschluss vom 17.März 1950 in diesem Sinne beschlossen. Ein Jahr später wurde auch dem Internationalen Büro des Weltpostvereins für die Erstellung eines Verwaltungsigebäudes eine Subvention gewährt. Am Begehren des Internationalen Arbeitsamtes ist also nur neu, dass ein zinsloses Darlehen gewünscht wird.

Durch die Gewährung dieses Darlehens würde unser Land ein weiteres Mal bekunden, welches Interesse es der Internationalen Arbeitsorganisation entgegenbringt, deren Sitz es seit über 35 Jahren beherbergt, und welche Bedeutung es ihrer Tätigkeit und ihren Zielen beimisst.

Die Internationale Arbeitskonferenz, die im kommenden Juni in Genf zusammentritt, wird sich mit den Vereinbarungen zur Finanzierung des in Betracht stehenden Bauprojektes zu befassen haben.

Wir bitten Sie, dem vorgelegten Beschlussentwurf zuzustimmen und verisichern Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, unserer vollkommenen Hoch:achtung.

Bern, den 27. April 1956.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der V i z e p r ä s i d e n t : Streuli Der Bundeskanzler: Ch. Oser

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(Entwurf)

Bundesbeschluss über

die Gewährung eines zinslosen Darlehens an die Internationale Arbeitsorganisation zur baulichen Vergrösserung des Internationalen Arbeitsamtes

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 27. April 1956, beschliesst:

Art. l Der Internationalen Arbeitsorganisation wird zum Zwecke der Erweiterung des Gebäudes des Internationalen Arbeitsamtes in Genf ein zinsloses Darlehen von höchstens 3 400 000 Franken gewährt, das innerhalb 25 Jahren durch gleiche Jahresraten zurückzuzahlen ist.

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Art. 2 Dieser Beschluss ist nicht allgemein verbindlich und tritt sofort in Kraft.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

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Jahr

1956

Année Anno Band

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18

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7147

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

02.05.1956

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928-932

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