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Bundesblatt 108. Jahrgang

Bern, den 28. Dezember 1956

Band II

Erscheint wöchentlich

Preis 30 Franken im Jahr, 16 Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr: 6 0 Rappen d i e Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die 38. und 39. Tagung der internationalen Arbeitskonferenz sowie zum Postulat der eidgenössischen Räte betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte (Vom 21. Dezember 1956)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

Entsprechend der durch die Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation den Mitgliedstaaten auferlegten Verpflichtung, die von der Internationalen Arbeitskonferenz aufgestellten Übereinkommen und Empfehlungen ein Jahr oder keinesfalls später als 18 Monate nach Schluss der Konferenz der zur Entscheidung berufenen Behörde zu unterbreiten, erstatten wir Ihnen Bericht über die 88. und 39. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz von 1955 und 1956.

Von der verlängerten Frist machen -wir wiederum, wie in den vorausgehenden Jahren, in bezug auf die Beschlüsse der letztjährigen Konferenz Gebrauch, weil hier die vom Internationalen Arbeitsamt in Verbindung mit den beteiligten Regierungen besorgte deutsche Übersetzung der französisch und englisch abgefasstcn Urtexte nicht früher zur Verfügung stand. Was dagegen die diesjährigen Konferenzbeschlüsse betrifft, konnte die amtliche deutsche Übersetzung bereits erstellt werden, so dass wir in der Lage sind, Ihnen diese Beschlüsse jetzt schon vorzulegen. Wir hoffen, es werde gleichermassen auch in Zukunft möglich sein, die Übersetzungsarbeiten zu beschleunigen und unsereBerichte über die Tagungen der Internationalen Arbeitskonferenz entsprechend frühzeitig zu erstatten.

Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. II.

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894 A. Die 38. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz I. Einleitung 1. Allgemeines und Zusammensetzung der schweizerischen Delegation Die Internationale Arbeitskonferenz hielt ihre 88. Tagung vom 1. bis 23. Juni 1955 in Genf ab. Daran nahmen von den 70 Mitgliedstaaten, welche die Internationale Arbeitsorganisation in jenem Zeitpunkt zählte, 65 mit 700 Delegierten und technischen Batgebern teil.

Den Vorsitz der Konferenz führte Herr Fernando Garcia Oldini, früherer Aussen- und Arbeitsministor von Chile, der gegenwärtig als Gesandter sein Land in der Schweiz vertritt.

Die schweizerische Delegation setzte sich, wie in den vorausgehenden Jahren, f olgendermassen zusammen : E e g i e r u n g s v e r t r e t e r Herr Dr. William Eappard, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Genf und Direktor des Institut universitaire de hautes études internationales, und Herr Fürsprech Max Kaufmann, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit; Ersatzdelegierter Herr Dr. Arnold Saxer, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung; A r b e i t g e b e r v e r t r e t e r Herr Charles Kuntschen (Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen); A r b e i t n e h m e r v e r t r e t e r Herr Jean Möri (Schweizerischer Gewerkschaftsbund). Dazu kamen einige technische Berater.

2. Tagesordnung der Konferenz Die Tagesordnung der- Konferenz umfasste folgende Gegenstände : 1. Bericht des Generaldirektors; 2. Finanz-und Budgetfragen ; 3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen; 4. Die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten zweite Beratung) ; 5. Die Wanderarbeiter in unterentwickelten Ländern (zweite Beratung); 6. Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch (zweite Beratung) ; ' 7. Die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft (erste Beratung) ; 8. Sozialeinrichtungen.für Arbeitnehmer (erste Beratung): a.- Verpflegung im Betrieb oder in dessen Nähe ; 6. Eäumlichkeiten und Gelegenheiten zum Ausruhen sowie Möglichkeiten der Erholung im Betrieb oder in dessen Nähe (ohne Berücksichtigung des bezahlten Urlaubs) ; c. Beförderungsmittel zum und vom Arbeitsplatz, falls die öffentlichen Beförderungsmittel ungenügend oder schwer benutzbar sind.

II. Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz Vorbemerkung Die folgenden Abschnitte 1-3 betreffen Gegenstände der Tagesordnung, welche die Konferenz jedes Jahr beschäftigen, Die weiteren Abschnitte dagegen

895 beziehen sich auf Sachfragen, mit denen sich die Konferenz befasste, um sie durch Übereinkommen oder Empfehlungen zu regeln. Das Übereinkommen und die beiden Empfehlungen, die sie an der in Betracht stehenden Tagung aufgestellt hat, werden im III.Teil dieses Berichtes behandelt; ihr Wortlaut ist im Anhang wiedergegeben.

1. Bericht des Generaldirektors

Abgesehen von einem Kapitel über den Strukturwandel der Wirtschaft und seine Rückwirkungen auf dio Verhältnisse des Arbeitsmarktos sowie dem regelmässigen Rückblick auf die Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation im vorausgehenden Jahr befasste sich der Bericht des Generaldirektors vor allem mit dem Problem der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Dies war somit das zentrale Thema für die allgemeine Aussprache an der Konferenz. An ihr nahmen nahezu 150 Redner teil, worunter rund 20 Arbeitsminister der verschiedensten Länder. Wie immer wurden ausser dem Haupttraktandum auch zahlreiche andere Fragen berührt, so die technische Hilfe für unterentwickelte Länder, die Lage des Arbeitsmarktes, das Produktivitätsproblem, din soziale Sicherheit und weiteres mehr.

2. Finanz- und Budgetfragen Das von der Konferenz angenommene Ausgabenbudget der Internationalen Arbeitsorganisation für das Jahr 1956 beläuft sich auf 7 395 729 Dollars (1955: 6 990 918 Dollars). Dass der Voranschlag wiederum eine Erhöhung erfuhr, hängt namentlich mit dem erweiterten Tätigkeitsprogramm der Organisation zusammen, wozu an erster Stelle die technische Hilfe an unterentwickelte Länder gehört, sowie mit seinen immer zahlreicheren Untersuchungen und Veröffentlichungen. Der Beitrag der Schweiz erfuhr, dank der zunehmenden Zahl der angeschlossenen Mitgliedstaaten, gegenüber dem Vorjahr eine Ermässigung und bezifferte sich bei 1,5 Prozent des Gresamtbudgets (1955: 1,81 Prozent) nettomässig auf 95 727 Dollars (1955:112 251 DoUars).

3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen Die Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, dem Internationalen Arbeitsamt alljährlich Bericht zu erstatten über die Durchführung der von ihnen ratifizierten Übereinkommen, aber auch über ihre Gesetzgebung und Praxis auf Gebieten, die Gegenstand von nichtratifizierten Übereinkommen und von Empfehlungen sind. Auf Grund dieser Berichte kann sich die Internationale Arbeitskonferenz ein Urteil darüber bilden, wie weit die Vorschriften der ratifizierten Übereinkommen tatsächlich eingehalten werden und wie auch im übrigen die sozialen Verhältnisse eines Landes sind.

Die Kontrolle über die Durchführung der ratifizierten Konventionen bildet immer eine Hauptaufgabe der Konferenz, und diese Aufgabe wird mit der zunehmenden Zahl der Ratifikationen und der erstatteten Berichte von Jahr zu

Jahr umfänglicher. Wag die pflichtgemässe Einsendung der Berichte über die ratifizierten Übereinkommen betrifft, gingen zwar fristgerecht nur 23 Prozent ein; doch war insofern ein gewisser Fortschritt zu verzeichnen, als beim Zusammentritt der Konferenz 95 Prozent der geschuldeten Berichte vorlagen. Es ist dies, abgesehen von der Beriohterstattungsperiode 1934-1985, die höchste Quote, dio seit dem Bestehen der Internationalen Arbeitsorganisation erreicht worden ist. Dagegen waren von den geschuldeten Berichten über die liicht-ratifizierten Übereinkommen und die Empfehlungen im Zeitpunkt der Tagung erst 60 Prozent eingelangt. Ebenso wird die Vorschrift der Verfassung, wonach die von der Konferenz jeweils aufgestellten Übereinkommen und Empfehlungen der zuständigen Behörde vorzulegen sind, von manchen Staaten nicht oder nur unvollständig eingehalten. Die Anstrengungen auf diesem Gebiete sind also fortzusetzen.

4. Berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten Nach einer ersten Behandlung dieser Frage im Vorjahr (siehe unseren Bericht vom 29.November 1955, BEI 1955, II, 1303-1304) genehmigte die Konferenz von 1955 einstimmig eine -- E m p f e h l u n g (Nr. 99) über die b e r u f l i c h e Eingliederung und W i e d e r e i n g l i e d e r u n g der Behinderten und nahm gleichzeitig eine Besolution an, durch welche die Begierungen und die beteiligten Organisationen aufgefordert werden, ihre Anstrengungen zugunsten der Kriegsinvaliden fortzusetzen.

S. Die Wanderarbeiter in unterentwickelten Ländern Auch diese Frage gelangte 1955 zur zweiten, abscnliessenden Beratung vor die Konferenz. Sie berührt unser Land nicht unmittelbar, wio schon den Ausführungen unseres letztjährigen Berichtes (a.a. 0., Seite 1804) zu entnehmen ist.

Bei der Abstimmung über eine -- E m p f e h l u n g (Nr. 100) b e t r e f f e n d den S c h u t z der Wanderarbeiter in u n t e r e n t w i c k e l t e n L ä n d e r n und G e b i e t e n , welche die Konferenz mit 161 zu 18 Stimmen, bei 36 Enthaltungen, annahm, enthielten sich deshalb unsere Delegierten der Stimme.

6. Strafvorschriften gegen Arbeitsverlragsbruch Was die Vorgeschichte dieses Traktandums und das alte Übereinkommen von 19S9 über die Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch betrifft, das bis jetzt nur von Grossbritannien und Neu-Seeland ratifiziert
worden ist, verweisen wir auf unsere früheren Berichte (BEI 1941, Seite 24-25, und 1955, II, Seitel304).

Nach vorbereitender Behandlung des Gegenstandes an der Konferenz des Vorjahres führte die zweite Beratung an der Tagung von 1955 zu einem

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-- Ü b e r e i n k o m m e n (Nr. 104) über die A b s c h a f f u n g von Strafvorschriften gegen A r b e i t s v e r t r a g s b r u c h durch eingeborene Arbeitnehmer, das mit 206 Stimmen gegen eine und bei vier Enthaltungen angenommen wurde.

Obgleich auch diese Frage für unser Land ohne praktische Bedeutung ist, gaben unsere Delegierten dem Übereinkommen aus humanitären Gründen ihre Stimme.

In einer Eesolution äusserte die Konferenz die Hoffnung, das neue Übereinkommen werde rasch von zahlreichen Staaten ratifiziert werden, und nahm die allfällige Aufstellung einer umfassenden Begelung des Gegenstandes an einer späteren Tagung in Aussicht.

7. Die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft Die Internationale Arbeitsorganisation hat von jeher dem sozialpolitischen Problem der Landwirtschaft stärke Beachtung geschenkt und zahlreichen Ländern ihre praktische Hilfe auf diesem Gebiete zukommen lassen. Die Förderung der beruflichen Ausbildung in der Landwirtschaft ist für sie, in Anbetracht namentlich der günstigen Lage der Industrie mit ihrer Anziehungskraft und der sich daraus ergebenden zunehmenden Landflucht, gerade auch gegenwärtig wieder ein wichtiges Anliegen. Ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet entfaltet die Internationale Arbeitsorganisation in Verbindung mit andern Spezialorganisationen, so insbesondere mit der Weltorganisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen.

Die Konferenz unterzog die Frage der beruflichen Ausbildung in der Landwirtschaft einer ersten Prüfung und beschloss einstimmig, den Gegenstand zur zweiten abschliessenden Beratung auf die Tagesordnung von 1956 zu setzen.

Über die Empfehlung, die aus den diesjährigen Beratungen hervorgegangen ist, enthält unser nachstehender Bericht über die 89.Tagung das Nähere.

S, Die Sozialeinrichtungen für die Arbeitnehmer Mit der gewaltigen Entwicklung der Industrie. haben auch die Sozialeinrichtungen für die Arbeitnehmer eine ständig zunehmende Verbreitung erfahren.

Obgleich Art und Bedeutung dieser Einrichtungen von Land zu Land und auch innerhalb desselben Landes von Industriezweig zu Industriezweig naturgemäss sehr verschieden sind, hielt die Internationale Arbeitsorganisation doch den Augenblick für gekommen, um auf diesem Gebiete Minimalvorschriften aufzustellen, die den Mitgliedstaaten als Eichtlinien dienen
können. Die Internationale Arbeitskonferenz von 1955 hat demgemäss die Grundlagen einer Begelang vorbereitet und, gestützt darauf, an ihrer diesjährigen Tagung eine Empfehlung angenommen, über die wir uns in unserem nachstehenden Bericht äussern. Ferner beantragte die Konferenz von 1955 dem Verwaltungsrat, die Sozialeinrichtungen in der Landwirtschaft auf die Traktandenliste einer ihrer nächsten Tagungen zu setzen.

898 9. Resolutionen Ausser den Resolutionen, die sich auf Fragen der Tagesordnung bezogen und von denen schon die Eede war, nahm die Konferenz eine Reihe weiterer Eesolutionen über die verschiedensten Gegenstände an, so über die Verwendung der Atomenergie für friedliche Zwecke, über die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, über besondere Aspekte der Frauenarbeit und über den Schutz des Vereinigungsrechtes.

III. Die Beschlüsse der Konferenz und die Stellungnahme der Schweiz 1. Übereinkommen (Nr. 104) über die Abschaffung ton Slrafvorschriften gegen Arbeitsverlragsbruch durch eingeboren« Arbeitnehmer a. Inhalt des Übereinkommens Artikel l des Übereinkommens nimmt Bezug auf das alte Übereinkommen von 1939 über denselben Gegenstand und schreibt vor, dass überall, wo noch Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch im Sinne jener Konvention zur Anwendung kommen, Massnahmen zur Abschaffung aller solcher Vorschriften zu. treffen sind. Die Abschaffung soll nach Artikel 2 durch ein geeignetes und sofort, durchführbares Verfahren erzielt werden. Ist dies nicht möglich, so ist nach Artikel 8 und 4 dafür zu sorgen, dass Massnahmen zur. schrittweisen Abschaffung der Strafvorschriften getroff en werden und dass das Ziel möglichst bald, auf jeden Fall spätestens ein Jahr nach Ratifikation des Übereinkommens, erreicht ist.

Artikels richtet sich gegen die Diskrimination zwischen eingeborenen und nichteingeborenen Arbeitnehmern bei Anwendung von sonstigen Strafvorschriften, die im übrigen nicht unter das Übereinkommen fallen. Die weiteren Artikel enthalten die üblichen Formalbostimmungen, 6. Stellungnahme, der Schweiz Es sei daran erinnert, dass die Internationale Arbeitskonferenz an ihrer Tagung von 1939 ausser dem genannten Übereinkommen noch verschiedene andere Beschlüsse aufgestellt hat, die sich auf die Regelung der Arbeitsverträge der eingeborenen Arbeitnehmer beziehen. In unserem Bericht über jene Tagung schrieben wir hierüber: «Die genannten Ubereinlcommen und Empfehlungen betreffen lediglich die eingeborenen Arbeitnehmer in Kolonien und in anderen Gebieten mit ähnlichen Arbeitsbedingungen, haben also für die Schweiz keine praktische Bedeutung. Aus Überlegungen rein menschlicher Art ist die Schweiz zwar - ähnlich wie dem Sklavereiabkommen von 1926 - auch der Konvention über die Zwangs- oder Pflichtarbeit von 1980 beigetreten. Bei dieser Konvention handelt es sich aber um eine allgemeine und grundsätzliche Präge, wobei ala letztes Ziel die Abschaffung der Zwangs- oder Pflichtarbeit angestrebt wird, während die Übereinkommen der Tagung von 1939, die den Arbeitsvertrag der eingeborenen Arbeiter betreffen, Spezialprobleme regeln, die einem. Staate ohne Kolonialbesitz fremd sind. Eine Ratifikation dieser
Übereinkommen kommt deshalb für die Schweiz unseres Erachtens nicht in Betracht, wie selbstverständlich auch die Empfehlungen für uns gegenstandslos sind.» (BB11941, Seite 24r-25.)

899 An eine Ratifikation des Übereinkommens von 1955 durch die Schweiz wird unseres Erachtens so wenig zu denken sein, -wie dies beim früheren Übereinkommen von 1939 über die Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch durch eingeborene Arbeitnehmer der Fall war.

2. Empfehlung (Nr.. 99) betreffend die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der_ Behinderten a. Inhalt der E m p f e h l u n g In Abschnitt I werden die Begriffe der «beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung» sowie des «Behinderten» umschrieben, während in Abschnitt II der Anwendungsbereich der Personen umrissen ist, denen die in der Empfehlung aufgeführten Massnahmen zugute kommen sollen. Abschnitt III behandelt die Grundsätze und Verfahren der Berufsberatung, der beruflichen Ausbildung und der Vermittlung der Behinderten, wobei Gewicht darauf gelegt wird, dass die Behinderten ihre Ausbildung nach Möglichkeit unter denselben Bedingungen wie die anderen Arbeitnehmer und zusammen mit ihnen erhalten und dass die Arbeitgeber sich dieser Ausbildung annehmen. Der IV. Abschnitt ist der Organisation der Verwaltung und dem Ausbau der Einrichtungen gewidmet, die im Dienste der Eingliederung stehen. Abschnitt V befasst sich mit den Massnahmen, die zu treffen sind, damit die Behinderten von diesen Einrichtungen möglichst weitgehend Gebrauch machen und bei ihren Bemühungen, den Zugang zur Berufsausübüng zu finden, die nötige Hilfe erhalten. Vorgesehen ist zu diesem Zweck unter anderem die Sammlung und Verbreitung von Auskünften und die Gewährung von finanziellen Unterstützungen; auch soll ein Behinderter, der gleichwertige Arbeit wie ein unbehinderter Arbeitnehmer leistet, in bezug auf Lohn und sonstige Arbeitsbedingungen nicht anders gestellt werden als dieser.

Abschnitt VI hat die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen für ärztliche Betreuung und den Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung zum Gegenstand, während Abschnitt VII die Massnahmen behandelt, die zur Erweiterung der Beschäftigungsmöghchkeiten der Behinderten beitragen sollen, sowie die Zusammenarbeit von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen im Dienste dieser Aufgabe. Abschnitt VIII sieht die Schaffung von Einrichtungen zur Ausbildung und zu einer gegen Wettbewerb geschützten Beschäftigung für Behinderte vor, die besonders schwer
betroffen und deshalb nicht in der Lage sind, die normale Wettbewerbsfähigkeit auf dem freien Markte zu erlangen. Dabei ist auch an zweckdienliche Heimarbeit für Behinderte gedacht, die ihren Wohnsitz nicht verlassen können. In Abschnitt IX handelt es sich um Sondervorkehrungen für behinderte Kinder und Jugendliche. Doch sollten diese soweit wie möglich in gleicher Weise wie die anderen Kinder und Jugendlichen und zusammen mit ihnen von den Einrichtungen Gebrauch machen können, die der Schulausbildung, der Berufsberatung, der Berufsausbildung und der Arbeitsvermittlung im allgemeinen dienen. Der X.Abschnitt, der sich mit der Durchführung der Grundsätze für die berufliche Eingliederung und Wiederein-

900 gliederung befasst, sieht namentlich vor, dass die diesem Zwecke dienenden Einrichtungen den besonderen Erfordernissen und Verhältnissen der einzelnen Länder angepasst und schrittweise ausgebaut werden sollen.

6. Stellungnahme der Schweiz Die Empfehlung der Internationalen Arbeitskonferenz stellt einen umfassenden Plan für die wirtschaftliche Eingliederung oder Wiedereingliederung Invalider in das Wirtschaftsleben dar. Dem Problem kommt unstreitig eine sehr grosse Bedeutung zu. In der Schweiz sind diese Bestrebungen in letzter Zeit von privater Seite systematisch an die Hand genommen worden, während die gesetzlichen Grundlagen zum Teil noch fehlen. Die Unfallversicherung ist gesetzlich im Invalidierungsfall nur zur ^Rentenzahlung verpflichtet ; dagegen gibt es für die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt keine Fürsorgepflicht im Sinne der beruflichen Wiedereingliederung. Nur die Militarversicherung (Art. 89 des Bundesgesetzes vom 20. September 1949 über die Militärversicherung) kennt eine gesetzliche Pflicht zur Nachfürsorge in einem bestimmten Eahmen. Nach Artikel 89 trifft die Militärversicherung Massnahmen der Nachfürsorge durch Ausrichtung zusätzlicher Leistungen^wenn der Versicherte nach längerer Behandlung ohne eigenes Verschulden seine Arbeitsfähigkeit nicht verwerten kann. Diese Massnahmen bestehen in der Umschulung des Versicherten auf einen neuen Beruf, wenn eine bedeutende Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf besteht und sich eine wesentlich grössere Erwerbsfähigkeit in einem der Eignung und den Fähigkeiten des Versicherten entsprechenden neuen Beruf voraussehen lässt. Auf Grund dieser Vorschriften war die Militärversicherung bisher um ihre Militärinvaliden im Sinne der Empfehlung besorgt.

Im übrigen sind es in unserem Lande zur Zeit vor allem Massnahmen auf privatem oder auf kantonalem und lokalem Boden, denen bei den Bestrebungen zur Wiedereingliederung Invalider die hauptsächliche Bedeutung zukommt. Im Jahre 1951 wurde die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft zur Eingliederung Behinderter in die Volkswirtschaft gegründet, in welcher sich die Verbände der Fürsorge und der Selbsthilfe, soweit sich deren Tätigkeit auf das Gebiet der ganzen Schweiz oder mehrerer Kantone erstreckt, sowie eine Anzahl interessierter Amtsstellen zusammenschlössen.

Auf eidgenössischem
Boden gewährt der Bund zur Zeit an die Vereinigung Pro Infirmis einen jährlichen Beitrag von einer Million Franken zugunsten der Gebrechlichen-Fürsorge. Ein Teil dieses Betrages wird für bestehende Bestrebungen im Dienste der Wiedereingliederung Invalider verwendet. In der umfassenden Art, wie es in der Empfehlung gestellt ist, wird das Problem jedoch nur durch die Einführung der eidgenössischen Invalidenversicherung gelöst werden können. Der Bundesrat beschloss am 12. Juli 1955, das Eidgenössische Departement des Innern zu beauftragen, einen Gesetzesentwurf für die Einführung der Invalidenversicherung auszuarbeiten. Eine eidgenössische Expertenkommission hat unterdessen bereits getagt. Der Bericht der Expertenkommission ist im

901 laufenden Jahr zu erwarten; dieser wird ein einlässliches Kapitel enthalten über die Wiedereingliederung Behinderter in das Wirtschaftsleben und deren Ordnung im Bahmen der kommenden Invalidenversicherung.

Die Anforderungen, welche die Empfehlung stellt, sind somit zur Zeit teilweise erfüllt, während eine umfassende Eegelung der aufgeworfenen Fragen ini Eahmen der Invalidenversicherung vorbehalten bleibt.

3. Empfehlung (Nr. 100) betreffend den Schutz der Wanderarbeiter in unterentwickelten Ländern und Gebieten a. Inhalt der E m p f e h l u n g Der I, Teil umschreibt das Geltungsgebiet der Empfehlung und den Begriff des Wanderarbeiters. Der II. Teil behandelt den Schutz der Wanderarbeiter und ihrer Familienmitglieder während ihrer Hin- und Eückreise und vor dem Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme. Der III. Teil befasst sich mit Massnahmen gegen Wanderungsbewegungen unerwünschter Art. Der Schutz der Wanderarbeiter während der Dauer ihrer Beschäftigung bildet den Gegenstand des IV. Abschnittes, Zunächst wird der allgemeine Grundsatz aufgestellt, wonach den Wanderarbeitern ebenso günstige Lebens- und Arbeitsbedingungen gewährleistet werden sollten, wie sie die übrigen Arbeitnehmer bei gleicher Beschäftigung besitzen. Anschliessend werden die zugunsten der Wanderarbeiter zu treffenden Massnahmen aufgeführt, die sich auf Unterkunft, Löhne, Zulassung zur Facharbeit, gewerkschaftliche Tätigkeit, Versorgung mit Verbrauchsgütern, soziale Sicherheit, Betriebssicherheit und Arbeitshygiene, Aufrechterhaltung der Beziehungen der Wanderarbeiter zu ihren Herkunftsgebieten, sowie materielles, geistiges und sittliches Wohlergehen der Wanderarbeiter erstrecken. Der V. Abschnitt befasst sich mit der Sesshaftmachung der Wanderarbeiter und ihrer Familien und der VI. Abschnitt schliesshch mit den Vorkehrungen, welche die Durchführung der empfohlenen Schutzmassnahmen sicherstellen sollen, b. Stellungnahme der Schweiz Wie schon gesagt, berührt diese Frage unser Land nicht unmittelbar. Die in Betracht stehenden Wanderungen sind namentlich für gewisse Gebiete Afrikas, Asiens und Lateinamerikas kennzeichnend. Wir können deshalb auch auf eine Stellungnahme zur Empfehlung verzichten.

B. Die 39. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz I. Einleitung 7. Allgemeines und Zusammensetzung der schweizerischen Delegation Die
89. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz fand vom 6. bis 28. Juni 1956 in Genf statt. Daran waren 73 Mitgliedstaaten mit rund 800 Delegierten und technischen Katgebern vertreten. Spanien, Eumänien und Jordanien

902 traten der Internationalen Arbeitsorganisation, gestützt auf Artikel l, Absatz 3, der Verfassung, in ihrer Eigenschaft .als Mitglieder der Vereinten Nationen bei..

Daneben wurden Tunesien, .der Sudan und Marokko, die damals den Vereinten Nationen noch nicht angehörten, im Abstimmungsverfahren einstimmig in die Internationale Arbeitsorganisation aufgenommen, wodurch sich die Zahl der Mitgliedstaaten auf 76 erhöhte.

Den Vorsitz der Tagung führte Herr Mohsen Nasr, Arbeitsminister von Iran, Die schweizerische Delegation setzte sich, wie in den vorausgehenden Jahren, folgendermassenzusammen:EegierungsvertreterHerrDr.WilhamEappard, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Genf und Honorarprofessor des Institut universitaire de hautes études internationales, und Herr Fürsprech Max Kaufmann, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit ; Ersatzdelegierter Herr Dr. Arnold Saxer, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung; A r b e i t g e b e r v e r t r e t e r Herr Charles Kuntschen (Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen); A r b e i t n e h m e r v e r t r e t e r Herr Jean Mori (Schweizerischer Gewerkschaftsbund). Dazu kamen einige technische Berater.

2. Tagesordnung der Konferenz Die Tagesordnung der Konferenz umfasste folgende Gegenstände : 1. Bericht des Generaldirektors; 2. Finanz- und Budgetfragen; 8. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen ; 4. Die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft (zweite Beratung) ; 5. Sozialeinrichtungen für Arbeitnehmer (zweite Beratung): a, Verpflegung im Betrieb oder in dessen Nähe ; b. Eäumlichkeiten und Gelegenheiten zum Ausruhen sowie Möglichkeiten der Erholung im Betrieb oder in dessen Nähe (ohne Berücksichtigung des bezahlten Urlaubs) ; o, Beförderungsmittel zürn und vom Arbeitsplatz, falls die öffentlichen Beförderungsmittel ungenügend oder schwer benutzbar sind ; 6. Zwangsarbeit (erste Beratung) ; 7. Der wöchentliche Kuhetag im Handel und in den Büros (erste Beratung); 8. Lebens- und Arbeitsbedingungen der eingeborenen Bevölkerung in unabhängigen Ländern (erste Beratung).

II. Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz Vorbemerkung Die folgenden Abschnitte 1-8 betreffen Gegenstände, die zu den regelmässigen Traktanden der Konferenz gehören, abgesehen vom zweiten Teil
von Abschnitt l ; dieser bezieht sich auf eine besondere Frage, welche die Internationale Arbeits-" Organisation zur Zeit stark beschäftigt : die Frage der Unabhängigkeit der Arbeit-

908 geber- und Arbeitnehmerverbände von der Eegierung ihres Landes. Die Abschnitte 4-8 gelten Verhandlungsgegenständen, mit denen sich die Konferenz im Hinblick auf eine internationale Eegelung befasste. Die beiden Empfehlungen, die aus diesen Beratungen hervorgingen, werden im III. Teil des vorliegenden Berichtes erläutert ; ihr Wortlaut findet sieh im Anhang.

1. Bericht des Generaldirektors und Gedankenaustausch über den Bericht der Kommission für die Frage der Unabhängigkeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände Abgesehen von seinem üblichen Inhalt war der Bericht des Generaldirektors diesmal der besonderen Frage der Landflucht gewidmet. An der Aussprache über den Bericht nahmen rund 140 Bedner, wovon wiederum zahlreiche Arbeitsminister, teil. Dem zentralen Thema entsprechend galten die Eeden zu einem guten Teil den Fragen des Arbeitsmarktverhältnisses zu Stadt und Land. Daneben wurden aber auch zahlreiche andere Probleme berührt, so die Automation, die Verwendung der Atomkraft, die technische Hilfe an unterentwickelte Länder, die Produktivität, die Vollbeschäftigung, die Arbeitslosigkeit und anderes.

Zwei Tage Vollsitzung der Konferenz waren dem Gedankenaustausch über den Bericht eines Dreierkollegiums von Experten (Comité McNair) eingeräumt, das der Verwaltungsrat eingesetzt hatte, um abzuklären, wie weit in den verschiedenen Mitgliedstaaten die Arbeitgeber- und Arbeitnehraerverbände von der Herrschaft und Aufsicht der Eegierung unabhängig sind. Es handelt sich hierbei um eine für die Internationale Arbeitsorganisation äusserst wichtige Frage, die den Verwaltungsrat und die Internationale Arbeitskonferenz in den letzten Jahren stark beschäftigt hat und weiterhin beschäftigen wird. Das Problem hat sich daraus ergeben, dass die Internationale Arbeitsorganisation einerseits darnach strebt, möglichst universal zu sein und alle Länder der Erde, gleichgültig welches ihre Staats- und Wirtschaftsform ist, aufzunehmen, während sie anderseits auf dem System des sogenannten «Tripartismus» beruht, d.h. dem Zusammenwirken von Vertretern der Eegierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer als selbständigen Gruppen, Die Diskussion über den Bericht, an der rund 40 Eedner teilnahmen, sollte dem Verwaltungsrat, der nun zunächst an seiner Herbsttagung die Frage weiter zu verfolgen hat, Gelegenheit geben,
die allgemeine Auffassung der Konferenzdelegierten kennenzulernen.

2. Finanz und Budgetfragen Das Budget der Internationalen Arbeitsorganisation für das Jahr 1957, das Gesamtausgaben im Betrage von 7617708 Dollars vorsieht (1956: 7395729 Dollars), wurde von der Konferenz mit grossem Mehr angenommen. Die weitere Vermehrung der Ausgaben erklärt sich namentlich aus der Erhöhung der Gehälter für das Personal des Internationalen Arbeitsamtes, der steigenden Zahl von Tagungen und der weiteren Ausdehnung der von der Internationalen Arbeits-

904 organisation ausgeübten praktischen Tätigkeit. Der Beitrag der Schweiz für 1957 beläuft sich bei einer Quote von 1,49 Prozent (1956: 1,5 Prozent) nettomässig auf 105 372 Dollars (1956: 95 727 Dollars).

3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen Was das Allgemeine betrifft, das zu diesem regelmässigen und wichtigen Traktandum der Konferenz zu sagen ist, sei auf die Ausführungen in Abschnitt II, 8, des vorausgehenden Berichtes über die 38. Tagung verwiesen, die hier somit lediglich durch einige auf die Periode 1954/55 bezügliche statistische Angaben zu ergänzen sind.

Von den 1284 geschuldeten Berichten über die Durchführung der ratifizierten Übereinkommen gingen fristgerecht 283 (23 Prozent) und bis zur Konferenztagung 1170 (95 Prozent) ein. Was die Berichte anderseits betrifft, die über die nicht-ratifizierten Übereinkommen und die Empfehlungen hätten erstattet werden sollen, betrug der Eingang im Zeitpunkt der Tagung nur 63,5 Prozent. Alles in allem genommen stellte die Konferenz wiederum einen leichten Fortschritt in bezug auf die Einhaltung der Vorschriften fest, die mit der Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen im Zusammenhang stehen, und erneuerte im übrigen ihren Apell an die Mitgliedstaaten, ihre Verpflichtungen in dieser Hinsicht genau zu erfüllen.

4. Die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft Nach einer ersten Beratung dieser Frage im Vorjahr (siehe den Bericht über die 88. Tagung, Abschnitt II, 7) genehmigte die Konferenz von 1956 mit 220 Stimmen, bei zwei Enthaltungen, eine -- E m p f e h l u n g (Nr. 101) b e t r e f f e n d die b e r u f l i c h e Ausbildung in der L a n d w i r t s c h a f t .

Die schweizerischen Eegierungsdelegierten stimmten der Empfehlung zu.

ö. Sozialeinrichtungen für Arbeitnehmer Auch hier führte die zweite Beratung - über die Vorgeschichte haben wir uns ebenfalls oben geäussert (Bericht über die 38. Tagung, Abschnitt II, 8) - zu einer mit 185 gegen 37 Stimmen angenommenen Empfehlung unter dem Titel: ·-- E m p f e h l u n g (Nr. 102) b e t r e f f e n d Sozialeinrichtungen für Arbeitnehmer.

Die schweizerischen Begierungsdelegierten gaben dieser Empfehlung ebenfalls ihre Stimme.

6. Zwangsarbeit Schon im Jahre 1930 hatte die Internationale Arbeitskonferenz ein Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit
angenommen, das die Schweiz aus humanitären Gründen ratifizierte (Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 81. März 1931 über die 14. Tagung der Internationalen Arbeits-

905 konferenz, BEI 1931,1, 449). Seitdem, und namentlich nach dem Weltkrieg, sind von verschiedenen Institutionen, vor allem aber von der Internationalen Arbeitsorganisation in enger Verbindung mit dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, umfassende Studien und Erhebungen auf diesem Gebiete durchgeführt worden.

Die Eegelung, mit der sich die Internationale Arbeitskonferenz von 1956 befasste, soll einzelne Lücken der Konvention von 1930 ausfüllen. Es handelt sich dabei vor allem um die Abschaffung gewisser Systeme von Zwangsarbeit, die früher nicht im Blickfeld der Betrachtung standen, nämlich Zwangsarbeit zu politischen Zwecken oder zur Eekrutierung von Arbeitskräften im Dienste der Wirtschaft, Diese Eegelung soll ebenfalls die Gestalt eines Übereinkommens erhalten und wird in einer zweiten Beratung die Konferenztagung von 1957 beschäftigen. Wir werden darauf in unserem nächstjährigen Bericht zurückkommen. Überdies nahm die Konferenz eine Eesolution an, wonach zudem auch das Übereinkommen von 1930 revidiert werden soll.

7, Der wöchentliche Buhetag im Handel und in den Büros Die Arbeitsverhältnisse der Angestellten haben die Internationale Arbeitsorganisation aus naheliegenden Gründen bis dahin im ganzen weniger stark beschäftigt als diejenigen der Arbeiter. Indessen stand die Frage des wöchentlichen Buhetages im Handel und in den Büros schon auf der Traktandenliste der Arbeitskonferenz, die im Jahre 1940 hätte stattfinden sollen, des Krieges wegen aber nicht abgehalten werden konnte. Nach einer ersten Beratung beschloss die Konferenz von 1956, die Frage im kommenden Jahr abschliessend zu behandeln, wobei die Aufstellung eines Übereinkommens und einer Empfehlung vorgesehen ist. Auch hierüber wird sich somit unser nächster Bericht zu äussern haben.

8, Lebens- und Arbeitsbedingungen der eingeborenen Bevölkerung in unabhängigen Ländern Es handelt sich bei diesem Verhandlungsgegenstand um die Frage des Schutzes und der Eingliederung der eingeborenen Bevölkerung sowie anderer Arten von Stamm- und stammesähnlicher Bevölkerung in unabhängigen Ländern. Auch in diesem Falle beschloss die Konferenz, die Frage auf die Traktandenliste ihrer nächsten Tagung zu setzen und die Aufstellung eines Übereinkommens und einer Empfehlung in Aussicht zu nehmen.

9. Resolutionen Ausser den Eesolutionen,
von denen schon die Eede war und die im Zusammenhang standen mit den auf der Tagesordnung der Konferenz vorgesehenen Traktanden, nahm diese noch eine Eeihe weiterer Eesolutionen an, die sich auf folgende Fragen bezogen: Automation, Arbeitszeitverkürzung, Abschaffung unterschiedlicher Entlöhnung für Mann und Frau sowie Beschränkung und Herabsetzung der Eüstungen.

906 ni. Die Beschlüsse der Konferenz und die Stellungnahme der Schweiz 1. Empfehlung (Nr. 101) betreffend die berufliche Ausbildung in der Landwirtscliaft a, Inhalt der E m p f e h l u n g Die Empfehlung zerfällt in sechs Abschnitte. Der erste umschreibt Grundsätze und Ziele der Ausbildung. Diese sollte von den zuständigen Stellen nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Plan organisiert und durchgeführt werden.

Abschnitt II behandelt den Anwendungsbereich der Ausbildung. Der umfangreiche III. Abschnitt enthält eingehende Bestimmungen über die Ausbildungsmethoden, insbesondere über die Art der Schulung, die Ausbildung in Betrieben, die Schaffung von Beratungsstellen, das Lehrliugswesen sowie die Ausbildung des Lehrpersonals und die Lehrmittel. Abschnitt IV betont die wichtige Eolle, die den landwirtschaftlichen und den weiteren beteiligten Organisationen im Bahmen der beruflichen Ausbildung zukommt, während schliesslich die Abschnitte V und VI den inner- und zwischenstaatlichen Massnahmen gewidmet sind, die im Dienste der landwirtschaftlichen Berufsausbildung zu treffen sind.

b. Stellungnahme der Schweiz Die Schweiz befindet sich in dieser Hinsicht in einer bevorzugten Stellung, weil die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft den von der Empfehlung angestrebten Stand bereits erreicht, wenn nicht schon überschritten hat.

Im Jahre 1955 gab es 776 landwirtschaftliche Fortbildungsschulklassen, 47 kantonale landwirtschaftliche Schulen und drei von gemeinnützigen Institutionen betriebene Spezialschulen, Der Unterricht erfolgt nach den in der Empfehlung enthaltenen Eichtlinien. Die landwirtschaftliche Lehre wurde im Jahre 1930 eingeführt. Die bäuerliche Berufsprüfung, die den jungen Mann zur selbständigen Tätigkeit erziehen soll, geht auf das Jahr 1943 zurück. Die Meisterprüfung besteht seit dem Jahre 1945. Das Landwirtschaftsgesetz vom S.Oktober 1951 und insbesondere die darauf fussende Verordnung vom 29.März 1955 über das landwirtschaftliche Bildungs- und Versuchswesen haben die von den Kantonen und den landwirtschaftlichen Berufsverbänden getroffenen Massnahmen nicht nur übernommen,.sondern die erreichten Positionen auch noch wesentlich gefestigt. Die gesetzlichen Bestimmungen erlauben nunmehr eine volle Entfaltung auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Berufsbildung, und zwar insbesondere in
der Eichtung der Aufklärung und der Beratung der Landwirte.

Auf internationalem Boden geniesst die Schweiz mit Bezug auf die Berufsausbildung in der Landwirtschaft einen vorzüglichen Euf. Zahlreiche Persönlichkeiten haben unser Land besucht, um ihre Kenntnisse im landwirtschaftlichen Bildungswesen zu erweitern.

Es besteht somit keine Veranlassung, mit Bezug auf die Empfehlung, deren Bestimmungen in unserem Land bereits auf breiter Grundlage zur Anwendung gelangen, besondere Massnahmen zu ergreifen.

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2, Empfehlung (Nr. 102) betreffend die Sozialeinrichtungen für Arbeitnehmer a. Inhalt der E m p f e h l u n g Nach Abschnitt I über den Anwendungsbereich bezieht sich die Empfehlung auf manuelle und nicht-manuelle Arbeitnehmer in öffentlichen oder privaten Betrieben, mit Ausnahme der in der Landwirtschaft und im Seetransport beschäftigten Personen. In Abschnitt II über die Durchführungsmethoden wird festgestellt, dass die in der Empfehlung genannten Sozialeinrichtungen entsprechend den Gepflogenheiten in den einzelnen Ländern auf die verschiedenste Art (durch öffentliche oder private Massnahmen, auf gesetzlichem Wege, durch Gesamtarbeitsverträge usw.) verwirklicht werden können. Abschnitt III befasst sich mit den Einrichtungen zur Verpflegung der Arbeitnehmer sowie der Art der Gestaltung, Organisation und Benützung dieser Einrichtungen, während die Abschnitte IV und V die Vorkehrungen behandeln, die der Buhe und Erholung dienen. Die Abschnitte VI und VII enthalten Bestimmungen über die Verwaltung und Finanzierung der Einrichtungen im Dienste der Verpflegung und Erholung, und in Abschnitt VIII werden die Verkehrsprobleme behandelt, insbesondere die Fragen, die sich auf die zweckmässige Beförderung der Arbeitnehmer zürn Arbeitsplatz und zurück beziehen.

i. S t e l l u n g n a h m e der Schweiz Die in der Empfehlung genannten Einrichtungen sind in der Schweiz zum Teil nach den bestehenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, zum grössern Teil aber in freiwilliger Weise eingeführt worden.

Das Bundesgesetz vom 18. Juni 1914/27. Juni 1919 betreffend die Arbeit in den Fabriken bestimmt in seinem Artikel 5, Absatz l, dass der Fabrikinhaber zur Verhütung von Krankheiten und Unfällen alle Schutzmassnahmen einzuführen hat, die nach der Erfahrung notwendig und nach dem Stande der Technik und den gegebenen Verhältnissen anwendbar sind. Auf Grund dieser Bestimmung kann die Einrichtung verschiedener Soziahnassnahmen verlangt werden, z.B. die Anbringung von Sitzgelegenheiten, wo dies angängig ist. Nach Absatz 5 des gleichen Artikels sind dort, wo es die Umstände erfordern, heizbare Essräume unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Ferner ist vorgeschrieben, dass diese mit den nötigen Apparaten zum Wärmen von Speisen einzurichten sind. Im übrigen muss im Bereiche der Fabrik Trinkwasser vorhanden sein (Art.48 der
VoHziehungsverordnung zum Fabrikgesetz).

Über die freiwilligen Sozialmassnahmen sei im Zusammenhang mit, den hauptsächlichen Postulateli der Empfehlung kurz folgendes erwähnt.

Kantinen und Aufenthaltsräume haben in der Industrie allgemein Verbreitung gefunden mit vielfach sehr guten und ansprechenden Lösungen. Die Kantinen werden in der Begel von den Betrieben selbst, häufig aber auch vom «Schweizer Verband Volksdienst» geführt; sie tragen auch den besonderen Bedürfnissen bestimmter Arboitergruppen (Schichtarbeiter; Arbeiter, die in hohem Masse der Hitze ausgesetzt sind) Bechnung.

908 Auch der Frage der Erholung und Entspannung der Arbeiter ist die nötige Aufmerksamkeit geschenkt worden. Grössere Firmen haben eigene Wohlfahrtshäuser erstellt, die neben den Verpflegungsstätten vor allem auch Aufenthaltsund Buheräume sowie Lesezimmer enthalten. Gepflegte Grünanlagen verschönern oft die Umgebung der Betriebe, und vielfach sind auch Spiel- und Sportplätze angelegt worden.

Durchwegs werden die sozialen Einrichtungen, deren Benützung überall freiwillig ist, den Arbeitnehmern unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Speisen und Getränke werden meist verbilligt abgegeben.

Was die Transportmittel anbelangt, verfügt die Schweiz über ein verhältnismässig sehr gut ausgebautes Netz von Eisenbahnlinien und Postautokursen, wobei die Fahrpläne dieser Transportanstalten sich weitgehend nach den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung richten. Wo dies nicht möglich ist, werden die Arbeitszeiten oft den Fahrplänen angepasst. Auch haben zahlreiche Firmen, wo es sich als nötig erwiesen hat, für ihr Personal einen besonderen-Zubringerdienst eingerichtet.

Die Anregungen der Empfehlung dürfen bei uns als im wesentlichen erfüllt gelten ; Vorkehrungen behördlicherseits drängen sich nicht auf.

C. Gleichheit des Entgeltes männlicher und ·weiblicher Arbeitskräfte Unser Bericht vom 12. Dezember 1952 über die 84. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (BEI 1952, III, 819) hat sich unter anderem mit dem von der Arbeitskonferenz 1951 angenommenen Übereinkommen (Nr. 100) über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit sowie mit der ergänzenden Empfehlung (Nr. 90) befasst. Wir beantragten, das Übereinkommen nicht zu ratifizieren. Hinsichtlich der Empfehlung, die für alle Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation Geltung hat, stellten wir fest, sie sei in einer Art und Weise mit der Konvention verbunden, dass die darin enthaltenen Vorschläge zu einem guten Teil nur die Staaten berühren, die das Übereinkommen ratifizieren. In der Frühjahrs-Session 1953 haben dann beide Eäte folgendes Postulat angenommen : «Der Bundesrat wird im Hinblick auf die Empfehlung der 34. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz eingeladen, die Frage betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit neuerdings auf
Grund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen bezüglich der Auswirkungen auf die schweizerische Wirtschaft zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten. Zur Beurteilung dieser Frage soll eine konsultative Kommission, der auch Frauen angehören, beigezogen werden.»

Gleichzeitig haben beide Eäte mit starker Mehrheit in zustimmendem Sinn vom Bericht des Bundesrates über die 34. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz Kenntnis genommen (der Nationalrat mit 116 gegen 28, der Ständerat mit 28 gegen 3 Stimmen) und somit die Auffassung geteilt, dass die Schweiz das Übereinkommen nicht oder wenigstens heute noch nicht ratifizieren könne. Dem Übereinkommen sind bisher erst 18 der zur Zeit 77 Mitglieds.taaten beigetreten

909 (Argentinien, Belgien, Bulgarien, Deutsche Bundesrepublik, Dominikanische Republik, Frankreich, Honduras, Italien, Jugoslawien, Kuba, Mexiko, Österreich, Philippinen, Polen, Sowjetrussland, Ukraine, Ungarn, Weissrussland).

Zur Prüfung der Auswirkungen gleichen Entgeltes auf die schweizerische Wirtschaft ist unter dem Vorsitz von Herrn Direktor Kaufmann vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit eine 19 Mitglieder umfassende Expertenkommission eingesetzt worden, in der die Frauenorganisationen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie die Wissenschaft vertreten waren. Die Kommission hat den Bundesbehörden einen Bericht erstattet, der im Anhang zu unserem Bericht wiedergegeben ist. Er spricht sich zunächst über die Frauenarbeit und ihre Entlöhnung aus, um gestützt darauf die Auswirkungen der Lohngleichheit zu würdigen.

Der Bericht gelangt zum Schluss, die Fälle ungleicher Entlöhnung für gleichwertige Arbeit von Mann und Frau seien vermutlich nicht derart zahlreich, dass die Anwendung des Grundsatzes gleicher Entlöhnung für gleichwertige Arbeit im gesamten gesehen die schweizerische Wirtschaft allzusehr belasten würde; die Auswirkungen waren allerdings von Branche zu Branche verschieden, weshalb auch in Zukunft schrittweise und auf Grund der jeweiligen Gegebenheiten vorgegangen werden müsste. Die Lohngerechtigkeit werde auch für die Frauen immer mehr verfeinert, eine Entwicklung, die der Staat nur begrüssen könne.

Wir gehen mit den Schlussfolgerungen des Berichtes einig. Allerdings ist zu sagen, dass die Kommission hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen nicht über eine Vermutung hinausgelangen konnte, weil die zur Verfügung stehenden Unterlagen keine zuverlässige Beurteilung erlauben. Immerhin stützt sich die Annahme der Kommission auf eine Reihe von Tatsachen, über die der Bericht im einzelnen Auskunft gibt.

Mit dem Bericht der Kommission kommen wir dem im Postulat der eidgenössischen Räte ausgesprochenen Wunsch nach. Es ist zu hoffen, dass der Kommissionsbericht, der ganz allgemein für die Würdigung der Frauenarbeit von grossem Werte ist, gebührende Beachtung findet.

Wir empfehlen Ihnen, unsern Ausführungen zuzustimmen, und versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 21.Dezember 1956.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Feldmann Der Bundeskanzler : Ch. Oser Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. II.

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910 Beilage l

Achtunddreissigste Tagung der

Internationalen Arbeitskonferenz (Genf, l--23. Juni 1955) Die nachstehend abgedruckten deutschen Texto bilden die in Übereinstimmung mit Artikel 42 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz angefertigten offiziellen Übersetzungen der französischen und englischen Urtexte.

Übereinkommen (Nr. 104) über die Abschaffung von Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch durch eingeborene Arbeitnehmer Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 1. Juni 1955 zu ihrer achtunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge über Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch durch eingeborene Arbeitnehmer anzunehmen, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

In der Überzeugung, dass der Zeitpunkt zur Abschaffung der Strafvorschriften gekommen ist und dass deren Beibehaltung durch die innerstaatliche Gesetzgebung im "Widerspruch steht mit den heutigen Anschauungen über die vertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie mit der menschlichen Würde und den Menschenrechten, nimmt die Konferenz heute, am 21. Juni 1955, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Abschaffung von Strafvorschriften (eingeborene Arbeitnehmer), 1955, bezeichnet wird, Artikel l Die zuständige Stelle jedes Landes, in dem noch Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch im Sinne von Artikel l, Absatz 2, des Übereinkommens über Strafvorschriften (eingeborene Arbeitnehmer), 1989, durch irgendeinen der in Artikel l, Absatz l, des genannten Übereinkommens erwähnten Arbeitnehmer zur Anwendung kommen, hat Massnahmen zur Abschaffung aller derartigen Strafvorschriften zu treffen.

911 Artikel 2 Die Abschaffung aller dieser Strafvorschriften soll durch eine geeignete und sofort durchführbare Massnahme erreicht werden.

Artikel 8 Erscheint die Ergreifung einer geeigneten und sofort durchführbaren Massnahme nicht möglich, so sind in allen Fallen Massnahmen zur schrittweisen Abschaffung der Strafvorschriften zu treffen.

Artikel 4 Die nach Artikel 3 des Übereinkommens getroffenen Massnahmen sollen in allen Fällen dafür Gewähr bieten, dass alle Strafvorschriften möglichst bald und unter allen Umständen spätestens ein Jahr nach dem Zeitpunkt der Batifikation des vorliegenden Übereinkommens abgeschafft werden.

Artikel 5 Zur Beseitigung jeder unterschiedlichen Behandlung von eingeborenen und nichteingeborenen Arbeitnehmern sind andere Strafvorschriften gegen Arbeitsvertragsbruch, die nicht unter Artikel l dieses Übereinkommens fallen und die auf nichteingeborene Arbeitnehmer keine Anwendung finden, für eingeborene Arbeitnehmer abzuschaffen.

Artikel 6 Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen, Artikel 7 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Eatifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2, Es tritt in Kraft zwölf Monate, nachdem die Eatifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

8. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Eatifikation in Kraft.

Artikel 8 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen.

Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

912 2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dein in diesem Artikel vorgesehenen Kiindigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von .zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 9 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Eatifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Eatifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 10 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Eatifikationen und Kündigungen.

Artikel 11 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen. Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 12 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a. Die Eatifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich, ohne Eücksicht auf Artikel 8, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

. &. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

913 Artikel 13 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Empfehlung (Nr. 99) betreffend die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am I.Juni 1955 zu ihrer achtunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten, eine Frage, die den vierten Gegenstand der Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 22. Juni 1955, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten, 1955, bezeichnet wird.

In der Erwägung, dass für Personen, die durch eine Behinderung beeinträchtigt sind, vielü und verschiedenartige Probleme bestehen, in der Erwägung, dass die Eingliederung und Wiedereingliederung dieser Personen wesentlich ist, um ihnen zu gestatten, ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten, soweit wie möglich, wiederzuerlangen und im gesellschaftlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Leben den Platz einzunehmen, den sie ausfüllen können, in. der Erwägung, dass es, um dem Bedürfnis nach Beschäftigung des einzelnen Behinderten gerecht zu werden und die vorhandenen Arbeitskräfte am besten nutzbar zu machen, erforderlich ist, die Arbeitsfähigkeit der Behinderten zu entwickeln und wiederherzustellen, indem die ärztlichen, psychologischen, sozialen und erzieherischen Einrichtungen, die Berufsberatung, die Berufsausbildung, die Arbeitsvermittlung und die Bewährungskontrolle zu einem fortlaufenden und aufeinander abgestimmten Verfahren verbunden werden, empfiehlt die Konferenz folgendes: I. Begriffsbestimmungen ' 1. In dieser Empfehlung gelten folgende Begriffsbestimmungen: a. Der Ausdruck «berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung» bezeichnet die Phase des fortlaufenden und aufeinander abgestimmten Verfahrens zur Eingliederung und Wiedereingliederung, währenddessen den Behinderten geeignete Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, die es ihnen ermöglichen, eine geeignete Beschäftigung zu finden und bei-

914 zubehalten. Dazu gehören insbesondere Berufsberatung, Berufsausbildung und eine individuelle Arbeitsvermittlung.

6. Der Ausdruck «Behinderter» bezeichnet eine Person, deren Aussichten, eine geeignete Beschäftigung zu finden und beizubehalten, infolge der Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Fähigkeiten wesentlich gemindert sind.

II. Anwendungsbereich der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung 2. Einrichtungen für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung sollten allen Behinderten, unabhängig von Ursprung und Art ihrer Behinderung oder von ihrem Alter, offenstehen, sofern sie auf die Ausübung einer geeigneten Beschäftigung vorbereitet werden können und begründete Aussicht besitzen, eine derartige Beschäftigung zu finden und beizubehalten.

III. Grundsätze und Verfahren der Berufsberatung, Berufsausbildung und Arbeitsvermittlung der Behinderten 3. Alle erforderlichen und durchführbaren Massnahmen sollten getroffen werden, um besondere Einrichtungen für die Berufsberatung der Behinderten zu schaffen und auszubauen, die für Berufswahl oder Berufswechsel Hilfe benötigen.

4. Soweit es die Verhältnisse in den einzelnen Ländern gestatten und es im Einzelfall angebracht ist, sollte das bei der Berufsberatung eingeschlagene Verfahren umfassen a. eine Aussprache mit dem Berufsberater; b. die Ermittlung der beruflichen Erfahrung; c. eine Prüfung von Schul- oder anderen Zeugnissen, aus denen sich die allgemeine oder berufliche Ausbildung ergibt ; d. eine ärztliche Untersuchung für Berufsberatungszwecke; e. angemessene Fähigkeits- und Eignungsteste und, wo es erwünscht erscheint, andere psychologische Teste; /. die Ermittlung der persönlichen und familiären Verhältnisse des Betreffenden; g. die Ermittlung der Fähigkeiten und die Entwicklung von Anlagen anhand praktischer Arbeitsbeobachtungen oder Arbeitsproben und durch andere ähnliche Mittel; h. eine Fachprüfung in mündlicher oder anderer Form in allen Fällen, in denen es notwendig erscheint; i. die Ermittlung der körperlichen Fähigkeiten des Behinderten unter Berücksichtigung der verschiedenen beruflichen Erfordernisse und der Möglichkeit der Weiterentwicklung dieser Fähigkeiten; j. die Erteilung von Auskünften über Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der beruflichen Eignung, der körperlichen Fähigkeiten, der Anlagen und Neigungen sowie der Erfahrung des Betreffenden und der Erfordernisse des Arbeitsmarktes.

915

5. Die Grundsätze, Massnahmen und Verfahren, die im allgemeinen für die berufliche Ausbildung nicht behinderter Personen gelten, sollten auch auf Behinderte angewendet werden, soweit es die medizinischen und pädagogischen Voraussetzungen gestatten.

6. (1) Die berufliche Ausbildung sollte es den Behinderten, soweit wie möglich, gestatten, eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, bei der sie unter Berücksichtigung der Beschäftigungsaussichten ihre Fachkenntnisse und ihre beruflichen Fertigkeiten verwenden können.

(2) Zu diesem Zweck sollte die Ausbildung a. in Übereinstimmung gebracht werden mit einer nach vorausgehender ärztlicher Beratung durchgeführten individuellen Vermittlung auf Arbeitsplätze, auf denen die Arbeitsverrichtung möglichst wenig durch die Behinderung beeinträchtigt wird oder nachteilig auf diese einwirkt ; b. sooft es möglich und angezeigt ist, in dem Beruf erteilt werden, den der Behinderte früher ausübte oder in einem verwandten Beruf; c. fortgesetzt werden, bis der Behinderte die Fertigkeit erworben hat, normalerweise unter den gleichen Bedingungen wie nicht behinderte Arbeitnehmer zu arbeiten, falls er dazu imstande ist.

7. Die Behinderten sollten nach Möglichkeit zusammen mit nicht behinderten Arbeitnehmern und unter denselben Bedingungen wie diese ausgebildet werden, 8. (1) Besondere Einrichtungen sollten für die Berufsausbildung von Behinderten geschaffen oder ausgebaut werden, die namentlich infolge der Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht in Gemeinschaft mit nicht behinderten Arbeitnehmern ausgebildet werden können.

(2) Wo es möglich und geeignet ist, sollten diese Einrichtungen u. a. umfassen: a. Schulen und Ausbildungsstätten, einschliesslich Internate; 1). kurz- und langfristige Sonderlehrgänge zur Ausbildung für besondere Berufe ; c. Fortbildungslehrgänge für Behinderte.

9. Massnahmen sollten getroffen werden, um die Arbeitgeber dazu zu bewegen, für die berufliche Ausbildung der Behinderten zu sorgen; diese Massnahmen sollten den Umständen entsprechend finanzielle, technische, ärztliche oder berufliche Unterstützung umfassen.

10. (1) Für die Arbeitsvermittlung der Behinderten \sollten Massnahmen zur Schaffung von Sonderemrichtungen getroffen werden.

(2) Diese Vorkehrungen sollten mittels folgender Masanahmen eine befriedigende Vermittlung gewährleisten : a. Vormerkung der Arbeitsuchenden; 6. Erfassung ihrer beruflichen Fähigkeiten, ihrer Berufserfahrung und ihrer Neigungen ;

916 c.

· d.

e.

/, g.

a.

b.

eine Aussprache mit den Arbeitsuchenden im Hinblick auf ihre Beschäftigung; nötigenfalls Ermittlung ihrer körperlichen und beruflichen Eignung; Einwirkung auf die Arbeitgeber, der zuständigen Stelle freie Arbeitsplätze anzuzeigen ; nötigenfalls Fühlungnahme mit den Arbeitgebern, um ihnen die beruflichen Fähigkeiten der Behinderten darzulegen und um diesen einen Arbeitsplatz zu verschaffen; Unterstützung der Behinderten, damit sie von den erforderlichen Einrichtungen der Berufsberatung, der Berufsausbildung sowie allen sonstigen medizinischen und sozialen Einrichtungen Gebrauch machen können.

11. Es sollten Massnahmen zur Nachprüfung getroffen werden, um festzustellen, ob sich die Arbeitsvermittlung oder die Inanspruchnahme der Ausbildungs- oder Unisclmlungseinrichtuiigen als befriedigend erwiesen hat, und um Grundsätze und Verfahren der Arbeits- und Berufsberatung bewerten zu können; um Hindernisse, die einer befriedigenden Anpassung des Behinderten an seine Arbeit entgegenstehen, nach Möglichkeit beseitigen zu können.

IV. Organisation der Verwaltung

12. Einrichtungen für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung sollten von der zuständigen Stelle oder den zuständigen Stellen nach einem fortlaufenden und aufeinander abgestimmten Programm organisiert und ausgebaut werden, wobei die vorhandenen Einrichtungen der Berufsberatung, der beruflichen Ausbildung und der Arbeitsvermittlung nach Möglichkeit herangezogen werden sollten.

18. Die zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen sollten dafür sorgen, dass für die berufliche Eingliederung und "Wiedereingliederung und für die Nachprüfung der Ergebnisse ein entsprechend qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl zur "Verfügung steht.

14. Die Entwicklung der Einrichtungen für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung sollte auf alle Fälle mit jener der allgemeinen Einrichtungen der Berufsberatung, Berufsausbildung und Arbeitsvermittlung Schritt halten.

15. Die Einrichtungen für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung sollten derart organisiert und ausgebaut werden, dass den Behinderten auch Gelegenheit gegeben wird, sich darin auf eine selbständige Tätigkeit in irgendeinem Wirtschaftszweig vorzubereiten, diese Tätigkeit auszuüben und beizubehalten.

16. Die verwaltungsmässige Zuständigkeit für die allgemeine Organisation und den Ausbau der Einrichtungen für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung sollte übertragen werden a. entweder einer einzigen Stelle oder

917 l. gemeinsam den für die verschiedenen Aufgaben des Programms zuständigen Stellen, wobei eine Stelle insbesondere mit der Koordinierung betraut wird.

17. (1) Die zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen sollten alle erforderlichen und angezeigten Massnahmen treffen, um die notwendige Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den öffentlichen und privaten Körperschaften, die sich mit der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung befassen, zu gewährleisten.

(2) Diese Massnahmen sollten den Umständen entsprechend umfassen a. die Abgrenzung der Zuständigkeiten nnd Verpflichtungen der öffentlichen und der privaten Körperschaften : b. die Gewährung einer finanziellen Unterstützung an private Körperschaften, die sich praktisch mit der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung befassen; c. die fachliche Beratung privater Körperschaften. · 18. (1) Die Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung sollten mit Hilfe von massgebenden, auf gesamtstaatlicher und, falls zweckmässig, auf regionaler oder örtlicher Ebene gebildeten Beratungsausschüssen geschaffen oder ausgebaut werden.

(2) Diesen Ausschüssen sollten je nach den Umständen angehören: a. Vertreter der an der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung unmittelbar beteiligten Stellen und Körperschaften; fc. Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen; c. Personen, die wegen ihrer Kenntnisse auf dem Gebiete der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten und wegen ihres Interesses für diese Fragen besonders geeignet sind; d. Vertreter von Organisationen der behinderten Personen.

(3) Diese Ausschüsse sollten zuständig sein für die Beratung a. auf gesamtstaatlicher Ebene in bezug auf Gestaltung der Grundsätze und Programme der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung; b. auf regionaler oder örtlicher Ebene in bezug auf die Durchführung der auf gesamtstaatlicher Ebene getroffenen Massnahmen, auf deren Anpassung an regionale und örtliche Verhältnisse und auf die Koordinierung regionaler und örtlicher Tätigkeit.

19. (1) Forschungsarbeiten, die zur Prüfung der von Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung erzielten Ergebnisse und zur Verbesserung dieser Einrichtungen dienen, sollton insbesondere von den zuständigen Stellen gefördert
und angeregt werden.

(2) Die Forschungsarbeiten sollten allgemeine oder besondere Untersuchungen über die Arbeitsvermittlung der Behinderten cinschliessen.

(8) Die Forschungsarbeiten sollten ebenfalls wissenschaftliche Arbeiten über die verschiedenen Techniken und Verfahren einschliessen, die für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung eine Bolle spielen.

918 V. Massnahmen wir Erleichterung des Gebrauchs von Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung durch Behinderte 20. Massnahmen sollten getroffen werden, die es den Behinderten ermöglichen, von den ihnen zur Verfügung stehenden Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung in vollem Umfange Gebrauch zu machen, und die Gewähr bieten, dass eine Stelle mit der Aufgabe betraut wird, jedem Behinderten persönlich bei seiner beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung, soweit wie möglich, behilflich zu sein.

21. Diese Massnahmen sollten umfassen a. die Sammlung und Verbreitung von Auskünften über die vorhandenen Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung und über die Aussichten, welche die Einrichtungen den Behinderten bieten; b. die Gewährung einer angemessenen und ausreichenden finanziellen Unterstützung an Behinderte.

22. (1) Diese finanzielle Unterstützung sollte in jeder Phase des Verfahrens für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung gewährt werden; sie sollte in einer Weise gestaltet sein, die es den Behinderten erleichtert, sich auf die Ausübung einer für sie geeigneten Tätigkeit, einschließlich einer selbständigen Tätigkeit, vorzubereiten und diese praktisch auszuüben.

(2) Sie sollte den kostenlosen Gebrauch der Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung durch die Behinderten, die Gewährung von Unterhaltszuschüssen und nötigenfalls Fahrtkostenerstattung während der gesamten Dauer der beruflichen Vorbereitung auf eine Tätigkeit, Darlehen oder Zuschüsse in Bargeld oder Bereitstellung des erforderlichen Werkzeugs und der nötigen Ausrüstung sowie der Prothesen und sonstigen erforderlichen Behelfe umfassen.

23. Die Behinderten sollten von allen Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung Gebrauch machen können, ohne deswegen ihre übrigen, anderswie erworbenen Leistungsansprüche auf dem Gebiete der Sozialen Sicherheit zu verlieren, 24. Wohnen Behinderte in Gegenden, in denen die Beschäftigungsaussichten begrenzt oder die Möglichkeiten für die Vorbereitung auf die Ausübung einer Tätigkeit beschränkt sind, so sollten sie alle Erleichterungen einschliesslich der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung geniessen, um sich auf eine Beschäftigung vorzubereiten;
auch sollten sie auf ihren Wunsch in Gegenden mit grösseren Beschäftigungsmöglichkeiten umgesiedelt werden. können.

25. Behinderte (einschliesslich der Invalidenrentenempfänger) sollten wegen ihrer Behinderung in bezug auf Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen nicht unterschiedlich behandelt werden, soweit sie Arbeit leisten, die derjenigen nicht behinderter Arbeitnehmer gleichwertig ist.

919 VI. Die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen für ärztliche Betreuung und den Einrichtungen der beruflicheil Eingliederung und Wiedereingliederung 26. (1) Zwischen den Stellen, die mit der ärztlichen Behandlung der Behinderten betraut sind, und den Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung sollte die engste Zusmmenarbeit bestehen, und ihre Tätigkeit sollte weitestgehend aufeinander abgestimmt werden.

(2) Zweck dieser Zusammenarbeit und Koordinierung ist, o. dafür zu sorgen, dass durch ärztliche Behandlung und nötigenfalls durch Bereitstellung von geeigneten prothetischen Behelfen die spätere berufliche Verwendbarkeit der Behinderten erleichtert wird und ihre Beschäftigungsaussichten erhöht werden; b. die Ermittlung der Behinderten zu erleichtern, die eine berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung benötigen und sich dafür eignen; c. dafür zu sorgen, dass die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung möglichst früh und im günstigsten Zeitpunkt eingeleitet wird; d. nötigenfalls ärztlichen Bat auf allen Stufen der Eingliederung und Wiedereingliederung zu erteilen; e. die Arbeitsfähigkeit der Behinderten zu ermitteln.

27. Die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung sollte, vorbehaltlich des ärztlichen Urteils, wenn immer möglich, während der ärztlichen Behandlung einsetzen.

VII. Massnahmen zur Erweiterung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte 28. In enger Zusammenarbeit mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sollten Massnahmen getroffen werden, um die Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte, soweit wie möglich, zu erweitern und um ihnen zu gestatten, eine Beschäftigung zu finden und beizubehalten.

29. Diese Massnahmen sollten auf folgenden Grundsätzen beruhen: a. Behinderten sollte die gleiche Möglichkeit wie nicht behinderten Personen geboten werden, der Beschäftigung nachzugehen, für die sie befähigt sind; b. die Behinderten sollten jede Möglichkeit haben, eine angemessene Beschäftigung bei einem Arbeitgeber ihrer Wahl anzunehmen; c. das Hauptgewicht sollte auf die Eignung und die Arbeitsfähigkeit der Behinderten und nicht auf ihre Behinderung gelegt werden.

80. Die Massnahmen sollten umfassen a. Forschungen zur Analyse und Feststellung der Arbeitsfähigkeit der Behinderten; b. umfassende und laufende Verbreitung
von Tatsachenmaterial, insbesondere über folgende Punkte : i) Vergleich zwischen Behinderten und nicht behinderten Personen, welche die gleiche Arbeit verrichten, im Hinblick auf Arbeitsausführung und -leistung, Unfallhäufigkeit, Fernbleiben von der Arbeit und Beständigkeit bei der Arbeit;

920 ii) Verfahren der Personalauswahl auf Grund bestimmter Anforderungen des Arbeitsplatzes; . · · iii) Verfahren zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, einschliesslich der Anpassung und Abänderung von Maschinen und Werkzeugen, um die Beschäftigung der Behinderten zu erleichtern; c, Vorkehrungen, um die Arbeitgeber einer erhöhten Verpflichtung im Hinblick auf die Versicherungsprämien für die Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zu entheben; a. Vorkehrungen, um die Arbeitgeber zu veranlassen, Arbeitnehmer, deren Arbeitsfähigkeit infolge Beeinträchtigung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit herabgesetzt ist, auf anderen geeigneten Arbeitsplätzen ihres Betriebes zu beschäftigen.

. 31. Wenn es in einem Lande die Verhältnisse und die dort bestehenden Verfahren gestatten, sollte die Beschäftigung der Behinderten durch folgende Massnahmen gefördert werden: a. Einstellung eines Prozentsatzes von Behinderten durch die Arbeitgeber, wobei dafür zu sorgen ist, dass die Entlassung nicht behinderter Personen vermieden wird; b. Beservierung bestimmter Beschäftigungen für Behinderte; c. Vorkehrungen, die es gestatten, Schwerbehinderten in gewissen, ihren Fähigkeiten entsprechenden Berufen Anstellungserleichterungen oder eine Vorzugsstellung einzuräumen; d. Förderung der Gründung von Genossenschaften für Behinderte oder sonstiger ähnlicher, unmittelbar durch Behinderte oder in ihrem Auftrag geleiteter Unternehmungen sowie Gewährung von Erleichterungen für ihren Betrieb.

VIII. Wettbewerbsgeschützte Beschäftigungen 82, (1) Die zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen sollten, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den beteiligten privaten Organisationen, Massnahmen zur Schaffung und zum Ausbau von Einrichtungen zur Ausbildung und zur wettbewerbsgeschützten Beschäftigung für diejenigen Behinderten treffen, welche die normale Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht erlangen können.

(2) Diese Einrichtungen sollten die Schaffung von wettbewerbsgeschützten Werkstätten und besondere Vorkehrungen für Behinderte umfassen, die aus körperlichen oder psychologischen Gründen oder wegen der örtlichen Entfernung nicht regelm ässig den Weg zum Arbeitsplatz und zurück bewältigen können.

33. Die wettbewerbsgeschützten Werkstätten sollten den Behinderten unter · wirksamer ärztlicher und beruflicher
Aufsicht nicht nur eine nützliche und entlohnte Arbeit gewährleisten, sondern auch Möglichkeiten zur Anpassung und zum weiteren Fortkommen im Beruf und, soweit wie möglich, den Übergang zu normaler Beschäftigung.

921 84. Für Behinderte, die ihren Wohnort nicht verlassen können, sollten besondere Vorkehrungen getroffen und durchgeführt werden, um ihnen unter wirksamer ärzthoher und beruflicher Aufsicht eine nützliche und entlohnte Heimarbeit zu gewährleisten.

85. Soweit die Löhne und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer allgemein gesetzlich geregelt sind, sollten sie auch für Behinderte in wettbewerbsgeschützten Beschäftigungen gelten.

IX. Sondervorkehrungen für behinderte Kinder und Jugendliche 36. Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung für behinderte Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter sollten in enger Zusammenarbeit zwischen den Schulbehörden und der zuständigen Stelle oder den zuständigen Stellen für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung geschaffen und ausgebaut werden.

37. Die Lehrpläne sollten die besonderen Probleme, die sich bei behinderten Kindern und Jugendlichen stellen, und die Notwendigkeit berücksichtigen, diesen Kindern und Jugendlichen die gleichen Möglichkeiten wie nicht behinderten Kindern und Jugendlichen zu bieten, die ihrem Alter, ihren Fähigkeiten, Anlagen und Neigungen am besten entsprechende Schul- und Berufsausbildung zu erhalten, 88. Die Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung für behinderte Kinder und Jugendliche sollten es als Hauptaufgabe betrachten, soweit vrie möglich die infolge der Behinderung bestehenden beruflichen und psychologischen Schwierigkeiten zu verringern, und sie sollten den behinderten Kindern und Jugendlichen alle Möglichkeiten zur Vorbereitung für die ihren Fähigkeiten am besten entsprechende und für sie zugängliche Beschäftigung bieten. Die Ausnutzung dieser Möglichkeiten sollte die Zusammenarbeit zwischen den ärztlichen, sozialen und pädagogischen Einrichtungen einerseits und den Eltern oder Vormündern der behinderten Kinder und Jugendlichen andererseits einschliessen, 39. (1) Die Schulausbildung, die Berufsberatung, die Berufsausbildung und die Arbeitsvermittlung behinderter Kinder und Jugendlicher sollten im allgemeinen Eahmen der für nicht behinderte Kinder und Jugendliche bestehenden Einrichtungen durchgeführt werden und, sofern ea möglich und angezeigt ist, unter den gleichen Bedingungen und zusammen mit den nicht behinderten Kindern und Jugendlichen erfolgen.
(2) Für behinderte Kinder und Jugendliche, die wegen ihrer Behinderung die Einrichtungen für nicht behinderte Kinder und Jugendliche nicht mit diesen zusammen und unter denselben Bedingungen benutzen können, sollten besondere Vorkehrungen getroffen werden.

(3) Zu diesen Vorkehrungen sollte insbesondere die pädagogische Sonderausbildung von Erziehern gehören.

922 40. Für Kinder und Jugendliche, bei denen eine ärztliche Untersuchung Gebrechen oder Schwächen oder allgemeine Arbeitsuntauglichkeit feststellt; sollten vorsorgliche Maßnahmen getroffen werden, damit sie a. möglichst rasch die erforderliche Behandlung zur völligen oder teilweisen Behebung ihrer Gebrechen oder Schwächen erhalten; b. zum Schulbesuch angehalten oder auf angemessene, ihren Wünschen und Fähigkeiten entsprechende Beschäftigungen gelenkt und hierzu Ausbildungsmöglichkeiten erhalten ; c. nötigenfalls während der ärztlichen Behandlung und der Schul- und Berufsausbildung finanziell unterstützt werden.

X. Durchführung der Grundsätze für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung 41. (1) Die Einrichtungen der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung sollten den besonderen Erfordernissen und Verhältnissen der einzelnen Länder angepasst und schrittweise gemäss diesen Erfordernissen und Verhältnissen nach den Grundsätzen dieser Empfehlung ausgebaut werden.

(2) Dieser schrittweise Ausbau sollte als Hauptziele verfolgen, a. die beruflichen Fähigkeiten der Behinderten zu ermitteln und zu entwickeln; o. ihnen, soweit es die Verhältnisse nur irgendwie gestatten, in möglichst hohem Masse angemessene Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten; c. im Bereiche der Berufsausbildung oder Beschäftigung jede auf die Behinderung zurückzuführende unterschiedliche Behandlung der Behinderten auszuschliessen.

42. Die schrittweise Weiterentwicklung der Einrichtungen für die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung sollte auf Wunsch mit Hilfe des Internationalen Arbeitsamtos gefördert werden a. wenn immer möglich durch Gewährung beratender technischer Hilfe ; b. durch Organisation eines umfassenden internationalen Austausches der Erfahrungen der einzelnen Länder; c. durch jede sonstige Form internationaler Zusammenarbeit zum Zwecke der Ergreifung und Durchführung von Massnahmen, die den Erfordernissen und Verhältnissen der einzelnen Länder entsprechen, einschliesslich der Ausbildung des erforderlichen Personals.

Empfehlung (Nr. 100) betreffend den Schutz der Wanderarbeiter in unterentwickelten Ländern und Gebieten Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am I.Juni 1955 zu ihrer achtunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist,

928 hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Schutz der Wanderarbeiter in unterentwickelten Ländern und Gebieten, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 22. Juni 1955, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend den Schutz der Wanderarbeiter (unterentwickelte Länder), 1955, bezeichnet wird.

I. Begriffsbestimmung und Anwendungsbereich 1. Diese Empfehlung gilt für a. Länder und Gebiete, in denen sich eine Entwicklung von einer Wirtschaftsform der Deckung des notwendigsten Bedarfes zu fortschrittlicheren Wirtschaftsformen vollzieht, die auf Lohnarbeit beruhen und zu vereinzelter und verstreuter Bildung von gewerblichen und landwirtschaftlichen Schwerpunkten führen, wobei diese Entwicklung beträchtliche Wanderungsbewegungen von Arbeitnehmern und bisweilen auch ihrer Familienmitglieder mit sich bringt ; b. Länder und Gebiete, die durch die Wanderungsbewegungen der Arbeitnehmer sowohl auf deren Hin- als auch allenfalls auf deren Bückreise berührt werden, sofern, insgesamt betrachtet, die in diesen Ländern und Gebieten bestehenden Vorkehrungen den Beteiligten während ihrer Reisen geringeren Schutz als die vorliegende Empfehlung bieten; c. Bestimmungsländer und -gebiete dieser Wanderungsbewegungen von Arbeitnehmern, sofern, insgesamt betrachtet, die in diesen Ländern oder Gebieten bestehenden Vorkehrungen den Beteiligten während ihrer Eeisen oder ihrer Beschäftigung geringeren Schutz als die vorliegende Empfehlung bieten.

2. In dieser Empfehlung bezeichnet der Ausdruck «Wanderarbeiter» jeden Arbeitnehmer, der an diesen Wanderbewegungen teilnimmt, sei es, dass er innerhalb der oben in Absatz l, Unterabsatz a, bezeichneten Länder und Gebiete reist, sei es, dass er aus ihnen herkommt und sich in eines der oben in Absatz l, Unterabsätze b und c, bezeichneten Länder und Gebiete begibt oder sie durchreist. Dabei findet dieser Ausdruck sowohl auf den Arbeitnehmer Anwendung, der bereits eine Beschäftigung aufgenommen hat, als auch auf den Arbeitnehmer, der Beschäftigung sucht oder der im Begriffe ist, eine vereinbarte Beschäftigung anzutreten, gleichgültig, ob er ein Stellenangebot oder einen Arbeitsvertrag angenommen hat oder
nicht. Zutreffendenfalls bezieht sich der Ausdruck «Wanderarbeiter» auch auf jeden Arbeitnehmer, der vorübergehend oder endgültig zurückkehrt, gleichgültig, ob während der Dauer seiner Beschäftigung oder nach ihrem Abschluss.

8. Keine Bestimmung dieser Empfehlung darf dahin ausgelegt werden, als berechtige sie jemanden zur Einreise in ein Land oder Gebiet oder zum Auf-

924 enthalt in einem Lande oder Gebiet, es sei denn in Übereinstimmung mit den Einwanderungsgesetzen oder anderen Gesetzen dieses Landes oder Gebietes.

4. Die Bestimmungen dieser Empfehlung finden Anwendung unbeschadet der auf Gesetz, Gewohnheit oder Vereinbarung beruhenden Vorschriften oder Gepflogenheiten, die den Wanderarbeitern günstigere Bedingungen als diese Empfehlung gewährleisten.

5. Jede unterschiedliche Behandlung zum Nachteil der Wanderarbeiter sollte ausgeschlossen werden.

II. Schutz der Wanderarbeiter und ihrer Familienmitglieder während ihrer Hinund Rückreise und vor der Zeit ihrer Beschäftigung 6. (1) Durch innerstaatliche oder durch örtlich geltende Gesetze oder Vorschriften, durch zwischenstaatlicheVereinbarungen oder auf irgend einein anderen Wege sollten Vorkehrungen getroffen werden, um den Schutz der Wanderarbeiter und ihrer Familienmitglieder während ihrer Eeisen vom Abfahrts- zum Beschäftigungsort zu gewährleisten, und zwar im Interesse sowohl der Wanderarbeiter als auch der Länder oder Gebiete, aus denen sie einreisen, innerhalb deren sie reisen oder in die sie sich begeben.

(2) Diese Vorkehrungen sollten umfassen a. sofern es praktisch möglich ist, die Bereitstellung von mechanisierten Beförderungsmitteln zugunsten der Wanderarbeiter und ihrer Familien, einschliesslich der off entheben Personentransportmittel ; b. die Einrichtung von Eaststätten in geeigneten Abständen längs des Eeiseweges, in denen Unterkunft, Verpflegung, Wasser und die unumgängliche erste Hilfe gewährt werden könnten.

7. Es sollten alle notwendigen Vorkehrungen getroffen werden, um den Wanderarbeitern zu ermöglichen, unter angemessenen Bedingungen zu reisen, und zwar dadurch, dass entweder a. in die Vorschriften über die Anwerbung und den Arbeitsvertrag für angeworbene oder angestellte Arbeitnehmer eine Bestimmung aufgenommen wird, die den Anwerber oder ersatzweise den Arbeitgeber dazu verpflichtet, für die Eeisekosten der angeworbenen oder angestellten Arbeitnehmer und gegebenenfalls ihrer Familien aufzukommen, oder b. für Arbeitnehmer, welche die ßeise unternehmen, ohne einen Arbeitsvertrag eingegangen oder ein bestimmtes Stellenangebot angenommen zu haben, Vorkehrungen für eine Herabsetzung der Eeisekosten auf ein Mindestmass getroffen werden.

8. (1) Es sollten Vorkehrungen getroffen werden,
die den Wanderarbeitern eine kostenlose ärztliche Untersuchung bei ihrer Abreise oder zu Beginn der Beschäftigung sowie bei deren Beendigung gewährleisten.

(2) In Gebieten, wo diese doppelte ärztliche Untersuchung, infolge eines Mangels an ärztlichem Personal nicht für alle Wanderarbeiter durchgeführt werden kann, sollte folgenden Wanderarbeitern für die ärztlichen Untersuchungen ein Vorrang eingeräumt werden :

925

a. Wanderarbeitern, die aus Gebieten kommen, in denen ansteckende oder endemische Krankheiten herrschen ; b. Wanderarbeitern, die sich für eine Beschäftigung verpflichtet oder sie ausgeübt haben, mit der besondere Gefahren für ihre Gesundheit verbunden sind; c. Wanderarbeitern, welche die Eeise auf Grund eines besonderen Anwerbungs- oder Anstellungsplans unternehmen.

9. (1) Erachtet die zuständige Stelle nach Anhörung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, wo beide bestehen, eine Eingewöhnungszeit als im Interesse der Gesundheit der Wanderarbeiter erforderlich, so sollte sie diesen Arbeitnehmern und insbesondere denen, die vertraglich angeworben oder verpflichtet sind, unmittelbar vor Aufnahme ihrer Beschäftigung diese Eingewöh:i nungszeit gewähren.

(2) Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit einer Eingewöhnungszeit sollte die zuständige Stelle Klima, Höhenlage und unterschiedliche Lebensbedingungen, unter denen der Wanderarbeiter möglicherweise zu arbeiten hat, berücksichtigen. Erachtet die zuständige Stelle eine Eingewöhnungszeit für notwendig, so sollte sie deren Dauer je nach den örtlichen Verhältnissen festsetzen.

(3) Während der Eingewöhnungszeit sollte der Arbeitgeber die Kosten für angemessenen Unterhalt der Wanderarbeiter und ihrer Familienmitglieder, die befugt sind, sie zu begleiten, übernehmen.

10. Durch entsprechende Vorkehrungen sollte sichergestellt werden, dass die Wanderarbeiter und gegebenenfalls ihre Familien während eines von der zuständigen Stolle nach Anhörung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, wo beide bestehen, festzusetzenden Zeitraumes unter folgenden Umständen das Becht auf Bückkehr in die Heimat haben : a. Wenn der Wanderarbeiter vom Anwerber oder vom Arbeitgeber angeworben oder an den Ort der Beschäftigung gesandt worden ist, sollte seine Heimschaffung an den Ort, an dem er verpflichtet wurde, oder an den Ort erfolgen, von dein er wegen seiner Anstellung fortzog; die Heimschaffung sollte zu Lasten des Anwerbers oder des Arbeitgebers in allen Fällen gehen, in denen i) der Arbeitnehmer während der Beise zum Arbeitsort infolge Krankheit oder Unfalls arbeitsunfähig wird ; ii) der Arbeitnehmer auf Grund einer ärzlichen Untersuchung als arbeitsuntauglich erklärt wird ; iii) der Arbeitnehmer aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grunde nicht
angestellt wird, nachdem er die Beise zum Zweck der Anstellungunternommen hat; iv) die zuständige Stelle feststellt, dass der Arbeitnehmer auf Grund falscher Angaben oder irrtümlich angestellt worden ist oder wegen seiner Anstellung die Beise unternommen hat ; &. wenn der Wanderarbeiter einen Arbeitsvertrag abgeschlossen und vorn Arbeitgeber oder von irgendeiner in dessen Auftrag handelnden Person an Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. II.

64

926 den Ort derBeschäftigung gebracht worden ist, so sollte seine Heimschaffung und die seiner unter den gleichen Umständen dorthin gebrachten Familienmitglieder an den Ort des Vertragsabschlusses oder an den Ort erfolgen, von dem aus er wegen seiner Anstellung die Beise unternommen hat ; die Heimschaffung sollte in allen Fällen zu Lasten des Arbeitgebers gehen, in denen i) die irn Vertrag vereinbarte Dauer des Arbeitsverhältnisses abgelaufen ist; ii) der Vertrag aufgelöst wird, weil dem Arbeitgeber die Erfüllung unmöglich ist; iii) der Vertrag aufgelöst wird, weil dem Arbeitnehmer die Erfüllung infolge von Krankheit oder Unfall unmöglich ist ; iv) der Vertrag durch Übereinkommen zwischen den Parteien aufgelöst wird; v) der Vertrag auf Antrag einer vertragschliossenden Partei aufgelöst wird, vorbehaltlich gegenteiliger Entscheidung der zuständigen Stelle.

11, Die zuständige Stelle sollte wohlwollend die Frage prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen Wanderarbeiter oder ihre Familienmitglieder, die nicht vom Arbeitgeber oder von irgendeiner in seinem Auftrag handelnden Person an den Ort der Beschäftigung gebracht wurden, Anspruch auf Heimschaffung besitzen.

12, Im Falle des Todes des Wanderarbeiters sollten seine Familienmitglieder ein Eecht besitzen auf Heimschaffung an den Ort, an dein der Arbeitnehmer verpflichtet worden ist, oder an den Ort, von dem aus er wegen seiner Anstellung die Eeise unternommen hat; die Heimschaffung sollte je nachdem auf Kosten des Anwerbers oder des Arbeitgebers erfolgen. Dieses Eecht sollte innerhalb eines von der zuständigen Stelle nach Anhörung der Arbeitgeber- und ArbeitnehmerOrganisationen, sofern beide bestehen, festzusetzenden Zeitraumes geltend gemacht werden, a. falls die Beteiligten befugt waren, den Arbeitnehmer an seinen Beschäftigungsort zu begleiten, i) wenn der Tod auf der Reise zum Beschäftigungsort eingetreten ist ; ii) wenn der verstorbene Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber abgeschlossen hatte; b. in anderen Fällen unter den von der zuständigen Stelle nach Absatz 11 oben bezeichneten Uniständen.

13, (1) Den Wanderarbeitern sollte es freistehen, auf die Ausübung des Eechtes auf Heimschaffung zu Lasten des Arbeitgebers zu verzichten. Der Verzicht ist innerhalb eines Zeitraumes und in einer Form zu erklären, die von der zuständigen
Stolle nach Anhörung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, sofern beide bestehen, zu bestimmen sind ; er wir erst nach Ablauf dieses Zeitraumes endgültig.

927 (2) Den Wanderarbeitern sollte es ausserdem freistehen, die Ausübung ihres Kechtes auf Heimschaffung bis zum Ablauf eines von der zuständigen Stelle zu bestimmenden Zeitraumes zu verschieben.

14. Werden von der beteiligten Regierung oder von den beteiligten Begierungen oder in ihrem Namen und Auftrag Musterarbeitsverträge für den Vertragsabschluss zwischen Wanderarbeitern und Arbeitgebern aufgestellt, so sollten, wenn irgend möglich, Vertreter der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, einschliesslich der Vertreter ihrer betreff enden Organisationen, soweit solche bestehen, bezüglich der Bestimmungen dieser Verträge angehört werden.

15. (1) Es sollten Vorkehrungen für eine ordnungsgemässe Arbeitsvermittlung der Wanderarbeiter getroffen werden.

(2) Diese Vorkehrungen sollten gegebenenfalls die Schaffung einer Öffentlichen Arbeitsmarktverwaltung einschhessen, die a. aus einer Zentralstelle für das ganze Land oder Gebiet und aus Zweigstellen in den Gebieten, aus denen Arbeitnehmer gewöhnlich auswandern, und in den Beschäftigungszentren bestehen sollten, so dass Auskünfte über Beschäftigungsmöglichkeiten gesammelt und regelmässig in Gebieten verbreitet werden können, aus denen die Arbeitskräfte im allgemeinen in die Beschäftigungszentren kommen; b. Abmachungen mit den Arbeitsmarktverwaltungen anderer Länder oder Gebiete treffen und aufrechterhalten sollte, in die gewöhnlich die Arbeitnehmer eines bestimmten Gebietes auswandern, um Auskünfte über die dort herrschenden Beschäftigungsmöglichkeiten zu sammeln; c. wo es möglich ist, Einrichtungen zur Berufsberatung schaffen und unterhalten sowie Vorkehrungen treffen sollte, um die allgemeine Eignung der Arbeitnehmer für gewisse Beschäftigungen zu ermitteln; d. überall, wo es möglich ist, sich den Bat und die Mitarbeit der Arbeitgeberund Arbeitnehmerorganisationen bei der Schaffung und der Tätigkeit dieser Verwaltung sichern sollte.

III. Massnahmen, um Wanderungsbewegungen entgegenzuwirken, die soiooid für die Wanderarbeiter als auch für das Gemeimcesen und für das Land ihrer Heimat, als 'unerwünscht eraclitei werden 16. Die allgemeine Politik sollte darauf abzielen, der Abwanderung von Arbeitnehmern, sobald sie als unerwünscht für die Wanderarbeiter und für die Gemeinwesen und Länder, aus denen sie stammen, erachtet wird, durch Massnahmen
entgegenzuwirken, die geeignet sind, in den Gebieten, von denen normalerweise die Abwanderung ausgeht, die Lebensbedingungen zu verbessern und den Lebensstandard zu heben.

17. Die Massnahmen, die zu treffen sind, um die Durchführung der im vorhergehenden Absatz beschriebenen Politik sicherzustellen, sollten umfassen

928 a. in Auswanderungsgebieten die Aufstellung von wirtschaftlichen Aufbauund Berufsausbildungsprogranimen, die eine vollständigere Verwertung der Arbeitskraft und der .vorhandenen natürlichen Hilfsquellen gestatten, und insbesondere die Durchführung aller Massnahmen, die geeignet sind, normalerweise auswanderungswilligen Arbeitnehmern neue Arbeitsplätze und neue Einnahmequellen zu verschaffen; &. in Einwanderungsgebieten die rationellere Verwendung der Arbeitskraft und die Produktivitätssteigerung durch eine bessere Organisation der Arbeit, durch eine bessere Ausbildung der Arbeitnehmer, durch Ausbau der Mechanisierung oder durch andere Massnahmen, je nach don örtlichen Erfordernissen; c. die Beschränkung der Anwerbung in Gebieten, in denen die Abwanderung von Arbeitnehmern unheilvolle Auswirkungen auf den sozialen und wirtschaftlichen Aufbau und auf die Gesundheit, die Wohlfahrt und die Entwicklung der betreffenden Bevölkerung zur Folge haben könnte.

18. Die Eegierungen der Herkunftsländer und -gebiete und der Bestimmungsländer und -gebiete der Wanderarbeiter sollten sich bemühen, einen ständigen Eückgang der Wanderungen von Arbeitnehmern zu erreichen, sofern sie als unerwünscht für die Wanderarbeiter und für die Gemeinwesen und Länder, aus denen sie stammen, erachtet werden und nicht einer Kontrolle unterliegen oder als unkontrollierbar gelten. Solange, die wirtschaftlichen Ursachen für diese unkontrollierbaren Wanderungen weiterbestehen, sollten sich, die beteiligten Eegierungen bemühen, soweit eine derartige Politik möglich und angezeigt ist, sowohl über die freiwilligen Wanderungen als auch über die organisierte Anwerbung eine geeignete Kontrolle auszuüben. Dieser Eückgang und diese Kontrolle könnten durch Massnahmen auf regionaler oder örtlicher Ebene und mit Hilfe zweiseitiger Vereinbarungen erreicht werden.

19. Solange ungeregelte Wanderungen andauern, sollten die beteiligten Eegierungen sich, soweit wie möglich, bemühen, den unter diesen Umständen auswandernden Arbeitnehmern den Schutz dieser Empfehlung zu sichern.

IV, Schutz der Wanderarbeiter während der Dauer ihrer Beschäftigung A. Allgemeine Politik 20. Es sollte alles unternommen werden, um den Wanderarbeitern ebenso günstige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, wie sie die übrigen Arbeitnehmer in denselben Beschäftigungen
auf Grund von Gesetz oder Gepflogenheit besitzen, und um auf. sie, gleich wie auf die übrigen Arbeitnehmer, die Schutznormen der folgenden Absätze dieser Empfehlung anzuwenden. .

B. U n t e r k u n f t 21. Die Vorkehrungen für die Unterbringung der Wanderarbeiter sollten Massnahmen umfassen, durch die diesen Arbeitnehmern entweder zu Lasten des

929 Arbeitgebers oder durch eine geeignete finanzielle Hilfe oder auf irgendeine andere Weise eine anerkannten Eichtlinien entsprechende Unterkunft geboten wird, und zwar gegen Zahlung einer im Verhältnis zum Lohn der verschiedenen Arbeitnehmerkategorien angemessenen Miete.

22. Die zuständige Stelle sollte damit betraut werden, den Wanderarbeitern befriedigende Wohnverhältnisse zu gewährleisten, Ausserdem sollte sie für die Unterkunft Mindestnormen festsetzen und eine strenge Kontrolle über deren Beachtung ausüben. Die zuständige Stelle sollte ebenfalls die Eechte der Arbeitnehmer festlegen, die bei Aufgabe ihrer Beschäftigung ihre Unterkunft zu räumen haben, und alle notwendigen Massnahmen ergreifen, um die Beachtung dieser Éechte zu gewährleisten.

C. Löhne 23. (1) Es sollten Vorkehrungen zur Festsetzung -der Löhne der Wanderarbeiter getroffen werden.

(2) Diese Vorkehrungen sollten umfassen a. die Aufstellung von abgestuften Mindestlohnsätzon, die so berechnet sind, dass der niedrigste Satz, einschliesslich aller Zulagen, einen Wanderarbeiter, der mit einer ungelernten Arbeit anfängt, in die Lage versetzt, wenigstens seine Mindestbedürfnisse nach den in dem Gebiet geltenden Maßstäben und unter Berücksichtigung normaler Familienlasten zu decken; &.. die Festsetzung von Mindestlöhnen in regelmässigen Zeitabständen i) durch Gesamtarbeitsverträge, die zwischen den massgebenden beteiligten Arbeitnehmerorganisationen und den Arbeitgebern oder den beteiligten Arbeitgeberorganisationen frei vereinbart werden, oder ü) durch die zuständige Stelle nach dem oben in Unterabsatz a dargelegten Grundsatz, falls keine angemessenen Verfahren für die Festsetzung der Mindestlohnsätze durch Gesaratarbeitsverträge bestehen.

24. Wo es sachdienlich ist, sollte die zuständige Stolle für die Lohnfestsetzung die vorhandenen Ergebnisse von Untersuchungen über Lebenshaltungsausgaben des Familienhaushaltes in dem betreffenden Gebiet berücksichtigen, wobei derartige Untersuchungen in Zusammenarbeit mit den massgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen durchgeführt werden sollten.

25. Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, soweit solche bestehen, oder, wenn dies nicht der Fall ist, Vertreter der beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sollten in gleicher Anzahl und gleichberechtigt an der
Durchführung des vorgeschriebenen Verfahrens zur Festsetzung der Mindestlohnsätze mitarbeiten.

26. Die geltenden Mindestlohnsätze sollten den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern bekanntgegeben werden. Werden sie nach den Vorschriften des Absatzes 23, Unterabsatz 26, ii), festgesetzt, so sollten sie für beide Teile verbindlich sein und nicht "durch Vereinbarung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne ausdrückliche Genehmigung der zuständigen Stelle herabgesetzt werden können.

930 27. Die Arbeitgeber sollten verpflichtet sein, Verzeichnisse anzulegen, die für jeden Arbeitnehmer die Lohnzahlungen und Lohnabzüge angeben. Die Beträge der Lohne und der Abzüge sollten den beteiligten Arbeitnehmern bekanntgegeben werden.

28. Lohnabzüge sollten nur unter den Bedingungen und in den Grenzen zugelassen werden, die von der-innerstaatlichen Gesetzgebung vorgeschrieben oder durch einen Gesamtarbeitsvertrag oder Schiedsspruch bestimmt sind.

29. Die Löhne sollten normalerweise unmittelbar jedem Arbeitnehmer in gesetzlichen. Zahlungsmitteln ausgezahlt werden.

80. Die Löhne sollten regelmässig und in Zeitabständen ausgezahlt werden, die geeignet sind, die Gefahren einer Verschuldung der Lohnempfänger auf ein Miudestmass herabzusetzen, es sei denn, dass der Ortsgebrauch dieser Massnahme entgegensteht und die zuständige Stelle sich durch Anfrage bei den Arbeitnehmervertretern oder ihren massgebenden Organisationen darüber vergewissert hat, dass die Arbeitnehmer diesen Ortsgebrauch beizubehalten wünschen.

31. Die teilweise oder völlige Abgeltung der Löhne durch Alkohol oder durch gesundheitsschädliche Erzeugnisse sollte verboten sein.

32. Die Lohnzahlung in Schankstätten oder Läden sollte verboten sein, ausser für Arbeitnehmer, die dort beschäftigt sind, 33. Die Arbeitgeber sollten gehalten sein, Vorschüsse an Arbeitnehmer auf einen geringfügigen Teil des monatlichen Entgeltes zu beschränken.

34. Ein Vorschuss, der über den von der zuständigen Stelle festgesetzten Betrag hinaus gewährt wird, sollte gesetzlich nicht durch Einbehaltung von künftig den Arbeitnehmern zustehenden Beträgen oder auf andere Weise eintreibbar sein. Zinsen sollten für Vorschüsse nicht berechnet werden.

35. Jeder Arbeitnehmer, für den Mindestlohnsätze gelten und der seit ihrem Inkrafttreten niedrigere Löhne als die Mindestlohnsätze erhalten hat, sollte berechtigt sein, auf gerichtlichem Wege oder auf anderen gesetzlichen Wegen die Zahlung des geschuldeten Eestbetrages innerhalb einer von der Gesetzgebung zu bestimmenden Frist zu erreichen.

36. Bilden Verpflegung, Unterkunft, Bekleidung und andere wesentliche Leistungen und Dienste einen Bestandteil des Entgeltes, so sollte die zuständige Stelle in Zusammenarbeit mit den massgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen alle Massnahmen treffen, um zu
erreichen, dass diese Leistungen angemessen sind, dass ihr Geldwert genau berechnet wird und dass die Sachleistungen wertmässig nicht einen bestimmten, von der zuständigen Stelle festzusetzenden Prozentsatz des Grundbarlohnes übersteigen.

D. Uneingeschränkte Zulassung zur Facharbeit 37. Grundsätzlich sollten allen Bevölkerungsteilen, einschliesslich der Wanderarbeiter, die gleichen Berufsmöglichkeiten offen stehen.

38. Vorbehaltlich der Anwendung innerstaatlicher Einwanderungsgesetze und besonderer Gesetze über die Beschäftigung von Ausländern in öffentlichen

931 Ämtern sollten alle Schranken, welche die Zulassung eines Teiles der Bevölkerung, einschliesslich der Wanderarbeiter, zu gewissen Arbeits- oder Beschäftigungsarten wegen ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer Easse, ihrer Farbe, ihres Glaubens, ihrer Stammeszugehörigkeit oder ihrer gewerkschaftlichen Bindung verhindern oder begrenzen, als der Kechtsordnung zuwiderlaufend betrachtet und der Grundsatz ihrer Abschaffung angenommen werden.

89. Es sollten unverzüglich Massnahmen getroffen werden, um in der Praxis die Durchführung der in den Absätzen 37 und 38 dieser Empfehlung aufgestellten Grundsätze zu gewährleisten und um eine steigende Beteiligung der am wenigsten begünstigten Arbeitnehmerkategorien an der Facharbeit zu fördern.

40. Diese Massnahmen sollten insbesondere umfassen a. Vorkehrungen in allen Ländern und Gebieten, um allen Arbeitnehmern zu gestatten, gleichberechtigt zur fachlichen und beruflichen Ausbildung zugelassen zu werden, und die Gewährung von gleichen Zulassungsmöglichkeiten für alle Arbeitnehmer zu Beschäftigungen in neu gegründeten gewerblichen Betrieben; fc. in Ländern und Gebieten, in denen sich getrennte Klassen auf Grund verschiedener Abstammung oder Bässen dauernd gebildet haben, die Schaffung von Erleichterungen, die es den Arbeitnehmern der am wenigsten bevorzugten Klasse gestatten, zu Anlern- oder Fachberufen Zugang zu finden ; c. in Ländern und Gebieten, in denen sich getrennte Klassen auf Grund verschiedener Abstammung oder Bässen noch nicht dauernd gebildet haben, die Gewährung gleicher Zulassungsmöghchkeiten zu jeder Facharbeit.

E. G e w e r k s c h a f t l i c h e Tätigkeit 41. Den Wanderarbeitern sollte in den Beschäftigungszentren das Vereinigungsrecht und das Becht auf freie Ausübung jeder nicht gesetzeswidrigen gewerkschaftlichen Tätigkeit zuerkannt werden, und es sollten alle geeigneten Massnahmen getroffen werden, um den Gewerkschaften, welche die beteiligten Arbeitnehmer vertreten, das Recht zum Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen mit Arbeitgebern oder mit Verbänden der Arbeitgeber zu gewährleisten.

F. Versorgung mit Verbrauchsgütern 42. (1) Es sollten Massnahmen getroffen werden, um die Versorgung der Wanderarbeiter und ihrer Familien mit Verbrauchsgütern, namentlich mit Lebensmitteln und besonders wichtigen Erzeugnissen, zu angemessenen Preisen und in
ausreichender Menge sicherzustellen.

(2) Wenn möglich, sollte den Wanderarbeitern vom Arbeitgeber oder von der zuständigen Stelle anbaufähiges Land zur Verfügung gestellt werden.

43. Erweist sich die Bildung von Genossenschaften als nützlich, so sollten Vorkehrungen für ihre Entwicklung getroffen werden; diese sollten umfassen a. wenn möglich, die Anlage von Tierzuchtfarmon, Fischteichen und Gemüsegärten auf genossenschaftlicher Grundlage;

932

b. die Eröffnung von Detailhandelsgeschäften, die von Genossenschaften der Arbeitnehmer betrieben werden ; c. staatliche Unterstützung durch Ausbildung von Genossenschaftsmitgliedern, durch Überwachung der von diesen ausgeübten Verwaltungstätigkeit und durch Aufstellung von Bichtlinien für ihr Wirken.

44. (1) Sind den Betrieben Verkaufsläden angeschlossen, so sollte in ihnen lediglich Barzahlung zulässig sein..

;(2) Gestatten die örtlichen Verhältnisse noch nicht die Durchführung der oben erwähnten Massnahme, so sollte der den Wanderarbeitern gewährte Kredit auf einen von der zuständigen Stelle festzusetzenden Prozentsatz des Lohnes und auf eine bestimmte, möglichst kurze Zeitdauer beschränkt werden. Die Verrechnung mit Arbeitsleistungen und die Berechnung von Zinsen für den Kreditbetrag sollten verboten sein.

-(8) Es sollte keinerlei Zwang auf die Wanderarbeiter ausgeübt werden, diese Verkaufsläden zu benutzen.

(4) Sind andere Verkaufsläden nicht erreichbar, so sollte die zuständige Stelle geeignete Massnahmen treffen, um zu erreichen, dass die Waren zu gerechten und angemessenen Preisen verkauft werden und dass die vom Arbeitgeber eröffneten Läden nicht zu Gowinnzwecken, sondern im Interesse der beteiligten Arbeitnehmer betrieben werden.

G. Soziale Sicherheit, Betriebssicherheit und Arbeitshygiene 45. Die für Wanderarbeiter zu treffenden Vorkehrungen sollten auf jeden Fall in erster Linie geeignete Massnahmen für die Verhütung und Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, für ärztliche Betreuung der Arbeitnehmer und ihrer Familien und für die Arbeitshygiene umfassen, wobei keine unterschiedliche Behandlung auf Grund von Staatsangehörigkeit, Easse oder Keligion erfolgen darf.

46. Diese Vorkehrungen sollten umfassen a. ärztliche Überwachung, je nach den örtlichen Möglichkeiten, durch regelmässige Untersuchungen während der Beschäftigung und im Falle von Krankheit ; fr. Erste Hilfe, kostenlose ärztliche Behandlung und eine Krankenhauspflege, die nach den von der zuständigen Stelle aufzustellenden Eichtlinien zu gewähren sind ; c. Verfahren für die Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; d. geeignete Unterstützungsmassnahmen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; e. Massnahmen zum Schutze der Gesundheit und Sicherheit der Wanderarbeiter am Arbeitsplatz; /. Massnahmen zur Anzeige von Arbeitsunfällen und zur Aufklärung ihrer Ursachen;

933 g. die Verpflichtung des Arbeitgebers, durch Anschläge, Personalbesprechungen oder auf andere Art und Weise die Wanderarbeiter auf alle gefährlichen oder gesundheitsschädlichen Seiten ihrer Arbeit aufmerksam zu machen; h. besondere oder zusätzliche Ausbildung oder Unterweisung der Wanderarbeiter in Unfallverhütung und über Gefahren, welche die Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz beeinträchtigen können, wenn sich für diese Arbeitnehmer wogen mangelnder Kenntnis der Arbeitsverfahren oder wegen sprachlicher Schwierigkeiten oder aus anderen Gründen die normalerweise den übrigen Arbeitnehmern des Landes oder Gebietes erteilte Ausbildung oder Unterweisung als ungeeignet erweist; i. Massnahmen für die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Förderung von Sicherheitsmassnahmen ; j. besondere Massnahmen für den gesundheitlichen und sozialen Schutz der Ehefrau und der Kinder, die mit dem Wanderarbeiter zusammenleben.

47. Können Wanderarbeiter bezüglich des Versicherungsschutzes bei Invalidität, Alter und Todesfall nicht dieselbe Behandlung wie die übrigen Arbeitnehmer gemessen, so sollten, soweit dies möglich und angezeigt ist, Massnahmen in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern zur Gründung von Hilfsvereinen auf Gegenseitigkeit und von Betriebs-Hilfskassen getroffen werden, um für die Bedürfnisse der Wanderarbeiter bei Invalidität, Alter und im Todesfall zu sorgen ; diesen Massnahmen fiele die Aufgabe zu, eine allgemeine Eegelung auf örtlicher, regionaler oder territorialer Ebene vorzubereiten.

H. Die Beziehungen der W a n d e r a r b e i t e r zu ihren H e r k u n f t s gebieten 48. Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, um es den Wanderarbeitern zu ermöglichen, die Verbindung mit ihren Familien und ihren Herkunftsgebieten aufrechtzuerhalten ; diese Vorkehrungen sollten umfassen a, die erforderlichen Erleichterungen für freiwillige Geldüberweisungen an Familienmitglieder des Wanderarbeiters, die in seinem Herkunftsgebiet oder anderswo geblieben sind, sowie, im Einverständnis mit dem Wanderarbeiter, für die Eröffnung eines Sparguthabens, das beim Ablauf des Arbeitavertrages oder bei seiner Bückkehr nach Hause oder unter sonstigen mit ihm vereinbarten Umständen auszuzahlen ist; 6. Erleichterungen für den Briefwechsel zwischen den Wanderarbeitern, ihren Familien und ihren
Herkunftsgebieten; c. Erleichterungen, die es dem Wanderarbeiter gestatten, gegenüber der Allgemeinheit in der Heimat die herkömmlichen Verpflichtungen zu erfüllen, denen er nachzukommen wünscht.

I. Materielles, geistiges und s i t t l i c h e s Wohlergehen der Wanderarbeiter 49. Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, um das materielle, geistige und sittliche Wohlergehen der Wanderarbeiter zu gewährleisten, insbesondere

934

a. Vorkehrungen zur Förderung des Sparwillens; b. Vorkehrungen zum Schutze des Wanderarbeiters gegen Wucher, insbesondere durch Massnahmen zur Herabsetzung dés Zinsfusses für Darlehen, durch Überwachung der Geschäfte der Geldgeber und durch Förderung von Einrichtungen zur Darlehensgewährung für geeignete Zwecke mit Hilfe von genossenschaftlichen Kreditorganisationen oder mit Hilfe von Einrichtungen, die der Aufsicht der zuständigen Stelle unterstehen; c. wo immer es möglich ist, die Bereitstellung von Fürsorgern in den Einwanderungsgebieten, die für das Wohlergehen der Wanderarbeiter verantwortlich und mit ihren Mundarten und Bräuchen vertraut sind und die Aufgabe haben, den Wanderarbeitern und ihren Familien die Anpassung an ihre neue Lebensweise zu erleichtern; d. Vorkehrungen, um für die Kinder der Wanderarbeiter Einrichtungen für den Unterricht bereitzustellen; e. Erleichterungen, die den Wanderarbeitern die Befriedigung ihrer geistigen und religiösen Bedürfnisse ermöglichen.

V. Sesshaftmachung der Wanderarbeiter 50. Mit Ausnahme der Fälle, in denen die dauernde Niederlassung der Wanderarbeiter offenbar ihrem Interesse und dem ihrer Familien oder dem Interesse der Wirtschaft der beteiligten Länder und Gebiete zuwiderläuft, sollte die allgemeine Politik dahin gehen, die Sesshaftmachung der Arbeitnehmer und ihrer Familien in den Beschäftigungszentren oder in ihrer Nähe durch alle geeigneten Massnahmen und insbesondere durch diejenigen anzustreben, die in Teil IV sowie in den Absätzen 51, 52 und 53 dieser Empfehlung angegeben werden.

51. Wie dies bereits Absatz 3 dieser"Empfehlung besagt, darf keine Bestimmung dieser Empfehlung dahin ausgelegt werden, als ermächtige sie jemanden zur Einreise in ein Land oder Gebiet oder zum Aufenthalt in einem Land oder Gebiet, es sei denn in Übereinstimmung mit den Einwanderungsgesetzen oder anderen Gesetzen dieses Landes oder Gebietes. Steht indessen dieses Vorgehen " nicht im Widerspruch zur Politik des betreffenden Landes, so sollte die zuständige Stelle die Möglichkeit in Betracht ziehen, Wanderarbeitern, die sich seit mindestens fünf Jahren im Einwanderungsland niedergelassen haben, alle Erleichterungen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Einwanderungslandes zu gewähren.

52. (1) Erweist sich eine dauernde Niederlassung von Arbeitnehmern am
Beschäftigungsort oder in dessen Nähe als möglich, so sollten Vorkehrungen zur Förderung ihrer dauernden Ansiedlung getroffen werden.

(2) Diese Vorkehrungen sollten umfassen a. die Förderung der Anwerbung von Wanderarbeitern, die von ihren Familien begleitet werden;

985 b. soweit es durchführbar und angezeigt erscheint, die Gewährung von Erleichterungen für die Errichtung geeigneter Gemeinschaftseinrichtungeil am Beschäftigungsort oder in dessen Nähe; c. die Bereitstellung von Unterkünften, die anerkannten Eichtlinien entsprechen, zu angemessenen Preisen, um die dauernde Ansiedlung von Familien zu fördern ; d. soweit durchführbar und angezeigt, die Zuteilung ausreichenden Landes an die Wanderarbeiter für die Erzeugung von Nahrungsmitteln ; e. bei Fehlen von geeigneteren Erleichterungen und soweit durchführbar und angezeigt, die Gründung von Dörfern oder Siedlungen für im Buhestand lebende Wanderarbeiter an Orten, an denen sie zu ihrem eigenen Lebensunterhalt beitragen können.

VI, Durchfülirung der Empfehlung 53. Die zuständige Stelle sollte Massnahmen treffen, damit die in Betracht kommenden Verwaltungsstellen in Zusammenarbeit mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, sofern beide bestehen, die Durchführung der in dieser Empfehlung behandelten Massnahmen zum Schutze der Wanderarbeiter überwachen.

54. Insbesondere in Fällen, in denen die Wanderarbeiter mit den Beschäftigungsbedingungen, der Sprache, den Bräuchen und der Währung des Gebietes, in dem sie beschäftigt sind, nicht vertraut sind, sollten die in Betracht kommenden Verwaltungsstellen die Einhaltung der für den Abschluss der Arbeitsverträge geltenden Formvorschriften in einer Weise sicherstellen, die Gewähr dafür bietet, dass jeder Arbeitnehmer die Beschäftigungsbedingungen, die Vertragsbestimmungen und die Einzelheiten bezüglich Satz und Zahlung seines Lohnes richtig verstanden und freiwillig in voller Kenntnis der Sachlage diese verschiedenen Bedingungen angenommen hat, 55. Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation sollte dem Internationalen Arbeitsamt in regelmässigen, vom Verwaltungsrat festzusetzenden Zeitabständen über den Stand der Gesetzgebung und der Praxis in den Ländern und Gebieten, für die es bezüglich der Fragen dieser Empfehlung verantwortlich ist, Bericht erstatten. Diese Berichte sollten näher ausführen, inwieweit alle Bestimmungen dieser Empfehlung durchgeführt wurden oder durchgeführt werden sollen, unter Angabe der Bestimmungen, deren Abänderung notwendig erscheint odor notwendig erscheinen könnte, um ihre Annahme oder Durchführung zu ermöglichen.

56. Jedes
Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, dem ein ausserhalb des Mutterlandes gelegenes Gebiet untersteht, sollte alle unter seine Zuständigkeit fallenden geeigneten Massnalunen treffen, um in diesem Gebiet die wirksame Durchführung der in dieser Empfehlung aufgeführten Mindestnormen zu gewährleisten, und insbesondere die Empfehlung der für die Verwirklichung dieser Mindestnormen in dem betreffenden Gebiet zuständigen Stelle oder den hierfür zuständigen Stellen unterbreiten.

986 Beilage 2

Neununddreissigste Tagung der

Internationalen Arbeitskonferenz (Genf, 6--28. Juni 1956) Die nachstehend abgedruckten deutschen Texte bilden die in Übereinstimmung mit Artikel 42 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz angefertigten offiziellen Übersetzungen der französischen und englischen Urtexte.

Empfehlung (Nr. 101) betreffend die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1956 zu ihrer neununddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft, eine Präge, die den vierten Gegenstand der Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 26. Juni 1956, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die berufliche Ausbildung (Landwirtschaft), 1956, bezeichnet wird.

Die Konferenz stellt fest, dass die Internationale Arbeitskonferenz auf ihrer dritten Tagung die Empfehlung betreffend den beruflichen Unterricht (Landwirtschaft), 1921, angenommen hat, die jedes Mitglied aufforderte, den beruflichen Unterricht in der Landwirtschaft zu fördern und besonders den landwirt. schafthchen Lohnarbeitern unter denselben Bedingungen zugänglich zu machen wie allen anderen in der Landwirtschaft beschäftigten Personen.

Sie geht davon aus, dass die Internationale Arbeitskonferenz die Frage der beruflichen Ausbildung im allgemeinen eingehend geprüft und insbesondere die Empfehlung betreffend die berufliche Ausbildung, 1939, sowie die Empfehlung betreffend die berufliche Ausbildung (Erwachsene), 1950, angenommen hat.

Sie zieht in Betracht, dass der Ständige Ausschuss für Landwirtschaft der Internationalen Arbeitsorganisation die besonderen Gesichtspunkte der beruflichen Ausbildung in der Landwirtschaft untersucht und entsprechende Vorschläge ausgearbeitet hat.

937 Sie vertritt die Auffassung, dass die Mitglieder geeignete Systeme der beruflichen Ausbildung in der Landwirtschaft schaffen oder ausbauen sollten.

Die Konferenz empfiehlt den Mitgliedern, die folgenden Bestimmungen anzuwenden, sobald t-s die Verhältnisse in ihrem Lande gestatten, und dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die zu ihrer Verwirklichung getroffenen Massnahmen zu berichten, I. Grundsätze und Ziele der Ausbildung 1. In jedem Lande sollten die Behörden, andere geeignete Stellen oder beide gemeinsam dafür sorgen, dass die berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft nach einem wirksamen, zweckmässigen, systematischen und abgestimmten Plan festgelegt und durchgeführt wird, 2. (1) Die Ziele der beruflichen Ausbildung in der Landwirtschaft sollten in jedem Lande deutlich umschrieben werden, wobei insbesondere die Notwendigkeit hervorzuheben ist, a. Männern und Frauen der verschiedenen landwirtschaftlichen Kategorien (Ungelernte, Angelernte und Facharbeiter, Verwalter, Betriebsleiter und Hausfrauen) die für die Ausübung ihres Berufes notwendigen Fertigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, ihnen die soziale Bedeutung ihrer Arbeit . zum Bewusstsein zu bringen und in der breiten Öffentlichkeit das Verständnis für die Bedeutung des landwirtschaftlichen Berufes zu festigen; fr. Land und andere natürliche Hilfsquellen sowie Arbeitskräfte und Kapital in der Landwirtschaft besser zu nutzen; c. für die Pflege des Bodens und der sonstigen landwirtschaftlich wichtigen natürlichen Hilfsquellen zu sorgen; d. den Nutzeffekt der Arbeit, die Gesaraterzeugung und die Erträge in der Landwirtschaft zu steigern, die Qualität und Aufbereitung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse sowie gegebenenfalls deren Verarbeitung im Betriebe selbst zu verbessern, um auf diese Weise ihren Absatz zu erleichtern und insbesondere den Stand der Ernährung zu heben ; e. Einkommen und Lebensstandard zu erhöhen, Arbeitsbedingungen, Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten in der Landwirtschaft zu verbessern, um so zur Herstellung des in dieser Hinsicht fehlenden Gleichgewichts zwischen der Landwirtschaft und den anderen Berufen beizutragen ; /. die Mechanisierung, soweit angezeigt, zu fördern, die Sicherheit der landwirtschaftlichen Arbeit zu erhöhen und die Verrichtung der
landwirtschaftliehen Arbeiten zu erleichtern, insbesondere für Frauen und Kinder; g. auf dem Arbeitsmarkt ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Landwirtschaft und den übrigen Wirtschaftszweigen herzustellen; h. für eine geeignete Berufsberatung der Jugendlichen auf dem Lande zu sorgen ;

988 i. soweit angezeigt, Jugendliche in genügender Zahl den verschiedenen landwirtschaftlichen Berufen zuzuführen; j. die Probleme der saisonbedingten Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung in der Landwirtschaft zu lösen; k. das Missverhältnis zwischen dem in der landwirtschaftlichen Produktion erreichten technischen Fortschritt und seiner praktischen Anwendung zu beseitigen; : !.. die ländlichen Lebensverhältnisse im allgemeinen zu verbessern und die Freude am landwirtschaftlichen Beruf zu erhöhen.

(2) Zur Erreichung dieser Ziele müsste die Berufsausbildung die Auszubildenden mit den zweckmässigen Arbeitsverfahren und -methoden vertraut machen, ihre Urteilsfähigkeit entwickeln, sie gegebenenfalls in der landwirtschaftlichen Arbeitsplanung unterweisen und sie die Grundsätze und Methoden der landwirtschaftlichen Betriebsführung lehren. Die berufliche Ausbildung sollte stufenweise der Aufnahmefähigkeit der landwirtschaftlichen Bevölkerung angepasst werden und sich dabei insbesondere nach dem Stande ihrer wirtschaftlichen und sozialen"Entwicklung richten; sie sollte so gestaltet sein, dass die Landbevölkerung nach Möglichkeit schliesslich eine im wesentlichen, wenn auch nicht im einzelnen, gleichwertige Erziehung und Ausbildung wie die Stadtbevölkerung erhalten kann.

II. Anwendungsbereich der Ausbildung 3. (1) Das berufliche Ausbildungsprogramm in der Landwirtschaft sollte die gesamte landwirtschaftliche Bevölkerung erfassen, ungeachtet ihrer Basse, Beligion, Staatsangehörigkeit oder ihres Geschlechts und ohne Bücksicht auf ihr Bechtsverhältnis zu Grund und Boden, so z. B. angehende und im Beruf befindliche Landwirte und Landarbeiter, einschliesslich der Saisonarbeiter, der Landfrauen und derjenigen Arbeitskräfte, die in eng mit der Landwirtschaft verbundenen Berufen tätig sind.

(2) Der Umfang dieses Ausbildungsprogramms kann nach Bedarf im Anfangsstadiuna und in unterentwickelten Ländern beschränkt werden auf Personen, die von dem vorhandenen Lehrpersonal am besten erreicht und unterwiesen werden können, sowie auf Gebiete und Personengruppen, für welche die Ausbildung am notwendigsten ist und den grössten Erfolg verspricht.

(8) In unterentwickelten Gebieten mit mangelnden Ausbildungsmöglichkeiten sollte in erster Linie ein befähigtes, der landwirtschaftlichen Umwelt Verständnis und Liebe
entgegenbringendes Lehr- und Ausbildungspersonal herangebildet werden, das möglichst über eigene landwirtschaftliche Lebens- und Arbeitserfahrungen verfügt.

(4) Selbst wenn dieses Lehr- und Ausbildungspersonal nicht zur Verfügung steht, sollte jede mögliche Unterstützung gewährt werden, um Ausbildungsmöglichkeiten in bäuerlichen Betrieben oder in Grossbetrieben zu schaffen, deren Leitung hinreichend befähigt ist, die praktische Ausbildung zu übernehmen.

989 4. (1) In unterentwickelten Ländern sollte der Unterricht im Lesen und Schreiben den Vorrang haben. "Vor der fachlichen Ausbildung in Schulen oder Hand in Hand mit ihr sollte in der Eegel eine allgemeine Schulung stattfinden, die einen Unterricht in grundlegenden Fächern nach den anerkannten Massstaben der betreffenden Länder umfasst. Wird Fachunterricht im Rahmen des Schulpensums erteilt, so sollte die allgemeine Schulung dem Fachunterricht nicht nur voraus, sondern damit Hand in Hand gehen.

(2) Die Lehrpläne für landwirtschaftliche Berufsausbildung sollten nach Möglichkeit sowohl theoretischen Unterricht als auch verwandte Fächer allgemeiner Natur, z. B. soziale Fragen auf dem Lande, einschliessen.

5. Bei der Aufstellung des Ausbildungsplanes sollten insbesondere berücksichtigt werden: a. die auszubildenden Personen und der angestrebte fachliche Ausbildungsgrad; b. die Agrarstruktur, der Entwicklungsgrad der Landwirtschaft und die landwirtschaftliche Produktionsrichtung ; c. die Tendenzen des ländlichen Arbeitsmarktes, der Grad der Versetzbarkeit der Arbeitskräfte oder das Bedürfnis hierfür; d. das gesellschaftliche Leben, die Bräuche, Überlieferungen und Anschauungen der ländlichen Gemeinwesen; e. die allgemeine Zielsetzung der Landespolitik.

6. (1) Die der landwirtschaftlichen Bevölkerung erteilte berufliche Ausbildung sollte, wo es möglich und angezeigt ist, auch einen ergänzenden Unterricht, insbesondere in der Herstellung und Ausbesserung landwirtschaftlicher Geräte, in der Instandhaltung und einfachen Instandsetzung landwirtschaftlicher Maschinen, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie in der Errichtung und Instandhaltung landwirtschaftlicher Baulichkeiten umfassen, (2) In Gebieten, in denen Unterbeschäftigung bereits besteht oder einzutreten droht, sollte, soweit möglich und angezeigt, die Abhaltung von Lehrgängen zur Erlernung ländlicher oder sonstiger Handwerks- und Gewerbeber'ufe erwogen werden, um Männern und Frauen die Aufnahme eines Nebenerwerbes oder eines anderen Hauptberufes zu ermöglichen.

Ili, Ausliildungsmetìwden V o r b e r u f l i c h e Ausbildung 7. Es sollten geeignete Massnahmen ergriffen werden, um in ländlichen und städtischen Gebieten einen gleich hohen Bildungsstand und eine gemeinsame Bildungsgrundlage zu erreichen. Die Lehrmethoden und
gegebenenfalls auch die Lehrpläne der ländlichen Volksschulen sollten den Bedürfnissen der ländlichen Gebiete und der Umwelt, in der die Kinder dieser Gebiete aufwachsen, Rechnung tragen.

940 8. Im Interesse einer Allgemeinbildung auf fester und breiter Grundlage, eines besseren Arerstehens der Natur sowie der Förderung der Handfertigkeit und der Beobachtungsgabe solite der theoretische Unterricht in den Volksschulen nach Möglichkeit durch einen praktischen zum Lehrplan gehörenden Unterricht ergänzt werden, der Arbeiten in den Schulgärten und Lehrgänge in Heimgewerben umfasst. Dieser praktische Unterricht sollte jedoch die Lehrgänge und Lehrpläne der allgemeinen Schulausbildung nicht beeinträchtigen.

9. In ländlichen Gemeinwesen unterentwickelter Gebiete sollte der Grundunterricht als Mittel dazu dienen, im Rahmen eines abgestimmten Lehrplanes Kenntnisse in verbesserten landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmethoden sowie auf Gebieten wie den folgenden zu vermitteln : ländliches Handwerk und Gewerbe, Gesundheitspflege, Gesundheitsschutz, Ernährung, Kleinkinderpflege, Lebensmittelkonservierung, Wohnungswesen, Dorfplanuug und Verkehrswesen.

Es sollte vor allem dafür gesorgt werden, den sozial schwächeren Schichten der Landbevölkerung, insbesondere Stammesverbänden in unterentwickelten Ländern, die einen primitiven Landbau betreiben und einen sehr niedrigen Lebensstandard haben, eine angemessene Ausbildung zuteil werden zu lassen.

L a n d w i r t s c h a f t l i c h e r U n t e r r i c h t an den M i t t e l s c h u l e n 10. (1) Der landwirtschaftliche Unterricht sollte, soweit dies angezeigt und kein eigentlicher landwirtschaftlicher Fachunterricht an Mittelschulen vorgesehen ist, allgemeinen Charakter haben. In ländlichen Gegenden sollte dieser Unterricht den nationalen und örtlichen Verhältnissen angepasst werden. Wo kein landwirtschaftlicher Unterricht erteilt wird, sollte für dessen schrittweise Aufnahme in den Lehrplan der ländlichen Mittelschulen gesorgt werden. Dieser Unterricht sollte jedoch die Lehrgänge und Lehrpläne des allgemeinen Unterrichtes nicht beeinträchtigen.

(2) Dieser Unterricht sollte nach Möglichkeit durch praktische Arbeiten in dem der Schule angeschlossenen Landwirtschaftsbetrieb, in landwirtschaftlichen Versuchsbetrieben oder in sonstigen landwirtschaftlichen Betrieben ergänzt werden, wobei solche Arbeiten auf die Bedürfnisse des Unterrichts beschränkt werden sollten.

Landwirtschaftliche Fachschulen 11. Es sollten landwirtschaftliche Fachschulen vorgesehen
werden, die während einer angemessenen Dauer Unterricht über Landarbeit, Produktion und Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Methoden landwirtschaftlicher Nutzung und Betriebsführung sowie über andere geeignete Lehrgegenstände erteilen.

12. Auf höheren Entwicklungsstufen der Berufsausbildung sollten vorgesehen werden a. Schulen oder besondere Schulabteilungen, die beiden Geschlechtern offenstehen und in denen Unterricht in bestimmten landwirtschaftlichen Betriebszweigen erteilt wird;

941 &. Schulen oder besondere Schulabteilungen, die beiden Geschlechtern offenstehen und in denen bestimmte Gruppen von Landarbeitern ausgebildet oder besondere, für die Landwirtschaft erforderliche Fachkenntnisse vermittelt werden; c. Schulen oder besondere Schulabteilungen, in denen Unterricht in ländlicher Hauswirtschaft erteilt wird.

18, Soweit möglich und angezeigt, sollten die landwirtschaftlichen Fachschulen über einen angeschlossenen Betrieb verfügen, um den Unterricht der landwirtschaftlichen Arbeit anzupassen und den Schülern die erforderliche praktische Ausbildung zuteil werden zu lassen. Wo dies unmöglich ist oder wo es sich als ratsam erweist, diese Ausbildung zu ergänzen, sollten Vorkehrungen getroffen werden, um die erforderliche praktische Ausbildung in geeigneten landwirtschaftlichen Betrieben oder Versuchsstationen erteilen zu können. Der praktische Unterricht sollte sich auf die Erfordernisse der Ausbildung beschränken.

14. Bei Errichtung von landwirtschaftlichen Fachschulen sollte folgendes in Betracht gezogen werden: a, die Vorteile, die sich aus der Errichtung von Internaten oder Halbinternaten ergeben, insbesondere in Ländern mit landwirtschaftlichen Grossbetrieben und geringer Bevölkerungsdichte ; b. in Gemeinwesen mit genügend hoher Bildungsstufe die Einführung von Fernkursen und die Verwendung des Bundfunks für entlegen wohnende Landwirte und in Verbindung damit nach Möglichkeit die Abhaltung von Ergänzungskursen in Schulen mit Internat ; o. die Bedeutung der Verwendung audio-visueller Hilfsmittel.

K u r z f r i s t i g e Kurse 15. (1) Schnellkurse, Saison-, Abend- und "\Vanderkurse sollten als besonders geeignet gelten, a. um die in landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Söhne und Töchter der Kleinbauern und Landarbeiter anzuregen, ihre Fachkenntnisse und ihre Allgemeinbildung zu vervollkommnen ; b. um Spezialisten oder Landwirte und Landarbeiter mit verbesserten oder neuentwickelten Bewirtschaftungsmethoden vertraut zu machen; c. um gewissen Arbeitergruppen Spezialkenntnisse und -methoden zu vermitteln, so z. B. in bezug auf besondere Kulturen, Tierhaltung und Tierernährung, Instandhaltung und Verwendung von Geräten oder Maschinen, allgemeine Instandhaltung des landwirtschaftlichen Betriebes, Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten, Schädlingsbefall und Tierseuchen.
(2) Diese Kurse sollten nach den örtlichen Bedürfnissen abgehalten werden ; sie sollten keinen Ersatz für Kurse von längerer Dauer bilden, wo solche möglich und erwünscht sind.

Bundeeblatt. 108. Jahrg. Bd. II.

65

942 Ausbildung in l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n Betrieben 16. (1) Soweit notwendig und angezeigt, sollten die Behörden, andere geeignete Stellen oder beide gemeinsam die Vermittlung der Auszubildenden in ausgewählte landwirtschaftliche Betriebe organisieren, um vor allem die Ausbildung der angehenden Landwirte, insbesondere in Gebieten mit einem verhältnismässig hohen agrartechnischen Stand, zu vervollständigen ; dieser Ausbildung sollte in der Regel eine angemessene Ausbildung allgemeiner Art -vorausgehen und dabei die für ein Gebiet jeweils charakteristische landwirtschaftliche Bcwirtschaftungsform (Gemeindewirtschaft, Grossbetrieb oder Plantage, genossenschaftlicher Betrieb oder Gruppensiedlung, Klein- oder Mittelbetrieb) berücksichtigt werden.

(2) Der landwirtschaftliche Betrieb, in dem die Ausbildung erfolgt, sollte repräsentativ sein und sorgfältig ausgewählt werden; dabei wäre gegebenenfalls die Möglichkeit zu erwägen, statt des Betriebes, in dem der Auszubildende zu Hause ist, einen Fremdbetrieb zu wählen. Die Ausbildung im landwirtschaftlichen Betrieb sollte nach Möglichkeit durch einen theoretischen Unterricht ergänzt werden.

Beratungsstellen 17. (1) Soweit die Entwicklungsstufe der einzelnen Länder dies gestattet,sollten Beratungsstellen geschaffen und ausgebaut werden, um den Landwirten die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung praktisch zugänglich zu machen und um die technischen Probleme der Landwirte den für ihre Lösung massgeblichen Stellen zur Kenntnis zu bringen.

(2) Es sollte darauf hingewirkt werden, dass die Landwirte und landwirtschaftlichen Organisationen, einschliesslich der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, ihre eigenen Beratungsprogramme aufstellen; auf jeden Fall sollten sie zur Aufstellung und Durchführung der offiziellen Lehrpläne und ähnlicher erzieherischer Vorhaben zugezogen werden.

18. Da es angezeigt ist, in unterentwickelten Ländern berufliche. Ausbildungsprogramme von einfacher und praktischer Art aufzustellen, deren örtlicher Anwendungsbereich und Inhalt sich leicht erweitern lassen, sollte die besonders wichtige Eolle, welche die Beratungsstellen bei der Erweiterung dieser Programme und der Verwirklichung der landwirtschaftlichen Entwicklungspläne spielen können, voll anerkannt werden.

19. Gegebenenfalls sollten die Beratungsstellen
gemeinsam mit sonstigen beteiligten Organen zur Aufstellung von Programmen für die Jugend,, zur Gründung von landwirtschaftlichen Vereinen für junge Leute und zur Ausarbeitung von Programmen für den Ausbau der ländlichen Heime und- der Dorfgemeinschaften beitragen, Lehrlingswesen 20. (1) Sobald die Landwirtschaft entsprechend organisiert ist und die angewandten Bewirtschaftungsmethoden es rechtfertigen, sollte die Aufstellung von Ausbildungsplänen für Lehrlinge erwogen werden.

948 (2) Diese Ausbildungspläne sollten unter Berücksichtigung der Bedürfnisse besonderer Betriebszweige, Gebiete und Landarbeitergruppen aufgestellt und in Ausbildungsheimen oder in landwirtschaftlichen Betrieben durchgeführt werden, deren Lehrer oder Landwirte1 eine anerkannte persönliche und fachliche Befähigung besitzen.

(3) Die Massnahmen betreffend die Ausbildung in dem vom Lehrling gewählten Betriebszweig, die Beschränkung der dem Lehrling gestellten Aufgaben auf die für seine Ausbildung nützlichen Tätigkeiten, die Bereitstellung der erforderlichen Ausrüstung sowie eine dem Lehrling auferlegte Verpflichtung zum Besuch einer Schule für Allgemeinbildung und einer Fachschale sollten der Genehmigung durch die zuständige Stelle oder die zuständigen Stellen unterliegen.

(4) Die in den vorstehenden Unterabsätzen genannten Massnahmen sollten auf dem Gesetzes- oder Verordnungswege, durch Entscheidungen der mit der Beaufsichtigung des Lehrlingswesens betrauten öffentlichen Stellen, durch Gesamtarbeitsverträge, durch Verbindung der soeben erwähnten Verfahren oder, in Ermangelung dieser, durch andere geeignete Methoden getroffen werden.

21. Wo massgebende Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bestehen, sollten diese unmittelbar und auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung an der Aufstellung, Durchführung und Überwachung der Ausbildungspläne beteiligt werden.

22. (1) Die landwirtschaftliche Lehre sollte entsprechend befähigten Anwärtern offenstehen, die den ausdrücklichen Wunsch geäussert haben, einen landwirtschaftlichen Beruf zu ergreifen, und die ihre Schulpflicht erfüllt haben oder in absehbarer Zeit erfüllen werden.

(2) Die Zulassung zur Lehre sowie die Ausbildungsprogramme sollten von der gesetzlich oder anderweitig bestimmten und für Arbeit, Landwirtschaft oder Erziehung zuständigen Stelle beaufsichtigt werden, die angesichts der in den einzelnen Ländern herrschenden Verhältnisse als die geeignetste gilt.

(8) Bei Festsetzung der Zahl der zur Ausbildung zu vermittelnden Jugendlichen sollte, sowohl im Interesse der jungen Leute als auch der erwachsenen Arbeiter, die Zahl der im betreffenden Betrieb beschäftigten erwachsenen Arbeiter mit Erfahrung berücksichtigt werden.

(4) Nach zufriedenstellender Beendigung der Lehrzeit sollte der Lehrling als Facharbeiter gelten und darüber von der
zuständigen Stelle eine Bestätigung erhalten.

23. (1) Die Bedingungen für das Lehrverhältnis sollten, gleichgültig ob sie durch Einzelverträge, Gesamtarbeitsverträge, durch Gesetz oder anderswie festgelegt werden, eindeutige Bestimmungen über die entsprechenden Pflichten des Lehrmeisters und des Lehrlings, die Dauer der Lehrzeit, den Grad von Kenntnissen und Fähigkeiten, die der Lehrling zu erreichen hat, um den Anforderungen an einen guten Landwirt zu entsprechen, sowie über alle bestehenden Verpflichtungen zum Besuch von Berufsschulen enthalten, in denen allgemeiner und Fachunterricht erteilt wird. Die Bestimmungen sollten auch vorsehen, dass die

944 dem Lehrling übertragenenPf lichten sich auf die für seine Ausbildung notwendigen Aufgaben beschränken und dass alle Streitfälle der zuständigen Schlichtungsstelle unterbreitet werden.

(2) Mindestsätze und Erhöhungen der Vergütung, Arbeitszeit, Urlaub, Verpflegung und Unterkunft sowie Versicherung und Leistungen der Kranken- und Unfallversicherung für Lehrlinge sollten durch Gesetz, durch Verordnung der zuständigen Stelle, durch Schiedssprüche oder Gesamtarbeitsverträge oder durch Entscheidungen besonderer mit dieser Aufgabe betrauter Stellen geregelt werden.

(S) Wo massgebende Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehen, sollten diese gleichberechtigt an der Aufstellung, Anwendung und Überwachung der Bedingungen für das L ehr Verhältnis beteiligt werden, 24. (1) Auf den unteren Stufen der Lehrlingsausbildung sollten die erzielten Fortschritte bewertet und dabei die geleistete Arbeit, die Dauer der Lehrzeit und der allgemein sowie bei der Ausführung besonderer Arbeiten erreichte Befähigungsgrad festgestellt werden; diese Bewertung sollte gegebenenfalls durch praktische Prüfungen ergänzt werden.

(2) Auf höheren Stufen der Lehrlingsausbildung oder bei Ausbildungsplänen, die weitere Ziele verfolgen, sollte die zuständige Stelle sich über den zufriedenstellenden Abschluss der Lehrzeit vergewissern. Zu diesem Zwecke sollte eine Eeihe theoretischer und praktischer Prüfungen über die Landwirtschaft im allgemeinen und den vom Lehrling gewählten besonderen Betriebszweig in Aussicht genommen werden.

A u s b i l d u n g der L e h r k r ä f t e und des leitenden Personals in der Landwirtschaft 25. (1) In allen Programmen für landwirtschaftliche Berufsausbildung sollte die Ausbildung der Lehrkräfte und der Beamten der Stellen, die sich mit Fragen der Landwirtschaft und ihrer Nebenberufe zu befassen haben, einen hervorragenden Platz einnehmen; sowohl die einen als auch die anderen sollten nach Möglichkeit Leben und Arbeit in der Landwirtschaft aus eigener Erfahrung kennen.

(2) Diese Ausbildung könnte nötigenfalls durch Massnahmen wie die folgenden beschleunigt werden : a. Gründung geeigneter Arten von Ausbildungsanstalten; b. Schaffung von Mittelpunkten zur Förderung der Wirtschaft auf dem Lande sowie von solchen für praktischen Anschauungsunterricht und für Ausbildung; c. Einrichtung von
kurzfristigen Sonderlehrgängen für Absolventen höherer Landwirtschaftsschulen; diese Lehrgänge sollten nötigenfalls Unterrichtsund Verwaltungsfragen sowie Fachgegenstände behandeln mit dem Ziel, den Lehrgangsteilnehmern eine bessere Vorbereitung zur Erteilung eines den Bedürfnissen der Landwirtschaft angepassten und den neuzeitlichen Verfahren Bechnung tragenden Fachunterrichts zu vermitteln.

945 26. Auf den höheren Schulen sollten die Landwirtschaftslehrer und die sonstigen Lehrkräfte a. vorzugsweise Hochschulbildung oder eine ihr gleichwertige Bildung besitzen ; l>. dazu angeregt und in die Lage versetzt werden, durch den Besuch von Übungskursen und Studienurlauben ihre Kenntnisse auf dem jeweiligen Stand der Forschung zu halten.

Lehrmittel 27. Die nach den Fachausbildungsplänen benutzten Lehrmittel sollten in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Forschungsinstitute und mit sonstigen wissenschaftlichen Unterlagen gestaltet werden. Lehrpersonal und Auszubildende sollten ständig und planmässig mit dem entsprechenden Unterlagenmaterial versorgt werden.

28. (1) Da der Unterricht in landwirtschaftlichen Fächern insbesondere die regionalen und örtlichen Verhältnisse und Probleme zu berücksichtigen hat, sollte bei der Wahl der Lehrmittel der wirtschaftlichen Struktur der Gebiete Rechnung getragen werden, in denen das zukünftige Arbeitsfeld der Auszubildenden liegt.

(2) Stammen Lehrmaterial und -ausriistung aus anderen Ländern oder Gebieten, so sollten sie den örtlichen Bedürfnissen entsprechend angepasst werden.

29. Vornehmlich im.Anfangsstadium der Berufsausbildung sollte in Fällen, in denen mehrere Länder gemeinsame Merkmale und Probleme aufweisen, für solche Länder durch unmittelbare Beratung untereinander die Schaffung einheitlicher Lehrmittel in Betracht gezogen werden. Auf jeden Fall sollte der freie Austausch von Lehrmitteln gefördert werden.

80. Audio-visuelle Hilfsmittel sollten, insbesondere in Gemeinwesen mit einem hohen Prozentsatz von Analphabeten, einen hervorragenden Platz in den Fachausbildungsprogrammen einnehmen, ohne deswegen andere Lehrmittel und -methoden zu ersetzen; dabei sollten die besonderen Vorteile von Projektionsbildern in Betracht gezogen werden.

IV, Landwirtschaftliche und sonstige beteiligte Organisationen 81. Bauern- und Landarbeiterverbände (einschliesslich der Gewerkschaften), landwirtschaftliche Frauen- und Jugendverbände und andere beteiligte Organisationen, z.B. Genossenschaften, sollten auf sämtlichen Stufen der landwirtschaftlichen Berufsausbildung massgebend mitwirken. Sie sollten auf jede Weise dazu angeregt werden, an der Vervollkommnung dieser Ausbildung tätigen Anteil zu nehmen.

V. Innerstaatliche Massnahmen 32. (1) Für die
Berufsausbildungsprogrammo sollte die Stelle oder sollten ' dio Stellen verantwortlich sein, von denen man sich die besten Ergebnisse versprechen darf; werden mehrere Stellen zusammen mit dieser Aufgabe betraut,

946 so sollten Massnahmen zur Koordinierung der Borufsausbildungsprogramme getroffen -werden. Die örtlichen Stellen sollten an der Verwirklichung dieser Pläne mitarbeiten. Es sollte eine enge Zusammenarbeit mit den landwirtschaftlichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden sowie mit sonstigen beteiligten Organisationen, soweit diese bestehen, gepflogen werden.

(2) Es sollte eine gewisse Koordinierung der privaten und staatlichen Lehrgänge angestrebt werden, und zwar so, dass a. die Auszubildenden ohne weiteres von einer Ausbildungsstufe zur anderen übergehen können; &. den Bedürfnissen der einzelnen Gebiete und Berufszweige Eechnung getragen wird, wobei eine zweckentsprechende Einheitlichkeit der Ausbildungsprogramme gewahrt bleiben soll ; c, die landwirtschaftlichen Forschungsinstitute, die Beratungsstellen und alle landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten eng zusammenarbeiten.

33. (1) Die zuständigen Stellen sollten schrittweise allgemeine, nötigenfalls von Gebiet-zu Gebiet abweichende Eichtlinien für folgende Fragen festsetzen : Voraussetzungen für dio Zulassung zur beruflichen Ausbildung in den verschiedenen landwirtschaftlichen Betriebszweigen; Dauer der Ausbildung und der Lehrgänge; Lehrmittel und Lehrbücher; berufliche Erfordernisse, Gehälter und Anstellungsbedingungen der Lehrkräfte; Schülerzahl in den einzelnen Klassen; Lehrpläne; Prüfungsanforderungen; Voraussetzungen für eine anerkannt abgeschlossene Ausbildung. Geeignete Massnahmen sollten getroffen werden, um die rnassgebenden Organisationen der Landwirte und der Landarbeiter und andere beteiligte Organisationen, soweit diese bestehen, hinsichtlich der Festsetzung dieser Eichtlinien anzuhören.

; (2) Auf allen Stufen der beruflichen Ausbildung sollten private Bestrebungen zur Aufstellung und Durchführung von Ausbildungslehrgängen gefördert werden ; dabei sollte die Anwendung der Eichtlinien anerkannten, gegebenenfalls von geeigneten Stellen beaufsichtigten Ausbildungsanstalten übertragen werden.

34. Obgleich zur Verwirklichung der Berufsausbildungsprogramme in vielen Fällen lokale finanzielle Zuschüsse angezeigt sind, sollten auch die Behörden in einem für zweckmässig und notwendig erachteten Ausmass zur Verwirklichung der staatlichen und privaten Berufsausbildungsprogramme durch Massnahmen z.B. folgender Art beitragen: Bewilligung
von Zuschüssen; Bereitstellung von Grundstücken, Gebäuden, Verkehrsmitteln, Lehrmitteln und Ausrüstungen; Beitrag zu den Unterhaltskosten oder zur Vergütung für die Auszubildenden während der Ausbildungsdauer durch Gewährung von Stipendien oder auf andere Weise und durch unentgeltliche Zulassung von Auszubildenden mit entsprechender Befähigung zu landwirtschaftlichen Internatsschulen, insbesondere wenn es sich um Personen handelt, die ihre Ausbildungskosten nicht selbst bestreiten können.

35. (1) Die Behörden, andere geeignete Stellen oder beide gemeinsam sollten für eine Koordinierung der Fachausbildungsprogramme mit anderen staatlichen, die Landwirtschaft betreffenden Massnahmen sorgen. Sie sollten insbesondere das

947

Nötige vorkehren, damit die Berufsausbildungsprogramme unter Berücksichtigung der für angehende Landarbeiter bestehenden Aussichten auf Dauerboschäftigung und Siedlung aufgestellt werden, wobei der verfügbare Grund und Boden, der Agrarkredit und die Marktlage in Betracht zu ziehen sind.

(2) Die Behörden, andere geeignete Stellen oder beide gemeinsam sollten alle erforderlichen praktischen Massnahmen ergreifen, uin die Arbeitsvermittlung derjenigen Personen, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben, zu erleichtern und . diesen dabei behilflich zu sein, geeignete Betriebe oder landwirtschaftliche Arbeitsplätze zu finden, die ihrer Ausbildung und ihren Fähigkeiten entsprechen.

86. Die Behörden, andere geeignete Stellen oder beide gemeinsam sollten Verfahren ausarbeiten, die es gestatten, die Wirksamkeit der Ausbildungsprogramme zu beurteilen und beispielsweise festzustellen, ob diese Ausbildung zur Hebung der Lebenshaltung in der Landwirtschaft, zur Steigerung der Produktion und zur Erreichung der in Absatz 2 genannten Ziele beiträgt ; ebenso sollten sie die erzielten Fortschritte öfters überprüfen.

VI. Zimsclienstaatliclie Massnahmen 37. (1) Es sollte nach Möglichkeit, insbesondere in Ländern mit ähnlichen landwirtschaftlichen Verhältnissen, auf einen zwischenstaatlichen Austausch von Landwirten und Landarbeitern, der landwirtschaftlichen Jugend, von Lehrund Forschungspersonal und Sachverständigen sowie auf einen Austausch landwirtschaftlicher Fachliteratur; hingewirkt werden.

(2) Wo dies angezeigt ist, sollten zwischenstaatliche Zentren für wissenschaftliche Forschung, Beratung und berufliche Ausbildung in der Landwirtschaft sowie zwischenstaatliche Tagungen für landwirtschaftliche Wissenschafter, Wirtschaftsberater und Lehrer landwirtschaftlicher Schulen gefördert werden.

Empfehlung (Nr. 102) betreffend Sozialeinrichtungen für Arbeitnehmer Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1956 zu ihrer neununddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Sozialeinrichtungen für Arbeitnehmer, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass die Anträge die Form einer Empfehlung erhalten
sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 26. Juni 1956, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Sozialeinrichtungen, 1956, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dass es wünschenswert ist, für Sozialeinrichtungen bestimmte Grundsätze festzulegen und Richtlinien aufzustellen betreffend : a. die Verpflegung im Betrieb oder in dessen Nähe ;

948 b. Räumlichkeiten und Gelegenheiten zum Ausruhen im Betrieb oder in dessen Nähe und Gelegenheiten zur Erholung, wobei der bezahlte Urlaub ausser Betracht bleibt ; c. Beförderungsmittel zum und vom Arbeitsplatz, falls die allgemeinen öffentlichen Verkehrsmittel unzureichend oder schwer benutzbar sind.

Die Konferenz empfiehlt den Mitgliedern, die folgenden Bestimmungen so weitgehend und rasch anzuwenden, wie dies die Verhältnisse in ihrem Lande gestatten, sei es durch ein Vorgehen freiwilliger Art, durch ein Vorgehen der öffentlichen Stellen oder durch jedes andere geeignete Vorgehen, und dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die zu ihrer Verwirklichung getroffenen Massnahmen zu berichten.

I. Anwendungsbereich 1. Diese Empfehlung findet auf manuelle und nichtmanuelle Arbeitnehmer in öffentlichen oder privaten Betrieben mit Ausnahme der Landarbeiter und der im Seetransport beschäftigten Personen Anwendung.

2. In Fällen, in denen es zweifelhaft ist, ob diese Empfehlung auf einen bestimmten Betrieb Anwendung findet, sollte die Frage entweder von der zuständigen Stelle nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmer verbände oder gemäss der Gesetzgebung oder der Praxis des Landes entschieden werden.

II. Durchführungsmefhoden 8. Mit Rücksicht auf die Vielfalt der Sozialeinrichtungen und der diesbezüglich geltenden Praxis in den einzelnen Ländern können die in dieser Empfehlung genannten Einrichtungen durch ein Vorgehen der öffentlichen Stellen oder durch ein Vorgehen freiwilliger Art a. im Wege der Gesetzgebung oder durch Verordnung, b. auf jedem anderen, von der zuständigen Stelle nach Anhörung der Arbèit.geber- und Arbeitnehmerverbände gebilligten Wege oder c. auf Grund von Gesamtarbeitsverträgen oder sonstigen Vereinbarungen der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingeführt werden.

III. Verpflegung A. K a n t i n e n 4. Soweit es wünschenswert ist, sollten Kantinen, die geeignete Mahlzeiten ausgeben, in den Betrieben oder in deren Nähe eingerichtet und unterhalten werden, wobei der Umfang der Belegschaft, die Nachfrage nach Kantinen und ihre voraussichtliche Inanspruchnahme, das Fehlen sonstiger geeigneter Einrichtungen für die Einnahme von Mahlzeiten und alle anderen erheblichen Umstände zu berücksichtigen sind.

5. Sieht die
innerstaatliche Gesetzgebung Kantinen, vor, so sollte die zuständige Stelle dazu befugt sein, die Errichtung und den Betrieb von Kantinen in den Unternehmen oder in deren Nähe zu verlangen, wenn die Belegschaft eine

949 Mindestzahl übersteigt oder wenn dies aus irgendeinem anderen von der zuständigen Stelle bestimmten Grunde wünschenswert ist.

6. Sind für die Errichtung von Kantinen die auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung eingesetzten Betriebsräte zuständig, so sollten sie Kantinen in Betrieben errichten, in denen ihre Errichtung und ihr Betrieb wünschenswert sind.

7. Werden Kantinen auf Gnmd von Gesamtarbeitsverträgen oder auf anderem Wege, mit Ausnahme der in den Absätzen 5 und 6 erwähnten Fälle, errichtet, so sollten derartige Vereinbarungen auf Betriebe Anwendung finden, in denen die Errichtung und der Betrieb von Kantinen aus einem zwischen den betreffenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbarten Grunde wünschenswert sind.

8. Die zuständige oder jede sonstige geeignete Stelle sollte zweckdienliche Vorkehrungen treffen, um einzelnen Betrieben in technischen Fragen, die mit der Errichtung und dem Betrieb von Kantinen verbunden sind, Auskunft, Eat und Anleitung zu erteilen.

9. (1) Bestehen noch keine befriedigenden Veröffentlichungen, so sollte die zuständige oder jede sonstige geeignete Stelle ausführliche Auskünfte, Vorschläge und Anleitungen über Verfahren für die Errichtung und den Betrieb von Kantinen ausarbeiten und veröffentlichen, die den besonderen Verhältnissen des betreffenden Landes angepasst sind.

(2) Diese Angaben sollten Vorschläge enthalten über a. Lage der Kantinen im Verhältnis zu den verschiedenen Gebäuden oder Abteilungen der betreffenden Betriebe ; b. Errichtung gemeinsamer Kantinen für mehrere Botriebe, soweit es angezeigt ist; c. Innenausstattung der Kantinen, Richtlinien für Ausmasse, Beleuchtung, Heizung, Temperatur und Lüftung ; d. Anlage der Räumlichkeiten der Kantinen: Speiserauin oder Speiseräume, Ausgabestelle, Küche, Spülküche, Speisekammer, Verwaltungsbüro sowie Schränke und Waschräume für das Kantinenpersonal; e. Ausstattung, Möblierung und Ausschmückung der Kantinen: Einrichtungen für die Zubereitung und das Kochen von Speisen, Kühlanlage, Vorratshaltung und Geschirrwaschen: Art des zum Kochen verwendeten Brennstoffs ; Art der Tische und Stühle im Speiseraum oder in den Speiseräumen ; allgemeiner Plan für das Ausmalen und Ausschmücken ; /. Art der ausgegebenen Mahlzeiten; Einheitsmen'is, gegebenenfalls mit der Möglichkeit, Gänge auszuwählen, Essen nach der
Karte, Diätmenüs nach ärztlicher Verordnung, besondere Menüs für Arbeitnehmer, die in ungesunden Berufen beschäftigt sind; Frühstück, Mittagessen oder andere Mahlzeiten für Schichtarbeiter ; g. Ernährungsnormen : Nährwerte der Nahrungsmittel, Aufstellung von Menüs und ausgeglichenen Diäten;

950 Ä. Formen der Kantinenbedienung: Schalter- und Schanktischbedienung, Selbstbedienung und Tischbedicnung; für jede .Bedienungsform erforderliches Personal; i. in der Küche und in den Speiseräumen zu beachtende Hygienevorschriften ; j. finanzielle Fragen: Anfangskapital für Bau, Einrichtung und Ausstattung, Unkosten und laufende Unterhaltsspesen, Nahrungsmittel- und Personalkosten, Buchführung, Festsetzung der Preise für die Mahlzeiten.

B. B ü f f e t s und Erfrischungswagen 10. (1) In den Betrieben, in denen sich Kantinen zur Ausgabe geeigneter Mahlzeiten nicht einrichten lassen, und in den anderen Betrieben, in denen bereits derartige Kantinen bestehen, sollten bei Bedarf und nach Möglichkeit für Arbeitnehmer, die verpackte Speisen oder Imbisse, Tee, Kaffee, Milch oder andere Getränke zu kaufen wünschen, Buffetts oder Erfrischungswagen gehalten werden, Erfrischungswagen sollten jedoch nicht an Arbeitsplätzen eingerichtet werden, an denen gefährliche oder schädliche Herstellungsverfahren es nicht erwünscht erscheinen lassen, dass die Arbeitnehmer ihre Mahlzeiten und ihre Getränke dort einnehmen.

(2) Einige dieser Einrichtungen sollten nicht nur während der Mittags- oder Schichtpausen, sondern auch während der zulässigen Erholungspausen und Arbeitsunterbrechungen zur Verfügung stehen.

G. Speiseräume und andere geeignete E ä u m l i c h k e i t e n 11. (1) In Betrieben, in denen sich Kantinen zur Ausgabe geeigneter Mahlzeiten nicht einrichten lassen, und bei Bedarf auch in den übrigen Betrieben, in denen bereits derartige Kantinen bestehen, sollten, AVO es möglich und angezeigt ist, den Arbeitnehmern Speiseräume zur Verfügung gestellt werden, damit sie mitgebrachte Esswaren zubereiten oder aufwärmen und verzehren können.

(2) Diese Einrichtungen, sollten mindestens umfassen : a. einen Baum, für den je nach Klima die geeigneten Massnahmen getroffen werden, um die wegen Kälte oder "Wärme bestehenden unangenehmen Verhältnisse zu verbessern ; b. angemessene Lüftung und Beleuchtung;.

c. geeignete Tische und Stühle in ausreichender Zahl; d. geeignete Vorrichtungen zum Aufwärmen von Speisen und Getränken ; e. gesundes Trinkwasser in ausreichender Menge.

IX Fahrbare Kantinen 12. In Betrieben, in denen die Arbeitnehmer auf weit auseinanderliegende Arbeitsplätze verstreut sind, sollten, wenn es
durchführbar und notwendig ist und wo keine anderen befriedigenden Einrichtungen bestehen, fahrbare Kantinen für den Verkauf geeigneter Mahlzeiten an die Arbeitnehmer eingerichtet werden.

951 E. Andere E i n r i c h t u n g e n 13. Besondere Massnahmen sollten zur Schaffung von Einrichtungen getroffon werden, die es Schichtarbeitern gestatten, zu gegebenen Zeiten geeignete Mahlzeiten und Getränke einzunehmen.

14. An Orten, an denen keine ausreichenden Einrichtungen für den Kauf geeigneter Lebensrnittel, Getränke und Mahlzeiten bestehen, sollten Massnahmen ergriffen werden, damit den Arbeitnehmern derartige Einrichtungen zur Verfügung stehen, F. B e n u t z u n g der Einrichtungen 15. Die Arbeitnehmer sollten in keinem Fall gezwungen werden, von diesen Verpflegungseinrichtungen Gebrauch zu machen, ausser wenn die innerstaatliche Gesetzgebung dies aus Gesundheitsrücksichten vorsieht.

.

IV. Gelegenheiten zum Ausruhen

A. Sitzgelegenheiten 16. (1) In Betrieben, in denen Arbeitnehmer, insbesondere Frauen und jugendliche Arbeitnehmer, während ihrer Arbeit Gelegenheit haben, sich von Zeit zu Zeit zu setzen, ohne dass ihre Arbeit dadurch beeinträchtigt wird, sollten für sie Sitzgelegenheiten bereitgestellt werden.

(2) Diese Sitzgelegenheiten sollten in ausreichender Zahl und entsprechend . nahe beim Arbeitsplatz der betreffenden Arbeitnehmer zur Verfügung stehen.

17. (1) In Betrieben, in denen ein Grossteil der Arbeit ohne weiteres sitzend verrichtet werden kann, sollten den in Betracht kommenden Arbeitnehmern Sitzgelegenheiten zur Verfügung gestellt werden.

(2) Die Sitzgelegenheiten sollten nach ihrer Form, ihrem Typ und ihren Ausmassen für den Arbeitnehmer bequem und für die Arbeit geeignet sein; erforderlichenfalls sollten Fußstützen vorgesehen werden.

18. Ohne Bücksicht darauf, ob die innerstaatliche Gesetzgebung für Arbeitnehmer Sitzgelegenheiten vorsieht-, sollte die zuständige Stelle in jedem Lande die Beamten der entsprechenden staatliehen Stelle dazu ermächtigen, Auskunft, Bat und Anleitung über technische Fragen der Einrichtung und der Instandhaltung angemessener Sitzgelegenheiten zu erteilen, insbesondere wenn diese Sitzgelegenheiten Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt werden, die einen Grossteil der Arbeit ohne weiteres sitzend ausführen können.

B. Ruheräume 19. (1) In Betrieben, in denen für Arbeitnehmer, die während der Arbeit eine Buhepause benötigen, keine sonstigen Einrichtungen bestehen, sollte dort, wo es mit Bücksicht auf die Art der Arbeit und auf die übrigen in Betracht kommenden Voraussetzungen und Umstände erwünscht ist, ein Buheraum eingerichtet werden. Ruheräume sollten insbesondere eingerichtet werden, um den Bedürfnissen folgender Gruppen zu entsprechen: der Arbeitnehmerinnen; der

952 Arbeitnehmer, die mit besonders beschwerlichen oder mit Spezialarbeiten beschäftigt sind, die eine Kuhepause während der Arbeitszeit erfordern; ferner der Schichtarbeiter während der Arbeitspausen.

(2) Die innerstaatliche Gesetzgebung sollte, soweit es angezeigt ist, die zuständige Stelle dazu ermächtigen, die Einrichtung von Buheräumen in bestimmten Betrieben oder Gruppen von Betrieben zu verlangen, sofern die zuständige Stelle diese Einrichtung mit Bücksicht auf die Bedingungen und Umstände der Beschäftigung als erwünscht erachtet.

20. Diese Einrichtungen sollten mindestens umfassen: a, einen Baum, für den je nach Klima die geeigneten Massnahmen getroffen werden, um dio wegen Kälte oder Wärme bestehenden unangenehmen Verhältnisse zu verbessern ; b, angemessene Lüftung und Beleuchtung; c, geeignete Sitzgelegenheiten in ausreichender Zahl, F. Gelegenheiten zur Erholung 21. (1) Es sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um die Einrichtung von Erholungsgelegenheiten für die Arbeitnehmer im Betrieb oder in dessen Nähe anzuregen, sofern nicht bereits derartige Gelegenheiten von besonderen Stellen oder vom Gemeinwesen geschaffen worden sind und zur Verfügung stehen und sofern von den Vertretern der beteiligten Arbeitnehmer ein tatsächliches Bedürfnis nach diesen Erholungsgelegenheiten geltend gemacht wird.

(2) Erweisen sich diese Massnahmen als notwendig, so sollten sie entweder von den Betriebsräten oder von sonstigen auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung geschaffenen Stellen getroffen werden, falls diese Frage in.ihre Zuständigkeit fällt, oder auf Grund freiwilligen Vorgehens der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer nach gegenseitiger Bücksprache. Vorzugsweise sollten diese Massnahmen in einer Weise getroffen werden, die das Vorgehen der öffentlichen Stellen anregen und unterstützen, so dass das Gemeinwesen der Nachfrage nach Erholungsgelegenheiten entsprechen kann.

22. Unabhängig von den für die Einrichtung von Erholungsgelegenheiten verwendeten Methoden sollten die Arbeitnehmer in keinem Fall gezwungen werden, von irgendwelchen dieser Gelegenheiten Gebrauch zu machen.

VI. Verwaltung der Verpflegungs- und Erholungseinrichtungen 28. Obwohl die den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Verpflegungsund Erholungseinrichtungen auf unterschiedliche Art je nach den Sitten des einzelnen Landes
oder Ortes oder nach Vereinbarungen verwaltet werden können, welche die allgemeine Organisation der Sozialeinrichtungen besonderen Stellen übertragen, seien im folgenden einige der Verwaltungsformen erwähnt, welche die zuständigen Stellen sowie die Arbeitgeber und Arbeitnehmer berücksichtigen sollten:

958 a. Verpflegungseinrichtungen : i) in Ländern, in denen von der innerstaatlichen Gesetzgebung eingesetzte Betriebsräte für die Organisation der Verpflegungseinrichtungen verantwortlich sind, sollten die Einrichtungen von diesen Betriebsräten odor den von ihnen bestellten Unterausschüssen verwaltet werden; ii) in den übrigen Ländern sollten diese Einrichtungen von der Betriebsleitung oder von befähigten und von ihr ernannten Geschäftsführern verwaltet werden, wobei Massnahmen zu treffen sind, um die Belegschaft anzuhören, z. B. durch Vermittlung eines Kantinenausschusses der Arbeitnehmervertreter ; b. Erholungseinrichtungen: i) in Ländern, in denen von der innerstaatlichen Gesetzgebung eingesetzte Betriebsräte für die Organisation der Erholungseinrichtungen verantwortlich sind, sollten die Einrichtungen von diesen Betriebsräten oder den von ihnen bestellten Unterausschüssen verwaltet werden; ii) in den übrigen Ländern sollten diese Einrichtungen entweder von einem durch die Belegschaf t gewählten Zentralausschuss für Freizeitgestaltung, mit oder ohne Beteiligung eines oder mehrerer Vertreter der Betriebsleitung, oder einer Anzahl verschiedener auf freiwilliger Grundlage von Belegschaftsgruppen gegründeter Vereine verwaltet werden, die sich für die eine oder andere Form der Freizeitgestaltung interessieren.

24. Die zuständigen Stellen jedes Landes sollten dafür sorgen, dass die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bezüglich der Verwaltungsmethoden und der Beaufsichtigung der auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung geschaffenen Sozialeinrichtungen angehört werden.

VII. Finanzierung der Verpflegungs- und Erholungseinriehtungen 25. Obwohl die Verpflegungs- und Erholungseinrichtungen verschieden je nach den Sitten des einzelnen Landes oder Ortes oder nach Vereinbarungen finanziert werden können, welche die allgemeine Organisation der Sozialeinrichtungen besonderen Stellen übertragen, seien im folgenden einige der Finanzierungsformen erwähnt, welche die zuständigen Stellen sowie die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Betracht ziehen sollten: a. Verpflegungseinrichtungen : i) der Arbeitgeber trägt die Kosten für Bau, Miete oder sonstige Bereitstellung von Bäumen für die Verpflegungseinrichtungen, für die erforderliche Ausstattung und Möblierung sowie die laufenden Unkosten, insbesondere für Heizung,
Beleuchtung und Eeinigung, für Gebühren und Steuern, für Versicherungsprämien und für Instandhaltung der Eäume, der Ausstattung und des Mobiliars ; ii) der die Verpflegungseinrichtungen benutzende Arbeitnehmer zahlt für die Mahlzeiten und abgegebenen Nahrungsmittel;

954 iii) die Kosten der Lohne und Versicherungsbeiträge für das Personal der Verpflegungseinrichtungen werden entweder vom Arbeitgeber oder von den Arbeitnehmern bestritten, im letztgenannten Falle mittels Bezahlung der Mahlzeiten und abgegebenen Nahrungsmittel; l. Erholungseinrichtungen: i) der Arbeitgeber trägt die Kosten für Bau, Miete oder sonstige Bereitstellung von Erholungsräumen, für Grundstücke und Einrichtungen zu Erholungszwecken im Freien, für die erforderliche ständige Ausstattung und Möblierung sowie die laufenden Unkosten, insbesondere für Heizung, Beleuchtung und Beinigung, für Gebühren und Steuern, für Versicherungsprämien und für Instandhaltung der Bäume, Grundstücke, Einrichtungen, Ausstattung und des Mobiliars; ii) der die Erholungseinrichtungen benutzende Arbeitnehmer bestreitet die laufenden Ausgaben, insbesondere für die Anschaffung von Material und sonstigem Zubehör, durch Leistung von Mitgliedsbeiträgen und Gebühren für die Teilnahme an Spielen und durch Entrichtung von Eintrittsgeldern für sportliche Veranstaltungen oder auf andere Weise.

26. Bestehen in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern für Sozialeinrichtungen keine sonstigen gesetzlichen Verpflichtungen, so können diese Einrichtungen aus Sozialfonds finanziert werden, deren Mittel aus behördlich festgesetzten Beiträgen stammen und von Ausschüssen verwaltet werden, denen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter paritätisch angehören.

27. (1) Werden Mahlzeiten und sonstige Mittel zur Verpflegung den Arbeitnehmern vorn. Arbeitgeber unmittelbar zur Verfügung gestellt, so sollten die Preise angemessen sein und derart festgesetzt werden, dass die Arbeitgeber keinen Gewinn erzielen; etwaige Überschüsse aus dem Vertrieb sollten in eine Kasse oder auf ein Sonderkonto eingezahlt werden, deren Mittel den Umständen entsprechend entweder zum Ausgleich von Verlusten oder zur Verbesserung der den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Einrichtungen zu verwenden wären.

(2) Werden Mahlzeiten und sonstige Mittel zur Verpflegung den Arbeitnehmern von einem Geschäftsführer oder von einem Pächter zur Verfügung gestellt, so sollten die Preise angemessen sein und derart festgesetzt werden, dass die Arbeitgeber keinen Gewinn erzielen.

(3) Sind die betreffenden Einrichtungen auf Grund von Gesamtarbeitsverträgen oder durch Sondervereinbarungen
einzelner Betriebe geschaffen worden, so sollte die in Unterabsatz l erwähnte Kasse entweder von einer .paritätischen Stelle oder von den Arbeitnehmern verwaltet werden.

28. (1) In keinem Fall darf von Arbeitnehmern verlangt werden, dass sie sich an den Kosten für die Sozialeinrichtungen zu beteiligen haben, die sie persönlich nicht zu benutzen wünschen.

(2) Wird vorgesehen, dass die Arbeitnehmer zu den Kosten für Sozialeinrichtungen beizutragen haben, so sollten Ratenzahlungen oder gestundete Zahlungen nicht erlaubt sein.

955 VIII. Beförderungsmittel 29. Falls es landes- oder ortsüblich ist, dass die Arbeitnehmer für den "Weg zur und von der Arbeit ibre eigenen Beförderungsmittel verwenden, sollte, wo dies notwendig und durchführbar ist, für die Einrichtung von zweckmässigen ·Park- und Unterbringungsgelegenheiten gesorgt werden.

30. Ist die Zurücklegung des Weges zur und von der Arbeit für einen Grossteil der Arbeitnehmer mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, weil die allgemeinen Beförderungsmittel nicht genügen oder weil die Fahrpläne nicht auf Beginn und Schluss der Arbeitszeit abgestimmt sind, so sollton sich die Betriebe, die diese Arbeitnehmer beschäftigen, darum bemühen, bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben der betreffenden Ortschaft die erforderlichen Anpassungen und Verbesserungen durchzusetzen.

81. Beruhen die Beförderungsschwierigkeiten der Arbeitnehmer zur Hauptsache auf Überfüllung der Beförderungsmittel und auf Stockungen im Verkehr zu bestimmten Tagesstunden und können diese Schwierigkeiten nicht anders beseitigt werden, so sollten sich die Betriebe, die diese Arbeitnehmer beschäftigen, nach Eücksprache mit den betreffenden Arbeitnehmern, mit den öffentlichen Beforderungs- und Verkehrsstellen und gegebenenfalls mit anderen Betrieben des Ortes darum bemühen, Beginn und Schluss der Arbeitszeit für den gesamten Betrieb oder für einige Abteilungen den Verhältnissen anzupassen oder sie zu staffeln.

32. Besteht für die Arbeitnehmer Bedarf nach ausreichenden, leicht benutzbaren Beförderungsmitteln uod können diese auf keine andere Weise bereitgestellt werden, so sollten die Betriebe sie zur Verfügung stellen. .

33. In einzelnen Landein, Gebieten oder Industrien, in denen die öffentlichen Beförderungsmittel unzureichend oder schwer benutzbar sind, sollte der Betrieb, falls er keine Beförderungsmittel bereitstellt, irn Einvernehmen zwischen dem Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern eine Beförderungsentschädigung auszahlen.

34. Erforderlichenfalls sollten die Betriebe dafür sorgen, dass geeignete öffentliche oder sonstige Beförderungsmittel Schichtarbeitern zur Verfügung gestellt werden, die während des Tages oder der Nacht zu einer Zeit arbeiten, da die ordentlichen öffentlichen Beförderungsmittel unzureichend, unbenutzbar oder nicht vorhanden sind.

IX, Allgemeine Bestimmung 35. Wird in
dieser Empfehlung der Ausdrück «innerstaatliche Gesetzgebung» verwendet, so bezieht er sich im Falle eines Bundesstaates je nach der Verfassung des betreffenden Mitgliedes sowohl auf die Gesetzgebung des Bundes als auch der Gliedstaaten, Provinzen oder Kantone.

956 Beilage 3

Bericht der

Expertenkommission zur Prüfling der wirtschaftlichen Auswirkungen gleichen Entgeltes für gleichwertige Arbeit männlicher und weiblicher Arbeitskräfte

Einleitung Die Kommission hatte den Auftrag, im Sinne eines Postulates der eidgenössischen Rate zu prüfen, wie sich die Anwendung des Grundsatzes gleichen Entgeltes für gleichwertige Arbeit von Männern und Frauen auf die schweizerische Wirtschaft auswirken würde. Das Postulat, das in dur Frühlings-Session 1953 angenommen worden war, lautet folgendermassen : «Der Bundesrat wird im Hinblick auf die Empfehlung der 84. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz eingeladen, die Frage betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit neuerdings auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen bezüglich der Auswirkungen auf die schweizerische Wirtschaft zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten. Zur Beurteilung dieser Präge soll eine konsultative Kommission, der auch Frauen angehören, beigezogen werden.»

Es war also nicht zur Gleichheitsforderung an und für sich Stellung zu nehmen, sondern lediglich, im Hinblick auf die Empfehlung der Internationalen Arbeitsorganisation, die wirtschaftliche Tragweite jener Forderung abzuklären.

Nach dem Postulat der Räte sollte dies auf Grund der zur Verfügung stehenden Unterlagen geschehen.

In der Kommission, die unter dem Vorsitz von Herrn Direktor Kaufmann vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit stand, waren vertreten der Bund schweizerischer Frauenvereine, der Schweizerische Katholische Frauenbund, der Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen, der Schweizerische Handels- und Industrie-Verein die Delegation des Handels, der Verband der Arbeitgeber der Textilindustrie, der Schweizerische Gewerbeverband, der Schweizerische Bauernverband, der Schweizerische Gewerkschaftsbund, der Christlichnationale Gewerkschaftsbund, die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände, der Schweizerische Bankpersonalverband sowie die Wissenschaft. Die Kommission hat sich an zwei Tagungen ein-

957 gehend mit der Angelegenheit befasst ; ein Berichtsentwurf des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, der als Diskussionsgrundlage gedacht war, wurde auf Grund der Verhandlungen überarbeitet und schliesslich von der Kommission einhellig gutgeheissen.

Der Grundsatz, dass für gleichwertige Arbeit dasselbe Entgelt gewährt werden soll, ist kaum bestritten. Wie schon der Bundesrat in seinem Bericht vom 12. Dezember 1952 bemerkte, ist die Gleichheit des Entgeltes ein Problem des gerechten Lohnes überhaupt. Hingegen bereitet die Untersuchung, ob gleichwertige Arbeit vorliege, grosse Schwierigkeiten. Ausserdem unterliegt die Lohnbildung sowohl der männlichen wie der weiblichen Arbeitskräfte wirtschaftlichen Bestimmungsgründen, die nicht übersehen werden dürfen. Darüber hinaus wirkt die gesellschaftliche Stellung der, Frau auch auf ihre Tätigkeit im Berufsleben zurück. Diesen Überlegungen, die im folgenden noch näher ausgeführt werden, ist bei der Würdigung des Problems gebührend Rechnung zu tragen.

Beigefügt sei noch, dass die Gleichheit des Entgelts für gleichwertige Arbeit nur eine Seite der Forderung nach Gleichstellung der Frau in der Wirtschaft darstellt ; neben der heute weitgehend hergestellten Gleichheit der Ausbildungsmöglichkeiten steht auch die Gleichheit der Betätigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten zur Diskussion.

I. Die Stellung der Frau im Wirtschaftsleben 1. Die berufliche Tätigkeit der Frau a. Die F r a u e n a r b e i t in den einzelnen E r w e r b s z w e i g e n Es kann sich im Rahmen dieses Berichtes nicht darum handeln, die Stellung der Frau im schweizerischen Erwerbsleben in allen Einzelheiten darzustellen. Es soll lediglich versucht werden, anhand einiger Volkszählungsdaten in grossen Zügen ein Bild über die Entwicklung und die Struktur der Frauenarbeit zu entwerfen. Da die Volkszählung jeweils zu Beginn des Winters erfolgt, treten typische Saisonberufe in Landwirtschaft, Baugewerbe und Gastgewerbe nur mit einem reduzierten Bestand in Erscheinung. Gleichwohl geben die Volks zählungsergebnisse ein gutes Bild über die Frauenarbeit als ganzes und berücksichtigen auch einige besonders für die Frau wichtige Erwerbszweige, wie beispielsweise die Hauswirtschaft, welche von der andern grossen Zählung, der Betriebszählung, nicht eingeschlossen werden.

Wie der Tabelle l entnommen
werden kann, ist die Zahl der hauptberuflich tätigen Frauen J) von 434 000 im Jahre 1888 auf 635 000 im Jahre 1920 angestiegen, dann aber bis 1941 auf 570 000 zurückgefallen. Seither ist ein kräftiger Wiedoranstieg erfolgt: auf Grund der Volkszählung von 1950 wurden 640000 berufstätige Frauen ermittelt, wodurch der bisherige Höchststand von 1920 um 1

) In der Zahl von rund 800 000 im Jahre 1950 gemäss Alters- und Hinteriassenenveraicherung beitragspflichtigen Frauen sind auch die bloss nebenberuflich, tätigen Frauen erfasst.

Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. II.

66

958 5000 überschritten -wird. Von diesen 640 000 Frauen waren 98 000 oder rund ein Siebentel Ausländerinnen; von den Ausländerinnen sind rund drei Fünftel berufstätig, also ein bedeutend grösserer Prozentsatz als bei der gesamten weiblichen Bevölkerung.

]B e r u f s t ä t i g e F r a u e n

1 Jahr

1888 1900 1910 1920 1930 1941 1950

Absolute Zahlen

484 445 497 713 604 413 635 444 611 268 570 215 640 424

In Prozenten der gesamten weiblichen Bevölkerung

In Prozenten der Gesamtzahl der Bei'ufstätlßen

29 0

33 3 32 0

295 31,7 31 6 29 0 25,9 26,2

33,9 33 9 31 5 28 6 29,7

Waren 1888 von 100 Frauen 29 und 1920 sogar deren 32 berufstätig, so sind es 1941 und 1950 nur noch 26; der Anteil der berufstätigen Frauen an der Zahl der erwerbsfähigen Frauen (15 und melirj ährige) ist noch stärker gesunken, nämlich von 42 Prozent im Jahre 1888 auf 34 Prozent im Jahre 1950. Gleichzeitig ist der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Berufstätigen, der sich 1888 auf 33 Prozent, 1920 auf 34 Prozent bezifferte, auf 29 Prozent im Jahre 1941 zurückgegangen und betrug nach der letzten Volkszählung 30 Prozent. In den letzten drei Jahrzehnten hat also, gesamthaft betrachtet, die Frauenarbeit nicht entsprechend der Bevölkerungsverrnehrung zugenommen. Vielmehr erfuhr sie, bei einem nur geringen Anstieg der absoluten Zahl der weiblichen Berufstätigen, eine prozentuale Abnahme. Allerdings ist dabei auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die einer zuverlässigen und gleichmässigen statistischen Erfassung der weiblichen Arbeitskräfte, vor allem in der Landwirtschaft, entgegenstehen, ging doch in dieser Erwerbsgruppe die Zahl der erfassten berufstätigen Frauen auffallend stark, nämlich von mehr als 100 000 im Jahre 1910 auf 30 000 im Jahre 1950 zurück. Indessen zeigt es sich, dass die Frauenarbeit auch ausserhalb der Landwirtschaft nicht mehr die gleiche Stellung einnimmt wie gegen Ende des vorigen Jahrhunderts: im Jahre 1888 waren in den nicht landwirtschaftlichen Berufen die Frauen mit 42'Prozent, 1910 mit 39 Prozent, 1950 dagegen nur noch mit 34 Prozent der Berufstätigen beteiligt, In Tabelle 2 ist die Verteilung der berufstätigen Frauen auf die verschiedenen Erwerbsgruppen für die Jahre 1910,1930 und 1950 dargestellt.

Daraus geht hervor, dass im Jahre 1950 die Masse der berufstätigen Frauen, nämlich 232 000, in Industrie und Handwerk beschäftigt waren, 111 000 betätigten sich als Hausdienstangestellte, 96000 entfielen auf Handel, Bank und Versicherung, 61000 auf das Gastgewerbe, 55 000 auf den öffentlichen Dienst und private Dienstleistungen und 43 000 auf Anstalten.

959 Berufstätige Frauen nach Erwerbsgruppen 2

Prozentanteil der einzelnen Erwerbsgruppen

Absolute Zahlen Erwerbsgruppen

1910

Landwirtschaft, Porstwirtschaft .

Bergbau, Steinbrüche, Gruben .

Industrie und Handwerk . .

Handel-, Bank-, Versicherungswesen Gastgewerbe . . .

Verkehr Öffentliche Dienste, private Dienstleistungen Hauswirtschaft .

Anstalten . . . .

Uebrige Total

1910 1930

1050

1930

1960

Prozentanteil der Frauen an der G esam tzahl der Berufstätigen je Erwerbsklasse

1910

1930

1950 Ì

101441 21

51295 30106 16,8 82

66

0,0

8,4

4,7 21,3

0,0

0,0

0,3

12,4

8,5

1,1

1,1

268 988 223 864 232 039 44,5 36,7 36,2 33,4 26,3 23,2

36736 67476 95574 49688 63829 61 473 5509 7512 10028

6,1 11,0 14,9 31,2 35,4 37,9 8,2 10,4 9,6 63,6! 67,1 67,7 09 12 1,6 6,5 8, 8 102 0,9

10,2

1,2"

26845 38814 54636 4,4 . 6,3 8,5 102 788 131551 110525 17,0 21,5 17,3 9475 27237 48282 1,6 4,5 6,8 2922 108 2695 0,5 0,0 0,4 604413 611 268 640424 100,0 100,0 100,0

30,9: 33,3 97,0 98,2 72,9 64,1 33,8 1 7 33,9 31,5 1 } *

33,3 98,9 66,8 19,5 29,7

In der beruflichen Zusammensetzung der erwerbstätigen Frau sind seit 1910 erhebliche Veränderungen eingetreten. Nach den Ergebnissen der Volkszählung ist die Zahl der hauptberuflich in der L a n d w i r t s c h a f t tätigen Frauen seit der Zeit vor dem ersten Weltkrieg bis heute von 101 000 auf 80 000, also um rund 70 Prozent, zurückgegangen. Dieser Eückgang ist aber zum grössten Teil dadurch bedingt, dass Bauernfrauen und Bauerntöchter durch die Volkszählung nur dann als landwirtschaftliche Arbeitskräfte erfasst werden, wenn sie sich auf der Zählkarte in der Rubrik Hauptberuf ausdrücklich als solche bezeichnen, was seit 1910 aus nicht eindeutig feststellbaren Gründen immer weniger der Fall war. Im Gegensatz dazu hat die Zahl der nebenberuflich in der Landwirtschaft tätigen Frauen wie die Tabelle 3 zeigt, vor allem von 1980 auf 1941, zum grössten Teil allerdings durch kriegswirtschaftliche Massnahmen bedingt, stark zugenommen.

Haupt- und nebenberuflich in der Land- und Forstwirtschaft tätige Frauen 3

1910 .

1920 .

1930 1941 1950

Jahr

Hauptberuf

Nebenberuf

Zusammen

101 441

46 264

147 705

36548

133 681 103 396 193 082 162 319

97133 51 295

30137 30106

52101 162 945 132 213

960 Dass die Bedeutung der Frauenarbeit in der Landwirtschaft in den Volkszählungsergebnissen nicht genügend zum Ausdruck kommen kann, geht auch daraus hervor, dass nach den Ergebnissen der Betriebszählung von 1989 zwei Fünftel der ständig in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeitskräfte von mehr als 15 Jahren, insgesamt 288 000, weiblichen Geschlechts waren. Diese setzen sich zusammen aus 17 000 Betriebsinhaberinnen, 188 000 Familienangehörigen, 11 000 anderen Verwandten, 17 000 eigentlichen Dienstboten und 1000 Pfleglingen und Anstaltsinsassen. Dazu kommen noch - neben der nicht berücksichtigten Kinderarbeit - 125 000 gelegentlich mitarbeitende Frauen, wobei natürlich auch hier auf die Schwierigkeiten der Zuteilung zum ständigen oder gelegentlichen Personal aufmerksam zu machen ist. Auch sei bei dieser Gelegenheit auf die hinsichtlich ihrer Arbeitsleistung sehr ungleiche Bedeutung der in diesen Zahlen vereinigten Personen hingewiesen. Ein Vergleich mit den Ergebnissen der Betriebszählung von 1929 ergibt einen Bückgang der weiblichen Arbeitskräfte um 14 Prozent.

Abgesehen von den besonderen Verhältnissen in der Landwirtschaft ist vor allem die gegensätzliche Entwicklung der Frauenarbeit in Industrie und Handwerk einerseits und in Handel, Bank und Versicherung anderseits bemerkenswert.

Beide Gruppen zusammen umfassen seit 1888 stets rund die Hälfte aller weiblichen Berufstätigen. Gehörten aber der Erwerbsgruppe Indus trie und Handwerk im Jahre 1910 269 000 weibliche Arbeitskräfte an, so waren es 1941 nur noch gut 200 000 oder wenig mehr als fünfzig Jahre zuvor ; im Verlaufe der letzten neun Jahre ist ihre Zahl wieder auf 232 000 angestiegen, ohne indessen damit den Höchstwert von 1910 wieder zu erreichen. Aber auch im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Industrie und Handwerk berufstätigen Personen hat die Frauenarbeit an Bedeutung eingebüsst, während sie im Gegensatz dazu in der Mehrzahl der übrigen Erwerbsgruppen an Boden gewonnen hat.

Die Zahl der weiblichen H a n d e l s - , Bank- und V e r s i c h e r u n g s a n g e stellten hat sich seit 1888 beinahe verfünffacht und ist .gegenüber 1910.auf das Zweieinhalbfache gestiegen. Heute sind beinahe 100 000 Frauen in dieser Gruppe beschäftigt ; ihr Anteil an der Gesamtheit der berufstätigen Frauen ist denn auch seit 1910 von 6 auf 15 Prozent gestiegen,
während jener von Industrie und Handwerk einen entsprechenden Rückgang von 45 auf 86 Prozent zu verzeichnen hat.

In der H a u s w i r t s c h a f t, der zahlenmässig zweitstärksten Erwerbsgruppe, ist die Zahl der berufstätigen Frauen bis 1980 von 108 000 auf 131000 angestiegen; in den beiden letzten Zählungen ist sie jedoch wieder auf 115 000 und 111000 gesunken, so dass ihr Anteil an der Frauenarbeit mit rund einem Sechstel praktisch gleich geblieben ist wie vor 40 Jahren. Dagegen haben das Gastgewerbe und vor allem die ö f f e n t l i c h e n Dienste und p r i v a t e n Dienstleistungen stark an Terrain gewonnen; noch stärker an Bedeutung hat die Frauenarbeit in Anstalten zugenommen, auf welche 1910 erst 1,6 Prozent, 1950 aber 6,8 Prozent aller berufstätigen Frauen entfielen.

Wie unterschiedlich jedoch die Entwicklung innerhalb der grossen Sammelgruppe Industrie und Handwerk war, zeigt die Tabelle 4, in welcher nur jene

961 Erwerbszweige aufgeführt sind, die im Jahre 1950 mehr als 4000 Berufstätige weiblichen Geschlechts aufwiesen, zusammen aber 95 Prozent aller in dieser Erwerbsgruppe beschäftigten Frauen in sich vereinigten.

Berufstätige Frauen in Industrie und Handwerk 4

wer szwei

Bekleidungsgewerbe (inkl. Schuhindustrie) .

Textilindustrie . . . .

Uhrenindustrie . . . .

Metall- und Maschinenindustrie Nahrungsmittelindustrie , Graphisches Gewerbe . .

Chemische Industrie . .

Papierindustrie . . . .

Tabakindustrie

Absolute Zahlen

Prozentanteil

1910

1930

1950

1950

108 469 110 677 19215

84801 65 320 22 933

76263 43438 27810

68,4

8982 9528 2903 1084 3070 6289

11 657 13823 6334 3145 4475 5216

25 375 20034 8211 7831 6707 4656

9,5 24,1 25,1 22,1 34,8 67,1

55 2 430

Der Eückgang der Frauenarbeit in Industrie und Handwerk ist in erster Linie auf die in der schweizerischen Industrie seit der Jahrhundertwende eingetretene strukturelle Veränderung und auf Wandlungen im Produktionsprozess zurückzuführen, von denen hauptsächlich jene Industrien in Mitleidenschaft gezogen worden sind, welche mehrheitlich Frauen beschäftigen. So waren 1910 nicht weniger als je rund 110 000 Frauen in der Textilindustrie und im Bekleidungsgewerbe tätig, was zusammen mehr als vier Fünfteln aller in Industrie und Handwerk berufstätigen Frauen entsprach. Heute arbeiten im Bekleidungsgewerbe noch rund 76 000, in der Textilindustrie etwas mehr als 43 000 Frauen. Immerhin sind in den beiden Industrien auch jetzt noch 33 Prozent und 1.9 Prozent, also zusammen etwas mehr als die Hälfte, der in der Industrie und im Handwerk beschäftigtenFrauenn tätig.

Erst in weitem Abstand folgen die Uhrenindustrie mit 28 000 und bemerkenswerterweise bereits die Metall- und Maschinenindustrie mit 25 000 Frauen. Dank des starken Wachstums dieser letzteren Industrie und der technischen Entwicklung hat hier die Frau zufolge ihrer Geschicklichkeit und ihrer Eignung für Feinarbeit ein neues Betätigungsgebiet gefunden; die Zahl der weiblichen Arbeitskräfte hat sich denn auch im Laufe von vier Jahrzehnten mehr als versechsfacht. Auch in den übrigen Industrien, mit Ausnahme der Tabakverarbeitung, hat die Frauenarbeit eine fühlbare Ausweitung erfahren, ohne jedoch gesamthaft den Vorlust in der Textil- und Bekleidungsindustrie wettmachen zu können.

Auf die Verhältnisse in den Ö f f e n t l i c h e n V e r w a l t u n g e n sei auch noch speziell eingetreten. Im Jahre 1950 waren insgesamt 10 500 Frauen im Dienste eidgenössischer Verwaltungen und Betriebe, 16 900 in kantonalen, 18 700 in

962 kommunalen sowie 1900 in internationalen Büros oder ausländischen Verwaltungen. Von diesen insgesamt rund 48 000 berufstätigen Frauen entfielen, um die grössten Gruppen zu nennen, 21 000 auf die öffentlichen Dienste im engern Sinne, 16 000 auf Anstalten und 8000 auf den Verkehr sowie je zwischen 1000-2000 auf Industrie und Handel. Vor allem interessiert in diesem Zusammenhang die in der Volkszählung als «öffentlicher Dienst» figurierende Gruppe, deren Entwicklung aus nachfolgender Aufstellung hervorgeht : Berufstätige Frauen im Dienste öffentlicher Verwaltungen (ohne Anstalten, Verkehr, Industrie und Handel) 1910-1950 Enverbszwelg

Öffentlicher Dienst . .

davon : Verwaltung im engern Sinne . . . . .

Gesundheitswesen . . . . . . .

Unterricht

1810

1930

1950

9676 685 194 8847

14189 2662 501 10922

21084 6895 941 12992

Während die Zahl der in öffentlichen Schulen, zum grössten Teil ab Lehrerinnen, beschäftigten Frauen im Laufe der letzten vierzig Jahre nicht viel stärker zugenommen hat als die Gosamtbcvölkerung, ist beim öffentlichen Gesundheitsdienst eine Zunahme auf das Viereinhalbfache und bei der eigentlichen Verwaltung sogar eine solche auf das Zehnfache eingetreten, wobei vor allem die Vermehrung seit dem Jahre 1930 auffällt. Von den rund 7000 weiblichen Verwaltungsangestellten arbeiten 1300 in eidgenössischen und je 1900 in kantonalen -und kommunalen Verwaltungen; die Zahl der in internationalen Büros beschäftigten weiblichen Angestellten beträgt im Jahre 1950 rund 1800.

Entsprechend den spezifischen Anforderungen der verschiedenen Berufe ist naturgcmäss der Anteil der Frauenarbeit von Erwerbsgruppe zu Erwerbsgruppe verschieden. In der Hauswirtschaft, der ältesten Domäne weiblicher Beschäftigung, sind beinahe ausschhesslich Frauen tätig. Auch im Gastgewerbe und in den Anstalten dominiert die Frauenarbeit mit rund zwei Dritteln der Beschäf-.

tigten. Wesentlich geringer, wenn auch immer noch bedeutend, ist der Anteil der Frauenarbeit in Handel, Banken und Versicherung sowie in der Erwerbsgruppe öffentlicher Dienst und private Dienstleistungen mit je rund einem Drittel bis zwei Fünfteln, wogegen von den in Industrie und Handwerk Beschäftigten nur knapp ein Viertel weiblichen Geschlechts ist.

Innerhalb der grossen Sammelgruppe Industrie und Handwerk sind jedoch die Bcschäftigungsverhältnisse sehr unterschiedlich (siehe Tabelle 4). Mehrheitlich Frauenarbeit weisen von den grösseren Erwerbszweigen lediglich das Bekleidungsgewerbe, die Tabakindustrie und die Textilindustrie mit 68, 67 und 55 Prozent aller Beschäftigten auf, also jene Industrien, welche als einzige seit

963

der Jahrhundertwende einen Rückgang der Zahl der beschäftigten Frauen verzeichnen. Sehr bedeutend ist der Anteil der Frauenarbeit auch in der Uhrenindustrie mit mehr als zwei Fünftem, während in der Metall- und Maschinenindustrie der Anteil der Frauen trotz einer starken Zunähme noch keine 10 Prozent ausmacht.

b. Stellung im Beruf "Von besonderem Interesse ist im Zusammenhang mit der Frage des gleichen Lohnes für gleichwertige Leistung die Gliederung der weiblichen Berufstätigen nach der Stellung, in der ein Beruf ausgeübt wird. Vorerst sei darauf hingewiesen, dass nach der Volkszählung von 1.950 von den 640 000 berufstätigen Frauen etwas mehr als ein Zehntel selbständig Erwerbende waren, für welche der Grundsatz der Gleichheit der Entlöhnung kein Problem darstellt. Im Vergleich dazu sind mehr als ein Fünftel der berufstätigen Männer selbständig erwerbend; sie sind also verhältnismässig bedeutend stärker vertreten. Wie Tabelle 5 zeigt, ist die Zahl der weiblichen Selbständigen innert der letzten 40 Jahre von 118 000 auf 68 000 oder um 43 Prozent zurückgegangen, also wesentlich mehr als die Frauenarbeit als ganzes; als Folge davon weist denn auch der Anteil der Selbständigen an der Gesamtzahl der berufstätigen Frauen eine Abnahme von einem Fünftel auf einen Zehntel auf. Dieser Rückgang erklärt sich aus den besonderen Verhältnissen in der Landwirtschaft und den Strukturwandlungen in Industrie und Handwerk, wo besonders im Bekleidungsgewerbe die auf eigene Rechnung hauptberuflich als Schneiderinnen, Näherinnen und Glätterinnen Tätigen an Zahl stark abgenommen haben, dies zufolge der Konkurrenz der Kleider- und Wäschefabriken, Grosswäschereien und Grossglättereien Selbständig erwerbende Frauen nach Erwerbsgruppen seit 1910 Prozentanteil der einzelnen Erwerbsgruppen

Prozentanteil der selbst. Frauenander Gesamtzahl aller Selbständigen Je Erwerbsklasse

1910

1910

5

Absolute Zahlen Erwerbsgruppen

1910

Landwirtschaft, Forstwirtschaft . 25943 Industrie und Handwerk 63455 Handel, Bank-, Versicherungswesen . 11117 Gastgewerbe . . .

9384 Öffentliche Dienste, private Dienstleistungen . . . .

7915 Übrige 636 Total 118 450

1930

1

1950

1930

16268 11457 21,9

1950

1930

1950

18,3 16,9

12,2

8,4

6,7

86282 20878 53,6 1 40,7 30,8

89,8

28,1

17,2

12286 12794 14229 12393 9431 9852 532 561

:

9,4 13,8 18,8 7,9 ; 16,0 18,2

28,0 25,5 23,0 41,9 53,6 52,2

6,7 10,6 14,5 40,4 36,4 31,1 0,5 0,6 0,8 10,0 9,7 10,3 89028 67 935 100,0 100,0 100,0 25,7 20,8 16,6

964 Innerhalb der Gruppe der unselbständig Erwerbenden bilden die Arbeiter ·wie aus Tabelle 6 hervorgeht, nach wie vor die Hauptmasse; bei Männern und Frauen sind gut drei Fünftel Arbeiter und etwas mehr als ein Viertel Angestellte.

Sowohl bei den Angestellten als auch bei den Arbeitern beträgt der Frauenanteil ziemlich genau einen Drittel.

Unselbständig "Erwerbende nach Geschlecht und Stellung im Beruf, 1950 6

i

Stellung im Beruf

!

' ·

Prozentzahlen

Absolute Zahlen t

Männer

Frauen

Total

305 114

153 629

458 743

Von 100 selbständig Erwerbenden waren

Männer Frauen Männer Frauen

26,0

26,8

66,5

33,5

858 092 1 056 585 60,0

61,7

66,6

33,4

2,1

82,1

17,9

12727 0,8 2,2 . . .

9534 22261 8174 12229 . . .

4 055 0,3 1,4 Fami. . .

97905 33071 130 976 8,3 5,8 Total 1 174 278 572 489 1 746 767 100,0 100,0

42,8 33,2

57,2 66,8

74,8 67,2

25,2 32,8

Angestellte . . . .

Arbeiter (gelernt/an-

gelernt / ungelernt) 703 493 Gewerbliche Lehr!

linge 54 177

11796

65973

4,6

Kaufmännische

Lehrlinge .

Heimarbeiter Mitarbeitende lienglieder.

Über die zeitliche Entwicklung der Zahl der Angestellten und Arbeiter lassen sich mangels vergleichbarer Daten keine genauen Angaben machen. Immerhin kann soviel gesagt werden, dass gegenüber der Jahrhundertwende die Zahl der Arbeiter etwa um einen Drittel zugenommen hat, während jene der Arbeiterinnen einen leichten Eückgang aufweist. Anderseits ist die Zahl der Angestellten im Zuge der ständigen Ausdehnung der planenden und verwaltenden Arbeit innerhalb der gesamten Wirtschaftstätigkeit bei beiden Geschlechtern stark angestiegen, wobei die Zunahme bei den Frauen noch etwas ausgeprägter war als bei den Männern. Der Anteil der Angestellten, einschliesslieh der mitarbeitenden Familienglieder, an der Gesamtzahl der unselbständig Erwerbenden erhöhte sich gegenüber 1900 bei den Männern von 13 auf 26 Prozent, bei den Frauen von 10 auf 29 Prozent. Bezeichnend für diese Änderung in der sozialen Schichtung der berufstätigen Frau ist, dass 1910 auf 100 Arbeiterinnen erst 19 weibliche Angestellte entfielen, 1941 aber 85 und 1950 sogar 45.

Auch die Lehrlingszahlen belegen eindeutig die zunehmende Bevorzugung der Büroberufe durch die Frau. Umfasste die Berufsgruppe Handel und Verwaltung im Durchschnitt der Jahre 1935-1939 einen guten Drittel der von Lehrtöchtern neu abgeschlossenen Lehrverträge, so waren es 1955 etwas mehr als zwei Drittel (ohne Berücksichtigung der Ausbildung in anerkannten Handelsschulen). In diesem Jahre wandten sich nicht weniger als 6363 Lehrtöchter den kaufmännischen Berufen zu gegenüber bloss 3360 Lehrlingen.

965 Aber auch innerhalb der beiden Gruppen der Arbeiter und der Angestellten ist ein Aufstieg zu qualifizierterer und leitender Arbeit festzustellen, wenn auch, wie die Ergebnisse der Volkszählung von 1950 zeigen, der Anteil der Angestellten in leitender Stellang bei den Frauen nach wie vor wesentlich geringer ist als bei den Männern.

Bei den Arbeiterinnen ergriffen im Durchschnitt der Jahre 1935 bis 1989 erst 18 Prozent der schulentlassenen Töchter einen gelernten Beruf, 1954 dagegen waren es deren 28 Prozent. Nach der Volkszählung von 1950 ergibt sich mit Bezug auf den Grad dor beruflichen Ausbildung, dass von 100 Arbeiterinnen 16 einen gelernten, 76 einen angelernten und 8 einen ungelernten Beruf ausüben. Im Vergleich mit 1941 hat der Anteil der gelernten Arbeiterinnen leicht zugenommen.

c. Zivilstand und Alter Sozialpolitisch sowie ira Hinblick auf das Lohnproblem ist die Kenntnis des Zivilstandes und des Alters der berufstätigen Frau von besonder«!! Interesse.

Wie zu erwarten, ergibt die Gliederung nach dem Zivilstand bei der berufstätigen Frau ein ganz anderes Bild als liei den Männern. In Übereinstimmung mit der Erfahrungstatsache, dass die Frau mit ihrer Verheiratung im allgemeinen aus dem Arbeitsprozess ausscheidet, zeigt die Tabelle 7, dass die grosse Mehrzahl der berufstätigen Frauen, 458 000 oder rund sieben Zehntel, ledigen Standes ist.

Die restlichen drei Zehntel setzen sich zusammen aus 104 000 verheirateten, 52 000 verwitweten und 30 000 geschiedenen Frauen. Bemerkenswert, ist namentlich die Feststellung, dass von allen ledigen Frauen im erwerbsfähigen Alter beinahe drei Viertel berufstätig sind, während von den verheirateten nur ein Zehntel und von den verwitweten ein Viertel im Berufsleben stehen ; dagegen sind ein verhältnismässig grosser Teil der geschiedenen Frauen, nämlich etwas mehr als zwei Drittel, auf Arbeit und Verdienst angewiesen. Hervorzuheben ist die Tatsache, dass der Anteil der berufstätigen verheirateten, verwitweten und geschiedenen Frauen (für die einzelnen Gruppen liegen leider keine Angaben vor), seit der Jahrhundertwende von 22 auf 15 Prozent zurückgegangen ist, eine Entwicklung, die ihre Ursache zu einem wesentlichen Teil in der allmählichen Hebung der realen Verdienste der verheirateten Männer hat, wobei auch in diesem Zusammenhang auf die abweichenden Verhältnisse in der Landwirtschaft aufmerksam zu machen ist.

Berufstätige nach Geschlecht und Zii'ilstand, 1950 7

Männer

Frauen

zivilstand Absolute Zahlen

Ledige 509 795 453 212 Verheiratete . .

943 842 104 436 Verwitwete . . .

86166 52464 23429 Geschiedene . .

30 312 Total 1 515 232 640 424

MLnner

Frauen

33,6 62,5 2,4 1,5 100,0

70,8 16,3 8,2 4,7 100,0

Von ju luo

Männern Fruucn A Iter von 1 S und mehr Prozentuale Gliederung ini Jahren waren berufstätig

85,5 93,1 54,3 87,6 88,5

72,2 10,3 24,7 67,2 33,7

966 Über das Alter der berufstätigen Männer und Frauen orientiert die'Tabelle 8.

Berufstätige nach Geschlecht und Alter, 1950 8

Absolute Zahlen Alter in Jahren

Männer

Unter 30 30 bis 59 .

60 und mehr Total

Ml 445 892.560 181 227 1 515 232

Frauen

304 102 278 339 57 983 640 424

Prozeatverteilung M/inner

Prauen

29,1 58,9 12,0 100,0

47,5 43,4 9,1 100,0

Dieser Zusammenstellung ist zu entnehmen, dass, entsprechend dem grossen Anteil der Ledigen, die berufstätigen Frauen durchschnittlich wesentlich jünger sind als ihre männlichen Kollegen, hatte doch 1950 nahezu die Hälfte der berufstätigen Frauen das dreissigste Altersjahr noch nicht zurückgelegt, während bei den Männern nicht einmal ganz drei Zehntel auf diese Altersklasse entfallen, Erwähnt sei noch, dass im Jahre 1950 von den 58 000 Frauen, die 60 und mehr Jahre zählten und noch einen Beruf ausübten, beinahe die Hälfte verwitwet oder geschieden war.

d. Z u s a m m e n f a s s u n g Die Frauenarbeit ist gesamthaft sowohl im Verhältnis zur weiblichen Bevölkerung wie zur Gesamtzahl der berufstätigen Personen gegenüber dem Stand zu' Beginn des Jahrhunderts zurückgegangen. Auch die absolute Zahl der berufstätigen Frauen hat sich seit dem ersten Weltkrieg trotz der starken Bevölkerungszunahme nur wenig verändert. Was die berufliche Gliederung betrifft, so konzentriert sich die Frauenarbeit nicht mehr in so ausgesprochenem Masse auf die Textilindustrie, das Bekleidungsgewerbe, die Landwirtschaft und die Hauswirtschaft wie ehedem. Im Laufe der Jahre hat die Frau in immer mehr Erwerbszweigen und Berufen FUSS gefasst, so namentlich in Handel, Bank und Versicherung, im öffentlichen Dienst, in don privaten Dienstleistungsgewerben, im Verkehr und innerhalb von Industrie und Handwerk vor allem in der Metallund Ma.schinenindustrie, in der Nahrungsmittelindustrie, in der chemischen Industrie, im graphischen Gewerbe und in der Papierindustrie. Hand in Hand mit diesen Wandlungen vermochte die Frau ihre Stellung in Büro und Laden zu.

festigen. Trotzdem entfielen 1950 immer noch rund drei Fünftel der unselbständig erwerbenden Frauen auf die soziale Schicht der Arbeiterinnen. Innerhalb der beiden Gruppen der Arbeiterinnen und Angestellten lässt sich ein Aufstieg zu qualifizierterer und damit auch besser bezahlter Arbeit nachweisen.

Gleichzeitig ist die Zahl der verheirateten, verwitweten und geschiedenen Frauen, die einen Beruf ausüben, merklich zurückgegangen. Von der Gesamtzahl der berufstätigen Frauen sind rund drei Viertel ledig und nahezu die Hälfte weniger als 80 Jahre alt.

967 2. Frauenlöhne und Männerlöhne Die Durchschnittslöhne in Franken und Eappen von Männern und Frauen sind auf Grund der lohnstatistischen Publikationen in der «Volkswirtschaft» hinreichend bekannt, so dass auf deren Wiedergabe verzichtet werden kann.

Hier kommt es in erster Linie auf die Relation zwischen den Löhnen der männlichen und weiblichen Arbeitskräfte an.

Vorausgeschickt sei, dass die vorhandenen lohnstatistischen Unterlagen nicht ausreichen, um einen einwandfreien und zuverlässigen Vergleich zwischen den Löhnen von Männern und Frauen bei gleichwertiger Leistung durchzuführen. Selbst dort, wo für den gleichen Beruf Durchschnittslöhne von Männern und Frauen vorliegen, darf aus den bestehenden Lohnunterschieden nicht ohne weiteres auf ungerechtfertigte Ungleichheiten des Entgelts geschlossen werden, da gleiche Berufsbenennungen nicht unbedingt auch gleiche Tätigkeiten, Pflichten und Verantwortlichkeiten in sich schliessen. So besorgt ein Hilfsarbeiter in der Textilindustrie oft schwerere Arbeiten (z. B. Transporte), während die Hilfsarbeiterin beispielsweise Spulen verpackt, mithin eine einfache und saubere Arbeit ausführt. Hinzu kommt, dass sich zwischen der Berufstätigkeit von Männern und Frauen eine weitgehende Arbeitsteilung durchgesetzt hat, und dass infolgedessen Arbeitsgebiete, auf denen Männer und Frauen die genau gleiche Tätigkeit ausüben, eher die Ausnahme bilden.

In der Tabelle 9 wird die Eelation der Durchschnittsverdienste von Männern und Frauen für einzelne Erwerbszweige und für die Jahre 1939 und 1954 dargestellt. Die Zahlen beruhen auf den Ergebnissen der allgemeinen Lohn- und Gehaltserhebung. Der Lohnbegriff, welcher dieser Erhebung zugrunde liegt, entspricht den Weisungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt, wonach die bar ausbezahlten Löhne einschhesslich Teuerungs- und Familienzulagen sowie allfällige Naturalbezüge und die regehnässigen Nebenbezüge zu berücksichtigen sind. Nicht eingeschlossen sind in diesen Durchschnittsverdiensten die Ferien- und Feiertagsentschädigungen, die Beiträge der Arbeitgeber an Krankenkassen, Altersversicherung und Unfallversicherung, sowie weitere Leistungen an Institutionen der Alters- und Hinterbliebenenfürsorge. Trotzdem immer mehr die Tendenz zu erkennen ist, die Familien- und Kinderzulagen für Männer und Frauen in gleicher
Höhe festzulegen, lässt ihre Berücksichtigung die Männerlöhne ini Vergleich zu den Frauenlöhnen etwas höher erscheinen, weil ein grösserer Prozentsatz Männer in den Genuss solcher Zulagen kommt. Da jedoch diese Vergleiche lediglich die wichtigsten Tendenzen sichtbar machen sollen und in der Schweiz die Höhe der Familienzulagen im allgemeinen relativ bescheiden ist, können diese Unterschiede weitgehend vernachlässigt werden.

Bei Beurteilung dieser Verhältniszahlen muss man sich wiederum vor Augen halten, dass die Zusammensetzung der durch die allgemeine Lohn- und Gehaltserhebung erfassten männlichen und weiblichen Arbeitskräfte nach Beruf, Qualifikation, Zivilstand, Alter sowie in regionaler Hinsicht sehr verschieden ist, und dass hier also nicht die Verdienste für gleiche Leistungen, sondern ledig-

968 Relative Verdienste der Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten nach Erwerbszweigen, 1939 und 1955 x) 9

Frauenlohne, wenn Männerlöhne = 100

Erwerbszweige

Bekleidung u n d Ausrüstung . . . .

Nahrungs- und Genussmittel, . , , Chemische Industrio Papier- u n d Lederindustrie . . . .

Metall- und Maschinenindustrie , .

Uhren- und Bijouterieindustrie . .

Handel . . . ' Banken, Versicherungen Sämtliche Erwerbszweige

Arbeiterinnen

Angestellte

1939

1955

1939

1955

68 59 49 59 54 44 56 62 61

70 63 60 61 60 50 64 65 65

55

64

62 62 58 63 58 60 57 62 60 67 57

65 65 60 64 60 57 60 57 62 64 61

lieh allgemeine Durchschnittsverdienste von Männern und Frauen miteinander verglichen werden. Immerhin geht aus der Zusammenstellung hervor, dass sich der relative Abstand zwischen den Löhnen der Arbeiter und Arbeiterinnen von 1939 auf 1955 merklich verringert hat. Betrugen die durchschnittlichen Stundenverdienste der Arbeiterinnen 1989 55% der entsprechenden Verdienste der Männer, so erhöhte sich diese Quote auf 64% im Jahre 1955. Wird ferner berücksichtigt, dass nach der Statistik der Löhne verunfallter Arbeiter im Jahre 1918 der Frauenlohn erst 49% des Männerlohnes ausmachte, so ergibt sich, dass im Verlauf von vier Jahrzehnten eine wesentliche Annäherung des Lohnniveaus der Frauen an jenes der Männer stattgefunden hat, nämlich von rund der Hälfte auf rund zwei Drittel des Männerlohnes. Der Tabelle kann ferner entnommen werden, dass alle wichtigeren Erwerbszweige an dieser Entwicklung beteiligt sind, wenn auch in verschiedenem Ausmass. Bei den Arbeiterinnen ist die Angleichung ausgeprägter als bei den Angestellten; für die weiblichen Angestellten des graphischen Gewerbes, der Uhrenindustrie sowie der Banken und Versicherungen war die Eelation im Jahre 1954 sogar weniger günstig als 1989.

Am geringsten sind die Unterschiede zwischen den Löhnen von Männern und Frauen in der Textilindustrie, wo die Hauptmasse der Beschäftigten aus angelernten Arbeitern besteht und die beruflichen Funktionen der männlichen und weiblichen Arbeitskräfte wahrscheinlich am wenigsten voneinander abweichen. Umgekehrt liegen die Verhältnisse im graphischen Gewerbe, dessen männliche Belegschaften sich überwiegend aus hochqualifiziertefi und gutbezahlten Facharbeitern zusammensetzen, während die Frauen mehrheitlich nur angelernte Funktionen ausüben dürfen.

1 ) Ergebnisse der Lohn- und Gehaltserhebung, inklusive Kinder- und. Familienzulagen,

969 Ob und inwieweit die erwähnte Hebung des Lohnniveaus der Frauen auf eine bewusste Besserstellung der Frau, zurückzuführen ist, oder ob sie hauptsächlich mit der während und nach den beiden Weltkriegen geübten Praxis zusammenhängt, bei der Anpassung der Löhne an die Teuerung in erster Linie die Arbeiterkategorien mit niedrigen Löhnen zu berücksichtigen, lässt sich nicht feststellen. Einen Hinweis in dieser letzteren Eichtung gibt Tabelle 10, in welcher die Eelationen zwischen Männer- und Frauenverdiensten für Arbeiter und Angestellte von Jahr zu Jahr verfolgt werden können.

Frauenlöhne, wenn Münnerlöime = 100 (Ergebnisse der Lohn- und Gehaltserhebung) 10

Jahr

Arbeiterinnen

AD gestellt e

1989 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1932 1953 1934 1955

55 57 58 60 63 65 65 65 65 65 65 65 65 64 64

57 57 59 .58 59 59 60 61 61 61 61 61 61 61 61

In diesen Zahlen gelangt deutlich zum Ausdruck, dass die Annäherung der Frauenlöhne bereits im Jahre 1948 zum Abschluss gekommen ist, und dass seither in ihrer Eelation zu den Männerlöhnen keine wesentlichen Änderungen mehr eingetreten sind; bei den Arbeiterinnen ist in den letzten Jahren eine leichte^Zunahme des Lohnunterschiedes zu verzeichnen.

Wird der Vergleich zwischen den Männer- und Frauenlöhnen auf Arbeitskräfte mit gleicher Berufsbezeichnung ausgedehnt - soweit hiefür Unterlagen vorhanden sind - so zeigt sich, dass die Löhne der beiden Geschlechter zum Teil schon wesentlich näher beisammen liegen. Für einzelne Berufe der Textilindustrie ergibt sich auf Grund der Statistik der Löhne verunfallter Arbeiter das folgende Bild: Für die angeführten Berufe im ganzen beläuft sich der Frauenlohn auf 77 % des Männerlohnes. Wie erwähnt, wäre es indessen verfehlt, den Abstand gegenüber dem Männerlohn einzig und allein auf eine ungleiche Bezahlung der männlichen und weiblichen Arbeitskräfte zurückzuführen. Gerade die nicht unerheblichen Unterschiede, die sich in bezug auf dieses Verhältnis zwischen den einzelnen Berufen ergeben, lassen darauf schliessen, dass sich hinter den gleichen

970 Berufe

Frauenlöhne,wenn Männerlöhne =100 1950-1954 Weberinnen 79 Schneiderinnen 68 Zuschneiderinnen 68 Büglerinnen 66 Nachseherinnen 87 Hilfsarbeiterinnen 75 Fabrikarbeiterinnen (ohne nähere Bezeichnung) , 75 zusammen

77

Berufsbezeichnungen teilweise auch nennenswerte Unterschiede in der Arbeitsleistung verbergen.

Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass in der Industrie sämtliche Lohnunterschiede leistungsbedingt seien. Der Bund schweizerischer Frauenvereine führt konkrete Beispiele für ungleiche Entlöhnung bei gleicher Arbeit an.

Eine weitgehende Angleichung der Frauen- an die Männerlöhne ist, gestützt auf die Ergebnisse der allgemeinen Lohn- und Gehaltserhebung Von 1955, für einzelne Berufe des Gastgewerbes feststellbar, in denen die -beruflichen Anforderungen für beide Geschlechter annähernd die gleichen sein dürften.

Sekretärinnen Küchen- und Officemädchen Hausmädchen

Frauenlöhne, wenn 1) Männerlöhne = 100 92 95 92

Auf Grund der vom Schweizerischen Bauernsekretariat regehnässig durchgeführten Umfrage über die Löhne landwirtschaftlicher Dienstboten und Taglöhner ergibt sich, dass der Durchschnittslohn eines weiblichen ledigen Dienstboten in Haushaltung und Betrieb ini Sommer 1956 um 20% tiefer lag als jener der ledigen Arbeiter für alle Arbeiten und dass die Taglöhnerin einen um 27 % tieferen Lohn aufweist als der Taglöhner. Diese Zahlen haben sich seit der Vorkriegszeit nur unwesentlich verändert.

Als weitere Dokumentation seien die in Gesamtarbeitsverträgen festgelegten Lohnsätze herangezogen, soweit sie .sich auf Arbeiten mit gleicher .Berufsbexeichnung für männliche und weibliche Arbeitskräfte beziehen. Das Ergebnis dieser Analyse ist in der Anhangstabelle dargestellt. Die Unterschiede in den Lohnsätzen männlicher und weiblicher Arbeitskräfte bewegen sich bei einem Durchschnitt von 20% zwischen 5% (Gärtnerinnen) und 35% (Hilfsarbeiterinnen in der Konfektions- und Wäscheindustrie) der entsprechenden Männerlöhne. Erwähnt sei ferner, dass vielfach, vor allem in der Uhrenindustrie *) Kost und Logis eingerechnet.

971 und in einzelnen Zweigen der Textilindustrie, die Lohnsätze als Mindest- oder Durchschnittslöhne für ganze Abteilungen angesetzt sind, unbekümmert darum, ob die Arbeit von Männern oder von Frauen durchgeführt wird. Auch die Akkordansätze sind vielfach für beide Geschlechter die gleichen.

Was den Handel betrifft, so teilt der Verband schweizerischer Waren-und Kaufhäuser mit, die bestehenden Lohnimterschiede seien leistungsbedingt. Nach Auskunft des Verbandes schweizerischer Konsumvereine trifft dies für seinen Bereich in der Eegel ebenfalls zu, doch miisste leistungsmässig eine Anzahl Mitarbeiterinnen in eine höhere Lohnklasse eingereiht werden; aber auch wo Leistungsunterschiede bestehen, bleibe fraglich, ob sie das Mass der Lohnunterschiede rechtfertigten. Im Buchhandel der deutschen Schweiz sind die Lohnansätze gemäss Gesamtarbeitsvertrag für Mann und Frau gleich hoch, doch besteht ein Mangel an männlichen Arbeitskräften. Das weibliche Bankpersonal erhält für einigermassen vergleichbare Arbeiten 20 bis 25 Prozent wehiger Lohn, was mit sozialen Eücksichton und Verschiedenheiten der Ausbildung begründet wird; jedoch erhalten infolge der Lage auf dem Arbeitsmarkt dio jungen weiblichen Angestellten im Durchschnitt sogar etwas höhere Anfangslohne als ihre männlichen Kollegon, während vom Alter von 24 Jahren an die Ansätze für die Männer generell höher sind.

Über die Salärverhältnisse männlicher und weiblicher Angestellter vermitteln die Erhebungen des Schweizerischen Kaufmännischen Vereins einige zusätzliche Aufschlüsse, indem hier neben den Berufen auch das Alter mitberücksichtigt ist. Für das Total aller Angestellten ergeben sich, gegliedert nach Altersstufen, folgende Relationen zwischen den Gehältern von Männern und Frauen : Alter in

Jahren 20-24 25-34 35-44 45 und mehr

Frauensaläre, wenn

Männersaläre = 100 87 68 61 59 zusammen

61

Nach diesen Angaben, die sich auf das Jahr 1950 beziehen, ist der Abstand gegenüber dem Männersalär bei den jüngsten weiblichen Angestellten mit 13 Prozent ain geringsten; er nimmt jedoch entsprechend dem stärkeren Anstieg der Männersaläre mit dem Alter rasch zu und beziffert sich bei den 45 und mehr Jahre alten Angestellten auf 41 Prozent. Ein ähnliches Bild vermittelt die Tabelle 11, in der die relativen Gehälter von weiblichen Angestellton für einzelne Berufe in Kombination mit dem Alter dargestellt sind. Während indessen im Total aller Angestellten die Differenz zwischen dem Männer- und Frauensalär in der oberston Altersstufe noch etwas zunimmt, zeigt die Gliederung nach dem Beruf, dass bei einzelnen Beschäftigungsarten im vorgerückten Alter wieder

972 eine Verringerung des Abstandes eintritt. Diese bemerkenswerte Erscheinung hängt wohl damit zusammen, dass auch bei den weiblichen Angestellten das durch langjährige Dienste erworbene Erfahrungs- und Vertrauenskapital sowie die erhöhte Verantwortung bei der Entlöhnung in stärkerem Masse berücksichtigt werden.

Relative Gehälter weiblicher Angestellter nach persönlichem Beruf und Aller, 1950 1) Gehälter der Frauen wenn Gehälter der Männer = 100 45 und 1 Zu-_ 20-24 25-34 35-44 Jahre Jahre Jahre Ä | sammen

11

Beruf

.

.

85 82 88 90

.

92 85 76

.

.

93 93

Buchhalterinnen Korrespondentinnen mehrsprachig .

Hilfsbuchhalterinnen . . .

Allgemeine Büroarbeiten Fakturistinnen .

Verkäuferinnen e n détail . . . . .

Buchhalterinnen-KassiererinnenKorrespondentinnen - ohne allgemeine Büroarbeiten . .

- mit allgemeinen Büroarbeiten . .

74 76 66

62 63 70 70 65 61

73 59 64 72 74 67 59

76 66 71 80 79 70 65

74 77

71 81

74 72

79 32

73 66 74 74 i

70

j

1

) Salärerhebung des Schweizerischen Kaufmännischen Vereins.

So wichtig diese Unterscheidung nach Altersstufen bei der Beobachtung des Verhältnisses der Saläre der weiblichen Angestellten zu jenen ihrer männlichen Kollegen ist, so unwesentlich sind diese Differenzen bei den Arbeiterinnen.

Der nachfolgenden Übersicht kann entnommen werden, dass nach den Ergebnissen der Statistik der Löhne verunfallter Arbeiter (von 1953) die Frauen in . allen Altersklassen 66-68 Prozent des entsprechenden Männerlohnes verdienen.

Dies kann angesichts der Tatsache, dass die Löhne der Arbeiter und Arbeiterinnen . vom Alter weniger abhängig sind als die Angestelltengehälter und bei beiden Geschlechtern schon in relativ frühem Alter ihr Maximum zu erreichen pflegen, nicht überraschen.

Alter in.

Jahren 20-24 . . .

25-84 35-44

45-54 55-64

Frauenlöhne, wenn Männerlöhne =100 68 67 66

67 67

Um das Bild abzurunden, sei auf die Besoldungsverhältnisse öffentlicher Funktionäre hingewiesen. Bei den Lehrern können auf Grund von Angaben für

978 das Jahr 1954, die sich für die Primarschulen auf 50 und für die Sekundärschulen auf 28 Städte und grössere Gemeinden der ganzen Schweiz erstrecken, für die Lehrkräfte der beiden Schulstufen folgende Besoldungsunterschiede berechnet werden: Besoldung der Lehrerinnen, wenn Besoldung der Lehrer = 100 .

Primarschule 90 Sekundär- oder Bezirksschule 91 Die Entlöhnung der Lehrkräfte ist von Kanton zu Kanton und von Gemeinde zu Gemeinde verschieden. Teils werden die Frauen geringer entlöhnt als die Männor, teils erhalten sie dieselbe Besoldung, Soweit Lohnunterschiede bestehen, gehen sie zum Teil auf eine geringere Zahl von Pflichtstunden der Lehrerin zurück. Dazu kommt, dass in Primarschulen die Lehrerin meist auf den untersten Stufen unterrichtet; der Unterricht auf den oberen Stufen wird aber - was hier lediglich als Feststellung angemerkt sei - höher bewertet.

Was die übrigen öffentlichen Dienste betrifft, so sei zunächst auf die besonderen Ausführungen über die Bundesverwaltung verwiesen (Ziff.3, unten), In den kantonalen und Gemeindeverwaltungen sind die Frauen nach der Erhebung des Bundes schweizerischer Frauenvereine, soweit es sich um ungefähr gleichartige Arbeit handelt, eher schlechter gestellt als die Männer (z. B. im Kanton Bern um ein bis zwei Klassen, im Kanton Tessin um 10, früher 15 Prozent). Die Frauen haben nach der genannten Erhebung auch nicht dieselben Aufstiegsmöglichkeiten wie die Männer, und da und dort zieht man es immer noch vor, nach Möglichkeit Männer zu beschäftigen. Erhebliche Unterschiede zwischen der Entlöhnung von Männern und Frauen bestehen für das Pflegepersonal öffentlicher Kranken- und Irrenanstalten.

Bisher war in allgemeiner Weise von den Löhnen die Rede, ohne dass zwischen Leistungslohn und Sozialzulagen unterschieden worden wäre. Wie oben erwähnt, sind in den auf der allgemeinen Lohnerhebung beruhenden Angaben auch die Familienzulagen Inbegriffen, nicht aber weitere Sozialzulagen wie Ferieiientschädigungen und Beiträge der Arbeitgeber an Versicherungen.

Es stehen keine zuverlässigen Unterlagen zur Verfügung, um beurteilen zu können, ob die Frauen im allgemeinen hinsichtlich der Sozialzulagen den Männern gleichgestellt werden. Jedenfalls kommen Ungleichheiten vor, doch ist die Tendenz erkennbar, in den Gesamtarbeitsverträgen für Männer und Frauen dieselben
Familienzulagen festzusetzen. Soweit die Zulagen entsprechend dein Lohn bemessen werden, beurteilt sich die Frage der Gleichheit in derselben Weise wie für den Leistungslohn selbst.

Nachdem sich die bisherigen Ausführungen ausschliesslich auf Schweizerische Verhältnisse bezogen, sei zum Schluss noch ein Blick über die Landesgrenzen geworfen. Soweit einigermassen vergleichbare Angaben vorhanden waren, wurden in der Tabelle 12 die relativen Verdienste der Arbeiterinnen in der Industrie für einzelne europäische und aussereuropäische Länder einander Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. II.

67

974 gegenübergestellt. Die Angaben sind dem vom Internationalen Arbeitsamt herausgegebenen Jahrbuch der Arbeitsstatistiken, Ausgabe 1955, entnommen.

Aufgeführt sind dabei sämtliche Länder, für welche nach dem Jahrbuch Angaben über Arbeitsverdienste, getrennt für Männer und Frauen, vorliegen. Die Angaben beziehen sich auf das allgemeine Lohnniveau der Industriearbeiterschaft, wobei je nach den vorhandenen Unterlagen Stunden- oder- Wochenverdienste aufgeführt sind. Im allgemeinen handelt es sich um die Ergebnisse von Erhebungen, welche in ihrem Aufbau ungefähr der schweizerischen Lohn- und Gehaltserhebung entsprechen, doch werden teilweise - wie bei der Statistik der Lohne verunfallter Arbeiter - auch Unterlagen von Sozialversicherungsinstitutionen als Grundlage benützt.

Relative Verdienste der Industriearbeiterinnen nach Ländern, 1950 und 1954l) 12

Land

Schweiz : - Lohn- und Gehaltserhebung . . . .

- Unfall-Lohnstatistik Dänemark 2) Kinnland .

. , .

, .

Groasbritannien

Niederlande

. , .

Norwegen * Schweden Westdeutschland West-Berlin

. . . " . . . . . .

. ,

Zeiteinheit

irnuenist ne, wenn Mannello]me = 100 1950 1954

Stunde Stunde Woche Stunde Stunde Stunde Woche Stunde Woche Stunde Woche Stunde Stunde Stunde Woche Stunde Woche

65 68 64 66 65 60 53 57 54 61 58 66 70 64 59 68 66

64 67 63 65 67 59 51 3 58 ) 64 3) 58 56 68 69 63 58 64 63

*) Annuaire des statistiques du travadl 1955, Genf 1955.

2 ) Allgemeines Lohnniveau.

a ) 1953.

Bei aller Problematik internationaler lohnstatistischer Vergleiche und den Vorbehalten, die in bezug auf die Struktur der erfassten Arbeiter und die den verschiedenen Statistiken zugrunde hegenden Lohnbegriffe anzubringen sind, kann der Zusammenstellung doch entnommen werden, dass die Ergebnisse der verschiedenen Länder nahe beieinander liegen und dass die Schweiz sich eher an der oberen als an der unteren Grenze befindet. Auch die leichte Abnahme der relativen Verdienste von 1950 auf 1954 beschränkt sich nicht auf die Schweiz, Bemerkenswert ist ferner, dass selbst Länder, in denen der Grundsatz gleichen

975 Entgelts"für gleiche Leistung männlicher und weiblicher Arbeitskräfte in der Verfassung, in Gesetzen oder in Kollektivverträgen verankert und anerkannt ist, keine weitergehende Angleichung der Frauenlöhne aufweisen als die Schweiz.

Das lässt vermuten, die Fälle gleichwertiger Arbeit seien nicht so zahlreich, dass sie das Lohnniveau wesentlich beeinflussen würden; im übrigen erweisen sich offenbar bei einigermassen freier Lohnbildung die traditionellen lohnbildenden Faktoren stärker als das Postulat des gleichen Lohnes für gleichwertige Leistung von Männern und Frauen.

Diese Feststellungen werden bestätigt durch Angaben aus Frankreich und den Vereinigten Staaten, die auf einer etwas anderen Grundlage beruhen und daher keine Aufnahme im Jahrbuch des Internationalen Arbeitsamtes gefunden haben. In den USA betrug im Jahre 1951 nach einem Bericht des Women's Bureau des Arbeitsministeriums das Verhältnis des Frauenverdienstes zum Männerverdienst 59:100. In Frankreich hegen die Lohnsätze von Männern und Frauen relativ nahe beieinander; wird jedoch auf die Verdienste, mit Einbezug der eine wichtige Eolle spielenden Sozialzulagen, abgestellt, so ergibt sich zwischen den Männer- und Frauenlöhnen annähernd die gleiche Differenz wie in den andern europäischen Ländern. Nach einer Studie des Institut National de la Statistique erreichten 1952 die vollbeschäftigten weiblichen Arbeitskräfte einen durchschnittlichen Jahresverdienst, der bei den Arbeiterinnen 67 Prozent und bei den Angestellten 70 Prozent desjenigen ihrer männlichen Arbeitskollegen ausmacht.

3. Die Verhältnisse in der Bundesverwaltung Am Beispiel der Bundesverwaltung, für welche verhältnismässig viele Angaben vorliegen, soll illustriert werden, wie sich unter den verschiedenen vorstehend behandelten Aspekten die Verhältnisse praktisch gestalten können.

Dabei versteht es sich von selbst, dass aus den nachstehenden Ausführungen nicht ohne weiteres Schlüsse auf andere Verwaltungsbetriebe und auf die Privatwirtschaft gezogen werden dürfen.

a. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der im Bundesdienst Beschäftigten betrug von 1940 bis 1955 stets etwa 10 Prozent, in absoluten Zahlen 6954 im Jahre 1940 und 9866 im Jahre 1955. Vergleichsweise sei erwähnt, dasg das Personalamt den Anteil der Stellen, die mit Frauen besetzt werden könnten, auf
ungefähr 1/^ beziffert; in der Zentralverwaltung und der Postverwaltung beträgt sie mehr als %. In Tabelle 18 wird angegeben, wieviele Frauen auf die verschiedenen Personalkategorien entfallen.

Der Bund hat seit 1940 die Frauen vermehrt in die Besoldungsklassen eingereiht und bildet heute auch in nennenswertem Mass Lehrtöchter aus, während die Zahl der Arbeiterinnen zurückgegangen ist; sie war 1940 zufolge des Krieges besonders hoch. Die Zunahme der Lehrtöchter, die teils durch die Knappheit an männlichen Arbeitskräften bedingt ist, lässt erkennen, dass den Frauen vermehrt auch die mittlere Verwaltungslaufbahn offensteht.

976 Frauen im Bundesdienst la

19 6

1940 absolut

In Besoldungs- und Gehaltsklassen eingereihtes Personal (Beamte und Angestellte . . .

. . * ...

Nicht eingereihte Personal . . . . .

In Lohnklassen eingereihtes Personal (Arbeiterinnen) . .

. , '. .

Lehrtöchter Insgesamt

1

3186

2440

In %

46

;

35

1327 l i

19 0 .

6954

100

<

i

absolut

in %

6566

73

1463

16

421 564 9014

5 6 100

b. Von besonderem Interesse ist die Gliederung des eingereihten Personals (unter Einschluss der Gehilfinnen) nach Besoldungsklassen, worüber Tabelle 14 Auskunft gibt.

Weibliche Beamte und Angestellte in der Bundesverwaltung (Eingereihtes Personal) 14

Besoldungsklasse

1.-15. . . .

16.-20. . . .

21.-23. . . .

24.-25. . . .

Gehilfinnen . .

Total

Absolute Zahlen

Prozentanteil der einzelnen Besoldungsstufen

Prozentanteil der Frauen jeBesoldungsstufe

1940

1056

1940

1956

1940

21 122 478 1497 1073 3186

115 1518

0,7 3,8 14,8 47,0 33,7 100

1,8 23,1 43,0 18,6 13,5 100

2826 1219 888

6566

0,2

1,1 3,9 14,9 100,0 ·

7,3

1956

0,7 7,4 12,1 13,7 100,0 9,2

Wahrend 1940 nur 4,5 Prozent der eingereihten weiblichen Angestellten den Besoldungsklassen 1-20 angehörten, sind es heute 24,9 Prozent, d.h. 5,5 mal mehr. Ferner ist eine eindeutige Verschiebung von den untersten Besoldungsklassen in die Klassen 21-23 eingetreten. Entsprechend ist der Anteil der Frauen, gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten je.Besoldungsstufe, von der 23.Klasse an aufwärts, stark angestiegen. In den Besoldungsklassen 1-20 beträgt heute der Anteil der Frauen 8,1 Prozent gegenüber 1,3 Prozent im Jahre 1940. Dabei ist zu bedenken, dass insgesamt die Frauen nur rund 1/10 der Beamten und Angestellten ausmachen. .In der Klassierung von Männern und Frauen ist bereits eine beträchtliche Annäherung erfolgt, vor allem bis zur 16.Klasse hinauf, während in den Klassen 1-15 die Frauen nach wie vor schwach vertreten sind. Die Höherklassierung der Frauen nimmt aber ihren Fortgang; sie kommt u.a. in der Abnahme der Gehilfinnen zum Ausdruck, weil in dieser Kategorie nur noch ungelernte Kräfte beschäftigt werden sollen.

977 c. Zum Verhältnis der Frauenlöhne zu den Männerlöhnen sei in allgemeiner Weise bemerkt, dass gemäss Beamtengesetz die Ämter nach der erforderlichen Vorbildung, dem Umfang des Pflichtenkreises sowie dem Maas der dienstlichen Anforderungen, Verantwortlichkeiten und Gefahren einzureihen sind (Beamtengesotz Art.88, Ämterklassifikation Art.4). Dabei wird keine unterschiedliche Behandlung der Frauen statuiert, weshalb bei gleichen Voraussetzungen Männer und Frauen in dieselbe Besoldungsklasse eingereiht werden sollen.

Soweit es sich um Beamte und Angestellte handelt, kommt die heutige Einreihungspràxis auch gegenüber den Frauen diesen Grundsätzen. ziemlich nach. Im eigentlichen Verwaltungsdienst kann die Frau mit dem männlichen Beamten konkurrieren. Wenn in den höheren Klassen nur wenige Beamtinnen tätig sind, so hegt dies zum Teil daran, dass zuwenig Frauen zur Verfügung stehen, die sich beispielsweise für Stellen mit Vorgesetztencharakter eignen.

Des weitern fallen die Frauen aus Gründen der beruflichen Ausbildung und der körperlichen Eignung für zahlreiche Stellen aussor Betracht, namentlich in der Verkehrs-, Zoll- und Militärverwaltung.

Für einfache Büroarbeiten werden Gehilfinnen (ungelernte Kräfte) angestellt, die geringer entlöhnt werden als die Beamten der untersten Besoldungsklasse. Darin ist aber keine Schlechterstellung der Frau zu erblicken. Vielmehr handelt es sich um eine einfache Beschäftigung, allerdings auch um eine solche, für die sich Frauen besser eignen. Bewährt sich die Gehilfin, so steigt sie in die 25. und 23.Besoldungsklasse auf. Frauen mit kaufmännischer oder Verwaltungslehre werden von Anfang an in die 23.Klasse eingereiht, d.h. eine Klasse tiefer als der gelernte Handwerker und in der Eegel drei Klassen tiefer als der männliche Angestellte. Diese Klassierung entspricht den Anforderungen und Verantwortlichkeiten des Dienstes, der normalerweise dem jungen weiblichen Kanzleipersonal übertragen wird.

d. Offensichtlichere Einreihungs- und Lohnunterschiede bestehen gemäss der Arbeiterordnung vom 28.Dezember 1950/26. September 1952/29. Januar 1954 (vgl, Art.47). In den drei untersten Klassen (7, 8 und 9) figurieren ausschliesslich Arbeiterinnen. Aber auch hier liegt nur teilweise gleichartige und gleichwertige Beschäftigung vor. In gewissen Fällen, in denen die Arbeit an sich
dieselbe ist, bestehen Unterschiede im Einsatz und in der Einsatzmöghchkeit, die einen gewissen Lohnunterschied rechtfertigen.

e. Beim Lohnvergleich müssen neben dem Lohn pro Zeiteinheit auch die Sozialleistungen berücksichtigt werden. Während Ortszuschlag und Kinderzulagen für Mann und Frau grundsatzlich gleich bemessen werden, hat auf die einmalige Heiratszulage von 500 Franken nur der männliche Bedienstete Anspruch. Dagegen kann die Frau schon mit dem vollendeten 60. Altersjahr oder dem vollendeten 35. Versicherungsjahr die Pensionierung verlangen, der Mann jedoch erst nach Vollendung des 65.Altersjahres. Zwar entfällt bei ledigen Frauen in der Eegel die Belastung der Kassen durch Hinterlassenenrenten, doch ist diese Entlastung geringer als die Mehrbelastung der Kasse durch die frühere Pensionierung.

978 /, Erfahrungsgemäss ist bei den Frauen mit mehr krankheitsbedingten Abwesenheiten zu rechnen, was angesichts der weitgehenden Krankenlohnanspräche des Bundespersonals seine Bedeutung hat. In Tabelle 15 wird die Entwicklung der durch Krankheit und Unfall bedingten Absenztage pro Beschäftigten dargestellt.

Krankheits- und Unfallabsenztage pro Beschäftigten E undeszcntral Verwaltung

15

Jahr

1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954

PTT-Verwaltung

Männer

Frauen

Mehrabsenzen der Frauen

Männer

Frauen

9,8 9,7 9,9 11,5 10,6 11,9 11,3 11,6 11,5

19,7 19,8 20,7 20,8 16,2 16,4 16,4 15,1 14,0

9,9 10,1 10.8 9,3 5,6 4,5 5,1 3,5 2,5

13,6 13,1 10,9 12,0 11,7 12,8 11,5 11,3 11,6

15,0 14,5

13,4 13,7 12,8 14,9 12,4 12,6 12,8

Mehrabsenzen der Frauen

1,4 1,4 2,5 1,7 1,1 2,1 0,9 1,3 1,2

Seit 1946 bat sich die Differenz der Absenztage von Männern und .Frauen namentlich bei der Zcntralverwaltung verringert. Bei der PTT-Verwaltung ist sie ohnehin nicht bedeutend. Für die Zentralverwaltung macht sie im Durchschnitt der Jahre 1950-1954 etwa l Prozent der Arbeitstage pro Jahr aus. Hingegen ist infolge vermehrter Kurzabsenzen die Zahl der Absen-zfälle bei den Frauen erheblich grösser. In der Zentralverwaltung betrug die Zahl der Fälle auf 100 Beschäftigte (Unfälle eingerechnet)-im Jahre 1946 bei den Männern 126, bei den Frauen 291; im Jahre 1954 war die Spanne mit 132 und 206 Tagen geringer. Die Kurzabsenzen weisen auf längere Sicht keine grossen Schwankungen auf, doch ergibt sich auch hier eine Abschwächung der Differenz zwischen Männern und Frauen. Indessen ist die Zahl der Fälle bei den Frauen immer noch rund doppelt so hoch wie bei den Männern.

Gesamthaft kann gesagt werden, dass es in der Bundesverwaltung auf die Frauen mehr Absenzfälle und Absenztage trifft als auf die Männer, dass aber namentlich hinsichtlich der Absenztage der Unterschied sich im Laufe der Jahre verringert hat und für die Lohnbemessung nicht mehr stark ins Gewicht fallen dürfte.

g. Die Verwirklichung der Lohngleichheit bei gleicher Arbeit würde für die Bundesverwaltung kaum nennenswerte Auswirkungen zeitigen. Im Sinne der Weiterentwicklung der bisherigen -Praxis werden der Stenodaktylographin mit guter Vorbildung noch häufiger als bisher Funktionen eines Sachbearbeiters übertragen werden, so dass sie in eine höhere Besoldungsklasse aufsteigen. Dies wird aber eher die Ausnahme bleiben, da eine grosse Zahl der Frauen wegen Verheiratung den Bundesdienst verlassen muss (Beamtengesetz Art. 55).

979 Hinsichtlich der Arbeiterinnen, wie sie besonders in den Militärwerkstätten in grosser Zahl beschäftigt werden, wäre vermutlich mit beträchtlichen Mehrauslagen zu rechnen. Es wäre fraglich, ob dann der Bund noch im selben Ausmass Arbeiterinnen einstellen würde, zumal da der Arbeiter im allgemeinen vielseitiger eingesetzt werden kann als die Arbeiterin.

h. Die Antworten auf eine Umfrage des Personalamtes bei Eegiebetrieben und öffentlichen Anstalten des Bundes sowie bei der Swissair und dem Schweizerischen Boten Kreuz enthalten manche interessante Einzelheiton und bestätigen im wesentlichen, was vorstehend über das Verhältnis von Frauenlöhnen und Männerlöhnen gesagt worden ist. Soweit Männer und Frauen dieselbe Arbeit verrichten, werden Lohnunterschiede zum Teil damit begründet, dass die Männer noch zu andern Arbeiten verwendet werden können (womit die Voraussetzung gleicher Arbeit wiederum entfällt), oder dass sie nicht bloss vorübergehend im Betrieb arbeiten, ferner dass der Mann aus sozialen Gründen höher entlöhnt werden müsse. Eine Stelle erwähnt .auch, die Personalprobleme der Frauen erforderten einen grösseren Aufwand (Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit und dadurch vermehrte Bücksicht in der Arbeitszuweisung). Die Verrechnungsstelle, die Swissair und das Bote Kreuz teilen mit, dass zwischen Männern und Frauen, die gleiche Arbeit verrichten, keine Lohnunterschiede bestehen.

II. Massgebende Faktoren Sir die Entlohnung der Frauenarbeit 1. Allgemeines Nach den lohnstatistischen Angaben (oben, I, Ziffer 2) liegen im allgemeinen die Frauenlöhne unter den Männerlöhnen, was aber nicht ohne weiteres auf ungleiche Entlöhnung schliessen lässt, weil die Arbeit von Mann und Frau zumeist nicht dieselbe ist. Das von der Internationalen Arbeitskonferenz angenommene Übereinkommen und die Empfehlung fordern Gleichheit des Entgeltes nur für gleichwertige Arbeit. Die Frage der Gleichwertigkeit ist daher von entscheidender Bedeutung und soll im folgenden noch näher untersucht werden (vgl. Ziffer 2). In diesem Zusammenhang ist auf die Besonderheiten der weiblichen Berufseignung einzugehen. Des weitern fällt nicht nur die Gleichheit der Arbeitsverrichtung in Betracht, sondern auch das Leistungsquantum.

Sofern gleichartige Arbeit verrichtet wird, können weitere Faktoren zur Folge haben, dass gleichwohl die
Frauenarbeit geringer entlöhnt wird. Vom Standpunkt der Unternehmung aus spielen betriebswirtschaftliche Überlegungen wie die Verwendungsmöglichkeit einer Arbeitskraft und die Dauer des Anstellungsverhältnisses eine Bolle (vgl. Ziffer 3). Die gesellschaftliche Funktionsteilung zwischen Mann und Frau führt unter Umständen ebenfalls zu einer Differenzierung der Löhne, vor allem nach Familienpflichten (vgl. Ziffer 4).

Die ungleiche Entlöhnung kann ferner auf die ungünstigere Stellung der Frau am Arbeitsmarkt zurückgehen, die durch verschiedene Ursachen bedingt ist (vgl. Ziffer 5).

980 2. Der Leistungsvergleich a. Kriterien Beim Leistungsvergleich ist zunächst zu unterscheiden zwischen den objektiven Anforderungen, die für eine bestimmte Arbeit gestellt werden, und der Leistung, die ein Berufstätiger in Ausführung dieser Arbeit erbringt. In der einen Hinsicht handelt es sich um die Arbeitsart, in der andern um das Quantum der Arbeitsleistung. Gleichwertigkeit der Leistung setzt sowohl Gleichheit der Arbeitsart als auch Gleichheit der Arbeitsquantität voraus. Nach dem Gesagten stellt der Leistungsvergleich eine arbeitstechnische und betriebswirtschaftliche Beurteilung dar, die von einer bestimmten Arbeit in einem bestimmten Betrieb ausgeht.

b. A r b e i t s a r t Für die Bewertung der Arbeitsart, d.h. der Anforderungen an die Leistungserbringung, sind die von der.-Betriebswissenschaft entwickelten Methoden massgebend, welche die Arbeit nach verschiedenen Aspekten aufgliedern (beispielsweise hinsichtlich Schulung, Erfahrung, Anstrengung, Verantwortung usw.) und je nach deren Gewicht gesamthaft bewerten. Es wird somit der Arbeitsplatz oder die Funktion bewertet, ohne Bücksicht auf die Person des Arbeitnehmers und die effektiv erbrachte Leistung. Die praktische Anwendung dieser Arbeitsbewertungsmethoden erfordert aber umfangreiche und kostspielige Untersuchungen, weshalb sie bisher keine allgemeine Verbreitung gefunden haben. Soweit aber eine Arbeitsplatzbewertung durchgeführt worden ist, braucht die Gleichheit von Männer- und Frauenarbeit nicht noch gesondert untersucht zu werden, da die Arbeitsplatzbewertung ohnehin die Bewertung des Arbeitsplatzes nach objektiven, für alle Betriebsangehörigen gleichen Kriterien gewährleisten soll. Liegt jedoch keine Arbeitsplatzbewertung vor, so lässt sich auf Grund der den Bundesbehörden zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht ermitteln, inwieweit in der schweizerischen Wirtschaft Gleichheit der Anforderungen gegeben ist. Indessen dürften solche Fälle eher selten sein.

Der Vergleich wird dadurch noch erschwert, dass sehr oft die Frauenarbeit zum vornherein auf die Eigenart der Frau zugeschnitten ist und es daher an einer gleichen Männerarbeit als Vergleichsgrundlage fehlt. Liegt aber nicht dieselbe Arbeitsart vor, so könnte nur eine sorgfältige, mit wissenschaftlicher Genauigkeit erfolgende Bewertung darüber Auskunft geben, ob gesamthaft
die Anforderungen der einen oder der andern Arbeitsart höher zu veranschlagen seien.

c. Eignung der Frau Da die Unternehmer Arbeiten, für die Frauen besonders geeignet sind, womöglich nur durch Frauen ausführen lassen, wird, wie erwähnt, die Vergleichbarkeit mit Männerarbeit noch erheblich erschwert. Man denke etwa an die Sténodactylo, zu der es in modernen Betrieben kaum mehr ein männliches Pendant gibt. Aber gerade an diesem Beispiel erweist sich, dass den Frauen

981 nicht immer die weniger anstrengenden Arbeiten zugeteilt werden, denn stetes Maschinenschreiben ist eine anstrengende Tätigkeit; ebenso ist z.B. der Beruf der Wäscherin anstrengender als manche handwerkliche oder industrielle Männerarbeit. Die allgemeine Tendenz dürfte immerhin darauf hinaus gehen, den Frauen körperlich leichtere Arbeit zuzuweisen, was selbstverständlich über den Wert dieser Arbeit nichts Entscheidendes aussagt. Um diese Verhältnisse zu beleuchten, seien im folgenden, ohne im einzelnen dazu Stellung nehmen zu wollen, über die Eignung der Frau einige Ausführungen aus der Schrift «Die Frau iin Berufsleben» (Bern 1955) von E. Jeangros wiedergegeben (S.22 f.) : «In Berufen mit Grob- und Schwerarbeit (Bergbau u. a.) finden wir keine Frauen, Nach den Erfahrungen der Arbeitsphysiologie kann ein Mann durchschnittlich 2500 Kalorien auf seine tägliche Berufsarbeit verwenden, während der andersgearteten Frau nur 1500 zugemutet werden dürfen. Die körperliche Leistungsfähigkeit der Frau erreicht im Durchschnitt die Hälfte bis zu drei Fünfteln der männlichen. Die Grob- und Schwerarbeit mit ihrer grossen und andauernden Muskel- und Herzarbeit geht über die Kräfte der Frauen, deren Belastungsgrenze schon Putzfrauen, Wäscherinnen, Tänzerinnen und vielfach auch Hausfrauen erreichen. Die neuen arbeitserleichternden Werkzeuge und Maschinen, die fortschreitende Arbeitsaufteilung in leichtere und flüssigere Verrichtungen vermindern jedoch immer mehr die Schwerarbeit und erweitern damit den Arbeitsbereich und die Berufsmöglichkeiten der Frau.

Während die Frau an körperlicher Leistungsfähigkeit dem Manne unterlegen ist, übertrifft sie ihn an Geschicklichkeit, und hier steht ihre Leistung um 5-10 % über dem Männerdurchschnitt. Wir finden daher viele Frauen in Berufen, bei denen es auf Fingerspitzengefühl, andauernd gute Aufmerksamkeit, zuverlässige und rasche Reaktion ankommt. In diesem Sinne sei die Uhrenindustrie angeführt. Dazu kommen andere industrielle Tätigkeitsbereiche mit Ordnen, Auswählen, Abzählen, Abfüllen, Zurüsten, Verpacken, oder kaufmännische Berufe mit Verkaufs- und Versandarbeit, Verwaltungsberufe mit Arbeit an Büromaschinen und in Registraturen. Auch die vielseitige hauswirtschaftliche Arbeit inuss hier angeführt werden. Anderseits scheint aber auch die gleichartige, serienmässige oder gar monotone Arbeit für die Frauen erträglicher zu sein als für die meisten Männer.»

In einem weiteren Sinne hängt es mit der Eignung zusammen, dass unter Umständen statt einem «Empfangsherrn» ein Empfangsfräulein beschäftigt wird, während möglicherweise einem Damencoiffeur vor einer Coiffeuse der Vorzug gegeben wird. Überlegungen dieser Art mögen auch bei der Zurückhaltung gegen Frauen in höheren Stellungen mitspielen.

Wenn von der Eignung der Frau für bestimmte Tätigkeiten die Bede ist, muss man sich bewusst sein, dass über den biologischen Unterschied hinaus noch weitere, von der Eignung unabhängige Momente für die Funktionsteilung zwischen Mann und Frau wirksam sind. Die natürlichen Unterschiede spielen möglicherweise sogar eine geringere Bolle als die traditionelle Ausscheidung der Funktionen von Mann und Frau im Rahmen einer bestimmten Gesellschaftsordnung. Diese Festlegung der Aufgaben kann sich aber im Lauf der Zeiten ändern. Ein solcher Wandel ist gerade heute im Gange und führt zu einer Hebung der Frauenarbeit.

982 d, A r b e i t s l e i s t u n g Ausser der Arbeitsart muss auch die persönliche Leistung berücksichtigt werden. Im allgemeinen wird zwar, wenn von Gleichwertigkeit der Arbeit die Bede ist, die Gleichheit der Arbeitsart gemeint und eine gleiche persönliche Leistung vorausgesetzt. Die persönliche Leistung dürfte jedoch vielfach durch die Unterschiedlichkeit der männlichen und weiblichen Arbeitnehmer nach ihrer physischen und seelischen Konstitution, nach -ihrer gesellschaftlichen Stellung und demzufolge auch durch unterschiedliche Erwerbsinteressen und Einstellung dem Erwerbsleben gegenüber beeinflusst werden. Die moderne Berufstätigkeit ist durch eine deutliche Trennung von Beruf und übrigem Lebensbereich gekennzeichnet. Für den Mann ist sie jedoch weniger spürbar als für die Frau, die oft durch die Doppelaufgabe belastet ist, ausser Haus zu arbeiten und gleichzeitig einen Haushalt zu führen, oder die in jungen Jahren die Berufsarbeit nicht als dauernde Lebensaufgabe empfindet.

Wo allerdings Männer und Frauen dieselbe Akkordarbeit verrichten, ist man bezüglich der Leistung nicht auf blosse Vermutungen angewiesen. Hier sprechen die Leistungszahlen für sich selber. Dabei ist durchaus möglich, dass Frauen in Ausführung einer Arbeit, die ihnen liegt, höhere Leistungen erzielen als Männer; es sei in diesem Zusammenhang auch an die grössere Monotoniefestigkeit der Frauen erinnert, die für manche Arbeitsarten einen Vorzug bildet.

Ein Umstand, der die Leistungsmongo der Frauen vermindert, ist in der grösseren Zahl von Absenzen zu erblicken, einschliesslich der Erleichterungen, die den Frauen in manchen Fällen von der Unternehmung gewährt werden. Für das Bundespersonal hegen Angaben über Absenzen wegen Krankheit und Unfall vor, denen zu entnehmen ist, dass die Frauen erheblich mehr Fälle von Kurzabsenzen zu verzeichnen haben, während die Zahl sämtlicher Absenztage wegen Unfalls und Krankheit für die Frauen nicht wesentlich höher ist als für die Männer (vgl. oben, I, 3, /); die Differenz hat sich namentlich in den letzten Jahren erheblich verringert, eine Erscheinung, die z.B. auch bezüglich der Krankheitsabsenzen der stadtbernischen Primarlehrer und Primarlehrerinnen feststellbar ist. Die Frauen dieser öffentlichen Dienste bleiben häufiger der Arbeit fern als die Männer, jedoch im gesamten nicht für
eine wesentlich längere Dauer. Eine rein betriebswirtschaftliche Betrachtung hätte anderseits die Absenzen der Männer wegen Militärdienstes einzurechnen, jedenfalls sofern der Arbeitgeber die Differenz zwischen dem staatlichen Erwerbsersatz und dem vollen Lohn übernimmt, wie dies namentlich in öffentlichen Verwaltungen der Fall ist.

e. Zusammenfassung Aus diesen Darlegungen ist ersichtlich, dass ein Leistungsvergleich verschiedenen Gesichtspunkten Rechnung tragen muss und alle Sorgfalt erheischt.

Ohne detaillierte Einzeluntersuchungen ist es nicht möglich, einwandfrei festzustellen, ob die Ungleichheit des Entgeltes gerechtfertigt sei oder nicht. Es geht ja bei der Forderung gleichen Lohnes für gleiche Arbeit nicht darum, die Frauen-

983 löhne allgemein auf den Stand der Männerlöhne zu heben, sondern einzig um die Korrektur von Ungleichheiten, die nicht leistungsbedingt sind. Man darf sich deshalb nicht darauf beschränken, Ungleichheit im Entgelt festzustellen, um daraus auf eine Benachteiligung der Frauen zu schliessen, da diese Ungleichheit auf unterschiedlicher Arbeitsart und Leistung beruhen kann. Soweit Anhaltspunkte vorliegen, lassen sie darauf schliessen, dass der Tatbestand der Gleichwertigkeit männlicher und weiblicher Arbeit weniger häufig ist als gemeinhin angenommen wird.

3. Weitere betriebswirtschaftliche Faktoren Vom Standpunkt der Unternehmung aus sind ausser der Arbeitsleistung auch die Verwendungsmöglichkeit einer Arbeitskraft und die über den Lohn hinaus erwachsenden Personalkosten von Belang.

Die Frauen stehen vielfach bezüglich der beruflichen Ausbildung und der Berufserfahrung hinter den Männern zurück, was zur Folge hat, dass ihre Verwendungsmöglichkeit - schon in ein und demselben Betrieb - geringer ist. Dass aber die Unternehmer diesen Zustand nicht durch vermehrte Aus- und Weiterbildung der Frauen beheben, hat seinen Grund in der durchschnittlich kürzeren Dauer der weiblichen Berufstätigkeit. Da ein grosser Teil der Frauen in jungen Jahren wegen Verheiratung den Beruf aufgibt, und da viele verheiratete Frauen nicht dauernd berufstätig sind, hat der Unternehmer oft wenig Interesse an einer vermehrten Ausbildung der Frauen. Dies ist z.B. für das Bankpersonal von Arbeitgeberseite bestätigt worden. Dieser Sachverhalt wirkt sich allerdings zu Ungunsten der älteren weiblichen Angestellten aus, die ihre Berufstätigkeit beibehalten. Sie vermögen den Vorsprung nicht mehr aufzuholen, den ihre männlichen Kollegen in jüngeren Jahren erreicht haben.

Die Anstellungsdauer fällt auch in anderer Hinsicht in Betracht, nämlich für die Anstellungs- und Einführungskosten. Bei langdauemder Anstellung sind diese Kosten, pro Jahr Anstellungsdauer berechnet, geringer als bei kurzer Anstellung. Die oft nur einige Jahre dauernde Tätigkeit einer Frau ist also mit einem höheren Anstellungs- und Einführungsaufwand belastet. Das vorzeitige Ausscheiden von Arbeitskräften bringt nicht nur unmittelbare Aufwendungen mit sich, sondern auch einen geringeren Ertrag während der Einführungszeit und allgemein eine vorübergehende Störung
des Arbeitsablaufes im Betrieb.

Angesichts der Verknappung des Arbeitsangebotes wird freilich der Unternehmer gegenwärtig diese Nachteile nicht immer voll in Kechnung stellen.

Die Beschäftigung von Frauen bedingt unter Umständen auch deshalb grössere Aufwendungen, weil sie empfindlicher sind in bezug auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes und auf das Arbeitsklima und eine erhöhte persönliche Betreuung erheischen ; das gilt vor allem für die Arbeit in Fabriken. Sollte für die Frauen vermehrt Teilzeitarbeit (Halbtagesarbeit) eingeführt worden, um die Berufstätigkeit der Hausfrau zu erhalten und zu fördern, so hätte dies für die Unternehmung organisatorische Änderungen zur Folge; wie sich die Teilzeitarbeit kostenmässig auswirken würde, kann jedoch nicht zuverlässig beurteilt werden.

984 Für bestimmte Arbeitsplätze werden zuweilen Anforderungen gestellt, die m ihrer Bedeutung für die Entlöhnung nicht ohne weiteres erkennbar sind; So wird geltend gemacht, dass namentlich in ländlichen Verhältnissen vom Lehrer ein über die Schultätigkeit hinausgehendes Wirken im öffentlichen Interesse erwartet werde wie die Übernahme von Gemeinde- oder Vereinsämtern, wofür er nur bescheiden oder überhaupt nicht honoriert werde. Seitens der Lehrerinnen wird demgegenüber die Auffassung vertreten, dass sie für ihre oft ebenfalls bedeutende nebenamtliche Tätigkeit, z.B. in der Fürsorge, noch geringere Aussichten auf Honorierung hätten.

4, Soziale Erwägungen Für die unterschiedliche Entlöhnung werden zuweilen soziale Erwägungen angeführt, vor allem, dass dem Mann zufalle, eine Familie zu gründen und zu erhalten. In diesem Sinne lauteten die Antworten verschiedener Gemeinwesen auf die Umfrage des Bundes Schweizerischer Frauen vereine. Will man aber den Lohn nach sozialen Gesichtspunkten abstufen, so inuss richtigerweise -- wie dies heute in der Sozialversicherung und in verschiedenen Gesamtarbeitsverträgen geschieht - unabhängig vom Geschlecht auf die im Eiiizelfall bestehenden Unterstützungspflichten abgestellt werden. In diesem Zusammenhang sei hervorgehoben, dass ledige Frauen oftmals Angehörige unterstützen, insbesondere die Eltern, und überhaupt im Haushalt mitarbeiten, ohne dass sie hiefür ein Engelt erhalten. Besondere Kritik wird jedoch zur Zeit an dem verhältnismässig guten Verdienste junger Angestellter, namentlich der Sténodactylos, geübt. Auf der andern Seite legen nach wie vor manche berufstätige Töchter Ersparnisse an, um eine Aussteuer zu erwerben. Jedenfalls wird man die Einstellung als überholt ansehen, wonach, abgesehen vom Familienunterhalt, die Frauen geringere Bedürfnisse hätten als die Männer und deshalb mit einem kleineren Lohn auskommen könnten. Was den Familienunterhalt betrifft, so ist die Gewährung von Familien- und Kinderzulagen schon sehr weit gediehen ; zudem ist die wirtschaftliche Stellung des Mannes aus den bereits genannten Gründen (namentlich grössere Konstanz der Berufstätigkeit) ohnehin gefestigter als jene der Frau, was sich auf lange Sicht auch lohnmässig auswirkt. Im übrigen hat gerade der .

Familienvater kein Interesse an einer niedrigeren Entlohnung weiblicher
Arbeitskräfte, weil er sonst bei einem Rückgang der Beschäftigung nur einen Lohndruck zu befürchten hätte.

5. Einflüsse des Arbeitsmarktes Eine über den Leistungsunterschied hinausgehende Ungleichheit des Lohnes wird namentlich durch Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt bewirkt. Die Entlöhnung der Arbeitskräfte unterliegt ganz allgemein den Marktgesetzen, handle es sich um Männer- oder um Frauenarbeit. Die Wirtschaft zahlt für eine Arbeitsleistung den Preis, der sich aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage ergibt. So ist es beispielsweise eine Folge unterschiedlicher Marktlage,

985 wenn kaufmännische oder technische Arbeitskräfte gleicher Aushildungs- und Erfahrungsstufe von Branche zu Brauche wesentliche Lohndifferenzen aufweisen, ja wenn gar Hilfskräfte in einer konjunkturell begünstigten Branche mehr verdienen als qualifizierte Arbeitskräfte in einer Branche mit Absatzschwierigkeiten. Diese Ungleichheit der Entlöhnung müsste eigentlich durch eine sukzessive Abwanderung der Arbeitskräfte von Berufen mit Überangebot in aufnahmefähige Berufe von selber beseitigt werden. Doch verhindert vielfach die gesellschaftliche und örtliche Gebundenheit der Arbeitskräfte eine Anpassung des Arbeitsangebotes an die Veränderungen der Nachfrage, so dass rein inarktbedingto Lohnunterschiede oft über längere Zeit bestehen bleiben.

Die Angobotsstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist im allgemeinen ungünstiger als jene der Männer und hat deshalb ein niedrigeres Lohnniveau zur Folge. Die Elastizität des Angebots weibhoher Arbeitskräfte gegenüber Nachfragoschwankungen und entsprechenden Lohnveränderungen ist geringer, indem die Frauen oft. trotz des in einer Branche bestehenden Überangebots an Arbeitskräften und trotz des dadurch bedingten Lohndrucks nicht nur nicht abwandern, sondern weiterhin zuwandern. Es erklärt sich dies in erster Linie aus der Eigenart der für die Wahl des Berufes und des Arbeitsgebietes massgebenden Motive.

Sicherheit des Arbeitsplatzes und Entwicklungsmöglichkeiten sind für die Frau im allgemeinen von geringerer Bedeutung als für den Mann, zum mindesten zu Beginn und während der ersten Zeit der Erwerbstätigkeit. Dagegen können beispielsweise ideelle Motive und Bildungs- oder Unterhaltungsbedürfnisse ausschlaggebend sein. Verschiedentlich arbeiten Frauen bloss zur Erlangung eines Zusatzverdienstes neben ihrer Tätigkeit in der Familie, wodurch die Angebotsstellung der auf sich selbst angewiesenen Frauen ebenfalls geschwächt wird. Da und dort wird immer noch die Arbeit der Frau gefühlsmässig zum vorneherein als der Männerarbeit unterlegen gewertet ; auch derartige Vorurteile zeitigen wirtschaftliche Auswirkungen.

Schliesslich ist das Angebot weiblicher Arbeitskräfte weniger umfassend und straff organisiert als dasjenige des Mannes, da die Frauen infolge ihrer besonderen Einstellung der Erwerbstätigkeit gegenüber und auf Grund ihrer durchschnittlich geringeren
Berufsausbildung und Berufsdauer und nicht zuletzt als Folge der verhältnismässig grossen Zahl jugendlicher Arbeitnehmerinnen weniger häufig Berufsverbänden beitreten als die Männer. Beispielsweise waren von den 404 000 Mitgliedern, die der Schweizerische Gewerkschaftsbund 1955 zählte, nur 44 000 Frauen, also nur 11 auf 100 Mitglieder.

III. Die Auswirkung gleicher Entlohnung auf die schweizerische Wirtschaft 7. Im allgemeinen So nützlich die Analyse der Männer- und Frauenlöhne auf Grund des vorhandenen statistischen Materials in bezug auf die Struktur der Männer- und Frauenarbeit sein mag, sagt sie für sich allein genommen über die Gleichheit oder Ungleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für

986 gleichwertige Arbeit wenig aus. Es können lediglich Unterschiede oder Annäherungen des Lohnniveaus festgestellt werden. Inwiefern die Unterschiede gerechtfertigt sind oder nicht, kann nur vermutet oder wenigstens nur recht summarisch herausgelesen werden, indem anhand der statistischen Unterlagen die Alterszusammensetzung, die Stellung im Beruf und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Erwerbsgruppe berücksichtigt werden. Immerhin liegen genügend Anhaltspunkte dafür vor, dass tatsächlich Ungleichheiten bestehen, ohne dass jedoch ihre Häufigkeit und ihr Ausmass näher bestimmbar wären.

Aus den angeführten Gründen lassen sich die Auswirkungen, welche eine volle Verwirklichung des Postulates gleicher Entlöhnung für gleichwertige Arbeit hätte, nicht berechnen. Würde man rein hypothetisch die Annahme zugrunde legen, die Frauenlöhne würden dadurch im Durchschnitt sämtlicher Wirtschaftszweige um 5 Prozent ansteigen, so würde die gesamte Lohnsumme für Frauen und Männer zusammen um etwa l-Prozent erhöht. Von Branche zu Branche wären aber die Auswirkungen sehr verschieden und würden je nach dem Anteil der Frauenarbeit mehr oder weniger stark ins Gewicht fallen.

Sofern das Gleichheitspostulat allmählich und unter Berücksichtigung der in den einzelnen Branchen praktisch sich bietenden Möglichkeiten verwirklicht würde, wären Bückwirkungen wie Abnahme der Frauenarbeit oder Überwälzung der Lohnerhöhung auf die Preise kaum zu befürchten. Allerdings gibt eine Erhöhung der Lohnkosten - ob es sich um Männer- oder Frauenlöhne handle Anlass für eine noch weitergehende Mechanisierung und Automatisierung; dies beweisen u.a. die Schwierigkeiten, denen die Festsetzung von Mindestlöhnen in der Heimarbeit begegnet, indem von einer gewissen Lohnhöhe an das Interesse der Unternehmen an der Vergebung von Heimarbeit schwindet, weil die Lohnkosten wirtschaftlich nicht mehr tragbar sind. Für die Exportindustrie ist eine Erhöhung der Lohnkosten besonders folgenschwer. Nach wie vor wird im Ausland niedriger entlöhnte Frauenarbeit geleistet, was sich in der zwischenstaatlichen Preiskonkurrenz auswirkt. Freilich fallen in der heutigen Konjunkturlage diese Momente weniger ins Gewicht als in einer Zeit verminderter Beschäftigung, aber sie sind doch latent vorhanden. Soll die Angleichung der Frauenlöhne reibungslos vonstatten gehen,
so wird sie, wie die Beallohnverbesserung der Arbeitnehmer im allgemeinen, aus einer Produktivitätssteigerung bestritten werden müssen, aber auch diese hat ihre Grenzen.

Mit diesen Bemerkungen sind die Wirkungen gleicher Entlöhnung für gleiche Arbeit nur angedeutet. Gesamtwirtschaftlich betrachtet dürften sich die Auswirkungen in einem tragbaren Bahmen halten, während in Branchen mit bedeutender Frauenarbeit nennenswerte wirtschaftliche Rückwirkungen möglich wären.

2, Auswirkungen staatlicher Vorkehren Im Hinblick auf das eingangs erwähnte Postulat der eidgenössischen Bäte sollen die Auswirkungen gleichen Lohnes für gleiche Arbeit noch in bezug auf staatliche Vorkehren abgeklärt werden.

987 a. ö f f e n t l i c h e Verwaltung In der Bundesverwaltung ist dem Begehren weitgehend Rechnung getragen.

Während früher häufig Frauen, welche die gleiche Arbeit verrichteten wie Männer, in eine niedrigere Besoldungsklasse eingereiht waren, ist man heute grundsätzlich von dieser Praxis abgekommen. Wie oben ausgeführt wurde, ist bereits eine beträchtliche Annäherung in der Klassierung von Männern und Frauen erfolgt. Hingegen scheint hinsichtlich der Arbeiterinnen der Werkstätten und Betriebe die Entwicklung noch nicht so weit gediehen zu sein. Alles in allem wären die Auswirkungen einer durchgehenden Verwirklichung des Gleichheitspostulates für den Bund nicht sehr bedeutend. Auch eine Reihe von Kantonen und Gemeinden bemühen sich um die Gleichstellung von Mann und Frau, während andere noch nicht so weit gehen wollen. Entsprechendes gilt für die Aufstiegsmöglichkeiten der Frau, die namentlich auch in der Bundesverwaltung ständig verbessert worden sind.

b. Heimarbeit Der Bund hat nur hinsichtlich der Heimarbeit die Möglichkeit, Mindestlohnsätze von Privatarbeitern festzusetzen. An und für sich erschiene es nicht ausgeschlossen, gestützt auf das Bundesgesetz vom"12. Dezember 1940 über die Heimarbeit eine bessere Bezahlung der Frauenarbeit anzustreben. Aber hier wie in andern Fällen wäre es ausserordentlich schwierig, zu beurteilen, ob gleichwertige Arbeit vorliegt und ob es überhaupt eine von Männern ausgeführte Arbeit gibt, mit der die Heimarbeit der Frau verglichen werden könnte. Abgesehen davon kann - wie erwähnt - gerade in der Heimarbeit eine staatliche Mindestlohnfestsetzung zur Folge haben, dass die Heimarbeit sich nicht mehr lohnt und deshalb einen Rückgang erfährt. Immerhin darf gesagt werden, dass schon in ihrer heutigen Form die Mindestlohnfestsetzung in der Heimarbeit einen Versuch darstellt, namentlich für Frauen bessere Lohnverhältnisse zu schaffen. Bereits die heute geltenden Mindestlöhne sind unter diesem Gesichtspunkt zu würdigen.

c. Allgemeinverbindlichkeit von G e s a m t a r b e i t s v e r t r ä g e n Der öesamtarbeitsvertrag ist eine autonome Regelung des Arbeitsverhältnisses auf privatrechtlicher Grundlage. Der Staat ist nicht befugt, auf den.Abschluss und die Ausgestaltung von Gesamtarbeitsverträgen Einfluss zu nehmen.

Das gilt auch für die Allgemeinverbindlicherklärung,
doch kann ein Vertrag nur verbindlich erklärt werden, wenn dafür ein Bedürfnis besteht und wenn die Regelung den betrieblichen und regionalen Verschiedenheiten angemessen Rechnung trägt, dem Gesamtinteresse nicht zuwiderläuft, die Rechtsgleichheit und die Verbandsfreiheit nicht beeinträchtigt sowie dem zwingenden Recht nicht widerspricht (Bundesbeschluss vom 28. Juni 1948 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen, Art.2). Was die Löhne betrifft, so ist nicht zu untersuchen, ob sie einer absoluten Lohngorechtigkoit entsprechen.

Der Gesamtarbeitsvertrag. ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern und hat sehr oft den Charakter eines Kompro-

988 misses, weshalb an seine innere Folgerichtigkeit nicht allzu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen. Gewisse Differenzen in der Entlöhnung, auch wenn sie nicht leistungsmässig bedingt sind, widersprechen nach der Konzeption des Bundesbeschlusses weder dem Gesamtinteresse noch verletzen sie die Rechtsgleichheit. Der Bundesbeschluss erwähnt das Gebot der Rechtsgleichheit vor allem in der Absicht, die Gleichbehandlung der Verbandsmitglieder und der Ausseuseiter zu gewährleisten; der Grundsatz, dass für gleiche Arbeit der gleiche Lohn zu zahlen sei, wird damit nicht sanktioniert. Immerhin wäre es mit unserer Rechtsauffassung nicht zu vereinbaren, dass offensichtliche Ungleichheiten durch die Allgemeinverbindlicherklärung gutgeheissen würden; so wären Bestimmungen, die für gleichwertige Arbeit ein offenbares Missverhältnis zwischen Männer- und Frauenlöhnen begründen, nicht verbindlich zu erklären. Die Behörde wird aber in der Regel nicht beurteilen können, ob eine gleichwertige Arbeit vorliegt, und es ist nicht ihres Amtes, im Zusammenhang mit dem Verfahren auf Allgemeinverbindlichkeit eingehende Untersuchungen hierüber anzustellen. Hingegen kann jedermann, der ein Interesse glaubhaft macht, gegen die Allgemeinverbindlicherklärung Einsprache erheben (Bundesbeschluss Art. 7).

Zu diesem Zweck werden die Gesuche um Allgenieinverbindhcherklärung im Handelsamtsblatt .veröffentlicht. Erweist sich die Einsprache als begründet, so wird die Allgemeinverbindlichkeit nicht ausgesprochen. Den Frauenorganisationen steht es also frei, Einsprache zu erheben, wenn sie der Auffassung sind, es liege eine offensichtliche Ungleichheit zuungunsten der Frauen vor. Bisher sind jedoch keine Einsprachen dieses Inhaltes eingegangen, d. N o r m a l a r b e i t s v e r t r ä g e Der Normalarbeitsvertrag ist eine Rechtsyerordnung, welche das Arbeitsverhältnis in einem Berufe mit dispositiver Wirkung regelt ; Abweichungen vom Normalarbeitsvertrag sind nur gültig, wenn sie schriftlich vereinbart werden (Obligationenrecht Art. 324). Vor Erlasä sind die beteiligten Berufsverbände oder gemeinnützige Organisationen anzuhören. Nichts steht entgegen, dass im Normalarbeitsvertrag dem Grundsatz gleichen Lohnes für gleiche Leistung Nachachtung verschafft wird. In den vom Bundesrat erlassenen Normalarbeitsverträgeii wird kein Unterschied
in der Entlöhnung von Mann und Frau gemacht, womit dem Gleichheitspostulat heute schon in vollem Ausmass Rechnung getragen ist. Das hat vor allem für die Privatgärtner und das Pflegepersonal Bedeutung. Dass für das Pflegepersonal oftmals auf Grund von Lohnordnungen der Spitäler doch Unterschiede in der Entlöhnung von Mann und Frau bestehen, erklärt sich aus dem dispositiven Charakter des Normalarbeitsvertrages und ändert an dessen lohnpolitischer Zielsetzung nichts.

Die kantonalen Normalarbeitsverträge ordnen vor allem das Arbeitsverhältnis landwirtschaftlicher Dienstboten und nicht-landwirtschaftlicher Hausangestellter. Es ist Sache der Berufsverbände und gemeinnützigen Organisationen, sich bei den Kantonen für einen .angemessenen Lohn der weiblichen Arbeitskräfte einzusetzen. Dass dabei die Frage der Gleichwertigkeit nicht leicht zu beantworten ist, sei nur angemerkt.

989

e. Vorgebung öffentlicher Aufträge

-

Die Subinissionsordnungen von Bund, Kantonen und Gemeinden sehen durchwegs vor, dass bei der Vergebung öffentlicher Aufträge auf die Pestsetzung angemessener Preise und die Bezahlung angemessener Löhne zu achten ist. Die Vorschrift, den ortsüblichen Lohn zu zahlen, als welcher vor allem der Lohn gemäss Gesamtarbeitsvertrag gilt, soll namentlich auch die Konkurrenzgleichheit zwischen den Unternehmern gewährleisten; es soll kein Unternehmer auf Kosten der Arbeitslöhne billiger offerieren können (vgl. Bundesratsbeschluss vom 4. März 1924 betreffend die Vergebung von Arbeiten und Lieferungen durch die Bundesverwaltung, § 10). Es ist aber nicht Sache der Behörde, im einzelnen zu untersuchen, ob diese Löhne durchwegs angemessen seien ; das wäre ihr auch nicht zumutbar. Sie hat daher auch die Frage der Gleichwertigkeit nicht zu prüfen. Das schliesst aber nicht aus, dass das Gemeinwesen überall dort, wo seine Aufträge in grösserem Ausmass Frauenarbeit bedingen, für eine im Eahmen der allgemeinen Lohn-Situation angemessene Entlohnung der Frauenarbeit besorgt ist ; das ist heute bereits weitgehend der Fall.

/. Beurteilung der Gleichwertigkeit Ohne Zweifel wird die Lohngerochtigkeit bereits durch Kenntnis der Methoden gefördert, die eine sachgemässe Bewertung des Arbeitsplatzes und der persönlichen Leistung ermöglichen. Beispielsweise könnte das Betriebswissenschaftliche Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule weitere Abklärungen vornehmen.

g. Beruflicher A u f s t i e g In der Schweiz sind die Frauen bezüglich der Berufsberatung, der beruflichen Ausbildung und der Arbeitsvermittlung durch die Gesetzgebung den Männern gleichgestellt, so dass vom Staat aus die Voraussetzungen gegeben sind, damit auch den Frauen der berufliche Aufstieg möglich ist. Wie das Beispiel der Bundesverwaltung zeigt, werden im Bahmen des Möglichen immer mehr auch den Frauen Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet. Ganz allgemein ist die Zahl der schulentlassenen Töchter, die eine Lehre antreten, gestiegen (von 14 000-15 000 vor dem Kriege auf 21 000 im Jahre 1955). Ferner war 1955 in den kaufmännischen Berufen die Zahl der neuen Lehrtöchter mit 6363 fast doppelt so hoch wie jene der neuen Lehrlinge mit 3360.

h. Z u s a m m e n f a s s u n g Der Staat hat abgesehen von den Lohnordnungen für sein eigenes Personal nur beschränkte
Möglichkeiten, auf die gleiche Entlöhnung gleichwertiger Arbeit hinzuwirken. Diese Möglichkeiten sind oben genannt worden. Immerhin kann namentlich der Bund im Bereiche seines Einflusses gewisse praktische Ergebnisse verzeichnen. Dabei ist zu beachten, dass das Verhalten des Bundes nicht ohne Eückwirkungen auf die Privatwirtschaft bleibt, was in der Linie des Gleichheitspostulates läge.

Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. II.

68

990 Schlusswort Nach den vorhandenen Unterlagen zu schliessen, sind die Fälle ungleicher Entlohnung für gleichwertige Arbeit von Mann und Frau vermutlich nicht derart zahlreich, dass die Anwendung des Grundsatzes der gleichen Entlöhnung hei gleichwertiger Arbeit im gesamten gesehen die schweizerische Wirtschaft allzu schwer belasten würde. Die Auswirkungen wären allerdings von Branche zu Branche verschieden, weshalb auch in Zukunft schrittweise und auf Grund der jeweiligen Gegebenheiten vorgegangen werden müsste.

Die Gleichheit der Entlöhnung für Mann und Frau bei gleicher Leistung gehört zu den Bestrebungen nach sozialer Gerechtigkeit. Da aber bei der Lohnbildung stets ökonomische Faktoren mitspielen, können kaum alle nicht leistungsbedingten Lohndifferenzen ganz ausgeebnet werden. Das schliesst. nicht aus, dass die Lohngerechtigkeit immer mehr verfeinert wird. Erhebliche Ungleichheiten, soweit solche noch bestehen, bleiben nicht verborgen und werden im Zeitalter eines wachen sozialen Empfindens auch behoben, sei es durch sorgfältige Bewertung des Arbeitsplatzes und der persönlichen Leistung und entsprechende Lohnordnungen,"sei es durch Gesamtarbeitsvertrag.

Der Staat kann die im Gang befindliche Entwicklung nur begrüssen. Sie wird begünstigt durch die fortschreitende berufliche Ertüchtigung der Frau sowie allgemein durch eine vermehrte Anerkennung ihrer Persönlichkeit. Der Wandel der Anschauungen über die Berufstätigkeit der Frau und die Höherwertung der Frauenarbeit entspricht durchaus der Bedeutung, welche der Tätigkeit der Frau im Eahmen der heutigen Volkswirtschaft zukommt.

991 Anhang

Relative Lohnsätze der Frauen in Gesamtarbeitsverträgen Oktober 1955 Geltungsbereich

Gärtnerei, Nahrungsund Genussmittel Gärtnerei Schokoladeindustrie

Großstädte

Mosterei

Beruf

Lohnsatz der Frauen, wenn Lohnsatz für Männer = 100

95

Stadt. Verhältnisse

Gelernte Vor- und Berufsarbeiterin Arbeiterin Arbeiterin

Stadt. Verhältnisse

Hilfsarbeiterin

74

71 74 82

Textilindustrie Baumwollbandindustrie Seidenstoffweberei Tuch- und Deckenfabriken Teppichindustrie Leinenindustrie Färberei- und Ausrüstungsindustrie Hutgeflechtsindustrie Elastikindustrie Bekleidung Herren- und Knabenkonfektion

Stadt. Verhältnisse Hilfsarbeiterin Bern und andere Orte Angelernte und Hilfsarbeiterin (oberste Kategorie) Angelernte und Hilfsarbeiterin (oberste Kategorie) Angelernte und HilfsStadt. Verhältnisse arbeiterin (oberste Kategorie) Kt. Zürich, Basel-Stadt Angelernte Hilfsarbeiterin Kt, Aargau Vorarbeiterin, angelernt Stadt. Verhältnisse Angelernte und Hilfsarbeiterin (oberste Kategorie) Großstädte

Konfektions- und Wäscheindustrie Schuhindustrie (Leder- Ganze Schweiz Schuhe) Kt. Genf Damenhutfabrikation Großstädte

Zuschneiderin im Stundenlohn Ausschneiderin-Einrichterin Abbüglerin Zwischenbüglerin Zuschneiderin Kategorie III Hilfsarbeiterin Kategorie III Ungelernte Finisseuse Hilfsarbeiterin

84 88 89 84 78 71 92

69 69 77 72 69 65 71 73 71

992 Geltungsbereich

Kleiderfärbereien und Ganze Schweiz ohne chemische ReiniTit. Basel-Stadt, gungsanstalten Waadt, Genf Basel Holz- und Glasbearbeitung Engros-Möbelindustrie Schuhleisten-, Holzabsätze- und Holzsohlenfabrikation Goldleisten- und Rahmenindustrie Bürsten- und Pinselfabrikation Papierindustrie, Graphisches Gewerbe Basel, Zürich Papierindustrie Deisswil und andere Kartonindustrie Orte Kartonageindustrie Zürich und andere Orte Buchdruckergewerbe Ortsklasse D Lithographiegewerbe

Buchbindergewerbe

Beruf Angelernte

Lohnsatz der Frauen, wenn Lohnsatz für Männer = 100 72

Hilfsarbeiterin Angelernte Hilfsarbeiterin

72 72 70

Angelernte Handlangerin Hilfearbeiterin

82 84 83

Angelernte Hilfsarbeiterin Angelernte Hilfsarbeiterin

81 82 77 83

Arbeiterin Arbeiterin

79 77

Arbeiterin Übrige Hilfsarbeiterinnen Hilfarbeiterin an Druckmaschinen Übrige Hilfsarbeiterinnen Zürich und andere Orte Hilfsarbeiterin

Herstellung und Verarbeitung von Leder Gerberei Reiseartikel- und Lederwarenindustrie

73 70 69 70 72

Hilfsarbeiterin Angelernte Hilfsarbeitern!

73 80 73

Arbeiterin Produits manufact.

Produits synthétique Arbeiterin

66 71 80 68

Verleserin, Hilfsarbeiterin Angelernte Hilfsarbeiterin

88 92 91

Chemische Industrie Chemische Industrie

Kt. Basel-Stadt Kt. Genf

Seifenindustrie

Stadt. Verhältnisse

Metallverarbeitung Schrauben und Décolletageindustrie Schloss- und Beschlägeindustrie

993 Geltungsbereich

Uhrenindustrie Terminage

Zentren

Zifferblattindustrie Goldschalenfabrikation Fabrikation von Schalen, aus Stahl, Silber, Plaqué or

Biel und andere Orte

Zeigerfabrikation Uhrenfederfabrikation Uhrensteinindustrie Unruhfabrikation Gangwerkfabrikation Roskopfuhrenindustrie Stadt. Verhältnisse

Beruf

Lohnsatz für Frauen, wenn Lohnsatz für

Männer - ICH)

Coupage de balanciers : grosse Stücke kleine Stucke Réglage: grosse Stücke kleine Stücke Gelernte Berufsarbeiterin Hilfsarbeiterin Polissage, Finissage Lapidage, Meulage, Buttlage Achevage Polissage Meulage, Buttlage Finissage Berufsarbeiterin Hilfsarbeiterin Berufsarbeiterin Arbeiterin Leichte Arbeit Schwere Arbeit Arbeiterin Arbeiterin Rohwerke Remontage-Terminage

Kaufmännisches Personal

78 79 82 80 82 86 77 70 71 75 73 79 80 88 82 78 78 78 78 79 81

90

Handel, Vermittlungen, Interessevertretung Getränke- und Kt. Genf Futtermittelhandel Wein- und Spirituosen- Kt. Genf handel Textil-Detailhandel Lausanne Genf Textil-Grosshandel

Genf

Schuhhandel

Lausanne Genf

Papeterien

82 83

Genf

Qualifizierte Angestellte Qualifizierte Büroangestellte Gelernte Ungelernte Gelernte Ungelernte Gelernte Büroangestellte Gelernte Verkäuferin Verkauf, Büro Verkauf, qualifizierte Büroangestellte Ungelernte Gelernte Ungelernte

77 85 78 83 77 75 76 79 83 77 77 78 78

994 Geltungsbereich

Kt. Genf Apotheken Eisenwaren-Handel Genf Buchhandel und Verlag Welsche Schweiz, Städt.Verhältnisse Warenhäuser Kt. Genf Genf VersicherungsAgenturen Vermögensverwaltung Kt. Genf Reklame-Agenturen

Genf

TransportunternehKt. Genf mungen, Reise-Büro Gastgewerbe Gastgewerbe

Beruf Verkäuferin Büro, Verkauf Verkauf Büro Gelernte Ungelernte Qualifizierte Büroangestellte Qualifizierte Büroangestellte Qualifizierte Büroangestellte Büro

Lohnsatz der Frauen, wenn Lohnsatz für Männer - 100 83 82 85 '

Basel, Bern, Lausanne, Sekretärin, Journalführerin, Kassiererin Zürich Wäscherin Küchen-, Office- und Hausmädchen

84 78 75 81 86 83 80

891) 91 1) 941)

Übrige Berufe Tapezierer-Dekorateur- Großstädte gewerbe Kt. Waadt Kt. Neuenburg Coiffeurgewerbe Ganze Schweiz Kt. Basel-Stadt Filmverleih

Genf

1) Einschliesslich Kost und Logis.

Angelernte Näherin Mittlere Arbeiterin Arbeiterin 1. Coiffeuse 2. Coiffeuse 1. Coiffeuse 2. Coiffeuse Qualifizierte Büroangestellte

74 76 81 82 90 88 93 78

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die 38. und 39. Tagung der internationalen Arbeitskonferenz sowie zum Postulat der eidgenössischen Räte betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte (Vom 21. Deze...

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1956

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2

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52

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

28.12.1956

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