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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, über die Standesinitiative des Kantons Zürich betreffend den Weiterbestand der kantonalen Schwurgerichte (Vom 23 März 1956)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

Kantonsrat und Begierungsrat des Standes Zürich haben von ihrem Vorschlagsrecht gemäss Artikel 93, Absatz 2, der Bundesverfassung Gebrauch gemacht und am 26. April 1954 den eidgenössischen Eäten folgende Initiative vorgelegt : «Artikel 277 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege sei durch einen zweiten Absatz folgenden Inhalts zu ergänzen: Die Rückweisung ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Mangel nur darauf beruht, dass naph kantonalem Eecht die Geschworenen über bestimmte Fragen durch Wahrspruch entscheiden.» Diese Initiative wurde uns von Ihnen in der Junisession 1954 zum Bericht überwiesen. Nachdem die Angelegenheit noch in einer aus Mitgliedern des Bundesgerichts, Rechtsgelehrten und kantonalen Gerichtspersonen zusammengesetzten Expertenkommission am 5. September 1955 besprochen wurde, beehren wir uns, Ihnen heute unsern Bericht zu erstatten.

I.

Nach Artikel 93, Absatz 2, der Bundesverfassung hat jeder Kanton das Eecht, der Bundesversammlung über einen in deren Geschäftsbereich fallenden Gegenstand schriftlich einen Vorschlag zu unterbreiten, mit .der Wirkung, dass der Vorschlag bei der Bundesversammlung anhängig wird, weshalb die Eäte verpflichtet sind, ihn materiell in Beratung zu ziehen und zu beschliessen, ob

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sie ihm Folge geben wollen. Darin erschöpft sich aber die Eechtswirkung einer Standesinitiative. Es ist demnach nicht so, wie bei einem Volksbegehren auf Verfassungsrevision (Art. 120 oder 121B V), das auch dann, wenn die Räte mit ihm nicht einverstanden sind, zur Volksabstimmung gelangen muss. Beschliessen die Eäte, einer Standesinitiative nicht Folge zu geben, so ist das Geschäft erledigt.

Der Vorschlag eines Kantons kann als allgemeine Anregung - was meistens der Fall ist - oder als ausgearbeiteter Gesetzes- oder Beschlussesentwurf formuliert sein. Die vorliegende Standesinitiative Zürich ist eine formulierte; sie schlägt eine Fassung für einen neuen zweiten Absatz von Artikel 277 der Bundesstrafprozessordnung vor.

II.

Der Kanton Zürich begründet seinen Vorschlag mit folgenden Erwägungen : Gemäss Artikel 57 der zürcherischen Kantonsverfassung sind Verbrechen und politische Vergehen, sowie auf Verlangen des Angeklagten auch Pressedelikte, durch Geschworenengerichte zu beurteilen. Diese entsprechen nach Organisation und Verfahren seit ihrer Einführung vor hundert Jahren dem englischen Schwurgerichtssystem. Darnach beraten für jede Session neu ausgeloste Geschworene geheim und unter Ausschluss des Gerichtshofes über die Schuld des Angeklagten. .Die ihnen unterbreitete Frage beantworten sie ohne weitere Begründung mit «Ja» oder «Nein». Sache des in der Eegel aus einem Oberrichter und zwei Bezirksrichtern gebildeten Gerichtshofes ist es alsdann, auf Grund des Wahrspruches die Strafe zuzumessen. Die schriftlichen Urteilsausfertigungen der Zürcher Schwurgerichte enthalten keine tatsächliche und rechtliche Begründung in bezug auf die Schuldfrage; sie sind vielmehr bloss mit den Fragen an die Geschworenen, den Antworten, also dem Wahrspruch, und mit den Ausführungen über die Strafe versehen.

Das zürcherische Schwurgericht mit dem nicht weiter begründeten Wahrspruch der Geschworenen bringt den Willen des Volkes zum Ausdruck, unter eigener Verantwortung und unabhängig von Einflüssen des Gerichtshofes Eecht zu sprechen. Es verschafft und bewahrt der Strafrechtspflege das notwendige Vertrauen der Bürger. Ihm kommt im Eechtsleben des Standes Zürich eine überragende Bedeutung zu. Diese Verbundenheit mit lokalen Eigenheiten der Gerichtsorganisation ist aber nicht nur eine zürcherische, sondern eine allgemein schweizerische Eigenschaft. Solche kulturelle Eigenarten gehören zum Wesen der Schweiz, und aus dieser Erkenntnis heraus wurde, dem|staatspolitischen Grundsatz des Föderalismus entsprechend, in Artikel 64ms der Bundesverfassung bestimmt, dass die Organisation der Gerichte, das gerichtliche Verfahren und die Eechtsprechung wie bis anhin den Kantonen verbleiben. Damit wurde der zentralistischen Vereinheitlichung des materiellen Rechts staatsrechtlich ausgleichend ein föderalistisches Gegengewicht gegeben. Dieses verfassungsmässige Gleichgewicht von Föderalismus und Zentralismus darf nicht

807 durch Akte der Rechtsprechung oder Gesetzgebung verletzt werden. Diesen staatsrechtlichen Grundgedanken entsprechend kam bei den Beratungen über das schweizerische Strafgesetzbuch je und je zum Ausdruck, dass die Organisation und das Verfahren der kantonalen Gerichte durch die Vereinheitlichung des materiellen Strafrechtes gemäss Artikel 64M3 der Bundesverfassung grundsätzlich unangetastet bleiben solle. Dieselbe Auffassung wurde offenbar auch durch den Bundesrat geteilt. So hat er jedenfalls das zürcherische Einführungsgesetz zum schweizerischen Strafgesetzbuch genehmigt, obwohl damit das Schwurgericht mit dem nicht weiter begründeten Wahrspruch der Geschworenen beibehalten wurde. In gleicher Weise wurde in den Jahren 1941-1943 bei der Eevision der Bundesstrafprozessordnung, welche die Frage des Weiterzuges kantonaler Strafurteile an das Bundesgericht regelt, nie darauf hingewiesen, dass das sogenannte klassische Schwurgericht, wie es der Kanton Zürich kennt, bundesrechtswidrig sei. Im Gegenteil sieht das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege heute noch unter der Bezeichnung Bundesassisen ein dem zürcherischen Schwurgericht vollkommen entsprechendes Gericht und Verfahren vor. Solange aber der Bund auf Grund von Artikel 112 seiner Verfassung das System des klassischen Schwurgerichtes selbst beibehält, kann er dem gleichen System entsprechende kantonale Gerichte und Verfahren nicht als bundesrechtswidrig erklären. Die Schwurgerichtsurteile können, da sie letztinstanzliche kantonale Entscheide sind, mit der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichtes weitergezogen werden, der zu überprüfen hat, ob sie eidgenössisches Eecht verletzen (Art. 269 BStrP).

Nun enthält Artikel 277 der Bundesstrafprozessordnung die Bestimmung, wonach kantonale Entscheidungen, die an derartigen Mängeln leiden, dass die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft werden kann, vom Kassationshof des Bundesgerichts aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen sind.

Gemäss einer bis 1952 konstanten Praxis hat das Bundesgericht es abgelehnt, diese Vorschrift auf kantonale Schwurgerichtsurteile anzuwenden. An dieser Eechtsprechung ist auch nach der Einführung des Schweizerischen Strafgesetzbuches festgehalten worden, um nicht ohne Not in die kantonale Gerichtsorganisation einzugreifen. Der Kassationshof
prüfte den Wahrspruch der Geschworenen lediglich in der Weise, dass er nacheinander alle Möglichkeiten in Betracht zog, welche die Geschworenen zu ihrem Urteil hätten veranlassen können. Von einer Kassation sah das Bundesgericht ab, wenn auch nur eine dieser Möglichkeiten den Wahrspruch rechtfertigte.

Von dieser Eechtsprechung ist der Kassationshof des Bundesgerichts in seinem Urteil vom 27. Juni 1952 in Sachen Ernst Schürch (B GÈ 7S IV 184) abgegangen und verlangt nunmehr, dass auch Schwurgerichtsurteile in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründet sein müssen. Diese neue Praxis des Kassationshofes hat das zürcherische Schwurgericht in eine Notlage versetzt. Behelfsmässig ist es dazu übergegangen, die im kantonalen Prozessrecht vorgeschriebene einzige Frage aufzuteilen. Den Geschworenen werden heute die einzelnen, rechtlich wesentlichen Tatbestände unterbreitet, Neben den

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Tatfragen enthält der Fragebogen, davon so gut als möglich getrennt, die Eechtsfragen. Die Beantwortung der. so detaillierten Fragen durch die Geschworenen vermag die vom Kassationshof verlangte Begründung zu ersetzen. Dieses "Vorgehen widerspricht jedoch nicht nur dem kantonalen Eecht, sondern es ist auch mit dem Grundgedanken des Wahrspruchs unvereinbar und bietet zudem in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten.

Eine auf die Dauer befriedigende Gestaltung des Verfahrens vor Schwurgericht, die der neuen Eechtsprechung des Bundesgerichtes genügen würde, liesse sich nur durch eine Gesetzesänderung erreichen, die im Kanton Zürich ·dem obligatorischen Beferendum unterläge. Die Ersetzung des Schwurgerichtes wäre sogar nur durch die Änderung von Artikel 57 der Kantonsverfassung möglich.

Es erscheint als ausserordentlich fraglich, ob in absehbarer Zeit im Kanton .Zürich Gesetzes- oder gar Verfassungsänderungen in den dafür notwendigen Volksabstimmungen durchgebracht werden könnten, welche eine auf die Dauer befriedigende Anpassung des schwurgerichtlichen Verfahrens an die Anforderungen der neuen Praxis des Kassationshofes ermöglichen würden.

Der Weiterbestand des Schwurgerichtes in der bisherigen Form war zweifellos für die vielen Anhänger dieser Gerichtsbarkeit die Voraussetzung, unter ·welcher sie dem eidgenössischen Strafgesetzbuch zustimmten und das Beferendum gegen die Bundesstrafprozessordnung unterliessen. Dies gilt vorab für ·eine grosse Mehrheit der Stimmbürger des Kantons Zürich. Sie haben seit seiner Einführung während hundert Jahren am klassischen Schwurgericht festgehalten. Ein Versuch nach der Jahrhundertwende, die gemeinsame Beratung für Geschworene und Gerichtshof einzuführen, scheiterte schon im Kantonsrat.

Am 6. Juli 1941 hat das Zürchervolk einen in der gleichen Eichtung gehenden "Vorschlag im Stimmenverhältnis 2:1 verworfen, während es gleichzeitig im umgekehrten Verhältnis dem Einführungsgesetz zum eidgenössischen Strafgesetzbuch zustimmte. Auch heute ist das Zürchervolk nicht geneigt, an der herkömmlichen Form des Schwurgerichtes etwas zu ändern.

III.

Die Initiative des Standes Zürich ist veranlasst worden durch den vor·erwähnten Entscheid des Kassationshofes vom 27. Juni 1952 in Sachen Schürch gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, wonach Artikel 277 der Bundes·strafprozessordnung auch gegenüber Urteilen von Schwurgerichten anzuwenden ist. Das Schwurgericht das Kantons Zürich hatte Schürch des wiederholten Betruges im Sinne von Artikel 148, Abs. l, des Strafgesetzbuches schuldig erklärt und ihn zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von acht Monaten, abzüglich 28 Tage Untersuchungshaft, verurteilt. Der Tatbestand war folgender: Mit Kaufvertrag vom 28. März 1948 hatte Schürch das alleinige Eecht, im Namen der von ihm aufgezogenen Institution «3 Sprachenschule und Verlag»

809 Sprachkurse durchzuführen und die Sprachwerke dieser Institution zu vertreiben, für einige Kantone an Fritz Gerber abgetreten. Unter Verschweigung dieser Tatsache verkaufte er im Jahre 1949 nochmals diese Rechte für dieselben Gebiete an drei andere Interessenten. Nachdem Gerber in den Dienst der Strassenbahn Zürich getreten war, reichte er am 22. März 1949 gegen Schürch beim vertraglich vorgesehenen Schiedsgericht Klage ein mit dem Begehren, der Vertrag vom 23. März 1948 sei aufzuheben und Schürch zur Rückzahlung der von Gerber geleisteten Anzahlung, zur Rücknahme der gekauften Lehrbücher und zur Vergütung eines Verdienstausfalles zu verpflichten. Am 19. September 1949 hatten sich Gerber und Schürch dann dahin geeinigt, dass der Vertrag vom 23. März 1948 als aufgehoben (Art. 31 OR) und Gerber als berechtigt erklärt wurde, die noch in seinem Besitz befindlichen Lehrwerke zu zu vertreiben, wogegen sich Schürch verpflichtete, bis Ende 1949 im Kanton Zürich,' ausgenommen in der Stadt Zürich, keine Propaganda für Sprachkurse zu machen. Im Strafverfahren bestritt Schürch gegenüber allen drei anderen Kaufverträgen des Jahres 1949 den Betrug mit der Begründung, dadurch, dass Gerber den Vertrag wegen Irrtums angefochten habe, sei er ex tunc, also rückwirkend auf den 23. März 1948, unverbindlich geworden; er sei daher bei Abschluss der drei anderen Verträge im Jahre 1949 frei gewesen.

Wenn der Vertrag mit Gerber zur Zeit, als Schürch sich mit drei anderen Personen einigte, nicht mehr in Kraft war, sind indessen diese drei Personen nicht irregeführt worden, denn dann konnte Schürch über die Gerber zugeteilten Gebiete wieder frei verfügen ; den drei Vertragsgegnern musste der Abschluss mit Gerber gleichgültig sein. Nun enthielt das Urteil des Schwurgerichts des Kantons Zürich keine tatsächlichen Feststellungen, die dem Kassationshof des Bundesgerichts erlaubt hätten, die Rechtsfrage zu beurteilen, ob Schürch beim Vertragsabschluss mit den drei anderen Personen gegenüber Gerber noch vertraglich gebunden war; auch sagte das Urteil nicht, aus welchen Gründen das Schwurgericht diese Bindung offenbar bejaht hat. Das Schwurgericht verschwieg auch, warum es in zwei Fällen den Schaden kurzerhand den Zahlungen gleichsetzte, die diese Personen Schürch gemacht hatten, obwohl sie von ihm grössere Posten Lehrbücher
erhielten und damit offenbar Kurse durchführen konnten. Dem Kassationshof des Bundesgerichts war damit verunmöglicht, zu prüfen, ob das Schwurgericht vom richtigen Rechtsbegriff des Schadens ausgegangen war. Diese Frage hatte Bedeutung für das Strafmass. Der Kassationshof musste deshalb das Urteil des Schwurgerichts aufheben und die Sache an die Vorinstanz zurückweisen. Diese Entscheidung wurde hauptsächlich wie folgt begründet: a. Den zur Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof Legitimierten soll ermöglicht werden, sich über die Urteilsgründe und über die allfällige Verletzung eidgenössischen Rechts Rechenschaft zu geben und die Nichtigkeitsbeschwerde zu begründen. Artikel 272, Absatz 2, des Bundesstrafprozesses lässt denn auch die Frist zur Begründung der Beschwerde erst von der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Entscheides an laufen. Die Ausfertigung hat, Bundesblatt. 108. Jahrg. Bd. I.

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810 wenn sie ihren Zweck soll erfüllen können, alle tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen zu enthalten, die dem Urteil zugrunde liegen. Das auch mit Bücksicht auf die Aufgabe, die der Kassationshof des Bundesgerichts als Beschwerdeinstanz zu erfüllen hat: Die Überprüfung, ob die angefochtene Entscheidung eidgenössisches Becht verletze (Art. 269, Abs. l, BStP), ist nur möglich, wenn das Urteil - das dem Kassationshof einzusenden ist (Art. 274 BStP) - schriftlich begründet wird und in der Begründung Tat- und Bechtsfragen auseinanderhält. Hievon geht auch Artikel 277 Bundesstrafprozessordnung aus. Die Pflicht der kantonalen Behörden, ihre Entscheidungen in Bundesstrafsachen in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht schriftlich zu begründen, ist denn auch schon unter der Herrschaft des Organisationsgesetzes von 1893 und auch seither stets bejaht worden (BGE 371108,501852,68IV 77).

b. Darin liegt freilich ein Eingriff in das Verfahren, das gemäss Artikel 64Ms BV wie bis anhin den Kantonen verbleibt und ihnen auch beim Erlass des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege und des schweizerischen Strafgesetzbuches ausdrücklich gelassen worden ist (Art. 247, Abs. 8, BStP, Art. 343, 365, 371 StGB).

Das Becht der Kantone zur Ordnung des Verfahrens hat jedoch nicht den Sinn, dass der Bund auch insoweit keine Verfahrensvorschriften erlassen dürfe, als es zur richtigen Anwendung des eidgenössischen materiellen Bechts nötig ist. Das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege (Art. 247 ff., 268 ff., 279 ff.) und das Strafgesetzbuch (Art. 13, 346 ff., 867, 871, 372, 397) enthalten zahlreiche Bestimmungen, welche die erwähnte Befugnis der Kantone einengen. Artikel 365, Absatz 2, StGB behält sie ausdrücklich vor und enthält im besondern auch einen Vorbehalt zugunsten der Nichtigkeitsbeschwerde bei Anwendung eidgenössischer Strafgesetze.

Die Pflicht der kantonalen Behörden, ihre der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde unterliegenden Entscheidungen zu begründen, ist die notwendige Folge der dem Bundesgericht durch Verfassung und Gesetz zugewiesenen Aufgabe, zur Sicherung einheitlicher Bechtsanwendung diese Entscheidungen auf Verletzung des eidgenössischen Rechts hin zu überprüfen (Art. 114 B V, Art. 268 ff. BStP, Art. 12, Abs. l, lit. g, OG). Dieser Eingriff in das kantonale
Verfahrensrecht ist da,her verfassungsmässig, gleich wie der entsprechende in Artikel 51, Absatz l, lit. c, OG enthaltene Eingriff in das kantonale Zivilprozessrecht, der dem Bundesgericht die Erfüllung seiner Aufgabe als Berufungsinstanz ermöglichen soll (BGE 28 II 602). Die Kantone sind denn auch nur insoweit souverän, als ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist (Art. 3 BV).

c. Was für die der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde unterliegenden kantonalen Entscheidungen im allgemeinen, gilt im besonderen auch für Urteile von Schwurgerichten.

Das Bundesgericht hat dies vor dem Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches, als die Anwendung eidgenössischen Strafrechts durch kantonale Schwurgerichte noch von geringer Bedeutung war, zwar verneint

811 (BGE 63 1136), und in der Literatur sind selbst seit der Vereinheitlichung des Strafrechts Stimmen laut geworden, die einen so weitgehenden Eingriff in das kantonale Verfahren, wie ihn die Pflicht zur Begründung von Urteilen der Schwurgerichte bedeute, mit Artikel 64bls BV nicht glaubten vereinbaren zu können oder dem Bundesgesetzgeber nicht oder nur zögernd zutrauten (vgl.

u.a. Waiblinger, ZschwR nF 60 143a;Leuch, SZStrE 57 21 ; Pfenninger, ZschwE nF 65 389«, JZ 49 449; Cavin, ZschwE nF 65 53a).

Weder die Verfassung noch das Gesetz machen indessen zugunsten von Schwurgerichten einen Vorbehalt. Dass Artikel 64Ms BV den Kantonen das gerichtliche Verfahren «wie bis anhin» sichert, hat nicht den Sinn, dass kantonale Bestimmungen über das Verfahren, die beim Erlass der Verfassungsnorm bestanden, insbesondere Vorschriften, wonach Schwurgerichte die Wahrsprüche nicht zu begründen hätten, unangetastet bleiben müssten, sondern diese Worte bedeuten, dass die Kantone das Verfahren wie bisher nur insoweit ordnen können, als die Befugnisse des Bundesgerichts und die damit verbundenen. Einwirkungen auf den Eechtsgang dies zulassen, wobei sie sich die der Erweiterung des Bundesstrafrechts entsprechende Erweiterung dieser Einwirkungen gefallen lassen müssen (vgl. Burckhardt, Kommentar zur Bundesverfassung S. 596, 793).

d. Dass die Urteile kantonaler Schwurgerichte der Überprüfung durch das Bundesgericht unterliegen, ist nie bezweifelt worden und zeigt der Wortlaut des Artikels 268 Bundesstrafprozessordnung, der schlechthin von «Urteilen der Gerichte» spricht, ohne für Schwurgerichte eine Ausnahme zu machen. Auch die Bestimmungen, aus denen sich die Pflicht zur Begründung der kantonalen Urteile ergibt (Art. 251, Abs. 3, 255, 265, 272, Abs. l und 2, 274, 277 BStP), machen eine solche Ausnahme nicht. Es wäre denn auch sachlich nicht zu verstehen, wenn gerade jene Gerichte, die über die schwersten Vergehen und Verbrechen zu urteilen pflegen und von Laien besetzt sind, ihre Entscheidungen nicht zu begründen brauchten und damit dem Bundesgericht die Überprüfung der Eechtsanwendung verunmöglichen dürften, während anderseits jedes von einer anderen Behörde gefällte Straferkenntnis von noch so geringer Bedeutung vom Bundesgericht aufgehoben werden muss, wenn es den Anforderungen des Artikels 277 Bundesstrafprozessordnung
nicht entspricht.

Dass eine solche Ordnung unter der Herrschaft des schweizerischen Strafgesetzbuches unvernünftig wäre, kann der Bundesversammlung nicht entgangen sein, als sie im Jahre 1943 mit dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege auch die Artikel 268 ff. Bundesstrafprozessordnung revidierte. Der Verfasser des Vorentwurfes zum neuen Organisationsgesetz hatte eine Bestimmung vorgesehen, wonach der Kassationshof die kantonale Entscheidung aufheben und die Sache an die kantonale Behörde zurückweisen könne, wenn die Entscheidung, «ausgenommen der Wahrspruch der Ge^ schworenen», an derartigen Mängeln leidet, dass die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft werden kann (Art. 276, Abs. l, lit. b, BStP in der Fassung des

812 Art. 172 VE zum 0G). Das Bundesgericht, dem der Vorentwurf zur Vernehmlassung unterbreitet wurde, schlug demgegenüber die heutige Fassung des Artikels 277 Bundesstrafprozessordnung vor. Der Bundesrat nahm sie in den Entwurf auf (BB1 1948 164, 219) und die eidgenössischen Eäte hiessen sie gut, obschon in der Literatur (Pfenninger, JZ 39 451) mit Rücksicht auf die Stellung der Schwurgerichte mit Nachdruck angeregt worden war, dass der Gesetzgeber Artikel 168/277 des Entwurfs zum OG durch einen Zusatz ergänze, wonach diese Bestimmung nicht anwendbar sei, «wenn und soweit die angefochtene Entscheidung dem kantonalen Eecht entspricht».

e. Wohl lassen auch die Bundesverfassung (Art. 112), das schweizerische Strafgesetzbuch (Art. 341) und das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege (Art. 182 ff.) gewisse der Bundesgerichtsbarkeit vorbehaltene Straffälle mit Zuziehung von Geschworenen beurteilen, die lediglich die ihnen gestellten Fragen mit «ja» oder «nein» zu beantworten und ihren Wahrspruch nicht zu begründen haben. Dass der Bund eine Einrichtung, die er selber kennt, den Kantonen nicht könne verunmöglichen wollen (vgl. Cavin, ZschB nF 65 54a), darf jedoch daraus nicht geschlossen werden. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile der Bundesassisen können nur Verfahrensmängel gerügt werden (Art. 220 BStP); ob diese Urteile materielles Eecht verletzen, ist nicht zu überprüfen, weshalb sich die Begründung erübrigt und sich die Urteilsausfertigung darauf beschränken kann, die Fragen an die Geschworenen und den Wahrspruch wiederzugeben (Art. 209 BStP). Die kantonalen Schwurgerichte befinden sich vor der Verfassung und dem Gesetz in anderer Stellung, da ihre Eechtsanwendung vom Bundesgericht auf Nichtigkeitsbeschwerde hin muss überprüft werden können.

/. Den Kantonen wird nicht verwehrt, die Schuldfrage in tatsächlicher, ja sogar in rechtlicher Hinsicht durch Geschworene beurteilen
IV.

l. Im klassischen Schwurgericht ist die Urteilsaufgabe in der Weise streng geteilt, dass den Laien-Geschworenen die Tat- und Schuldfragen, den ständigen Eichtern die Straffragen zur alleinigen Lösung überlassen bleiben (Trennung der Geschworenenbank und der Eichterbank).

Dieses klassische Schwurgericht ist in England nach einer langen Eechtsentwicklung entstanden und sollte, dank seiner Volksverbundenheit, die Unab-

813 hängigkeit der Eechtssprechung gewähren. Es hat nach und nach als Eeaktion gegen den Inquisitionsprozess und unter dem Einfluss des Liberalismus und der demokratischen Anschauungen der französischen Eevolution auch in der Schweiz Wurzeln gefasst: in den Kantonen Genf (1844), Waadt (1846), Freiburg (1848), Bern (1850), Zürich (1853), Tessin (1855), Aargau (1858), Neuenburg (1862), Solothurn und Thurgau (1868) und im Bund (1851), das heisst ausser im Bunde in zehn Kantonen. Dabei wurde die französische Form des Schwurgerichts (wo die Geschworenenbank zusammen mit der Eichterbank über die Strafe berät) in den Kantonen Genf, Waadt, Bern und Neuenburg eingeführt, die englische Form dagegen im Bund und in den übrigen sechs Kantonen. Das Schwurgericht wurde dann in den Kantonen Tessin, Bern, Neuenburg und Waadt durch das Schöffengericht ersetzt (Beurteilung von Schuld- und Straffrage durch ein aus ständigen Eichtern und Geschworenen zusammengesetztes Kollegium). Das klassische Schwurgericht besteht demnach nur noch im Bunde sowie in den Kantonen Zürich, Freiburg, Aargau, Thurgau und Solothurn1). Wenn also das klassische Schwurgerichtssystem vor einem Jahrhundert zweifellos als eine demokratische Errungenschaft galt, so hat sich seitdem sein Einfluss nach und nach verringert. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass in den Kantonen Genf, Aargau und Solothurn Eevisionen der Strafprozessordnungen im Gange sind ; in Freiburg spielt das klassische Schwurgericht zufolge der stark beschränkten Kompetenz (vorsätzliche Tötung, Mord und Staatsverbrechen) keine wesentliche Eolie mehr. Anderseits können in den Kantonen Genf und Freiburg die Urteile der Schwurgerichte auch bei Verletzungen des Strafgesetzes an den kantonalen Kassationshof weitergezogen werden. Dieser fällt dann einen moti*) Graven: Le jury et les tribunaux d'éohevins en Suisse, Zeitschrift für schweizerisches Recht 1938, S. la.

Pfenninger: Schwur- und Schöffengericht in der Schweiz, Zeitschrift für schweizerisches Recht 1938, S. 697a.

- Bundesgericht gegen Schwurgericht, Schweizerische Juristenzeitung 1952, S. 349.

- Eidgenössisches Strafrecht und kantonales Strafprozessrecht, Schweizerische Juristenzeitung 1955, S. 197.

Bourglmecht: Le recours au Tribunal fédéral en matière pénale après l'entrée en vigueur du code pénal suisse, Zeitschrift für
schweizerisches Recht 1941, S. la, spez. 34a.

Waiblinger: Die Weiterziehung von Strafsachen an das Bundesgericht nach Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches, Zeitschrift für schweizerisches Recht 1941, S. 117 o, spez. 142 a.

Leuch: Die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts gegen Entscheidungen der kantonalen Gerichte, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 1943, S. 21.

Cornu: Le pourvoi en nullité et l'institution du jury, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 1945, S. 397.

Lüthi: Die Gerichtsbarkeit in Bundesstrafsachen, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 1946, S. 325.

Clerc: L'art. 277 PPP implique-t-il de motiver la décision émanant du jury ? Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 1953, S. 93.

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vierten Entscheid, der im Falle einer Nichtigkeitsbeschwerde vom Bundesgericht nachgeprüft werden kann. Ausser Zürich sind somit nur noch die Kantone Aargau, Solothurn und Thurgau an der zürcherischen Standesinitiative interessiert.

2. Zu den zur Begründung der Standesinitiative Zürich vorgebrachten Ausführungen ist folgendes zu bemerken : a. Der Grundgedanke, dass das Bundesgericht über die einheitliche Anwendung des eidgenössischen Strafrechts in der ganzen Schweiz zu wachen hat, ist schon in Artikel 114 Bundesverfassung verankert. Die Verwirklichung kam aber erst mit dem 1898 angenommenen Artikel 64bl8 Bundesverfassung, welcher bestimmt, dass der Bund zur Gesetzgebung im Gebiete des Strafrechts befugt ist (Abs. 1) und dass das gerichtliche Verfahren «wie bis anhin» den Kantonen verbleibt (Abs. 2). Es sind also - wie im Kommentar Burckhardt (S. 596) ausdrücklich gesagt wird - die Befugnisse des Bundesgerichts in Strafsachen und die damit verbundenen Einwirkungen auf den kantonalen Prozess verfassungsrechtlich bestätigt; sie müssen sogar kraft Artikel 114 Bundesverfassung entsprechend dem bisherigen Eecht auf das neue Gebiet des Bundesstrafrechts ausgedehnt werden (Kassation). Artikel 365 Strafgesetzbuch erinnert daran, dass das Verfahren vor den kantonalen Behörden durch die Kantone bestimmt wird (Abs. 1), behält aber in Absatz 2 die Vorschriften des Bundesgesetzes über die Bundesrechtspflege betreffend das kantonale gerichtliche Verfahren und die Nichtigkeitsbeschwerde bei Anwendung eidgenössischer Strafgesetze vor. Artikel 114 Bundesverfassung schränkt somit die Tragweite des Artikels 64bls Bundesverfassung ein, um die Durchführung der Eechtseinheit auf dem Gebiete des Strafrechts zu ermöglichen. Das Bundesgericht kann aber seine Aufgabe, die einheitliche Anwendung des materiellen eidgenössischen Strafrechts durch die kantonalen Gerichte zu überwachen, nur dann erfüllen, wenn aus den kantonalen Entscheidungen ersichtlich ist, welche Tatsachen als bewiesen zu erachten sind. Gerade deshalb wurde dem Kassationshof des Bundesgerichts schon in Artikel 173 des alten OG von 1893 und im heute geltenden Artikel 277 Bundesstrafprozessordnung die Befugnis eingeräumt, kantonale Entscheidungen zu kassieren und zurückzuweisen, wenn sie an solchen Mängeln leiden, dass die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft
werden kann.

Nun ist aber bei den Urteilen der klassischen Schwurgerichte, wo Geschworene in ihrem Verdikt die Schuldfragen (d.h. Tat und Eechtsfragen) zusammen beantworten, diese Nachprüfung ausgeschlossen oder doch so eingeschränkt, dass kaum mehr von einer Überprüfung der einheitlichen Anwendung des materiellen Bundesrechts, gesprochen werden kann.

Es wäre unmöglich, die kantonalen Schwurgerichtsurteile der bundesgerichtlichen Überprüfung zu entziehen, ohne ein Privileg für einige wenige Kantone zu schaffen, das heisst ohne den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung zu verletzen. Soll die einheitliche Anwendung des eidgenössischen Straf rechts durchgeführt werden, dann kann das klassische Schwurgerichts-

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System nur beibehalten werden, wenn dafür gesorgt wird, dass aus dem Wahrspruch entnommen werden kann, welche Tatsachen als bewiesen erachtet wurden.

b. Es trifft zu, dass der Bundesrat das zürcherische Einführungsgesetz zum schweizerischen Strafgesetzbuch genehmigt hat, obwohl damit das Schwurgericht mit dem nicht weiter begründeten Wahrspruch der Geschworenen beibehalten wurde. Aber nach ständiger Rechtssprechung des Bundesgerichts vermag dies den Standpunkt des Kantons Zürich, es liege ein unzulässiger Übergriff in die kantonale Gerichtsorganisation und das kantonale Verfahren vor, nicht zu stützen (vgl. BGE 421349 ; 501342; 51II337 ; 521161 ; 53II461).

Die Genehmigung kantonaler Erlasse durch den Bundesrat enthebt nämlich die Gerichte nicht von der Prüfung, ob solche Erlasse mit dem Bundesrecht vereinbar sind.

c. Die Darstellung, es sei in den Jahren 1941/1943 bei der Eevision des Gesetzes über die Bundesstrafrechtspflege nie auf die Unvereinbarkeit des klassischen Schwurgerichts mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde hingewiesen worden, trifft nicht zu.

In dem von Herrn Bundesrichter Ziegler 1940 redigierten Vorentwurf war folgende Bestimmung vorgesehen: «Der Kassationshof kann ausserhalb der öffentlichen Beratung die kantonale Entscheidung aufheben und die Sache an die kantonale Behörde zurückweisen, wenn die Entscheidung, ausgenommen der Wahrspruch der Geschworenen, an derartigen Mängeln leidet, dass die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft werden kann.» Weder die Erläuterungen von Bundesrichter Ziegler vom Mai 1940 zum Vorentwurf noch die Vernehmlassung des Bundesgerichts vom 14. Januar 1941 enthielten irgend eine Bemerkung bezüglich der vorgesehenen Ausnahme betreffend den Wahrspruch der Geschworenen. Übrigens wurde diese Ausnahmebestimmung im bundesgerichtlichen Entwurf von 1941 überhaupt nicht aufgenommen, und der Artikel 277 gab bei den Beratungen in der Expertenkommission in den Jahren 1941/1942 zu keiner Diskussion Anlass. Artikel 277 in der Fassung des Bundesgerichts wurde ohne Abänderung in den Entwurf des Bundesrates aufgenommen. In der bundesrätlichen Botschaft vom 9. Februar 1943 wurde lediglich bemerkt, dass Artikel 277 «im wesentlichen» deta bisherigen Artikel 277 entspricht (BB11943, S. 164). Bei den Beratungen der ständerätlichen Kommission im März 1943 erklärte
Ständerat Klöti jedoch in bezug auf Artikel 272 betreffend die Frist zur Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts: «Wenn in Zürich vom Schwurgericht entschieden wird, so erhält der Angeklagte auch heute kein Urteil. Er muss also auf Grund des Disposi tivs Nichtigkeitsbeschwerde einreichen.» Bundesanwalt Stampf li antwortete darauf: «Man muss unterscheiden zwischen dem Verdikt und dem Urteil der Kriminalkammer. Bundesrichter Leuch hat in der Zeitschrift für Strafrecht (1943, S. 1) die Frage aufgeworfen, ob man nicht verlangen dürfe, dass die Tatfrage und die Schuldfrage genau auseinandergehalten werden. Ich frage mich aber, ob man so weit in das kantonale Schwurgerichtsverfahren eingreifen dürfe.» Der Präsident der Kommission, Ständerat Piller sei., fügte bei, dass

816 eine Kassation gegen Urteile der Kriminalkammer denkbar sind wegen Verletzung der Verfahrensvorschriften, nicht aber aus materiellen Gründen. J)ann schloss der Vertreter des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Herr Bundesrat von Steiger, die Diskussion über Artikel 272 wie folgt: «Wir müssen es den Kantonen überlassen, ob sie ihre Gesetze so gestalten wollen, dass die Möglichkeit einer Weiterziehung erleichtert wird.» Artikel 277 wurde von der ständerätlichen Kommission angenommen, nachdem Bundesanwalt Stämpfli erklärt hatte: «Hier ist in erster Linie der Fall geregelt, wo das Urteil der Vorinstanz gar nicht motiviert ist und das Bundesgericht folglich gar nicht imstande ist, das Urteil nachzuprüfen. Es ist aber nicht daran zu denken, dass wir hier eine Verpflichtung der Kantone" zur Motivierung der Geschworenengerichtsurteile statuieren wollen; es ist vorausgesetzt, dass der'kantonale Eichter verpflichtet ist, sein Urteil zu motivieren.» Artikel 277 wurde dann vom Ständerat (22. Juni 1948), von der nationalrätlichen Kommission (I.September 1948) und endlich vom Nationalrat (20. September 1948) diskussionslos angenommen.

Die im Januar 1941 vom Bundesgericht vorgeschlagene Fassung wurde somit endgültig in Artikel 277 übernommen.

Aus dieser Entstehungsgeschichte geht hervor, dass bei der letzten Eevision des Gesetzes über die Bundesstrafrechtspflege in den Jahren 1941/1943 die Stellung des klassischen Schwurgerichts besonders im Kanton Zürich in Erwägung gezogen wurde. Das Problem wurde übrigens öffentlich und eingehend im Schweizerischen Juristenverein im Jahre 1941 geprüft ; an dieser Diskussion hat sich auch der damalige erste Staatsanwalt des Kantons Zürich, Herr Professor Dr. Pfenninger, beteiligt (vgl. Zeitschrift für schweizerisches Eecht 1941, S. 86a, 142a, 198«, 482«, 445«, 463«, 466«, 470«, 472«).

Es war demnach nicht beabsichtigt, eine Ausnahmebestimmung aufzunehmen, um den Weiterzug kantonaler Schwurgerichtsurteile an das Bundesgericht zu verunmöglichen.

d. In der Begründung der Initiative des Standes Zürich wird behauptet, die frühere Eechtssprechung des Bundesgerichts - sukzessive Prüfung aller Möglichkeiten, welche die Geschworenen zu ihrem Währspruch hätten veranlassen können - sei konstant gewesen, sie habe sich über ein halbes Jahrhundert bewährt, der Kassationshof
habe von 1893 bis 1952 Artikel 277 Bundesstrafprozessordnung stets dahin ausgelegt, dass Schwurgerichtsurteile nicht darunter fielen. Diese Darstellung, welche die Meinung aufkommen lassen könnte, eine Eückkehr zu der durch BGE 33 I 657 eingeführten Methode sei durchaus gangbar und diese Methode müsste sich weiterhin «bewähren», widerspricht dem Sachverhalt. Das Bundesgericht hat nämlich folgendes festgestellt: «Einmal stammt das erwähnte Urteil nicht aus dem Jahre 1893, sondern wurde im Jahre 1907 gefällt. Die von der Initiative gepriesene Methode wurde nachher nur noch in zwei Fällen aus den Jahren 1909 und 1910 angewendet (BGE 351172ff., 361287ff.). Eine im Jahre 1908 beurteilte Kassationsbeschwerde gegen ein Schwurgerichtsurteil machte ihre Anwendung nicht nötig, weil dort nicht die Schuldfrage, sondern lediglich eine Frage der Straf-

817 zumessung (Gesamtstrafe) zu überprüfen war (BGE 34 1118ff.). Nachforschungen haben ergeben, dass der Kassationshof ausser in diesen vier veröffentlichten Fällen aus den Jahren 1907-1910 nur noch im Jahre 1937 ein Schwurgerichtsurteil zu überprüfen hatte (BGE 63 1136ff.) ; in der Zwischenzeit und auch von 1938-1941 war er dazu nie berufen, auch nicht in unveröffentlichten Fällen.

In BGE 63 I 136ff. aber hat er nicht mehr nach der erwähnten Methode geurteilt, sondern einfach erklärt, der Wahrspruch halte Tat- und Eechtsfragen nicht auseinander, weshalb die Überprüfung durch den Kassationshof an einem unüberwindbaren Hindernis scheitere und folglich die Beschwerde abgewiesen werden müsse. Nur anschliessend führte er dann aus, das Ergebnis wäre das gleiche, wenn man nach der in BGE 33 I 657 angewendeten Methode vorginge.

Ob sie zulässig und zweckmässig wäre, wurde nicht' gesagt. Nach dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches, von 1942 an, wurden dann zwar öfters Schwürgerichtsurteile überprüft, aber in keinem einzigen Falle auf die erwähnte Methode zurückgegriffen. Mehrmals kam Bückweisung nach Artikel 277 Bundesstrafprozessordnung gar nicht in Betracht, weil die Fragen an die Geschworenen so gestellt waren, dass der Kassationshof die Bechtsanwendung überprüfen konnte, so in BGE 73 IV 17 in einem Falle aus dem Kanton Solothurn und in BGE 76 IV 102 in einem Zürcher Falle. Andere Male konnte der Kassationshof gewisse im Wahrspruch nicht enthaltene tatsächliche Feststellungen den Erwägungen des Schwurgerichtshofes über die Strafzumessung entnehmen oder den Wahrspruch anhand der Ausführungen des Gerichtshofes auslegen, so in B GE 73IV 209 (Fall aus dem Kanton Genf) und in B GE 74IV 27 und 77IV57 (Fälle aus dem Kanton Zürich). Das ermöglichte ihm, seine Aufgabe zu eifüllen und von einer Bückweisung abzusehen. In wieder anderen Fällen beschränkte sich die Überprüfung auf Fragen, die nicht von den Geschworenen, sondern vom Schwurgerichtshof entschieden worden waren, z.B. auf die Anrechnung der Untersuchungshaft (BGE 73 IV 90) oder auf den bedingten Strafvollzug (BGE 76 IV 74). Die nichtveröffentlichten seit 1942 ergangenen Urteile über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Schwurgerichte bieten das gleiche Bild; nie wurde die Methode aus dem Jahre 1907 unter der Herrschaft des Strafgesetzbuches angewendet. Nicht
während mehr als eines halben Jahrhunderts, sondern nur von 1907-1910 wurde nach ihr Eecht gesprochen. Schon damals wies der Kassationshof auf ihre Mängel hin. In BGE 33 Ï 657 betonte er ihre ,,graves inconvénients pratiques" und führte aus, er könne nur ,,très exceptionnellement remplir d'une manière utile sa mission" .In BGE 36 I 298 erklärte er, das eidgenössische Eechtsmittel breche sich am Institut der Schwurgerichte.

Konnte man diesen Zustand damals hinnehmen, weil die Schwurgerichte meistens kantonales Becht anzuwenden hatten und daher nur selten ein Schwurgerichtsurteil vom Kassationshof des Bundesgerichts zu überprüfen war, so hat sich die Lage seit der Geltung des eidgenössischen Strafgesetzbuches von Grund auf geändert. Die Schwurgerichte haben nicht mehr nur ausnahmsweise, sondern regelmässig eidgenössisches Becht anzuwenden. Könnte der Kassations-

818 hof sie nicht durch Bückweisung nach Artikel 277 Bundesstrafprozessordnung zur Begründung ihrer Urteile verhalten, um damit die Überprüfung zu ermöglichen, so bestände keine Gewähr mehr, dass auch die Schwurgerichte das eidgenössische Eecht richtig anwenden. Dieser Zustand könnte umsowéniger befriedigen, als die Schwurgerichte die schwersten Verbrechen und Vergehen, zu beurteilen pflegen. Eine einleuchtende Begründung dafür, dass in diesen Fällen dem Kassationshof die ordnungsgemässe Überprüfung der Eechtsanwendung vorenthalten sein soll, während sie ihm in jedem noch so geringfügigen Falle der Übertretung eidgenössischer Polizeivorschriften zusteht, lässt sich nicht finden. Auch entstände eine stossende Ungleichheit von Kanton zu Kanton, da nur ganz wenige Kantone das klassische Schwurgericht noch kennen; warum sie die Eechtsanwendung weitergehend der Überprüfung durch das Bundesgericht sollten entziehen dürfen als andere, ist nicht einzusehen. Endlich ist zu bedenken, dass das kantonale Prozessrecht bestimmt, welche Fälle von Schwurgerichten zu beurteilen sind. Die Kantone könnten also durch Erweiterung der schwurgerichtlichen Zuständigkeit jeden beliebigen Fall der wirksamen Überprüfung durch das Bundesgericht entziehen.» e. Es dürfte interessieren, hier die Meinungen wiederzugeben, welche die Vertreter von zwei Schwurgerichtskantonen bei den Beratungen der Expertenkonferenz vom S.September 1955 geäussert haben.

Herr Oberrichter Haefely, derzeitiger Schwurgerichtspräsident des Kantons Solothurn, erklärte folgendes: «Auch bei uns beurteilen die Geschworenen die schwersten Delikte, jedoch ist ihre Zuständigkeit nicht so weit gefasst wie im Kanton Zürich. In den letzten 5 Jahren mussten die Geschworenen nur zu 32 Fällen beigezogen werden, die sie in 43 Sitzungstagen erledigten. Die für jede Session neu ausgelosten Geschworenen beraten geheim und unter Ausschluss des Gerichtshofes über die Schuld des Angeklagten. Die ihnen unterbreiteten Fragen beantworten sie ohne weitere Begründung mit «Ja» oder «Nein». Auf Grund des Wahrspruches misst der Gerichtshof die Strafe zu. Statt einer Urteilsbegründung werden nur die Fragen an die Geschworenen und der Wahrspruch in die Urteilsausfertigung aufgenommen.

Seitdem die Straftatbestände komplizierter geworden sind, besonders bei der Beurteilung qualifizierter
Diebstähle, haben die Geschworenen versagt, meistens zum Vorteil der Angeklagten, aber zum Schaden der Justiz. Die notgedrungen erweiterte Fragestellung verwirrt die Geschworenen. Um diesem Übelstand abzuhelfen, haben wir die qualifizierten Diebstähle der Spruchkompetenz des Schwurgerichts entzogen. Im Entwurf zum kommenden Gerichtsorganisationsgesetz ist nun ein Schöffengericht vorgesehen, bestehend aus der Schwurgerichtskammer des Obergerichts und 6 Geschworenen. Damit hoffen wir vielen Übelständen des bisherigen klassischen Systems begegnen zu können und auch der neueren Praxis des Bundesgerichts zu genügen.

819 Als überzeugter Föderalist habe ich alles Verständnis für die Erhaltung der kantonalen Souveränität und kantonaler Eigenart. Das.Institut des klassischen Schwurgerichtes haben wir aber nie als ein wertvolles Erbstück unserer Väter geschätzt und behütet. Vor 1862 besassen wir ein in ungeschmälertem Ansehen stehendes Kriminalgericht 1. und 2. Instanz, das weder Kabinettsjustiz noch Inquisitionsprozess bedeutete. Die Einführung des Schwurgerichts nach ausländischem Vorbild im Kanton Solothurn war weder eine historische Notwendigkeit noch ein gesetzgeberisches Bedürfnis. Wenn wir daher heute das klassische Schwurgericht aufzugeben im Begriffe sind, dann geben wir gewiss nicht kantonale Eigenart noch bewährtes Hergebrachtes auf.» Herr Ch.Cornu, Generalprokurator des Kantons G e n f , hat sich auch zur Standesinitiative Zürich geäussert. Seine Schlussfolgerungen lauten wie folgt: «On ne peut pas raisonnablement admettre que les jugements par jurés soient soustraits au contrôle du Tribunal fédéral. Ce contrôle devrait toutefois être exercé d'une façon assez large pour que l'institution du jury puisse être conservée. Ce contrôle - sauf dans les cas de jugements d'acquittement - peut toujours être opéré par l'autorité de contrôle lorsque le questionnaire soumis au jury est suffisamment précis et détaillé pour établir un état de fait complet permettant de vérifier si, aux faits retenus par le jury, la loi a été correctement appliquée.» /. Zusammenfassend ist folgendes festzustellen : Die Eückweisung von Schwurgerichtsurteilen an die kantonale Behörde gemäss Artikel 277 Bundesstrafprozessordnung verstösst nicht gegen Artikel 64bl8 Bundesverfassung. Die Möglichkeit der Kückweisung ist unerlässlich, damit das Bundesgericht die ihm obliegende Aufgabe erfüllen kann, die einheitliche Anwendung des materiellen schweizerischen Strafrechts zu überprüfen.

Die Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in Artikel 277 Bundesstrafprozessordnung für Schwurgerichtsurteile ist somit abzulehnen. Sie wäre übrigens mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Kantone unvereinbar. Es würde zudem dem Geist der Bundesverfassung widersprechen, wollte man von der Möglichkeit der Überprüfung durch das Bundesgericht gerade für jene kantonalen Urteile absehen, welche die schwersten Delikte betreffen.

Die kantonalen Schwurgerichte nehmen
eine andere Stellung ein als die Bundesassisen, da mit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile der Bundesassisen nur Verfahrensmängel gerügt werden können, während Urteile der kantonalen Schwurgerichte vom Bundesgericht müssen überprüft werden können.

Artikel 277 Bundesstrafprozessordnung und die damit zusammenhängende Eechtsprechung des Bundesgerichts haben nicht zur notwendigen Folge, dass die betreffenden Kantone auf das klassische Schwurgericht verzichten müssen.

820

Die Beibehaltung des klassischen Schwurgerichtssystems ist mit der Durchführung der Strafrechtseinheit vereinbar, sofern das Urteil eine Begründung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht enthält oder sofern die den Geschworenen gestellten Fragen so gefasst sind, dass der Kassationshof anhand der Antworten die richtige Gesetzesanwendung überprüfen kann. Es liegt den interessierten Kantonen ob, die organisatorischen oder Verfahrensnormen zu erlassen, welche die bundesgerichtliche Überprüfung der einheitlichen Anwendung des materiellen Strafrechts ermöglichen.

Aus diesen Gründen beantragen wir Ihnen, der vorliegenden Standesinitiative kerne Folge zu geben.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, den 28. März 1956.

2503

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Feldmann Der Bundeskanzler: Ch. Oser

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, über die Standesinitiative des Kantons Zürich betreffend den Weiterbestand der kantonalen Schwurgerichte (Vom 23.

März 1956)

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29.03.1956

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