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Schreiben der

Schweiz. Bundeskanzlei an Hrn. Jakob GuggenheimK ö n i g in Oberendingen (Aargau), betreffend dessen Beschwerde wegen Schulbesuch seines Sohnes am Samstage.

(Vom 21. August 1874.)

Tit.!

Mit Eingaben vom 13. resp. 14. Juli d. J., beschweren Sie sich beim Bundesrathe über die Schlußnahme der dortigen Regierung vom 6. gl. Mts., derzufolge Ihrem Sohne Samuel der Zutritt zur Bezirksschule in Zurzach nur unter der Bedingung gestattet werde, als der Knabe die Anstalt auch am Samstage (also am Schabbath) besuche. In dieser Verfügung glauben Sie einen Widerspruch mit Art. 27 der Bundesverfassung erbliken zu dürfen.

Nach Prüfung der hier in Berüksichtigung fallenden Gesichtspunkte hat der Bundesrath gefunden : Die Verpflichtung, ein Kind am ordentlichen öffentlichen Unterrichte, mit Ausschluß des Religionsunterrichtes, theilnehmen zu lassen, stehe mit Art. 27, Absaz 2 vollständig im Einklang; er stehe aber auch mit Absaz 3 desselben in keinem Widerspruche, indem dadurch die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht beein-

268 trächtigt werde. Dieses sei in Ihrer Angelegenheit um so weniger der Fall, weil der Besuch einer Schule und die Theilnahme an einem sittlich wissenschaftlichen Unterrichte nicht als eine Arbeit, die mit der Feier eines dem Gottesdienste gewidmeten Tages unvereinbar wäre, betrachtet werden könnte.

Hinwieder sei der beliebige Besuch des gesezlich vorgeschriebenen Unterrichtes mit einer zwekentsprechenden Schulordnung durchaus unverträglich, und es könnte eine solche namentlich in sogenannten paritätischen Gemeinden nicht durchgeführt werden, wenn es gestattet sein sollte, gestüzt auf subjektive Auslegung der angeführten Verfassungsbestimmung und selbst dann, wenn jene objektiv und von allgemeinem Standpunkte aus als nicht zutreffend erkannt werden müßte, die Kinder willkürlich am Unterrichte theilnehmen zu lassen oder sie demselben zu entziehen.

Aus diesen Gründen werde Ihre Beschwerde, beziehungsweise Ihr Rekurs gegen die erwähnte Schlußnahme vom 6. Juli .abbin als unberechtigt abgewiesen.

Die von Ihnen eingelegten 5 Beilagen folgen hier wieder zurük.

Mit Hochachtung.

B e r n , den 21. August 1874.

Im Namen der Schweiz. Bundeskanzlei, Der Kanzler der Eidgenoßenschaft : * Schiess.

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Rekurslbeschwerde des

Hrn. Guggenheim-König in Oberendingen (Aargau), betreffend den Schulbesuch seines Sohnes am Samstage.

(Vom 30. August 1874.)

Tit.!

Auf beiliegende vom hohen Bundesrathe gegen den vom ehrerbietig Unterfertigten eingelegten Rekurs erlassene Abweisung wird anmit aus nachstehenden Gründen Berufung erhoben.

Die vom hohen Bundesrathe aufgestellte Behauptung, daß der Besuch einer Schule, die Theilnahme an dem Unterrichte nicht als eine Arbeit, die mit der Feier des Sabbathes unvereinbar zu betrachten sei, womit die Abweisung gegenüber dem § 27 der hohen Bundesverfassung motivirt wird, ist im vorwürßgen Falle nicht maßgebend, indem die Sabbathfeier nach dem Wortlaute der heiligen Schrift jede Werkthätigkeit, unter welchem Namen dieselbe auch erscheint, strengstens verbietet. Ein rabbinisches Gutachten, das hiefür einzuholen verlangt wird, möge hierüber entscheiden. Die rechtliche Stellung der verschiedenen Confessionen im Gebiete der Eidgenossenschaft ist nach den Grund bestimmungen der hohen Bundesverfassung nun einmal ein und dieselbe, somit hat der § 27 für jede Confession auch die gleiche Berechtigung und bietet für die Feier des Sabbaths den gleichen Schuz wie für die Feier des Sonntages. Von dem Schulzwange an einem dieser beiden Ruhetage kann gegenüber dem § 27 keinerlei Bedingung von.

270 Kantonalschulgesezen abgeleitet und in einem Selbstbestimmungsrecht geltend gemacht werden, weil jeder Widerspruch gegenüber der hohen Bundesverfassung ausgeschlossen und die Kantonalsouveränität hierin ihre genauen Linien zu ziehen hat. Das.

Schreiben an einem Sabbath ist unbedingt eine Arbeit, was allseits zugegeben werden muß. Wenn daher der Besuch einer öffentlichen Schule an diese intolerante Bedingung geknüpft wird, so steht eine solche Handlungsweise doch gewiß im Widerspruch mit dem § 27.

Schreibe man doch einmal auch für uns israelitische Schweizer die Parole auf die siegreiche Fahne des liberalen Fortschrittes : ,, g l e i c h e P f l i c h t e n , g l e i c h e Rechte", damit die immer auftauchenden veralteten Vorurtheile für ein- und allemal zu Grabe getragen werden. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die als oberster und höchster Grundsaz in unserer hohen Bundesverfassung als eine frisch angebrochene, Morgenröthe einer lichten Zukunft Bahn bricht, möge auch uns als Söhne ein und desselben Vaterlandesaus unserer bisherigen Zurüksezung in ihre Arme schließen. Wahre man auch unsere Glaubens- und Gewissensfreiheit und öffne uns die Pforten der öffentlichen Schulen zur Heranbildung unserer Söhne ohne Beeinträchtigung unseres Glaubens und unserer Religionsgeseze, denn nur der ist ein guter und würdiger Bürger, nur der ist für sein Vaterland aufopferungsfähig, der aufrichtig zu seinem Glauben hält.

In der Erwartung, daß Hochdieseiben die für unsere Schulbildung so tief eingreifende und äußerst folgewichtige Abweisung wieder aufheben, zeichnet mit währer Hochachtung.

Oberendingen, den 30. August 1874.

.

Der Rekurrent:

Jacob Guggenheim-König.

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Bundesrathsbeschluss betreffend

den Rekurs des Kapuziners Marcellino.

(Vom 17. September 1874.)

Der s c h w e i z e r i s i c h e B u n d e s r a t h' hat in Sachen des Kapuziners Pater Marcellino in Faido, betreffend einen Beschluß des Großen Rathes des Kantone Tessin vom 15/16. Juli 1874, nach welchem demselben anbefohlen wurde, provisorisch die Verrichtungen eines Pfarrers der Gemeinde Verscio zu versehen; nach Einsicht der Akten und des Berichts des politischen Departements, aua welchen hervorgeht: I. Mit Memorial vom 19. Juli 1874 stellt der Rekurrent die Thatsachen zur Begründung seines Begehrens in folgender Weise dar: Nachdem die Pfarrgemeinde Verscio, Bezirk Locamo, Kts.

Tessin, ihren Pfarrer wegen unmoralischer und intolleranter Handlungen abgesezt hatte, wandte sie sich an die Regierung des Kantons Tessin um einen andern Pfarrer zu erhalten. Da die Regierung einen solchen nach Verscio abzuordnen nicht im Falle war, anerbot sie der Municipalität, ihr einen Kapuziner für Ausübung der pfarrgeistlichen Funktionen zu verschaffen. Die Municipalität nahm dieses Anerbieten an. Der Staatsrath lud hierauf, mit Schlußnahme vom 16. Juli 1874, den dem Kloster Faido angehörenden Pater

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Schreiben der schweiz. Bundeskanzlei an Hrn. Jakob Guggenheim-König in Oberendingen (Aargau), betreffend dessen Beschwerde wegen Schulbesuch seines Sohnes am Samstage.

(Vom 21. August 1874.)

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1874

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31.10.1874

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267-271

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