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Botschaft ,

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Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den revidirten Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Belgien., (Vom 20. Mai 1874.)

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Als wir mit Botschaft vom 29. November 1869 den am 24.

gleichen Monats abgeschlossenen Auslieferungsvertrag mit "Belgien der hohen Bundesversammlung zur Ratifikationvorlegten, unterließen wir nicht, darauf aufmerksam zu machen, "daß die Gesezgebung von Belgien, der Regierung dieses Staates picht gestatte, ein eben so einfaches. Verfahren anzuerkennen, wie es in den meisten Auslieferungsverträgen der Schweiz festgestellt ist. Die wichtigste Differenz bestand namentlich darin, daß zur Begründung einer Auslieferung zwischen der Schweiz und Belgien einVerhaftsbefehl, er mochte noch so sorgfältig redigirt sein, nicht genügte, um das Begehren für die Bewilligung der Auslieferung eines Verbrechers zu begründen, wie dieses in allen Staaten, mit Ausnahme von Holland, England und Kordamerika der Fall ist. Ein solcher Verhaftsbefehl hatte in BelgienlossS den Werth, daß darauf gestüzt die provisorische Verhaftung eines Verfolgten zum Zweke der Auslieferung verlangt werden konnte, und daß diese provisorische Verhaftung während zwei Monaten beibehalten werden mußte. Innerhalb dieser

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Frist hatte der kompetente Untersuchungsrichter die Untersuchung fortzusezen bis ein Entscheid des vorgesezten Gerichtes oder der O Anklagekammer möglich war, wodurch der Angeklagte förmlich und gesezmäßig wegen des eingeklagten Verbrechens in Anklagezustand versezt und dem Richter zur Bestrafung überwiesen wurde.

Dieses Verfahren war stets sehr lästig und schleppend; denn die Untersuchungsbehörden hatten mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, um die Beweise für die Anklagen zu sammeln, weil sie den Angeklagten nicht zur Verfügung hatten und daher ihn nicht selbst auch verhören konnten. Und dennoch mußten alle Thatsachen und Beweise in dem Entscheide über die Versezung in den Anklagezustand so detaillirt und bestimmt dargestellt werden, daß der belgische Richter, welcher über die Gestattung der Auslieferung zu entscheiden hatte, alle Merkmale darin finden konnte, um sich zu überzeugen, daß dieselbe Handlung nach dem belgischen Strafgesezbuch auch strafbar sei; denn nur in diesem Falle kann nach dem Schlußsaze von Art. 2 des Vertrages die Bewilligung der Auslieferung erwartet werden.

Umsonst bemühten wir uns, bei den Verhandlungen über den Vertrag von 1869 ein einfacheres Verfahren zur Anerkennung zu bringen; allein die belgische Regierung war durch ihre Gesezgebung gebunden und konnte unsern Wünschen nicht entsprechen.

Inzwischen hat man sich auch in Belgien überzeugt, daß das erwähnte Verfahren gegenüber den Gesezen und Gewohnheiten anderer Staaten nicht länger haltbar und für Belgien selbst ökonomisch nachtheilig sei, indem der Präventivverhaft gewöhnlich lange dauern mußte, und die Verhafte- und Verpflegungskosten demjenigen Staate obliegen, auf dessen Gebiet das verfolgte Individuum arretirt werden kann.

In Folge dessen genehmigten die belgischen Kammern am 15. März 1874 ein neues Gesez über die Auslieferungen, welches die königliche Genehmigung erhielt und im ,,Moniteur Belge" vom 17. März 1874 publizirt wurde. Dieses Gesez machte der belgischen Regierung diejenigen Zugeständnisse möglich, welche wir im Jahr 1869 umsonst anstrebten. Sie beeilte sich daher, durch ihren Geschäftsträger in der Schweiz mit Depesche vom 10. April 1874 uns die entsprechenden Modifikationen des Auslieferungs veri rages von 1869 anzutragen. Am 17. April beschlossen wir, auf die uns gemachten Vorschläge einzutreten.
Als. Bevollmächtigter für die bezüglichen Verhandlungen wurde von unserer Seite ernannt Herr Bundesrath C e r o s o l e , Chef des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes, und von Seite der beligschen Regierung ihr Geschäftsträger in der Schweiz, Herr Hubert Dolez-

955 Die beidseitigen Bevollmächtigten vereinigten sich auf die Errichtung eines neuen Auslieferungsvertrages. Diese. Form wurde gewählt, obschon die an dem Vertrage von 1869 angebrachten Abänderungen nicht gerade zahlreich sind. Ein einheitlicher Vertrag empfahl sich aber durch seinen praktischen Nuzen, indem mit einem Nachtragsvertrag die gegenüber Belgien anwendbaren Bestimmungen auseinandergerissen und dadurch nicht leicht verständlich geworden wären.

Die im neuen Vertrag enthaltenen Abänderungen des Vertrages von 1869 sind im -Wesentlichen folgende : a. In einem Nachsaz zum Art. l wurde der Fall geregelt, wo das Verbrechen, welches die Auslieferung veranlaßte, a u ß e r h a l b des Gebietes des die Auslieferung verlangenden Staates verübt worden wäre. Nach der frühem belgischen Gesezgebung und nach dem Vertrage von 1869 konnte die Schweiz einen Schweizer, welcher in einem dritten Staate ein Verbrechen verübt und sich nach Belgien geflüchtet hatte, nicht reklamiren, während dieses künftig geschehen kann.

b. Im Vertrag von 1869 war die Hehlerei (recel) nicht ausdrüklich vorgesehen. Die belgische Strafgesezgebung behandelt aber die Verheimlichung von Gegenständen, die Jemand zur Unterstüzung eines Verbrechens empfangen hat, als Delikt sui generis und das dortige Auslieferungsgesez gestattet, die Auslieferung nur für Handlungen, die in den Verträgen ausdrüklich vorgesehen sind. Damit O > O O nun zwischen der Schweiz und Belgien eine Auslieferung wegen Hehlerei stattfinden konnte, mußte der Vertrag von 1869 ausdrüklich auf diese Handlung ausgedehnt "werden. Es geschah dieses mittelst einer gegenseitigen Erklärung vom 15. Juni 1872 (Off.

Sammlung, deutsche Ausgabe, Bd. X, S. 886, ist in der französischen Ausgabe der offiziellen Sammlung nicht enthalten.)

Der Inhalt, dieser Erklärung ist nun einfach unter Ziff. 37 der im Art. 2 des Vertrages aufgezählten Verbrechen und Vergehen, welche zur Auslieferung der Urheber verpflichten, aufgenommen worden.

c. Die Artikel 5 und 6 enthalten die wichtigsten Aenderungen. Namentlich ist nun im Art. 5 festgestellt, (lali die Auslieferung auch bewilligt werden soll, gestüzt auf einen bloßen Verhaftsbefehl oder eine andere gleichbedeutende Urkunde, unter der Bedingung jedoch, daß darin die Handlung genau beschrieben sei, wegen welcher die Auslieferung verlaugt
wird. Es ist also hierin gerade derselbe Grundgsaz anerkannt, den die Schweiz schon früher angestrebt hat und der auch in den meisten andern Auslieferungsverträgen der Schweiz enthalten ist. Der übrige Inhalt von Art. 5

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stimmt überein mit-Art. 7 des Vertrages von 1069. Was den Art 6 betrifft, so- ist ; dieser -Jaus Art. 5 des Vertrages von 1869 hervorgegangen. Es wurden · lediglich dieinFolge des neuem Grundsazes entbehrlichen Lemma l, 4 und 5 gestrichen une} am Ende von Lemma 3 eine nothwendige Modifikation angebracht. -- Art. 7 ist wörtlich übereinstimmend mit Art. 6 des Vertrages von 1869.

.. . · d.... Im .Art. 8, des soeben erwähnten Vertrages wurde das lezte Alinea gestrichen,, .welches: den Fall vorgesehen hat, daß ein Individuum von zwei Staaten wegen verschiedener Verbrechen oder Vergehen reklamirt würde. Diese Frage ist nicht in allen Verträgen gleich behandelt. Die Einen gehen davon aus, daß die Schwere des Verbrechens den Vorzug verdiene, Andere gehen von der Nationalität des Angeklagten aus, und wieder Andere entscheiden die Frage nach dem Zeitpunkte, Trami ein Auslieferungsbegehren gestellt worden. Aus solchen widersprechenden Bestimmungen können ernste Schwierigkeiten entspringen. Die belgische Regierung hat daher gewünscht, daß im Falle mehrere Auslieferungsbegehren gegen das gleiche Individuum vorlägen, jeder Staat frei sein soll, nach Gutfinden zu entscheiden. Wir glaubten, diesem Wunsche zustimmen zu sollen, zumal er uns als ganz gerechtfertigt erscheint.

..l' e. Der alte Vertrag schrieb vor, daß damit eine Auslieferung auf dem ,Wege des T r a n s i t e s vollzogen werden könne, d. 1). damit die Schweiz zum Beispiel verpflichtet sei, einen Angeklagten, welcher von Italien an Belgien ausgeliefert werden möchte, über ihr Gebiet passiren zu lassen, die Schweiz mit dem angesprochenen Staate (Italien) auch durch einen Auslieferungsvertrag verbunden sei, wie der reklamirende Staat (Belgien). Der neue Vertrag begnügt sich nun mit der-Existenz eines Vertrages mit dem Staate, zu dessen Gunsten dio Auslieferung v ollzogen wird (Belgien). Der Art. 12,wurde in diesem Senner modifizirt /. Endlich wünschte die belgische Regierung, daß die Ausnahme von der im Art. 13 aufgestellten Regel der N i c h t v e rg ü t u n g von Kosten, welche durch den Vollzug von Rogatorien veranlaßt werden, auf den Fall beschränkt werden möchte, wo die notwendigen Expertisen mehrfache Bemühungen erfordern sollten.

Es scheint in der That; daß es nicht arn Ortesei,' von-der Regel d e r Unentgeltlichkeit abzuweichen," wenn e s s i c h z . . e i n e handelt.

957 Wir schließen mit dem Antrage, es möchte die Bundesverammlung diesem Vertrage die Ratifikation ertheilen und zu diesem Inde den nachfolgenden Beschluß fassen, .

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung. ,.

B e r n , den 20. Mai 1874.

Im -Namen des schweiz. Bundesrathes, ' Der Bundespräsident: * ".

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Schenk. '..... '., ','. :' .

. Der Kanzler dei Eidgenossenschaft: Schiess.

Entwurf)

Bundesbeschlus . .

.betreffend-

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len revidirten Auslieferungsvertrag zwischen der .Schweiz und Belgien.

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Die B u n d e s t er s a m ml u ng der Schweiz e r i s c h e n Eidgeno ssens e h a f t , nach Einsicht einer Botschaft dès Bundesrathes vom 20. Mai 1874, beschließt: Art. 1t. Dem zwischen der Schweiz und dem Königreiche Belgien unterm 13. Mai 1874 zu Bern abgeschlossenen Vertrage,,, betreffend gegenseitige Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten, wird hiemit die vorbehaltene Ratifikation ertheilt.

Art. 2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses -Beschlusses beauftragt.



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Bevidirter Auslieferungsvertrag zwischen

der Schweiz und Belgien.

D i e s c h w e i z e r i s c h e E i d g e n o s s e n s c h a f t u n d Seine M a j e s t ä t der K ö n i g der B e l g i e r haben, in der Absicht, die Uebereinkunft betreffend gegenseitige A u s l i e f e r u n g der Verb r e c h e r vom 24. November 1869 einer Revision zu unterwerfen, hiefür zu ihren Bevollmächtigten ernannt, nèmlich: Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft, Herrn Paul Ce r és o l e , Mitglied des Bundesrathes und Chef des Justiz- und Polizeideportementes, und Seine Majestät der König der Belgier, Herrn Hubert D ö l e z, Ritter des Leopoldordens, Seinen Geschäftsträger bei der schweizerischen Eidgenossenschaft, welche nach gegenseitiger Mittheilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten
Die Regierung der schweizerischen Eidgenossenschaft und die Regierung Seiner Majestät des Königs der Belgier verpflichten sich gegenseitig, auf das von einer der beiden Regierungen gestellte Begehren, mit Ausnahme der eigenen Staatsangehörigen, diejenigen Individuen auszuliefern, welche als Urheber oder Mitschuldige eines der im Art. 2 hienach aufgezählten Verbrechen oder Vergehen von den zuständigen Behörden desjenigen der beiden Länder, wo die

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Gesezesverlezung begangen worden ist, verfolgt werden oder verurtheilt worden sind und sich auf das Gebiet des einen oder des andern der beiden kontrahirenden Staaten geflüchtet haben.

Wenn dagegen das Verbrechen oder Vergehen, wodurch das Auslieferungsbegehren veranlaßt- wurde, außerhalb des Gebietes des requirirenden Staates verübt worden ist, so kann diesem Begehren entsprochen werden, im Falle die Gesezgebung des angesprochenen Staates zur gerichtlichen Verfolgung der nemlichen, außerhalb seines Gebietes verübten GesezesverlezungO ermächtigt.

o Artikel 2.

Die im vorhergehenden Artikel vorgesehen Verbrechen und Vergehen sind: 1. Mord.

2. Verwandtenmord.

3. Kindsmord.

4. Vergiftung.

5. Todtschlag.

6. Abtreibung der Leibesfrucht.

7. Nothzucht.

8. Bigamie.

9. Mit Gewalttätigkeit vollendeter oder versuchter Angriff auf die Schamhaftigkeit.

10. Ohne Gewalttätigkeit vollendeter oder versuchter Angriff auf die Schamhaftigkeit an oder mittelst der Person von Kindern beiderlei Geschlechtes unter dem Alter von 14 Jahren.

11. Verlezung der Sittlichkeit durch gewerbsmäßige Förderung, Begünstigung und Erleichterung der Sittenlosigkeit oder Ausschweifung der Jugend des einen oder andern Geschlechtes unter dem Alter von 21 Jahren behufs der Unzucht Anderer.

12. Entführung von Minderjährigen.

13. Aussezung oder Verlassung von Kindern.

14. Wegnahme, Verheimlichung, Unterdrükung, Vertauschung oder Unterschiebung von Kindern.

15. Absichtliche Körperverlezung, die den Tod oder eine Krankheit oder bleibende Arbeitsunfähigkeit, die Verstümmelung, die Amputation oder die Unbrauchbarkeit eines Gliedes, Erblindung, Verlust eines Organs, oder andere bleibende Gebrechen zur Folge hatte.

16. Komplott zur Ausübung von Gesezesübertretungen, die in diesem Vertrage vorgesehen sind.

960 17. · Bedrohung von Personen; oder Eigenthum, die im Verbrechensgrade strafbar ist.

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18. Widerrechtlich begangene Verlezung des Hausrechtes durch Privatpersonen.

· · , 19* Erpressung.

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· 20. Gesezwidriges Gefangennehmen oder Gefangenhalten von Personen durch Private.

· 21.; Absichtliche Brandstiftung.

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': 22; Diebstahl und Unterschlagung. · -.

· 23.':'Prellerei und Betrag.

' ' ' · 24. Vertrauensmißbrauch, Amtsmißbrauch zu betrügerischen Zweken und Bestechung öffentlicher Beamten.

; ' ; 25. Unterschlagung durch öffentliche Beamte.

26. Münzfälschung, Inbegriffen das Nachahmen .und die Fälschung von Münzen, das Ausgeben und Inverkehrsezen der falschen und gefälschten Münzen, sowie Betrug in der Auswahl der , Versuchstüke zur Ermittlung dos Gehalte» und des Gewichtes der Münzen.

27. Nachahmung oder Fälschung von Staatspapieren oder BankKoten, von öffentlichen oder privateli Wertpapieren, Ausgabe oder Inverkehrsezen .solcher nachgeahmteroder gefälschter / Staatspapiere, Banknoten oder Werthscbriften; ; Fälschung in der Schrift oder in telegraphischen Depeschen und Gebrauch - solcher nachgeahmten, gemachten oder, gefälschten Depeschen, Staatspapiere, Banknoten und-,Werthpapiere. , ... . ' Nachahmung oder Fälschung - von Siegeln, Stempeln, Kontrolstempeln und Marken;, Gebrauch von nachgeahmten und gefälschten Siegeln, Stempeln, Kontrolstempeln und Marken und Mißbrauch ' ächter- Siegel,Stempel, Kontrolstempel und Marken.

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28. Fälschung in öffentlichen -oder-authentischen Urkunden, oder in Handels- oder Privatschriften. . .

20. .Betrügerischer Gebrauch der -verschiedenen.Fälschungen.

30. Falsches Zeugniß und falsche Expertise..1 , · 31. Meineid.

· · > u -, 32. "Bestechung von Zeugen und Experten: ' ' , 33. Betrügerischer Bankerott und Betrug im. Konkurs.

34;. In strafbarer Absicht verübte Zerstörung oder Beschädigung " V o n Eisenbahnen, Telegraphenapparaten oder ' Telegraphenlinien.

.

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961 35. Jede Zerstörung oder Beschädigung von beweglichem oder unbeweglichem Eigenthum.

36. Vergiftung von Hausthieren oder von Fischen in Teichen, Fischweihern oder Behältern.

37. Verheimlichung von Gegenständen, die Jemand behufs Begünstigung eines in diesem Vertrage vorgesehenen Verbrechens oder Vergehens erhalten hat.

la den vorstehenden Begriffsbezeichnungen ist der Versuch von allen Handlungen Inbegriffen, welche durch die Gesezgebung beider kontrahirenden Länder als Verbrechen oder Vergehen bestraft werden.

In allen diesen Fällen jedoch, ob es sich um Verbrechen oder um Vergehen handle, kann, die Auslieferung nur stattfinden, wenn die gleiche Handlung nach der Gesezgebung desjenigen Landes, an welches das Begehren gerichtet wird, ebenfalls strafbar ist.

Artikel 3.

Die politischen Verbrechen und Vergehen sind von dem gegenwärtigen Vertrage ausgeschlossen.

o O O Es ist ausdrüklich festgesezt, daß ein Individuum, dessen Auslieferung gewährt worden ist, in · keinem Falle weder wegen irgend eines seiner Auslieferung vorangegangenen politischen Vergehens, noch wegen einer Handlung, die mit einem solchen Vergehen konnex ist, verfolgt oder bestraft werden darf.

Ebenso darf Niemand wegen irgend eines,7 in der OgegenwärtiC* O o gen Uebereinkunft nicht vorgeseheneu Verbrechens oder Vergehens verfolgt oder bestraft werden.

Artikel 4.

, ,,, ' .'. , Das Auslieferungsbegehren - muß - immer auf diplomatischem Wege gestellt werden.

Artikel 5.

Die. Auslieferung wird bewilligt entweder auf die Beibringung eines Urlheiles oder eines Erkenntnisses der Gerichtskammer (Chambre du Conseil), oder eines Entscheides der Anklagekammer, oder eines kriminalrechtlichen oder zuchtpolizeilichen, von dem kompetenten Richter oder der kompetenten Behörde erlassenen Verfügung, wodurch das angeschuldigte oder angeklagte Individuum förmlich und gesezmäßig dem Strafrichter überwiesen wird.

Diese Akten müssen in Original oder in amtlich beglaubigter Abschrift in der durch die Gesezgebung des Staates, der die Auslieferung verlangt, vorgeschriebenen Form ausgestellt sein.

962 Die Auslieferung wird ebenfalls bewilligt, gestüzt auf die Vorlage des von der kompetenten auswärtigen Behörde, ausgestellten Verhaftsbefehles, oder einer andern Urkunde von gleicher Bedeutung, vorausgesezt, daß die.se Aktenstüke die Handlung, wegen welcher sie ausgestellt wurden, genau beschreiben.

Sie sollen von einer Abschrift des auf die eingeklagte Handlung anwendbaren Gesezes begleitet sein und so weit möglich von dem Signalement des reklamirten Individuums.

Wenn über die Frage Zweifel entsteht, ob das Verbrechen oder Vergehen, welches Gegenstand der Verfolgung ist, unter die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages falle,> so werden nähere O ö O O O Aufschlüsse verlangt, nach deren Prüfung die Regierung, an welche das Auslieferungsbegehren gerichtet ist, darüber entscheidet, ob demselben Folge zu geben sei.

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Artikel G.

In dringenden Fällen soll die provisorische Verhaftung stattfinden auf eine durch die Post oder durch den Telegraphen gemachte Anzeige, daß ein Verhaftsbefehl bestehe, immerhin unter der Bedingung, daß diese Anzeige, wenn der Angeklagte sich nach der Schweiz geflüchtet hat, dem Bundespräsidenten oder, wenn sich der Angeklagte nach Belgien geflüchtet hat, dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in. gehöriger Form auf diplomatischem Wege gemacht werde.

Die provisorische Verhaftung soll in der Form und nach den Regeln vollzogen werden, welche die Gesezgebung der Regierung, an die jenes Ansuchen gestellt worden ist, vorsehreibt; sie soll aber aufhören, wenn nach drei Wochen von dem Moment der Vollziehung an gerechnet, der Angeschuldigte nicht Mittheilung von einem der im Art. 5 dieser Convention erwähnten Aktenstüke erhalten hat; Wenn die Auslieferung stattzufinden hat, so wird der um die Auslieferung angegangene Staat dem andern Staate, der sie verlangt, auf dessen Begehren die nöthige Zeit gestatten, damit er sich der Mitwirkung der Behörden der zwischenliegenden Staaten versichern kann, und sobald diese Mitwirkung erlangt ist, soll das auszuliefernde Individuum an der Grenze des Staates, bei dem dieselbe nachgesucht worden, zur Verfügung des nachsuchenden Staates gestellt werden.

Von dem leztern wird der Tag und Ort, an welchem die Uebergabe bewerkstelligt werden kann, Anzeige gemacht werden.

963 Artikel 7.

Wenn eine Auslieferung stattzufinden hat, so sollen alle sequestrirten Gegenstände, welche geeignet sind, das Verbrechen oder Vergehen zu konstatiren, sowie diejenigen Gegenstände, welche vom Diebstahl herrühren, nach Ermessen der kompetenten Behörde, dem reklamirenden Staate zugestellt werden, gleichviel, ob die Auslieferung infolge Verhaftung des Angeklagten wirklich stattfinden kann oder ob solches nicht möglich ist, weil der Angeklagte oder der Verurtheilte sieh aufs Neue geflüchtet hat oder gestorben ist.

Gleichermaßen sollen alle Gegenstände ausgeliefert werden, die der Angeklagte in dem Lande, in das er sich geflüchtet, verstekt oder in Verwahrung gegeben hat und die später aufgefunden werden sollten.

Immerhin bleiben die Rechte vorbehalten, welche dritte, in die Untersuchung nicht verwikelte Personen, auf die im gegenwärtigen Artikel bezeichneten Gegenstände erworben haben.

Artikel 8.

Wenn das Individuum, dessen Auslieferung verlangt wird, in dem Lande, wohin es sich geflüchtet hat, wegen eines dort begangenen Vergehens oder Verbrechens in Untersuchung gezogen oder verurtheilt ist, so kann seine Auslieferung verschoben werden, bis diese Untersuchung niedergeschlagen oder bis der Angeklagte freigesprochen oder der Untersuchung entlassen ist, oder bis zu dem Zeitpunkte, wo er seine Strafe ausgestanden haben wird.

Ist dieses Individuum in dem gleichen Lande wegen privatrechtlichen Verbindlichkeiten, die es gegenüber von Privatpersonen eingegangen hat, verfolgt oder verhaftet, so soll die Auslieferung dennoch stattfinden: es bleibt aber der geschädigten Partei vorbehalten, ihre Rechte vor der zuständigen Behörde geltend zu machen.

Artikel 9.

Das ausgelieferte Individuum kann für keine andere Gcso/.esverlezung verfolgt oder verurtheilt werden als für diejenige, welche die Auslieferung begründet hat, es wäre denn der Angeklagte ausdrüklich und freiwillig hiemit einverstanden, und diese seine Einwilligung dem ausliefernden Staate zur Kenntniß gebracht worden.

Artikel 10.

Die Auslieferung kann verweigert werden, wenn vom Zeitpunkte der eingeklagten Handlung oder der Untersuchung, oder der Verurtheilung an nach den Gesezen desjenigen Landes, in welches der Angeklagte sich geflüchtet hat, die Verjährung der Strafe oder der Anklage eingetreten ist.

964 ;

»'* ·' . . .'.Artikel-11. ' Die Kosten der Verhaftung, der Gefangenhaltung, der Ueberwachung,der Verpflegung und des Transportes des Ausgelieferten oder der Zustellung und des Transportes der im Art.7 dieses Vertrages erwähnten Gegenstände nach dem Orte, wo die Uebergabe stattfinden soll," fallen demjenigen der beiden Staaten zur Last, auf dessen Gebiet die Ausgelieferten verhaftet worden sind. Wenn der Transport per Eisenbahn verlangt wird, so hat er auf diesem Wege stattzufinden. , .

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. Die den" zwischenliegenden Staaten durch die Auslieferung, erwachsenden Transport-, und andern Kosten werden von dem die Auslieferung verlangenden Staate gemäß der vorzuweisenden, Belege bezahlt.,. ' ' ', .'

.· · 'Artikel 12.'

' . . . "''.'

' " Es ist ausdrüklich, vereinbart, daß der Durchtransport eines Individuums das an einen der diesen Vertrag abschließenden Staaten ausgeliefert wird, über das Gebiet des andern bewilligt wird, auf eines der im Art. 5 vorgesehenen" Aktenstüke, vorausgesezt, daß die einfache Präsentation in Original oder in authentischer Ausfertigung die Handlung, wegen welcher die Auslieferung stattfindet, im gegenwärtigen Vertrage inbegriffen ist und nicht .unter die. Vorschriften der Artikel;.3''und 10 fällt.

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Die durch diesen,.Transit veranlagten Kosten müssen von dem Staate,.,.welcher,-dis Auslieferung verlangt hat, getragen. ,und ; auf Vorweis der Belegeakten bezahlt .werden., ,, , . ,-;, " Artikel 13.' '''' '. . Wenn im Laufe eines Strafverfahrens . nicht politischer, Natur eine der beiden Regierungen die Abhörung von Zeugen, welche in dem andern ',Staate wohnen, oder die Vornahme , jeder andern Untersuchungshandlung fürnöthig erachtet, so soll zu diesem Zweke auf diplomatischemWege ein Rogatorium (Requisitorial) eingesandt und es" soll demselben durch die kompetenten Beamten Folge gegeben werden gemäß den Gesezen des Landes, ' in welchem die Abhörung der Zeugen stattfinden soll.

Die betreffendenRegierungen verzichten auf, jede. Forderung, welche zum Zweke hätte!, die Rükerstattung der Kosten, die durch den Vollzug der Rogatorien entstehen, zu verlangen, es wäre denn, daß. es sich -um Ausgaben für Kriminal-, Handels- oder gerichtlichmedizinische Expertisen handelte, -'die mehrfache Bemühungen erfordern.

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965 Ebenso kann keinerlei Ersazforderung gestellt werden für Kosten gerichtlicher Handlungen, die von Beamten des einen oder andern Staates freiwillig vorgenommen worden sind, zum Zweke der Feststellung von strafbaren Handlungen, die auf dem Gebiete der beiden Staaten von einem später in seinem Heimatlande den bestehenden Gesezen gemäß in Untersuchung gezogenen Fremden begangen worden sind.

Artikel 14.

Wenn im Laufe eines Strafverfahrens nicht politischer Natur der belgischen Regierung die amtliche Zustellung eines Untersuchungsaktes oder eines Urtheils an einen Schweizer oder an einen Belgier nothwendig erscheint und umgekehrt, so soll das im diplomatischen Wege übermittelte Aktenstük auf Anordnung des Staatsanwaltes am Wohnorte durch die Vermittlung des kompetenten Beamten der betreffenden P e r s o n s e l b s t zugestellt werden, und es soll das die Zustellung konstatirende Original mit dem Visum versehen der requirirenden Regierung auf demselben Wege zurükgeschikt werden.

Artikel 15.

Wenn in einer nicht politischen Strafsache das persönliche Erscheinen eines Zeugen nothwendig ist, so soll derselbe von der Regierung des Landes, in dem er wohnt, eingeladen werden, der an ihn ergangenen Vorladung Folge zu leisten. Im Falle der Zeuge erscheinen will, so sind ihm die Reise- und Aufenthaltskosten nach den in Kraft bestehenden Tarifen und Verordnungen des Landes, wo die Abhörung stattfinden .soll, zu vergüten.

Kein Zeuge, welchem Lande er immer angehöre, der in einem der beiden Länder citirt worden ist und freiwillig vor dem Richter des andern Landes erscheint, darf für frühere kriminelle oder zuchtpolizeiliche Handlungen oder Verurtheilungen, oder unter dem Vorwande der Mitschuld an den Handlungen, welche den Gegenstand des Prozesses bilden, in dem er als Zeuge erscheint, verfolgt oder verhattet werden.

Artikel 16.

Der gegenwärtige Vertrag tritt an die Stelle desjenigen vom 7/24. November 1869.

Der Zeitpunkt, an welchem er in Kraft treten .soll, wird im Protokoll über die Auswechslung der Ratifikationen festgestellt werden.

966 Dieser Vertrag kann zu jeder Zeit von jedem der kontrahircnden Staaten gekündigt werden. Die Rundung wird aber erst nach Ablauf eines Jahres, vorn Zeitpunkte der Notifikation an gerechnet, wirksam.

Artikel 17.

Der gegenwärtige Vertrag soll ratißzirt und die Ratifikationsurkunden sollen in Bern binnen drei Monaten oder früher, wenn es möglich ist, ausgewechselt werden.

Dessen zur Urkunde haben die beiderseitigen Bevollmächtigten denselben unterzeichnet und ihre Siegel beigedrükt.

So geschehen in doppelter Ausfertigung in B e r n am 13. Mai

1874.

Der schweizerische Bevollmächtigte : (L. S.) (Sig.) Ceresole.

Der belgische Bevollmächtigte: (L. S.) (Sig.) Hubert Dolez.

967

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Grossbritannien.

(Vom 22. Mai 1874.)

Tit.!

Schon seit längerer Zeit hat sich das Bedürfniß zum Abschluß eines Auslieferungsvertrages mit Großbritannien immer dringender geltend gemacht, weil dieser Staat ohne einen solchen Vertrag jedes Auslieferungsgesuch von der Hand gewiesen hat. Es war aber bis in die jüngste Zeit wegen der Auffassung, welche in England mit dem Begriff des Asylrechtes verbunden war, nicht möglich, mit der britischen Regierung Auslieferungsverträge von Werth abzuschließen.

Es bestunden zwar solche Konventionen. So hat im Jahr1843Ì Frankreich mit England eine Konvention abgeschlossen, die, sich nur auf wenige Verbrechen ausdehnte ; aber da von den englischen Magistratspersonen bezüglich des Beweises in jedem Falle sehr rigorose Forderungen gestellt wurden, so konnte Frankreich vom Jahr 1843-- 1865 nicht eine einzige Auslieferung eines flüchtigen Verbrechers erhalten. Im Jahr 1865 kündete Frankreich den Vertrag; er blieb aber in Folge Verlängerung doch in Kraft. Im Jahr 1866 erließ das englische Parlament eine Bill, durch welche das BeweisverBundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. 1.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den revidirten Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Belgien. (Vom 20. Mai 1874.)

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06.06.1874

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