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Bericht des

eidg. Justiz- und Polizeidepartements an den Schweiz.

Bundesrath, betreffend den Appel des Catholiques suisses aux Puissances signataires du traité de Vienne contre la violation de ce traité par les autorités suisses.

(Vom 29. Januar 1874.)

Das unterzeichnete Departement hat die Ehre gehabt, Ihnen in der Sizung vom 23. Januar 1874 vorläufig und mündlich Bericht zu geben von den Erkundigungen, welche es seit zwei Tagen vorher, nämlich seit dem 21. erheben konnte, bezüglich der Existenz eines in Bar-le-Duc, Departement der Meuse (Frankreich) gedrukten Manuskriptes, betitelt : "Appel des catholiques suisses aux puissances signataires du traité de Vienne". Das Departement vervollständigt Ihnen heute in einem schriftlichen Berichte "diese Erkundigungen.

Am 21. Januar Morgens erhielt der Unterzeichnete von dem Justiz- und Polizeidepartemente des Kantons Genf die erste Anzeige bezüglich des in Frage stehenden Memoriales. Die Genfer Polizei war benachrichtigt, daß ein Ballot mit vielen gedrukten Exemplaren in Genf angelangt sei, und daß diese Exemplare dazu bestimmt zu sein scheinen, in der ganzen Schweiz vertheilt und mit Unterschriften versehen zu werden.

Wir säumten nicht, am gleichen Tage, 21. Januar, das genferische Justiz- und Polizeidepartement einzuladen, die nöthigen Maß-

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regeln zu treffen, um zu konstatiren, an welche Adresse der ,,Appel" weiter spedirt würde. Zugleich gab es ihm schriftlich und auf telegraphischem Wege verschiedene Weisungen hinsichtlich dieser Angelegenheit.

Da die Genfer Polizei in diesem Augenblike nur vorläufige Nachrichten hatte und selbst auch noch kein Exemplar der inkriminirten Schrift besaß, so mußten wir uns darauf beschränken, die Nachforschungen fortzusezen und das Weitere abzuwarten.

Donnerstags den 22. Januar erhielt sodann das eidg. Departement von dem Genfer Departement das erste gedrukte Exemplar des ,,Appel"; einige andere Exemplare sind seither von verschiedenen Orten noch hinzugekommen; sie stammen aber alle aus Genf.

Am nämlichen Tage, 22. Januar, hat das Genfer Journal die Hauptpartien des fraglichen Dokumentes veröffentlicht.

Aus den Erkundigungen von amtlicher Stelle, welche dein Departement zugekommen sind, und deren Genauigkeit nicht in Zweifel gezogen werden kann, ergibt sich, daß diese verschiedenen Exemplare aus der gleichen Quelle herkommen, und es ist nicht ohne Interesse, dies hiev ausdrüklich zu konstatiren damit der Bundesrath aus eigener WahrnehmungO beurtheilen könne,i ob,i wie o man sogar in der Presse zu behaupten sich beeilt hat, die Annahme möglich sei, daß es sich hier um einen gehässigen Akt handle, den eine politische Partei ihren Gegnern angethan, um sie zu kompromittiren.

Alle Exemplare des ,,Appel", welche dem eidg. Justiz- und Polizeidepartement eingeschikt worden sind, und unter welchen sich auch dasjenige befindet, welches in den Hunden der Redaktion des Genfer Journals war, kommen aus einem Ballot, welches am 18. Januar per Eilfracht in Genf anlangte. Als Inhalt dieses Ballots waren "Buchhandlungsartikel" angegeben, und als Aufgabeor war ,,Bar-le-Duc" bezeichnet. Er trug die Adresse: Révérend Père Collet, presbytère de Notre-Dame, Genève. Dièses Ballot wurde Montags den 19. auf das Eilfracht-Büreau der eidgenössischen KonO O troie gebracht, wo der Beamte, welcher nach den eidg.Zollreglementen behufs Erhebung des Zolls mit der Untersuchung der Natur der Waaren beauftragt ist, fand, daß das Ballot bezüglich der Verpakung in schlechtem Zustande sei, und daß er keine Tuchumhüllung habe, sondern einfach mit Pakpapier umwikelt sei.

Der Zollbeamte n-ihm einige Exemplare heraus, wovon eines am folgenden Tage (bin Justiz- und Polizeidepartement des Kantons

244 Genf übermittelt wurde. Verschiedene andere Personen hatten zur gleichen Zeit drei weitere Exemplare in Händen, welche aus der gleichen Quelle stammen, und wovon eines dem Genfer Journal zur Veröffentlichung diente.

Da es uns scheint, daß es den eidg. Zollbeamten im Bahnhofe zu Genf obgelegen wäre, sofort die Polizei oder die Verwaltung, welcher sie unterstellt sind, von dieser Angelegenheit in Kenntniß zu sezen, und daß in dieser Beziehung ihr Vorgehen nicht frei von allem Vorwurf ist, so haben wir die Aufmerksamkeit des eidg. Zolldepartements auf die oben erwähnten Verumständung gelenkt, damit dasselbe gutfindende Maßnahmen treffen könne.

Wie dem auch sei, das Ballot wurde in seinem Zustande schlechter Verpakung Montags den 19. Januar dem Adressaten, Sr. Hochwürden Pater Collet übergeben.

Das Justiz- und Polizeidepartemeut des Kantons Genf sagt uns in seinen Berichten, daß dieser Firmin Collet das Pfarrhaus der Kirche Notre-Dame bewohnt, und daß er, wenn er es nicht noch gegenwärtig ist, Sekretär des Hrn. Caspar Mermillod, Expfarrer von Genf, war.

Sobald diese Thatsachcn zu unserer Kenntniß gelangten, nämlich am 25. Januar, und nachdem wir Ihnen in der Sizung vom 23.

vorläufig Bericht erstattet hatten, beauftragten wir das genferische Justiz- und Polizeidepartement, in Gemäßheit von Art. 11 u. ff.

des Bundesgesezes über das Bundesstrafrechtsverfahren, die nöthigen Erhebungen zu machen und insbesondere die geeigneten Maßregeln zu treffen, damit die Spuren des Deliktes sich nicht verlieren.

Zugleich luden wir das genannte Departement ein, sich nötigenfalls der Person des oder der Schuldigen zu versichern.

In Folge dieses Auftrages begab sich der Kommissär des L Bezirkes des Kantons Genf am Montag, den 26. Januar, in das Pfarrhaus von Notre-Dame und schritt zum Verhöre des genannten Collet. Derselbe erklärte, sein Name sei Firmin Collet, er sei Priester, 49 Jahre alt, gebürtig von Fay-en-Haye, Departement der Meurthe, wohnhaft in Genf im Pfarrhaus Notre-Dame. Derselbe gab im Weitern an, daß er zwei oder drei Tage vor der Ankunft ·des Ballot von einer Person besucht worden sei, welche ihn benachrichtigt habe, er werde in kürzester Frist ein Ballot von Barle-Duc erhalten, und sie wolle dieses Ballot persönlich bei ihm abholen. Collet weigerte sich, den Namen dieser Person zu nennen, und behauptete, daß er bezüglich des Inhaltes des Ballot keine Frage gestellt und keine bezügliche Aufklärung erhalten habe.

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Er fügte bei, daß er das fragliche Ballot am Montag den 19. wirklich empfangen habe, und daß derselbe zwei oder drei Tage später von der gleichen Person abgeholt worden sei, welche ihm jedoch nichts über dessen Inhalt gesagt habe. Collet behauptete endlich, das Ballot sei nicht mehr in Genf, und er wisse nicht, wo dasselbe sich befinde; die Person, um die es sich handle, kenne er seit vier oder fünf Jahren ; sie wohne nicht im Kanton Genf.

In einem Theile seines Verhöres,, welches schriftlich abgefaßt O und von ihm unterzeichnet ist, und das den Akten beiliegt, suchte Collet glauben zu machen, daß er eine mit der Sache nicht bekannte passive Zwischenperson gewesen sei, und daß er nicht gewußt habe, was in dem Ballot enthalten gewesen. Diese Version kann aber nicht als richtig angenommen werden.

Man hat nämlich am 26. Januar bei Collet ein Exemplar des ,,Appel" gefunden, auf dem, wie auf den andern, als Drukort bezeichnet ist : Bar-le-Duc. Imprimerie des Célestins, Bertrand. Als ihm dieses Exemplar durch den Polizeikommissär vorgelegt wurde, mußte Collet zugeben, daß ihm dasselbe durch die Post mit dem Stempel Bar-le-Duc zugekommen sei, und zwar vor der Ankunft des Ballots. Er fügte bei, er wisse nicht, von wem dieses Exemplar komme. Diesem Umstände gegenüber, welche seine ersten Behauptungen über Unkenntniß vollständig widerlegten, mußte Collet anerkennen, er habe v e r m u t h e t , daß der Ballen gleiche Brochüren enthalten habe wie diejenige, welche ihm von Bar-le-Duc zugekommen seien.

Da der Priester Collet unterschriftlich sich verpflichtete, auf alle Citationen, die an ihn gerichtet würden, sich zu stellen, so glaubte der Polizeikommissär, daß eine vorläufige Verhaftung nicht nöthig sei.

Diese soeben berührten Thatsachcn und Dokumente wurden uns am 27. Januar zur Kenntniss gebracht. Andere Nachrichten, welche einen T a g u n d zwei Tage vorher von verschiedenen Seiten dem Drukschriften einem Fremden, der in Montreux wohnt, übergeben worden seien. In Folge dessen beauftragten wir am 27. Januar das Justiz- und Polizeidepartement des Kautons Waadt, bei diesem Fremden die nöthigen Erhebungen, zu welchen das Gesez (Art. 11 u. ff. des Bundesgesezes über dasBundesstrafrechtsverfahren)) uns ermächtigt, zu machen.

Die Hausdurchsuchung fand den gleichen Tag, 27. Januar, Abends statt, und das darüber aufgenommene Protokoll kam uns

De-

246 , gestern Abends, den 28., zu. Dasselbe konstatirt daß der in Frage-stehende Fremde, Hr. David Urquhart nachdem er die regelrechten Notifikationen des Instruktionsrichters des Kantons Waadt erhalten und gegen das Einschreiten der Gerichtsbehörde protestirt hatte, den Empfang einiger Exemplare des ,,Appel" zugegeben hat, welche er nicht einmal gelesen haben will, die er aber einigen Freunden zusandte. Er erklärte auf sein Ehrenwort, daß er nicht der Verfasser des Schriftstükes sei. Andererseits weigerte er sich anzugeben, an wen er die Exemplare versendet habe; ebenso hat er auch nicht angegeben, wer sie ihm zugeschikt hat.

Da Hr. Urquhart krank war und versprochen hatte, zur Verfügung der schweizerischen Behörden zu bleiben, so hielt der Instruktionsrichter des Kantons Waadt nicht dafür, daß weitere Maßregeln nöthig seien.

Das Departement theilt auch mit, daß Hr. Urquhart Mitglied, des diplomatischen Korps von England war, und daß er verschiedene Schriften, insbesondere über die orientalische Frage, veröffentlicht habe. Er brachte den Winter von 1869/70 in Rom zu und scheint während des Konzils eine ziemlich thätige Rolle gespielt zu haben.

In einer Note, welche dem Departemente vorliegt, ist er bezeichnet als eine ,,Person, die, obwohl protestantischer Konfession geblieben, durch ihren ultramontanen Eifer seit mehreren Jahren s sich ausgezeichnet hat."

ge Wenn Sie, wie das Departement Ihnen vorschlagen wird, eine gerichtliche Untersuchung und die Eröffnung eines Strafprozesses beschließen, so werden der Bundes-Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter zu prüfen haben, ob sie unter Anderm auch gegen Hrn. Urquhart vorzugehen haben.

Schließlich hat das Departement zur Vervollständigung noch folgende Mittheilungen zu machen : l).daß dasselbe gestern, 28. Januar, das Justiz- und Polizeidepartement von Genf telegraphisch beauftragt hat, den Priester Collet noch einmal zur Angabe des Namens derjenigen Person aufzufordern, an die er die Drukschriften übergeben hat; ferner daß Collet in einem Verhöre von gestern bei seiner Weigerung, diese Person zu nennen, beharrte, daß er aber beifügte, daß er dieselbe nicht als den Verfasser des ,,Appel" betrachte. In Folge dieser beharrlichen Weigerung, der Justiz Aufklärung zu geben, hat das eidg. Justiz- und Polizeidepartement, gestüzt auf die Art. 12 und 13

247 des Bundesgesezes über das Bundesstrafrechtsverfahren, haftungO des Firmin Collet angeordnet; O '

die Ver-

2) daß die schweizerische Gesandtschaft in Paris, sobald wir ihr ein Exemplar des ,,Appel" übermachen konnten, von uns benachrichtigt wurde, und daß sie daherige Weisungen erhalten hat, bezüglich welcher wir uns vorher mit dem politiche.« Departemente verständigt hatten.

Aus allen diesen Mittheilungen welche wir Ihnen, Tit., vorgelegt haben, ergibt sich, daß das Verbrechen, welches im Art. 37 des Bundesstrafgesezbuches unter dem Titel: V e r b r e c h e n gegen d i e ä u ß e r e S i c h e r h e i t u n d d i e R u h e der E i d g e n o s s e n schaft vorgesehen ist, auf unserem Territorium entweder beg a n g e n oder v e r s u c h t worden ist. Wir haben deßhalb die Ehre, Ihnen anzutragen, folgenden Beschluß zu fassen : (Siehe denselben Seite 138 hie vor.)

B e r n , den 29. Januar 1874.

Der Vorsteher des eidg. Justizund Polizeidepartements: : Ceresole.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommission über den Rekurs des Tagwen Haslen im Kanton Glarus, betreffend Verfassungsverletzung.

(Vorn 14. November 1873.)

TU !

Veranlaßung zu dein gegenwärtigen Rekurs geben die Weidrechte des Tagwen Haslen, welche diese in den Wäldern des Tagwen Schwanden besitzt, indem der Tagwen Haslen sich beschwert, daß er durch die neuere Gesetzgebung des Kantons Glarus in besagten Weidrechten verkürzt worden sei.

Es handelt sich dabei um Weide und Wälder in den (Harnischen Alpen.

Ursprünglich war offenbar auch in Glarus dieser Wald sammt der Weide in der Hand eines Besitzers; mit der Zeit giengen Wald und Weid in verschiedene Hände und in den Privatbesitz über; wie und wann dies geschah, darüber geben die Akten keinen nähern Aufschluß; ausgewiesen ist nur, daß in neuerer Zeit die Alp Ennetseeven, die Weide, durch mehrfache Theilkäufe in den Besitz des Tagwen Haslen übergegangen ist. Zum richtigen Verständnisse des Falles sind in erster Linie folgende Punkte auszuscheiden: Der T a g w e n H a s l e n ist Eigenthümer der offenen Weide, in dem dem Rekurs beigelegten Situationsplane mit dem Worte

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14.02.1874

Date Data Seite

242-248

Page Pagina Ref. No

10 008 064

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