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Bundesrathsbeschluss in

Sachen des Gaudenz W i l l i , von Lenz (Graubünden), Weinhändler in Chur, betreffend Sequester.

(Vom 21. August 1874.)

Der schweizerische Bundesrath hat

in Sachen des Gaudenz W i l l i , von Lenz (Graubünden), Weinhändler in Chur, betreffend Sequester; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Mit Eingabe vom 4. Mai u. c. beschwerte sich Herr Advokat Jäger in St. Gallen, im Namen des Herrn Gaudenz Willi, Inhaber der Firma Gebrüder Willi in Chur, über einen Beschluß der Regierung des Kantons St. Gallen, vom 27. April 1874, womit ein von dem Bezirksamte Gossau gegen die genannte Firma bewilligter Sequester bestätigt worden ist.

Die thatsächlichen Verhältnisse wurden von Herrn Advokat Jäger wie folgt dargestellt: Johann Anton Wetzel von Straubenzell (St. Gallen) sei Schuldner der Firma Gebrüder Willi gewesen. Zur Sicherung dieser Schuld habe seine Tante, Jungfer Anna Maria Wetzel, zu

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Gunsten der Gebrüder Willi ein Testament für Fr. 2500 errichtet.

Jungfer Wetzel sei im Oktober 1873 gestorben und im November darauf sei über Johann Anton Wetzel der Konkurs erklärt worden.

Das erwähnte Testament habe von keiner Seite Einsprache erlitten; in Folge dessen sei der Betrag der nach gepflogener Abrechnung festgesezten Schuldsumme von Fr. 2281. 84 bei dem Waisenamt von Straubenzell abgegeben worden. Nun sei plözlich ein Albert Bosch zum Waldhorn in St. Gallen mit der Behauptung aufgetreten, an die Gebrüder Willi in Chur eine Forderung von Fr. 920 zu besizen und habe für diese Ansprache bei dem Bezirksamte Gossau einen Sequester auf jenes Geld erwirkt. Gauden/, Willi habe zwar bei der Regierung des Kantons St. Gallen die Aufhebung dieses Sequesters 'verlangt, sei aber abgewiesen worden.

II. Der Entscheid der Regierung von St. Gallen stüzt sich auf folgende Erwägungen: Die Weinhandlung Willi habe laut Schein vom 28. August 1871 sich verbindlich gemacht, dem Johann Anton Wetzel bis zum Werthe von Fr. 3000 Wein zu liefern, und sich hiefür zum Voraus durch Testament der Jungfer Wetzel Versicherung im Betrage von Fr. 2500 geben lassen. Mit Akt vom 7. Mai 1872 habe Johann Anton Wetzel diese Berechtigung auf Albert Bosch abgetreten unter Anzeige an die Gebrüder Willi, von welchen sodann die Weinlieferungen an leztern fortgesezt worden seien. Bosch erhebe nun gegen den Bezug des Testameutsbetrages durch Gaudenz Willi Einwendung, weil derselbe statt für Fr. 3000 erst für Fr. 1177. 40 Wein geliefert und außerdem neben dem Testamente noch weitere Abtretungen zur Dekung erhalten habe. Unter diesen Umständen qualifizire sieh die bezirksamtliche Verfügung nicht als ein Arrest im Sinne von Art. 247 des Zivilprozeßgesezes, sondern sie sei eine Maßnahme nach Art. 254 des zitirten Gesezes zur Erhaltung des gegebenen Xustandes im Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien. Diese Maßnahme sei gerechtfertigt, indem Willi erst dann Anspruch auf Ausfolgung des Testamentsbetrages haben könne, wenn er bis auf diesen Betrag resp. bis auf den Werth der erhaltenen Versicherungen Wein geliefert haben werde.

III. Dieser Entscheid wurde in der Eingangs erwähnten Eingabe des Herrn Advokat Jäger aus folgenden Gründen angefochten : Da Albert Bosch weder Erbe noch Vermächnißnehmer sei, so wäre er nicht legitimirt, das
Testament der Jungfer Wetzel anzustreiten. Uebrigens habe er dies bis dahin nicht versucht.

Seine Ansprache qualifizire sieh als eine persönliche im Sinne, von Art. 50 der Bundesverfassung. Der angebliche Schuldner (ìaudena

88-1 Willi könne, ale aufrechtstehender Schweizerbürger, nur an «einem festem Wohnsize in Chur belaugt werden, und der Sequester auf sein im Kanton St. Gallen gelegenes Vermögen sei unstatthaft.

Das Forderungsrecht des Albert Bosch auf Lieferung von Wein bis auf den Betrag von Fr. 3000 werde bestritten. Der Entscheid hierüber seiSache des Richters, nicht einer Administrativbehörde.

E s sei somit noch nicht festgestellt, daß jener überhaupt eine Forderung an den Rekurrenten besize. Die Verfügung des Bezirksamtes von Gossau sei ein wirklicher Arrest, nicht blos eine vorsorgliche -Maßregel im Sinne von .Art. 254 des Zivilprozeßgesezes ·von
IV. Namens des Rekursbeklagten antwortete Herr Fürsprecher Näf in St. Gallen: Es handle sich von Seite des Albert Bosch nicht um die Geltendmachung einer Forderung, dieser beschränke sich zuvörderst darauf, eine Forderung des Rekurrenten zu bc: streiten.

Die angefochtene Beschlagnahme entziehe sich der Anwendung von Art. 50 der Bundesverfassung. Durch den Arrest werde der Rekurrent dem in Sachen kompetenten Richter nicht entzogen, denn der Streit, ob und welche Ansprüche, er auf das sequestrirte Gut habe, gehöre vor den Richter im Kanton St. Gallen. Die Frage, ob Bosch zu dem Einsprüche gegen den Bezug des Testamentsbetrages legitimirt gewesen, könne nur vom Richter entschieden werden. ,,,.. Uebrigens unterliege diese Frage angesichts der Thatsache, daß Bosch Rechtsnachfolger des Johann Anton Wetzel sei, keinem Zweifel. Da endlich das Eigenthum des Rekurrenten an dem sequestrirten Gute bestritten sei, so hätte der leztere zuerst sein Eigenthum durch gerichtliches Urtheil nachzuweisen, bevor er den Schuz des Art. 50 der Bundesverfassung anrufen könnte. (1111mer Band I, Nr. 301).

"·' V. Die Regierung des Kantons St. Gallen enthielt sich weiterer Erörterung, und erklärte lediglich, daß sie auf die Auseinandersezungen des Rekursbeklagten sich beziehe.

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wägung:

1) Aus den widerstreitenden Behauptungen der Parteien und aus den Akten ergibt sich wenigstens so viel, daß die Ansprüche

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des Rekurrenten auf den fraglichen Legatsbetrag aus Weinlieferungen entstanden sind, die in den Kanton St. Gallen gemacht wurden resp. noch zu machen sind; 2) Wenn nun die Ansprüche aus diesen Lieferungen realisirt, werden wollen, so sind diese am Wohnorte der hiefür angesprochenen Person, im Kanton St. Gallen, geltend zu machen und es ist dieser Gerichtsstand hier um so mehr zutreffend, als auch das Depositum, auf welches gegriffen werden will, im Kanton St. Gallen liegt; 3) Der für diese Angelegenheit kompetente Gerichtetand dieses Kantons wird also durch die angegriffeneu Verfügungen nicht geändert; die Vorschrift von Art. 50 der alten und von Art. 59 der neuen Bundesverfassung hat nicht den Zwek, Rechtsvorkehren zu untersagen, welche von den Behörden am kompetenten Gerichtstande in Schuldsachen verfügt werden. Uebrigens kann der Rekurrent seine Ansprüche an das fragliehe, Depositum nur in seiner Eigenschaft als Gläubiger geltend macheu, während die zitirte Vorschrift .der Bundesverfassung blos von Arresten spricht, welche gegen einen S c h u l d n e r erwirkt werden; 4) Die Frage, ob die Administrativ-Behörde, statt des Richters, zu der angefochtenen Verfügung berechtigt gewesen sei, könnte nur in der Form an die Bundesbehörden gezogen werden, daß eine Verfassungsverlezung , behauptet würde, was aber nicht geschieht, und ebenso entzieht sich die weitere Frage, welcher Gerichtstand inner des Kautons St. Gallen zur Erledigung dieser Angelegenheit zuständig sei, der Cognition der Bundesbehörden: beschlossen: 1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Beschluß der Regierung des Kautons St. Gallen, für sich und zu Händen des Herrn Fürsprecher Näf in St. Galleu, als Anwalt des Albert Bosch daselbst, sowie dem Hrn. Advokat, Jäger in St. Gallen zu Händen des Rekurrenten, unter Rükschluss der Akten, mitzutheilen.

B e r n , den 21. August 1874.

, , Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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Bundesrathsbeschluss in Sachen des Gaudenz Willi, von Lenz (Graubünden), Weinhändler in Chur, betreffend Sequester. (Vom 21. August 1874.)

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26.09.1874

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