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Bericht der

ständeräthlichen Kommission über den Gesetzesentwurf, betreffend Organisation der Bundesrechtspflege.

(Vom 8. Juni 1874.)

Tit.!

Da die Botschaft des Bundesrathes vom 23. Mai in sehr einläßlicher Weise den Gesetzesentwurf, den wir zu begutachten hatten, beleuchtet, und da wir von den Anträgen des Bundesrathes in verhältnißmäßig wenigen und zum Theil nicht sehr erheblichen Punkten abweichen, so kann es nicht in unserer Aufgabe liegen, den Zweck und den Inhalt des Entwurfes nochmals vollständig zu erörtern, sondern wir können im Allgemeinen einfach auf die Botschaft verweisen. Wir werden uns darauf beschränken, einerseits die von uns vorgeschlagenen Abänderungen zu begründen und anderseits einige andere Fragen zu besprechen, welche in der Kommission vorzugsweise Anlaß zu Diskussionen gegeben haben.

Art. 1. Ueber die Zahl der Mitglieder, aus denen das Bundesgericht bestehen soll, kann man kaum verschiedener Ansicht sein. Wollte man dieselbe auf 7 reduziren, so könnte man einerseits die Kammern für die Strafrechtspflege nicht gehörig besetzen und anderseits müßte man, um die allzuhäufige Beiziehung von Ersatzmännern zu vermeiden, das Quorum, d. h. die Zahl der zur Urtheilsfällung erforderlichen Mitglieder auf o herabsezen, -- eine Zahl, die doch namentlich für die wichtigen staatsrechtlichen Entscheidungen gar zu gering wäre. Zudem dürfte die Geschäftslast,

1189 welche dem Bundesgerichte schon jetzt, in Folge der ihm zugewiesenen zahlreichen Rekurse, namentlich aber später, nach Erlassung der in Aussicht genommenen Bundesgeseze privatrechtlichen Inhaltes zuwachsen wird, die Leistungsfähigkeit von bloß 7 Mit gliedern leicht übersteigen.

Was die Zahl der Ersatzmänner betrifft, so können wir dem Antrage des Bundesrathes, welcher dieselbe auf bloß 6 festsetzt, nicht beistimmen. Die Rücksicht auf die drei Kammern für die Strafrechtspflege, deren jeder 3 Ersatzmänner zugetheilt werden sollen, erfordert mit Nothwendigkeit 9 Ersatzmänner, zumal, wenn man bedenkt, daß in's Kassationsgericht bei Kriminalfällen beinahe immer werden Suppleanten einberufen -werden müssen, da nicht von allen 5 Mitgliedern desselben vorausgesetzt werden kann, daß sie noch in keiner andern Abtheilung in der nämlichen Sache gesessen haben.

Daß in Civilfällen, und namentlich auch bei staatsrechtlichen Entscheidungen, so wenig als möglieh Ersatzmänner einberufen werden sollen, darüber sind wir mit dem Bundesrathe einverstanden; aber in dieser Hinsicht kommt es nicht auf die Zahl der vorhandenen Ersatzmänner a,n, sondern darauf, daß das Gericht in allen Fällen ohne Vollzähligkeit, mit einem Quorum von 7 Mitgliedern urtheilen kann. Eine Reduktion der Zahl der ordentlichen Ersatzmänner hat nur die Folge, daß um so leichter der Fall eintritt, daß außerordentliche Ersatzmänner einberufen werden müssen; dieser letztere Fall ist aber gewiß der am wenigsten wünschenswerthe. Da die Ersatzmänner keinen festen Gehalt, sondern bloß Reise- und Tagegelder beziehen werden, so sollte die Wahl von 9 Ersatzmännern, durch welche man zugleich eine etwas größere Zahl von Kantonen berücksichtigen kann, auf keine erhebliche Bedenken stoßen.

Art. 4. Es wurde im Schooße der Kommission die Frage aufgeworfen, ob die Mitglieder des Bundesgerichtes in Zukunft auch noch den Großen Räthen ihrer Heimathkantone werden angehören dürfen. Ist auch der Ausdruck ,,Beamtung" in dieser Hinsicht allerdings verschiedener Auslegung fähig, so ist doch zu berücksichtigen, daß ganz die nämliche Bestimmung, wie sie nun durch die neue Verfassung für die Mitglieder des Bundesgerichtes eingeführt worden ist, schon in der Verfassung von 1848 für die Mitglieder des Bundesrathes bestand und bei diesen immer in dem Sinne ausgelegt worden
ist, daß sie sich jeder Theilnahmc an den gesetzgebenden Behörden ihrer Kantone zu enthalten haben. Wir sind also der Ansicht, daß das Nämliche in Zukunft auch bei den Mitgliedern des Bundesgerichtes der Fall sein müsse.

Was den zweiten Satz des Art. 4 betrifft, so wird wohl Jedermann darüber einverstanden sein, daß Mitglieder des Bundesgerichtes

1190 nicht zugleich Direktoren von Aktiengesellschaften sein Jcönnen.

Bezüglich der Theilnahme an einem Verwaltungsrathe kann man allerdings eher verschiedener Ansicht sein; allein wenn man erwägt, wie heutzutage die großem finanziellen Unternehmungen so vielfach unter sich zusammenhängen, so wird man zugeben müssen, daß ein Richter, der in hervorragender Weise bei einem, ja vielleicht bei mehrern solchen Unternehmen betheiligt wäre, in sehr vielen Fallen, wo er nach Art. 14 nicht gerade von der Theilnahme an der Ürtheilsfällung ausgeschlossen wäre, bei den Partheien doch nicht das nöthige Vertrauen in seine Unbefangenheit finden würde.

O Als selbstverständlich betrachten wir, daß der zweite wie der erste Satz des Art. 4 auf die Ersatzmänner des Bundesgerichtes keine Anwendung finden kann, da man ja von ihnen nicht erwartet, daß sie ihre ganze Zeit und Kraft der bundesrichterlichen Thätigkeit widmen sollen.

Art. 6. Wir sind mit dem Bundesrathe, aus den in seiner Botschaft entwickelten Gründen, darüber einverstanden, daß die Amtsdauer des Bundesgerichtes auf 6 Jahre festzusetzen und die erste Wahl sofort nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, also jedenfalls noch vor der nächsten Neuwahl des Nationalrathes vorzunehmen sei. Dagegen erblicken wir in der Parüalerneuerung eine unnöthige Complikation, welche der Wahlbehörde die Versuchung nahe legt, tüchtige Richter zu beseitigen, während minder tüchtige in ihrem Amte verbleiben können, weil das blinde Loos sie bevorzugt hat. Wenn man durch die Partialerneuerung eine größere Stätigkeit in die Zusammensetzung des Gerichtshofes und damit auch in der Rechtsprechung zu erzielen hofft, so verweisen wir in dieser Hinsicht ' einfach auf die bisher gemachten Erfahrungen, welche entschieden dafür sprechen, daß nach unsern Gewohnheiten auch beim Sj'stem der Integralerneuerungen wenigstens die Mehrzahl der Richter immer wieder gewählt wird.

Unter den ,,zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Bundesbeschlüssea11, welche wir im zweiten Satze des Art. 6 einschieben, verstehen wir die Dekrete betreffend die Bezeichnung des Amtssitzes und die Besoldungen. Ehe diese Fragen geregelt sind, könnten sich die neu gewählten Mitglieder des Bundesgerichtes über die Annahme der Wahl nicht wohl aussprechen.

Art. 7. Die dreijährige Amtsdauer des Präsidenten hing im Entwurfe
des Bundesrathes zusammen mit der Partialerneuerung.

Da nun für alle Mitglieder des Bundesgerichtes die nämliche Amtsdauer von 6 Jahren vorgeschlagen wird, so hat man bezüglich des Präsidenten freiere Hand. Es ist hier einerseits darauf zu halten, daß mehrere Mitglieder im Vorsitze abwechseln können, anderseits <->

1191 aber im Interesse einer guten und sorgfaltigen Geschäftsleitung lürzusorgen, daß dieser Wechsel nicht allzuhäufig stattfinde. Beiden Anforderungen scheint uns unser Vorschlag, die Amtsdauer des Präsidenten auf z w e i Jahre anzusetzen, zu entsprechen.

Bei A r t . 10 beantragen wir bloß Redaktionsänderungen.

Wenn die Zahl der urtheilenden Richter, zu welchen der Präsident auch gerechnet wird, eine ungerade sein muß, so kann allerdings von ,,gleichgetheilten Stimmen'1 eigentlich nicht die Rede sein; daher ließen wir den Zusatz als überflüssig fallen.

Gegenüber der Botschaft des Bundesrathes haben wir zu berichtigen, daß bis dahin, wenn mit Inbegriff des Präsidenten acht Mitglieder im Bundesgerichte saßen, der Präsident zwar in der Berathung sich aussprach, aber bei der Abstimmung nicht zum Stimmen gelangte, daher die 4 Mitglieder, gegen deren Ansicht der Präsident sich ausgesprochen hatte, gegenüber den andern 3 Mitgliedern die Mehrheit erhielten. Auf das zuhörende Publikum und insbesondere auf die Partheien machten natürlich Urthcile, welche in dieser Weise zu Stande gekommen waren, nicht den besten Eindruck.

Art. 11. Was die Notwendigkeit eines festen Amtssitzes für ·das zukünftige Bundesgericht; betrifft, so können wir nur Alles bestätigen, was der Bundesrath darüber in seiner Botschaft sagt. Ein Gerichtshof, welcher eine große Zahl von Eulscheidungen auf Grundlage von Akten zu treffen haben wird, muß bei einander wohnen, wenn nicht bloß der Referent, sondern alle Mitglieder die Akten lesen sollen; denn die Akten in allen Theilen der Schweiz oirkuliren zu lassen, würde große Verzögerungen mit sich bringen und dürfte mit einiger Gefahr für die Erhaltung ihres vollen Bestandes verbunden sein. Zudem ist das ganze Gesetz -- man kann beinahe sagen, in jedem einzelnen Artikel -- auf ein permanentes Gericht berechnet, wie man es in Folge, des Art. 108 der neuen Bundesverfassung als selbstverständlich betrachtete. Denn da die Mitglieder des Buudesgerichtes ihren bisherigen Aemtern oder ihrem bisherigen Berufe entsagen müssen, so muß man sie jedenfalls dafür entschädigen, kann dann aber auch dafür verlangen, daß sie ihren bisherigem Wohnsitz aufgeben. Eine, Reihe von Kompetenzen, welche dem Bundesgeriehte übertragen werden wollen, sind nur dann in die rechten Hände gelegt, wenn mau sich dasselbe
als ständigen Gerichtshof denkt; wir erinnern z. B. an die Oberleitung der Zwangsliquidation von Eisenbahngesellschaften, an den Entscheid über die Auslieferung von Verbrechern.

Was den zweiten Satz des Art. 11 betrifft, so fragt es sich vorerst, ob die Behauptung der Regierung von Bern begründet sei,

1192 daß aus der im November 1848 geschehenen Bezeichnung der Stadt Bern als Bundessitz von selbst folge, daß auch das Bundesgericht an keinem andern Orte als in Bern seinen Amtssitz haben könne. Wir bedauern, hierüber bemerken zu müssen, daß aus den Verhandlungen von 1848 für Jeden, der dieselben unbefangen liest, gerade das Gegentheil folgt. Schon der fragliche Bundesbeschluß selbst unterscheidet aufs deutlichste und klarste zwischen dem.

Sitze des Bundesrathes und der Bundesversammlung einerseits und demjenigen des Bundesgerichtes anderseits, und verlegt lediglich den erstem nach Bern. Noch bestimmter und mit einer Präzision, die in der That nichts zu wünschen übrig läßt, spricht sich der Bericht der nationalräth liehen Kommission, welche den Beschluß vorbereitete, aus, und es kann nach demselben nicht bezweifelt werden, daß es im Jahr 1848 in der Absicht der Bundesversammlung lag, den Amtssitz des Bundesgerichtes in eine andere Stadt als Bern zu verlegen. Nachher fand man einen festen Amtssitz bei der geringen Zahl von Geschäften, · welche das Bundesgericht zu erledigen hatte, überhaupt nicht nothwendig und überließ es dem Präsidenten, jeweilen den Sitzungsort zu bezeichnen, mit Vorbehalt jedoch der ordentlichen Jahressitzung, welche jeweilen vor der Bundesversammlung in Bern stattfinden sollte.

Wenn also Bern jedenfalls kein erworbenes Recht auf den Sitz des Bundes"'erichtes hat,' so frä°;t es sich immerhin noch,' ob O D man, wie der Bundesrath vorschlägt, den Sitz der politischen Bundesbehörden zum voraus von der Mitbewerbung ausschließen wolle, lieber die Zweckmäßigkeit dieser Ausschlußbestimmung, die in dem ersten Entwurfe nicht enthalten war, kann man natürlich getheilter Ansicht sein; indessen fand die Mehrheit Ihrer Kommission, es handle sich hier um eine grundsätzliche Frage, die zum voraus entschieden werden müsse, ehe man auf die eigentliche Wahl des Amtssitzes eintreten könne. Diese Frage ist einfach folgende: Ist es rathsam, den Sitz des Bundesgerichtes in diejenige Stadt zu verlegen, welche bereits Sitz des Bundesrathes und der Bundesversammlung ist? Die Mehrheit der Kommission verneint diese Frage aus folgenden zwei Gründen : 1) Die Mitglieder des Bundesgerichtes sollen von den übrigen Bundesbehörden möglichst wenig beeinflußt und nicht allzu enge mit denselben verflochten sein;
sie sollen den Strömungen des politischen Lebens nicht allzunahe stehen. Dieser Zweck wird weit besser erreicht, \venn das Bundesgericht außerhalb der Bundesstadt seinen Amtssitz hat. 2) Eine allzugroße Concentration der Gewalten an einem Orte entspricht nicht dem Wesen des Bundesstaates, welcher vielmehr seine Wohlthaten auf alle Bundesglieder in möglichst gleichmäßiger Weise vertheilen soll.

Wenn man mit diesen Erwägungen einverstanden ist, so vermag

1193 die Mehrheit der Kommission nicht abzusehen, weßhalb man nicht, denjenigen logischen Schluß daraus ziehen sollte, welchen der Bundesrath wirklich gezogen hat.

Art. 12. Was die Verpflichtung betrifft, in dem Amtssitze zu wohnen, so versteht es sich von selbst, daß dieselbe nicht in der engen Weise zu interpretiren ist, daß ein Wohnsitz, der außerhalb der Gemeindegrenze der zu bezeichnenden Stadt, aber unmittelbar vor derselben genommen wird, als ungesetzlich zu betrachten wäre.

Die Kommission will indessen keine Redaktionsänderung vorschlagen, weil, wenn m;m z. B. sagen würde, ,,in dem Amtssitze oder dessen Umgebung" dadurch leicht Mißbräuchen gerufen werden könnte.

Art. 13. In Lemma 2 schlägt die Kommission vor, den Schlußsatz zu streichen, weil nicht unter alleu Umständen ein Ersatzmann einberufen werden soll, sondern nur dann, wenn das Bundesgericht sonst nicht beschlußfähig wäre. Ein neuer Art. 15bi8, den wir vorschlagen, bezweckt sodann, das Verfahren bei Einberufung von Ersatzmännern im Allgemeinen etwas besser zu regeln, da bis dahin Alles in's Ermessen des Präsidenten, beziehungsweise des Gcrichtschreibers gestellt war.

Art. 14. Die Kommission findet, es könne ein Bundesrichter unter Umständen auch bei Rekursen, welche gegen die obersten Behörden seines Heimathkantons gerichtet sind, nicht als ganz unbefangen erscheinen, ja es dürfte hier die Befangenheit oft größer sein, als wenn es sich um fiskalische Interessen des Heimathkantons handelt. Es kann sehr leicht der Fall sein, daß ein Bundesrichter von früher her mit dem in seinem Kanton herrschenden politischen Systeme enge verknüpft ist, und für die Zukunft werden seine Blicke doch immer wieder nach dem Heimaihkanton gerichtet sein, daher die vorgeschlagene Ergänzung der Ziff. 4.

Art. 16. Die vorgeschlagene neue Wahlart für die außerordentlichen Ersatzmänner empfiehlt sich namentlich auch aus dem Grunde, weil es immer etwas Bedenkliches hat, wenn eine politische Behörde, für die Beurtheilung eines Spezialfalles Richter wählen soll. Es wäre dabei einer Partei, namentlich wenn ein großer Kanton oder eine mächtige Eisenbahngese.llschaft als solche erschiene, gewiß nicht unmöglich, Kandidaten durchzusetzen, die sie zum voraus als ihr ffiinstig gestimmt betrachten dürfte.

0 O Art. 17. Eine Minderheit der Kommission hält dafür, daß
der Amtseid der Richter gänzlich abzuschaffen sei, weil er doch keine besondere Garantie für getreue Pflichterfüllung biete und weil es sich nach Art. 49, Lemma 2 und 4 der neuen Bundesverfassung frage, ob Jemand, der die Leistung eines Eides mit seinen religiösen L1

1194 Ansichten nicht vereinigen könne, dazu durch den Staat verhalten werden dürfe. Dem leztern Argumente läßt sich indessen Lemma 5 des nämlichen Artikels entgegenhalten; denn es ist fraglich, ob der Eid, wie er gegenwärtig ia den Bundesbehörden geleistet wird, nicht mehr einen bürgerlichen als einen religiösen Charakter an sich'.trägt. Sei dem aber wie ihm wolle, so will die Mehrheit der Kommission den hergebrachten Begriffen ,und Gewohnheiten des Schweizervolkes Rechnung tragen und daher den Amtseid beibehalten. Dagegen will sie die Berufung auf das Gesez vom 15. November 1848 streichen, weil der dort zunächst für die politischen Behörden vorgeschriebene Eid für richterliche Beamte nicht recht paßt. Es wäre daher für das Bundesgericht eine besondere Eidesformel aufzustellen.

Art. 26. Die wichtigen Fragen, welche hier in Betracht fallen, veranlaßten auch im Schooße Ihrer Kommission eine längere Diskussion, welche indessen damit endigte, daß die Mehrheit dem vom Bundesrathe angenommenen Systeme im Wesentlichen beipflichtete.

Mehifach wurde zwar bedauert, daß durch dasselbe für alle wichtigern Fälle, welche sich auf das Obligationen-, Handels- und Wechselrecht beziehen, eine dritte Instanz geschaffen werde, und es wurde daher der Antrag gestellt, es solle der sich über ein erstinstanzliches kantonales Urtheil beschwerenden Partei die Alternative geöffnet werden, entweder an's kantonale Obergericht oder an das Bundesgericht zu rekurriren, in der Meinung, daß, wenn sie sich für das Erstere entscheide, alsdann der nachherige Weiterzug an's Bundesgericht wegfalle. Die Mehrheit der Kommission wollte indessen in keiner Weise in die Gerichtsorganisation der Kantone, beziehungsweise in die Kompetenz der Obei-gerichte eingreifen, und selbst der Antrag, es sollen wenigstens im Einverständnisse beider Partien erstinstanzliche Urtheile, mit Uebergehung der zweiten Instanz in den Kantonen, sofort an's Bundesgericht gezogen werden dürfen, fand keinen genügenden Anklang. Man war ferner nicht allgemein einverstanden mit der absoluten Fassung des Schlußsazes von Art. 26, und es wurde, um dem Bundesgerichte für die richtige Ausmittlung des Thatbestandes etwas freiere Hand zu geben, vorgeschlagen zu sagen : das Bnndesgericht urtheile auf Grundlage der von den kantonalen Gerichten produzirten Beweismittel, jedoch
könne der Instruktionsrichter, wenn es ihm nothwendig scheine, auch eine Ergänzung des vorliegenden Aktenmaterials veranstalten. Auch dieser Antrag blieb indessen in Minderheit.

Der Berichterstatter will sieh in weitere Erörterungen über das vom Bundesrathe angenommene System nicht einlassen, sondern

nur noch diejenigen Nebenpunkte berühren, hinsichtlich deren die Kommission vom Entwürfe abweichende Anträge, bringt. Die Rekursfrist von 15 Tagen, welche der Bundesrath vorschlägt, dürfte; genügend sein, wenn es sich um eine bloße Rekurs a n mel d ü n g handeln würde; allein es wird eben vorausgesezt, daß, wie es bisdahin beim Bundesgericht üblich war, eine förmliche Rechtsschrift einzureichen sei, und für die Abfassung einer solchen ist gewiß eine Frist von 30 Tagen nicht zu lange. Ueberhaupt wurde, bei der Entwerfung des Art. 26 stillschweigend angenommen, es werde das für das Bundesgericht bestehende Civilprozeßgesez, soweit thunlich, auch auf die hier geöffneten Rekurse so lange Anwendung finden, bis es nach gemachten Erfahrungen durch eine andere Prozeßordnung ersezt werde. Die Mehrheit der Kommission schlägt nun freilich im Interesse der Kostenersparnis eine wesentliche Abweichung von dem beim Bundesgerichte üblichen Verfahren in der Richtung vor, daß der Gerichtshof in der Regel nur auf Grundlage! der Rechtsschriften und der übrigen Akten zu erkennen habe- und eine mündliche Schlußverhandlung nur ausnahmsweise zu gestatten sei.

Da der Berichterstatter ein entschiedener Anhänger des mündlichen Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist, so muli er es den Mitgliedern der Kommission, welche sich für jenen Antragausgesprochen haben, selbst überlassen, denselben zu begründen.

Art. 28. Die veränderte Redaktion des Schlußsazes wird au» dem Grunde vorgeschlagen, weil die fraglichen Artikel des Bundesstrafrechtes gestatten, auch noch andere Verbrechen und Vergehen als die in der Bundesverfassung vorgesehenen den eidgenössischen Assisen zu überrweisen, z. B. Gefährdung und Beschädigung von Eisenbahnen und Telegraphen.

Art. 28Ms entspricht dem Art. 49, Ziffer 4 des Organisationsgesezes von 1849, welche Bestimmung bei der Redaktion des Entwurfes übersehen wurde. Ebenso entspricht Art. 45bis im Wesentlichen dem Art. 50 des bisherigen Gesezes. Nach Art. 17, Litt, b desselben lag die Bezeichnung des Sitzungsort.es der Assisen in der Befugniß der Anklagekammer, welche ohnehin zusammenkommen mußte, um die Ueberweisung der Angeklagten an die Assisen zu beschließen. Die Kommission fand nun aber, daß jene Verfügung eher Sache der Kriminalkammer sei, die. ja nun, bei der angenommenen Permanenz des
Bundesgerichtes, leicht wird zusammentreten könne.

Was die bei Behandlung des Geschäftsberichtes gemachte Anregung betrifft, ob nicht, wie es im Jahre 1853 vorgeschlagen wurde, die Beurtheilung von Uebertretungen fiskalischer Bundes-

1196 gesetze den 'kantonalen Gerichten entzogen und einer Polizeikammer des Bundesgerichtes übertragen werden sollte, so ist die Kommission hierauf nicht eingetreten, theils weil dieser Vorschlag seiner Zeit auf großen Widerstand gestoßen, theils weil das Bedürfniß einer derartigen Gesetzesänderung gegenwärtig weniger fühlbar ist als vor 20 Jahren, indem die Fälle, wo Urtheile kantonaler Gerichte über Zollversohlaguisse kassirt werden mußten, in neuerer Zeit viel seltener geworden sind als sie es damals waren.

Art. 52. Diese neue Bestimmung, welche vom Bundesrathe in den Entwurf eingeschoben wurde, rechtfertigt sich dadurch, daß es auswärtige Regierungen oder Gerichtsbehörden sind, welche die Auslieferung von Angeschuldigten verlangen, während in Art. 53, wo diese Frage früher behandelt wurde, nur von Beschwerden von Privaten und Korporationen die Rede ist.

Art. '53. Die Redaktionsveränderung, welche wir im Eingänge vorschlagen, beruht darauf, daß es immerhin verfassungsmäßige Rechte gibt, auf welche sich auch der in der Schweiz wohnende Ausländer berufen kann, wie namentlich das forum domicilii nach der neuen Fassung des nunmehrigen Art. 59 der Bundesverfassung.

Da, wenn es sich um di e Wahrung verfassungsmäßiger Rechte handelt, die Kompetenz des Bundesgerichtes die R e g e l bildet, gegenüber welcher die dem Bundesrathe zugewiesenen Administrativstreitigkeiten als A u s n a h m e n erscheinen, so ist es wünschenswerth, daß diese Ausnahmen in erschöpfender Weise aufgezählt werden. Wir schlagen daher vor, auch noch die aus Art. 18, Ziffer 3 hervorgehenden Rekurse zu erwähnen, von denen in der Botschaft des Bundesrathes die Rede ist. Sollte man dagegen einwenden, es sei selbstverständlich, daß derartige Rekurse nicht vor's Bundesgericht gehören, so läßt sich darauf erwiedern, man könnte ganz das Nämliche auch von den, auf das Schulwesen der Kantone bezüglichen Beschwerden sagen.

Was das wichtige Gebiet des Niederlassungswesens betrifft, so müssen wir, da es in der Botschaft des Bundesrathes nicht ausdrüklich geschehen ist, hervorheben, daß nach dem Entwurfe, dem.

wir in dieser Hinsicht beistimmen, nicht bloß Rekurse aus Art. 46 und 48, sondern auch solche aus Art. 45 der Bundesverfassung dem Bundesgerichte zugewiesen werden. Dasselbe wird sich also mit allen Beschwerden zu beschäftigen haben,
welche sich auf Verweigerung oder Entzug der Niederlassung, sowie auf Besteurung der Niedergelassenen beziehen, woraus offenbar ein sehr erheblicher Geschäftszuwachs entsteht.

1197 Von großer Wichtigkeit ist die Frage, ob die Beschwerden, welche sich auf dio sogenannten, konfessionellen Artikel beziehen, lurch das Bundesgericht oder durch den Bundesrath und die Bundesversammlung zu entscheiden seien. Wir können uns liier mit dem bundesräthlichen Entwurfe, welcher solche Beschwerden dein Bundesgerichte zuweisen will, nicht einverstanden erklären. Die Art. 49 und 50 enthalten neue, ganz allgemein gehaltene Grundsätze, welche erst durch die Auslegung und Anwendung einen konkretem Inhalt, eine nähere Beziehung zu den realen Verhältnissen gewinnen werden ; da ist es gewiß besser, wenn der oberste Entscheid der gesezgebenden Behörde selbst, zusteht, welche sich mit größerer Freiheit bewegen kann als ein Gerichtshof. Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß gegenwärtig in der Schweiz, wie die Verhältnisse, nun einmal vorliegen, die konfessionellen Fragen sehr oft politische Fragen sind.

Ueberweisen wir dieselben dem Bundesgerichte, so werten wir diese Behörde, welche wir den Strömungen der Tagespolitik entziehen wollten, wieder mitten in den Strudel derselben hinein und berauben sie damit derjenigen Autorität, deren sie unumgänglich bedarf, wenn die neue Institution gedeihen soll. Es ist auch noch zu berüksichtigen, daß manche Beschwerden, welche sich auf Beeinträchtigung der Glaubens- oder Kultusfreiheit beziehen, nicht anders als im Zusammenhange mit Art. 50, Lemma 2 behandelt werden können, welcher den Kantonen nicht minder Rechte auf dem konfessionellen Gebiete zutheilt, als solche in den übrigen Bestimmungen der fraglichen Artikel zu Gunsten der einzelnen Bürger aufgestellt sind. Das Bundesgericht könnte daher nach dem Entwurfe des Bundesrathes leicht in den Fall kommen, zu entscheiden, ob die, von einer Regierung im Interesse der Handhabung der öffentlichen Ordnung oder des konfessionellen Friedens getroffenen Verfügungen als gerechtfertigt erscheinen oder nicht, -- ein Entscheid, der gewiß nicht in den Geschäftskreis eines Gerichtshofes fallen kann, du es nicht rechtliche Momente sind, welche hier den Aussehlag geben müssen.

Die Mehrheit der Kommission schlägt Ihnen daher vor, die.

Handhabung der Art. 49 und 50 der Bundesverfassung in die Kompetenz des Bundesrathes und der Bundesversammlung zu legen, jedoch mit Ausnahme: a. von Art. 49, Lemma (i, betreffend Steuern für
kirchliche Zweke, -- b. von Art. 50, Lemma 3, soweit diese Bestimmung sich auf Anstände aus dorn Privat rechte bezieht, welche bei der Bildung oder Trennung von Religionsgenossenschaften entstehen können. In diesen zwei Kategorien von Fällen, wo das öffentliche mit dem Privatrechte sich berührt, soll das Bundesgericht entscheiden.

O

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1198 Eine Minderheit der Kommission hingegen will bezüglich der konfessionellen Artikel dem Entwurfe des Bundesrathes beistimmen.

Eine letzte Differenz, welche sich bei Art. 53 ergeben hat, besteht darin, daß der Entwurf des Bundesrathes unter den Artikeln der Bundesverfassung, in Folge deren Bundesgeseze administrativen Inhaltes zu erlassen sind, auch den Art. 24, betreffend Wasserbauund Forstpolizei im Hochgebirge, erwähnt, während in diesem Artikel von einem zu erlassenden Bundesgeseze nicht die Rede ist.

Wir glauben daher, es solle dieses Citât gestrichen werden.

Da uns die Artikel 54 bis 57 des Entwurfes keinen Stoff zu weitern Bemerkungen darbieten, so können wir hier uusern Bericht schließen, unter nochmaliger Verweisung auf die buüdesräthliche Botschaft hinsichtlich aller derjenigen Punkte, in denen wir mit dem Entwurfe einig gehen.

B e r n , den 8. Juni 1874.

Namens der Kommission, Der B e r i c h t e r s t a t t e r :

Dr. J. J. Blumer.

1199

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Bericht des

Schweiz. Konsuls in Bahia (Hrn. Emil Kohler, von Lausanne) über das Jahr 1873.

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

W i t t e r u n g s v c r h ä l t n i s s e und La n d w i r t h s c h a f t lich es im Allgemeinen.

Das Jahr 1873 war außerordentlich feucht. Nach der Winterzeit (April bis August) dauerten die Regengüsse fort und der Sommer war sehr regnerisch ; auch hat die Ernte, welche viel versprach, stark darunter gelitten.

Die Provinzialkammern vom Jahre 1873 bestimmten gewisse, Vergünstigungen, welche einem Kreditinstitut gewährt wurden .sollten, das den ausschließlichen Zweck hätte, dem Ackerbau behülflich MI «ein. (Bis auf den heutigen Tag ist jedoch nichts dergleichen gegründet worden.) Obenein äußerte sich der Präsident, dahin, dass eine solche, Gründung die. heruntergekommenen Pflanzer zwar nicht, retten, wohl aber ein Palliativ gegen die Uebelstände wein werde, bis zur Zeit wo (une neue, im Geiste der Oekonomie und Praxis Anmerkung.

Das Produktionsjahr läuft vom 1. Okt. 1872 bis 30. Sept. 1873.

,, Finanzjahr ,, ,, 1. Juli ,, ,, 30. Juni ,, Rs. bedeutet Eeis. Man rechnet nach 1000 Reis Fr. 2. 77. 360 Reis gehen durchschnittlich auf Fr. 1.

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Bericht der ständeräthlichen Kommission über den Gesetzesentwurf, betreffend Organisation der Bundesrechtspflege. (Vom 8. Juni 1874.)

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20.06.1874

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