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Kreisschreiben des

Bundesrates an die Kantonsregierungen über die Verwendung von normiertem Strassenteer im schweizerischen Strassenbau.

(Vom 24. Oktober 1939.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Unser Departement des Innern hat mit Kreisschreiben vom 8. Juli 1938 das Ersuchen an die Baudirektionen aller Kantone gerichtet, im Interesse der Beschaffung kriegswirtschaftlich notwendiger Stoffe in vermehrtem Masse Strassenteer als Bindemittel für die Beläge der Kantonsstrassen zu verwenden.

Die Gründe, die zu jenem Ersuchen geführt haben, sind im Kreisschreiben angegeben worden, und es hat das Departement des Innern beigefügt, dass es sich vorbehalten müsse, im Ausbau der Alpenstrassen gegebenenfalls auf Grund von Art. 4, AI. 3, des Bundesbeschlusses vom 4. April 1935 über den Ausbau der Strassen und des Strassennetzes im Alpengebiet im Genehmigungsverfahren die Frage der anzuwendenden- Beläge von der Zustimmung der Bundesbehörde abhängig zu machen.

Das Kreisschreiben vom 8. Juli 1938 hat keine merkliche Steigerung der Verwendung von Strassenteer gebracht. Diese Tatsache einerseits, die ernste Lage, die auch für die Schweiz aus den gegenwärtigen internationalen Verwicklungen entstanden ist, und die Bedürfnisse unserer Landesverteidigung anderseits veranlassen uns, auf die Angelegenheit zurückzukommen und die nachfolgend nochmals dargelegten Verhältnisse dringend Ihrer Beachtung zu empfehlen.

Eine Eeihe kriegswirtschaftlich wichtiger Ausgangsstoffe, deren ausreichende Beschaffung auf dem Wege des Importes sich zufolge der europäischen Entwicklung immer schwieriger gestaltet, lässt sich im Lande selbst nur im Prozess der Aufarbeitung des Eohteers der schweizerischen Gaswerke auf kriegswirtschaftlich wichtige Produkte und normierten Strassenteer gewinnen.

Der Verband Schweizerischer Gaswerke hat sich mit Rücksicht auf diese Bedürfnisse unserer Landesverteidigung bereit erklärt, die Gewinnung dieser Produkte zu organisieren, sofern für den sich ergebenden Strassenteer der erforderliche Absatz geschaffen werden kann. Er hat diesen ganzen Fabrikationsprozess bei der Schweizerischen Teerindustrie AG. in Pratteln zentralisiert. Vom 1. Januar 1940 an wird der gesamte jährliche Eohteeranfall der bedeutendsten schweizerischen Gaswerke in Pratteln auf Strassenteer verarbeitet, indem vom genannten Zeitpunkt an auch die Destillationsanlagen des

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Gaswerkes Zürich stillgelegt werden, worauf dessen Höh teer ebenfalls in Prattem zur Verarbeitung gelangt. Von den bisher jährlich für Schwarzbeläge verbrauchten rund 42 000 t Bindemitteln waren 15 000--18 000 t Strassenteer, der Best Asphalt. Um den Erfordernissen der Kriegswirtschaft genügen zu können, muss der Absatz von Strassenteer auf jährlich 25 000 t gesteigert werden.

Die grosse Bedeutung des bei der Eohteeraufarbeitung unter anderem gewinnbaren Toluols für die Sprengstoffherstellung ist bereits durch die Verfügung unseres Volkswirtschaftsdepartements vom 6. September 1939 über das Verbot der Veräusserung und Verwendung von Toluol ins Licht gerückt worden.

Als weitere wichtige Zwischenprodukte werden gewonnen Benzol, Naphtalin, Phenol, Kresol und verschiedene Teeröle. Benzol ist als Aufbesserungsmaterial für Kraftstoffe sowie als höchstwichtiges Ausgangsmaterial für die Farbstoffindustrie und für die Herstellung pharmazeutischer Produkte von grösster Bedeutung. Naphtalin bildet gleichfalls ein wichtiges Ausgangsmaterial für die Herstellung von Teerfarbstoffen; Phenol und Kresol sind unter anderem für die Herstellung von Kunstharzen und Desinfektionsmitteln unentbehrlich. Die verschiedenen Teeröle kommen als Treibstoffe für Dieselmotoren sowie als Heizöle in Frage.

Ist die Versorgung unserer chemischen Industrie und unserer Armee mit wichtigen Hilfsstoffen wesentlich von der Aufarbeitung des Eohteers abhängig, so liefert diese anderseits Strassenteere, für deren Eigenschaften und Verwendbarkeit gerade infolge der Zentralisierung und systematischen Überwachung der Herstellung in Pratteln bereits seit geraumer Zeit alle Gewähr geboten wird. Gegenwärtig erscheinen zudem die Teernormen der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachmänner, die durch die von dieser Vereinigung eingesetzte Kommission für Baustoffe ausgearbeitet worden sind. Die weitere Fabrikation von Strassenteer in Pratteln wird gemäss den in diesen Normen verlangten Teertypen erfolgen. Die gegenüber der vermehrten Verwendung von Teer im Strassenbau da und dort noch vorhandenen Bedenken, die auf Misserfolgen aus der früheren Verwendung von Eohteer bzw. von ungeeignetem Strassenteer beruhen, haben ihre Berechtigung verloren. Der Strassenbauer kann ·heute den für den jeweiligen Fall geeignetsten Strassenteer in bestimmter,
gleichbleibender Qualität innert kürzester Frist geliefert erhalten. Überdies stehen die schweizerischen Materialprüfungsanstalten dem Strassenbauer zur raschen Kontrolle gelieferter Teerqualitäten zur Verfügung, wodurch dem Bauherrn eine weitere Garantie für zuverlässiges Material geboten wird, während anderseits bei einwandfreiem Bindemittel die Verantwortlichkeit des Unternehmers für sachgemässe Bauausführung eindeutig feststellbar ist.

Unser Departement des Innern hat Gewicht darauf gelegt, dass gegenüber der grösseren Eücksichtnahme auf die Witterungsverhältnisse, die beim Einbau von Teer- und Teerasphaltbelägen erforderlich ist, ein gewisser Ausgleich in der Preisgestaltung des Strassenteers geschaffen werde. Auf dahingehende

491 Schritte des Departements hat der Verband Schweizerischer Gaswerke den Preis für Strassenteer um Fr. l. 20 pro 100 kg gesenkt. Es kostet der Strassen teer nunmehr Fr. 9.35 pro 100 kg ab Automobiltanklager Pratteln bzw.

Fr. 8.85 im Eisenbahnkesselwagen ab Pratteln. Die Preise sind damit von der schweizerischen Teerindustrie auf das wirtschaftlich tragbare Minimum herabgesetzt worden.

Der Kanton Graubünden führt bereits seit einigen Jahren Schwarzbeläge nach dem Prinzip eines hohlraumarmen Teerasphaltbetons aus, dessen Bindemittelgehalt aus 67 % genormten Strassenteers von Pratteln und 38 % Asphalt, welche in Form bituminierten Filiers zugegeben werden, besteht. Die Eauhigkeit dieser Beläge gestattet deren Anwendung bis zu Steigungen von 10 %.

Auch anderwärts sind fillerisierte Teerasphaltbeläge in Ausführung begriffen.

Die Kantone Baselland und Solothurn haben mit hochprozentigen bis reinen Teerbelägen in fünfjährigem Gebrauch sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch die Kantone Waadt, Wallis, Neuenburg und Tessin bauen Schwarzbeläge mit hohem Teergehalt. Ob die Erhöhung des Teeranteils nun nach- dem Konstruktionsprinzip von Filierbelägen oder durch zweischichtigen Einbau mit vorzugsweiser Verwendung von Teer in der Unterschicht oder endlich durch einschichtigen Einbau eines entsprechend dosierten Mischbelages erfolgen soll, steht dem Strassenbauer frei. Er mag dabei nach seiner persönlichen Erfahrung unter Würdigung der regionalen klimatischen Faktoren, der Eigenschaften des ihm zur Verfügung stehenden Gesteinsmaterials und der Verschiedenartigkeit des die Beläge beanspruchenden Verkehrs entscheiden. Die sofortige Befahrbarkeit, die namentlich bei zweischichtigem Einbau mit härterer Oberschicht und bei fillerisierten Belägen vorhanden ist, hat sich unter anderem auch als Vorteil im städtischen Strassenbau .erwiesen. Zugleich gestattet die erhöhte Verwendung von Teer als Bindemittel eine Senkung der Preise städtischer Beläge.

Der Nachweis, dass mit Verwendung eines hohen Anteiles von genormtem Strassenteer am Gesamtbindemittelbedarf qualitativ vollwertige Beläge preiswürdig erstellt werden können, ist heute durch die Praxis erbracht, die Forderung vermehrter Verwendung von Strassenteer also auch bautechnisch berechtigt.

In Ansehung dieser Tatsachen und in Würdigung der unbedingten Notwendigkeit,
die Versorgung des Landes mit kriegswirtschaftlich wichtigen Ausgangsstoffen zu sichern, gestützt auf Art. 4, AI. 3, des Bundesbeschlusses vom 4. April 1935 betreffend den Ausbau der Strassen und des Strassennetzes im Alpengebiet und Art. 7 des Bundesgesetzes vom 1. April 1938 über die Sicherstellung der Landesversorgung mit lebenswichtigen Gütern, haben wir beschlossen: 1. Die Ausrichtung der Bundesbeiträge: 'an Alpenstrassen auf Grund des Bundesbeschlusses vom 4. April 1935 über den Ausbau der Strassen und des Strassennetzes im Alpengebiet,

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an dem Automobilverkehr dienende öffentliche Strassen auf Grund des Bundesbeschlusses vom 21. September 1928 betreffend die Ausrichtung von Bundesbeiträgen an die Kantone für die Automobilstrassen, an Strassenbauten auf Grund der mit Bundesbeschluss vom 6. April 1989 betreffend den weitern Ausbau der Landesverteidigung und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bewilligten Kredite wird an die Bedingung geknüpft, dass in allen vom Zeitpunkt dieses Beschlusses an zur Ausführung gelangenden Schwarzbelägen mindestens fünfzig Gewichtsprozente des gesamten Bindemittelbedarfes aus normiertem Strassenteer bestehen.

2. Die Anrechenbarkeit von Kantonsbeiträgen an Bezirks-, Gemeinde-, Korporations- und ähnliche dem Automobilverkehr dienende Strassen zugunsten des Benzinzollanteiles der Kantone wird davon abhängig gemacht, dass die Kantone die Bauherren der fraglichen Strassen verpflichten, die in Ziffer l gegebene Eichtlinie für die Teerverwendung bei Erstellung von Schwarzbelägen auf ihren Strassen zu beachten.

3. Die Kantone haben die Erfüllung der Bedingungen l und 2 nachzuweisen.

Falls die Erfahrung ergibt, dass zweckmässig Wegleitungen erteilt werden sollen, so ist das Departement des Innern im Einvernehmen mit dem Volkswirtschaftsdepartement hierfür zuständig.

4. Im Zeitpunkt dieses Beschlusses bereits abgeschlossene Bauverträge für demnächst auszuführende Beläge sind, sofern die Prüfung der kantonalen Behörde zur Feststellung führte, dass die Belagserstellung nachträglich nicht mehr den Ziffern l und 2 hiervor angepasst werden kann, vor der Belagsausführung den zuständigen eidgenössischen Fachabteilungen mit dem motivierten Gesuche anzumelden, es möchte für diese Verträge eine Ausnahme zugelassen werden.

5. Eine Abänderung des in Ziffer l festgesetzten Minimalanteiles der Strassenteerverwendung am Gesamtbindemittelgehalt bleibt unter, veränderten Verhältnissen vorbehalten. Das eidgenössische Departement des Innern ist hiefür zuständig.

Wir lassen Ihnen den vorliegenden Beschluss in vierfacher Ausfertigung zugehen. Im Bedarfsfalle sind weitere Exemplare beim eidgenössischen Oberbauinspektorate erhältlich.

Wir benützen denAnlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, mit uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

Bern, den 24. Oktober 1939.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Etter.

155t

Der Bundeskanzler:

G. Bovet.

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Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen über die Verwendung von normiertem Strassenteer im schweizerischen Strassenbau. (Vom 24. Oktober 1939.)

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1939

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25.10.1939

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489-492

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