Schweizerische Asylrekurskommission: Aspekte der Verfahrenspraxis # S T #

Bericht der Geschäftsprüfungskommission

des Nationalrates i

vom 22. August 1996

Bericht l

Ânlass und Vorgehen

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates hat sich seit 1987 eingehend mit den rechtsstaatlichen Anforderungen an das Asylverfahren befasst. Im Inspektionsbericht vom 5. Mai 1994 hat sie letztmals ihre Schlussfolgerungen dargelegt und Empfehlungen zuhanden des Bundesrates abgegeben. Im Februar 1996 hat sie die Staatspolitische Kommission des Nationalrates gebeten, die Erkenntnisse aus der Inspektionstätigkeit der Geschäftsprüfungskommission in die Vorberatung der Totalrevision des Asylgesetzes einfliessen zu lassen und den noch offenen Fragen besondere Beachtung zu schenken.

Die Geschäftsprüfungskommissionen erhalten zahlreiche Hinweise, die sie bei der Ausübung der Oberaufsicht verwerten. In den vergangenen Jahren war ein Schwergewicht bei den Aufsichtseingaben im Asylbereich (Vollzug des Asylgesetzes und Rechtsprechung der Schweizerischen Asylrekurskommission} auszumachen. Zahlreiche Eingaben gegen die Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) machten inhaltlich gleichgerichtete Einwände geltend, so dass sich die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates die Frage stellte, ob die im Jahre 1991 geschaffene Asylrekurskommission funktionsgerecht organisiert ist und zweckmässig geführt wird. Bereits in einer früheren Phase hat die Geschäftsprüfungskommission die ARK auf die Bedeutung einer einheitlichen Rechtsprechung hingewiesen. In concreto geht es der Geschäftsprüfungskommission darum, anhand der ihr unterbreiteten 47 Einzelfälle allgemeine Problembereiche zu orten und die politischen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Die Geschäftsprüfungskommission beauftragte Professor Dr. Walter Kälin (Seminar für öffentliches Recht der Universität Bern), die während eines gewissen Zeitraums eingegangenen Aufsichtseingaben insbesondere unter den Aspekten der Begründungsqualität und Verfahrensmängel auszuweiten. Professor Kälin stellte sein Rechtsgutachten der Geschäftsprüfungskommission am 6. November 1995 zur Verfügung, zu welchem die ARK am 30. Januar 1996 schriftlich Stellung nahm.

Die Sektion Behörden ') der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission informierte sich anlässlich eines Dienststellenbesuchs bei der ARK vor Ort über die Tätigkeit der Rekurskommission. Die Sektion diskutierte sodann das Gutachten an der Sitzung vom 4./5. Juli 1996 im Beisein des Gutachters und des Präsidenten

'* Mitglieder der Sektion sind: Nationalrat Alexander Tschäppät (Präsident), Nationalrätinnen Angeline Fankhauser, Christiane Langenberger, Milli Witlenwiler, Nationalräte Pierre Aguet, Hubert Lauper, Fulvio Pelli, Walter Schmied und Luzi Stamm 1997-225

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sowie der sieben Kammerpräsidenten der ARK. Ebenfalls teilgenommen haben je ein Vertreter der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und Caritas Schweiz.

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Arbeitsweise und Kompetenzen der Geschäftsprüfungskommission

Die Geschäftsprüfungskommission orientiert sich nicht am Einzelfall, sondern an den hinter den einzelnen Eingaben stehenden allgemeinen Fragestellungen und Problemkreisen. Sie interessiert sich bei der Wahrnehmung der Oberaufsicht weniger für den konkreten Fall als für die Lehren, die daraus für die künftige Entwicklung der Verwaltungspraxis oder -Strukturen gezogen werden können (siehe Leitbild der Geschäftsprüfungskommissionen vom 20. Jan. und 7. April 1995).

Aus Gründen der Gewaltenteilung kann die Geschäftsprüfungskommission die einzelnen Urteile der ARK als unabhängige richterliche Instanz nicht einer inhaltlichen Prüfung unterziehen. In diesem stark begrenzten Rahmen befasst sich die Geschäftsprüfungskommission mit der Frage, ob den Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern der gleiche Zugang zur ARK gewährt werde oder ob fundamentale Verfahrensgrundsätze (z. B. Verbot der formellen Rechtsverweigerung, Anspruch auf rechtliches Gehör) verletzt werden.

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Allgemeine Fragestellungen der Aufsichtseingaben

Nachfolgend wird den Ergebnissen des Gutachtens zu den mit den Aufsichtseingaben aufgezeigten Problemfeldern jeweils die Stellungnahme der ARK hinzugefügt.

Letztere ist angesichts der relativ begrenzten Anzahl untersuchter Fälle für eine Beurteilung ausschlaggebend, ob es sich lediglich um Einzelfälle handelt oder Rückschlüsse auf problematische Fragen gemacht werden können, 31

Begründungsdichte der Entscheide der ARK

Mehrere Aufsichtseingaben rügen Mängel in der Begründung gewisser Entscheide der ARK.

Die Begründung dient der Herstellung der Legitimität der Entscheidung und erhöht die Akzeptanz bei den Betroffenen. Sie versetzt die Adressaten in die Lage, den Entscheid in Kenntnis seiner Tragweite eventuell anzufechten. Sie entspricht dem

Abkürzungsverzeichnis ARK AsylG BB1 BFF OG SR VoARK VwVG 698

Schweizerische Asylrekurskommission Asylgesetz vom 5. Oktober 1979 (SR 142.31) Bundesblatt Bundesamt für Flüchtlinge Bundesrechtspflegegesetz (SR 173.110) Systematische Rechtssammlung Verordnung vom 18. Dezember 1991 über die Schweizerische Asylrekurskommission (SR 142.317) Verwaltungsverfahrensgesetz (SR 172.021)

legitimen Informationsbedürfnis des Betroffenen zu wissen, weshalb eine Behörde diesen und keinen anderen Entscheid getroffen hat. Zudem kann die Behörde selbst die Richtigkeit des Ergebnisses anhand der Begründung überprüfen.

Während das Gesetz keine Anforderungen an die erforderliche Dichte der Begründung enthält, lassen sich der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Artikel 4 der Bundesverfassung Anhaltspunkte entnehmen. Wie detailliert ein Entscheid konkret sein muss, hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab.

Gemäss Gutachten haf sich die ARK unter Vorbehalt gesetzlicher Ausnahmeregelungen an die bundesgerichtlichen Vorgaben zu halten. Das Bundesgericht stellt umso höhere Anforderungen an die Begründung eines Entscheides, je grösser der Ermessensspielraum der Behörde und je stärker der Eingriff in die individuellen Rechte ist. Der Gutachter folgert daraus, dass die Anforderungen an die Begründungspflicht im Asyl- und Wegweisungsverfahren tendenziell eher hoch sind, «da sich hier (v. a. im Bereich der Sachverhaltsermittlung) Probleme von erheblicher Komplexität stellen, das Verfahren durch eine weitgehende Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe geprägt ist und hohe Rechtsgüter auf dem Spiel stehen»2>, Auch der Bundesrat verlangt im Asylbereich 'eine besonders sorgfältige Begründung 3>.

Ob die ARK diesen Anforderungen an die Begründungsdichte tendenziell genügt, konnte der Gutachter aufgrund der ihm zur Verfügung gestellten wenigen Einzelfälle nicht beurteilen.

Stellungnahme der ARK Die ARK äussert sich in verschiedenen Entscheiden zur Frage der Begründungsdichte. Sie stelle im wesentlichen dieselben Anforderungen an die Begründung ihrer Entscheide, wie sie im Rechtsgutachten von Professor Kälin aufgestellt sind.

Für einzelne Fragen hat sie interne Richtlinien erlassen (z. B, betreffend der Begründungspßtcht bei Ablehnung der unentgeltlichen Rechtspflege).

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Einzelrichterentscheide Allgemeines

In mehreren Aufsichtseingaben gibt die Handhabung von Artikel 10 der Verordnung über die Asylrekurskommission (VoARK)4' Anlass zu Beanstandungen.

Gemäss dieser Bestimmung werden u. a. offensichtlich unbegründete Beschwerden durch den Einzelrichter entschieden. Es wird geltend gemacht, dass Kriterien für den Begriff der «offensichtlich unbegründeten Beschwerde» fehlen und das entsprechende Verfahren zu extensiv angewendet wird.

Artikel 71 b Absatz 2 5> des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 772.027) sieht vor, dass Eidgenössische Rekurs- und Schiedskommissionen grundsätzlich in der Besetzung mit drei Richtern entscheiden. Fünf Richter sind an einem Entscheid über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu

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Gutachten S. 4 > BEI 1989 II 329, Ziff. 113

'·> Verordnung vom 18. Dezember 1991 über die Schweizerische Asylrekurskommission; S)

S R 142.317 Dieser Artikel wurde im Rahmen der Revision der Bundesrechtspflege am 4. Oktober

1991 eingefügt.

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beteiligen. Sodann kann das Bundesrecht den Einzelrichter vorsehen. Im Asylbeschwerdeverfahren wurde der Einzelrichter durch Artikel 10 VoARK eingeführt, den der Bundesrat gestützt auf die Delegationsnorm in Artikel 11 Absatz 4 des Asylgesetzes (AsylG)6' erlassen hat. Die Richter entscheiden gemäss Artikel 10 VoARK in folgenden Fällen als Einzelrichter: a. Abschreibung von Beschwerden infolge Gegenstandslosigkeit; b. Nichteintreten auf offensichtlich unzulässige Beschwerden; c. Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden; d. Gutheissung offensichtlich begründeter Beschwerden.

Soweit es sich um offensichtlich unbegründete Beschwerden handelt, entscheidet der Einzelrichter im vereinfachten Verfahren gemäss Artikel 46d AsylG. Gemäss dieser Bestimmung kann auf den Schriftenwechsel verzichtet werden und der Beschwerdeentscheid ist summarisch zu begründen.

Das Gutachten äussert sich sowohl zur Frage, wann eine Beschwerde offensichtlich unbegründet und damit im Einzelrichterverfahren zu behandeln ist als auch zur Häufigkeit des einzelrichterlichen Verfahrens.

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Kriterien einer offensichtlich unbegründeten Beschwerde

Der Begriff der «offensichtlich unbegründeten Beschwerde» wird im Gesetz nicht definiert. Da das Bundesgericht nicht begründet, wann eine Beschwerde im vereinfachten Verfahren nach Artikel 36a des Bundesrechtspflegegesetzes (OG)7> behandelt wird, lassen sich auch der Praxis keine Anhaltspunkte entnehmen, unter welchen Umständen eine Beschwerde offensichtlich unbegründet ist. Diese Frage kann gemäss Gutachten nur im Einzelfall beurteilt werden. Unter den allgemeinen Attributen «klar ins Auge springend», «klar auf der Hand liegend» oder «keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit der vorinstanzlichen Verfügung zulassend», ist eine Beschwerde gemäss gutachterlichen Ausführungen etwa dann offensichtlich unbegründet, wenn - aufgrund einer summarischen, wenn auch genauen Prüfung von vornherein keine Chancen auf eine Gutheissung bestehen; - die vom Gesuchsteller vorgebrachten Argumente a priori nicht geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit des Entscheides der Vorinstanz aufkommen zu lassen; - der vom BFF ermittelte Sachverhalt nicht bestritten wird, sondern lediglich die Rechtsauffassung des BFF angefochten wird, die sich allerdings als gesetzeskonform erweist bzw. mit der konstanten und gefestigten Praxis der ARK übereinstimmt, und die Beschwerde keine neuen juristischen Argumente enthält, mit denen sich der Richter auseinanderzusetzen hat; - sich im Verlaufe des Verfahrens erweist, dass wesentliche Beweismittel gefälscht sind; - die Vorbringen offenkundig und in wesentlichen Punkten den Tatsachen nicht entsprechen; - sich die Situation im Herkunftsland wesentlich zum besseren gewandelt hat oder das Land in der Zwischenzeit vom Bundesrat zum safe country erklärt worden ist und die Beschwerde keinerlei Anhaltspunkte enthält, dass im Einzelfall trotzdem Gefahr für den Beschwerdeführer besteht;

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> Asylgesetz vom 5. Oktober 1979, SR 142.31 SR 173.110

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- wie die Botschaft zu Artikel 46d AsylG ausführt - wirtschaftliche Gründe geltend gemacht werden oder die Vorbringen sich auf allgemeine Berichte über das Herkunftsland stützen und nicht auf Individuai Verfolgung schliessen lassen und die ARK die Rückschaffung in dieses Land als zumutbar erachtet.

Umgekehrt ist vereinfachtes Verfahren u. a. dann kaum am Platze, wenn - die Beschwerde umfassend und detailliert den Entscheid der Vorinstanz in Zweifel zieht, dabei neue Beweismittel nennt, Widersprüche im Vorverfahren einigermassen plausibel erklärt oder auf eine veränderte Situation im Herkunftsstaat oder in der Herkunftsregion eingeht; - die Beschwerde sich auf mehreren Seiten minutiös mit Argumenten und Rechtsfragen der angefochtenen Verfügung auseinandersetzt; - schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind; - ein Asylbewerber aus einem Land kommt, in das wegen der dort herrschenden Situation kaum Personen zurückgeschafft werden oder er zu einer Personengruppe/Minderheit gehört, bei der in der Regel von. einer Wegweisung abgesehen wird. Mit anderen Worten darf sich Unbegründetheit nicht nur auf den Asylpunkt beziehen, sondern muss auch den Wegweisungspunkt umfassen.K> Stellungnahme der ARK Die ARK hält die im Gutachten aufgeführten allgemeinen Kriterien für geeignet, um den Begriff der «offensichtlich unbegründeten Beschwerde» zu umschreiben.

Sie weist darauf hin, dass sie diese seit Beginn ihrer Tätigkeit (seit April 1992) anwendet. Hingegen dürfen diese Kriterien nicht schematisch angewendet werden, sondern sind den Besonderheiten des Einzelfalles entsprechend hinzuzuziehen. Da der Begriff einen grossen Ermessensspielraum offen lässt, sind unterschiedliche Beurteilungen in dieser Frage unvermeidlich.

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Anzahl der vereinfachten Verfahren gemäss Artikel 46d AsylG

Aufgrund offizieller statistischer Angaben der ARK errechnete der Gutachter, dass die ARK im Jahre 1993 bzw. 1994 mehr als 85 Prozent bzw. fast 90 Prozent der Urteile im vereinfachten Verfahren fällte. Nach Einsicht in die Detailstatistik der ARK in ihrer schriftlichen Stellungnahme hält der Gutachter an seiner ursprünglichen Berechnungsweise nicht mehr fest. Trotz den vorhandenen Berechnungsproblemen und dem schwierigen statistischen Vergleich mit den Zahlen des Bundesgerichtes 'erscheint dem Gutachter die hohe Zahl an vereinfachten Verfahren bei der ARK erstaunlich. Es sei nur schwer vorstellbar, dass nur so wenige Beschwerdeführer etwas vorzubringen hätten, was genauerer Abklärung bzw. ernsthafter Befassung bedarf.

Gemäss Gutachten lassen sich sodann Befürchtungen nicht ausseht iessen, dass das Einzel richterverfahren über Gebühr beansprucht wird.

Stellungnahme der ARK Durch eine vom Gutachten abweichende Berechnung kommt die ARK zum Schluss, dass 1993 60 Prozent und 1994 65 Prozent der Entscheide im vereinfachten Verfahren nach Artikel 46d AsylG ergingen. Darin enthalten sind allerdings K

> Gutachten, S. 9 f.

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nur die einzelrichterlichen Abweisungen (d.h. Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden gemäss Art. 10 Bst. c VoARK).

Die ARK anerkennt, dass das Gutachten hinsichtlich des Verfahrens nach Artikel 46A AsylG auf einen problematischen Punkt hingewiesen hat. Einige Richter teilen die Auffassung des Gutachters, dass der Anteil vereinfachter Verfahren bei offensichtlicher Unbegründetheit gemäss Artikel 46d AsylG und damit materieller Einzelrichterentscheide zu gross ist. Unter der damaligen politischen Erwartung, die Pendenzen so rasch als möglich abzubauen, habe die ARK zu viele Verfahren als Einzelrichterentscheide abgewickelt. Gleichzeitig seien diese Entscheide ausführlicher begründet worden, als es das vereinfachte Verfahren gemäss Artikel 46d AsylG vorsieht, mit dem die Rekurskommission nur von offenkundigen Fällen entlastet werden sollte.

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Beweispraxis der ARK Recht auf Beweis

Nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrens muss die ARK die ihr angebotenen Beweismittel abnehmen, falls diese zur Abklärung des Sachverhalts tauglich erscheinen. Die ARK kann aber Beweisanerbieten gestützt auf eine antizipierte Beweiswürdigung (Würdigung eines Beweismittels vor seiner Aufnahme) zurückweisen.

Stellungnahme'der ARK Die ARK wendet die antizipierte Beweiswürdigung mit der gebotenen Zurückhaltung und in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung an. Es besteht insbesondere keine Praxis, wonach Beschwerdeführer generell nicht zum Beweis von Tatsachen zugelassen werden, die sie vor dem Bundesamt für Flüchtlingswesen nicht glaubhaft machen konnten.

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Praxis der ARK betreffend Zeugeneinvernahmen

Aufgrund mehrerer Aufsichtseingaben entstand der Eindruck, dass sich die ARK nur in absoluten Ausnahmefällen mit der Abnahme von Zeugenaussagen beschäftigt.

Für den Zeugenbeweis gelten im Verwaltungsverfahren besondere Regeln, die diesem Beweismittel im Vergleich zum Zivil- und Strafverfahren eine untergeordnete Bedeutung beimessen. Gemäss Artikel 14 Absatz l des VwVG kann eine Zeugeneinvernahme nur angeordnet werden, wenn sich der Sachverhalt nicht auf andere Weise hinreichend abklären lässt. Die ARK darf angebotene Beweismittel - so auch Auskünfte von Zeugen - übergehen, falls eine antizipierte Beweiswürdigung ergibt, dass die angebotenen Beweise unerheblich sind. Steht hingegen die Relevanz dieser Beweise für das Urteil fest und lässt sich der Sachverhalt nicht anders erstellen, so hat die ARK angebotene Zeugen ei nzuvernehmen bzw. bei diesen Personen Berichte einzuholen. Obschon eine gewisse Zurückhaltung der ARK gegenüber Zeugeneinvernahmen gesetzeskonform ist, erscheint dem Gutachter die «notorische Praxis der ARK, Zeugen nur in absoluten Ausnahmefällen zuzulassen ,,. problematisch»^.

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> Gutachten S. 20

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Stellungnahme der ARK Die ARK führt nach eigenen Aussagen nur sehr selten Zeugeneinvernahmen durch. In weniger als einem Prozent der Fälle werden Zeugen angeboten. Während der bisherigen Tätigkeit führte die ARK insgesamt sechs bis zehn Zeugenbefragungen durch. Die Erfahrungen mit diesem Beweismittel sind in bezug auf die Eignung unterschiedlich. Die betreffenden Verhandlungen waren in jedem Falle mit sehr grossem Aufwand verbunden. Cemäss ARK liegen die Schwierigkeiten überdies in der fehlenden Infrastruktur für die Durchführung von Zeugeneinvernahmen und darin, dass der Personenkreis der möglichen Zeugen in der Regel stark eingeschränkt ist. Die ARK hat die im Gutachten, enthaltene Kritik zur Kenntnis genommen und zugesagt, dass in geeigneten Fällen weiterhin Zeugeneinvernahmen stattfinden. Einzelne Richter halten Verbesserungen im Rahmen des BeweisVerfahrens für möglich.

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Übertragung der Zeugeneinvernahme an Private

Die Geschäftsprüfungskommission wurde darauf hingewiesen, dass die ARK mitunter Partei Vertreter auffordert, Zeugen selbst zu befragen bzw. Berichte Dritter einzuholen und das Ergebnis zu den Akten zu reichen. Ein solches Dokument stellt beweisrechtlich eine Urkunde mit Aussagen einer .Auskunftsperson - und nicht etwa ein Protokoll einer Zeugeneinvernahme - dar. Es muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass ein solches Dokument bei der Beweis Würdigung weniger Gewicht als eine Zeugeneinvernahme hat. Überdies ist es gemäss Gutachten unzulässig, die Einvernahme von Zeugen an Parteivertreter zu delegieren.

Stellungnahme der ARK Die ARK versichert, dass das im Gutachten kritisierte Vorgehen nicht der Praxis entspricht. Hingegen werde der Beschwerdeführer bzw. dessen Rechtsvertreter auf die Möglichkeit verwiesen, eine schriftliche Erklärung der Auskunftsperson beizubringen und zu den Akten zu geben. Die ARK nimmt die Kritik an dieser Praxis zur Kenntnis und wird ihre Schlüsse daraus ziehen. Insbesondere wird sie den Unterschieden zwischen den Zeugenaussagen und Auskünften Dritter im Sinne des Gutachtens Rechnung tragen.

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Übersetzung fremdsprachiger Urkunden

Gemüss Gutachten müssen die wichtigen und beweiserheblichen Inhalte 'von Amtes wegen übersetzt werden, falls dem Gesuchsteller die Beibringung einer Übersetzung aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann.

Stellungnahme der ARK Die ARK teilt die Auffassung des Gutachters, dass die ARK bei unverschuldeter Mittellosigkeit des Beschwerdeführers eine Übersetzung der fremdsprachigen Dokumente von Amtes wegen vorzunehmen hat. Allerdings kann sie insbesondere bei einem vertretenen Beschwerdeführer genauere Angaben über den Inhalt der Unterlagen verlangen, um über die Notwendigkeit einer integralen oder partiellen Übersetzung zu befinden.

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Zuständigkeit bei Revisionsgesuchen

Das Gesetz gibt keine Antwort auf die Frage, ob dieselbe Kammer der ARK über ein Revisionsbegehren befinden kann, die bereits den in Revision gezogenen Entscheid gefällt hat. Die Ausstandsvorschrift von Artikel 59 VwVG ist gemäss ständiger Rechtsprechung auf Revisionsverfahren nicht anwendbar. Das Gutachten bezeichnet es deshalb als unerwünscht, aber nicht rechtswidrig, wenn Revisionsgesuche von der gleichen Kammer behandelt werden, welche bereits das Urteil gefällt hat.

Stellungnahme der ARK Die ARK trägt diesem Punkt bereits Rechnung, indem sie im Regelfall die Revisionsgesuche einer anderen als der Spruchkammer zuweist.

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Praxis bei der Kostenfestsetzung

Aufgrund einer Aufsichtseingabe nahm das Gutachten zur allgemeinen Frage Stellung, ob der Beschwerdeführer im Revisionsverfahren Verfahrenskosten zu tragen hat, wenn er zwar kein Asyl erhält, aber im Wegweisungspunkt durchdringt, d.h.

die vorläufige Aufnahme erhält. In Anwendung von Artikel 63 VwVG hängt es vom Rechtsbegehren im konkreten Fall ab, ob und in welchem Umfang Verfahrenskosten auferlegt werden dürfen. Wenn der Beschwerdeführer Asyl beantragt hat, unterliegt er und muss grundsätzlich die Kosten tragen. Hat er allerdings nur die Feststellung beantragt, dass die Voraussetzungen des Wegweisungsvollzugs nicht erfüllt seien, dringt er mit seinem Rechtsbegehren durch und es dürfen keine Verfahrenskosten gesprochen werden.

Stellungnahme der ARK Die ARK stimmt diesbezüglich den im Gutachten enthaltenen Ausführungen vollumfänglich zu.

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Datierung von Urteilen

Gemäss Artikel 31 VoARK erlangen die Entscheide der ARK mit ihrer Ausfällung Rechtskraft. Enthält ein Urteil nur ein Datum, so zählt dieses für die Rechtskraft, selbst wenn der Richter damit das Versanddatum meint und es unterlassen hat, das Datum der Urteilsfällung zu bezeichnen.

Stellungnahme der ARK Die ARK hat das Problem schon seit längerer Zeit erkannt und im Sinne der gutachterlichen Ausführungen gelöst.

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Koordination innerhalb der ARK

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates hat die ARK bereits in einer früheren Phase auf die Einheitlichkeit der Rechtsprechung angesprochen und im März 1994 die Antwort erhalten, dass man sich der bestehenden Koordinationsprobleme bewusst ist. Daraufhin hat die ARK einen Koordinationsmechanismus geschaffen. Sie entscheidet vermehrt in der Präsidentenkonferenz über koordina704

tionsbedürftige Fragen. Aufgrund der wenigen Einzelfälle konnte nicht beurteilt werden, in welchem Ausmass bei der ARK noch Koordinationsprobleme bestehen.

Allerdings ist die Koordination gemäss Aussagen der ARK in bestimmten Bereichen (Wegweisung, Ermessensfragen etc.) nach wie vor schwierig und bildet eine stiindige und zentrale Aufgabe.

4 41

Beurteilung durch die Geschäftsprüfungskommission Allgemeine Würdigung

Gesamthaft betrachtet erfüllt die ARK die anlässlich ihrer Schaffung bestehende Forderung nach einem rechtsstaatlichen und raschen Asylverfahren. Die ARK strebt nach einer von Verwaltung und Politik unabhängigen Praxis im Asylbereich.

Im Dienste der Rechtssicherheit hat die ARK seit ihrer Einsetzung wichtige Verfahrens- und materiellrechtliche Fragen im Asylrecht geklärt und eine Reihe von Leitentscheiden getroffen.

In bezug auf die vorliegenden Abklärungen der Geschäftsprüfungskommission bildete das Rechtsgutachten von Professor Kälin eine wertvolle Grundlage für die Bewertung der aufgeworfenen Fragen. Es hat wesentlich dazu beigetragen, aus der Einzelfallanalyse gewisse Tendenzen herauszuarbeiten. Trotz dem einzelfallbezogenen Charakter der durchgeführten Untersuchung stellte sich heraus, dass einige Aufsichtseingaben zurecht auf gewisse Mängel in der Rechtsprechung hinwiesen.

Der methodische Ansatz mit der relativ geringen Anzahl der Aufsichtseingaben hat allerdings seine Grenzen. Die Geschäftsprüfungskommission ist sich bewusst, dass damit nicht ein repräsentatives Abbild der vergangenen oder geltenden Praxis der ARK geliefert werden kann. Sie erachtet jedoch die Aufsichtseingaben als geeigneten Ausgangspunkt, um im Dialog mit der ARK die effektiv vorhandenen Problemfelder aufzudecken.

Im Zusammenhang mit der Stellungnahme der ARK zum Gutachten ergibt sich, dass die ARK zahlreiche problematische Fragen erkannt und in der Zwischenzeit geregelt hat. Erwähnt werden kann hier etwa die Zuständigkeit bei Revisionen oder die Datierung von Urteilen. In anderen Bereichen hat die ARK ihre Praxis im Sinne des Gutachtens bestätigt oder die im Gutachten formulierte Kritik aufgenommen und zum Teil Verbesserungen in Aussicht gestellt (Übertragung von Zeugeneinvernahmen an Private, Übersetzung fremdsprachiger Urkunden, Praxis betreffend Kostenfestsetzung und Zeugeneinvernahmen). Die erwähnten Bereiche verlangen deshalb keine oder keine aktuelle politische Aufarbeitung. Schliesslich muss die Frage offen bleiben, ob die Begründung der Entscheide der ARK den im Asylund Wegweisungsverfahren gestellten erhöhten Anforderungen genügt. Eine Beurteilung der Praxis kann aufgrund der wenigen Einzelfälle nicht vorgenommen werden.

In diesem Sinne beschränken sich die folgenden Ausführungen auf Fragestellungen, die
sich anlässlich der Diskussion des Gutachtens mit der ARK als hauptsächliche Problemfelder herausstellten. Die Geschäftsprüfungskommission hat diesbezüglich untersucht, ob politischer Handlungsbedarf besteht.

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Die einzelrichterlichen und vereinfachten Verfahren der ÂRK

Die ARK fällt einen Grossteil ihrer Urteile durch den Einzelrichter 10>. Dabei handelt es sich grösstenteils um Abweisungen offensichtlich unbegründeter Beschwerden im Sinne von Artikel 10 Buchstabe c VoARK. Diese Entscheide ergehen ihrerseits im vereinfachten Verfahren nach Artikel 46d AsylG ">. Einige Kammerpräsidenten der ARK bestätigten den Eindruck des Gutachters, dass zu viele Entscheide im Einzelrichterverfahren nach Artikel 46d AsylG ergehen.

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Politischer Hintergrund des vereinfachten einzelrichterlichen Verfahrens

DaS vereinfachte Verfahren nach Artikel 46d AsylG wurde mit dem Bundesbeschluss vom 22. Juni 1990 über das Asylverfahren auf Gesetzesebene verankert.

Während die erwähnte Gesetzesbestimmung das einzelrichterliche Verfahren nicht vorsieht, ist dieses in der VoARK vom 18. Dezember 1991 ausdrücklich geregelt (Art. 9 Abs. 3 und Art. 25). Die Gründe, die den Bundesrat zur Einführung des einzelrichterlichen Verfahrens bewegen haben, sind in der Geschäftslast und der Verfahrensbeschleunigung zu sehen. In den Erläuterungen an den Bundesrat zur VoARK wird sogar ausgeführt, dass «dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung durch rasche Entscheidung offensichtlich unbegründeter Beschwerden (...) deren Unterstellung unter den Kollegialentscheid widersprechen» würde. Obwohl der Bundesrat in Artikel 11 Absatz 4 des AsylG ermächtigt wird, weitere Verfahrensvorschriften zu erlassen, fragt es sich, ob das einzel richterliche Asylverfahren nicht besser auf Gesetzesebene zu regeln wäre. Denn beim letztinstanzlichen Einzelrichterentscheid geht es nicht bloss um eine Verfahrensfrage, sondern - wie unter Ziffer 423 noch zu zeigen ist - um grundsätzliche, rechtssystematische Überlegungen.

Indem das einzelrichterliche Verfahren durch die VoARK ausdrücklich vorgesehen wurde, beruht die Verfahrensbeschleunigung nunmehr auf drei Pfeilern: Durch den in Artikel 46d AsylG vorgesehenen Verzicht auf den Schriftenwechsel und die summarische Begründung soll die Behandlungsdauer offensichtlich unbegründeter Beschwerden verkürzt werden12). Der Einzelrichterentscheid gemäss Artikel 10 VoARK soll gegenstandslos gewordene, offensichtlich unzulässige sowie offensichtlich begründete oder unbegründete Beschwerden einer rascheren Entscheidung zuführen.

Die Verkürzung der Verfahrensdauer und die bessere Bewältigung des Pendenzenberges waren bei der Asylgesetzrevision von 1990 und .der Schaffung der 'Asylrekurskommission im Jahre 1991 nicht die einzigen Anliegen von Bundesrat und Parlament. Ebenso wichtig waren die Schaffung einer erhöhten Legitimität der Rechtsprechung sowie ein rechtsstaatliches Verfahren im Äsylbeschwerdebereich.

Aus dem Spannungsfeld der Erwartungen von Öffentlichkeit und Politik, dass das Verfahren rasch, billig und trotzdem qualitativ erstklassig abgewickelt werden muss, lässt sich der Trend in Richtung des vereinfachten
einzelrichterlichen Ver"» 1993 (1994) ergingen von den insgesamt 10095 (9956) Beschwerden/Revisionen 8630 (8855) im einzelrichterlichen Verfahren.

"> 1993 (1994) waren von den insgesamt 8630 (8855) Einzel richterverfahren 6072 (6489) vereinfachte Verfahren.

l2 ' siehe dazu BB1 1990 II 663

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fahrens erklären. Begünstigt wird dieser Trend nicht zuletzt durch den offenen Rechtsbegriff der «offensichtlich unbegründeten Beschwerde», der einer extensiven Auslegung zugänglich ist. Im Zentrum der Diskussion steht für die Geschäftsprüfungskommission daher die Handhabung der Kriterien, die zu einem vereinfachten Verfahren und materiellen Einzelrichterentscheid führen. Es stellt sich zudem die Frage, ob das Gesetz bzw. die bundesrätliche Verordnung richtig angewendet oder in der Praxis zu sehr relativiert wird. Durch die Anzahl der im vereinfachten Verfahren gefällten Einzelrichterentscheide entsteht der Eindruck, dass das Gesetz eher grosszügig ausgelegt wird.

An dieser Stelle sei betont, dass die Geschäftsprüfungskommission das Einzelrichterverfahren als solches nicht in Frage stellt. Es hat durchaus seine Verdienste im Interesse einer raschen Erledigung bestimmter Kategorien von Beschwerden.

Gegenstand der folgenden Betrachtungen ist deshalb nur das einzelrichterliche Verfahren bei Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden (Art. 10 Est. c VoARK). Es stellt sich die Frage, ob und allenfalls wo dieser materielle Einzelrichterentscheid Probleme stellen kann und wie die Betroffenen damit umgehen.

422

Umgang der ARK mit den offensichtlich unbegründeten Beschwerden

Der Gesetzgeber wollte mit Artikel 46d AsylG das vereinfachte Verfahren «auf offensichtlich unbegründete Beschwerden (z.B. Geltendmachen von wirtschaftlichen Gründen; Vorbringen, die sich auf allgemeine Berichte über das Herkunftsland stützen und nicht auf Individuai Verfolgung schliessen lassen, usw.)» °> beschränken. Er beschloss, dass in solchen Fällen zugunsten der Verfahrensbeschleunigung auf eine ausführliche Begründung verzichtet wird.

Gemäss einhelliger Auffassung der Kammerpräsidentinnen und Kammerpräsidenten der ARK werden die Einzelrichterentscheide i. S. von Artikel 10 Buchstabe c VoARK in der Regel zu ausführlich begründet, wenn man von der ursprünglichen Idee der summarischen Begründung in Artikel 46d AsylG ausgeht. Es liegt die von einigen Kammerpräsidentinnen bzw. Kammerpräsidenten bestätigte Vermutung nahe, dass die ARK damit einen Ausgleich zu der hohen Anzahl materieller Einzelrichterverfahren schafft. Die ARK hält die Summarbegründung offenbar in der Mehrzahl der Fälle, die sie im einzelrichterlichen Verfahren behandelt, für nicht angemessen. Daraus resultiert der Kompromiss, durch.die Einzelrichterin bzw. den Einzelrichter zu entscheiden, die Begründung aber ausführlicher zu halten, als es dem Verfahren nach Artikel 46d AsylG entspricht. Damit versucht die ARK letztlich, sowohl dem Anliegen der Verfahrensbeschleunigung, als auch dem Bedürfnis nach erhöhter Legitimität der Entscheidung gerecht zu werden.

Diese Tendenz ist insofern problematisch, als nach heutigem Recht bei einem Fall, den die ARK umfassend zu begründen hat, ein Anspruch auf ein ordentliches Verfahren in der Besetzung mit drei Richtern besteht.

'» BB1 1990 II 663

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Grundsätzliche Problematik des einzelrichterlichen Verfahrens gemäss Artikel 10 Buchstabe c VoARK

Aus der grossen Anzahl der vereinfachten einzelrichterlichen Verfahren darf nicht gefolgert werden, die entsprechenden Beschwerden würden weniger sorgfaltig geprüft oder dieses Verfahren führe zu einem schlechteren Entscheid als das Zirkulationsverfahren unter drei Richterinnen bzw. Richtern. Die ARK weist darauf hin, dass sie die Einzelrichterentscheide ebenso sorgfältig prüft wie die Zirkulationsentscheide. Die potentielle Befürchtung Rechtssuchender, dass im Einzelrichter- bzw.

vereinfachten Verfahren nur summarisch geprüft wird, geht demnach ins Leere.

Hinter den Vorbehalten einiger Rechtssuchender gegenüber dem einzelrichterlichen Verfahren stehen allerdings psychologisch ernst zu nehmende Barrieren gegenüber einem Einzelrichter.entscheid. Die Geschä'ftsprüfungskommission hält es für wahrscheinlich, dass die Akzeptanz zunimmt, wenn das vereinfachte Verfahren durch drei Richterinnen bzw. Richter durchgeführt wird.

Sodann ergeben sich aus den Besonderheiten des Asylbeschwerdeverfahrens nach Auffassung der Geschäftsprüfungskommission zusätzliche Anforderungen an den Verfahrensstandard. Da der Erledigungsdruck in diesem Bereich hoch ist und aus guten Gründen ein zügiges Verfahren angestrebt wird, sind gewisse Verfahrensmechanismen einzubauen, die gewährleisten, dass die qualitativen Anforderungen neben den quantitativen Gesichtspunkten nicht zu kurz kommen. Eine gewisse Kontrolle kann hier das Kollegium schaffen, das quasi ein Gegengewicht zur grossen Geschä'ftslast bildet.

Die eigentliche Kernproblematik betrifft die Frage der Ausgestaltung der Justiz. In der Schweiz herrscht die Auffassung vor, dass die letzte Entscheidinstanz ein Kollegium sein sollte. Das Bundesgericht sowie das Eidgenössische Versicherungsgericht entscheiden auch im vereinfachten Verfahren nach Artikel 36a OG in der Besetzung mit drei Richtern. Auf kantonaler Ebene entscheiden in den meisten obersten Instanzen Kollegien. In diesem Sinne ist ein Einzel richterentscheid bei einem letztinstanzlichen Gericht gewissermassen systemwidrig. Es stellt sich die Frage, wie weit diesem Verfahrensgrundsatz im .Asylbereich in Abwägung mit anderen Interessen Rechnung getragen werden soll.

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Schlussfolgerungen der Geschäftsprüfungskommission und weiteres Vorgehen Vereinfachtes und einzelrichterliches Verfahren

Das vereinfachte einzelrichterliche Verfahren ist unter zwei Gesichtspunkten problematisch: I. Der Umgang mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie jenem der «offensichtlich unbegründeten Beschwerde» ist nicht einfach. Diesbezüglich hat die Gescha'ftsprüfungskommission von der ARK folgende Zusage erhalten: «Die ARK wird sich weiterhin bemühen, den unbestimmten Rechtsbegriff der «offensichtlich unbegründeten Beschwerde» sachgerecht auszulegen und, soweit möglich und nötig, diese Kriterien noch stirkter als bisher anzuwenden. Dies könnte zu einer Erhöhung der Anzahl von Zirkulationsentscheiden führen» I4>.

I4

> Schreiben ARK vom 22. Juli 1996 an die Geschäftspriifungskommission des Nationalrates

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2.

Der Einzelrichterentscheid in letzter Instanz stellt aus demokratischen und rechtsstaatlichen Überlegungen ein Problem dar. Die Geschäftsprüfungskom- mission hat sich deshalb gefragt, ob und inwiefern das Einzelrichtersystem der ARK de lege ferenda modifiziert werden soll. Es erscheint ihr angezeigt, auf das einzelrichterliche Verfahren im Bereich der materiellen Entscheide der ARK zu verzichten. Das Interesse eines letztinstanzlichen Zirkulationsentscheides überwiegt diebezüglich gegenüber dem Interesse an der Verfahrensbeschleunigung. Die Funktion einer rascheren Behandlung kann überdies durch Artikel 46d AsylG - wenn auch nicht im gleichen Ausmass - sichergestellt werden. Der personelle Mehraufwand infolge Zirkulation der offensichtlich unbegründeten Beschwerden unter drei Richterinnen bzw. Richtern ist in Beziehung zur heutigen Regelung zu sehen. Bereits heute bedarf nämlich die Wahl des einzelrichterlichen Verfahrens bei materiellen Entscheiden gemäss Artikel 25 Absatz 3 VoARK immer der-vorgängigen Zustimmung durch den Kammerpräsidenten, Insofern entscheiden bereits heute zwei Richterinnen bzw. Richter, ob eine Beschwerde offensichtlich unbegründet bzw. begründet ist. Angesichts der erhöhten Legitimität eines Zirkulationsentscheides erscheint eine solche Lösung angemessen. Das Einzelrichterverfahren würde zudem bei offensichtlich unzulässigen und gegenstandslosen Beschwerden anwendbar bleiben.

Schlussfolgerung l Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates wird anlässlich der Beratung der Totalrevision des Asylgesetzes im Nationalrat folgenden Antrag einreichen: Art. J0613) (neu) Vereinfachtes und einzelrichterliches Verfahren: Abs. l Bei offensichtlich unbegründeten Beschwerden kann auf den Schriftenwechsel verzichtet werden. Der Beschwerdeentscheid wird nur summarisch begründet.

Abs. 2 Letztinstanzliche Entscheide werden nur in folgenden Fällen im Einzelrichterverfahren gefällt: a. Abschreibung von Beschwerden infolge Gegenstandslosigkeit b. Nichteintreten auf offensichtlich unzulässige Beschwerden

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Koordination innerhalb der ARK

Nach Aussagen der ARK hat der auf Anstoss der Geschäftsprüfungskommission eingeführte Koordinationsmechanismus die Problematik entschärft. Die Koordination hat in der ARK einen höheren Stellenwert erhalten. Die Vertreter der Hilfswerke bestätigen, dass die frühere Kritik, die ARK habe eine klar unterschiedliche Praxis, nicht mehr am Platz ist.

Die Frage der Koordination stellt sich bei allen oberstinstanzlichen Gerichten. Bei der ARK besteht die zusätzliche Schwierigkeit, dass sich ca. 30 Richterinnen und Richter mit denselben Fragestellungen auseinandersetzen. Umso wichtiger sind hier effektive und gut verankerte Koordinationsmechanismen.

I5

> Botschaft vom 4. Dezember 1995 zur Totalrevision des Asylgesetzes sowie zur Änderung des Bundesgesetzes Über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, S. 174

29 Bundesblaii 149. Jahrgang. Bd. III

709

In bezug auf die vorhandenen Koordinationsprobleme sieht Artikel 100 des Entwurfs für ein totalrevidiertes Asylgesetz neu die Kompetenz vor, dass die Präsidentin bzw. der Präsident der ARK die für die Koordination der Rechtsprechung erforderlichen organisatorischen Massnahmen zu treffen hat. Dieser Vorschlag zielt in die richtige Richtung, wie dies die Geschäftsprüfungskommission im Bericht vom 5. Mai 1994 angeregt hatte.

Schlussfolgerung 2 Die Frage der Koordination wird weiterhin Gegenstand der Prüfung durch die Geschäftsprüfungskommission sein. Die Kommission wird gegebenenfalls weitere Gespräche über die Entwicklung und Effizienz von Koordinationsmechanismen führen.

22. August 1996

Für die Sektion Behörden Der Präsident; Alexander Tschäppät, Nationalrat

22. August 1996

Für .die Geschäftsprüfungskommission Der Präsident; Peter Tschopp, Nationalst Die Sekretärin der Geschäftsprüfungskommissionen: Mariangela Wallimann-Bomatico

9016

710

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Schweizerische Asylrekurskommission: Aspekte der Verfahrenspraxis Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 22. August 1996

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1997

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3

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23

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17.06.1997

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