h Bericht ' der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates # S T #

Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundesverwaltung

in ausserordentlichen Situationen vom 29. Mai 1997

Probleme der Information im Zusammenhang mit ausgewählten besonderen Vorkommnissen und Schlussfolgerungen für die Informationstätigkeit von Bundesrat und Bündesverwaltung in Krisensituationen Vorbemerkung 1. Der Bericht äussert sich zu einigen Aspekten der Information und der Införmationstätigkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung in ausserordentlichen Situationen oder bei krisenhaften Ereignissen. Unter Krisensituationen verstehen die Sektionen Behörden/Mitteleinsatz der Qeschäftsprüfungskommission des Nationalrates (Sektionen B/M GPK-N) hier Ereignisse von relativ grosser bis sehr grosser politischer Bedeutung, welche die Interessen der Schweiz betreffen, ausserhalb des planbaren und üblichen Geschäftsganges entstehen, einigermassen unvorhergesehen oder unbeeinflussbar entstehen und thematisch ein mehr oder weniger komplexes Problem und damit eine unerwartete Herausforderung darstellen. Nicht gemeint sind ausserordentliche Lagen im Sinne eines Katastrophenfalls (Naturereignis, Grossunfalt) oder eines kriegerischen oder terroristischen Ereignisses.

2. Im folgenden werden verschiedene Ereignisse analysiert und auf ihre Bejiandlung im Hinblick auf Information und Informationstätigkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung hin überprüft. Es wird an dieser Stelle klar festgehalten, dass die angesprochenen Ereignisse in keiner Art weder inhaltlich noch politisch gewertet werden, zumal sie in ihren gesamten Ausdehnungen noch nicht abgeschlossen sind. Die Beispiele werden einzig und allein als Grundlage für die Betrachtung der Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundesverwaltung in Krisensituationen herangezogen. Entsprechend beziehen sich Wertungen, wo solche vorgenommen werden, ausschliesslich auf informationspolitische und informationstechnische Belange.

1568

1W7-341

l

Auftrag

1.1

Umschreibung des Auftrags

t Das Büro des Nationalrates hat es am 11. März 1996 abgelehnt, im Nachgang zur «Affäre Nyffenegger» eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zur Prüfung der Vorkommnisse im Eidgenössischen Militärdepartement (EMD) einzusetzen. Hingegen wurde beschlossen, diese Ereignisse durch die ordentlichen .Kontrollorgane prüfen zu lassen und dafür zusätzliche personelle und finanzielle Mittel zu gewähren.

In ihrer Sitzung vom 22. März 1996 teilte die Geschüflsprüfungskommission die anstehenden Arbeiten auf drei Gremien auf, nämlich auf die Delegation, die Sektion Behörden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (Sektion Behörden GPK-S) und die Sektionen Behörden/Mitteleinsatz der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (Sektionen B/M GPK-N). Die beiden ersten Gremien wurden mit Themen betraut, die mit dem Fall Nyffenegger in unmittelbarem Zusammenhang stehen und deshalb klarer fassbar waren. Aus diesem Grund koppelte die Konferenz der Plenar- und Sektionspräsidenten die verschiedenen Untersuchungen bereits frühzeitig voneinander ab. Die Delegation (Elektronischer Generalstabsbehelf EBG) und die Sektion Behörden GPK-S (DIDACTA, DIAMANT) haben ihre Arbeiten unterdessen abgeschlossen und deren Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. Die eidgenössischen Räte nahmen die Berichte in der Frühjahrssession 1997 zur Kenntnis.

Die von den Sektionen B/M GPK-N zu führenden Abklärungen betrafen Bereiche im Umfeld der erwähnten Ereignisse im EMD, wobei thematisch gleichgelagerte Ereignisse aus anderen Departementen einzubeziehen waren. Der Fall Nyffenegger war inhaltlich nicht Gegenstand dieser Arbeiten. Die hier zu behandelnden Fragen wurden zwar durch die Vorkommnisse im EMD aufgeworfen, sie waren aber losgelöst von diesen zu bearbeiten. Die Abklärungen sollten Hintergründe und Umfelder gewisser Themen in grundsätzlicher Art und Weise beleuchten, weshalb für diese Arbeiten ein weniger ausgeprägter Zeitdruck bestand.

Die Sektionen B/M GPK-N untersuchten unter anderem die Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bitndesverwaltung einerseits im erwähnten Fall, andererseits aber generell in ausserordenilichen Situationen. Dieses Thema war deshalb von Interesse, weil es im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden des Falles Nyffenegger (Orientierung der Öffentlichkeit) seitens des Bundesrates und
der Bundesverwaltung zu Vorkommnissen gekommen war, die in einer breiten Öffentlichkeit zu z. T. heftiger Kritik führten.

Die Sektionen B/M GPK-N standen bei Beginn ihrer Arbeit unter dem Eindruck der damals die Aktualität dominierenden «Affäre Nyffenegger». Gemäss ihrem Auftrag beschränkten sie sich aber nicht auf diesen Fall, sondern bezogen weitere ,vergleichbare Ereignisse in ihre Überlegungen mit ein. Zu näheren Betrachtungen hatte dabei insbesondere die Informationstätigkeit des Bundes im Zusammenhang mit der im März 1996 aktuell gewordenen Diskussion um eine mögliche Übertragbarkeit des sogenannten Rinderwahnsinns auf Menschen eingeladen.

Im Oktober 1996, d.h. während den Arbeiten der Sektionen B/M GPK-N, wurde die Existenz des Entschädigungsabkommens zwischen Polen und der Schweiz im Zusammenhang mit nachrichtenlosen Vermögen aus der Zeit des Dritten Reiches in Erinnerung gerufen; in der Folge rückte die generelle Frage nach möglichen Ver-

1569

mögenswerten aus der Zeit des Dritten Reiches auf Schweizer Banken ins Zentrum der schweizerischen (Aussen-)PolìtÌk. Die Tragweite dieser Angelegenheit ist inhaltlich selbstverständlich nicht mjt den beiden anderen Ereignissen zu vergleichen. Die Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundesverwaltung im Zusammenhang mit den nachrichtenlosen Vermögen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges warf indessen zum Teil vergleichbare Fragen auf wie die Fälle Nyffenegger und Rinderwahnsinn, weshalb die Sektionen B/M GPK-N ihre Betrachtungen auf diesen Bereich ausdehnten.

1.2

Konkretisierung

Der Umfang der Arbeiten der Sektionen B/M GPK-N war in verschiedener Hinsicht zu konkretisieren: Ausserordenüiche Situationen/Krisensituationen: Die Arbeiten befassten sie in erster Linie und vordringlich mit der Informationstätigkeit des Bundes und der Bundesverwaltung ausserhalb der üblichen, planbaren und kontinuierlichen Information: Im Vordergrund stand die Informationstätigkeit in überraschenden, unvorhergesehenen und schwierigen Situationen, d. h. Krisenlagen. Die Sektionen B/M GPK-N haben sich allerdings mit grundsätzlichen Aspekten der Information und der Öffentlichkeitsarbeit des Bundes auseinandergesetzt, soweit ihr dies angezeigt schien und soweit dies zur Einbettung der zentralen Fragen der Information in Krisensituationen Voraussetzung war.

Public Relations (PR): Nur am Rande haben sich die Sektionen B/M GPK-N mit dem Problem der Public Relations (PR) befasst. Dies aus verschiedenen Gründen: Einerseits können solche Überlegungen aufgrund der Kurzfristigkeit und des Überraschungsmoments von ausserordentlichen Ereignissen nur beschränkt (bzw. in einem übergeordneten Rahmen) eine Rolle spielen, weshalb sie für die untersuchte Frage keine wesentliche Bedeutung haben. Andererseits hat die GPK bereits 1995 die PR-Tätigkeit (v. a. im Hinblick auf PR-Aufträge an Dritte) untersucht. Schliesslich hat sich erst vor kurzem auch die Arbeitsgruppe für Öffentlichkeitsarbeit (AGÖ) der Bundesverwaltung ausführlich mit diesem Thema befasst und einen Bericht und ein Leitbild 1995 vorgelegt. Immerhin haben die Sektionen B/M GPK-N gewisse grundsätzliche Überlegungen zum Bereich PR/Öffentlichkeitsarbeit angestellt. Dies insbesondere dort, wo die Abgrenzung zwischen Information und Öffentlichkeitsarbeit zu diskutieren war.

Einzelßlle und allgemeine Schlüsse: Die Sektionen B/M GPK-N haben aufgrund ihrer Möglichkeiten lediglich ausgewählte Einzelfälle vertieft untersuchen (lassen) und beurteilen können. Trotzdem ergeben sich aus diesen Abklärungen Schlussfolgerungen, welche sich verallgemeinern lassen und (mit gewissen Einschränkungen) ein generelles Bild der Informationstätigkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung in Krisensituationen zeichnen.

1570

1.3 1.3,1

Organisation, Arbeitsweise und Vorgehen der Sektionen B/M GPK-N Organisation

Die Sektionen Behörden und Mitteleinsatz der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates bestehen aus folgenden Mitgliedern: NR Tschäppät, Präsident; Damen und Herren Nationalräte Aguet, Banga, Dünki, Funkhäuser, Pilliez, Langenberger, Lauper, Pelli, Scheurer, Schmied Walter, Stamm Luzi, Wittenwiler.

Die Sektionen wurden vom Sekretariat der Geschäftsprüfungskommissionen betreut.

1.3.2

Arbeitsweise und Vorgehen der GPK

Die Sektionen hielten in der Zeit vom 5. Februar 1996 bis 29. Mai 1997 27 Sitzungen ab. Der Präsident nahm zudem teil an fünf Koordinationssitzungen mit den Präsidenten beider GPK und den Sektionen, die sich mit den Vorkommnissen im EMD befassten.

Die Sektionen zogen als zusätzliche Sachverständige Nikiaus Oberholzer und Jürg Wichtermann bei.

Die Sektionen befragten 17 Personen zu verschiedenen Themenbereichen (vgl.

Liste der angehörten Personen)..Sie trafen zu einer Aussprache mit dem Vorsteher des EMD zusammen.

Die Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle erstellte im Auftrag der Sektionen folgende Berichte: «Die Informationstätigkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung nach der Verhaftung eines ehemaligen EMD-Beamten Ende Januar 1996 und im Kontext der BSE/CJD-Ereignisse vom März 1996» (Oktober 1996); «Informationstätigkeit von Bundesrat und Bundes Verwaltung betreffend das Entschädigungsabkommen zwischen der Schweiz und Polen von 1949» (3. März 1997) (vgl. Beilage).

Die Sektionen erstatteten der Plenarkommission Bericht über ihre Untersuchungen und die festgestellten Mängel. Die GPK hat am 29. Mai 1997 den Berichtsentwurf der Sektionen verabschiedet und Parlament und Bundesrat eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen in der Form von parlamentarischen Vorstössen oder Empfehlungen unterbreitet (vgl. Empfehlungen, Kap. 5).

2 2.1

Information und Informationstätigkeit in Bund und Bundesverwaltung Allgemeine Bemerkungen: die Bedeutung der Information

Zur Einführung drei Beispiele: - Im Januar 1996 eröffnet die Bundesanwaltschaft gegen Oberst Friedrich Nyffenegger und andere ein Ermittlungsverfahren, in dessen Folge verschiedene Personen verhaftet werden. Die Bundesanwaltschaft und das EMD vereinbaren, die Öffentlichkeit nicht von sich aus, sondern erst dann zu informieren, wenn die Medien in dieser Angelegenheit zu recherchieren beginnen. Erste Anfragen von Medienschaffenden gehen am Freitag, 26. Januar 1996 beim EMD-Informations-

1571

dienst ein, worauf gleichentags um 16 Uhr eine kurze Pressemitteilung veröffentlicht wird. Dies löst bei den Medien (soweit sie nicht ohnehin schon am Thema arbeiten) eine intensive Recherchiertätigkeit und entsprechende - z. T. spekulative - Berichterstattung aus, zumal bis am 29. Januar eine aktive Information von seilen der Behörden unterblieb.

- Am Nachmittag des 22. März 1996 bezeichnet der Direktor des Bundesamtes für Veterinärwesen gegenüber einem Journalisten ein Importverbot von britischem Rindfleisch als völlig übertrieben. Kurze Zeit später erlässt Bundesrat JeanPascal Delamuraz eine sofortige Einfuhrsperre für britisches Rindfleisch.

- Am 31.Dezember 1996 erscheint u.a. in der Lausanner Zeitung «24heures» unter dem Titel «Une volonté de déstabiliser la Suisse» ein Interview mit Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz. In diesem Interview äussert sich Delamuraz zu verschiedenen Aspekten des Problems der nachrichtenlosen Vermögen in der Schweiz und antwortet auf die Frage, ob er die Schaffung eines Hilfsfonds für Opfer der Nazis als Entschärfung der Krise eine gute Idee finde: Non, dans la phase actuelle, c'est un corps étranger. II faut laisser encore passer und peu d'eau sous les ponts. Quand la mauvaise foi est au rendez-vous, il faut se méfier. Un tel fonds serait considéré comme un aveu de culpabilité. Le montant qui a été évoqué devant l'ambassadeur Borer était de 250 millions. Ça, ce n'est rien d'autre qu'une rançon et du chantage! (...)

Die nationalen und internationalen Reaktionen auf das Interview sind bekannt.

Die drei Beispiele zeigen mit aller Deutlichkeit: Der (zumindest kurzfristige, evtl.

aber durchaus auch mittel- oder langfristige) Schaden, der durch nicht sachgerechte Informationstätigkeit entstehen kann, ist enorm. Die Schäden beschränken sich dabei nicht mehr auf die Innenpolitik, wie dies früher bei ähnlichen Gelegenheiten noch eher der Fall sein konnte. Mit Wucht ist die Schweiz informationspolitisch daran erinnert worden, dass ihr Verhalten international zur Kenntnis genommen, aber auch an internationalen Massstäben gemessen wird.

Es sind nicht nur die Tatsachen, welche ein medial vermitteltes Bild - z. B. der Politik - bestimmen; entscheidend wird mehr und mehr auch die Art und Weise, wie über Ereignisse und Vorfälle informiert wird. Auch eine gute Politik wird nicht zur Kenntnis genommen, wenn von ihr nicht Kenntnis gegeben wird. Ebenso klar muss festgehalten werden, dass auch eine optimale Informationstätigkeit nichts nützt, wenn die sachpolitischen Entscheide fehlen oder ungenügend sind.

Die Gesellschaft und mit ihr die Medien verlangen nach Informationen, die vom Üblichen, von der Routine abweichen. Deshalb lässt sich schlechte Politik nicht durch Nichtinformation der Öffentlichkeit entziehen; das darf sie auch nicht in einer transparenten, demokratischen Gesellschaft. Sowohl die Öffentlichkeit als auch die betroffenen Institutionen haben ein Anrecht darauf, dass auch über unübliche, unangenehme Tatsachen sachgerecht informiert wird.

Die heutige Informationsgesellschaft ist geprägt von freien, nicht der Obrigkeit verpflichteten, im wesentlichen vom Markt (und nicht von den Wünschen der Informierenden) bestimmten Medien. Unter diesen Bedingungen ist die behördliche Informationstätigkeit - dies zeigen bereits die erwähnten Beispiele eindrücklich ohne höchste Professional i sierung unter den gegebenen Umständen nicht mehr sach- und zeitgerecht erfüllbar.

Information und die Informationstätigkeit sind in der heutigen Zeit zum festen und unverzichtbaren Bestandteil der politisch-administrativen Planung und des politi-

1572

sehen Handelns und Fiihrens geworden. Die wichtigsten Gründe dafür sind die folgenden: - Transparenz: Staatliches Handeln lässt sich durch Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit legitimieren. Wenn Regierung, Parlament und Verwaltung offen und aktiv über die Vorgänge, mit denen sie sich befassen, informieren, besteht die Chance für eine grössere Akzeptanz der politischen Tätigkeit und des Verwaltungshandelns. · - Demokratische Mitwirkung: Eine umfassende Information der Bevölkerung ist die Grundlage und die Voraussetzung für die Mitwirkung der Bevölkerung am demokratischen Willensbildungsprozess. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger verstehen, um was es bei politischen Geschäften geht, sind sie auch in der Lage, diese Geschäfte demokratisch mitzutragen.

- Motivation zum Vollzug: Die Information der Bevölkerung ist auch Grundlage und Voraussetzung für die Motivation, bei der Umsetzung und beim Vollzug von staatlichen Massnahmen und Vorschriften mitzuwirken oder diese zu akzeptieren. Wo nicht informiert wird, entsteht Desinteresse, Miss- und Unverständnis oder Ablehnung.

- Darstellung staatlicher Leistungen: Nicht zuletzt dient eine sachgerechte Information dazu, die Leistungen der Politik und der Verwaltung in der Öffentlichkeit - für welche diese Leistungen letztlich alle bestimmt sind - darzustellen und damit Verständnis zu schaffen für Abläufe, Ereignisse, Rechte und v. a. auch Pflichten im Staatswesen.

2.2

Die Information des Bundes und ihr Umfeld

Die Informationspolitik von Bundesbehörden und Bundes Verwaltung hat sich in die gesellschaftliche, politische und mediale Landschaft der Schweiz einzufügen.

Das schweizerische politische System ist geprägt namentlich von folgenden Eckpfeilern: - Die Landesregierung der Schweiz ist eine Kollegialbehörde. Weder die Regierungspolitik noch die damit zusammenhängende Informationspolitik wird von einem Regierungschef oder einer Regierungschefin bestimmt. Das Kollegialsystem der Schweiz hat historische Wurzeln und gewichtige Vorteile, zeigt aber seine Schwächen gerade dort, wo in schwierigen Zeiten oder Krisensituationen auch eine informationspolitische Führung die Handlungsweise der Regierung vermitteln und erklären müsste. Öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten (bspw. zu den Themen Neat, Nyffenegger oder Staatssekretäre) erhöhen weder die Glaubwürdigkeit der Landesregierung^noch die Verständlichkeit ihrer Politik. Entsprechende Mängel sind, wie im konkreten noch darzustellen sein wird, in den untersuchten Ereignissen in eklatanter Art und Weise zutage getreten.

- Das eidgenössische Parlament ist ein Milizparlament. Eine permanente Volksvertretung, welche ständig tagt und entsprechend in dauerndem Kontakt mit der Regierung und der Verwaltung sein könnte, fehlt hier. Dadurch werden die Wege länger und die Möglichkeiten für die Regierung, sich vor den Volksvertretungen zu präsentieren, kleiner. Gleichzeitig sind aber in einem Milizsystem auch die Schwierigkeiten des Milizparlamentes, sich informieren bzw. Informationsflüsse sicherstellen zu können, ungleich höher als in professionellen Parlamentssystemen.

1573

- Das Schweizer Volk wirkt in einem System der direkten Demokratie mit. Das hat zur Folge, dass die Regierung ihr Regierungsprogramm nur im ständigen, über Volksabstimmungen laufenden Gespräch verfolgen kann. Das Volk hat es in der Hand, den Kurs der Regierung immer wieder zu beeinflussen. Umgekehrt erfordert gerade diese Tatsache einen permanenten Dialog zwischen Regierung und Volk: Die Landesführung ist darauf angewiesen, ihre Politik und ihre Handlungen fortwährend nachvollziehbar zu machen, um den eingeschlagenen Kurs halten zu können.

Die Informationstütigkeit des Bundes muss also die Gegebenheiten des politischen Systems miteinbeziehen und auf entsprechende strukturelle Voraussetzungen abgestützt sein, damit die interne und externe Kommunikation auch unter diesen Umständen gewährleistet ist.

Dazu gehört es auch, die richtigen Kanäle für die Information zu finden, zu öffnen und zu benützen, um das angezielte Publikum auch erreichen zu können. Grundsätzlich sind alle Mittel zu ergreifen, die dazu beitragen können, die Öffentlichkeit über die Vorgänge ins Bild zu setzen, welche den Bund betreffen und von Öffentlichem Interesse sind.

Es steht aber ausser Frage, dass das Bild der Politik des Bundesrates und der Tätigkeit der Bundesverwaltung zunehmend und entscheidend durch die Medien geprägt wird. Viel weniger als früher erreicht die Botschaft die Empfängerinnen und Empfänger im direkten Kontakt mit denjenigen, die über Ereignisse zu informieren haben. Damit ist die Möglichkeit, die Art und Weise der Information selber zu bestimmen, stark eingeschränkt.

Die Medienlandschaft hat sich in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit gewaltig verändert. Das hängt einerseits mit den Medien selbst zusammen, die im Gegensatz zu früheren Zeiten weitgehend politisch ungebunden auftreten. Die wenigsten Medien fühlen sich heute noch einer politischen Marschrichtung oder einer Partei verpflichtet. Entsprechend distanziert behandeln die Medien in der Regel denn auch Informationen von Behörden oder Verwaltungen; diese können längst nicht mehr von einer unterstützenden Haltung der Medien ausgehen.

Nicht nur die Unabhängigkeit der Medien und deren Distanz zu den Institutionen hat zur Veränderung der Medienlandschaft und des Verhaltens der Medien beigetragen. Die Medien passen sich, gerade auch unter wirtschaftlich
schwierigeren Rahmenbedingungen, den Anforderungen des Marktes bzw. in diesem Falle den Informationsbedürfnissen des Publikums an. Die Gewohnheiten der Bevölkerung in bezug auf die Nutzung der Medien und die Aufnahme von Informationen haben sich entscheidend verändert.

Das Publikum ist je länger je weniger bereit, Aufwand zu betreiben, um sich informieren zu können. Das hat zur Folge, dass sich die Medien überwiegend veranlasst sehen, die Informationen in leicht konsumierbarer Form zu vermitteln. Gleichzeitig steht die Information über Politik und über V.orgänge aus den öffentlichen Verwaltungen heute in direkter Konkurrenz zu den (oft leichter verständlichen) Informationsangeboten aus anderen Bereichen. Die sich ständig vergrössernde Informationsflut und das gleichzeitig stagnierende oder sinkende Aufnahmevermögen führen dazu, dass die Medien in erster Linie Themen auswählen, die durch ihre Auffälligkeit, Andersartigkeit oder Emotionalität eher ein Interesse beim Publikum finden. Auffällig, andersartig oder emotional sind gerade auch Themen, die schwieriger zu bewältigen sind, weil sie umstritten sind und Konfliktstoff enthalten. Gerade

1574

in Krisensituationen kommt der Informationstätigkeit demnach besondere Bedeutung zu.

Behörden und öffentliche Verwaltungen können heute nicht mehr ohne weiteres damit rechnen, dass ihre Informationen den Weg in die Medien finden. Auch Informationen über Politik - gleich wie Informationen aus anderen Sparten - interessieren die Medien nur dann, wenn diese davon ausgehen können, dass sie damit Bedürfnisse ihres Publikums abdecken.

Der Einbezug des Umfeldes, in dem Information betrieben wird, ist keineswegs Selbstzweck, sondern vielmehr unabdingbar, um die Politik des Bundesrates und die Tätigkeit der Verwaltung nachvollziehbar erklären zu können. Nur eine verständliche Politik ist glaubwürdig. Das bedeutet, dass die Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundesverwaltung absolut professionell zu betreiben ist. Das wiederum verlangt nach den entsprechenden personellen und finanziellen Mitteln.

2.3

Anforderungen an die Informationstätigkeit

Das Umfeld, in dem heute amtliche Information stattfindet, ist ein völlig anderes als vor zehn Jahren, und auch die Zukunft wird Veränderungen bringen (gesellschaftliche Umwälzungen, technische Fortschritte, neue Medien etc.). Die staatliche Informationstätigkeit muss sich stets an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und technischen Fortschritte anpassen, damit sie den Informationsanspruch der Bevölkerung auch unter diesen Bedingungen erfüllen kann. Aber auch unter diesen Voraussetzungen und unter Einsatz adäquater Mittel muss es oberste Maxime der Information bleiben, immer und ausschliesslich der Sache zu dienen.

Zie! muss sein, die gesamte Bevölkerung objektiv, zeitgerecht und umfassend über die staatlichen Tätigkeiten ins Bild zu setzen.

Eine solche Informationstätigkeit muss im wesentlichen den folgenden Kriterien genügen; - Wahrheit - Vollständigkeit - Rechtzeitigkeit - Einheitlichkeit - Sachlichkeit - Kontinuität - Schutz wesentlicher öffentlicher oder privater Interessen.

Jede Informationstätigkeit hat sich diesen Kriterien unterzuordnen. Dazu kommt, dass die Informationstätigkeit so zu gestalten ist, dass die staatlichen Institutionen und die staatlichen Tätigkeiten glaubwürdig erscheinen. Dies setzt eine absolut professionelle staatliche Informationstätigkeit voraus, die sich auf eine taugliche Infrastruktur stützen kann, die von professionellen Informationsbeauftragten ausgeübt wird und die so strukturiert ist, dass Führung und Koordination der information ständig sichergestellt sind.

Die Informalionstätigkeit muss in erster Linie das anvisierte Publikum, nämlich die Bevölkerung, ernst nehmen und auf deren Informationsbedürfnisse eingehen. Ernst zu nehmen sind aber auch die Medien, welche einen entscheidenden Beitrag zur Vermittlung der Informationen leisten. Die Medien verfolgen nicht die gleichen Informationsziele wie der Bundesrat oder die Verwaltung; sie funktionieren nach anderen Kriterien, und es ist auch nicht ihre Aufgabe oder ihre Pflicht, Erfüllungsgehilfe der Politik oder der Verwaltung zu sein. Die Medien verstehen sich nicht

1575

als blosse Transportriemen staatlicher Verlautbarungen, auch wenn hin und wieder festzustellen ist, dass auch (oder gerade auch) in der heutigen Medienlandschaft unkritischer Verlautbarungsjournalismus betrieben wird. Grundsätzlich sind aber die Medien als Partner mit eigenständigem Auftrag zu respektieren und zu behandeln, und zwar mit der entsprechenden Professionalität.

2.4

Information und Öffentlichkeitsarbeit

Wann wird Informationstätigkeit zu Öffentlichkeitsarbeit/PR (Public Relations)?

Und dürfen der Bundesrat und die Verwaltung überhaupt Öffentlichkeitsarbeit betreiben?

Die Sektionen B/M GPK-N haben sich vom Informationschef des EMD (er ist für die eigentliche Informationsarbeit zuständig) und vom Inhaber der Stabsstelle Informationskonzeption EMD (er erarbeitet Informations- und Kommunikationskonzepte zu bestimmten Geschäften des Departements) informieren lassen. Dabei hat der Inhaber der Stabsstelle Informationskonzeption anhand eines Beispiels seine Arbeit erläutert. Konkret ging es um das Optimierungsprogramm Progress, das vor dem Hintergrund der Armeebestandes-Reduküon - die Sicherstellung der Offiziersbestände in der Armee zum Ziel hat. Es wurde dargestellt, wie vorerst eine Problem- und Umfeld-Analyse vorgenommen wurde, wie die Auswirkungen in die Überlegungen einflossen, wie dann ein erstes Informationskonzept mit argumentativen Teilbausteinen entwickelt wurde, wie flankierende Massnahmen und Kontakte mit der Wirtschaft einbezogen wurden. Es sei darum gegangen, die Schritte des Projektes begreiflich zu machen, die zugrundeliegenden Fakten verständlich darzustellen und das Umfeld in Vorabantworten einzubeziehen. Und das sei, so der Inhaber der Stabsstelle Informationskonzeption EMD zunächst, keine PR; und später: Man könne dies sowohl als Information als auch als PR bezeichnen.

Die abweichende Begriffs Verwendung zeigt, dass die durch die interdépartementale Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit (AGÖ) im Dezember 1994 in einem Bericht aufgearbeitete Materie noch nicht überall zu einer einheitlichen Verwendung der Terminologie geführt hat, obschon die vom EMD gewählte Vorgehensweise den damals gemachten Empfehlungen weitgehend entspricht.

Die EMD-Informationsfachleute haben bei dieser Gelegenheit ein Beispiel typischer und erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit (das Projekt konnte offenbar gut vermittelt werden) demonstriert, dabei aber den Begriff Public Relations zuerst gar nicht und dann nur widerwillig akzeptiert.

Das weitverbreitete Unbehagen, mit Öffentlichkeitsarbeit/PR in Zusammenhang gebracht zu werden, mag daher rühren, dass diese Begriffe oft in Verbindung mit beschönigender und suggestiver Hochglanzpropaganda gesehen werden.

Versteht man aber unter Öffentlichkeitsarbeit/PR das
bewusste, geplante und dauernde Bemühen, in der Öffentlichkeit Verständnis und Vertrauen für staatliches Handeln zu schaffen und zu erhalten, und ist dieses Bemühen getragen von den Grundsätzen der Wahrheit, Vollständigkeit, Einheitlichkeit und Sachlichkeit, so sind der Bundesrat und die Bundesverwaltung geradezu gehalten, ihren Anliegen mit den Instrumenten der Öffentlichkeitsarbeit/PR Gehör zu schaffen. Die zunehmend komplexen Vorlagen und Geschäfte, die den Staat gegenwärtig und zukünftig beschäftigen werden, können der Bevölkerung je länger je weniger mit den herkömmlichen Mitteln einer nachgeschalteten Information vermittelt werden, d. h.

mit einer Informationstätigkeit, die sich erst um die Vermittlung der Inhalte küm-

1576

meri, wenn diese dann der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen sind. Gefordert ist eine integrierte Information, eine Information, die angemessener Bestandteil jeder Sachvorlage ist und die mit Konzepten und Strategien und nicht mit VonFall-zu-Fail-Entscheiden arbeitet.

Eine solche umfassende Information hat selbstverständlich immer der Sache und nicht Personen zu dienen. Diesem Anliegen nicht entsprechend sind Home-stories, arrangierte Motorrad-Fahrten oder Gipfel-Besteigungen im Fokus der TV-Kameras, welche eine Person (z. B. ein Mitglied des Bundesrates) «verkaufen» sollen.

Damit wird das Recht der Politikerinnen und Politiker, sich der Bevölkerung zu präsentieren, keineswegs in Abrede gestellt. Solche Aktionen haben aber immer klar getrennt von Sachgeschäften und ausserhalb eines offiziellen Rahmens zu erfolgen; ist dies nicht möglich (und das dürfte oft der Fall sein), so ist darauf zu verzichten.

Die Öffentlichkeitsarbeit/PR des Bundesrates oder der Bundes Verwaltung muss ein offenes und ehrliches Bild der Wirklichkeit unter Einbezug auch der negativen Seiten einer Sache vermitteln, ohne etwas Falsches zu suggerieren. Insofern ist staatliche PR von privater PR klar zu unterscheiden: Von staatlicher PR muss gefordert werden, dass sie keine Zerrbilder produziert, bei privater PR kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden.

Aus dem Bereich der Wirtschaft ist der Begriff der Public Relations (PR) bekannt und auch im Zusammenhang mit der Informationstätigkeit von öffentlichen Gemeinwesen ins Gespräch gekommen. Wirtschaftsunternehmungen pflegen die PR im wesentlichen zur Verbesserung ihrer Position, indem sie der Öffentlichkeit ihre Vorzüge darzulegen, die potentielle Kundschaft zu überzeugen und sich so im Wettbewerb eine möglichst gute Position zu schaffen versuchen. Der Übertragung von PR-Methoden aus dem Wirtschaftsleben in die Tätigkeit von öffentlichen Gemeinwesen wird allerdings nach wie vor mit einer gewissen Skepsis begegnet, selbst wenn heute nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt wird, dass auch öffentliche Gemeinwesen - mindestens in einem beschränkten Rahmen - die Möglichkeit einer umfassenden Darstellung ihrer Tätigkeiten haben sollen.

Heute ist unbestritten, dass auch gerade für öffentliche Gemeinwesen die Information der Öffentlichkeit unverzichtbarer Bestandteil
ihrer Tätigkeit ist (zu den Gründen vgl. Ziff. 2.1). Gerade der demokratische Aspekt der Informationspflicht verlangt nun aber, dass staatliche Information in erster Linie die Absicht verfolgen muss, die Öffentlichkeit über alle wesentlichen Vorgänge, Entwicklungen und Ereignisse ins Bild zu setzen. Die staatliche Information darf demnach nicht primär darauf zielen, beim Publikum eine bestimmte Wirkung zu erzielen - oder höchstens eine aufklärende, informierende Wirkung. Auch schlechte Nachrichten müssen in ihrer ganzen Tragweite und unbeschönigt offengelegt werden.

Damit wird angedeutet, dass der Öffentlichkeitsarbeit des Staates klare Grenzen gesetzt sind. Sie ist, ebenso wie die Informationstätigkeit im engeren Sinn, den Grundsätzen der Wahrheit, Offenheit, Vollständigkeit, Einheitlichkeit und Transparenz verpflichtet. Solange staatliche Öffentlichkeitsarbeit diesen Prinzipien folgt, wird das Problem der Abgrenzbarkeit der blossen Informationstätigkeit von der Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer umfassenden Darstellung der Tätigkeiten (des öffentlichen Gemeinwesens) zweitrangig. Die Übergänge von reiner Information zu Öffentlichkeitsarbeit sind oft fliessend, eine Unterscheidung wirkt in vielen Fällen (vgl. das oben geschilderte EMD-Beispiel Progress) geradezu künstlich.

1577

2.5

Die heutige Informationsstruktur des Bundes

Die Bundesverwaltung kennt heute den Grundsatz der departementalen Information. Die Information der Öffentlichkeit über die Angelegenheiten der einzelnen Departemente ist Aufgabe der Generalsekretariate der jeweiligen Departemente.

Die Generalsekretariate bzw. deren Informationsdienste haben den Departementschef oder die -chefin in Informatio'nsbelangen zu beraten; sie halten Verbindung zu den ihnen untergeordneten Ämtern und koordinieren die départementale Information mit der Bundeskanzlei.

Die Departemente gestalten ihre interne Informationsstruktur unterschiedlich. Zum Teil wird die Information eher zentral geführt, während andere Departemente dezentraler organisiert sind und den einzelnen untergeordneten Dienststellen einen grösseren Informationsspielraum und teilweise auch eigene Informationsdienste zustehen.

Ist eine Angelegenheit Sache des Gesamtbundesrates, so besorgt die Bundeskanzlei in Zusammenarbeit mit den Departementen die Information. Beschlüsse des Bundesrates werden der Öffentlichkeit durch von den Departementen vorbereitete Medienmitteilungen und mündlich entweder durch ein Mitglied des Bundesrates oder durch ein Mitglied der Bundeskanzlei (in der Regel Vizekanzler Casanova) kommuniziert.

In der allgemeinen Bundes Verwaltung sind_rund 150 Personen mit internen und externen Informationsaufgaben sowie mit Öffentlichkeitsarbeit betraut.

Gemäss den rechtlichen Grundlagen (Art. 35 VwOG) ist der Bundeskanzler in Zusammenarbeit mit den Departementen für die Information der Öffentlichkeit besorgt. Vorgesehen ist eine ständige Konferenz der Informationschefs (Art. 57 VwOG). Die Bundeskanzlei verfügt jedoch über keine autoritären Kompetenzen, um die Information zu führen oder zu koordinieren.

An dieser Grundstruktur ändert das neue RVOG vom März 1997 nichts. Nach wie vor ist es die Bundeskanzlei, die in Zusammenarbeit mit den pepartementen für die Information besorgt ist. Auf Departementsebene sind es die Vorsteherinnen und Vorsteher, welche in Absprache mit der Bundeskanzler die geeigneten Vorkehren für die Information treffen sollen; sie bestimmen auch die Informationsverantwortlichen. Die Informationskonferenz, bestehend aus den Informations verantwortlichen der Departemente und der Bundeskanzlei, ist für die Information das planende und koordinierende Gremium.

3

Die untersuchten Ereignisse

3.1

Allgemeines

Die drei exemplarisch untersuchten Vorkommnisse weisen - neben ihren Eigenheiten und Unterschieden - gewisse gemeinsame Charakteristika auf: - Departementsübergreifend; Alle drei Fälle betrafen Ereignisse, welche thematisch nicht einem Departement allein zugeordnet werden können.

- Ausserordentliches Ereignis: Alle drei Ereignisse (mit gewissen Einschränkungen für das Entschädigungsabkommen Schweiz-Polen) waren, zumindest in der eingetretenen Form, nicht oder nur schwer vorausseh- und planbar. Es handelt sich um typische ausserordentliche Situationen.

1578

- Hohe Bedeutung/Wichtigkeit: Alle drei Fälle waren oder sind von überdurchschnittlicher, z. T. sogar zentraler Bedeutung und haben eine Dimension erlangt, welche die öffentliche Diskussion während Tagen, Wochen oder sogar Monaten dominierte.

- Öffentliche Kritik an der Information: Allen drei Fällen war gemeinsam, dass die öffentliche Diskussion und Kritik an der Art und Weise der Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundesverwaltung einen zum Teil breiten Raum einnahm und die Diskussion um die Sache selber vorübergehend sogar in den Hintergrund zu drängen vermochte.

3.2 3.2.1

Die Information im Fall Nyffenegger Sachverhalt

Der Fall Nyffenegger wurde im Januar 1996 publik und fand ein ausserordentlich grosses Echo in der Öffentlichkeit und in den Medien. Die Information in den ersten Tagen nach Öffentlichem Bekanntwerden der Affäre gestaltete sich wie folgt: Zwischen Oktober 1995 und Januar 1996 ermittelt die Militärjustiz gegen den pensionierten EMD-Beamten Oberst i Gst Friedrich Nyffenegger. Es besteht Verdacht auf Verletzung von Dienstvorschriften und finanziellen Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Kriegsmobilmachung (Diamant), mit der Beteiligung des EMD an der Lehrmittelausstellung Didacta sowie mit einem Lehrmittel-Projekt. Ab dem 18. Januar 1996 ermittelt , auch die Bundesanwaltschaft gegen Nyffenegger, weil sich der Verdacht auf.yermögensrechtliche Verfehlungen ausweitet. Von nun an laufen die Ermittlungen zweigleisig.

Am Mittwoch, 24. Januar, orientiert Bundesrat Ogi an der Bundesratssitzung und abends an einer Klausursitzung über das Verfahren gegen Oberst Nyffenegger; Bundesrat Ogi möchte die Bundeshauspresse aktiv informieren, was aber vorerst nicht möglich ist, weil zu diesem Zeitpunkt eine verdächtigte Person in einem Zug unterwegs ist und noch nicht verhaftet werden konnte.

Am nächsten Tag (Donnerstag, 25. Jan. 1996) vereinbaren die Bundesanwaltschaft und das EMD, die Öffentlichkeit erst dann zu informieren, wenn Anfragen von Journalisten kommen, d. h. wenn festgestellt wird, dass in dieser Angelegenheit recherchiert wird. Für diesen Fall werden zwei Versionen einer Pressemitteilung vorbereitet; ein kürzeres und ein längeres Communiqué, wobei das längere die einzelnen Verdachtsmomente gegen Oberst Nyffenegger ausführt. Es wird vereinbart, bei einer allfälligen Medienanfrage das längere Communiqué zu veröffentlichen.

Eine erste Anfrage geht dann am nächsten 'Nachmittag, (Freitag, 26. Jan. 1996) beim EMD-Informationsdienst ein. Offensichtlich recherchieren nun die Medien in dieser Angelegenheit, Am Freitag nachmittag um 16 Uhr veröffentlicht der EMDInformationsdienst das vorbereitete Pressecommuniqué, allerdings die kürzere und nicht - wie vereinbart - die längere Version.

Gleichentags versuchen verschiedene Medienschaffende, beim Oberauditor der Armee und den Pressesprechem der Bundesanwaltschaft und des EMD nähere Informationen zu erhalten. Der Sprecher
der Bundesanwaltschaft präzisiert telefonisch gemäss der längeren Version des vorbereiteten Communiqués die Verdachtsmomente, in denen ermittelt wird. Ein Sprecher des EMD lässt verlauten, Bundesrat Ogi sei über den Stand der Untersuchungen informiert; dieser erwarte eine

1579

rasche Klärung des Falles und habe zusätzliche interne Abklärungen veranlasse Der Name des involvierten EMD-Beamten (Nyffenegger) wird nicht bekanntgegeben.

Trotzdem kennt die Schweiz bereits am Wochenende (Samstag/Sonntag, 27728. Jan. 1996) den Namen des verhafteten Oberst: Der Blick erwähnt am Samstag «Friedrich N.», die Sonntagsblätter nennen den vollen Namen Nyffeneggers.

Über das Wochenende veröffentlichen die Sonntagspresse und die elektronischen Medien weitere Ergebnisse ihrer Recherchen und Spekulationen über die Hintergründe. Es wird ein Zusammenhang hergestellt zu den-Diamant-Feierlichkeiten und auf weitere Aspekte des Falles hingewiesen. Das EMD lehnt es unter Verweis auf die laufenden juristischen Untersuchungen vorderhand ab, die Berichte zu dementieren oder zu bestätigen. Eine Informationssperre sei nicht verhängt worden.

Weitere Informationen werden auf den Zeitpunkt angekündigt, da gesicherte Erkenntnisse vorliegen würden.

Die behördliche Information wird in den Medien erstmals in Frage gestellt; Der Blick spricht am Samstag von «dürrem Amtsdeutsch», die SonntagsZeitung vermutet, die Affäre habe geheimgehalten werden sollen, und der SonntagsBlick empfindet die Reaktion der Behörden als nervös. Die Tatsache, dass die offizielle Informationspolitik kein Licht in die Affäre bringt, wird in der Montagspresse verstärkt auf-, genommen und kritisiert. Neben der fehlenden bzw. inhaltlich dürftigen Information wird auch die Art und Weise der Information bemängelt, so namentlich die Veröffentlichung des ersten Communiqués an einem Freitag nachmittag um 16 Uhr.

Am Montag (29. Jan. 1996) findet eine Sitzung mit Vertretern der Bundesanwaltschaft, der Militärjustiz und-des EMD-Informationsdienstes statt. Dabei erinnert Bundesanwältin Del Ponte im Zusammenhang mit Äusserungen von Offizieren in den Medien an die Geheimhaltungspflicht und weist darauf hin, dass deren Verletzung strafbar ist. Im Anschluss an die Sitzung verfasst der EMD-Informationsdienst eine Weisung, die mit elektronischer Post im EMD verbreitet wird. Darin wird festgehalten, dass die Bundesanwaltschaft alle Beamten davor warnt, sich in den'Medien oder der Öffentlichkeit zum hängigen Verfahren zu äussern. Ebenfalls am Montag kündigt der EMD-Informationsdienst auf Ende der laufenden Woche eine Stellungnahme von Bundesrat Ogi
an. Am späteren Nachmittag wird im Einvernehmen mit der Bundesanwaltschaft und der Militärjustiz eine Medienmitteilung veröffentlicht, worin auf die aufwendigen Abklärungen und die Verschwiegenheitspflicht von Bundesanwaltschaft und Militärjustiz verwiesen wird. Weiter werden zusätzliche interne Untersuchungen (u. a. zur Diamant-Feier) angekündigt.

Das Communiqué wird am nächsten Tag (30. Jan. 1996) in den Medien scharf kritisiert: Mit dieser Mitteilung und seinem äusserst geringen Informationsgehalt habe sich das EMD völlig blamiert, meint der Tages-Anzeiger, und die Berner Zeitung stellt fest, das Communiqué gehe «nicht auf die in den Medien aufgetauchten Vermutungen ein». Eine solche Informationspolitik schüre Gerüchte und gefährde, was sie schützen wolle, nämlich die Wirksamkeit der Ermittlung und die Unschuldsvermutung, wird in den Medien geäussert.

Am folgenden Mittwoch (31. Jan. 1996) spricht Bundesrat Ogi - nach vorgängiger Orientierung der Bundesanwaltschaft, des Oberauditors sowie des Bundesratskollegiums - zu den Medien. Er bestätigt dabei erstmals offiziell, dass es sich beim verhafteten Oberst um Friedrich Nyffenegger handelt und ihm Vergehen im Zusammenhang mit den Diamant-Feierlichkeiten und mit dem Projekt «Elektronischer Generalstabsbehelf» vorgeworfen werden. Er nimmt u. a. auch zur Kritik an der

1580

InformationspoliUk des EMD Stellung und weist darauf hin, dass diese an die falsche Adresse gerichtet sei, zumal er bereits eine Woche zuvor (am Mittwoch, 24. Jan. 1996) habe informieren wollen, die Bundesanwaltschaft ihm dies jedoch untersagt habe. Er erwähnt weiter, dass im heutigen Bundesratkollegium drei ehemalige Chefs EMD vertreten sind, von denen jeder während seiner Amtszeit die Wege mit Oberst Nyffenegger gekreuzt habe. Er selbst sei bei seinem Amtsantritt über den Fall nicht informiert worden.

Am selben Tag äussern sich Bundesrat Koller im Deutschschweizer Fernsehen und ein Sprecher von Bundespräsident Delamuraz im Westschweizer Fernsehen zum Fall Nyffenegger. Bundesrat Villiger ist an diesem Tag nicht erreichbar.

Die Medien thematisieren am Donnerstag (l.Febr. 1996) die verschiedenen Informationsbemühungen. In der NZZ werden - neben der fehlenden Koordination der Information - vier Problembereiche angesprochen: - Das Spannungsfeld Justiz-Politik; - die Eigendynamik der Affäre, die durch die inhaltslose Pressemitteilung ausgelöst worden sei und bisher nicht habe unter Kontrolle gebracht werden können; - das veränderte medienpolitische Umfeld, das einerseits eine grundsätzlich orientierende und damit auch vertrauensbildende Begleitung durch den EMD-Vorsteher erfordert hätte, andererseits aber von der Justiz auch verlange, sich darüber klar zu werden, was unter einer zeitgemässen und vor allem auch zeitgerechten Information zu verstehen sei; - die behördliche Information gestalte sich «hilflos», aus früheren Vorfällen ähnlichen Ablaufs seien keine Lehren gezogen und bisher keine krisenfeste Informationspolitik konzipiert worden.

In den1 Medien ist unterdessen der Hinweis der Bundesanwältin vom 29. Januar 1996 an die Adresse des EMD bezüglich der Strafbarkeit von Geheimnisverletzungen als «Maulkorb» bezeichnet worden. Vertreter des EMD, des EJPD, der Bundesanwaltschaft und der Bundeskanzlei einigen sich diesbezüglich am Donnerstag auf eine Sprachregelung". Die Bundesanwaltschaft dementiert auf Anfrage, dass es eine (schriftliche) Weisung der Bundesanwältin mit einem Informationsverbot gegeben habe. Vielmehr habe es sich um einen, dringenden Appell des militärischen Untersuchungsrichters gehandelt. Die schriftliche Weisung selbst sei dann im EMD verfasst worden.

Ebenfalls am Donnerstag
präzisiert Bundesrat Villiger gegenüber den Medien, wie und wann er durch den Generalstabschef vom Fall Nyffenegger erfahren habe. Er habe keinen Anlass gehabt anzunehmen, dass es um gravierende Probleme gehe, weshalb er bei der Amtsübergabe an Bundesrat Ogi die Untersuchung nicht erwähnt habe.

Die Medien greifen am folgenden Tag die Inhalte und die Art und Weise der behördlichen Informationen vom Vortag wiederum auf. Die NZZ stellt - u. a. vor dem Hintergrund, dass die Begründung Bundesrat Ogis für seine restriktive Informationspolitik (Haltung der Bundesanwaltschaft) von der Bundesanwaltschaft

" Die GPK-N vertritt dezidiert die Meinung, dass «Sprachregelungen» in der gesamten Bundesverwaltung absolut fehl am Platz sind. Bundesrat und Bundesverwaltung haben klar und offen zu informieren. Die Sprache, durch welche dies geschieht, bedarf keiner behördlichen Regelung. Jeder Sprachregelung haftet zumindest der Verdacht an, beschönigen oder manipulieren zu wollen. Häufig besiätigt sich dieser Verdacht. Der Begriff «Sprachregelung» ist zudem auch durch frühere Ereignisse (Fall Kopp) negativ besetzt. Er ist - terminologisch und inhaltlich - nicht mehr zu verwenden.

65 Bunüesblall 149. Jahrgang. Bd. III

1581

sofort dementiert wird - fest, dass nach wie vor keine Informationsstrategie ausgearbeitet worden sei. Sie ruft angesichts der «pausenlosen, wenig kohärenten Information durch Bundesräte und weitere hohe VerantwortungsträgeD> dazu auf, die Information auf Stufe Landesregierung zu konzentrieren und Vizekanzler Casanova mit der Koordination zu betrauen. Das «politisch schädliche Informationsverwirrspiel» müsse beendet werden. Von einem perfekten Informationschaos spricht das Badener Tagblatt, An diesem Tag - es ist mittlerweile Freitag, 2. Februar 1996 - vereinbaren das EJPD und die Bundeskanzlei eine Informationsstrategie. Vorgesehen wird u. a. die Veröffentlichung einer Pressemitteilung von Bundesanwaltschaft und Oberauditor.

Man kommt weiter überein, dass sich verschiedene Personen - mittlerweile haben rund zwanzig Amts- und Magistratspersonen Stellung genommen - nicht mehr zum Fall oder einzelnen Aspekten äussern.

In der Pressemitteilung bestätigen Bundesanwaltschaft und Oberauditor nun ebenfalls, dass es sich beim verhafteten -EMD-Beamten um Oberst Nyffenegger handelt.

Eine detaillierte Information wird für rund zehn Tage später angekündigt.

Gleichentags führt Bundesrat Ogi mit den Medien aus Anlass seiner ersten 100 Tage im EMD ein Gespräch, in dem er erklärt, es sei ihm bei seinen Äusserungen zwei Tage zuvor nicht um Schuldzuweisungen gegangen, als er seine drei Amtsvorgänger im EMD namentlich erwähnt habe. Ein Sprecher des EMD erklärt zur Informationssperre («Maulkorb»), es habe sich dabei um eine mündliche Weisung der Bundesanwältin gehandelt.

In Davos erklärt Bundespräsident Delamuraz am Tag darauf (Samstag, 3. Febr.

1996), die Vielfalt der Informationsquellen und die verschiedenen Inhalte hätten offensichtlich Unsicherheit gestiftet. Der Bundesrat werde bis zum Vorliegen der Untersuchungsergebnisse nicht mehr weiter Stellung beziehen. Die Samstagsausgabe wird von zahlreichen Zeitungen dazu benutzt, die Informationspolitik im Fall Nyffenegger rückblickend zu kritisieren. Insbesondere gerät auch Bundesanwältin Del Ponte mit ihrer passiven Informationshaltung unter Beschuss.

Am Freitag, 9. Februar 1996 kündigen unter dem Druck der Ereignisse die Bundesanwaltschaft und das Oberauditorat für Dienstag, 20. Februar 1996, eine Medienorientierung an. An dieser Medienkonferenz mit Bundesanwältin
Del Ponte, Oberauditor van Wijnkoop und dem militärischen Untersuchungsrichter Eichmann wird mitgeteilt, gegen Oberst Nyffenegger bestehe der konkrete Verdacht auf Entgegennahme von Bestechungsgeldern in der Höhe von rund 130 000 Franken, auf ungetreue Amtsführung, Urkundenfälschung und betrügerische Handlungen, auf rechtswidrige Aneignung von Material sowie auf Verletzung militärischer Geheimnisse.

Die Deliktssumme, so die Bundesanwältin, belaufe sich auf «mehrere Hunderttausend Franken». Die Berichterstattung in den Medien und die Kritik an der Information der Bundesbehörden beruhigt sich in der Folge; hingegen wird die Information der Bundesanwältin nun von seilen der verdächtigten Parteien kritisiert. Im Nationalrat wird später in einer Interpellation u. a. die Frage aufgeworfen, ob mit dieser Orientierung nicht das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege bzw. die Geheimhaltungspflicht im Untersuchungsverfahren verletzt worden sei. Der Bundesrat ist nicht dieser Meinung.

1582

3.2.2

Beurteilung der Informationstätigkeit im Fall Nyffenegger

Die Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundes Verwaltung gestaltete sich im Fall Nyffenegger sowohl in technischer als auch inhaltlicher Hinsicht zum Teil mangelhaft.

a. Mangelhafte Koordination Auffallig ist vorerst die mangelnde bzw. über weite Strecken nicht existente Koordination der Information. Statt bereits vor der Veröffentlichung des ersten Pressecommuniqués (d. h. zu einem Zeitpunkt, als dies noch in aller Ruhe hätte geschehen können) ein Informationskonzept für den Fall Nyffenegger zu erarbeiten, behalfen sich die verschiedenen involvierten Amtsstellen mit zum Teil untauglichen Ad-hoc-Lösungen. Erst eine Woche nach Bekanntwerden der Affäre wurde eine Informationsstrategie vereinbart. Die betroffenen Stellen waren offensichtlich nicht vorbereitet, um die Öffentlichkeit über den Fall koordiniert und in angemessener Art und Weise informieren zu können.

Die mangelnde Koordination betraf einerseits, das Verhältnis EMD-Bundesanwaltschaft, andererseits aber auch die Information durch den Bundesrat selbst.

Die Koordination zwischen EMD und Bundesanwaltschaft erschwert haben zweifellos die unterschiedlichen Interessen der beiden Stellen (einerseits Politik, andererseits Justiz). Hinzu trat, dass der Grundsatz der Gewaltenteilung von der Politik verlangte, auch bei der Gestaltung der Information die Unabhängigkeit der Untersuchungsbehörden zu achten. Dies nicht zuletzt deshalb, um den Vorwurf zu vermeiden, die Politik erschwere die Arbeit der Justzibehörden und behindere die Suche nach det Wahrheit. Das Hauptinteresse von Bundesanwaltschaft (und Militärjustiz) bestand darin, den Sachverhalt rasch und lückenlos aufzuklären, ohne das Verfahren durch eine verfrühte Information der Öffentlichkeit zu gefährden. Auf der anderen Seite handelte es sich beim Hauptverdächtigen um einen ehemaligen höheren Beamten des EMD, weshalb Vertreter dieses Departementes eine rasche und transparente Information in dieser Angelegenheit befürworteten.

Es ist aber Aufgabe der betroffenen Stellen, diesen Interessen- und Kompetenzkonflikt zu lösen, und zwar unverzüglich im Zeitpunkt, da die Konflikte offensichtlich werden. Das wäre im Fall Nyffenegger spätestens am 24. Januar 1996 der Fall gewesen, als Bundesrat Ogi im Gegensatz zur Bundesanwaltschaft bereits aktiv informieren wollte. Es ist nicht verständlich,
dass nicht bereits zu diesem Zeitpunkt die Verantwortlichkeiten für die Information geklärt und eine entsprechende Strategie festgelegt wurde. Vjelmehr entsteht der Eindruck, die verschiedenen Stellen hätten einmal zugewartet, wie sich die Lage entwickeln würde, ohne sich ausführliche informationspolitische Überlegungen zu machen. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, dass sich die betroffenen Dienststellen (v. a. Bundesanwaltschaft und EMD) nicht wenigstens nach Entstehung der Informationskrise unverzüglich auf ein Informationskonzept verständigt haben. Vielmehr wurden die Konflikte teilweise sogar öffentlich und kontrovers ausgetragen (vgl. Maulkorb-Diskussion). Ein solches Verhalten schadete der Glaubwürdigkeit der offiziellen Information, die bereits durch ihre inhaltliche Schwäche in Mitleidenschaft gezogen war, zusätzlich.

Dass im Verhältnis zur Bundesanwaltschaft besondere Koordinationsschwierigkeiten auftauchten, ist nicht in erster Linie ein Problem des EMD. Jede Dienststelle, die nach politischen Gesichtspunkten handelt, wird informationspolitisch andere Gewichtungen vornehmen als die Strafverfolgungsbehörden, die - teilweise begründet - eine Beeinträchtigung ihrer Arbeit durch öffentliche Information befürchten.

1583

Gerade die Informationstätigkeit im Fai! Nyffenegger, in dem zeitweise 60 bis 80 Medienschaffende recherchierten, hat aber gezeigt, dass eine passive, defensive Informationspolitik die Ermittlungen der Justiz gerade auch gefährden kann.

Auch der Bundesrat koordinierte seine Information in einer für die Öffentlichkeit nicht erkennbaren Art und Weise. Zwar steht es den einzelnen Mitgliedern des Bundesrates grundsätzlich zu, sich nach ihrem eigenen Gutdünken gegenüber der Öffentlichkeit zu äussern. Es unterstützt aber eine glaubwürdige, kohärente Information und damit den Eindruck, in einer schwierigen Situation zu führen, nicht, wenn sich in der gleichen Sache vier verschiedene'Bundesräte mit zum Teil entgegengesetzten Interessen äussern. Vielmehr muss in der Öffentlichkeit das Bild entstehen, die einzelnen Bundesräte würden versuchen, vorerst ihre eigene Person aus dem Schussfeld der Kritik zu ziehen, während das Sachproblem als solches nicht im Vordergrund zu stehen scheint.

Insgesamt hätte sich eine Koordination der Information durch eine zentrale Stelle aufgedrängt (z. B. Vizekanzler); diese zentrale Koordination hätte bereits vor der ersten Information der Öffentlichkeit sichergestellt sein müssen.

b. Ungünstiger Zeitpunkt Ausgesprochene Fehlleistungen sind in technischer Hinsicht auch insofern festzustellen, als das erste Pressecommuniqué in dieser Sache an einem Freitag nachmittag um 16 Uhr veröffentlicht wurde. Eine Medienorientierung um diese Zeit ist generell nicht vorteilhaft, da sie kaum mehr Raum lassi für eine Aufarbeitung der Informationen. Dazu kommt, dass viele Redaktionen an Freitagen früher schliessen und deshalb nicht mehr voll besetzt sind. Schliesslich hat sich das Zuwarten mit der Veröffentlichung in diesem Fall auch deshalb fatal ausgewirkt, weil über das nachfolgende Wochenende keine (oder nur eine erschwerte) offizielle Information möglich war, was' die spekulative Recherchiertätigkeit geradezu provozierte. Gewissermassen bezeichnend ist, dass dann schliesslich nicht einmal das vereinbarte ausführlichere Communiqué veröffentlicht wurde, sondern - vereinbarungswidrig die Kurzversion. Solche Fehlleistungen entsprechen nicht den Erwartungen, die gegenüber professionellen Informationsdiensten bestehen.

c. Passive, defensive Informationspolitik Die Informationspolitik im Fall
Nyffenegger war insgesamt geprägt von einer passiven und defensiven Haltung. Besonders verhängnisvoll wirkte sich diese Politik zu Beginn des Bekanntwerdens der Affäre in der Öffentlichkeit aus. Es ist zwar durchaus zu würdigen, dass Bundesrat Ogi bereits relativ frühzeitig eine aktive Information der Öffentlichkeit ins Auge fasste. Dies ändert nichts daran, dass Medien und die Öffentlichkeit nicht aktiv informiert, sondern dass offizielle Verlautbarungen zunächst erst auf Anfrage hin abgegeben wurden. Rückblickend muss es - auch unter Berücksichtigung der schwierigen Umstände - als falsch bezeichnet werden, dass Bundesrat Ogi in dieser Situation nur die Absicht zur Information entwickelt, diese Absicht aber nicht umgesetzt hat. Bundesrat Ogi gab zwar später gegenüber den Medien an, die Bundesanwaltschaft habe ihm eine Information der Öffentlichkeit verboten. Dieses Verbot ist umstritten. Aber selbst wenn dem so ist, hätte sich der Bundesrat als Landesregierung nicht an eine entsprechende Weisung halten dürfen. Vielmehr hätte sich der Bundesrat unter Einschätzung der Situation auf eine angemessene und aktive Informationspolitik mit einer entsprechenden Strategie ·(welche zu diesem Zeitpunkt noch ohne äusseren Druck hätte entworfen werden können) verständigen müssen.

1584

Dazu kam, dass die behördlichen Informationen in ihrem Gehalt wenig substantiell waren, was die Medien angesichts des emotionalen Themas (Oberst der Schweizer Armee, Diamant-Feierlichkeiten, militärische Geheimnisse, evtl. private Probleme) zu besonderem Recherchiereinsatz veranlasste. Die zurückhaltende Informationspolitik hatte zudem zur Folge, dass die Medien laufend Informationen veröffentlichten, die dann von offiziellen Stellen kommentiert (bestätigt oder dementiert) werden mussten. Dadurch gerieten die Behörden in Zugzwang und unter Druck, was sich beispielsweise daran illustrieren lässt, dass die Medien bereits am 27.728. Januar 1996 den Namen Nyffeneggers und die Zusammenhänge zu den Diamant-Feierlichkeiten veröffentlicht hatten; Meldungen, welche am 29. Januar vorerst indirekt, am 31. Januar dann offiziell von Bundesrat Ogi und am 2. Februar schliesslich auch von der Bundesanwaltschaft und dem Oberauditor bestätigt wurden.

Es ist illusionär, von den Medien Zurückhaltung in der Bearbeitung von delikatenThemen zu erwarten. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Medien auf den immer härteren Märkten und unter immer grösserer Konkurrenz dem Publikum anbieten müssen, werden gerade schwierige Themen zu jenen, die von den Medien bevorzugt behandelt werden. Es ist aber jedenfalls falsch, die Medien durch Nichtinformation oder inhaltlich zurückhaltende Information von eigenen Nachforschungen und von der Veröffentlichung der Recherchen abhalten zu wollen. Vielmehr mussten, wenn in einem Fall tatsächlich die Voraussetzungen für einen vorläufigen Informationsstopp gegeben sind, die Gründe für das Zuwarten mit weiteren Informationen besonders aktiv und offensiv erklärt werden (z. B. durch eine Orientierung der Öffentlichkeit über methodische Probleme des Falles). Dies wird jedoch nicht erreicht, indem man die Medien für weitere Informationen auf später vertröstet.

Die von offiziellen Stellen abgegebenen Informationen waren zudem teilweise auch widersprüchlich oder zumindest verwirrlich. Besonders offensichtlich zeigte sich dies in der sogenannten Maulkorb-Diskussion; Die Bundesanwältin hatte nach Veröffentlichung der ersten Medienberichte die Geheimhaltungspflichten und die Strafbarkeit von Verletzungen dieser Pflicht iji Erinnerung gerufen. Als Folge davon hatte das EMD eine interne Weisung erlassen
und alle Beamtinnen und Beamten vor entsprechenden Medienkontakten gewarnt. Die Frage, ob die Bundesanwaltschaft damit dem EMD einen Maulkorb umgelegt, ob es sich bloss um einen dringenden Appell des militärischen Untersuchungsrichters oder um eine mündliche Weisung der Bundesanwältin gehandelt habe, war nachfolgend Gegenstand verschiedener Dementis und Berichtigungen.

Die passive bzw. reaktive und (zu) lange wenig aussagekräftige Information hat im Fall Nyffenegger verhindert, in der Öffentlichkeit ein glaubwürdiges Bild der vom Verfahren betroffenen Stellen entstehen zu lassen. Vielmehr muss angenommen werden, dass die falsche Informationspolitik den Recherchiertätigkeiten der Medien Vorschub geleistet und damit Spekulationen und Gerüchte mitverursacht hat. Die passive, zudem teilweise auch widersprüchliche Informationstätigkeit hat schliesslich dazu" geführt, dass dann unter dem Druck der Ereignisse und der Kritik informiert wurde, um die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen.

Eindrücklich zeigt dies die Informationstätigkeit der Bundesanwaltschaft: Anfänglich informierte diese gar nicht, dann nur ungenügend (was wiederum den Recherchierjoumalismus anheizte) und schliesslich an der Medienorientierung vom 20. Februar 1996 (diese kam erst nach vehementer Kritik der Medien zustande) in

1585

einer Art und Weise, die inhaltlich über das Ziel hinausschoss und zumindest die Gefahr von 'Vorverurteilungen in sich trug. Diese Medienkonferenz wurde denn auch zum Gegenstand der Kritik (Vorstoss im Nationalrat), weil dabei Informationen abgegeben wurden, die sehr weit Vorgriffen. Dies zeigt auch die Schwierigkeit, durch Informationen die Bedürfnisse zu befriedigen, bevor der Inhalt dieser Informationen gesichert werden kann. Um so wichtiger ist aber gerade deshalb, dass von Anfang an soweit als möglich Transparenz geschaffen wird und dass dort, wo (noch) nicht informiert werden kann oder darf, ebenso transparent erklärt wird, weshalb dies nicht möglich ist.

d. Zusammenfassende Würdigung Die Sektionen B/M GPK-N kommen zum Schluss, dass die Informati onslätigkei t von Bundesrat, Verwaltung und Justiz im Fall Nyffenegger über weite Strecken ungenügend war. Zu bemängeln ist insbesondere die von Anfang an fehlende Koordination und das nichtexistente Informationskonzept. Vor allem in den ersten Tagen (als naturgemäss auch das Interesse und die Unsicherheit am grössten waren) übernahm niemand die Gesamtführung und -koordination, und die Informationstätigkeit war anfänglich von einer verwirrlichen Vielzahl von Medienmitteilungen mit zum Teil widersprüchlichem Inhalt geprägt. Die Verantwortlichen informierten zu Beginn der Krise nur passiv; dies ist vor allem auf das nicht bereinigte Verhältnis zwischen Strafverfolgungsbehörden (Bundesanwaltschaft, Milita'rjustiz) und Bundesrat/übrige Bundesverwaltung (Politik) zurückzuführen. Hier besteht offensichtlich dringender Handlungsbedarf. Insgesamt erfolgte die Information der Öffentlichkeit im Fall Nyffenegger weder einheitlich, noch rasch, noch hinreichend umfassend; sie war grundsätzlich der Situation nicht angemessen.

3.3 3.3.1

Die Information im Fall Rinderwahnsinn / Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) Sachverhalt

Ende 1990 wird in der Schweiz der erste BSE-Fall bekannt; verschiedene Massnahmen werden ergriffen. Im Juli Î994 orientieren das Bundesamt für Veterinärwesen (BV-ET) und das Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG) an einer Medienkonferenz über BSE, die CJD-Krankheit und die 1990 ergriffenen Schutzmassnahmen.

Die Risiken der Übertragung von BSE auf Menschen werden als unwahrscheinlich bezeichnet.

Am Mittwoch, 20. März 1996 wird im britischen Parlament eine Studie bekannt, welche sich mit den Tod von zehn auch jüngeren Personen befasst, welche an einer spezifischen Variante der CJD-Krankheit gestorben sind. Aufgrund dieser Studie schliesst der britische Gesundheitsminister einen möglichen Zusammenhang zwischen BSE und einer besonderen Art der CJD-Krankheit bei »Menschen nicht mehr aus. Die britischen Informationen lösen in Europa eine heftige Reaktion aus; verschiedene Länder verfügen am folgenden Tag (Donnerstag, 2i.März 1996) ein sofortiges Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch. In der Schweiz bezeichnen sowohl Vertreter des BVET als auch des BAG das Fleisch, das zu diesem Zeitpunkt verkauft wird, als sicher. Eine Änderung der Präventionspolitik werde nicht ins Auge gefasst. Der Direktor des BVET äussert sich gegenüber den Kantonstier.ä'rzten, es gebe keinen wissenschaftlichen Beweis für die Übertragbarkeit von BSE auf Menschen. Das BAG spricht von einer Verstärkung einer Hypothese: Die

1586

schweizerischen Behörden seien immer davon ausgegangen, dass das Risiko der Übertragung nicht ausgeschlossen werden könne. Im Deutschschweizer Femsehen (10 vor 10) nimmt der Direktor des BAG Stellung und erklärt, man könne die Frage, ob bei Verzehr von Rindfleisch ein Risiko bestehe, zur Zeit nicht abschliessend beantworten.

Am Tag darauf (Freitag, 22. März 1996) erlassen weitere europäische Staaten ein Importverbot für Rindfleisch aus Grossbritannien. Im Bund äussern sich die Konsumentenorganisationen, die im Zusammenhang mit der BSE-Problematik von einem besonders fatalen Beispiel einer Beschwichtigungspolitik sprechen; es wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland die Behörden und Konsumenten viel sensibler reagieren würden als in der Schweiz.

Kurz nach Mittag verbietet die deutsche Regierung die Einfuhr von Rindfleisch und lebenden Rindern aus Grossbritannien und der Schweiz. Derweil erklärt ein Sprecher des BVET, Schweizer Fleisch sei gut kontrolliert und einwandfrei, die Bevölkerung könne beruhigt sein. Deutschland habe schon vor einem Jahr ein Importverbot für Schweizer Rindfleisch erwogen. Am Nachmittag bezeichnet der Direktor des BVET gegenüber einem Journalisten ein Importverbot von britischem Rindfleisch als völlig übertrieben. Genau das, nämlich ein Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch, ordnet Bundesrat Delamuraz am späteren Nachmittag an. Das Verbot wird von einem Sprecher des EVD mit der Unsicherheit erklärt, die nach den Äusserungen der britischen Regierung entstanden sei.

Das Vorgehen der Behörden wird in der'Samstagspresse (23. März 1996) thematisiert. Die NZZ geht darauf ein, dass einerseits das BVET ein Importverbot für britisches Rindfleisch als völlig übertrieben bezeichnet, Bundesrat Delamuraz ein solches Verbot aber kurze Zeit darauf erlässt. Die Behörden sorgten dafür, dass die Verunsicherung in der Bevölkerung nur noch grösser würde, meint der Blick, der auch fragt, warum nach dem britischen nicht auch das schweizerische Rindfleisch verboten worden sei. Verschiedene Zeitungen kommen auf die Tatsache zu sprechen, dass in der Frage, ob Rinderwahnsinn auf Menschen übertragbar sei, keine endgültige Sicherheit bestehe. Unterdessen ist der Absatz von Rindfleisch in der Schweiz um rund 40 Prozent eingebrochen.

Am Sonntag (24. März 1996) treffen sich Vertreter des BVET,
BLW, BAWI, BAG sowie des Generalsekretariats des EVD zu einer Koordinationssitzung. Die offizielle Position lautet: Aufgrund wissenschaftlicher Daten drängten sich keine zusätzlichen Massnahmen auf. Es wird eine Pressekonferenz für den nächsten Tag angekündigt.

Ebenfalls am Sonntag veröffentlichen SonntagsBlick und SonntagsZeitung je ein Interview mit den Direktoren des BAG und des BVET. Diese erklären, dass das Importverbot für britisches Rindfleisch wissenschaftlich-fachlich nicht begründet bzw. zu einem gewissen Grade auch politisch motiviert gewesen sei, sicher aber zur Beruhigung der aufgeschreckten Bevölkerung beitrage. Der Direktor des BAG erklärt, es sei relativ schwierig, bei der grossen Informationsflut wieder genügend Sicherheit herzustellen: «Nächste Woche werden wir breit informieren. Die Verunsicherung der Bevölkerung muss man sehr ernst nehmen. Wir müssen überfegen, was wir gegen diese Verunsicherung tun können.» Die SonntagsZeitung wirft dem BAG und dem BVET vor, das Problem BSE seit 1990 verharmlost zu haben. Entwarnungen und Verharmlosungen seien fehl am Platz, solange man nicht wirklich wisse, was vor sich, gehe. Auch wenn das objektive Risiko für den Menschen beim Rindfleischkonsum nach heutigem Wissensstand verschwindend klein sei, so

1587

bestehe es eben doch. Den Konsumenten mute man nicht zu viel zu, wenn man dies auch offen zugebe. Der SonntagsBlick wirft den Behörden vor, Bern interessiere sich nicht für die beunruhigte Bevölkerung, nichts werde dort mehr gescheut als ein offenes Wort.

Am Montag (25. März 1996) nehmen die Medien die Problematik der verunsicherten Bevölkerung breit auf. An diesem Tag folgt dann auch die angekündigte Medienorientierung mit Vertretern des BAG, des BVET und des BLW. Die Befürchtungen bezüglich einer Übertragung von BSE auf Menschen 'werden relativiert; es wird betont, dass sich keine neuen Schutzmassnahmen aufdrängen würden. Es wird eine Telefon-Hotline und eine Internet-Informationsseite angekündigt, welche ab Montag mittag in Betrieb sein sollen. Die Medien werten diese Massnahmen als Informationsoffensive und als Reaktion auf die Verunsicherung in der Bevölkerung.

Deutschland und Oesterreich haben mittlerweile einen Importstopp gegenüber Rindlfeisch aus der Schweiz verhängt; diese Massnahmen werden am Dienstag, 26. März 1996, aufrechterhalten. Am Mittwoch, 27. März 1996, erlässt die EU ein definitives Einfuhrverbot für britische Rinder. Auch der Bundesrat hält am Einfuhrverbot fest. Er bedauert, dass Deutschland und Oesterreich ihrerseits den Import von schweizerischem Rindfleisch verbieten; angesichts der Kontrollmechanismen in der Schweiz sei dies unangemessen. Der Konsum von Rindfleisch stelle kein Risiko dar.

Ebenfalls am Mittwoch kritisiert der Schweizer Bauer die Massenmedien, welche sich im Konkurrenzkampf um die Gunst der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit mit reisserisch aufgemachten Artikeln mit verdrehten Aussagen und Spekulationen überbieten würden. Man verlange von Behörden und Wissenschaft absolute Gewissheit, obwohl es diese im dynamischen System «Leben» nicht gebe.

Die NZZ fordert am Donnerstag (28. März 1996) eine offene, ehrliche Information, wozu auch das Eingeständnis gehöre, dass es eine absolute Sicherheit für den Fleischkonsumenten beim jetzigen Wissensstand nicht gebe. Die Massnahmen der Behörden werden aber als richtig erachtet, um das individuelle Risiko eines uninformierten Konsumenten zu minimieren. In einem gleichentags erscheinenden /-acteInterview räumt der Direktor des BVET ein, dass bei der Informations Vermittlung seines Amtes bisher vielleicht der Aspekt
der besorgten Bevölkerung zu wenig im Vordergrund gestanden habe.

Einen Tag später (Freitag, 29. März 1996) findet eine zweite Pressekonferenz mit Vertretern des BAG, des BVET und des BLW statt. Dabei wird vor allem über den Stand der Forschung und der Arbeiten im BVET (Hotline-Auswertung, Massnahme-Überprüfung) orientiert. In der Schweiz sei noch niemand an der neuen Form der in Grossbritannien entdeckten Form von CJD erkrankt. Es wird auch ein Bundesratsbeschluss zur Einstellung der Schlachtviehmärkte für Rinder angekündigt. Die Presse berichtet an diesem Tag darüber, dass die Hotline ständig überlastet ist und das Informationsbedürfnis der Konsumentinnen und Konsumenten nicht zu befrieden vermöge. Das BVET begründet dies damit, dass nur zwei Personen in der Lage seien, mit dem notwendigen Sachverstand Auskunft zu geben; diese seien für die Hotline freigestellt worden.

Cash problematisiert an diesem Tag die Informationspolitik im Zusammenhang mit BSE; Die Aufklärung sei zum Fiasko geworden, die Bevölkerung sei verunsichert und allein gelassen. PR-Berater, welche in Cash zu Wort kommen, stellen fest, die Behörden seien nicht vorbereitet gewesen, es habe kein Krisenszenario bestanden,

1588

eine Strategie habe gefehlt, man habe sich zu streng an die Fakten gehalten oder ausweichend Stellung genommen.

In der Folgewoche (Mittwoch, 3. April 1996) gibt der Bundesrat eine Änderung der Lebensmittelverordnung auf anfangs Mai 1996 bekannt: Die Herkunft von offen verkauftem Fleisch muss nun deklariert werden. Damit soll zusätzliche Sicherheit für die Konsumentinnen und Konsumenten geschaffen werden. Zudem werden 20 Millionen Franken zur Stützung des eingebrochenen Rindfleischmarktes und ein Forschungskredit für die Entwicklung einer rascheren BSE-Diagnose freigegeben.

Am 6. April 1996 wirft der Tages-Anzeiger den Behörden widersprüchliche Information vor: Es herrsche Unklarheit, ob Bern ein generelles Verbot von Tiermehl prüfe oder nicht.

Am 17. April 1996 isst der Bundesrat zu Mittag Gulasch (was Vizekanzler Casanova den Medien am Nachmittag auch mitteilt). Gleichentags verschärft der Bundesrat die Verordnung über die Entsorgung von Tierabfällen in der Absicht, das Vertrauen der Konsumenten zu stärken. Die NZZ nimmt diese Informationen am 18. April 1996 zum Anlass, darauf hinzuweisen, die Behörden würden sich immer wieder in Widersprüche verstricken. Dies verwirre die Konsumentinnen und Konsumenten.

3.3.2

Beurteilung der Informationstätigkeit im Zusammenhang mit BSE/CJD

a. Unbeantwortbare Fragestellung Vorerst ist zu berücksichtigen, dass die informierenden Stellen im vorliegenden Fall mit der Schwierigkeit konfrontiert waren, über ein Problem zu informieren, dessen für die Öffentlichkeit in diesem Moment drängendste Kernfrage (ist BSE durch Rindfleischgenuss auf Menschen übertragbar?) schlicht nicht durch eine klare Aussage beantwortet werden konnte (und kann). Diese Voraussetzung erschwert zwar die Information, sie entbindet aber nicht davor, alles zu unternehmen, um die Bevölkerung rasch, offen und verständlich über die Sachlage zu orientieren. Diese Information besteht unter solchen Voraussetzungen nicht zuletzt darin, der Öffentlichkeit nachhaltig darzulegen, dass eine klare Ja-/Nem-Information nicht möglich ist. Dies wurde zwar ansatzweise versucht, doch ist es offensichtlich nicht gelungen, diese Botschaft aus der Fülle von Informationen herauszuheben und verständlich zu machen. Der Umstand, dass gewisse offizielle Informationen im Widerspruch zu bestimmten Handlungen der Behörden zu stehen schienen (vgl. dazu unten c), hat die Öffentlichkeit eher zusätzlich verunsichert.

b. Überraschung Die mit der BSE-/CJD-Problematik .befassten Stellen wurden von der Heftigkeit des Echos, das die Veröffentlichung der Studienresultate aus Grossbritannien auslöste, offensichtlich überrascht. Die grundsätzliche Problematik war seit längerem bekannt, weshalb zu diesem Zeitpunkt niemand mit einem derart grossen Informationsbedürfnis rechnete. Ausschlaggebend dürfte dafür nicht zuletzt die Tatsache gewesen sein, dass laut den britischen Informationen zehn Menschen an einer neuartigen CJD-Variante gestorben waren. Erstmals wurde damit die mögliche Bedrohung von Menschen durch BSE konkret fassbar, auch wenn sie nicht gesichert belegt war. Die Diskussion verschob sich aber in diesem Moment von einem

1589

abstrakt-wissenschaftlichen auf ein für alle wahrnehmbares Niveau. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Behörden zunächst überrascht waren und offensichtlich für diese Situation über keine Informationsstrategie verfügten.

c. Widersprüchliche Informationen In den Medien verschiedentlich kritisiert wurde, dass die amtliche Information zu BSE/CJD widersprüchlich gewesen sei. Offenbar besteht dieser Eindruck auf seilen der Informierenden weniger oder nicht. Der Eindruck der Informierenden kann aber für die Beurteilung dieser Frage nicht massgebend sein. Abzustellen ist allein auf den Eindruck, den die Empfängerinnen und Empfänger der Informationen hatten und haben mussten.

Vor allem in zwei Punkten waren die amtlichen Informationen nicht einheitlich: Dies betrifft einerseits die Einschätzung des Risikos, beim Essen von Rindfleisch mit BSE bzw. CJD infiziert zu werden, und andererseits die Frage nach der Angemessenheit eines Importverbotes für Rindfleisch und lebende Rinder aus Grossbritannien, Die Aussagen zum Risiko beim Verzehr von Rindfleisch wichen zwar in der Regel nur in Nuancen voneinander ab. Sprachen die einen von einwandfreiem Fleisch, das problemlos verzehrt werden könne, betonten andere, wer heute Rindfleisch esse, gehe praktisch kein Risiko ein. Der Bundesrat erklärte, der Konsum von Rindfleisch stelle kein Risiko dar, während die Direktionen der unmittelbar betroffenen Bundesämter schliesslich folgende Sprachregelung" vereinbarten: Der Konsum von Rindfleisch, Milch und Milchprodukten könne nach Beurteilung der beiden Ämter nach heutigem Stand des Wissens als sicher, unbedenklich oder problemlos bezeichnet werden, während der Begriff «risikolos» im strengen Sinn falsch wäre.

Für die Konsumentinnen und Konsumenten macht es psychologisch einen erheblichen Unterschied, ob man Rindfleisch «problemlos» essen könne oder ob man dabei «praktisch kein 'Risiko» eingehe. «Praktisch kein Risiko» lässt sich deuten als: Es kann vielleicht, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, doch ein Problem entstehen. Es ist, wie dies der Direktor des BVET in einem Interview auch eingeräumt hat, rückblickend davon auszugehen, dass dem Empfangerhorizont und den Publikumsbedürfnissen anfänglich zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Die Informationstätigkeit orientierte sich zu stark an wissenschaftlich-fachlichen
Kriterien und zu wenig an emotional-psychologischen Bedürfnissen der Bevölkerung.

Der zweite Bereich, in welchem die Information nicht einheitlich erfolgte, betrifft das Importverbot für britisches Rindfleisch und britische Rinder. Am 21. März 1996 hatten BAG und BVET noch erklärt, es drängten sich keine Änderungen der Präventivmassnahmen auf, insbesondere auch kein Importverbot für britisches Rindfleisch. Am 22. März 1996 bestätigte der Direktor des BVET diese Ansicht und bezeichnete eine allfällige Einfuhrsperre als völlig übertrieben. Kurze Zeit später erliess Bundesrat Delamuraz ein Importverbot. Auch die Begründungen für diesen Schritt wichen voneinander ab: Während für das EVD die Massnahme eine Folge der eingetretenen Unsicherheit sei, erklärten die Direktoren des BAG und des BVET, der Importstopp sei politisch motiviert, jedoch nicht wissenschaftlich begründet. Der Schritt bezwecke vor allem, das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten in die Produkte auf dem schweizerischen Markt zu erhalten. Im Gegensatz dazu betonte - aus handelspolitischen Gründen - der EVD-Informations11

Zu Sprachregelungen vgl. Fussnote 1.

1590

dienst in einer späteren Stellungnahme, das Einfuhrverbot sei ausschliesslich gesundheitspolitischer Natur gewesen. Während also jene Stellen, die an sich für die medizinische/wissenschaftliche Beurteilung der Situation zuständig gewesen wären, die Massnahtne aus ihrer Sicht für unbegründet hielten, begründete eine andere Stelle die Massnahme gerade mit diesen Argumenten.

Das Beispiel zeigt verschiedene informationspolitische Probleme auf; Einerseits entsteht mit der Änderung einer bestimmten Politik immer ein Widerspruch zu vorhergehenden Informationen. In diesem Fall war zunächst immer signalisiert worden, ein Importverbot sei nicht angezeigt. Diese Information war nun offenbar nicht mehr richtig, da doch ein Verbot erlassen wurde. In solchen Situationen besteht immer die Schwierigkeit, die Änderung der einmal eingeschlagenen Marschrichtung zu kommunizieren. Dies scheint hier aber offensichtlich nicht das Hauptproblem gewesen zu sein. Vielmehr wurde nicht klar, weshalb denn nun diese Richtungsänderung vorgenommen wurde, weil die Begründungen dafür offensichtlich nicht kongruent waren.

Damit wird auch ein Schlaglicht auf die mangelnde Koordination der Information in bezug auf diese Massnahme geworfen. Nachdem das EVD aus den Äusserungen des SAG und des BVET vom Vortag bereits wusste, dass diese Ämter ein Verbot nicht mittragen würden, hätte unbedingt eine Absprache - und nicht ein in der Öffentlichkeit ausgetragener Begründungsstreit - stattfinden müssen.

Dazu kommt schliesslich, dass der unkoordinierte Erlass des Einfuhrverbotes die vorherigen Aussagen anderer Stellen, wonach der Rindfleischkonsum unbedenklich und das Fleisch auf dem Schweizer Markt einwandfrei sei, relativierte bzw. zur Unsicherheit der Konsumentinnen und Konsumenten beitrug. Denn implizit konnte dadurch der Eindruck entstehen, das auf dem Schweizer Markt erhältliche Fleisch müsse geschützt werden, sei also doch nicht völlig unbedenklich.

d. Koordinationsprobleme Mit dem Thema befassten sich einerseits das EDI (BAG) und andererseits das EVD (BVET, BLW, BAWI). Dazu kam, dass auch verschiedene Ebenen involviert waren (Ämter, Direktionen, Bundesrat). Die behördliche Information - vor allem von Seiten des BAG und des BVET - setzte zwar (anfänglich passiv, d. h. auf Anfrage hin) relativ rasch ein. Die Medien schätzen es im
allgemeinen, wenn ein Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet wird und die Konturen eines Problems herausgearbeitet werden können. Inhaltlich differierende Aussagen können aber der Information auch schaden bzw. zur Desinformation führen, wie dies im vorliegenden Fall in Form einer gewissen Verunsicherung eingetreten ist.

Die involvierten Stellen haben sich zwar relativ rasch um eine Koordination bemüht (am Mittwoch, 20. März 1996 wurden die Informationen in Grossbritannien veröffentlicht, am folgenden Sonntag fand die Koordinationssitzung mit BVET, BAG, BLW und BAWI statt). Rückblickend ist zu fragen, ob nicht eine noch raschere Koordination möglich gewesen wäre, traten doch verschiedene Inkohärenzen in den Informationen vor allem in den ersten Tagen auf. Optimal wäre gewesen und für die Zukunft zu fordern sind vorbereitete Dispositive, welche bei Ausbruch einer solchen Krisensituation sofort in Anschlag gebracht werden können. Dabei wird durchaus berücksichtigt, dass der Beginn solcher schwierigen Situationen immer anders ist als dies geplant werden kann. Das hindert nicht, strukturelle Informationsvorbereitungen zu treffen, soweit dies möglich ist. - Nach Aussagen eines Vertreters des BAG vor den Sektionen B/M GPK-N wird die Situation weiterhin von Fall zu Fall beurteilt.

1591

Mit einer verstärkten Koordination wird nicht einer Steuerung der Information im Sinne einer propagandamässigen Beeinflussung der Öffentlichkeit das Wort geredet. Die Information des Bundesrates und der Bundesverwaltung hat immer ehrlich, offen und glaubwürdig zu sein. Eine offene, ehrliche und vor allem auch glaubwürdige Information kann aber durch ein nicht einheitliches Vorgehen der Informierenden beeinträchtigt oder sogar verhindert werden. Es hat sich auch in diesem Fall sehr eindrücklich gezeigt, wie wichtig eine strukturell verankerte Koordination der Information des Bundes wäre: Dies vor allem bei (wie hier) departementsübergreifenden Themen, grundsätzlich aber generell bei Themen von grosser -Bedeutung.

Das Bedürfnis der Medien nach vielschichtiger Information (d. h. verschiedene Standpunkte) hat hier zurückzutreten hinter den Anspruch der Bevölkerung auf eine einheitliche und klare Information. Diese Einheitlichkeit wurde im vorliegenden Fall einerseits nicht lückenlos erreicht, weil verschiedene Stellen unterschiedliche Signale bezüglich des Risikos beim Verzehr von Rindfleisch ausgesendet haben. Es ist - auch wenn die Behörden möglicherweise keine inhaltlich abweichenden Auffassungen haben - nun einmal für die Bevölkerung nicht nachvollziehbar und verwirrend, wenn eine Stelle zuerst verlauten lässt, ein Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch sei völlig unverhältnismässig, und eine andere Stelle erlässt dieses Verbot Stunden später. Damit wird die - nicht beantwortbare - Frage: «Ist Rindfleisch-Essen nun gefährlich oder nicht?» geradezu provoziert. Die Medien, die an sich an verschiedenen Standpunkten interessiert sind, haben diese teilweise fehlende Kohärenz den Behörden dann auch - nicht zu Unrecht - zum Vorwurf gemacht. Vor allem diese inkohärente Haltung der zuständigen Behörden hat die Inkohärenz der Information verursacht.

e. Zusammenfassende Würdigung Unter Berücksichtigung der schwierigen Umstände, vor allem angesichts des kaum greifbaren Kernproblems, ist festzuhalten, dass die Informationstätigkeil in diesem Fall insgesamt und mit gewissen Einschränkungen zufriedenstellend funktioniert hat. Hervorzuheben ist insbesondere, dass die involvierten Stellen der Information an sich eine recht hohe Beachtung schenkten und grosse Anstrengungen unternahmen, um zu einer Aufklärung
der Bevölkerung beizutragen (Hotline, MedienorienUerungen, Präsenz in den Medien usw.).

Allerdings sind trotzdem verschiedene gravierende Schwachstellen zu erkennen.

Besonders auffällig ist in diesem Fall die Problematik der (oft fehlenden) Einheitlichkeit der Information. Es ist zwar nicht zu vermeiden, dass eine einheitliche Information erschwert wird, wenn im Laufe der Zeit neue, abweichende Entscheide gefällt werden (evtl. müssen) und diese nicht der bisherigen Haltung entsprechen.

Gerade in solchen Situationen ist es abertiie Aufgabe einer guten Informationslätigkeit, die neuen Gegebenheiten der Öffentlichkeit verständlich zu vermitteln. Dies ist im Fall BSE/CJD nicht immer gelungen, auch wegen der divergierenden Interessen von Gesundheits-, Landwirtschafts- und Handelspolitik.

Als unglücklich zu bezeichnen ist auch die Tatsache der (in verschiedenen Punkten) als widersprüchlich empfundenen Informationen. Diese Widersprüche in den Informationen trugen - entgegen der an sich gut gemeinten Absicht - m'chl dazu bei, die Bevölkerung aufzuklären und zu beruhigen. Die Informationstätigkeit war - trotz Bemühungen dazu - nur ungenügend koordiniert, und den Bedürfnissen der Bevölkerung wurde angesichts des psychologisch schwierigen Umfeldes nicht ausreichend Rechnung getragen.

1592

3.4 3.4.1

Die Information im Fall Entschädigungsabkommen Polen-Schweiz Sachverhalt

Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Schicksal nachrichtenloser Vermögen (vor allem von jüdischen Personen) auf Schweizer Banken und mit Goldtransaktionen zwischen Nazi-Deutschland und der Schweiz bestand verschiedentlich Anlass, die Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundesverwaltung zu thematisieren. Die Sektionen B/M GPK-N beschränkten sich auf die Untersuchung eines kleinen und beispielhaften Ausschnittes aus diesem Problemkreis, nämlich auf die Information über das Entschädigungsabkommen zwischen Polen und der Schweiz aus dem Jahr 1949.

Am Freitag, l !. Oktober 1996, kündigt der New Yorker Senator D'Amato ein zweites Hearing des Bankenausschusses des US-Senats über nachrichtenlose jüdische Guthaben in der Schweiz an. Ein erstes Hearing, an dem auch Vertreter von Schweizer Banken angehört worden waren und in dessen Folge der Bundesrat eine interdépartementale Ad-hoc-Arbeitsgruppe eingesetzt hatte, hatte bereits im April 1996 stattgefunden.

Im Hinblick auf das zweite Hearing behauptet Senator D'Amato, es seien Beweise entdeckt worden, die belegten, dass die Schweiz bewusst Informationen über Guthaben, die während der Zeit des Nationalsozialismus auf Schweizer Banken hinterlegt worden seien, zurückgehalten habe.

Im Verlauf des Hearings, das am Mittwoch, 16. Oktober, durchgeführt wird, wirft Senator D'Amato der Schweiz vor, das Vermögen polnischer Juden nach dem Zweiten Weltkrieg für die Entschädigung von Schweizer Bürgerinnen und Bürger verwendet zu haben. Die Regierung der Schweiz und Polens hätten 1949 einen entsprechenden Geheimvertrag geschlossen. Dieser habe vorgesehen, Vermögen polnischer Juden zur Entschädigung derjenigen Schweizer zu verwenden, deren Eigentum im kommunistischen Polen enteignet wurden.

Am Donnerstag, 17. Oktober, bekräftigt ein polnischer Militärhistoriker die Berichte aus den USA, wonach zwischen der Schweiz und Polen ein Geheimvertrag bestehe. Die Existenz eines Vertrages aus dem Jahr 1949 wird auch vom Sprecher des polnischen Aussenministeriums bestätigl. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) erklärt auf Anfrage durch einen Sprecher, der Sachverhalt werde sorgfältig geprüft. Bislang habe die Schweiz keinen Anhaltspunkt, um auf den Inhalt der Vorwürfe zu reagieren. Es gebe einen Vertrag von 1949 über die Entschädigung von
Schweizer Interessen, geheim daran sei aber nichts.

Am Freitag, 18. Oktober, veröffentlicht das EDA eine Medienmitteilung. Darin werden die Vorwürfe zurückgewiesen, wonach zwischen Polen und der Schweiz ein Geheimabkommen bestehe. Das Entschädigungsabkommen von 1949 zwischen den beiden Ländern sei publiziert worden und Teil der amtlichen Sammlung.

Erwähnt wird ein bisher unveröffentlichter, vertraulicher Briefwechsel zwischen den beiden seinerzeitigen Delegationschefs. Dieser Briefwechsel enthalte die Verpflichtung, dass die Schweiz nachrichtenlose Vermögen polnischer Staatsbürger an den polnischen Staat überweisen würde. Weitere Entschädigungsabkommen seien auch mit anderen osteuropäischen Staaten abgeschlossen worden. Offene Fragen im Zusammenhang mit diesen Abkommen würden zur Zeit abgeklärt. Kopien des

1593

Entschädigungsabkommens und des erwähnten Briefwechsels sind der Medienmitteilung beigelegt.

Auf Anfrage erklärt ein Sprecher des EDA am gleichen Tag, der Briefwechsel sei erst am Freitag im Archiv gefunden worden. Das EDA wisse noch nicht, wie viele solcher Zahlungen und wann diese vorgenommen worden seien.

Am folgenden Tag (Samstag, 19. Okt.) erklärt der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses in New York, die erst jetzt von der Schweiz eingestandene Geheimverpflichtung beweise, dass das Land auf «unmoralische Weise jüdisches Vermögen nach Polen» gebracht habe. Senator D'Amato erneuert seine Vorwürfe an die Schweiz, wonach mit dem Vermögen polnischer Juden Schweizer entschädigt worden seien, die in Polen durch die Verstaatlichung Verluste erlitten hätten. Polen seinerseits weist die Anschuldigungen von Senator D'Amato zurück.

Die Schweizer Presse nimmt die EDA-Informati on vom Vortag unterschiedlich auf: Während verschiedene Zeitungen erleichtert scheinen und vereinzelt Lob für das EDA ausgedrückt wird, kritisiert die NZZ das Pressecommunique des EDA. Im Communiqué sei nur jener Passus aus dem Briefwechsel wiedergegeben worden, in dem sich die Schweiz verpflichte, nachrichtenlose Vermögen polnischer Staatsangehöriger an Polen zu überweisen. Es sei unverständlich, weshalb das EDA nicht auch die Verpflichtung Polens erwähne, wonach Polen die betroffenen Banken und Versicherungsuntemehmen für alle Kosten und Schadenersatzansprüche zu entschädigen hätte, die diesen aus eventuellen Forderungen von Anspruchsberechtigten später entstehen könnten.

In seiner Montagausgabe (21. Okt.) zitiert Le Nouveau Quotidien u.a. aus einem vertraulichen Protokoll zum Entschädigungsabkommen zwischen der Schweiz und Polen. Ein Journalist der Zeitung hatte das Dokument am vorherigen Freitag im Bundesarchiv gefunden. Gemäss den zitierten Dokumenten sollten die Vermögen von verschollenen polnischen Bürgern, die bei Schweizer Banken und Versicherungsuntemehmen deponiert waren, nach einer gewissen Zeit an die Schweizer Nationalbank überwiesen werden. Mit diesem Geld sollten Schweizer entschädigt werden, welche in Polen enteignet worden waren. Zur Medienmitteilung des EDA vom Freitag meint der Nouveau Quotidien: «Etonnant démenti qui consiste à réaffirmer froidement l'objet du scandale!» Der Schweizerische Israelitische
Gemeindebund ist schockiert Über die Vereinbarung aus dem Jahr 1949. Das EDA teilt auf Anfrage zum Zeitungsbericht mit: «Wir sind überrascht über die Existenz des Dokumentes, von dem wir bis heute nichts wussten.» Wieviel Geld überwiesen wurde, kann der EDA-Sprecher nicht sagen. Das EDA werde seine diesbezüglichen Nachforschungen verstärken.

Am folgenden Tag (Dienstag, 22. Okt.) häufen sich die Reaktionen im In- und Ausland. Der Jüdische Weltkongress verlangt sofortige Wiedergutmachung von der Schweiz, Senator D'Amato fordert den Bundespräsidenten in einem Brief auf, ihm eine vollständige Aufstellung über die. nachrichtenlosen-Vermögen polnischer Staatsbürger aus dem Zweiten Weltkrieg zu liefern. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates ruft den Bundesrat auf, nun zu agieren und nicht nur zu reagieren. Es sei eine Task Force einzusetzen und eine Kommunikationsstrategie auszuarbeiten.

Die NZZ greift nochmals ihre Kritik an der Information des EDA auf: Das EDA habe in der Frage der nachrichtenlosen Vermögen und der Goldtransaktionen am vergangenen Freitag ein weiteres Beispiel kommunikativer Inkompetenz geliefert: «Es ist dringend notwendig, dass das EDA für dieses wachsenden Ärger auslö-

1594

sende Dossier eine (Kommunikations-)Strategie entwickelt und einen hochrangigen Sprecher bestimmt, der sie koordiniert und der auf neue Situationen rasch reagieren kann. Der Informationsdienst des Departements ist selbstverständlich überfordert, und die Regelung, dass sämtliche EDA-Verlautbarungen zum Thema von verschiedenen Chefs gegengelesen werden, verhindert eher Information als Pannen.» Gleichentags veröffentlicht das EDA weitere aus dem Bundesarchiv stammende Dokumente zum Entschädigungsabkommen mit Polen. Ein EDA-Sprecher erklärt auf Anfrage einer Zeitung, man wolle sofort eine Arbeitsgruppe einsetzen, welche die. Problematik der Entschädigungsabkommen möglichst rasch und umfassend dokumentieren soll. Bundesrat Villiger sichert in einem Interview mit Radio DRS eine umfassende Offenlegung im Zusammenhang mit den Enthüllungen zu. Er räumt ein, dass er aufgrund des bisher Gehörten über die Vereinbarung mit Polen nicht ein sehr gutes Gefühl habe. Es handle sich um ein Gestrüpp von Fakten und Sachverhalten, die bisher nicht bekannt gewesen seien.

Am Mittwoch (23. Okt.) erscheint in der NZZ ein Artikel des Historikers Peter Hug, der sich detailliert mit dem Entschädigungsabkommen zwischen der Schweiz und Polen von 1949 befasst. Der Autor hat im Sommer 1996 im Auftrag des Bundesarchivs einen Bericht über die dort vorhandenen Quellen erstellt, die sich zum Schicksal von Vermögenswerten aus der Zeit des Dritten Reiches äussern.

Eine Nachrichtenagentur meldet, der Artikel basiere auf diesem ISOseitigen Bericht, den Hug am 5. September dem Bundesarchiv abgeliefert habe. Das EDA selber sei seit dem 10. Oktober (d. h. vor der Ankündigung des zweiten Hearings durch Senator D'Amato) im Besitze des Hug-Artikels gewesen. Der Artikel war deshalb dem EDA vorgelegt worden, weil dieses die Bewilligung zur Veröffentlichung geben musste, da Hug Dokumente verwendet hatte, die noch nicht öffentlich zugänglich waren.

Die NZZ führt ihre Kritik an der amtlichen Informationspolitik weiter: Diese habe auf der ganzen Welt den Eindruck geweckt, als hätte sich die Schweiz zulasten von Shoa-Opfern bereichert. Die Ostschweiz hält in einem Kommentar fest, das Schema, nach welchem die Öffentlichkeit über die Guthaben von Naziopfern auf Schweizer Banken informiert werde, sei immer dasselbe; «Zuerst kommt die Kritik aus dem
Ausland, dann ein Dementi und schliesslich das Eingeständnis, dass an der Sache doch etwas dran sei.» Der Nouveau Quotidien stellt fest, die Unfähigkeit des EDA zur Information rühre auch daher, dass dieses heute nicht über die Ressourcen verfüge, historische Nachforschungen durchführen zu können.

Nach der Bundesrats-Sitzung gibt Bundesrat Cotti die Beschlüsse der Regierung bekannt, welche eine möglichst rasche und vollständige Aufklärung der Rolle der Schweiz und ihres Finanzplatzes in der Nazizeit anpeilen. Unter anderem wird der Aufbau einer Task Force für das Thema Holocaust-Gelder angekündigt. Diese Task Force soll auch ein Informationskonzept erarbeiten. An der Medienkonferenz im Anschluss an die Bundesrats-Sitzung nimmt der Direktor der Völkerrechtsdirektion im EDA zu den Vorwürfen Stellung, das EDA habe das Erscheinen des HugArtikels verzögert. Dem EDA habe der im Auftrag des Bundesarchivs verfasste Bericht von Hug nicht vorgelegen. Allerdings habe das EDA von der Existenz des Berichts gewusst; zudem habe es den Hug-Artikel noch vor den Anschuldigungen Senator D'Amatos erhalten.

Der Umgang mit dem Artikel des Historikers Hug im EDA wird in den Medien am Folgetag (Donnerstag, 24. Okt.) scharf kritisiert. Von einem «Informationsdebakel» spricht die Basler Zeitung: «Die Schweiz gebe immer nur gerade zu, was ihr bewie-

1595

sen werden könne. Diesen Vorwurf, der im Zusammenhang mit den jüdischen Geldern immer wieder laut wird, muss sich die Schweiz nach den Informationspannen der letzten Wochen zu Recht gefallen lassen.» Die Nachrichtenagentur AP stellt «gravierende Kommunikationsmängel in der Bundesverwaltung» fest.

Ebenfalls an diesem Donnerstag distanziert sich der Schweizer Botschafter in Washington, Jagmetti, in einem Interview mit einer Schweizer Tageszeitung von Senator D'Amato. Er habe sich bis heute vergeblich um ein Gespräch mit dem Senator bemüht. Die Schweiz hätte seiner Ansicht nach früher auf einen Dialog mit den Holocaust-Hinterbliebenen eintreten müssen. Botschafter Jagmetti fordert zudem ein klares und einheitliches Informationskonzept der Schweiz unter Einbezug der Botschaften in Washington und London.

Tags darauf (Freitag, 25. Okt.) weist die NZZ darauf hin, dass der begleitende Briefwechsel zum Entschädigungsabkommen mit Polen seinerzeit im März 1950 im Nationalrat verlesen worden, im Parlamentsprotokoll aufgezeichnet und seither für Interessierte einsehbar gewesen sei, Cash zieht untef dem Titel «verheerende Drükkebergerei» kritisch Bilanz: Der Wert von Information und Kommunikation werde sowohl von der Politik wie auch von der Wirtschaft unterschätzt. «Nazigold, herrenlose Vermögen, geheime Abkommen, die Nachrichten jagen sich, die Situation wird laufend ungemütlicher. Die Informationspolitik des Bundes war dilettantisch.» An diesem Tag stellt Bundesràt Cotti den stellvertretenden EDA-Generalsekretär Borer als zukünftigen Leiter der Task Force den Medien vor. Auf die Frage, ob sich die Task Force um eine offenere Informationspolitik bemühen werde, antwortet deren Leiter, das EDA pflege traditionell eine offene Informationspolitik. Fragen könnten aber erst dann beantwortet werden, wenn die Bundesbehörden selber über ausreichende Kenntnisse verfügten.

Am 27. Oktober kritisiert Bundesrat Cotti in der Sonntagspresse Äusserungen von Senator D'Amato. Er räumt aber ein, es habe Pannen und Verzögerungen bei der Krisenbewältigung gegeben. Die Behörden seien von den Entwicklungen überrumpelt worden. Die Voraussetzung des Krisenmanagements sei die gut funktionierende Kommunikation zwischen den betroffenen Stellen innerhalb und ausserhalb des Departements. Dies habe in den letzten Tagen nicht optimal
funktioniert.

Am Dienstag, 29. Oktober, gibt der Leiter der Task Force bekannt, zwei Historiker würden im Auftrag des EDA innert Monatsfrist untersuchen, ob bei den Entschädigungsabkommen mit ehemals kommunistischen Staaten nachrichtenlose Vermögen eingerechnet worden seien.

Die Schweizer Botschaft in Washington informiert am Mittwoch, 30. Oktober, Vertreter amerikanischer Medien über die Massnahmen der Schweiz zur Aufklärung des Schicksals jüdischer Vermögen. Gleichzeitig kritisiert sie «verzerrende» Darstellungen und «falsche Interpretationen» in verschiedenen US-Medien. Die Äusserungen Jagmettis an der Pressekonferenz hinterlassen allerdings gemäss der Berner Zeitung zumindest einen zwiespältigen Eindruck. Im Laufe des Novembers wird die Medienkonferenz des Botschafters weiter kritisiert, allerdings nicht mehr in direktem Zusammenhang mit dem Entschädigungsabkommen zwischen der Schweiz und Polen.

1596

3.4.2

Beurteilung der Informationstätigkeit betreffend das Entschädigungsabkommen Polen-Schweiz

a. Mangelhafter Wissensstand der informierenden Stellen Die InformationstUtigkeit - vor allem des federführenden EDA - war in der ersten Zeit nach dem zweiten D'Amato-Hearing tendenziell gekennzeichnet von zurückhaltenden und substanzlosen Verlautbarungen, welche im wesentlichen auf anlaufende Abklärungen hinwiesen. Diese wenig aussagekräftige Informationstätigkeit des EDA kann nicht auf fehlenden Willen zur Information zurückgeführt werden, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass offensichtlich das Wissen fehlte, um sachdienlich informieren zu können.

Zwar hat offenbar im EDA und in anderen Teilen der Bundesverwaltung im Frühherbst 1996 eine gewisse Sensibilisierung in bezug auf die behördliche Information zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg einzusetzen begonnen. Mitte Oktober waren die Informationsverantwortlichen im EDA indessen offensichtlich nach wie vor nicht in der Lage, innert nützlicher Frist substantiell zu Fragen aus dieser Zeit Stellung nehmen zu können.

Es ist zu berücksichtigen, dass der Aufwand, über historische und zeitlich zurückliegende Themen informieren zu können, wesentlich grösser ist als für eine aktuelle Information, da Unterlagen nicht sofort greifbar sind oder keine Direktbeteiligten mehr herangezogen werden können. Dies ist ein strukturelles Defizit, das durch die Einrichtung eines geeigneten historischen Informationsaufbereitungsdienstes rasch zu beseitigen ist. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft vermehrt auch über zurückliegende Ereignisse informiert werden muss.

Tatsache ist, dass im untersuchten Fall die Informationen - soweit solche abgegeben werden konnten - aufgrund der unvollständigen Unterlagen und des beschränkten Wissensstandes nicht immer klärend wirkten, sondern zum Teil gerade das Gegenteil zur Folge hatten, weil sie den Boden für neue Vorwürfe gegen die Schweiz vorbereiteten, widersprüchlich oder unvollständig waren.

Daneben kann aber nicht übersehen werden, dass im vorliegenden Fall - wenn auch eher zufällig - die erforderlichen Informationen leicht zugänglich gewesen wären. Dass die Informationsverantwortlichen des EDA über deren Existenz nicht rechtzeitig orientiert wurden, ist nicht nachvollziehbar. Dies um so weniger, als die Direktion für Völkerrecht sich bereits am 15. Oktober (d. h. am Tag vor dem zweiten Hearing in New York) mit
dem Bundesarchiv getroffen und den Hug-Artikel thematisiert hatte. Der Artikel hatte im EDA demnach nicht nur vorgelegen, sondern er war dort auch inhaltlich zur Kenntnis genommen worden. Ebenso unerklärlich ist, weshalb ein Journalist, nicht aber das EDA in der Lage ist, im Bundesarchiv innerhalb eines Tages brisante und in dieser Situation unabdingbare Dokumente zu beschaffen.

b. Überraschung?

Die Bundesverwaltung wurde von den Vorwürfen von Senator D'Amato betreffend das Entschädigungsabkommen Polen-Schweiz überrascht. Dieses Thema war bislang nicht angesprochen und, im wesentlichen auch nicht aufgearbeitet worden.

Selbst unter Berücksichtigung der Enthüllungsstrategie von Senator D'Amato und dessen wenig kooperativer Haltung (zum zweiten Hearing wurden keine Schweizer Vertreter eingeladen) stellt sich allerdings die Frage, ob sich die zuständigen Stellen derart hätten Überraschen lassen dürfen bzw. ob nicht bereits vorher weitere

1597

Vorkehrungen, Abklärungen und Aufarbeitungen dr,uckvoll hätten an die Hand genommen werden müssen. Immerhin war das Thema als solches (Nazigold und nachrichtenlose Vermögen auf Schweizer Banken) seit einiger Zeit bekannt, und es gab auch genügend Anzeichen, Warnungen urìd Meldungen, aus welchen hätte geschlossen werden können, dass hier ein grosser Informationsbedarf entstehen würde. Im übrigen wirft es Fragen auf, wenn das EDA in einer derart brisanten Angelegenheit keine direkteren und rascheren Quellen als Agenturmeldungen und Tagespresse zur Hand hat, um sich über das zweite Hearing von Senator D'Amato zu informieren.

c. Mangelhafte Kooperation und Koordination Wie bereits erwähnt, hätte im vorliegenden Fall die Information an sich bereits vor Erhebung der Vorwürfe an die Schweiz aufbereitet vorgelegen. Dass das EDA davon nicht Gebrauch gemacht hat (noch vorteilhafter wäre eine vorgängige Veröffentlichung des Hug-Artikels gewesen), stellt einen absolut gravierenden Mangel der Informationstätigkeit in diesem Fall dar. Nachdem das EDA im Besitz des Artikels war, muss angenommen werden, dass die EDA-interne Koordination hier versagt hat.

Die Zusammenarbeit zwischen dem EDA und dem Bundesarchiv scheint in diesem Fall nur sehr ungenügend funktioniert zu haben. Zwar gab das Bundesarchiv dem EDA anfänglich Kenntnis von den Arbeiten Hugs. Namentlich nach Ausbruch der Krise scheint das EDA aber offensichtlich - und unverständlicherweise - auf einen raschen Einbezug des Bundesarchivs verzichtet zu haben. Umgekehrt hielt es das Bundesarchiv nicht für angezeigt, nach dem D'Amato-Hearing von sich aus das EDA an den Aktenbestand in dieser Sache zu erinnern. Der Verzicht auf eine verwaltungsinterne Kooperation hat sich ausserordentlich nachteilig für die Schweiz ausgewirkt.

Die Koordination der Information war zum Zeitpunkt, als das Entschädigungsabkommen Schweiz-Polen ins Zentrum des Interesses rückte, noch ungenügend entwickelt. Zwar hatte die Verwaltung damit begonnen, Informations- und Kommunikationsstrategien zum Thema zu entwickeln. Diese konnten aber offensichtlich nicht verhindern, dass die Medienkonferenz von Botschafter Jagmetti in Washington so konzipiert werden konnte, dass sie zu Kritik Anlass gegeben hätte. Zu lange wurde auch der überforderte Informationsdienst nicht entlastet. Dies hängt
damit zusammen, dass der Bundesrat dem Thema zu lange nicht die richtige Bedeutung beigemessen und auch bezüglich der Informationsstrukturen nicht eingegriffen hat.

Erst mit der Schaffung der Task Force wurde diesem Problem begegnet, wenigstens die aussenpolitischen Aspekte des Problems betreffend. Ob damit allerdings auch der innenpolitischen Situation genügend Rechnung getragen worden ist, muss offenbleiben. .

d. Früherkennung Die Handhabung der Information im untersuchten Fall wirft die Frage auf, ob die erforderlichen Früherkennungsmechanismen im EDA bestehen .und funktionieren.

Unklar ist auch der Einbezug der Aussenstationen in die Arbeit der vorausschauenden Problemanalyse. Nachdem bekannt ist, dass Schweizer Vertretungen im Ausland offenbar bereits früher mit Nachdruck auf das sich aufbauende Problem hingewiesen haben, muss davon ausgegangen werden, dass in der Zentrale diese Signale offensichtlich nicht empfangen oder jedenfalls nicht richtig interpretiert wurden.

1598

Anders ist nicht zu erkliiren, dass dem Thema nicht bereits viel früher eine grössere Bedeutung beigemessen wurde.

e. Mangelnde Transparenz Die Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundesverwaltung war insgesamt im Zusammenhang mit den Fragen nachrichtenloser Vermögen und Nazigold zu wenig transparent und zu passiv. Dies zeigte sich darin, dass vor.allcm der Bundesrat während langer Zeit kaum dezidiert und fundiert Stellung bezog und so nicht nur aussen-, sondern auch innenpolitische Verunsicherung schuf.

Dazu kam, dass der Öffentlichkeit aber gewisse Handlungen der Behörden auch nicht verständlich waren bzw. sein konnten, weil ihr die notwendigen Hintergrundinformationen dafür fehlten. Ein herausragendes Beispiel sind die Äusserungen von Bundesrat Delamuraz in seinem .Silvester-Interview: Die breite Öffentlichkeit hatte kaum Kenntnis von den möglichen Forderungen und Boykottdrohungen jüdischer Kreise, welche Bundesrat Delamuraz zu seinen Aussagen bewegt hatten. Der Inhalt des Interviews (auf die Wortwahl wird hier nicht eingegangen) wäre weit sachlicher diskutiert worden, hätten die schweizerischen Behörden die Öffentlichkeit rechtzeitig Über die entsprechenden Hintergründe orientiert.

f. Rolle des Bundesrates Es fällt auf, dass sich der Bundesrat mit der Information zum Themenkreis des Nazigoldes und der nachrichtenlosen Vermögen sehr lange stark zurückhielt. Dies wirft die Frage auf, ob die Landesregierung die Tragweite des Problems wirklich von Anfang an richtig eingeschätzt hat. Die Öffentlichkeit konnte den Eindruck, dass dies der Fall wäre, jedenfalls während langer Zeit kaum gewinnen. Entsprechend negativ war denn auch die öffentliche Kritik in den Medien über die lange zögerliche und lähmende, nicht zur Verständlichkeit der schweizerischen Haltung beitragende Art der Information. Namentlich auch im Sinn einer Standorlbekanntgabe und einer offensiven Transparenzstrategie wurde das Bedürfnis nach einer Aktion der Landesregierung immer stärker.

Der Bundesrat hätte die Sache an sich, aber auch die Information in dieser Angelegenheit viel eher an sich ziehen, gezielt eingreifen, souverän koordinieren und Konzepte entwickeln müssen, wie es die Aufgabe einer Regierung angesichts eines derart bedeutenden Ereignisses wäre. Stattdessen entstand der Eindruck, als warte die Schweiz vorerst
einfach ab und reagiere (zudem hier verschiedentlich ungeschickt) erst dann, wenn dies unumgänglich werde. Fehlen Signale in der Information des Bundesrates, so stellt sich unweigerlich auch die Frage, ob dieser überhaupt eine Politik in der Sache entwickelt und das Problem (nicht nur die Information dazu) aktiv anzugehen bereit ist. Diese wäre die Voraussetzung, welche eine professionelle Information erst ermöglichen würde.

g. Zusammenfassende Würdigung Insgesamt ist auch in dieser Angelegenheit der Eindruck einer eher unkoordinierten, passiven und lange nicht hilfreichen Informationstätigkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung entstanden. Besonders vermisst wurde hier - in deutlich stärkerem Masse als in den beiden anderen untersuchten Fällen - eine souveräne Landesführung, welche in dieser ausserordentlichen Situation integrierend wirkt und mit der Bevölkerung und - was vorliegend dringend nötig gewesen wäre - auch mit dem Ausland kommunizieren kann. Es zeigt sich mit Deutlichkeit, dass die Schweiz als Folge ihres weitgehenden Verzichts auf internationale Allianzen im

1599

Krisenfall heute nicht damit rechnen kann, von anderen Staaten Unterstützung zu erhalten.

Im Unterschied zu den beiden anderen untersuchten Fällen ist der Schaden, der u. a. durch die ungenügende Informationsarbeit entstanden ist, für die Schweiz vermutlich immens, wenn auch nicht messbar. Bezüglich der Information an sich sticht das Verhalten des EDA insofern ins Auge, als die Information in der ersten und naturgemäss wichtigsten Zeit nur wenig zur Aufklärung beitragen konnte, weil die notwendigen Grundlagen - aus zum Teil selbst zu vertretenden Gründen nicht greifbar waren. Zwischenzeitlich wirkte sich die Informationstätigkeit nicht nur nicht hilfreich, sondern kontraproduktiv aus.

4 4.1

Schlussfolgerungen Vorbemerkung

Die Sektionen B/M GPK-N haben die Informationstätigkeit des Bundesrates, der Bundesvcrwaltung und der'Bundesstrafverfolgungsbehörden in drei ausserordcntlichen Situationen analysiert. Diese drei Fälle zeigen in krasser Weise die Schwächen der Behördlichen Information auf Bundesebene. Die meisten dieser Schwächen sind indessen in der Struktur und im System der Kommunikation des Bundes angelegt, weshalb sie sich - wenn auch in weniger deutlichem Ausmass - bereits in der alltäglichen, üblichen Informationsta'tigkeit auswirken können. Die drei untersuchten Fälle geben deshalb Aniass, allgemeingültige Aussagen zur Information auf Bundesebene zu machen und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.

Im weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Information über eine Angelegenheit immer abhängig ist von der Angelegenheit selbst, über die informiert werden muss.

Die Information kann nicht besser sein als der Sachentscheid, der ihr zugrunde liegt. Darüber hinaus hat die Information aber auch dann klar zu sein, wenn ein Sachentscheid eventuell (noch) nicht gefällt werden kann. Nimmt der Bundesrat seine Führungsaufgabe nicht wahr und fallen notwendige Entscheide nicht, so ist eine klare, verständliche Information darüber kaum oder nur erschwert möglich, ïnformationspolitik kann nicht besser sein als die Sachpolitik - allein werden Fehler oder Unterlassungen in der Information deutlicher sichtbar.

4.2

Die Informationstätigkeit in Normallagen

Die Arbeiten der Sektionen B/M GPK-N hatten die Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundes Verwaltung in ausserordentlichen bzw. krisenhaften Situationen zum Gegenstand. Auf die Informationstätigkeit im Normalfall (courant normal) wird deshalb in diesem Bericht nicht näher eingegangen. Zwar wurde festgestellt, dass - mit Ausnahme des äusserlichen Auftrittes (vgl. dazu unten Ziff. 4.9) die Information von Medienschaffenden und Experten im wesentlichen als zufriedenstellend bezeichnet wird. In Schönwetter-Lagen wird offenbar im allgemeinen den Grundsätzen und Kriterien einer transparenten staatlichen Information auf allen Ebenen (Bundesrat, Departemente, Ämter) Nachachtung und den Interessierten und den Medien Zugang zu den gewünschten Informationen verschafft.

Indessen ist festzuhalten, dass gewisse grundsätzliche Voraussetzungen für eine optimale Informationstäligkeit auch in ordentlichen Lagen fehlen. Dazu gehört namentlich das nach wie vor auf Bundesebene nicht eingeführte Öffentlichkeitsprin-

1600

zip, das gerade auch in Zeiten des normalen politischen und verwaltungsmässigen Geschäftsganges seine Bedeutung hat.

Nicht absehbar ist zudem zur Zeit, welche Auswirkungen auf die staatliche Informationstätigkeit die Einführung neuer Verwaltungsmodelle hat. Hier besteht jedenfalls Handlungsbedarf, um eine qualitativ hochstehende und den Grundsätzen öffentlicher Information angemessene Kommunikation auch dann zu gewährleisten, wenn die Erfüllung öffentlicher Aufgaben aus der Zentral Verwaltung ausgelagert, Verwaltungseinheiten mit mehr Autonomie ausgestaltet oder öffentliche Aufgaben an Private übertragen werden.

Solange nicht eine echte Privatisierung im Sinne eines völligen Rückzuges des Staates vorliegt, trägt der Bund die Verantwortung für die Information über Öffentliche Angelegenheiten und Aufgabenerledigungen - absolut unabhängig davon, ob die öffentliche Aufgabe von der Bundesverwaltung, autonomen Anstalten oder Privaten erfüllt wird. Die Regelung der Information in diesem Sinne muss Gegenstand jeder Vereinbarung zwischen dem Bund und den jeweiligen Leistungserbringern sein.

Ein gewisser Klärungsbedarf besteht auch im Bereich des informellen Verwaltungshandelns des Bundes (sowohl in bezug auf politische Entscheide und Ereignisse als auch in bezug auf Verhaltenslenkung). Die Problematik des informellen Verwaltungshandelns (Informations- oder Aufklärungsarbeit des Bundes mit dem offen deklarierten Ziel, das Verhalten gewisser Adressatenkreise zu beeinflussen) sowie der behördlichen Propaganda ist relativ neu. Zwar hat namentlich die Rechtswissenschaft in letzter Zeit vermehrt Beiträge zu diesen Fragen vorgelegt. Weitgehend offen ist jedoch, wie weit allfällige Freiräume in diesen Bereichen (vor allem auch praktisch) genutzt werden können und sollen. Erforderlich sind entsprechende Regeln und Konzepte.

Eine weitere Herausforderung für die ordentliche Informationstätigkcit stellen die neuen Medien dar. Diesen Entwicklungen ist grossie Aufmerksamkeit zu widmen.

4.3

Die Informationstätigkeit in ausserordenth'chen Situationen

Die Information in Krisen oder krisenhaften Situationen befriedigt im allgemeinen nicht. In allen drei untersuchten Beispielen wies die Informationstätigkeit kleinere bis sehr gravierende Mängel auf. .Der Befund, dass Bundesrat und Bundesverwaltung die Information in Krisensitualionen in der Regel nicht oder nur mit Mühe beherrschen, wird von den von den Sektionen B/M GPK-N befragten Medienschaffenden und Experten durchwegs bestätigt. In dar Krise wird auch die Information oft zur Krise.

Solange nur ein Departement betroffen ist, ist in der Regel die Qualität der Departementsführung und der mit der Krise und der Kriseninformation befassten Personen entscheidend, wie gut oder wie schlecht die Öffentlichkeit über die Entwicklungen orientiert wird. Definitiv nicht ausreichend sind aber offensichtlich die Strukturen und Mittel, wenn ein Ereignis departementsübergreifende Dimensionen annimmt, wie dies angesichts der zunehmenden Komplexität der heutigen Entwicklungen immer öfter der Fall ist. Es wirkt sich fatal aus, dass in solchen Situationen keine klare Struktur vorhanden ist, welche es ermöglicht, dass die Information geführt werden kann. Gerade in einer Krise ist es wichtig, dass eine einheitliche, klare Information erfolgt und dass die Regierung (auch eine aus verschiedenen Parteien zusammengesetzte Kollegialregierung) mit einer Stimme spricht.

1601

Die Führung und Koordination der Information setzt voraus, dass die verantwortlichen Personen die Bedeutung eines Ereignisses erkennen, politisch einordnen und bewältigen sowie die erforderlichen Konsequenzen für die Information ziehen können. Die Früherkennung von Themen mit informationspolitischer Brisanz darf nicht dem Zufall überlassen werden. Der Bundesrat, die Departemente und die Ämter haben sich - jeweils ihren Stufen angemessen - so zu organisieren und mit der sachlichen und politischen Kompetenz auszustatten, dass sie zunächst die Bedeutung und Wichtigkeit von Entwicklungen rasch erkennen. Das Fallbeispiel betreffend das Entschädigungsabkommen Polen-Schweiz zeigt, dass diesbezüglich erhebliche Mängel bestehen.

Sodann müssen aber auch die Kompetenzen und Kapazitäten vorhanden sein, um die Informationsbelange des eingetretenen Ereignisses oder der Entwicklung vom ersten Moment an angemessen und in die Ereignisbewiiltigung voll integriert bearbeiten zu können. Dazu gehört eine klare Führung der Information und deren Koordination. Oft ist es so, dass dem Kommunikationsaspekt einer Krisensituation grundsätzlich zu wenig oder zu spät Aufmerksamkeit gewidmet wird. Offensichtlich ist die Information als notwendiger Bestandteil jedes wichtigen Geschäftes noch nicht überall verankert. Nicht nur die Struktur, sondern auch die inhaltliche Information und deren Einbezug in die Sachbearbeitung ist zu verbessern und zu professionalisieren.

Ebenso klar muss auch geregelt sein, welche Personen in welchen Funktionen in die Information der Öffentlichkeit eingebunden werden. Das verlangt beispielsweise, dass in ausserordentlichen Situationen eine integrierende Figur für die eigentliche Vermittlung der - oftmals negativen oder belastenden - Information in Erscheinung tritt. Gerade in schwierigen Momenten hat das Bandespräsidium oder allenfalls die zuständige Departementschefin oder der -chef präsent zu sein. In Krisenzeiten ist der Platz der Informationsverantwortlichen in der Regel in Koordinations- und Führungszentralen, nicht vor Kameras und Mikrophonen.

4.4

Führungs- und Koordinationsprobleme

Das häufige Fehlen einer einheitlichen, klaren, widerspruchsfreien und geführten Information hat ihren Grund oft (und in den untersuchten Ereignissen immer) im wesentlichen in der mangelnden .Koordination unter den verschiedenen in das Thema involvierten Amtsstellen und Behörden. Besonders augenfällig wurde dies im Fall Nyffenegger, als sich zeitweise gleichzeitig vier Bundesräte offensichtlich ohne gegenseitige Absprache in der Öffentlichkeit äusserten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass jede ausserordentliche Entwicklung und jedes überraschende Ereignis eine neue Herausforderung darstellt und irnmer wieder neue Entscheide verlangt. Besonders in solchen Situationen ist eine straffe Führung unerlässlich auch in bezug auf die Information über diese Situation.

Gerade deshalb sind aber die Strukturen der Informationstätigkeit so auszugestalten, dass in schwierigen, überraschenden, unübersichtlichen oder komplexen Lagen die Koordination der Information gewissermassen unvermeidbar wird und nicht umgangen werden kann, selbst dann nicht, wenn sie unter dem Eindruck sich überstürzender Ereignisse aus den Augen zu geraten drohen. Anzustreben ist gewissermassen ein Koordinationsautomatismus, der verhindert, dass in Krisensituationen vorerst konzeptlos und unkoordiniert informiert wird, ehe sich die Verantwortlichen - unter- Umständen zu spät - bewusst werden, dass Koordinationsbedarf besteht.

1602

Es kann nicht das Ziel sein, die Informationsstrukturen in starre Korsetts zu drängen. Es ist grundsätzlich unerheblich, wie die Information bewerkstelligt wird, solange das System eine koordinierte und professionelle Information garantiert.

a. Koordination im Bundesrat Der Bundesrat will und muss seine Politik der Bevölkerung und dem Parlament verständlich machen. Gerade auch seine Kommunikationen nach aussen hat den Grundsätzen einer wahren, raschen, offenen, vollständigen, einheitlichen, sachlichen und kontinuierlichen Information zu gentigen. Das bedeutet, dass auch der Bundesrat seine Informationstätigkeit bezüglich der Bundesratsgeschäfte bzw. der wichtigen Geschäfte und Ereignisse nationaler Bedeutung zu führen, zu koordinieren und zu professionalisieren hat.

Jedes Mitglied des Bundesrates ist grundsätzlich frei in der Art und Weise, wie es sich in der Öffentlichkeit äussern will. Eine Verpflichtung, sich einer kollegialen Informationsstrategie zu unterwerfen, besteht nicht. Auch eine aus verschiedenen Parteien zusammengesetzte Kollegialbehörde muss aber - im eigenen und im Landes-Interesse - daran interessiert sein, über die gemeinsamen Geschäfte einheitlich zu informieren und bei bedeutenden Ereignissen (z. B. Krisensituationen) koordiniert aufzutreten. Ein Bundesrat, dessen Mitglieder sich konzeptlos und allenfalls sogar widersprüchlich zum gleichen Thema äussern, wirkt in der Öffentlichkeit unglaubwürdig, inkompetent und wird nicht ernst genommen. Eine koordinierte Informationstätigkeit der Regierung schliesst im übrigen eine transparente Information über die Entscheidfindung im Bundesrat keineswegs aus (vgl. dazu unten Ziff. 4.4).

Die Koordination im Bundesrat kann dadurch gewährleistet werden, wenn der Bundespräsident oder die -präsidentin für die Führung der Information zuständig erklärt wird. Es ist unerlässlicher Bestandteil der präsidialen Pflichten, die Information in wichtigen und besonderen Angelegenheiten als Chefsache im Landesinteresse zu fähren. Diese Arbeit wird der Bundespräsident oder die -präsidentin zwar in Zusammenarbeit und Absprache mit den übrigen Mitgliedern erledigen oder allenfalls die zuständigen Departementschefs direkt damit betrauen. Aber nur dann, wenn es die zwingende und institutionalisierte Pflicht des Präsidiums ist, in ausserordentlichen Situationen
von Anfang an (und nicht erst dann, wenn der Schaden eingetreten ist) das Kollegium und die Departemente zur Koordination der Information anzuhalten und allenfalls notwendige, rasche und straffe Führungsentscheide zu treffen, können mit einer gewissen Sicherheit unerfreuliche Situationen vermieden werden, wie sie in den untersuchten Fällen beobachtet werden mussten.

Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin ist in der Aufgabe der Informationsführung wesentlich auf die Unterstützung und die Zusammenarbeit des Bundesratssprechers bzw. der -Sprecherin angewiesen. Das Präsidium als Führungsstelle der Information hat sich zu ergänzen mit dem Bundesratssprecheramt als Koordination- und Unterstützungsstelle in den wesentlichen Fragen der Kommunikation von übergeordnetem Interesse.

Die Informationstätigkeit des Bundesrates hat auch im Ablauf zeitgemässen Anforderungen zu entsprechen. Dies war beispielsweise nicht der Fall im Juni 1992, als der Bundesrat die Deponierung eines EU-Beitrittsgesuches beschloss, die Information über diesen umstrittenen Entscheid jedoch um zwei Tage verschob, was Stunden später eine Indiskretion (und die entsprechende Medienmeldung) provozierte.

1603

Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass der Bundesrat seine Information ständig koordiniert, professionalisiert und sich dabei auch beraten (coachen) lässt ·z. B. von einem Bundesratssprecher oder einer -Sprecherin.

b. Bundesratssprecherin/Bundesratssprecher Die Konkordanzdemokratie führt im politischen System der Schweiz dazu, dass in der Landesregierung mehrere (zur Zeit vier) Parteien unter Einschluss der Opposition vertreten sind. Indirekt sind in die Entscheidfindung der Regierung damit auch vier Partei Präsidenten und vier Parteisekretäre involviert. Es ist offensichtlich, dass unter diesen Voraussetzung der Ausgestaltung der Informationstätigkeit des Bundesrates noch bedeutend mehr Aufmerksamkeit zu widmen ist, als dies in anderen politischen Systemen mit klarer Trennung von Regierung und Opposition der Fall ist.

Jede Regierung - unabhängig von ihrer Zusammensetzung - ist indessen darauf angewiesen, die Bedeutung der Information bezüglich der aktuellen oder latenten Ereignisse und Entwicklungen erkennen und entsprechend handeln zu können. Ob sie das kann, hängt zum Teil von ihrer eigenen politischen Kompetenz ab. Die Regierung hat sich aber auch die erforderlichen Instrumente zu geben, damit sie in der Früherkennung von Informationsbedürfnissen unterstützt und beraten wird. Es ist eine Person einzusetzen, welche die Aufgabe übernimmt, für den Bundesrat ein lückenloses Informationssystem zu entwickeln, das alle sieben Departemente einschliesst.

i Dieses System hat sich wie ein Netz über die gesamte Verwaltung zu ziehen und soll gewährleisten, dass sich der Bundesrat frühzeitig und situationsgerecht ein Bild von neuen Entwicklungen und den dadurch entstehenden Informationsbedürfnissen machen kann. Das Prinzip einer stufengerechten Informationstätigkeit wird damit nicht in Frage gestellt. Es ist aber ein System unverzichtbar, welches den Bundesrat in die Lage versetzt, die für seine Ebene relevanten Informationen zu erhalten bzw. angemessen weiterzugeben.

Aufgabe dieser für die Information und Kommunikation verantwortlichen Person ist in erster Linie, Informationsflüsse innerhalb der Bundesverwaltung zu öffnen, die wichtigen und bedeutenden Informationen zu ermitteln und frühzeitig der Gesamtregierung zugänglich zu machen. Gleichzeitig muss sie externe und interne Informationsbedürfnisse
erkennen, die Vermittlung von Informationen gegenüber der Öffentlichkeit koordinieren, führen oder den Bundesrat zur Führung der Information veranlassen und ihn dabei betreuen. Die Person - sie wird hier BundesratsSprecherin oder Bundesratssprecher genannt, wobei durchaus auch eine andere Bezeichnung (z. B. Informationsbeauftragter/Informationsdelegierter des Bundesrates) denkbar wäre - hat sich in nächster Nähe zum Bundesrat zu bewegen und beispielsweise an den Sitzungen der Regierung anwesend zu sein. Damit sie die ihr übertragenen Aufgaben wahrnehmen kann, ist sie mit den erforderlichen Kompetenzen auszustatten, um gegenüber der gesamten Bundesverwaltung gegebenenfalls autoritativ auftreten zu können. Sie hat das personelle und politische Umfeld zu kennen und ist mit den Sachgeschäften im Grundsatz vertraut.

Neben dieser ungemein wichtigen Aufgabe der inhaltlichen Führung und Koordination der Information hat sich der Bundesratssprecher bzw. die Bundesratssprecherin auch dem Erscheinungsbild der bundesrätlichen Information zu widmen. Die Sprecherin oder der Sprecher ersetzt die Auftritte der Mitglieder des Bundesrates in der Öffentlichkeit nicht; gerade in ausserordentlichen oder schwierigen, negativ

1604

belasteten Situationen ist es in der Regel unerlässlich, dass der Bundesrat selber informiert. Dort, wo sich der Bundesrat vertreten lässt, ist es indessen von Bedeutung, dass - gerade weil die Regierung nicht aus einer Partei besteht - eine Person mit der Vermittlung von Informationen betraut ist, welche mit einer integrierenden und authentischen Stimme spricht.

Eine Kollegialregierung braucht einen glaubwürdigen Sprecher oder eine Sprecherin, welche die Regierung überzeugend vertritt und ihren gemeinsamen Nenner der Öffentlichkeit vermittelt. Ein starker Bundesratssprecher oder eine -Sprecherin kann die Identität der Regierung stärken und zur Glaubwürdigkeit und Einheitlichkeit des Auftritts des Bundesrates Entscheidendes beitragen* In Ansätzen wird diese Aufgabe bereits heute von" Vizekanzler Casanova wahrgenommen, doch müsste eine entsprechende Stelle klarer umrissen und mit bedeutend grösseren Kompetenzen ausgestattet werden. Die Anhörungen der Sektionen B/M GPK-N haben ergeben, dass Medienschaffende, Experten und Vertretungen der Verwaltung einhellig und dringend die Einführung eines Bundesratssprecheramtes befürworten.

Auch der Bundesrat hat sich seinerzeit in der Botschaft zum RVOG vom 20. Oktober 1993 für ein Regierungssprecheramt ausgesprochen, wenn auch in teilweise anderer Ausgestaltung. Im Unterschied zum bundesrätlichen Vorschlag besteht die Hauptaufgabe des Bundesratssprechers oder der Bundesratssprecherin in der Früherkennnung von ausserordentlfchen Situationen und in der Informationsbeschaffung, -Vermittlung und -koordination zuhanden des Bundesrates bzw. des Bundespräsidiums. Erst in zweiter Linie soll er auch in ordentlichen Lagen stellvertretend für den Bundesrat die Information gegenüber der Öffentlichkeit übernehmen.

Nach Ansicht der GPK-N wird der Bundespräsident oder die -präsidentin bei der Führung der Information in ausserordentlichen Situationen von einem Informationsverantwortlichen des Bundesrates unterstützt, welcher gegenüber den Informationsbeauftragten der Departemente weisungsberechtigt ist. Die ständige Aufgabe des Informationsverantwortlichen ist es, zum Zweck der Früherkennung problematischer Entwicklungen eine rollende Informationskoordination unter allen Stellen der Bundesverwaltung sicherzustellen und den Bundesrat bei Bedarf frühzeitig mit den notwendigen
Informationen zu versorgen. Es wird Aufgabe des Bundesrates sein zu entscheiden, ob er diese Aufgabe dem Bundesratssprecher oder der -Sprecherin zuweisen oder dafür eine geeignete besondere Person einsetzen will.

c. Informationsstrukturen und -hierarchien Der Bundesrat, die Departemente und die Ämter haben sich ihren Bedürfnissen entsprechend zu organisieren. Das gilt auch für die Informationstätigkeit. Absolut unabdingbar ist es jedoch, dass die Informationsstrukturen innerhalb der Ämter und Departemente, aber auch Über die Amts- und Departementsgrenzen hinaus so vernetzt sind, dass wichtige oder übergreifende Themen unverzüglich koordiniert bearbeitet werden können. Die notwendigen Struktur- und Hierarchiebereinigungen (z. B. im Sinne eines über die ganze Bundesverwaltung gezogenen Redaktionssystems} sind vorzunehmen.

Die Informationsdienste der Bundesverwaltung haben im Dezember 1996 unter dem Eindruck der Ereignisse eine vorläufige Vereinbarung getroffen, um die aufgetretenen Lücken - vor allem im Sinne gegenseitiger Unterstützung - zu schliessen.

Die Vereinbarung zielt in die richtige Richtung, weist aber als gewichtigen Mangel auf, dass sie auf Freiwilligkeit basiert und für Krisensituationen unabdingbare auto.ritative Durchsetzungsmöglichkeiten fehlen. Eine definitive Lösung kann sie deshalb nicht darstellen, da gewisse Informationsstrukturen und Informationsmittel

1605

einer grundsätzlichen Überprüfung und Anpassung bedürfen. Unerlässlich sind dauerhafte, schlagkräftige Strukturen und weisungsbefugte Führungsstellen für wichtige Informationsbelange.

d. Koordination unter den Amtsstellen Die Koordination unter den verschiedenen Ämtern und Departementen funktioniert in Normallagen offenbar zufriedenstellend. Nicht oder nur mangelhaft ist die Koordination hingegen in krisenhaften Situationen. Namentlich war dies auch in den untersuchten Ereignissen der Fall, in denen nicht nur die Koordination mangelhaft war, sondern wo die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse und Ansichten zu mehr oder weniger offen ausgetragenen Spannungen unter den Amtsstellen führten.

Für die Einheitlichkeit, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit von Information ist ein solcher Zustand katastrophal. Es sind-deshalb Strukturen zu schaffen, welche die Führung und Verantwortlichkeit (mit den erforderlichen Kompetenzen) bei amts- und departementsübergreifenden Themen klar und erkennbar festlegen. Dazu sind pragmatische, generell-abstrakte Regeln zu schaffen, welche im _KrisenfaII sofort greifen können.

4.5

Transparente Entscheidfmdung des Bundesrates

Die Gründe für die Schwierigkeiten und Mängel der bundesrätlichen Informationstätigkeit liegen, wie dargestellt, zum Teil in der ungenügenden Koordination, in -der mangelhaften Informationsaufbereitung und im nicht konsequenten Einbezug des Informationsanliegens in alle Sachgeschäfte.

Daneben fällt auf, dass gewisse Informationsprobleme im Umfeld des Bundesrates durch das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien an der Entscheidfmdung in der Regierung entstehen. Der Bundesrat selber hat ein ambivalentes Verhältnis zu diesem Interesse; Einerseits bemüht er sich, als Kollegialbehörde und entsprechend geschlossen aufzutreten. Andererseits kommt es immer wieder vor, dass - mehr oder weniger gezielt - Informationen über abweichende Meinungen im Bundesrat an die Öffentlichkeit dringen oder sogar einzelne Mitglieder des Bundesrates in der Öffentlichkeit eigene Ansichten vertreten, die nicht mit der Haltung des Gesamtbundesrates übereinstimmen.

Oft führt das Bekanntwerden dissidenter Meinungen im Bundesrat zu Diskussionen in der Öffentlichkeit, wobei häufig weniger die unterschiedlichen Ansichten als vielmehr die Tatsache der Uneinigkeit im Bundesrat Gegenstand von Kontroversen ist. Dabei wird jeweils davon ausgegangen, der Bundesrat habe zwingend einer Meinung zu sein. Halt man sich indessen vor Augen, dass der schweizerische Bundesrat eine Konkordanzregierung unter Einbezug der potentiellen Opposition ist, kann es nur selbstverständlich sein, dass dieses Gremium seine Entscheide oft nicht einstimmig fällt. Trotzdem entsteht jeweils der Eindruck, dies dürfe nicht sein und man wolle nicht wahrhaben, dass der Bundesrat aus sieben Personen besteht, welche sieben Departemente und vier Parteien vertreten. Angestrengt wird in solchen Situationen der Deckel des Kollegialitätsprinzips über den Willensbildungsprozess des Bundesrates gezogen, und ausscherende Regierungsmitglieder oder durch (auch gezielte) Indiskretionen veröffentlichte Meinungsverschiedenheiten werden häufig negativ empfunden und kommentiert.

Nach Auffassung der Sektionen B/M GPK-N trägt dieses Informationsverständnis, gepaart mit einem entsprechenden Verständnis einer KoIIegialbehörde, nicht zu '

1606

einer verständlichen, offenen und angemessenen Darstellung des Bundesrates und seiner Tätigkeit bei. Meinungsverschiedenheiten in einer Konkordanzregierung sind selbstverständlich und können weder wegdiskutiert noch verschwiegen werden. Hingegen können insbesondere komplexe Entscheide des Bundesrates unter Umständen verständlicher und nachvollziehbarer werden, wenn der Öffentlichkeit in aller Offenheit dargelegt wird, durch welche Argumente sich der Bundesrat (eventuell nur mehrheitlich) hat überzeugen lassen und welche Gründe gegen einen Entscheid vorgebracht und erwogen wurden. Die Erfahrung zeigt, dass immer dann Schwierigkeiten auftreten, wenn in solchen Situationen Transparenz verhindert werden soll.

Gleichzeitig würde mit einer solchen transparenten Information der angeblichen Dramatik abweichender Bundesratsmeinungen die Spitze gebrochen. Es wird für die Medien unattraktiv, durch Indiskretionen allfällige Uneinigkeiten im Bundesrat in Erfahrung zu bringen, wenn unterschiedliche-Ansichten ohnehin bekanntgemacht werden. Auch wird der abweichenden Öffentlichen Stellungnahme eines Bundesratsmitglieds der Anruch eines Verstosses genommen, wenn transparente Entscheidfindungen zur regel massigen Selbstverständlichkeit werden.

Die offene Information über die Willensbildung im Bundesrat verträgt sich durchaus mit dem Kollegialitätsprinzip, auf dessen grundsätzliche Einhaltung eine Konkordanzregierung angewiesen ist. Gefällte Entscheide sind von allen Mitgliedern des Bundesrates zu akzeptieren. Dem steht aber in keiner Weise entgegen, Gegenmeinungen und Gegenargumente aus der Regierung öffentlich zu machen. Es ist im übrigen schon heute so, dass Regierungen (z. B. jene des Kantons Solothurn) oder Gerichte (z. B. teilweise das Bundesgericht) öffentlich lagen und entsprechend offengelegt wird, welche Mitglieder dieser Gremien für oder gegen eine Sache sind oder mit welchen Argumenten gefochten wird. Es ist nicht bekannt, dass die Kollegialität dieser Behörden dadurch leiden würde. Es würde nicht für die Qualität einer Kollegialbehörde sprechen, wenn sie nicht in der Lage sein sollte, Argumente offen und sachlich zu diskutieren, Beschlüsse nachvollziehbar und transparent zu machen, dann aber auch gemeinsam hinter gefällte Entscheide zu stehen.

4.6

Öffentlichkeitsprinzip

Als weiterer struktureller Mangel erweist sich gerade auch in krisenhaften Lagen (im Normalfall ohnehin) das Fehlen des Öffentlichkeitsprinzips in der Bundesverwaltung. Seit mehreren Jahren wird im Bundesamt für Justiz an einem Vorentwurf für ein Gesetz über die Öffentlichkeit der Bundesverwaltung gearbeitet. Verschiedentlich und seit längerem haben parlamentarische Vorstösse die Einführung des Öffentlichkeitsgrundsatzes auch auf Bundesebene gefordert, und die interdépartementale Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit (AGÖ) empfahl dem Bundesrat bereits 1994 die Einführung dieses Grundsatzes.

Der Bundesrat schlug in seiner Vernehmlassung zur Verfassungsreform die Einführung des Öffenllichkeitsprinzips als eine von vier Neuerungen zwar vor, aber nachdem die Reaktionen kontrovers ausfielen und vor allem viele zusätzliche Neuerungen gefordert worden waren, unterliess es der Bundesrat, die Frage im Rahmen der Verfassungsreform oder als selbständiges Geschäft weiter voranzutreiben. Dies ist um so bedauerlicher und unverständlicher, als es sich beim Öffentlichkeitsprinzip nicht um etwas völlig Neues, Unbekanntes oder Unerprobtes handelt. Verschiedene Staaten in Europa (bspw. skandinavische Staaten) und Amerika (bspw. Kanada,

1607

USA) sammeln - zum Teil seit Jahrzehnten - Erfahrungen mit diesem Grundsatz.

In der Schweiz kennt der Kanton Bern seit mehr als zwei Jahren das Öffentlichkeitsprinzip, seit kurzem auch der Kanton Appenzell Ausserrhoden.

Der Grundsatz der Öffentlichkeit hat sich dort, wo er eingeführt ist, bewährt. Nicht bewahrheitet haben sich gewisse Befürchtungen, die gegenüber einer solchen weitgehenden (aber nicht grenzenlosen) Verwaltungstransparenz gehegt wurden. So ist beispielsweise nirgends eine exzessive Beanspruchung oder gar eine Lähmung der Verwaltung durch das Öffentlichkeitsprinzip beobachtet worden. Hingegen hat sich etwa im Kanton Bern gezeigt, dass das Öffentlichkeitsprinzip die Regierung und die Verwaltung dazu führt, rascher und umfassender zu informieren und - was besonders bemerkenswert ist - die Information zum festen Bestandteil jeder Bearbeitung und Planung von Bargeschäften zu machen. Das Öffentlichkeitsprinzip zwingt demnach zu einer integrierten Information. Gerade diesbezüglich haben die Sektionen B/M GPK-N in den untersuchten Fällen eklatante Mängel festgestellt.

Die Sektionen B/M GPK-N versprechen sich von der Einführung des Öffentlichkeitsprinzips kein Mittel zur Verhinderung jeglicher Informationsprobleme.

Gewisse Schwierigkeiten der Informationsvermittlung werden immer auftauchen.

Auch hat sich gezeigt, dass das Öffentlichkeitsprinzip die Arbeit der Medien eher indirekt unterstützen kann, indem sich Bundesrat und Verwaltung zu einer vorausschauenden und integrierten Informationsplanung veranlasst sehen. Im aktuellen und eiligen Einzelfall kann das Öffentlichkeitsprinzip indessen nicht unbedingt vermeiden, dass die Medien eigene Wege zur Informationsbeschaffung beschreiten werden. Je besser und wirksamer die Verwaltung den Aspekt der Information in ihre laufende Arbeit im Sinne des Öffentlichkeitsprinzips einbezieht, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Medien keinen Anlass zu eigener und - aus der Sicht der Verwaltung unerwünschter - Recherchiertätigkeit haben.

Insbesondere kann mit dem Öffentlichkeitsprinzip - zumindest ansatzweise - dem zunehmenden Problem der Indiskretionen entgegengetreten werden. Es wird für die Medienschaffenden, vor allem aber für die für die Indiskretionen verantwortlichen Personen in Politik und Verwaltung unattraktiv, mit Informationen
vorzuprellen, die ohnehin allen Interessierten zugänglich sind. Vor allem entfällt jeder Rechlfertigungsgrund für Medienschaffende, sich durch Indiskretionen Informationen zu verschaffen. Es kann unter der Geltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht mehr argumentiert werden, eine Information habe - in öffentlichem Interesse - über dunkle, allenfalls sogar rechtswidrige Wege beschafft werden müssen, weil sie anders nicht erhältlich gewesen sei. Und Angehörige der Verwaltung, welche (aus welchen Gründen auch immer) den Medien Informationen zuspielen wollen, finden ein wesentlich kleineres Betätigungsfeld, da der grösste Teil ohnehin öffentlich ist.

Die Einführung grösstmöglicher Transparenz in der Bundesverwaltung ist gleichzeitig zu verbinden mit einer wirklich professionellen Handhabung jenes (kleinen) Teils von Informationen, der vertraulich und geheim zu bleiben hat. Die Häufigkeit von Indiskretionen unter dem herrschenden System macht deutlich, dass die Geheimhaltung von Informationen zur Zeit offensichtlich nicht oder nur mangelhaft gewährleistet werden kann. Die Geheimhaltung im Bundesrat und in der Bundesverwaltung muss deshalb personell und strukturell verbessert werden.

Es ist im vorliegenden Zusammenhang symptomatisch, dass die Sektionen B/M GPK-N im Rahmen ihrer Arbeiten den seit längerem bestehenden Vorentwurf für ein Bundesgesetz, welches das Öffentlichkeitsprinzip in der Bundes Verwaltung einführen soll, offiziell nicht erhalten haben. Das heisst aber nicht, dass die Sektionen

1608

B/M GPK-N nicht auf inoffiziellem Weg in den Besitz des Vorentwurfs (der in wesentlichen Teilen der Übernahme des seit Anfang 1995 im Kanton Bern in Kraft stehenden Informationsgesetzes entspricht) gelangt wären ...

Im Zusammenhang mit dem Falibeispiel Entschädigungsabkommen PolenSchweiz ist im übrigen von Interesse, dass gemäss Medienberichten die Aufarbeitung des Handels mit Nazi-Gold während des Zweiten Weltkrieges in Schweden nicht zuletzt deshalb weniger Probleme zu bereiten scheint, weil dieses Land seit langem das Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung kennt. Das verdeutlicht auch, dass die Öffentlichkeit der Verwaltung nicht Selbstzweck und auch nicht eine Indiskretionsabwehrstrategie ist: In erster Linie soll die Transparenz zu einem besseren Staatsverständnis und einer offeneren, demokratischeren Gesellschaft beitragen.

Alles andere ist eine positive Begleiterscheinung.

4.7

Spannungsfeld Justiz-Politik

Der Fall Nyffenegger hat deutlich gezeigt, dass zwischen den Informationsbedürfnissen von Justizbehörden und jenen der übrigen öffentlichen Verwaltung zum Teil unüberbrückbare Differenzen bestehen können. Während in diesem Fall das EMD eine aktive Informationspolitik zu verfolgen versuchte und bereits vor den ersten Recherchen der Medien an die Öffentlichkeit treten wollte, Hessen sich die Strafverfolgungsbehörden (Bundesanwaltschaft und Militärjustiz) von der Auffassung leiten, so wenig wie möglich zu informieren, um ihre Ermittlungsarbeiten nicht zu beeinträchtigen.

Wieweit Informationsrestriktionen seitens der gerichtspolizeilichen Behörden gerechtfertigt sind, lässt sich in der jeweiligen Aktualität und auch im nachhinein nur schwer beurteilen. Die Koordination der Information ist dann besonders schwierig, wenn - wie im Fall Nyffenegger - neben den Interessen der Strafverfolgungsbehörden auch politische Aspekte mit von Bedeutung sind. Den Justizbehörden ist zuzubilligen, dass sie die ihnen obliegende Arbeit zu einer anderen Art der Informationsta'tigkeit zwingt. Durch die Bekanntgabe von Informationen darf einerseits der Zweck der Ermittlungen nicht gefährdet werden, andererseits sind in aller Regel auch die Persönlichkeitsrechte der in die Ermittlungsverfahren involvierten Personen zu berücksichtigen.

Dennoch stellt sich die Frage, welche Informationspolitik einer Justizbehörde unter den heutigen Bedingungen, im heutigen gesellschaftlichen Umfeld und in der heutigen Medienlandschaft angemessen ist. Auch Justizverfahren - und gerade solche auf Bundesebene, die naturgemjiss von grösserer Bedeutung sind - sind Teil des gesellschaftlichen Lebens. Die Öffentlichkeit hat ein Bedürfnis nach Informationen über Justizverfahren, was die rege Anteilnahme an Kriminal fäll en in der Schweiz ebenso deutlich zeigt wie die zum Teil beispiellose mediale Aufbereitung solcher Ereignisse im Ausland. Auch wenn man sich vergleichbare Zustände nicht wünscht, können die Augen nicht verschlossen werden vor der Tatsache, dass die Medien auch hierzulande Polizei- und Justizverfahren nicht anders behandeln als andere Themen, die sich für eine Umsetzung in den Medien eignen. Die Einschätzung, dass sich die Medien nicht für die Tätigkeit der Bundesanwaltschaft interessieren könnten, sobald ein Ereignis von grösserer
Tragweite ist, wäre absolut unrealistisch. Rücksicht auf vorläufige Geheimhaltungswünsche kann von den Medien nicht erwartet werden, ebensowenig wie die Informationskonsumentirinen und -konsumcnten bereit sind, auf solche Informationen zu warten, bis den zuständigen offi-

1609

ziellen Stellen der Zeitpunkt dafür gekommen scheint. Diese Entwicklung mag bedauert werden, sie ist aber als Rahmenbedingung hinzunehmen.

Die Frage ist also nicht: Soll informiert werden oder nicht, sondern wie ist über Strafuntersuchungen zu informieren, damit einerseits die öffentlichen und privaten Interessen der Untersuchung gewahrt und andererseits das Informationsbediirfnis der Öffentlichkeit befriedigt werden kann. Kaum erreichen lässt sich dieses Ziel mit einer Abschottung oder mit einer Delegation der Informationstätigkeit und -Verantwortung ausserhalb der Strafverfolgungsbehörden. Die von der Bundesanwältin aufgeworfene Idee, die Stelle des Pressesprechers in der Bundesanwaltschaft aufzulösen, scheint dazu ebenfalls wenig hilfreich.

Zweckmässiger ist es, die Informationspolitik namentlich der Bundesanwaltschaft zu überdenken und dem heutigen Umfeld anzupassen. Die Ausgliederung der Informationstätigkeit aus de.rßundesanwaltschaft hätte vermutlich kontraproduktive Folgen. Jedesmal, wenn über eine Angelegenheit der Strafverfolgungsbehörde zu informieren wäre, müsste sich die externe informierende Stelle in das Thema einarbeiten, die Strukturen erfassen etc., bevor überhaupt eine Information möglich wäre.

Absehbar wären somit zusätzliche Koordinationsprobleme. Die heutigen Anforderungen an die Informationstätigkeit verlangen einen ständigen Einbezug der Kommunikationsfrage. Angezeigt wäre demnach eher eine Intensivierung und Professionalisierung der Informationstätigkeit auch in den Strafverfolgungsbehörden. Nur so kann Situationen wie im Fall r^yffenegger vorgebeugt werden, in dem die Strafverfolgungsbehörden - wie dies die Bundesanwältin gegenüber den Sektionen B/M GPK-N auch einräumte - das Öffentliche Interesse und das Bedürfnis nach Information zu Beginn unterschätzt haben und sich dann gezwungen sahen, unter dem Druck der Ereignisse zu informieren.

Der Information der Öffentlichkeit nicht zuträglich und insgesamt unwürdig ist es zudem, wenn in solchen Situationen Unsicherheit über die Zuständigkeit und Verantwortung für die Informationstätigkeit herrscht und dadurch eine Verunsicherung entsteht, in welcher die Diskussion um die Informationstätigkeit der Bundesbehörden oder des Bundesrates einen vergleichbaren Stellenwert erhält wie die eigentliche Sachinformation.

Im Spannungsfeld
Politik-Justiz besteht demnach insbesondere in zwei Punkten Handlungsbedarf. Zum einen sind die Informationspolitik und -Strukturen der Strafverfolgungsbehörden des Bundes auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen und notwendige Korrekturen vorzunehmen. Zum zweiten sind klare Regeln über die Koordination der Information erforderlich. Vor allem bei Verfahren mit politischer Relevanz sind Regeln zu schaffen, welche die Zuständigkeiten und die Bereiche der Information zwischen Bundesrat/Departementen und Bundesanwaltschaft/Militärjustiz klar und von vornherein abgrenzen.

4.8

Professionalität

Jede wichtigere Information muss von einer Strategie begleitet sein. Wer informiert, muss auch das Umfeld kennen, die Auswirkungen, welche die Information haben kann, und die Wirkungen, die erzielt oder vermieden werden sollen. Diese Strategie kann relativ banal sein, sie muss aber unter Umständen (gerade in komplexen Angelegenheiten) hohen oder höchsten Anforderungen genügen. Die untersuchten Fälle haben erkennen lassen, dass in dieser Beziehung offensichtlich gewisse Defizite bestehen. Im Fall Nyffenegger wurden offensichtlich - obwohl tagelang

1610

mit dem Publikwerden der Untersuchung gerechnet wurde - keine Überlegungen für ein umfassendes Informationskonzept angestellt, Auch in den anderen Fällen war selbst nach Bekanntwerden der jeweiligen Ereignisse während (zu) langer Zeit zumindest gegen aussen keine eigentliche Informationsstrategie zu erkennen. Dabei wird nicht verkannt, dass ausserordentliche Lagen nicht im Detail planbar sind.

Hingegen können die Voraussetzungen geschaffen werden, um in solchen Situationen wenigstens mit den richtigen Mitteln reagieren und allenfalls auch aktiv werden zu können. In diesem Zusammenhang ist auch auf das Erfordernis einer integrierten Informationstätigkeit hinzuweisen, welche Information zu einem Teil jeder politischen und administrativen Tätigkeit werden lässt. Besonders auffällig waren diese Defizite in der Informationstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden im Fall Nyffenegger.

Zu einer integrierten Information gehört auch ein Sensorium für die Bedeutung eines Ereignisses bzw. für die möglichen Auswirkungen und Echos. Dazu ist auch der Horizont der von der Information Betroffenen (Publikum) bedeutend stärker miteinzubeziehen. Regelmüssig wurde in den untersuchten Fällen das Gewicht zu stark auf eine verwaltungstechnisch-sachliche Information gelegt. Informationen haben jedenfalls der fachlichen Richtigkeit und Vollständigkeit verpflichtet zu sein; sie sind aber wertlos und zumindest entwertet, wenn sie nicht richtig kommuniziert werden.

Informationstätigkeil ist auch nicht zar Schadensbegrenzung oder zu ReparaturZwecken da. Die Strategie der Information hat immer auch die Frage nach dem Zeitpunkt der Information zu beantworten. Eine offensive Strategie, die das Terrain von sich aus besetzt, eignet sich regelmässig besser zur sachgerechten Inforinationsverinittlung als eine defensive, die unter Druck informieren nniss.

Zu einer professionellen Informationstâ'tigkeit gehört weiter, dass Kommunikation auch Öffentüchkeits- und mediengerecht vermittelt wird. Diese an sich selbstverständlichen Anforderungen werden beispielsweise nicht eingehalten, wenn ein erstes, themenauslösendes und brisantes Pressecommunique an einem Freitag nachmittag um 16 Uhr veröffentlicht wird.

Die Sektionen B/M GPK-N sind sich bewusst, dass Informationstätigkeit - gerade auch in ausserordentlichen Lagen, die oft freie
Führung verlangen - nur bedingt reglementierbar ist. Es können zwar optimale Strukturen geschaffen und Krisenkonzepte vorbereitet werden, doch sind ausserordentliche Ereignisse naturgemäss nicht bis in Einzelheiten planbar, die Anforderungen an die Information darüber (und deren Auswirkungen) ebenfalls nur bedingt abschätzbar.

Schliesslich findet die Planbarkeit der Information ihre Grenzen letztlich in den Personen, die dafür verantwortlich sind bzw. die Kraft ihres Amtes keinen Informationsweisungen unterliegen. Beispielhaft sind dafür die umstrittenen Silvester-Äusserungen von Bundesrat Delamuraz im Zusammenhang mit den nachrichtenlosen Vermögen.

Immerhin sind die Anforderungen an die Informations verantwortlichen, soweit sie in die Verwaltung eingebunden sind, so zu formulieren, dass diese voraussichtlich auch ausserordcnlliche Informationssituationen so angemessen wie unter diesen Umständen möglich beurteilen und die richtigen Massnahmen ergreifen bzw. den übergeordneten Organen empfehlen können. Ob die Informationsbeauftragten der Verwaltung Medienerfahrung mitbringen müssen oder nicht, ist letztlich unerheblich. Entscheidend ist, dass diese Personen über ein Sensorium, eine «Nase» für Informationsbedarf und einzusetzende Mittel verfügen. Die Informat ions verantwort1611

liehen müssen den Medien nicht die Arbeit abnehmen, aber es ist selbstverständlich Voraussetzung, dass sie die Funktionsweise der Medien kennen.

4.9

Auftritt des Bundesrates vor den Medien

Der Auftritt des Bundesrates vor den Medien (und anderer Vertreterinnen und Vertreter des Bundes) wurde in den Anhörungen vor den Sektionen B/M GPK-N verschiedentlich als unangemessen beurteilt. Es fällt in der Tat auf, dass namentlich der Bundesrat bei seinen Auftritten - vor allem dort, wo er auch bildlich in Erscheinung tritt (TV, Fotos) - optisch keinen einprägsamen Eindruck hinterlässt. Die Medienorientierungen; in der Regel im Zimmer 86 des Parlamentsgebäudes - hinterlassen kaum ein Bild von Führung und Repräsentation. Für Aussenstehende ist oft nicht ersichtlich, wer von den am Informationstermin Teilnehmenden von Bedeutung ist. Dieses Erscheinungsbild tritt dem hier und dort entstehenden Eindruck einer (gerade in Informationskrisen) nicht durchwegs führungsstarken Regierung nicht entgegen. Zu prüfen sind deshalb Verbesserungen. Zum Vergleich können die Auftritte» ausländischer Regierungen in der Öffentlichkeit bzw. vor den Medien herangezogen werden.

4.10

Grundlagen der Information

Wer informiert, muss auf gesicherte Grundlagen zurückgreifen können. Ein Informationsdienst kann nicht jede Information jederzeit griffbereit haben, vor allem dann nicht, wenn es sich um Informationen über zurückliegende oder historische Ereignisse handelt. Andererseits wirkt eine amtliche Stelle auch unglaubwürdig und inkompetent, wenn sie nicht in der Lage ist, innert nützlicher Frist (d. h. rasch) die erfragten Informationen zu liefern. In gravierender Weise hat sich dies im Fall Entschädigungsabkommen Polen-Schweiz gezeigt, wo das EDA - aus welchen Gründen auch immer - offensichtlich nicht über die Möglichkeiten verfügte, rasch und kompetent Auskunft zu geben. Gerade bei solchen brisanten Themen kann es nicht angehen, dass eine Behörde auf später verweist, weil sie zuerst einmal Unterlagen oder Dokumente suchen gehen muss. Die Informationsinfrastruktur des Bundes ist deshalb so zu gestalten, dass rasch auf alle erforderlichen Informationen mit historischen Dimensionen zurückgegriffen werden kann. Wo ein solcher Dienst aufgebaut wird, ist nach Zweckmässigkeitsüberlegungen zu entscheiden.

4.11

Information des Parlamentes und der Kantone

Die Medien sind zwar ein wichtiger Kanal der Information. Daneben haben Bundesrat und Bundesverwaltung immer zu beachten, dass die eigentlichen oder mitbetroffenen Adressaten nach Möglichkeit direkt und vorgängig zu orientieren sind.

Wer von einem Entscheid betroffen ist, vernimmt die entsprechende Information in der Regel ungerne den Medien.

Bundesrat und Bundesverwaltung haben sich deshalb der direkten Information angemessen zu widmen. Dies bedeutet insbesondere, dass die Information der Mit' glieder der Bundesversammlung zu überprüfen und - soweit erforderlich - zu verbessern ist. In gewissen Departementen (z. B. EMD) funktioniert die direkte Information des Parlamentes bereits gut. Daneben sind aber vor allem auch die Kantone besser in die direkte Information über sie betreffende Entscheide, Entwicklun-

1612

gen und Ereignisse der Bundespolitik etnzubeziehen. Namentlich die Information der kantonalen Regierungen und der nationalen Gremien der Kantone ist nach Kräften zu fördern. Sachdienlich und erwünscht ist in diesem Rahmen eine möglichst präzise, sachliche und umfassende Information und weniger eine Kommentierung der Angelegenheiten.

4.12

Medienlandschaft und Medienkonsum

Die gesellschaftlichen Informationsgewohnheiten und -bedürfnisse haben sich in den letzten Jahren dramatisch verändert und werden sich weiter verändern. Verändert haben sich dementsprechend auch die Medienlandschaft und der Stil und die Arbeitsweise der Medien. Diese Entwicklung mag nicht in allen Teilen erwünscht sein. Sie ist aber als gesellschaftliche Rahmenbedingung für die amtliche Informationstätigkeit hinzunehmen. Es ist unrealistisch, .Medienschaffende und Medien gegenüber der Politik und der Verwaltung auf irgendwelche ethische oder moralische Grundsätze verpflichten zu wollen, auch wenn diese Grundsätze hin und wieder in den Hintergrund zu treten scheinen.

Die Medien behandeln heute Politik und Verwaltung nicht anders als andere Themen; sie legen an sie die gleichen Massstäbe bezüglich Auswahl, Optik und Arbeitsweise. Politik und Verwaltung können zwar Fairness und - wo dies angezeigt scheint - Zurückhaltung von den Medien verlangen, sie dürfen jedoch nicht mehr Fairness und Zurückhaltung erwarten, als dies der Markt zulässt. Die in Teilen der Medien zu beobachtende Boulevardisierung stellt möglicherweise eine zusätzliche Herausforderung für die Informationstätigkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung dar. Dieser Herausforderung ist mit einer Verbesserung der Informationstätigkeit zu begegnen; «wegreglementieren» lässt sie sich nicht.

5

Anträge und Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates

Die Geschäftsprüfungskommission unterbreitet Parlament und Bundesrat folgende Verbesserungsvorschläge und Empfehlungen:

5.1

Öffentlichkeitsprinzip in der Bundesverwaltung

Motion der Geschäftsprüfungskommission

des Nationalrates

Der Bundesrat unterbreitet bis Ende 1998 dem Parlament die gesetzlichen Grundlagen für die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in der Bundesverwaltung.

5.2

Führung der Information in besonderen Situationen

Motion der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Der Bundesrat arbeitet eine Gesetzesgrundlage aus, wonach in ausserordentlichen Situationen die Führung der Information durch den Bundespräsidenten wahrzunehmen ist, bei der er von einem Informationsverantwortlichen des Bundesrates unterstützt wird, welcher gegenüber den In formations verantwortlichen der Departemente weisungsberechtigt ist.

66 Bundcsblail 149. Jahrgang. Bd. III

1613

5.3

Funktion der Bundesratssprecherin/des Bundesratssprechers

Parlamentarische Initiative der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates unterbreitet gemäss Art. 21lcr Abs. 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes folgende parlamentarische Initiative: Das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 wird wie folgt geändert:

Art. IO1"* (neu) Der Bundesrat bestimmt eine Bundesratssprecherin oder einen Bundesratssprecher.

Dieser oder diese informiert im Auftrag des Bundesrates die Öffentlichkeit. Er oder sie koordiniert die Information zwischen Bundesrat und den Departementen.

5.4

Transparente Entscheidfindung des Bundesrates

Postulat Der Bundesrat prüft die Möglichkeit einer transparenten Information über seine Entscheidfindung im Einzelfall. Dabei soll öffentlich dargelegt werden, durch welche Argumente sich der Bundesrat (eventuell nur mehrheitlich) hat überzeugen lassen und welche Gründe gegen einen Entscheid vorgebracht und erwogen wurden.

5.5

Überprüfung der Informationsstrukturen in der Bundesverwaltung

Postulat Der Bundesrat überprüft die Strukturen und die Instrumente der Informationsdienste von Bundesrat und Bundesverwaltung auf ihre Zeitgemäss- und Angemessenheit, insbesondere auch unter den Aspekten der zeitgerechten Information der Bundesversammlung sowie der Einführung von NPM.

5.6

Verbesserung der Informationspolitik der Strafverfolgungsbehörden des Bundes

Postulat Der Bundesrat überprüft die Informationspolitik der Strafverfolgungsbehörden des Bundes. Er schafft Strukturen, die eine klare Koordination und Abgrenzung zwischen Verwaltung und Strafverfolgungsbehörden ermöglichen.

29. Mai 1997

Im Namen der Sektionen Behörden/Mitteleinsatz Der Präsident: Alexander Tschäppät, Nationalrat Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Der Präsident: Peter Tschopp, Nationalrat Die Sekretärin: Mariangela Wallimann-Bomatico

9145

1614

Beilage I Liste der angehörten Personen Bertschi Peter, Leiter Inland und Kultur, Radio DRS .

Prof. Dr. Blum Roger, Institut für Medienwissenschaft, Universität Bern Bühler Martin, Informationschef EMD Casanova Achille, Vizekanzler Del Ponte Carla, Bundesanwältin, EJPD Eckmann Daniel, Jäggi Communications, Bern Harnischberg Thomas, persönlicher Mitarbeiter des Vorstehers EMD Hauenstein Roland, Bundesanwaltschaft, EJPD Leutwyler Christina, Tages-Anzeiger Bundesrat Ogi Adolf, Vorsteher des EMD Pitteloud Jacques, Referent des Vorstehers des EMD Romaine Jean, Télévision Suisse romande, Genève Schlumpf Viktor, Informationschef EJPD Sigg Oswald, Pressesprecher der Generaldirektion SRG Suremann Thomas, Generalsekretariat EMD Brigadier van Wijnkoop JÜrg, Oberauditor, EMD Zürcher Jean-Louis, Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG)

1615

Beilage 2 Abkürzungsverzeichnis AGÖ BAWI BLW BSE BVET CJD EDA EJPD EMD EU EVD

·

Arbeitsgruppe für Öffentlichkeitsarbeit Bundesamt für Aussenwirtschaft Bundesamt für Landwirtschaft Bovine spongiforme Enzephalopathie («Rinderwahnsinn») Bundesamt für Veterinärwesen Creutzfeldt-Jakob-Disease(Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Eidgenössisches Militärdepartement Europäische Union Eidgenössisches Volkwirtschaftsdepartement

GPK-N Geschäftsprüfungskommission Nationalrat GPK-S Geschäftsprüfungskommission Ständerat PR Public Relations PUK.

Parlamentarische Untersuchungskommission RVOG Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz Sektionen B/M Sektionen Behörden/Mitteleinsatz VwOG Verwaltungsorganisationsgesetz

9145

1616

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Informationstätigkeit des Bundesrates und der Bundesverwaltung in ausserordentlichen Situationen vom 29. Mai 1997

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1997

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

33

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.08.1997

Date Data Seite

1568-1616

Page Pagina Ref. No

10 054 372

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.