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Schweizerisches Bundesblatt.

XXVI. Jahrgang. I.

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Nr.. 13.

21. März 1874.

Bundesrathsbeschluss betreffend

den Rekurs des Xaver Merz, alt-Lehrer, von und in Unterägeri (Zug), betreffend Gerichtsstand in Ehescheidungssachen.

(Vom 19. Januar 1874.)

Der schweizerische Bundesrath

hat in Sachen des Xaver Merz, alt-Lehrer, von und in Unterägeri, (Zug), betreffend Gerichtsstand in Ehescheidungssachen, nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : I. - Mit Urtheil des bischöflichen Kommissariates für den Kanton Zug vom 29. Dezember 1870 wurde der Rekurrent von seiner Ehefrau Luzia geb. Luthiger von Tisch und Bett geschieden. Die Regulirung der ökonomischen Verhältnisse dagegen wurde der weltlichen Behörde anheimgestellt. Die Frau Merz trat deßwegen vor don bürgerlichen Gerichten klagend auf und erwirkte ein Urtheil des Kantonsgerichtes von Zug, datirt 13. März- 1872, wodurch der Ehemann Merz verpflichtet wurde, seiner Frau den Betrag von Fr. 55. 70 Rp. für zugebrachte Baarschaft zurükzuerstatten, sowie ihr jährlich für den Unterhalt Fr. 200 zu bezahlen.

II. Gegen diese Urtheile führte Hr. Fürsprecher Villiger in Lenzburg, im Namen des Xav. Merz, mit Eingabe vom 19. NoBundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. I.

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vember 1873, bei dem Bundesrathe Beschwerde, indem er in rechtlicher Beziehung geltend machte, daß Merz bei dem Scheidungsprozesse dem in Art. 53 der Bundesverfassung und in § 18 der kantonalen Verfassung garantirten ordentlichen Gerichtsstände entzogen worden sei.

Die zugerische Verfassung kenne keine andern Gerichte, als die gewöhnlichen weltlichen Gerichte, namentlich für a l l e Zivilprozesse das Kantonsgericht, und als Appellationsinstanz das Obergericht. (§§ 88 bis 114 der Verfassung,) Dagegen sei der geistlichen, Gerichtsbarkeit in der Verfassung nicht erwähnt; ebensowenig in den das Bisthum Basel betreffenden Staatsvertragcn.

Allerdings haben die geistlichen Gerichte im Kanton Zug TOB jeher die Gerichtsbarkeit in Ehesachen ausgeübt; auch sei in § 18 des privatrechtlichen Gesezbuches die Beurtheilung der Ehesachen, soweit es sich um den Bestand oder Nichtbestand der Ehe handle, den geistlichen Gerichten zugewiesen. Allein die Verfassung behalte keine bisher üblichen Gerichte vor und ein Gesez könne der Verfassung nicht derogiren.

Endlich lasse sich die geistliche Gerichtsbarkeit in Ehesachen auch nicht aus der Bestimmung Yon § 4 der kantonalen Verfassung ableiten, wonach die christliche Religion nach "dem romisch-katholischen Glaubensbekenntnisse, als die Religion des Kantons Zug, erklärt sei. In diesem § 4 sei bloß das Glaubensbekenntniß garantirt, nicht aber die äußere Organisation der-Kirche.

Man könne sich nicht darauf berufen, daß der Rekürrent durch Einlassung vor dem bischöflichen Commissariate den Gerichtsstand anerkannt habe, denn wo ein Jurisdiktionsrecht überhaupt nicht bestehe, da könne ein solches durch die Anerkennung1 der Parteien nicht geschaffen, werden.

" *' "·' ' Der Rekürrent schloß mit dem Gesuche, es möchte der § 18 des privatrechtlichen Gesezbuches des Kantons Zug von) 23. September 1861, soweit er die Ehesachen den geistlichen Gerichten zuweise, als verfassungswidrig erklärt werden, und demgemäß sei das Urtheil des bischöflichen Commissariates, sowie das Urtheil dea Kantonsgerichtes von Zug aufzuheben.

/ t III. Das Kantonsgericht von Zug antwortete mit Schreiben vomil. Dezember 1873 in folgendem Sinne: > - Im Kanton Zug habe, wie in den meisten katholischen i Kantonen, in Ehesachen von jeher die geistliche Gerichtsbarkeit bestanden.. Die Normirung dieser Materie sei meist- der Kirche überlassen worden, und in Folge dessen seien in dem zugerischen Recht über die Formen und Bedingungen der Eingehung, sowie

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der Auflosung der Ehe, fco zu sagen keinen eigene Bestimmungen enthalten, indem,-eich das Meiste nach (kern kanonischen Recht regulirte. (Blumer : Staate- und Rechsgeschichte der schweizerischen Demokratie», Bd. I, Seite 362, Bd. H, Thl. II, Seite 159}.

Noch im Konkordate vom 6. Juli 1821, betreffend die Behandlung von, Ehescheidungsfallen, habe der Stand Zug -mit den Kantonen Luzern, Freiburg und Solothurn die geistliche Gerichtsbarkeit sich ausdruklich Torbehalten (Blumer: Schweizerisches Staatsrecht, Bd. II, Seite 152). Aehnlich laute die Beitrittserklärung des Kantons Zug zu der Uebereinkunft der Diozesanstande, betreffend die Organisation des Bisthums Basel, vom 28. März 1828. In Uebereinstimmung mit dieser Praxis seien dann in § 18 des zugerischen Privatrechtes die Ehesachen der geistlichen Gerichtsbarkeit vorbehalten und nur die Feststellung der rein privatrechtlichen Fragen den ' bürgerlichen Gerichten überwiesen worden.

Diese Bestimmung des § 18 stehe weder mit der Bundesverfassung, "noch, mit der Kantonsverfassung im Widersprüche, Die Bundesverfassung lasse den Kantonen in der Normirung der zivilrechtlichen Verhältnisse, sowohl in Bezug auf das materielle Recht, als auch in Bezug auf das Verfahren, vollkommen freie Hand. In der Ehegesezgebung insbesondere habe sich der Bund nur die Kompetenz bei gemischten Ehen vorbehalten.

Was id» kantonale Verfassung betreffe, so seze dieselbe die geistliche Gerichtsbarkeit in Ehesachen, als bisher bestehende» Recht, stillschweigend voraus, und es werde diese Gerichtsbarkeit durch keine Bestimmung ausdrüklich aufgehoben. Ueberdies seien in § 37 der kantonalen, Verfassung alle bestehenden Geseze und ÌA Gesezeskraft übergegangenen Verordnungen in voller Rechtskraft erklärt und damit nicht nur das geschriebene, sondern auch das Gewohnheitsrecht, garantirt, also auch das damals (1848) bestandene Eherecht und die damit in Verbindung stehende geistliche Gerichts barkeit. Diese leztere sei" also kein Ausnahmsgericht im Sinne von § 18 der Kantonsverfassung. Diese Ansicht finde auch in der bisherigen Praxis der Bundesbehörden ihre Bestätigung so z.B. in den Entscheiden über die Rekurse des Marcel Despont (Ullmer Bd. II, Nr. 1107), der Barbara Pfister von Schwyz (Bd.-Bl. 1870, Bd. II Seite 940) des Aug. Dubey (Bd.-Bl. 1873, Bd. II S.1004), sowie in dem neuesten
Entscheide über den Rekurs des P.Bietry.

Uebrigens habe Rekurrent wahrend der Verhandlung »eines Prozesses die Kompetenz dea geistlichen Gerichtes nioht fangefochten :, da» kantonsgericht habe daher sein Urtheil über die ökonomischen Fragen auf Aaa Scheidungsurtheil desbischoflichen Kommissariates abstellen müssen.

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IV. Die Rekursbeklagte gab keine Antwort ein,, und die Regierung des Kantons Zug erklärte mit Schreiben vom 30. Dezember 1873, daß sie sich auf die Vernehmlassung des Kantonsgerichtes beziehe und den darin enthaltenen Erörterungen ihre volle Zustimmung gebe. Im Uebrigen erachte sie, daß über die Beschwerde wegen Verlezung der Kantonsverfassung vorerst der Große Rath des Kantons Zug zu entscheiden hatte, bevor an die Bundesbehorden rekurrirt werden konnte; In E r w ä g u n g : 1) Nach dein gegenwärtigen Bundesrechte, wonach die Zivilrechtspflege den Kantonen zusteht, liegt es in der Befugniß der leztern, die Beurtheilung der Scheidung von Ehen zwischen Katholiken der weltlichen oder geistliehen Gerichtsbarkeit zu Übertragen (Beschluß in Sachen der Frau Despont, Bundesblatt 1864, Bd. I, 370; Botschaft und Entscheid der Bundesversammlung in Sachen der Frau Pfister, Bd-Bl. 1870, Bd. U, S. 940 und Bd. III, S. 59).

2) Im Kanton Zug waren die Ehesachen von jeher der geistliehen Gerichtsbarkeit unterstellt, und es sind die gerichtlichen Verhandlungen in Ehescheidungsfällen, soweit sie nicht in das Gebiet des rein bürgerlichen Rechtes einschlagen, durch den § 18 des privatrechtlichen Gesezbuches dieses Kantones ausdruklich den geistlichen Gerichten zugewiesen.

3} Es wird nun allerdings » behauptet, -daß dieser § 18 des privatrechtlichen Gesezbuches mit dem § Ì8 der Verfassung des Kantons Zug im Widersprüche stehe. Allein nach dem in Erwagung l aufgestellten Grundsaze, welcher in der Praxis der Bundesversammlung anerkannt ist, steht es dem Bunde nicht zu, in die Zivilrechtsgesezgebung der Kantone einzugreifen; es war daher der Kanton Zug vollkommen befugt, seine Ehegesezgebung nach eigenem Beheben zu normiren, und namentlich die Ehescheidungsklagen an die geistlichen Gerichte, als die ordentlichen fur diese Materie, zu verw eisen 4) Nach dem Gesagten kann also keine Rede davon feein, daß die Scheidungsklage der Frau Merz von einem, nach Ait. 53 der Bundes erfassung oder nach § 18 der Verfassung von Zug unzulaßigen Ausnahmsgericht beurtheilt worden sei.

5) Da das bischöfliche Commissariat «ich darauf beschrankte, die Eheleute Merz on Tisch und Bett zu trennen, und Alles, was in da: Gebiet, des bürgerlichen Rechtes einschlagt, den bürgerlichen Gerichten überließ, so sieht dessen Scheidungsurtheil, sowie das

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darauf gestuzte Urtheil des Kantonsgerichtes vom 13. März 1872, im Einklang mit der Gesezgebung des Kantons Äug und mit dem Bundesrechte ; '

beschlossen:

1. Es aei dei Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Beschluß der Regierung des Kantons Zug für sich und zuhanden des dortigen Kantonsgerichtes, sowie dem Herrn Fürsprecher Villiger in Lenzburg, als Anwalt und zuhanden des Rekurrenten Xaver Merz-Luthiger, unter Rukschluß der Akten mitzutheilen.

B e r n , den 19. Januar 1874.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk, Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiess.

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Bundesrathsbeschluss betreffend den Rekurs des Xaver Merz, alt-Lehrer, von und in Unterägeri (Zug), betreffend Gerichtsstand in Ehescheidungssachen. (Vom 19. Januar 1874.)

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21.03.1874

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