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Botschaft zur Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung»

vom 20. August 1997

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit die Botschaft und den Beschlussentwurf zu der Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung» mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. August 1997

1997-445

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Koller Der Bundeskanzler: Couchepin

20 Bundesblatt 149. Jahrgang. Bd. IV

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Übersicht Die vom Komitee für eine begrenzte Zuwanderung lancierte Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung» will den Anteil der ausländischen Staatsangehörigen an der gesamten Wohnbevölkerung auf 18 Prozent beschränken. Dabei werden inskünftig - im Gegensatz zur heutigen Zählweise - beispielsweise qualifizierte Wissenschafter, Führungskräße, Künstler, Schüler und Studenten nicht zur ständigen ausländischen Wohnbevölkerung gerechnet. Demgegenüber sollen aber Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Kriegsflüchtlinge mit einem überjährigen Aufenthalt neu mitgezählt werden. Die Volksinitiative äussert sich grundsätzlich nicht darüber, in welchem Zeitraum und mit welchen Massnahmen dieses Ziel erreicht werden soll.

Ist bei Inkrafttreten der neuen Regelung die Grenze von 18 Prozent überschritten, sieht die Initiative eine rasche Reduktion des Bestandes der ausländischen Wohnbevölkerung durch freiwillige Auswanderungen vor. Ist der Geburteniiberschuss der ausländischen Wohnbevölkerung grösser als die Zahl der freiwilligen Ausreisen, dürfen in dieser Situation grundsätzlich keine neuen Aufenthaltsbewilligungen mehr erteilt werden.

Neben diesem Hauptziel - dem Abbau und der Begrenzung der ausländischen Bevölkerung etwa auf den Stand von 1993 - fordert die Initiative für Asylsuchende, Kriegsvertriebene, Schutzsuchende, vorläufig Aufgenommene und Internierte 1J sowie Ausländer ohne festen Wohnsitz verschärfte Regelungen: Die Unterbindung von finanziellen Anreizen für den Verbleib in der Schweiz sowie die Möglichkeit einer Ausschaffungshaft bei weggewiesenen Ausländern, Zudem dürfen sie während einer Inhaftierung finanziell nicht bessergestellt sein, als dies in ihrem Herkunftsland der Fall wäre.

Auch wenn die Initiative mit Bezug auf die Grundsätze der Einheit der Form und der Materie, der Durchführbarkeit und der Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht den gesetzlichen sowie den von der Praxis, Lehre und Rechtsprechung entwickelten Anforderungen trotz erkennbaren Schwierigkeiten entsprechen dürfte, sind ihr Inhalt und ihre Ziele fragwürdig und ihre Umsetzung höchst problematisch.

Schwierigkeiten könnten sich im Zusammenhang mit internationalen Vereinbarungen sowohl im Wirtschaftsbereich als auch im Bereich des humanitären Völkerrechts ergeben.

Das Begrenzungsziel der Initianten könnte angesichts
des heutigen Bestandes der ausländischen Wohnbevölkerung nur durch die Festlegung einer restriktiven Einwanderungsquote erreicht werden. Gemäss dem Initiativtext werden Personen aus dem Asylbereich, deren Einreisen grundsätzlich nicht steuerbar sind, bei der Berechnung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung mit einbezogen. Die zahlenmässig bedeutende Zuwanderung im Rahmen des Familiennachzugs ist ebenfalls nur beschränkt beeinflussbar. Beim heutigen Ausländerbestand von etwa 19 Prozent würde dies zur Folge haben, dass auch für die wichtigen Rekrutierungen über den Arbeitsmarkt nicht mehr genügend Raum bestünde und damit der 11

Das Institut der Internierung wurde mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht am l, Februar 1995 abgeschafft.

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Wirtschaftsstandort Schweiz beeinträchtigt würde. Die Initiative nimmt zwar ausdrucklich «qualifizierte Wissenschafter» und «Führungskräfte» von den Begrenzungsmassnahmen aus. Nicht ausgenommen sind dagegen Spezialisten, andere Fachkräfte sowie Personen in Schlüsselfunktionen, die von unserer Wirtschaft genau so dringend benötigt werden. Die Annahme der Initiative hätte damit einschneidende und unabsehbare Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort Schweiz.

Eine bereits heute festzustellende Auslagerungstendenz würde sicher verstärkt, da einzelne Betriebe mangels Verfügbarkeit der notwendigen Arbeitskräfte in der Schweiz ihre Produktion aus diesen Gründen ins Ausland verlegen mussten. Eine solche Auslagerung wäre notwendigerweise mit einem entsprechenden Abbau von Arbeitsplätzen in der Schweiz verbunden.

Die Initiative würde auch die Beziehungen der Schweiz zu anderen Staaten belasten und beispielsweise ein internationales Abkommen mit der EU über den gegenseitigen Personenverkehr in Frage stellen. Eine Annahme der Initiative könnte zur Folge haben, dass die Schweiz auch in wirtschaftlicher Hinsicht wichtige internationale Abkommen wie beispielsweise das GATS/WTO aufkündigen rnüsste; dadurch besteht die Gefahr einer Isolierung der Schweiz. Die angestrebte Verschärfung der Zulassungsbestimmungen könnte auch Retorsionsmassnahmen gegenüber Schweizerbürgern im Ausland auslösen.

Die neben einer zahlenmässigen Beschränkung der ausländischen Wohnbevölkerung verfolgten weiteren Ziele sind, sofern sie als rechtlich zulässig, notwendig und sinnvoll erachtet werden können, in der Zwischenzeit durch den Gesetzgeber entweder bereits eingeleitet oder schon verwirklicht worden. Dabei ist insbesondere das Bundesgesetz vom 18. März 1994 über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht zu erwähnen. Mit seiner neuen Ausländer- und Flüchtlingspolitikfür die neunziger Jahre (dargelegt im Bericht vom 15. Mai 1991; BEI 1991 /// 291) hat der Bundesrat wesentliche Korrekturen an Teilen seiner bisherigen Ausländerpolitik vorgenommen. Dazu gehört unter anderem die strikte Beschränkung der rekrutierten Einwanderung auf spezialisierte und hoch qualifizierte Arbeitskräfte, soweit sie nicht aus dem EWR-Raum oder aus Nordamerika stammen. Ferner wurde das volkswirtschaftlich und sozialpolitisch mit zunehmend nachteiligen Auswirkungen
behaftete Saisonnierstatut - als erster Schritt zur Überführung in ein modernes wirtschafts- und arbeitnehmerfreundliches Kurzaufenthalterstatut - auf die Angehörigen von EU- und EFTA-Staaten beschränkt.

Die Ziele und Grundsätze der Ausländerpolitik müssen, unabhängig von dieser Initiative, in ein neues Ausländergesetz aufgenommen werden. Sie sind durch flexiblere Regelungen anzustreben, welche eine ausgewogene Wirtschaftsentwicklung und ein qualitativ orientiertes Wachstum des Arbeitsmarktes nicht beeinträchtigen.

Im übrigen sind insbesondere auch Massnahmen gegen den Missbrauch der geltenden gesetzlichen Bestimmungen, eine intensivere internationale Zusammenarbeit und die Förderung der Integration unserer ausländischen Wohnbevölkerung notwendig.

Der Grossteil der in der Schweiz wohnhaften Ausländerinnen und Ausländer ist gut integriert und wird von den Schweizerinnen und Schweizern gut aufgenommen. Die ausländische Wohnbevölkerung steuert nicht unwesentlich zu unserem Wohlstand bei und führt zudem zu einer kulturellen Bereicherung der Schweiz.

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Die Erfahrungen bei den ausländerpolitischen Abstimmungen der letzten Jahre zeigen auch, dass in Regionen mit einem relativ hohen Ausländeranteil bei der schweizerischen Bevölkerung ein grosses Verständnis für die Anliegen des ausländischen Bevölkerungsteils vorhanden ist.

Der Bitndesrat beantragt, die Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung» sei Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag mit dem Antrag auf Ablehnung zu unterbreiten.

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Botschaft 1 II

Formelles Wortlaut

Die Initiative lautet: I Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt: Art. 69quater (neu) ·' Der Bund sorgt dafür, dass der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen an der Wohnbevölkerung der Schweiz 18 Prozent nicht übersteigt.

2 Bei der Berechnung mitgezählt werden insbesondere Niedergelassene, Jahresaufenthalter, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer mit humanitärer Aufenthaltsbewilligung. Falls sie länger als ein Jahr in der Schweiz verbleiben, werden auch Ausländer gemäss Artikel 69quinquies Absatz l und weitere Ausländer mit anderer Aufenthaltsbewilligung mitgezählt. Kurzfristige Aufenthalter mit oder ohne Erwerbstätigkeit werden mitgezählt, sofern ihr Aufenthalt mehr als acht Monate dauert, erneuert wird und wenn der Familiennachzug bewilligt ist.

3 Bei der Berechnung nicht mitgezählt werden unabhängig von der Aufenthaltsdauer in der Schweiz Grenzgänger, Saisonniers ohne Familiennachzug, Angehörige internationaler Organisationen, Angehörige konsularischer und diplomatischer Dienste, qualifizierte Wissenschafter und Führungskräfte, Künstler, Kurgäste, Stagiaires, Studenten und Schüler sowie Touristen. Ebenso nicht mitgezählt werden Ausländer gemäss Artikel 69quinquies Absatz l, sofern ihr Aufenthalt in der Schweiz weniger als zwölf Monate dauert.

Art. 69quinquies (neu) 1 Für Asylbewerber, Kriegsvertriebene, schutzsuchende Ausländer, vorläufig Aufgenommene, Internierte sowie Ausländer ohne festen Wohnsitz in der Schweiz unterbindet der Bund die finanziellen Anreize für den Verbleib in der Schweiz.

2

In der Schweiz inhaftierte Personen gemäss Absatz I dürfen finanziell nicht besser gestellt sein, als dies in ihrem Herkunftsland der Fall wäre.

Art. 70bis (neu)

Sind Ausländer gemäss Artikel 69quinquies Absatz l sowie Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung fremdenpolizeilich oder strafrechtlich weg- respektive auszuweisen und ist der Vollzug möglich, zulässig und zumutbar, so können diese Personen zur Sicherstellung der Ausweisung bis zum Vollzug inhaftiert werden.

U

Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt ergänzt: Art. 21 (neu) 1 Sofern bei Inkrafttreten von Artikel 69quater die festgelegte Grenze von 18 Prozent überschritten ist, wird dies so rasch wie möglich durch die freiwillige Auswanderung von Ausländern kompensiert.

2 Kann ein allfälliger Geburtenüberschuss auf diese Weise nicht kompensiert werden, so ist ein Überschreiten der 18-Prozent-Grenze befristet möglich, sofern keine neuen Aufenthaltsbewilligungen gemäss Artikel 69quater Absatz 2 an Ausländer erteilt werden.

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Zustandekommen

Mit Verfügung vom 15. Februar 1994 entschied die Bundeskanzlei, dass die Unterschriftenliste zur Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung» den gesetzlichen Anforderungen entspricht (BBI 1994 l 659). Am I.März 1994 wurde die Unterschriftensammlung gestartet. Die Initiative wurde am 28. August 1995 fristgerecht bei der Bundeskanzlei eingereicht. Mit Verfügung vom 7. November 1995 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 121 313 gültigen Unterschriften formell zustande gekommen ist (BBI 1995 IV 1174).

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Behandlungsfrist

Die Initiative wurde am 28. August 1995 eingereicht. Nach Artikel 27 Absatz l des Geschäftsverkehrsgesetzes (SR 171.11) hat die Bundesversammlung Volksinitiativen, die auf Partialrevision der Bundesverfassung lauten und die Form eines ausgearbeiteten Entwurfes aufweisen, innerhalb von vier Jahren nach ihrer Einreichung zu behandeln. Die eidgenössischen Räte haben somit bis zum 27. August 1999 Zeit, um über die vorliegende Initiative zu befinden.

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Ziele der Initianten

Die Ziele der Initianten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Anteil- der ausländischen Staatsangehörigen an der Wohnbevölkerung darf 18 Prozent nicht überschreiten. Die Berechnung des Prozentanteils entspricht dabei nicht der heutigen Praxis. Nicht angerechnet werden beispielsweise hochqualifizierte Wissenschafter und Führungskräfte sowie Schüler und Studenten, dafür werden neu etwa Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Kriegsvertriebene mit einem überjährigen Aufenthalt dazugezählt. Die Initiative lässt grundsätzlich offen, mit welchen Mitteln und in welchem Zeitraum dieses Hauptziel erreicht werden soll.

Ist bei Inkrafttreten der neuen Regelung die Höchstgrenze von 18 Prozent überschritten, soll dies so rasch wie möglich durch die freiwillige Auswanderung kompensiert werden. Liegt der Geburtenüberschuss bei der ausländischen Wohnbevölkerung höher als die Zahl der freiwilligen Ausreisen, dürfen grundsätzlich keine neuen Aufenthaltsbewilligungen mehr erteilt werden.

Neben diesem Hauptziel fordert die Initiative für Asylsuchende, Kriegsvertriebene, Schutzsuchende, vorläufig Aufgenommene und Internierte^ sowie Ausländer ohne festen Wohnsitz besondere Regelungen: - Der Bund unterbindet die finanziellen Anreize für den Verbleib in der Schweiz.

- In der Haft dürfen sie finanziell nicht besser gestellt sein, als dies in ihrem Herkunftsland der Fall wäre.

- Sind sie fremdenpolizeilich oder strafrechtlich weg- respektive auszuweisen und ist der Vollzug möglich, zulässig und zumutbar, so können sie zur Sicherstellung der Ausweisung bis zum Vollzug inhaftiert werden. Dies gilt auch für Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligungen.

" Das Institut der Intemierung wurde mit Inkrafttreten des BG über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht am I.Februar 1995 abgeschafft.

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15 151

Gültigkeit der Initiative Einheit der Form

Eine Initiative kann in der Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs eingereicht werden (Art. 121 Abs. 4 BV). Mischformen sind nach Artikel 75 Absatz 3 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (BPR; SR 161.1) unzulässig.

Die Initiative ist ausschliesslich als ausgearbeiteter Entwurf eingereicht worden.

Die Einheit der Form ist damit gewahrt.

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Einheit der Materie

Der Initiativtext beauftragt in Artikel 69iualcr BV den Bund, dafür zu sorgen, dass der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung 18 Prozent der Gesamtbevölkerung nicht übersteigt. Der Initiativtext legt gleichzeitig fest, welche Personen zur ausländischen Wohnbevölkerung zu zählen sind.

Daneben schreibt der Initiativtext vor, dass für gewisse Gruppen von Ausländern (im wesentlichen für Personen aus dem Asylbereich und vorläufig Aufgenommene) keine finanziellen Anreize zum Verbleib in der Schweiz geschaffen werden (Art. 69'iuin'iuics BV Abs. 1), im strafrechtlichen Freiheitsentzug keine finanzielle Besserstellung als im Herkunftsland erfolgt (Abs. 2) und eine Ausschaffungshaft möglich sein soll (Art. 70his BV).

Angesichts der unterschiedlichen Sachbereiche,, die von der Initiative einbezogen werden, ist zu prüfen, ob der Grundsatz der Einheit der Materie nicht verletzt wird.

Die Hauptstossrichtung der Initiative zielt mit der Festlegung einer prozentualen Höchstzahl auf die Begrenzung der Zahl der Ausländer in der Schweiz - im Ergebnis etwa auf den Stand von 1993 - ab. Die von den Initianten geforderten weiteren Massnahmen, die die Attraktivität der Schweiz als Einwanderungs- und ZufluchtsJand für gewisse Gruppen von Ausländern vermindern sollen, stellen zusätzliche Aspekte und Mittel der Initiative dar, um dieses Hauptziel zu erreichen.

Die Initiative verbindet also ein Hauptziel mit untergeordneten Nebenzielen, die zueinander in einer engen Beziehung stehen. Der nach Artikel 75 Absatz 2 BPR geforderte sachliche Zusammenhang besteht somit. Auch-die Mehrheit der neueren Lehre und die Rechtsprechung erachten eine solche Verbindung als zulässig (s.

auch BB1 1994 III 1209 f.). Damit wird die freie Willensbildung des Stimmbürgers durch den Initiativtext nicht beeinträchtigt, und die vorliegende Initiative entspricht deshalb dem Grundsatz der Einheit der Materie.

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Durchführbarkeit

Eine materielle Umsetzung der Initiative wäre, wie weiter unten näher ausgeführt wird, mit erheblichen politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Schwierigkeiten verbunden. Unter dem Aspekt der Umsetzbarkeh ist jedoch nicht mit absolut unlösbaren Problemen zu rechnen. Die Initiative erfüllt damit das Erfordernis der faktischen Durchführbarkeit.

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154 154.1

Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht Das Völkerrecht als materielle Schranke der Verfassungsrevision

Der Bundesrat hat in der Botschaft zu den Volksinitiativen «für eine vernünftige Asylpolitik» und «gegen die illegale Einwanderung» festgehalten, dass Volksinitiativen, die gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) verstossen, ungültig sind, da zwingendes Völkerrecht eine materielle Schranke für eine Verfassungsrevision bildet (vgl. BB11994 III 1493-1496 mit Hinweisen). Die Bundesversammlung ist dieser Auffassung gefolgt. Ein solcher Verstoss gegen zwingendes Völkerrecht liegt jedoch nur vor, wenn die Volksinitiative beziehungsweise das entsprechende Landesrecht nicht völkerrechtskonform ausgelegt werden kann und somit ein offener Normenkonflikt zwischen zwingendem Völkerrecht und Landesrecht vorliegt (vgl.

dazu Verwaltungspraxis der Bundesbehörden, VPB, 1989, S, 422; A. Epiney, Das Primat des Völkerrechts als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips, in ZB1 95 1994 Nr. 12, S. 537 ff. mit Hinweisen).

Das «non refoulement»-Gebot, das sowohl in Artikel 33 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Flüchtlingskonvention; FK; 5^0.142.30) wie auch in Artikels der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101) enthalten ist, stellt zwingendes Völkerrecht dar. Demnach darf kein Staat einen Flüchtling in ein anderes Land ausweisen, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre. Verboten ist ferner, Personen in Staaten zurückzuschieben, in denen sie der Folter, unmenschlicher Behandlung oder anderer unmenschlicher oder besonders schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären. Es ist zu prüfen, ob die vorliegende Initiative diesem Gebot entspricht.

154.2

Vereinbarkeit der vorliegenden Volksinitiative mit dem Völkerrecht 154.21 Auslegungsgrundsätze bei Volksinitiativen Die Initiative ist in mehreren Punkten unklar formuliert. Der Auslegung des Initiativtextes kommt daher - namentlich bei der Prüfung der Vereinbarkeit mit dem zwingenden Völkerrecht - eine grosse Bedeutung zu. Dabei können die im Zusammenhang mit kantonalen Initiativen entwickelten bundesgerichtlichen Auslegungsgrundsätze auf eidgenössische Volksinitiativen übertragen werden, soweit sich die Frage der Ungültigerklärung wegen Verletzung von zwingendem Völkerrecht stellt. Das Bundesgericht hat dazu namentlich folgende Grundsätze festgehalten: Initiativen sind wegen der Unverletzlichkeit des Stimmrechts stets in der für die Initianten günstigsten Weise auszulegen. Bei der Auslegung ist aber vom Initiativtext auszugehen und nicht vom subjektiven Willen der Initianten. Wenn auch Unzulänglichkeiten des Initiativtextes im Rahmen der Ausführungsgesetzgebung korrigiert werden können, so gilt dies dann nicht mehr, wenn ein Initiativbegehren nur dadurch mit der Verfassung (im Hinblick auf diese Initiative mit dem zwingenden Völkerrecht) in Einklang gebracht werden kann, dass dem Begehren Vorbehalte oder zusätzliche Bedingungen beigefügt werden, welche seine Natur tiefgreifend verändern. Dadurch würde der im Initiativbegehren zum Ausdruck kommende Wille der Unterzeichner in unzulässiger Weise verfälscht. Eine nachträgliche Umdeutung einer Initiative, die dem ursprünglichen Textverständnis und den durch 528

sie geweckten Erwartungen zuwiderläuft, ist ebenfalls abzulehnen. Für die Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Initiative ist deren Text nach den anerkannten Interpretationsgrundsätzen auszulegen. Kann der Initiative in diesem Rahmen ein Sinn beigemessen werden, der sie nicht klarerweise als unzulässig erscheinen lässt, ist sie als gültig zu erklären und der Volksabstimmung zu unterstellen (BGE 727 I 334 E. 2c; BGE 779 la 154 E. 2b; Hl la 292 E. 2; 303 E. 4).

Im übrigen gilt für das Verhältnis zum internationalen Recht der allgemeine Grundsatz, dass Konflikte zwischen Landesrecht und Völkerrecht wenn immer möglich durch eine völkerrechtskonforme Auslegung der innerstaatlichen Normen zu lösen sind. Damit eine möglichst weitgehende Übereinstimmung (Konkordanz) zwischen den eigentlichen Grundrechtsbestimmungen der Bundesverfassung und dem übrigen Verfassungsrecht erreicht werden kann, ist zudem auch bei der vorliegenden Initiative die Methode der grundrechtskonformen Auslegung anzuwenden (s. BB1 1984 II 796; Ivo Hangartner, Grundriss des schweizerischen Staatsrechts, Zürich 1980, S. 36; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland 20. Aufl., Heidelberg 1995, S. 142 f.).

154.22 Auslegung der Bestimmungen über die Begrenzung der ausländischen Wohnbevölkerung Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Vereinbarkeit der Initiative mit dem zwingenden Völkerrecht ergeben sich spezifische Auslegungsprobleme bei den Bestimmungen über die Begrenzung der ausländischen Wohnbevölkerung. Die Artikel 69'iuin'iuics und 70h[s BV des Initiativtextes werfen isolierte Auslegungsprobleme auf, die in den Ziffern 232 ff. dieser Botschaft behandelt werden.

154.221 Auslegung von Artikel 69
154.222 Auslegung von Artikel 21 der Übergangsbestimmungen BV Aufgrund des heutigen Bestandes der ausländischen Wohnbevölkerung ist wohl davon auszugehen, dass im Zeitpunkt eines allfälligen Inkrafttretens der Initiative die vorgesehene Grenze von 18 Prozent überschritten sein wird. In Artikel 21 Absatz l der Übergangsbestimmungen BV legt die Initiative fest, dass in dieser Situation «so rasch wie möglich» eine Kompensation durch freiwillige Auswande21 Bundesblatt 149. Jahrgang. Bd. IV

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rungen erfolgen soll. Es stellt sich die Frage, wie der Ausdruck «so rasch als möglich» auszulegen ist.

Würde man diesen Initiativtext so auslegen, dass bereits während der Abbaufrist überhaupt keine Aufenthaltsbewilligung im Sinne der Initiative mehr erteilt werden dürfen, müsste sie wegen Verletzung von zwingendem Völkerrecht für unzulässig erklärt werden: Die Schweiz müsste nämlich während dieser Zeit Flüchtlinge im Sinne der Flüchtlingskonvention wegweisen und bei Unmöglichkeit der Weiterreise in einen sicheren Drittstaat unter Verletzung des non-refoulement-Verboles in den Heimatstaat ausschaffen. Gleiches müsste für Asylsuchende gelten, deren Gesuch nach zwölf Monaten noch nicht (rechtskräftig) entschieden ist.

Nun gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Initianten die unzulässige Rückschiebung von Flüchtlingen im Sinne der Flüchtlingskonvention erreichen oder in Kauf nehmen wollen, und die massgeblichen Auslegungsgrundsütze verlangen, nach einer Auslegung zu suchen, die eine Ungültigerklärung vermeidet (Ziff. 154.21). Sie lüsst sich erreichen, wenn die Formulierung «so rasch wie möglich» in Absatz l in völkerrechtskonformer Weise als «so rasch als völkerrechtlich möglich» verstanden wird. Gemäss dieser Auslegung dürfte die Schweiz während der Übergangszeit grundsätzlich keine neuen Anwesenheitsbewilligungen mit Ausnahme jener erteilen, auf welche aus Flüchtlingskonvention und EMRK bzw.

gewohnheitsrechtlichem Rückschiebungsverbot ein Anspruch besteht. Eine weitere Ausnahme würde während der Kündigungsfrist von nicht zwingenden völkerrechtlichen Verträgen bestehen, aus denen ein Aufenthaltsrecht abgeleitet werden kann.

Weiter erlaubt die sehr unbestimmte Formulierung «so rasch als möglich» auch eine Auslegung, die bei der geforderten Reduktion der ausländischen Wohnbevölkerung sowohl das nicht zwingende Völkerrecht als auch die mit einem umfassenden Bewilligungsstopp verbundenen einschneidenden wirtschaftlichen, politischen und humanitären Konsequenzen angemessen berücksichtigt. Diese Auslegung setzt allerdings voraus, dass die freiwillige Auswanderung hoch ist, damit die geforderte Reduktion innerhalb eines absehbaren Zeitraums erreicht werden kann. Andernfalls müsste eine wesentlich restriktivere Beschränkung der Einreisen erfolgen, damit das von den Initianten geforderte
Beschränkungsziel überhaupt noch erreicht werden könnte.

Problematischer ist dagegen der Wortlaut von Artikel 21 Absatz 2 der Übergangsbestimmungen BV. Demnach hätte nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ein absoluter Bewilligungsstopp zu erfolgen, sobald die 18-Prozent-Grenze überschritten und der Geburtenüberschuss der hier lebenden ausländischen Bevölkerung grösser wäre als die Auswanderung. In diesem Fall müssten auch Personen weggewiesen werden, für welche das im zwingenden Völkerrecht enthaltene non-refoulement-Prinzip gilt. Dass diese Situation in absehbarer Zukunft tatsächlich eintreten könnte, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Bisher war der Geburtenüberschuss immer deutlich tiefer als die Auswanderungsquote (im Jahr 1996 waren bezogen auf die ausländische Wohnbevölkerung 67700 Ausreisen und ein Geburtenüberschuss von 14100 zu verzeichnen).

Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass diese Ausgangslage, wenn überhaupt, erst eintreten wird, wenn die in Artikel 21 Absatz l Übergangsbestimmungen B V geforderte Reduktion auf 18 Prozent bereits erreicht wurde. Da es sich in absoluten Zahlen in der Regel nicht um sehr viele Fälle handeln dürfte, würde sich voraussichtlich selbst dann eine völkerrechtskonforme Lösung realisieren lassen, indem der Begriff 18 Prozent flexibel als 18,0 bis maximal 18,5 Prozent ausgelegt wird (s. auch Ziff. 154.221). Diese Auslegung dürfte genügend Flexibilität verschaffen, um der völkerrechtlichen Minimalgarantie entsprechen zu können. Eine Ungül530

tigerklärung der Initiative oder eine Teilungültigerklärung nur in diesem Punkt ist daher weder rechtlich geboten noch verhältnismässig.

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Schlussfolgerung

Es ist festzuhalten, dass die vorliegende Volksinitiative bei ihrer Umsetzung in völkerrechtlicher Hinsicht problematisch wäre, die tatsächlichen Gegebenheiten und heute voraussehbaren Umstände es jedoch als unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass ihre Umsetzung zur Verletzung von zwingendem Völkerrecht fuhrt. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Annahme der Initiative die Kündigung von bestehenden Staatsverträgen mit nicht zwingendem Inhalt oder den Verzicht auf geplante, für die Schweiz als notwendig erachtete Abkommen erfordern würde.

Der Initiativtext ermöglicht eine Auslegung, die sowohl unter formalen Aspekten (Einheit der Form und Materie, Durchführbarkeit) wie auch hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht als zulässig erachtet werden kann, da sie den gesetzlichen sowie den von der Praxis, Lehre und Rechtsprechung entwickelten Anforderungen trotz erkennbaren Schwierigkeiten gesamthaft entspricht.

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Materielle Beurteilung der Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung» im Lichte der aktuellen Ausländerpolitik Entwicklung der ausländischen Wohnbevölkerung Die Entwicklung bis 1970

Die im letzten Jahrhundert beginnende Industrialisierung führte zusammen mit der damals gehenden Freizügigkeit zu einer steten Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung. Damals konnten sich Angehörige von Staaten, mit denen die Schweiz einen Niederlassungsvertrag abgeschlossen hatte, ohne Einschränkung in der Schweiz niederlassen und eine Erwerbstätigkeit ausüben. Diese Praxis wurde auch bei den übrigen Ausländern angewendet. Der Ausländeranteil, der im Jahr 1850 noch 3 Prozent betragen hatte, stieg bis zum Jahr 1910 auf 14,7 Prozent an. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges lag er bei rund 15,4 Prozent. Die Zulassung von Ausländern konnte wegen der damals geltenden Freizügigkeit nicht eingeschränkt werden. Dagegen wurden Massnahmen zur Erleichterung der Eingliederung und Einbürgerung diskutiert. Seit dem Ersten Weltkrieg werden diese nach wie vor gültigen Niederlassungsverträge sehr restriktiv ausgelegt. Sie verschaffen keinen Anspruch mehr auf die Erteilung einer Anwesenheitsbewilligung.

Mit dem in der Volksabstimmung vom 25. Oktober 1925 angenommenen Artikel 69tcr BV erhielt der Bund die Zuständigkeit, gesetzliche Bestimmungen über die Ein- und Ausreise sowie über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern zu erlassen. Gestützt auf diesen Verfassungsartikel trat am 1. Januar 1934 das Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer in Kraft (ANAG; SR 742.20). Zu Beginn des Ersten und Zweiten Weltkrieges verliessen zahlreiche Ausländer die Schweiz. Auch die Wirtschaftskrise in den dreissiger Jahren veranlasste eine erhebliche Zahl von Ausländern zur Ausreise.

Aus diesen Gründen lag der Ausländeranteil im Jahr 1941 noch bei 5,2 Prozent.

Der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Wirtschaftsaufschwung führte zu einem zunehmenden Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Diese Entwicklung wurde vorerst als eine vorübergehende Erscheinung betrachtet. Allgemein wurde angenommen, dass die ausländischen Arbeitskräfte sich nur vorübergehend

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in der Schweiz aufhalten würden. Bis zum Jahr 1963 wurde daher eine liberale Zulassungspolitik verfolgt. Aufgrund des schnellen Anstiegs der ausländischen Erwerbstätigen zu Beginn der sechziger Jahre begann im Frühjahr 1963 die Beschränkung der Zulassung, indem der Ausländerbestand pro Betrieb plafoniert wurde. Die in der Zeit zwischen 1963 und 1970 vom Bundesrat angeordneten Massnahmen führten zu einem Rückgang der Zuwachsraten.

Die Entwicklung der schweizerischen und ausländischen Wohnbevölkerung von 1850-1970 geht aus der nachfolgenden Grafik hervor: In Millionen

1850

212

'60

70

·80

·90

1900

Die Entwicklung seit 1970

Im Jahr 1970 wurde die betriebsweise Plafonierung durch eine generelle Begrenzung aller neueinreisenden erwerbstätigen Ausländer ersetzt. Während den siebziger Jahren sank die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung infolge der schweren Rezession erheblich. Zu Beginn der achtziger Jahre stabilisierte sich der Bestand der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung weitgehend.

Nachdem das neue Ausländergesetz vom 19. Juni 1981 in der Volksabstimmung vom o.Juni 1982 verworfen worden war (BB1 J982 II 963J, erliess der Bundesrat am 6. Oktober 1986 gestützt auf die Artikel 18 Absatz 4 und 25 Absatz l ANAG die Verordnung über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (BVO; SR 823,21), Verschiedene unbestrittene Punkte wurden dabei auf Verordnungsstufe übernommen (so insbesondere das Ziel eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen dem Bestand der schweizerischen und dem der ausländischen Wohnbevölkerung). Hatte sich bisher die Begrenzung der Ausländer nur auf erwerbstätige Ausländer beschränkt, wurde sie mit Erlass der BVO auch auf nichterwerbstätige Ausländer ausgedehnt.

Ende der achtziger Jahre wurden im Rahmen der wirtschaftlichen Hochkonjunktur viele neue Arbeitsplätze in der Schweiz geschaffen, die grösstenteils nur mit neueinreisenden ausländischen Arbeitskräften besetzt werden konnten. Mit Beginn der neunziger Jahre ist eine deutliche Trendwende festzustellen. Während die jährliche 532

Zuwachsrate Ende 1991 noch rund 63 000 Personen oder 5,7Prozent betrug, sank sie im April 1997 auf 0,3 Prozent (etwa 4000 Personen). Damit wurde eine weitgehende Stabilisierung der auslandischen Wohnbevölkerung erreicht. Diese Entwicklung ist einerseits auf die Änderung der Ausländerpolitik des Bundesrates, namentlich durch die schrittweise Abschaffung der Rekrutierungsmöglichkeiten gegenüber Personen ohne besondere Qualifikationen oder Schlüsselfunktionen ausserhalb des EU- und EFTA-Raums, andererseits aber auch auf die ungünstige konjunkturelle Entwicklung der letzten Jahre zurückzuführen (s. auch Bericht zur Auslander- und Flüchtlingspolitik, BB1 7997 III 291). Generell ist festzustellen, dass neben einem allgemein anwachsenden Migrationsdruck vor allem die wirtschaftliche Situation einen starken Einfluss auf den Ausländerbestand ausübt.

Standige auslandische Wohnbevolkerung 1970-1996 (Jahresaufenthalter und Niedergelassene)

Standige auslandische Wohnbevölkerung 1986 (Jahresaufenthalter und Niedergelassene) 5.8

Zuwachs in Prozent

5.7 4.3

3.9 3.4

3.2

2.8

2.4

2.3

1.7 0.5

533

22 221

Überblick über die seit dem Zweiten Weltkrieg eingereichten Überfremdungsinitiativen Einleitung

Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden die unter Ziffer 222-227 aufgeführten Überfremdungsinitiativen eingereicht, die sich gegen einen zu hohen Bestand der ausländischen Wohnbevölkerung und gegen die Einwanderung von Ausländerinnen und Ausländern in die Schweiz richteten (s. auch BB11988 l 597 ff.).

Zudem scheiterten zwischen 1987 und 1997 die folgenden Überfremdungsinitiativen bereits im Unterschriftenstadium: Die Volksinitiative «gegen die Überfremdung» der Nationalen Aktion (I987J; die Volksinitiative «gegen die Masseneinwanderung von Ausländern und Asylanten» der Nationalen Aktion (1991) sowie die Volksinitiative «Masshalten bei der Einwanderung!» der Schweizer Demokraten (1997).

222

Erste Überfremdungsinitiative

Die frühere Demokratische Partei des Kantons Zürich reichte am 30. Juni 1965 erstmals ein Volksbegehren gegen die Überfremdung ein. Die Initianten verlangten, dass der Bestand an ausländischen Niedergelassenen und Aufenthaltern insgesamt einen Zehntel der Wohnbevölkerung nicht übersteige. Zur Erreichung dieses Ziels sollte der Bestand an ausländischen Aufenthaltern unter Wahrung des Gebotes der Menschlichkeit sowie unter angemessener Berücksichtigung der Bedürfnisse der Wirtschaft jährlich um mindestens 5 Prozent vermindert werden, wobei der Bundesrat jährlich die auf die Kantone entfallende Verminderung der ausländischen Aufenthalter hätte bestimmen müssen.

Dieses Volksbegehren wurde vom Initiativkomitee am 16. März 1968 zurückgezogen.

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Zweite Überfremdungsinitiative

Am 20. Mai 1969 folgte aus Kreisen der Nationalen Aktion ein weiteres Volksbegehren gegen die Überfremdung von Volk und Heimat. Nach dieser Initiative hätte der Ausländeranteil in jedem Kanton, abgesehen von einer Sonderregelung für den Kanton Genf, innert vier Jahren unter Ausklammerung einzelner Ausländergruppen auf 10 Prozent des Bestandes der schweizerischen Staatsangehörigen herabgesetzt werden müssen.

In der Abstimmung vom 7. Juni 1970 wurde dieses Volksbegehren von 54 Prozent gegen 46 Prozent der Stimmenden sowie von 13 ganzen und vier halben Ständen gegen sechs ganze und zwei halbe Stände verworfen.

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Dritte Überfremdungsinitiative

Die Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat reichte am S.November 1972 erneut ein Volksbegehren ein, und zwar «gegen die Überfremdung und Übervölkerung der Schweiz». Mit dieser Initiative wurde verlangt, dass die Gesamtzahl der Ausländer in der Schweiz bis Ende 1977 unter Ausklammerung des Spitalpersonals und der Angehörigen diplomatischer und konsularischer

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Vertretungen auf 500 000 vermindert und die Zahl der jährlichen Einbürgerungen auf 4000 beschränkt werde. Zudem sollte der Ausländeranteil in jedem einzelnen Kanton, abgesehen von einer Sonderregelung für den Kanton Genf, auf höchstens 12 Prozent des Bestands der schweizerischen Staatsangehörigen begrenzt werden.

Schliesslich hätte nach diesem Volksbegehren der Saisonnierbestand 150000 und die Zahl der Grenzgänger 70 000 nicht übersteigen dürfen.

Die dritte Überfremdungsinitiative ist am 20. Oktober 1974 von 66 Prozent gegen 34 Prozent der Stimmenden und von allen Ständen abgelehnt worden.

225

Vierte Überfremdungsinitiative

Das am 12. März 1974 von der Schweizerischen Republikanischen Bewegung eingereichte Volksbegehren «zum Schutze der Schweiz» enthielt die folgenden Forderungen: Herabsetzung des Bestandes der ausländischen Wohnbevölkerung innert zehn Jahren auf 12,5 Prozent der schweizerischen Wohnbevölkerung, und zwar unter Ausklammerang einzelner Ausländergruppen, Beschränkung der Einbürgerung, Berücksichtigung der «volkswichtigen Dienstleistungsbetriebe« und Vorrang dès Schutzes der schweizerischen Arbeitnehmer auch gegenüber Ausländern mit Niederlassungsbewilligung.

Gegen diese Initiative sprachen sich am 13. März 1977 71 Prozent gegen 29 Prozent der Stimmenden und alle Stände aus.

226

Fünfte Überfremdungsinitiative

Nach der am 15. März 1974 von der Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat eingereichten Volksinitiative «zur Beschränkung der Einbürgerungen» hätte die Zahl der Einbürgerungen jährlich auf höchstens 4000 Personen beschränkt werden müssen, solange die Gesamtbevölkerung 5 500 000 Personen überschritten und die Lebensmittelproduktion auf landeseigener Grundlage zur gewohnten Ernährung der Wohnbevölkerung nicht ausgereicht hätte.

Dieses Volksbegehren wurde in der Abstimmung vom 13. März 1977 von 66 Prozent gegen 34 Prozent der Stimmenden und von allen Ständen verworfen.

227

Sechste Überfremdungsinitiative

Die Volksinitiative «für die Begrenzung der Einwanderung» wurde am 10: April 1985 von der Nationalen Aktion eingereicht. Nach dem Wortlaut der Initiative hätte die Anzahl der jährlich zum Daueraufenthalt einreisenden Ausländer nicht höher sein dürfen als die Anzahl der im Vorjahr ausgewanderten Ausländer mit Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligungen. Zudem hätte, solange die Wohnbevölkerung der Schweiz 6,2 Millionen überschreitet, die jährliche Anzahl der Einwanderer höchstens zwei Drittel der Auswanderer des Vorjahres betragen dürfen.

Schliesslich hätten nach diesem Volksbegehren der Saisonnierbestand 100000 und die Zahl der Grenzgänger 90 000 nicht übersteigen dürfen.

Die Initiative wurde an der Volksabstimmung vom 4. Dezember 1988 mit 67 Prozent der Stimmenden und von allen Ständen abgelehnt.

535

23 231 231.1

Stellungnahme zur Initiative «für eine Regelung der Zuwanderung» Begrenzung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung Ausgangstage

Der Bund hat nach Artikel 69^[cr BV dafür zu sorgen, dass der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen an der Wohnbevölkerung 18 Prozent nicht übersteigt. Die Berechnung des Prozentanteils entspricht dabei nicht der heutigen Praxis.

Ist bei Inkrafttreten der neuen Regelung die Höchstgrenze von 18 Prozent überschritten, soll dies gemäss Artikel 21 Absatz l der Übergangsbestimmungen BV so rasch wie möglich durch die freiwillige Auswanderung kompensiert werden.

Liegt der Geburtenüberschuss bei der ausländischen Wohnbevölkerung höher als die Zahl der freiwilligen Ausreisen, darf die 18-Prozent-Grenze befristet überschritten werden, sofern keine neuen Aufenthaltsbewilligungen nach Artikel 69tiualcr erteilt werden (Art. 21 Abs. 2 UeB BV).

Die Probleme im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Bestimmungen sind in den Ziffern 154.221 und 154.222 ausführlich dargestellt.

231.2

Neue Definition der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung

Die Initiative führt bei der Berechnung der massgeblichen ausländischen Wohnbevölkerung heute nicht erfasste Ausländerkategorien ein (Art. 69iU!ltcr Abs. 2 und 3 BV). So werden im Unterschied zur heutigen Zählweise beispielsweise hochqualifizierte Wissenschafter und Führungskräfte sowie Schüler und Studenten nicht mehr angerechnet, dafür aber neu etwa Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Kriegsvertriebene mit einem überjährigen Aufenthalt dazugezà'hlt. Bisher zählen nach Artikel 5 BVO grundsätzlich nur Jahresaufenthalter und Niedergelassene zur ständigen ausländischen Wohnbevölkerung.

Unabhängig von der Aufenthaltsdauer sollen gemäss der Initiative einige Ausländerkategorien im Gegensatz zur heutigen Zählweise nicht zur ständigen ausländischen Wohnbevölkerung gerechnet werden (Art. 69^U'MT Abs. 3 BV). Es handelt sich dabei namentlich um qualifizierte Wissenschaftler und Führungskräfte, Künstler, Kurgäste, Stagiaires, Studenten, Schüler sowie Touristen. Dabei dürfte die Definition der nicht zur ständigen ausländischen Wohnbevölkerung zu zählenden «qualifizierten Wissenschafter» «Führungskräfte» und «Künstler» angesichts ihrer Bedeutung zu Schwierigkeiten führen. In diesem Zusammenhang lässt sich dem Text der Initiative nicht entnehmen, ob die Familienangehörigen dieser Personen bei der Berechnung der ausländischen Wohnbevölkerung zu berücksichtigen sind.

Das geltende Ausländerrecht geht davon aus, dass bei Personen mit Aufenthaltsbewilligungen grundsätzlich kein Anspruch auf Familiennachzug besteht. Der Familiennachzug stellt den bedeutendsten Zuwanderungsfaktor dar und beeinflusst massgeblich den Ausländerbestand. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass diese Familienangehörigen an die ausländische Wohnbevölkerung anzurechnen sind. Diese Ausgangslage könnte möglicherweise zu Problemen bei der Rekrutierung dieser namentlich für die Wissenschaft und Wirtschaft wichtigen Personen führen.

536

Zudem fehlen heute im Zentralen Ausländerregister (ZAR) die Grundlagen fur eine genaue zahlenmässige Erfassung der aufgeführten Berufskategorien. Sie müssten mil einem erheblichen finanziellen und technischen Aufwand geschaffen werden.

Nach einer groben Schatzung durften diese von der vorgeschlagenen Zahlung ausgenommenen Ausländergruppen heute rund 60 000 Personen umfassen. Die Anzahl der neu anzurechnenden Personen namentlich aus dem Asylbereich bewegt sich ungefähr in der gleichen Grössenordnung.

231.3

Notwendigkeit einer restriktiven Begrenzung der Einwanderung

Ausgehend vom heutigen Ausländerbestand i n d e r Schweiz v o n 1 9 Prozent 18 Prozent erreicht werden. Daranwürdee auch d i e i m Initiativtext enthaltene von rund 19 Prozent ergeben, da die Zahl dergemässs der Initiative nicht mehr anzurechnenden Personen ungefa'hr derjenigen entsprechendürfte,, die neuberücksich-tigt werdenmüssen.. Die freiwillige Auswanderung, diedefinitionsgemässs nicht erzwungen werden kann, i s t kaum beeinflussbar. Eine nachhaltige Reduktion wanderungüberr die Festlegung einer Einwanderungsquotemöglich,, die deutlich tiefer ist als die zu erwartende Auswanderung.

Grundsatzlich könnte der Ausländerbestand auch durch weitere Erleichterungen bei den Einbürgerungen gesenkt werden. Wie die in jungster Zeit gescheiterten Vorstosse auf unterschiedlichen Ebenen zeigen, bestehen gegen eine Lockerung des Einbürgerungsrechts im Parlament, beim Volk und in den Standen politische Widerstande. Ein solches Vorgehen durfte im übrigen nicht den Absichten der Initianten entsprechen, zumal sie ausdrucklich nur eine Reduktion des Ausländerbestandes durch die freiwillige Auswanderung erwähnen (Art. 21 Abs. 1 UeB BV). Ein weiterer Faktor fur die Entwicklung der auslandischen Wohnbevolkerung ist der Geburtenüberschuss, der jedoch mit staatlichen Massnahmen nicht beeinflusst werden kann.

Die Notwendigkeit zur Einfuhrung einer Einwanderungsquote ergibt sich somit aus der Auslegung des in Artikel 69quater BV enthaltenen Stabilisierungsauftrags und der unbestimmten Formulierung in Artikel 21 Absatz 1 der Übergangsbestimmungen BV, wonach ein Abbau «so rasch als möglich» durch freiwillige Ausreisen zu erfolgen hat. Nur auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass das Hauptziel der Initianten tatsachlich erreicht werden kann.

Die Einwanderungsquote miisste so festgelegt werden, dass innerhalb einer absehbaren Frist die geforderte Reduktion der auslandischen Wohnbevolkerung voraussichtlich erreicht werden kann. Bei der Festlegung waren dabei neben der Einhaltung des zwingenden Vdlkerrechts solange als möglich auch die übrigen, nicht zwingenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz einzuhalten sowie den einschneidenden wirtschaftlichen, politischen und humanitaren Konsequenzen einer solchen Quote angemessen Rechnung zu tragen (s. auch Erläuterungen in Ziff. 154.222).

537

231.4

Negative Auswirkungen einer Einwanderungsquote

In den letzten Jahren lag die Zahl der Einreisen jeweils deutlich über der Zahl der Ausreisen. Seit 1991 sinkt dieser Wanderungssaldo allerdings kontinuierlich. Diese Entwicklung ist sowohl auf die konsequente Ausländerpolitik des Bundesrates als auch auf die nach wie vor stagnierende Wirtschaft zurückzuführen. Ausgehend von der heutigen Situation müsste gleichwohl eine deutliche Reduktion der Einwanderungsquote erfolgen, damit mittelfristig ein Ausländeranteil von 18 Prozent erreicht werden könnte.

Ist die Einwanderungsquote unter Berücksichtigung der Auswanderungsquote des Vorjahres erst einmal bekannt, würde sich in der Folge die administrativ und technisch schwierige Frage nach den Kriterien für eine Verteilung der zur Verfügung stehenden Kontingente zwischen den Kantonen stellen. In Betracht käme beispielsweise eine Zuteilung gemäss den Ausreisen aus dem Kanton, den wirtschaftlichen Bedürfnissen oder den sehr unterschiedlichen Ausländeranteilen in den einzelnen Kantonen. Solche zusätzliche Erschwernisse stehen der notwendigen höheren Flexibilität in einer globalisierten Weltwirtschaft diametral entgegen.

Bei einem Globalkontingent bestünde grundsätzlich die Gefahr, dass für die wichtigen und vor allem dringlichen Bedürfnisse der Wirtschaft kein genügender Handlungsspielraum mehr gegeben wäre, weil hier in der Regel auch keine Rechtsansprüche oder zwingende humanitäre Gründe geltend gemacht werden können. Ein solcher restriktiver Zulassungsmechanismus führt dazu, dass die nach wie vor notwendigen Rekrutierungsmöglichkeiten der Schweizer Wirtschaft erheblich eingeschränkt, wenn nicht gar verunmöglicht würden. Die Wirtschaft in der Schweiz ist aber im Rahmen des zunehmenden Globalisierungsprozesses in besonderer Weise auf einen flexiblen Arbeitsmarkt und auf die schnelle Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften angewiesen. Diese Verfügbarkeit der notwendigen Arbeitskräfte erweist sich zusehends, insbesondere im hochqualifizierten Bereich, als ein entscheidender Faktor im Standortwettbewerb der einzelnen Länder. Der Schweizer Arbeitsmarkt ist indessen zu klein, um etwa im Bereich der Spezialisten die Bedürfnisse der schweizerischen Betriebe vollumfänglich abdecken zu können. Angesichts der wachsenden Internationalisierung besteht auch eine zunehmende Notwendigkeit für einen inner- und
zwischenbetrieblichen Transfer von Fach- und Führungskräften.

Die Initiative nimmt zwar ausdrücklich «qualifizierte Wissenschaften> und «Führungskräfte» von den Begrenzungsmassnahmen aus. Nicht ausgenommen sind dagegen Spezialisten, andere Fachkräfte sowie Personen in Schlüsselfunktionen, die von unserer Wirtschaft genau so dringend benötigt werden. Die Annahme der Initiative hätte damit einschneidende und unabsehbare Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Eine bereits heute festzustellende Auslagerungstendenz würde sicher verstärkt, da einzelne Betriebe mangels Verfügbarkeit der notwendigen Arbeitskräfte in der Schweiz ihre Produktion aus diesen Gründen ins Ausland verlegen müssten. Durch eine Annahme der Initiative gingen somit weitere Arbeits'plätze verloren, was sich wiederum ungünstig auf das Volkseinkommen niederschlagen könnte.

Diese Problematik wird noch verschärft durch die Tatsache, dass die Initianten die Personen des Asylbereichs - sofern sie sich bereits mehr als ein Jahr in der Schweiz aufhalten - zum Ausländerbestand hinzurechnen wollen, womit der Spielraum für Rekrutierungen über den Arbeitsmarkt zusätzlich eingeschränkt würde.

538

Hinzu kommt erschwerend, dass die Qualifikationen dieser - nicht rekrutierten Personen in aller Regel gerade nicht den notwendigen arbeitsmarktlichen und betrieblichen Anforderungen der Wirtschaft entsprechen. Ein beträchtlicher Teil der globalen Einreisequote müsste daher für Ausländer reserviert werden, die aufgrund von internationalen Abkommen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen haben oder denen aus humanitären Gründen eine vorübergehende Anwesenheit nicht verweigert werden darf (z. B. Kriegsvertriebene) und deren Aufenthaltsdauer im Hinblick auf die Lage im Herkunftsland nicht immer durch die Behörden beeinflusst werden kann.

Wird die Quote bereits während des Jahres erreicht, müssten diesen Personen die Einreise - soweit das zwingende Völkerrecht dies zulässt - verweigert und Wartelisten für die nächstfolgende Einreisequote erstellt werden. Ist eine solche Warteliste nicht möglich, wäre die angestrebte Reduktion zeitlich weiter hinauszuschieben oder die Kündigung der entsprechenden Abkommen ins Auge zu fassen.

Auch im Hinblick auf die kaum abschätzbare zukünftige Entwicklung kann - wie bereits ausgeführt - nicht ausgeschlossen werden, dass die Schweiz zur Erreichung oder Einhaltung des klar festgelegten Begrenzungsziels innerhalb eines absehbaren Zeitraums bei einer Annahme der Initiative bestehende Staatsverträge mit nicht zwingendem Inhalt aufkündigen müsste. Vertragsinhalte, die zum zwingenden Völkerrecht gehören, sind aber grundsätzlich nicht kündbar (s. Ziff. 154.1).

Zu solchen Staatsverträgen, die ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz begründen können, gehören neben den Abkommen im Wirtschaftsbereich namentlich die Bestimmungen über den Familiennachzug der EMRK und der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (UNO-Kinderkonvemion; BB1 1994 V 36). Ein Anspruch auf Familiennachzug und Umwandlung der Saisonbewilligung in eine Jahres aufenthaltsbewilligung ergibt sich überdies aus dem Abkommen zwischen der Schweiz und Italien vom 10. August 1964 über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz («Italiener-Abkommen»; SR 0.142. U4.548).

Von besonderer Bedeutung ist insbesondere der Anspruch auf den Schutz des Familienlebens nach Artikel 8 EMRK, wonach in gewissen Fällen ein völkerrechtlich geschützter Anspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltsbewilligung besteht. Wann dies der Fall ist, mussjm Einzelfall auf der Basis einer Güterabwägung geprüft werden. Deshalb lässt sich nicht abschätzen, was die quantitativen Auswirkungen der Annahme der Initiative auf EMRK-relevante Fälle wären. Immerhin ist festzuhalten, dass zum Beispiel bei der Eheschliessung von schweizerischen Staatsangehörigen mit Personen aus dem Ausland sowie beim Familiennachzug von Ausländerinnen und Ausländern mit Niederlassungsbewilligung und bei anerkannten Flüchtlingen in der Regel ein Anspruch aus der EMRK auf den Nachzug der Familie aus dem Ausland besteht. Einschränkungen im Bereich des Familiennachzugs hätten zur Folge, dass auch Schweizerinnen und Schweizer unter Umständen ihre ausländischen Ehegatten oder Pflegekinder nicht mehr in die Schweiz nachziehen könnten.

Die notwendigen und einschneidenden Einwanderungsquoten würden auch zu Problemen mit den von der Schweiz eingegangenen internationalen Verpflichtungen im wirtschaftlichen Bereich führen. Das im Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation vom 15. April 1994 (für die Schweiz in Kraft seit dem 1. Juli 1995, SR 0.632.20) in Anhang I.B integrierte allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) erfasst gemäss Artikel l Absatz 2 auch die Grenzüberschreitung natürlicher Perso539

nen, welche als Selbständigerwerbende oder als Angestellte von Dienstleistungsunternehmen im Ausland Dienstleistungen erbringen. Demnach übernimmt die Schweiz im Rahmen der bestehenden Höchstzahlen und unter gewissen Bedingungen für bestimmte hochqualifizierte Führungskräfte und Spezialisten Marktzugangsverpflichtungen. Diese Verpflichtung entspricht einem vitalen volkswirtschaftlichen Interesse unseres Landes, sie wäre im Falle einer Annahme der Initiative ernsthaft in Frage gestellt. Eine weitere wesentliche und sehr problematische Konsequenz aus einer allfälligen Annahme der Initiative wäre, dass der Verhandlungsspielraum im Hinblick auf die weitere schrittweise Liberalisierung, zu der sich die Schweiz im GATS verpflichtet hat, äusserst klein würde und die entsprechende Verpflichtung kaum zu erfüllen wäre. Eine vergleichbare Ausgangslage besteht grundsätzlich auch bezüglich des EFTA-Übereinkommens und des geplanten OECD-Investitionsschutzabkommens. Ein Abseitsstehen der Schweiz bei diesen wichtigen Wirtschaftsabkommen hätte unabsehbare Folgen.

Bei Annahme der Initiative könnten sich auch Probleme ergeben im Hinblick auf zukünftige bilaterale oder multilaterale Abkommen, die den Personenverkehr (zum Beispiel mit der EU oder aber auch mit den USA) betreffen und die für die schweizerische Wirtschaft von grosser Bedeutung sind.

Unabhängig vom angestrebten bilateralen Abkommen mit der EU würde das vom Bundesrat verfolgte Konzept einer erleichterten Zulassung von Personen aus den EU- und EFTA-Staaten bei Annahme der Volksinitiative generell in Frage gestellt.

232 232.1

Unterbindung von finanziellen Anreizen für Ausländer ohne Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung (Art. 69iuln<>uiei Abs. l BV) Ausgangstage

Nach Artikel 69wtot&* Absatz l BV der Initiative unterbindet der Bund die finanziellen Anreize für den Verbleib in der Schweiz für Asylbewerber, Kriegsvertriebene, schutzsuchende Ausländer, vorläufig Aufgenommene, Internierte sowie Ausfänder ohne festen Wohnsitz. Der Begriff «finanzielle Anreize» wird nicht näher definiert und ist daher auslegungsbedürftig; er muss verfassungs- und völkerrechtskonform interpretiert werden (s. Ziff. 154.21).

Die Bestimmung ist wohl so zu verstehen, dass der Aufenthalt in der Schweiz finanziell möglichst unattraktiv zu gestalten ist, damit die voraussichtliche finanzielle Situation nicht zur Ursache für den Migrationsentscheid wird. Der gewählte Begriff «finanzielle Anreize» in einem weit verstandenen Sinn dürfte namentlich die Bereiche Fürsorge und Arbeit umfassen.

232.2

Fürsorgeleistungen

Asylbewerber und vorläufig Aufgenommene, die nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, werden von den kantonalen Fürsorgebehörden unterstützt.

Der Bund bezahlt den Kantonen zur Zeit als Abgeltung für diese Unterstützungsleistungen (inklusive Taschengeld) eine Pauschale von 18 Franken pro Tag und Person, und die Unterbringungskosten werden mit einer Pauschale von 13.60 Franken pro Tag und Person abgegolten. Zusätzlich werden die effektiven Gesundheitskosten zurückerstattet. Asylbewerber und vorläufig Aufgenommene erhalten somit 540

nur die unbedingt notwendigen finanziellen Mittel. Die Unterbringung von Asylsuchenden erfolgt heute meist in kostengünstigen Kolleküvunterkiinften. Grundsätzlich wird darauf geachtet, dass die Unterstützung in Form von Sachleistungen und nicht durch Geldzahlungen ausgerichtet wird (vgl. Art. 20a Abs. 3 AsylG).

Auf Sozialhilfeleistungen, welche über das vom Bundesgericht anerkannte Recht auf Existenzsicherung hinausgehen, besteht weder auf Ebene der Bundesverfassung noch gemäss kantonalen Verfassungen ein Rechtsanspruch (BGE 727 I 367). Auch aus den Artikeln 10 und 11 des UNO-Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Paktl; SR 703.7) ergibt sich kein selbständiges justiziables Recht auf Sicherung des sozialen Existenzbedarfs, der über das Überlebensnotwendige hinausgeht. Eine Schlechterstellung der im Initiativtext genannten Personengruppen im Bereich der Fürsorge lässt sich grundsätzlich auch mit dem in Artikel 4 BV enthaltenen Gebot der Rechtsgleichheit vereinbaren. Aufgrund ihrer anwesenheitsrechtlich ungesicherten Situation befinden sie sich in besonderen Lebensumständen, die sich von jenen der schweizerischen Bevölkerung und der Ausländer mit ständigem Wohnsitz in der Schweiz klar unterscheidet. Entsprechend verlangt die Flüchtlingskonvention im Bereich der Fürsorge eine Gleichbehandlung mit Inländern nur für anerkannte Flüchtlinge und, zumindest nach einer gewissen Zeit, für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge (Art. 1A Abs. 2 und 23 FK). Die gewährte Unterstützung an Asylbewerber und vorläufig Aufgenommene darf allerdings nicht so tief und derart ausgestaltet sein, dass die Behandlung dieser Personen als herabwürdigend eingestuft werden muss.

232.3

Einkommen aus Erwerbstätigkett

Grundsätzlich lässt sich allein aus der Anwesenheit für Ausländerinnen und Ausländer kein Anspruch auf die Bewilligung einer Erwerbstätigkeit ableiten. Arbeitsverbote sind deshalb grundsätzlich möglich. Für vorläufig aufgenommene Personen mit Flüchtlingseigenschaft ist allerdings Artikel 17 Absatz 2 Flüchtlingskonvention zu beachten, welcher nach drei Jahren Wohnsitz im Zufluchtsstaat Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht mehr zulässt.

Klar diskriminierend wäre eine Herabsetzung der Löhne solcher Personen, da sie gleiche Leistungen wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erbringen.

Zulässig ist ein Lohnabzug, wie er heute gilt (10%), um Fürsorge- und Verfahrenskosten etc. sicherzustellen. Gegen Artikel 4 BV würden solche Abzüge verstossen, wenn sie höher wären, als für Rückstellungen notwendig ist.

232.4

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die mit der Initiative angesprochenen finanziellen Leistungen in einem gewissem Umfang reduziert werden können. Die Reduktion stösst aber an Grenzen, die sich aus dem Rechtsgleichheitsgebot, dem verfassungsmässigen Recht auf Existenzsicherung und den korrespondierenden Garantien des Sozialrechtspaktes sowie für Personen mit Flüchtlingseigenschaft aus der Flüchtlingskonvention ergeben. Diese Überlegungen gelten auch für den Bereich der Sozialversicherungen. Die Initiative verlangt nicht btoss eine Reduktion finanzieller Anreize, sondern ihre Unterbindung. Insofern verletzt sie die genannten Garantien. Allerdings lässt sich der Text verfassungs- und völkerrechtskonform auslegen, da der Begriff des finanziellen Anreizes nicht definiert ist, und

541

er als Inbegriff all jener Leistungen verstanden werden kann, welche über das rechtlich Gebotene hinausgehen.

Angesichts der auf ein notwendiges Minimum beschränkten finanziellen Leistungen wird dem Anliegen der Initianten bereits heute weitestgehend Rechnung getragen. Andere Einschränkungen wie eine Verlängerung des Arbeitsverbots würden zu höheren Fürsorgekosten führen.

233 233.1

Finanzielle Schlechterstellung von inhaftierten Ausländern (Art. 69iu[ntiuiM Abs. 2 BV) Ausgangslage

Nach Artikel 69iuini!u^ Absatz 2 BV dürfen in der Schweiz inhaftierte Personen nach Absatz l - das heisst Asylbewerber, Kriegsvertriebene, schutzsuchende Ausländer, vorläufig Aufgenommene, Internierte sowie Ausländer ohne festen Wohnsitz in der Schweiz - finanziell nicht besser gestellt sein, als dies in ihrem Herkunftsland der Fall wäre. Durch diese Forderung soll offensichtlich erreicht werden, dass inhaftierte Ausländer aus ihrem Freiheitsentzug nicht zu einem Einkommen gelangen, welches dasjenige in ihrem Heimatstaat übersteigen würde.

Mit dem weiten Begriff «Inhaftierung» werden offenbar alle Haftformen, einschliesslich Untersuchungshaft von Artikel 694uiniuics Absatz 2 BV erfasst. Eine Einschränkung auf den eigentlichen Strafvollzug besteht somit nicht.

Ebenfalls unbestimmt und auslegungsbedürftig ist der Begriff der «finanziellen Besserstellung». Allerdings spricht der Wortlaut dafür, dass damit nicht das generelle schweizerische Haftregime im Vergleich zum Herkunftsland gemeint sein dürfte, sondern nur der Verdienstanteil, der während der Haft erworben werden kann (das sogenannte Pekulium).

Schliesslich ist auch unklar, was mit der finanziellen Gleich- oder Schlechterstellung der inhaftierten Ausländer im Vergleich zum Herkunftsland gemeint ist, da jede Angabe zur Berechnungsweise fehlt. Denkbar ist etwa ein Kaufkraftvergleich oder die einfache Umrechnung des Pekuliums im Herkunftsstaat aufgrund der aktuellen Wechselkurse. Möglich wäre aber auch ein Vergleich des schweizerischen Pekuliums mit dem durch die betroffene Person im Heimatstaat allgemein erzielbaren Einkommen. Die im Zusammenhang mit dieser Bestimmung stehende Problematik ergibt sich allerdings unabhängig von der hier gewählten Auslegung.

233.2

Auswirkungen der Initiative auf die Ausrichtung des Pekuliums

Nach Artikel 37 Absatz l des Strafgesetzbuches (StGB; SR 311.0) sind Gefangene zur Arbeit verpflichtet, die ihnen zugewiesen wird. Personen im Straf- und Massnahmenvollzug sollen bei gutem Verhalten und befriedigender Arbeitsleistung für ihre Arbeit einen Verdienstanteil erhalten, dessen Höhe von den Kantonen bestimmt wird (Art. 376 StGB). Das Anstaltsreglement bestimmt, ob und wie weit während der Dauer des Freiheitsentzuges aus diesem Verdienstanteil Ausgaben zugunsten des Insassen oder dessen Familie gemacht werden dürfen (Art. 377 StGB). In der Regel wird die Hälfte des Pekuliums zur freien Verfügung an den Insassen ausbezahlt.

542

Gemäss Bundesgericht dient das Pekulium nebst der Deckung von Auslagen, die während des Vollzuges einer Strafe oder Massnahme entstehen, hauptsächlich dem Ziel, dem Häftling den Wiedereintritt in das bürgerliche Leben zu erleichtern, namentlich die Mittel während der ersten Wochen nach der Entlassung zu sichern.

Das Geld, das während des Vollzuges freigegeben wird, dient demgegenüber als Taschengeld. Das Pekulium ist eine Entlöhnung für geleistete Arbeit; es hat aber auch einen erzieherischen Zweck und kann daher bei schlechter Führung gekürzt werden.

Insoweit das Pekulium eine Entlöhnung für geleistete Arbeit ist, würde eine ungleiche Ausrichtung bei gewissen Ausländerkategorien im Vergleich zu ansässigen Ausländern und Schweizern gegen das Rechtsgleichheitsgebot von Artikel 4 BV verstossen. Zudem wäre wohl auch das Diskriminierungsverbot von Artikel 14 EMRK verletzt, da die Ausgestaltung der im Rahmen einer Inhaftierung möglichen Zwangs- oder Pflichtarbeit (Art. 4 Abs. 3 EMRK) nicht auf diskriminierenden Faktoren beruhen darf. Die von den Initianten geforderte unterschiedliche Entlöhung aufgrund der Staatsangehörigkeit und des Aufenthaltsstatus muss in diesem Zusammenhang als diskriminierend bezeichnet werden.

Gemäss Bundesgericht müssen ebenfalls die Resolutionen des Ministerkomitees des Europarates (73) 5 und (87) 3 über die Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen berücksichtigt werden, auch wenn es sich dabei nicht um völkerrechtlich verbindliche Verträge handelt. Zur Erwerbstätigkeit von Gefangenen hält die Resolution 87 (3) unter anderem folgende Grundsätze fest, die bei Annahme der Initiative nicht mehr eingehalten werden könnten: Erfolgt die Arbeit in Zusammenarbeit mit Privatunternehmen innerhalb oder ausserhalb der Vollzugsanstalt, so haben diese Unternehmen die üblichen Löhne zu zahlen, wobei die Leistung der Gefangenen zu berücksichtigen ist (Ziff. 73 Bst. b). Es sind Vorkehren zu treffen, Gefangene bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit zu entschädigen, wobei die Bedingungen nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die Arbeitnehmer ausserhalb der Anstalt nach dem Gesetz zustehen (Ziff. 74.2). Die Gefangenenarbeit ist gerecht zu vergüten (Ziff. 76.1). Alle Grundsätze der Resolution sind unparteiisch anzuwenden. So dürfen beispielsweise Rasse, Farbe oder nationale
Herkunft nicht zu diskriminierender Behandlung führen (Ziff. 2).

Von den von der Schweiz ratifizierten Menschenrechtsverträgen enthält einzig der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (Pakt II; SR 0.103.2) in Artikel 10 Absatz l eine spezifische Bestimmung zum Schutz von inhaftierten Personen; «Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muss menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden.» Für die Auslegung dieses Artikels müssen gemäss Bundesgericht ebenfalls die oben erwähnten Resolutionen des Ministerkomitees des Europarates herangezogen werden (BGE 722 la 266 ff.).

Was die Verwendung des Pekuliums für Bedürfnisse während der Inhaftierung in der Schweiz betrifft, ist kein vernünftiger Grund für eine rechtsungleiche Behandlung ersichtlich. Gemäss ständiger Bundesgerichtspraxis dürfen die Freiheitsrechte von Gefangenen zudem lediglich zur Gewährleistung des Haftzwecks und zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen Anstaltsbetriebs eingeschränkt werden.

Was die nach Haftentlassung in ihren Heimatstaat ausgereisten Ausländer betrifft, wäre es grundsätzlich zulässig, den Rest des Pekuliums zum Beispiel kaufkraftbereinigt auszurichten. Dazu wären aber klare gesetzliche Grundlagen nötig. Auf Grund der Praxis der Kantone werden bereits heute die Flugkosten ganz oder teil-

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weise vom Pekulium abgezogen. Ein zusätzlicher Abzug wäre daher in den allermeisten Fällen nicht mehr möglich.

Es besteht zwar kein Anspruch auf ein genügendes Pekulium zur Aufrechterhaltung der verfassungsmässig geschützten Aussenkontakte (etwa durch Telefonate, Briefe und Medien). Ist der Inhaftierte jedoch mittellos, sind die zuständigen Behörden wohl verpflichtet, die dafür notwendigen Mittel vorzuschiessen.

233.3

Zusammenfassung

Zusammenfassend ergibt sich, dass die Forderung von Artikel 69
234

Inhaftierung von Ausländern (Art. 70bis BV)

In Artikel 70bis BV fordern die Initianten, dass Ausländer gemäss Artikel 69
Die Inhaftierung von Ausländern zwecks Sicherstellung des Vollzugs der Wegweisung (Ausschaffungshaft) ist völkerrechtlich grundsätzlich erlaubt; allerdings müssen bestimmte Voraussetzungen materiellrechtlicher und verfahrensmässiger Art erfüllt sein. Diese ergeben sich namentlich aus Artikel 5 EMRK (s. auch BB1 1994 I 309 f.). Artikel 70his BV sieht einen zulässigen Haftzweck vor. Die Bestimmung ist als «Kann»-Vorschrift ausgestaltet und lüsst damit genügend Spielraum für eine völkerrechtskonforme Auslegung. Sie verstösst somit nicht gegen Völkerrecht oder die Grundrechte der Bundesverfassung. Diese Forderung der Initianten ist durch das am l, Februar 1995 in Kraft getretene und im Zeitpunkt der Formulierung des Initiativtextes noch nicht bekannte Bundesgesetz vom 18. März 1994 über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (AS 1995 146) erfüllt. Es sieht eine Vorbereitungshaft von drei Monaten und eine Ausschaffungshaft von neun Monaten vor (Art. 13a - 14 ANAG; BB1 1994 I 305 ff.). Eine längere Haftdauer wurde von der Bundesversammlung ausdrücklich abgelehnt, weil sie un vernai tnismässig und rechtsstaatlich kaum vertretbar wäre.

544

3

Schlussfolgerungen

Der Initiativtext kann trotz erkennbarer Probleme so ausgelegt werden, dass er bezüglich der Grundsätze der Einheit der Form und der Materie als auch der Durchführbarkeit und der Vereinbarkeit mil dem Vb'lkerrecht den gesetzlichen sowie den von der Praxis, Lehre und Rechtsprechung entwickelten Anforderungen entspricht.

Die Initiative ist daher in formeller Hinsicht als gültig zu erklären Ihr Inhalt ist allerdings abzulehnen. Die Initiative widerspricht drei von vier aktuellen Legislaturzielen des Bundesrates im Ausländer- und Flüchtlingsbereich. Es handelt sich dabei um die verstärkte Eingliederung der ansässigen Ausländerinnen und Ausländer, die qualitative Verbesserung im Personenverkehr mit der EU und die Aufnahme von Flüchtlingen und Schutzbedürftigen im Sinne unserer humanitaren Flüchtlingspolitik (Ziel 12; BB1 1996 II 320). Eine deutliche Reduktion des Zuwachses der ausla'ndischen Wohnbevölkerung konnte auch ohne die geforderte zahlenmässige Festlegung eines Höchstanteils der ausla'ndischen Wohnbevölkerung erreicht werden.

Schwierigkeiten würden sich vor dem Hintergrund internationaler Vereinbarungen sowohl fur die schweizerische Wirtschaft als auch im Bereich der Menschenrechte ergeben.

Das Begrenzungsziel der Initianten kann voraussichtlich nur durch die Festlegung einer restriktiven Einwanderungsquote erreicht werden. Gemäss dem Initiativtext werden Personen aus dem Asylbereich, deren Einreisen grundsätzlich nicht steuerbar sind, bei der Berechnung der standigen auslandischen Wohnbevolkerung mit einbezogen. Die zahlenmassig bedeutende Zuwanderung im Rahmen des Familiennachzugs ist ebenfalls nur beschrankt beeinflussbar. Beim heutigenAusländerbe-stand von etwa19 Prozentwürdede dies zur Folge haben, dass fur die wichtigen Rekrutierungeüberer den Arbeitsmarkt nicht mehgenügendnd Raubestünde.e. Dies gilt auch f u r d e n Ersatz v o n ausgereisteArbeitskräften.n. D i e Initiative nimmt zungsmassnahmen aus. Nicht ausgenommen sind dagegen Spezialisten, schneidende ununabsehbarere Auswirkungen fur den Wirtschaftsstandort Schweiz.

Eine bereits heute festzustellende Auslagerungstendenz wiirde sicheverstärkt,t, da einzelne Betriebe mangels Verfugbarkeit der notwendigeArbeitskräftete in der Schweiz ihre Produktion aus dieseGründenen ins Ausland verlegemüssten.n. Eine solche Auslagerung ware
notwendigerweise m i t einem entsprechenden Abbau Eine Annahme der Initiative wurde überdies unsere Beziehungen zu anderen Staaten schwer belasten; sie konnte beispielsweise zu Schwierigkeiten bei einem Abkommen mit anderen Staaten oder mit der EU über den gegenseitigen Personenverkehr führen. Die Umsetzung der Initiative konnte auch zur Folge haben, dass die Schweiz auch in wirtschaftlicher Hinsicht wichtige Internationale Abkommen wie beispielsweise das GATS/WTO aufkündigen müsste; dadurch besteht die Gefahr einer Isolierung der Schweiz. Eine zusätzliche Verschärfung der Zulassungsbestimmungen könnte auch Retorsionsmassnahmen gegenüber Schweizerbürgern im Ausland ausldsen.

Zu der vom Bundesrat angestrebten Integralsonspolitik gehort auch der Familiennachzug, der bei-einer Annahme der Initiative wohl eingeschränkt werden müsste.

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Davon wären möglicherweise auch die Ehegatten und die Pflegekinder von Schweizerinnen und Schweizern betroffen.

Die Umsetzung einer neuen, ganzheitlich zu definierenden Migrationspolitik, die alle Aspekte dieses komplexen Problems zu berücksichtigen hat, wäre nach einer Annahme der Initiative ebenfalls kaum mehr möglich. Die vom Bundesrat eingesetzte Expertenkommission «Migration» kam denn auch zum Schluss, dass die mit der Initiative angestrebten Massnahmen keine gangbaren Lösungen für die aktuellen Probleme darstellen.

Die neben einer zahlenmässigen Beschränkung der ausländischen Wohnbevölkerung angestrebte Ausschaffungshaft und die Unterbindung von finanziellen Anreizen für gewisse Ausländergruppen, sind, sofern sie als rechtlich zulässig, notwendig und sinnvoll erachtet werden können, in der Zwischenzeit durch den Gesetzgeber entweder bereits eingeleitet oder schon verwirklicht worden. Problematisch ist die Forderung der Initianten nach einer finanziellen Schlechterstellung von inhaftierten Ausländern. Sie verstösst namentlich gegen das Rechtsgleichheitsgebot von Artikel 4 BV und unter Umständen auch gegen das Verbot einer diskriminierend ausgestalteten Zwangsarbeit (Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 14 EMRK).

Mit seiner neuen Ausländer- und Flüchtlingspolitik für die neunziger Jahre (dargelegt im Bericht vom 15. Mai 1991; BB1 199Ì III 291) hat der Bundesrat wesentliche Korrekturen an Teilen seiner bisherigen Ausländerpolitik vorgenommen. Dazu gehört unter anderem die strikte Beschränkung der rekrutierten Einwanderung auf spezialisierte und hoch qualifizierte Arbeitskräfte, soweit sie nicht aus dem EWRRaum oder aus Nordamerika stammen. Ferner wurde das volkswirtschaftlich und sozialpolitisch mit zunehmend nachteiligen Auswirkungen behaftete Saisonnierstatut - als erster Schritt zur Überführung in ein modernes wirtschafts- und arbeitnehmerfreundliches Kurzaufenthalterstatut - auf die Angehörigen aus dem EWRRaum beschränkt.

Die Ziele und Grundsätze der Ausländerpolitik müssen, unabhängig von dieser Initiative, in ein neues Ausländergesetz aufgenommen werden. Sie sind durch flexiblere Regelungen anzustreben, welche eine ausgewogene Wirtschaftsentwicklung und ein qualitativ orientiertes Wachstum des Arbeitsmarktes nicht beeinträchtigen.

Schliesslich ist davon auszugehen, dass die zum Teil
negativen Haltungen der schweizerischen Bevölkerung gegenüber Ausländern nicht in erster Linie auf den Ausländerbestand, sondern vor allem auf Missbräuche der geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen zurückzuführen sind. Derartige Vorbehalte werden überdies begünstigt durch Vollzugsschwierigkeiten bei der Wegweisung und Ausschaffung von Personen aus dem Ausland. Diese Probleme lassen sich grundsätzlich nicht durch die Einführung restriktiver Zulassungsregeln lösen; sie sind vielmehr - im Sinne der vom Bundesrat verfolgten Politik - mit einer verstärkten Missbrauchsbekämpfung, einer konsequenten Strafverfolgung und intensiven politischen Bemühungen zur Beseitigung von Ausschaffungshindernissen anzugehen. Überdies sind eine bessere Integration hier lebender Ausländerinnen und Ausländer sowie intensivierte Bestrebungen zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zwischen einheimischer und ausländischer Bevölkerung anzustreben.

Der Grossteil der in der Schweiz wohnhaften Ausländerinnen und Ausländer ist gut integriert und wird von den Schweizerinnen und Schweizern gut aufgenommen. Die ausländische Wohnbevölkerung steuert nicht unwesentlich zu unserem Wohlstand bei und führt zudem zu einer kulturellen Bereicherung der Schweiz. Die Erfahrungen bei den ausländerpolitischen Abstimmungen der letzten Jahre zeigen 546

auch, dass in Regionen mit einem relativ hohen Ausländeranteil bei der schweizerischen Bevölkerung ein grosses Verständnis für die Anliegen des ausländischen Bevölkerungsteils vorhanden ist.

Aus den dargelegten Erwägungen stellt die vorliegende Initiative kein taugliches Mittel zur Lösung der hauptsächlichsten Schwierigkeiten im Ausländer- und Asylbereich dar. Ihre Umsetzung würde die Schweiz im Gegenteil vor neue folgenschwere Probleme stellen, ohne aber anstehende Konflikte erfolgreich beheben zu können. Sie stellt einen Schritt in die falsche Richtung dar, weshalb sie Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu unterbreiten ist.

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Bundesbeschluss über die Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung»

Entwurf

vom Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Prüfung der am 28. August 1995 ') eingereichten Volksinitiative «für eine

Regelung der Zuwanderung»,

nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 20. August 19972J, besckliesst: Art. l 1 Die Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung» ist gültig und wird Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet.

2 Die Volksinitiative lautet: I Art. 69tHn<" (neu) 1 Der Bund sorgt dafür, dass der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen an der Wohnbevölkerung der Schweiz 18 Prozent nicht übersteigt.

2 Bei der Berechnung mitgezählt werden insbesondere Niedergelassene, Jahresaufenthalter, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer mit humanitärer Aufenthaltsbewilligung, Falls sie länger als ein Jahr in der Schweiz verbleiben, werden auch Ausländer gemäss Artikel 69i»ii«p'i« Absatz l und weitere Ausländer mit anderer Aufenthaltsbewilligung mitgezählt. Kurzfristige Aufenthalter mit oder ohne Erwerbstätigkeit werden mitgezählt, sofern ihr Aufenthall mehr als acht Monate dauert, erneuert wird und wenn der Familiennachzug bewilligt ist.

3 Bei der Berechnung nicht mitgezählt werden unabhängig von der Aufenthaltsdauer in der Schweiz Grenzgänger, Saisonniers ohne Familiennachzug, Angehörige internationaler Organisationen, Angehörige konsularischer und diplomatischer Dienste, qualifizierte Wissenschafter und Führungskräfte, Künstler, Kurgäste, Stagiaires, Studenten und Schüler sowie Touristen.

Ebenso nicht mitgezählt werden Ausländer gemäss Artikel 69i«ii>i"i« Absatz l, sofern ihr Aufenthalt in der Schweiz weniger als zwölf Monate dauert.

Art. 69^uìl"iuì" (neu) 1 Für Asylbewerber, Kriegsvertriebene, schutzsuchende Ausländer, vorläufig Aufgenommene, Internierte sowie Ausländer ohne festen Wohnsitz in der Schweiz unterbindet der Bund die finanziellen Anreize für den Verbleib in der Schweiz.

2 In der Schweiz inhaftierte Personen gemäss Absatz l dürfen finanziell nicht besser gestellt sein, als dies in ihrem Herkunftsland der Fall wäre.

» BBI 1995 IV 1174 > BEI 1997 IV 521

2

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Volksinitiative. BB

Art. 70bis (neu) Sind Auslander gemass Artikel 69quinquies Absatz 1 sowie Auslander ohne Aufenthaltsbewilligung fremdenpolizeilich oder strafrechtlich weg- respektive auszuweisen und ist der Vollzug möglich, zulässig und zumutbar, so können diese Personen zur Sicherstellung der Ausweisung bis zum Vollzug inhaftiert werden.

II

Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt ergänzt: Art. 21 (neu) 1 Sofern bei Inkrafttreten von Artikel69quaterr die festgelegte Grenze von 18 Prozentüberschrit-ten ist, wird dies so rasch wie mdglich durch die freiwillige Auswanderung von Auslandern kompensiert.

2 Kann ein allfälliger Geburtenüberschuss auf diese Weise nicht kompensiert werden, so ist ein Überschreiten der 18-Prozent-Grenze befristet möglich, sofern keine neuen Aufenthaltsbewilligungen gemäss Artikel 69quater Absatz 2 an Auslander erteilt werden.

Art. 2 Die Bundesversammlung empfiehlt Volk und Standen, die Initiative abzulehnen.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft zur Volksinitiative «für eine Regelung der Zuwanderung» vom 20. August 1997

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Foglio federale

Jahr

1997

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

39

Cahier Numero Geschäftsnummer

97.060

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.10.1997

Date Data Seite

521-549

Page Pagina Ref. No

10 054 406

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