Sicherstellung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 6. Oktober 2015

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Bericht 1

Einleitung

Im Januar 2013 haben die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Evaluation der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung beauftragt.

Das Ziel der Evaluation war, die rechtlichen Grundlagen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden zu identifizieren und zu beurteilen. Dabei sollte auch untersucht werden, wie die Anwendung der rechtlichen Vorgaben aus der Sicht der Praxis eingeschätzt wird und was der Bundesrat im Rahmen seiner Kompetenzen unternimmt, um die Unabhängigkeit von Aufsichtsund Regulierungsbehörden zu gewährleisten.

Hintergrund dieses Auftrags an die PVK waren verschiedene Berichte in der Presse über angebliche Interessenkonflikte der Behörden oder ihrer Mitarbeitenden. So wurde beispielsweise dem strategischen Aufsichtsorgan des Eidgenössischen Nuklearinspektorats (ENSI), dem ENSI-Rat, vorgeworfen, er sei zu stark mit der Atomindustrie verbunden und die Aufsicht sei in Folge dessen mangelhaft. Ebenfalls wurden in der Öffentlichkeit die Nähe der Wettbewerbskommission (WEKO) oder des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic zu den beaufsichtigten Marktteilnehmern kritisch hinterfragt.1 Die PVK stellte in Zusammenarbeit mit externen Experten für diese Untersuchung eine Bestandesaufnahme der 16 Aufsichts- und Regulierungsbehörden zusammen und verortete die Ausgestaltung ihrer Unabhängigkeit anhand ihrer Kategorien von Unabhängigkeitsnormen (funktionelle, institutionelle, personelle und finanzielle Unabhängigkeit).2 Auf dieser Grundlage wählte die zuständige Subkommission EDI/UVEK der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) fünf Behörden aus, die im Detail anhand von vertieften Fallstudien untersucht werden sollten: das Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic, das ENSI, die Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde (RAB), die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) und die WEKO. Mit dieser Auswahl entschied sich die Subkommission bewusst für Behörden mit einer insgesamt relativ starken wie auch solchen mit einer relativ schwachen Ausprägung der Unabhängigkeitsnormen. Die PVK führte dann in Zusammenarbeit mit den externen Experten eine Detailanalyse der Rechtsgrundlagen der fünf ausgewählten Behörden durch und untersuchte die Rechtsanwendung mittels einer Befragung der beteiligten Akteure der Behörden, des Bundes und der beaufsichtigten Branchen.

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Vgl. weitere Beispiele und Quellenangaben in Evaluation der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden der dezentralen Bundesverwaltung, Bericht der PVK vom 2. Febr. 2015 im Anhang (nachfolgend: PVK-Evaluation im Anhang), Kap. 1.1.

Vgl. ausführlich zur Kategorisierung PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 2.2

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Am 2. Februar 2015 hat die PVK ihren Bericht zuhanden der GPK-S verabschiedet.

Um Wiederholungen mit der Evaluation der PVK zu vermeiden, beschränkt sich die GPK-S in diesem Bericht auf die wichtigsten Feststellungen und die Darlegung ihrer Schlussfolgerungen und Empfehlungen.

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Feststellungen und Empfehlungen

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat der Bund verschiedene Aufgaben der Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht aus der zentralen Bundesverwaltung an verselbständigte Einheiten des Bundes ausgelagert. Der Grund für diese Auslagerungen lag insbesondere in der Gewährung eines hohen Grades an Unabhängigkeit in der Aufgabenerfüllung; die Aufsichts- und Regulierungsentscheide sollten mit einer gewissen Distanz zum politischen Tagesgeschäft gefällt werden, damit deren Objektivität und Neutralität gewährleistet werden kann.3 Zudem sollte es insbesondere die personelle und finanzielle Unabhängigkeit den Behörden ermöglichen, kurzfristig und möglichst selbständig auf Veränderungen im Aufsichtsbereich zu reagieren. 4 Neben dieser Autonomie gegenüber der Politik war bei der Konzeption von Aufsichts- und Regulierungsbehörden auch die Unabhängigkeit vom Markt, d.h. gegenüber den Beaufsichtigten, von Bedeutung.5 Die verselbständigten Einheiten wurden vor allem als öffentlich-rechtliche Anstalten konzipiert (z.B. Eidg. Finanzmarkaufsicht [FINMA], ENSI, RAB, Swissmedic); teilweise wurden die Aufgaben aber auch an ausserparlamentarische Kommissionen (z.B. WEKO, ComCom) übertragen.

Die folgenden Feststellungen betreffen die Ausgestaltung der gesetzlichen Strukturen sowie die Anwendung dieser gesetzlichen Grundlagen, welche die Unabhängigkeit der ausgelagerten Einheiten sicherstellen sollen. Nicht untersucht wurde hingegen die Frage der Unabhängigkeit in Einzelentscheiden der Behörden. Die parlamentarische Oberaufsicht übt aufgrund der erwähnten gesetzlichen Unabhängigkeitsnormen im Bereich der Aufsichts- und Regulierungsbehörden eine grössere Zurückhaltung als gegenüber Einheiten der zentralen Bundesverwaltung aus und nimmt grundsätzlich keine inhaltliche Kontrolle ihrer Entscheide vor.6

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Vgl. insbesondere Bericht des Bundesrates vom 13. Sept. 2006 zur Auslagerung und Steuerung von Bundesaufgaben (Corporate-Governance-Bericht) (BBl 2006 8233, hier 8262) Vgl. z.B. Botschaft vom 1. Febr. 2006 zum Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (BBl 2006 2829, hier 2836) Vgl. z.B. Botschaft vom 1. Febr. 2006 zum Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (BBl 2006 2829, hier 2864) Vgl. Handlungsgrundsätze der Geschäftsprüfungskommissionen gemäss Beschluss vom 30. Januar 2015 sowie Biaggini, Giovanni (2013): Rechtsgutachten zur Frage der Möglichkeiten und Grenzen parlamentarischer Oberaufsicht im Bereich des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI); Uhlmann, Felix (2013): Gutachten betreffend Oberaufsicht über die Eidgenössische Finanzmarktaufsichtsbehörde (FINMA); alle genannten Dokumente abrufbar unter www.parlament.ch > Organe und Mitglieder > Kommissionen > Aufsichtskommissionen > Geschäftsprüfungskommissionen > Publikationen und Grundlagenpapiere (Stand: 26. Febr. 2015).

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2.1

Uneinheitliche Normierung der Unabhängigkeit

Die Normierung der Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden erschliesst sich aus der Spezialgesetzgebung der verschiedenen Einheiten und den allgemeinen Grundlagen des Verwaltungsrechts. Die Untersuchung der PVK kommt durch den Quervergleich verschiedener Aufsichts- und Regulierungsbehörden zum Schluss, dass diese Normierung wenig einheitlich und die daraus resultierende Unabhängigkeit sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.

Die meisten Unterschiede in der Normierung der Unabhängigkeit sind durch die verschieden gelagerten Funktionen der Behörden nachvollziehbar. So ist beispielsweise bei Behörden, welche schwergewichtig Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (z.B. Eidg. Institut für geistiges Eigentum [IGE]), die funktionale7 Unabhängigkeit weniger ausgeprägt als bei justizähnlichen Behörden (z.B. Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen [UBI]). Hingegen sind erstere in der Regel in finanzieller8 und institutioneller9 Hinsicht unabhängiger als letztere. Allgemein kann festgestellt werden, dass Behörden der Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht (z.B.

ENSI, RAB, Swissmedic) in personeller10 und finanzieller Hinsicht unabhängiger ausgestaltet sind als justizähnlichen Behörden.11 Der Bericht der PVK zeigt jedoch auf, dass sich die gesetzgeberische Vielfalt in der Normierung der Unabhängigkeit nicht durchwegs mit den unterschiedlichen Funktionen der Behörden sachlich begründen lässt. Vielmehr wird aus der Evaluation ersichtlich, dass in der bisherigen Normierung zur Ausgestaltung der Unabhängigkeit ein einheitliches Konzept fehlte.12 Es ist bezeichnend, dass der CorporateGovernance-Bericht des Bundesrates, welcher eine einheitlichere Steuerung verselbständigter Einheiten gewährleisten sollte, nur am Rande auf die hier untersuchten Aufsichts- und Regulierungsbehörden eingeht. Zudem kann festgestellt werden, dass die Normierung der Aufsichts- und Regulierungsbehörden verschiedentlich von den Grundsätzen des Corporate-Governance-Berichts abweicht, beispielsweise wenn dem Bundesrat eine aktivere Rolle bei der Verabschiedung strategischer Ziele zuge-

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Die funktionale Unabhängigkeit bezeichnet die Unabhängigkeit in der Aufgabenerfüllung. Es geht dabei um Normen, welche die unabhängige und neutrale Tätigkeit der Behörde betreffen, beispielsweise eigenständige Verfügungs- und Weisungsrechte.

Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 2.3.

Die finanzielle Unabhängigkeit ergibt sich aus den Bestimmungen, welche der Behörde die Budgethoheit und selbständige Normierungsmacht zu Art und Höhe der eigenen Finanzierung gewähren, beispielsweise die Kompetenz, die Gebühren der Beaufsichtigten eigenständig festzulegen. Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 2.3.

Die institutionelle Unabhängigkeit umschreibt die Eigenständigkeit der Organisation gegenüber der zentralen Bundesverwaltung und dem Bundesrat. Dabei geht es beispielsweise um die Art der Festlegung von Strategien und Controlling, die Wahl der operativen Führung und die eigenständige Personalpolitik. Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 2.3.

Die personelle Unabhängigkeit wird durch Normen sichergestellt, welche Interessenskollisionen und Rollenkumulationen der Personen in einer Behörde verhindern, beispielsweise Verhaltenskodizes und Anforderungsprofile. Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 2.3.

Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.1 Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 4.1

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teilt wird, als dies gemäss Corporate-Governance-Bericht vorgesehen wäre.13 Die Grundsätze des Corporate-Governance-Berichts werden gegenwärtig durch Vorlagen zu aktuellen Gesetzesrevisionen zusätzlich in Frage gestellt. 14 Die GPK-S erachtet die festgestellte Uneinheitlichkeit der Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden als unbefriedigend. Die Kommission ist sich bewusst, dass die Balance zwischen dem Unabhängigkeitsanspruch der Behörden und der mitgestaltenden Einflussmöglichkeit des Bundesrates und der Verwaltung immer wieder neu zu suchen ist und die Spezialgesetzgebung folglich auch vor dem Hintergrund ihres Entstehungskontextes gesehen werden muss. Gleichwohl wäre es nach Ansicht der Kommission sinnvoll, rasch ein Grundkonzept oder einen allgemeinen Standard der Normierung der Unabhängigkeit zu erarbeiten. Dadurch würde bei zukünftigen Revisionsprojekten die Neugestaltung von Aufsichts- und Regulierungsbehörden insbesondere im Hinblick auf die parlamentarische Beratung besser nachvollziehbar und vergleichbar; zudem müssten Abweichungen vom Konzept besonderes begründet werden.

Empfehlung 1 Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, ein Konzept zu erarbeiten, um die Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden zu vereinheitlichen.

2.2

Lücken in der Normierung der Unabhängigkeit

Eine zentrale Feststellung der Untersuchung der PVK lautet, dass die gesetzliche Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden nicht systematisch alle Unabhängigkeitsdimensionen erfasst.15 Zwar zeigt die Vollzugsanalyse der PVK, dass gesetzgeberische Lücken oder bloss rudimentäre Regelungen auf Gesetzesstufe teilweise durch behördeninterne Reglemente oder Weisungen kompensiert werden. Die GPK-S ist jedoch der Auffassung, dass die wichtigen Eckwerte der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden bezüglich allen vier Dimensionen durch allgemeine Vorschriften auf Gesetzesstufe statuiert werden sollten.

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Als Beispiele können die Steuerungskompetenzen des Bundesrats gegenüber Swissmedic genannt werden: Der Bundesrat erlässt die strategischen Vorgaben für Swissmedic und ernennt dessen Direktor. Beide Kompetenzen weichen von den Leitsätzen des CorporateGovernance-Berichts ab, sehen doch diese vor, dass der Bundesrat für Einheiten mit Aufgaben der Wirtschafts- und der Sicherheitsaufsicht weder die Geschäftsleitung genehmigt (Leitsatz 4) noch strategische Ziele verabschiedet (Leitsatz 17). Diese Kompetenzen kämen gemäss Corporate-Governance-Bericht dem strategischen Leitungsorganen von Aufsichts- und Regulierungsbehörden, hier dem Institutsrat, zu.

Vgl. zu den aktuellen Revisionsvorlagen PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.2.2 und den dazugehörenden Materialienband, S. 15 u. 39 Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 4.2

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In der Detailanalyse der fünf ausgewählten Behörden werden insbesondere im Bereich der funktionalen und personellen Unabhängigkeit Lücken oder bloss rudimentäre Regelungen auf Gesetzesstufe deutlich.

In funktionaler Hinsicht stellt die PVK fest, dass bei mehreren Behörden der allgemeine Grundsatz der Unabhängigkeit nicht explizit gesetzlich geregelt ist. 16 Während die Autonomie gegenüber der Verwaltung teilweise noch ausdrücklich genannt wird (z.B. bei der WEKO) finden die Unabhängigkeit und Neutralität gegenüber den Beaufsichtigten und dem Markt oft gar keinen Niederschlag auf Gesetzesstufe. So fehlt beispielsweise in den gesetzlichen Grundlagen zu Swissmedic oder der ComCom eine explizite Erwähnung dieser Unabhängigkeitserfordernis. Auch hier kann festgehalten werden, dass diese Gesetzeslücke in den behördeninternen Reglementen teilweise kompensiert wird (z.B. bei Swissmedic; eher ungenügend bei der ComCom), doch ist die GPK-S der Ansicht, dass ein derart wesentliches Merkmal von Aufsichts- und Regulierungsbehörden gerade im Hinblick auf die teilweise weit reichenden Weisungskompetenzen gegenüber ihren Beaufsichtigten einen entsprechenden Ausdruck auf Gesetzesstufe finden müsste.

Auch im Bereich der personellen Unabhängigkeit lassen sich aufgrund der Analyse der PVK Gesetzeslücken ausmachen.17 Die fünf untersuchten Behörden weisen sehr unterschiedlich intensive Regulierungen betreffend die Vermeidung von Interessensbindungen und weiteren Beeinflussungen ihres Personals auf. Teilweise werden auf Verordnungsstufe extensive Regelungen getroffen (z. B. ENSI), teils die Behörden zu einer Selbstregulierung aufgefordert. Die PVK kommt in ihrer Evaluation zum Schluss, dass bei der Sicherstellung der personellen Unabhängigkeit die Selbstregulierung der Behörden eine wichtige Rolle einnimmt.

Die Verpflichtung der Behörden zu einer solchen Selbstregulierung ist jedoch nicht systematisch in allen Spezialgesetzen aufgenommen und fehlt auch in der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzgebung.18 Zudem bestehen in Bezug auf die Selbstregulierung keine Standardisierung oder best practice-Grundsätze. Die Folge ist, so zeigt die Evaluation, dass die behördeninterne Selbstregulierung sehr unterschiedlich ausfällt und einige Behörden keine oder nur rudimentäre Vorgaben zur Vermeidung von Interessenskonflikten
aufgestellt haben. So hat beispielsweise Swissmedic die fehlende Regulierung der personellen Unabhängigkeit auf Gesetzesstufe mit umfangreichen internen Reglementen kompensiert und auch das ENSI weist ausführliche Konkretisierungen in einem internen Verhaltenskodex auf. Demgegenüber zeigt die Detailanalyse beispielsweise bei der ComCom auf, dass die personelle Unabhängigkeit nur rudimentär durch interne Weisungen ausgeführt wurde.

Die GPK-S ist der Auffassung, dass der Normierung der personellen Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden bei zukünftigen Gesetzesvorhaben verstärkt Rechnung getragen werden muss, namentlich durch klare Verpflichtungen zur Selbstregulierung und allenfalls durch entsprechende Controllinginstrumente 16 17 18

Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.2.1 Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.2.3 Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (RVOG; SR 172.010); Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. Nov. 1998 (RVOV; SR 172.010.1)

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(z.B. Genehmigungsvorbehalt der Verhaltenskodizes, Überprüfung im Rahmen der jährlichen Berichterstattung). Zudem ersucht sie den Bundesrat, seine Verordnungsund Aufsichtskompetenzen gegenüber Aufsichts- und Regulierungsbehörden konsequent einzusetzen, um die Selbstregulierung in allen Behörden zu stärken (z. B.

durch die Erarbeitung von best practice-Grundsätzen).

In diesem Sinne begrüsst die GPK-S grundsätzlich, dass bei mehreren der fünf im Detail untersuchten Behörden Teilrevisionen der Gesetzgebungen im Gange sind, in welchen der Bundesrat gemäss PVK-Evaluation dem Aspekt der Unabhängigkeit vermehrt Rechnung trägt.19 Empfehlung 2 Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, bei zukünftigen Gesetzesvorlagen dafür zu sorgen, dass die Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden stufengerecht und ausreichend detailliert gemäss einem einheitlichen Konzept normiert wird.

Dabei sind insbesondere die explizite Verankerung der Unabhängigkeit der Behörden gegenüber dem Bund und gegenüber den Beaufsichtigten sowie die Verpflichtung der Behörden zur Selbstregulierung zu prüfen.

Die Kommission fordert den Bundesrat zudem auf, im Rahmen seiner Verordnungs- und Aufsichtskompetenzen gegenüber Aufsichts- und Regulierungsbehörden auf eine verstärkte Selbstregulierung der personellen Unabhängigkeit hinzuwirken.

2.3

Teilweise geringe Einflussnahme des Bundesrates bei den Wahlen der strategischen Leitungsorgane

Die Spezialgesetzgebung betreffend Aufsichts- und Regulierungsbehörden ermächtigt den Bundesrat, die strategischen Leitungsorgane der Behörden zu wählen bzw.

zu ernennen. Angesichts der Schlussfolgerung in der PVK-Evaluation,20 wonach die Sensibilität der Personen bzw. die Persönlichkeiten in den Leitungsorganen für den effektiven Vollzug der Unabhängigkeit eine entscheidende Rolle spielen, vertritt die GPK-S die Auffassung, dass dem Auswahlverfahren und der Wahl der Leitungsorgane eine grosse Bedeutung zukommt.21

19 20 21

Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.2.2 und den dazugehörenden Materialienband, S. 15 u. 39 Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 4.5 und den dazugehörenden Materialienband, S.

73 Die grosse Bedeutung der Sensibilität von Personen in Aufsichtsbehörden für den effektiven Vollzug der Unabhängigkeit konstatierten die GPK bereits in anderen Inspektionen, z.B. in: Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBSKundendaten an die USA, Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates vom 30. Mai 2010 (BBl 2011 3099, hier 3233).

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Vor diesem Hintergrund erachtet die GPK-S die teilweise passive Rolle des Bundesrates und der jeweils zuständigen Departemente bei den Wahlen der Leitungsorgane als unbefriedigend. Die PVK kommt in ihrer Vollzugsanalyse zum Schluss, dass der Bundesrat die Einflussmöglichkeit über seine Wahlkompetenzen vereinzelt nur beschränkt wahrnimmt. So stellt sie fest, dass nicht in allen Fällen Anforderungsprofile für die Wahl in die Leitungsorgane existieren. Dies ist nach Ansicht der GPK-S problematisch, stellen doch präzise und transparente Anforderungsprofile ein wichtiges Evaluationsinstrument dar, um eine gute und transparente Wahl der Leitungsorgane zu gewährleisten. Hierzu ist positiv anzumerken, dass der Bundesrat in der Vorlage zur Teilrevision des Heilmittelgesetzes gesetzlich verankern will, dass für die Wahl des Institutsrats von Swissmedic ein Anforderungsprofil festgelegt wird.

.22 Diese Bestimmung könnte als Vorbild für die Anpassung der gesetzlichen Grundlagen weiterer Behörden dienen.

Die PVK stellt in ihrer Vollzugsanalyse zudem fest, dass die für die Wahl zuständigen Departemente teilweise Wahlvorschläge der Aufsichts- und Regulierungsbehörden übernehmen, ohne diese näher zu prüfen oder ergänzende Kandidaten zu suchen. Der Bundesrat scheint die Wahlvorschläge in der Regel nur zu bestätigen; es sind jedenfalls gemäss Analyse der PVK keine Fälle bekannt, in welchen der Bundesrat vorgeschlagene Personen nicht gewählt hat.23 Ähnlich wie bereits bei der Inspektion zur Wahl des obersten Kaders durch den Bundesrat kann hier aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht festgestellt werden, dass der Bundesrat sein Wahlrecht und die damit verbundene Steuerungsmöglichkeit nicht konsequent nutzt.24 Nach Auffassung der GPK-S ist es jedoch auch bei verselbstständigten Einheiten der Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht wichtig, dass der Bundesrat die Interessen des Bundes durch einen systematischen Einsatz seiner Steuerungs- und Aufsichtsinstrumente wahrt.

Empfehlung 3 Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, bei der Wahl der Leitungsorgane von Aufsichts- und Regulierungsbehörden die Festlegung von präzisen und transparenten Anforderungsprofilen sicherzustellen sowie seiner Steuerungs- und Aufsichtskompetenz mittels Wahl der Leitungsorgane vermehrt Gewicht beizumessen.

22 23 24

Art. 72 E-HMG, Entwurf vom 7. Nov. 2012 zur Änderung des Bundesgesetzes über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG), BBl 2013 131 Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.3.3 Wahl des obersten Kaders durch den Bundesrat, Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 15. Nov: 2013, BBl 2014 2787

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2.4

Vereinzelt schwache institutionelle und finanzielle Unabhängigkeit gegenüber der Bundesverwaltung

Von den fünf im Detail untersuchten Behörden weist insbesondere die ComCom eine schwach ausgeprägte institutionelle Unabhängigkeit gegenüber der Bundesverwaltung auf. Die Behördenkommission verfügt über kein eigenes Fachsekretariat und ist infolgedessen bei der Vorbereitung ihrer Entscheide weitgehend auf die Arbeiten des Bundesamts für Kommunikation (BAKOM) angewiesen. Bei einem solchen Konstrukt nimmt das zuständige Amt gleichzeitig von der verselbstständigten Behörde wie auch vom zuständigen Generalsekretariat des Departments Weisungen entgegen. Wie der Bericht der PVK aufzeigt, kann diese Verflechtung unter Umständen problematisch sein, da der Bundesrat und die Verwaltung versucht sein könnten, über Weisungen an die zuständigen Mitarbeitenden im BAKOM Einfluss auf die Entscheide der ComCom zu nehmen.25 Die PVK hält jedoch in ihrer Evaluation fest, dass keine solche Einflussnahme seitens des Bundesrates konstatiert werden konnte und die Nähe von Bundesamt und Behörde bisher in der Praxis zu keinen Problemen führte. Zudem stellt die enge Angliederung der Behörde nach Ansicht der Beteiligten eine pragmatische und ökonomische Lösung dar, mit welcher Synergien genutzt und Doppelspurigkeiten vermieden werden können. Schliesslich gilt festzuhalten, dass auch bei einer Konstruktion wie der ComCom der Kernbereich der Unabhängigkeit ­ die weisungsfreie Entscheidkompetenz der Kommission ­ grundsätzlich gewahrt bleibt.

Es ist aber elementar, dass die Behördenmitglieder im Stande sind, die von der Verwaltung geleistete Vorarbeit kritisch zu hinterfragen. Je schwächer die institutionelle Unabhängigkeit einer Behörde ausgestaltet ist, desto wichtiger sind deshalb nach Auffassung der GPK-S die Personen, welche in diesen Behörden tätig sind und ihre Sensibilität für die Unabhängigkeit ihrer Behörde. Auch hier gilt daher die bereits unter Kapitel 2.3 erwähnte Feststellung, dass dem Auswahlverfahren und der Wahl der Leitungsorgane durch den Bundesrat ein hoher Stellenwert einzuräumen ist (vgl. Empfehlung 3).

Die PVK stellt in ihrer Evaluation fest, dass die finanzielle Unabhängigkeit einzelner Behörden ­ insbesondere Behördenkommissionen wie der WEKO und der ComCom ­ schwächer ausgestaltet ist, da deren Budgetkompetenz ganz oder teilweise beim zuständigen Departement liegt. Dadurch besteht theoretisch die Gefahr,
dass die Departemente die Aufsichts- und Regulierungstätigkeit der Behörden durch das Budget zu steuern versuchen.26 Es ist deshalb nach Ansicht der GPK-S auch in Bezug auf die Normierung der finanziellen Unabhängigkeit sinnvoll, ein einheitliches Grundkonzept zu erarbeiten (vgl. Empfehlung 1), damit Behörden mit einer vergleichbaren Funktion auch eine vergleichbare finanzielle Eigenständigkeit aufweisen, insbesondere in Bezug auf die Festsetzung bzw. Genehmigung der Gebührensätze und die Verwendung allfälliger Gewinne.

25 26

Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.3.2 Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.3.4

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2.5

Voraussetzungen für eine Unabhängigkeitskultur

Die PVK stellt in ihrer Analyse des Vollzugs fest, dass die faktische Unabhängigkeit der Aufsichts- und Regulierungsbehörden wesentlich von der Sensibilität der Behördenmitglieder und den in den Behörden tätigen Personen abhängt. Gerade im Bereich der Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht, in welchem von den Personen sowohl Erfahrung im beaufsichtigten Fachgebiet wie auch Neutralität gegenüber den Beaufsichtigten vorausgesetzt wird, besteht ein Spannungsfeld, das nicht alleine mit regulatorischen Vorschriften gelöst werden kann. Die PVK kommt folglich zum Schluss, dass die persönliche Unabhängigkeit der Mitglieder und der Mitarbeitenden, deren Identifikation mit ihrer Rolle sowie deren Sensibilität für Fragen der Unabhängigkeit ­ kurz die gelebte Unabhängigkeitskultur ­ das eigentliche Fundament der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden darstellen.

Die Sicherstellung der Sensibilität der beteiligten Personen lässt sich nach Auffassung der GPK-S in erster Linie durch die bereits in den vorangehenden Kapiteln erwähnten Instrumente erreichen, namentlich durch die Festlegung von Anforderungsprofilen und die Wahl der Leitungsorgane durch den Bundesrat und die Selbstregulierung der Behörden in Form von Verhaltenskodizes (vgl. Empfehlungen 2 und 3).

Die PVK stellt in ihrer Untersuchung jedoch noch weitere Faktoren fest, die sich positiv auf die Sensibilität der beteiligten Personen und damit die Bildung und Stärkung einer Unabhängigkeitskultur in den Behörden auswirken. Zu nennen sind insbesondere Sensibilisierungsmassnahmen innerhalb der Behörden (z. B. Schulungen für die Mitarbeitenden) oder das Vorhandensein einer zweckmässigen Instanz (z. B. Leitungsorgan, Departement), welche im Zweifelsfall beurteilen kann, ob die Unabhängigkeit gewährleistet ist. Als Beispiel kann hier das ENSI genannt werden, bei welchem in Bezug auf potentielle Interessenskonflikte eine Empfehlung des ENSI-Rates oder in Zweifelsfällen eine Beurteilung durch das UVEK eingeholt werden muss.27 Als wichtig für die Stärkung der Unabhängigkeitskultur erscheint zudem, dass die Vorgaben zur Unabhängigkeit der Behörden nicht nur die objektive Unabhängigkeit, sondern auch das subjektive Empfinden der Unabhängigkeit in der Öffentlichkeit berücksichtigen. Als gutes Beispiel kann wiederum die Regulierung beim ENSI genannt
werden, wonach die Mitglieder des ENSI-Rats in keiner Beziehung stehen dürfen, die den «Anschein der Voreingenommenheit» erwecken kann.28 Die GPK-S ist überzeugt, dass die Unabhängigkeitskultur von Aufsichts- und Regulierungsbehörden mit begünstigenden Massnahmen gezielt gefördert werden kann.

Sie ist der Ansicht, dass die genannten Beispiele von Massnahmen, insbesondere die Bestimmung einer zweckmässigen Instanz für die Beurteilung der Wahrung der Unabhängigkeit im Einzelfall, als Vorbild für Behörden dienen können, in welchen bisher keine vergleichbaren Voraussetzungen vorhanden sind.

27 28

Art. 4 Abs. 3 Verordnung vom 12. Nov. über das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSIV; SR 732.21) Art. 4 Abs. 2 ENSIV

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Empfehlung 4 Der GPK-S fordert den Bundesrat auf, Massnahmen zu prüfen, um in den Aufsichts- und Regulierungsbehörden die Sensibilisierung für die Unabhängigkeit zu stärken.

3

Schlussfolgerungen

Insgesamt zeigt die Evaluation nach Ansicht der GPK-S eine gesetzgeberische Vielfalt in der Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden, welche sich nicht durchwegs mit den unterschiedlichen Funktionen der Behörden erklären lässt. Zudem stellt die Kommission fest, dass gewisse gesetzgeberische Lücken bestehen und die Unabhängigkeit einzelner Behörden dadurch nicht umfassend geregelt ist. Positiv ist aber festzuhalten, dass sich aus diesen Lücken anscheinend gegenwärtig in der Praxis keine Schwierigkeiten ergeben, unter anderem weil die Behörden teilweise weitgehende Selbstregulierungen getroffen haben.

Die GPK-S ist jedoch der Auffassung, dass der Bundesrat eine einheitlichere und optimierte Normierung der Unabhängigkeit von Aufsichts- und Regulierungsbehörden anstreben soll, bei welcher die Eckwerte der Unabhängigkeit auf Gesetzesstufe geregelt werden. Sie ersucht den Bundesrat, die grundsätzliche Ausgestaltung der Unabhängigkeit in Form eines einheitlichen Konzepts zu erarbeiten. Dabei können insbesondere die in diesem Bericht verschiedentlich genannten positiven Beispiele von Normierungen herangezogen werden. Die Kommission begrüsst, dass mehrere Teilrevisionen der Gesetzgebungen im Gange sind, in welchen der Bundesrat dem Aspekt der Unabhängigkeit vermehrt Rechnung trägt.29 Die Kommission ersucht den Bundesrat, bis spätestens am 15. Januar 2016 zu ihren Feststellungen und Empfehlungen sowie zur Evaluation der PVK Stellung zu nehmen, und dabei darzulegen, mit welchen Massnahmen und bis wann er die Empfehlungen der Kommission umzusetzen gedenkt.

6. Oktober 2015

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Der Präsident: Hans Hess Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres

29

Vgl. PVK-Evaluation im Anhang, Kap. 3.2.2 und den dazugehörenden Materialienband, S. 15 u. 39

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Abkürzungsverzeichnis Abs.

Art.

BAKOM BBl ComCom EDI ENSI ENSIV EFINMA GPK GPK-S HMG IGE PVK RAB RVOG RVOV SR UBI UVEK vgl.

WEKO

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Absatz Artikel Bundesamt für Kommunikation Bundesblatt Eidg. Kommunikationskommission Eidgenössisches Departement des Innern Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorat Verordnung vom 12. November über das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat, SR 732.21 Entwurf Bundesgesetz Eidg. Finanzmarktaufsicht Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz), SR 812.21 Eidg. Institut für geistiges Eigentum Parlamentarische Verwaltungskontrolle Revisionsaufsichtsbehörde Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997, SR 172.010 Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998, SR 172.010.1 Systematische Rechtssammlung Unabhängige Beschwerdestelle für Radio und Fernsehen Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Vergleiche Wettbewerbskommission