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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege.

(Vom 23. Mai 1874.)

Tit.!

Die neue Bundesverfassung enthält in den Art. 106 bis und mit Art. 114 eine Reihe allgemeiner Bestimmungen über ,, O r g a n i s a t i o n u n d B e f u g n i s s e d e s Bundesgerichtes", deren nähere Ausführung der Gesezgebung vorbehalten ist. Insbesondere schreibt Art. 107 vor, daß die Organisation des Bundesgerichtes und seiner Abtheilungen, die Zahl der Mitglieder und Ersazmänner, sowie deren Amtsdauer und Besoldung durch das Gesez bestimmt werden soll. Andere Artikel überweisen die genauere Fesstellung der Kompetenzen des Bundesgerichtes in Civil- und Straf-Sachen, sowie hinsichtlich der Administrativstreitigkeiten ebenfalls der Gesezgebung. Wir betrachteten daher die Einleitung der Vollziehung dieser Aufgaben als besonders drängend, zumal mehrere Vorschriften des neuen Grundgesezes nur mit der neuen Konstituirung des Bundesgerichtes ins Leben treten können. Unser Justiz- und Polizeidepartement, in dessen Geschäftskreis diese Materie naturgemäß gehört, säumte deßhalb auch nicht, sofort einleitende Maßnahmen zu treffen, sobald die Annahme der neuen Bundesverfassung durch die Mehrheit des Schweizervolkes und der Kantone gesichert war. Der gegenBundesblatt. Jahrg. XXVI. Bd. 1.

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1060 wärtige Präsident des Bundesgerichtes, Herr Ständerath Dr. Blumer,, ließ sich auf verdankenswerthe Weise bereit finden, den ersten Entwurf z u einem B u n d e s g e s e z e ü b e r d i e O r g a n i s a t i o n der B u n d e s r e c h t s p f l e g e auszuarbeiten. Zur Berathung dieses Entwurfes ernannten wir am 4. Mai eine Kommission, welche unter dem Vorsize des Chefs unsers Justiz- und Polizeidepartements am 11. und 12. Mai denselben einer einläßlichen Prüfung unterstellte. Nachdem auch wir noch eine Berathung darüber gepflogen haben, sind wir im Falle, den fraglichen Entwurf den eidg. gesezgebenden Räthen mit folgenden erläuternden Bemerkungen vorzulegen.

Im Allgemeinen war für diesen Entwurf natürlich zunächst der Inhalt der neuen Bundesverfassung maßgebend. Daneben aber wurde auch das bisherige Organisationsgesez vom 5. Juni 1849 berüksichtigt, insoweit nemlich, als seine Bestimmungen für die Zukunft noch als brauchbar erscheinen. Die äußere Eintheilung wurde dagegen ganz umgeändert. Der vorliegende Entwurf zerfällt nun einfach und logisch in vier Abtheilungen: I. Allgemeine Bestimmungen ; II. Civilrechtspflege ; III. Strafrechtspflege; IV. Staatsrechtliche Entscheidungen.

Es schien passend, in einem einzigen Ausführungsgeseze Alles zu vereinigen, was sich auf die Organisation und die Kompetenzen des Bundesgerichtes bezieht. Deßhalb wurde in Ausführung von Art. 113 der neuen Bundesverfassung noch ein vierter Abschnitt unter der Bezeichnung ,,Staatsrechtliche Entscheidungen01 beigefügt, in welchem auch die sogenannten Administrativstreitigkeiten eine passende Ausscheidung gefunden haben. Einzelne Punkte, wie Besoldungsetat, Siz des Bundesgerichtes etc., werden aus den weiter unten zu erwähnenden Gründen speziellen Dekreten vorbehalten.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen gehen wir nun über zu einigen Erörterungen über einzelne spezielle Punkte.

I. Allgemeine Bestimmungen.

Im Artikel l beantragen wir, das Bundesgericht zu bestellen aus 9 Mitgliedern und 6 Ersazmännern. Nach unserer Ansicht empfiehlt sich eine etwelche Reduktion der Mitgliederzahl von selbst, da wir nun ein ständiges und besoldetes Bundesgericht erhalten, das zudem in den ersten Jahren nicht übermäßig beschäftigt sein wird. Doch kann die Reduktion. kaum weiter gehen, als beantragt wird, theils

1061 wegen der drei Abtheilungen, welche für die Strafrechtspflege zu bilden sind, theils wegen der äußerst wichtigen staatsrechtlichen Entscheidungen, die man, da sie in erster und lezter Instanz ergehen werden, in unserm Bundesstaate doch nicht gerne in die Hand einer gar zu kleinen Zahl von Männern legen würde. Für Ci vil Streitigkeiten und insbesondere für Expropriationen und Ehescheidungen mag die Zahl von 9 Mitgliedern als groß erscheinen. Indeß ist im Art. 10 vorgesorgt, daß nicht mehr als 7 Mitglieder an den Verhandlungen Theil zu nehmen brauchen.

Was die Zahl der Ersazmänner betrifft, so hat es dem Bundesrathe geschienen, daß sie ohne Inkonvenienzen auf 6 reduzirt werden könne. Es ist zu wünschen, daß die wirklichen Richter regelmäßig und so oft als möglich den Sizungen beiwohnen; das Ansehen des Gerichtshofes und seiner Doctrin erfordern dieses nothwendig. Die Ersazmänner sollen nur in Fällen entschiedener Abhaltung der ordentlichen Mitglieder des Gerichtshofes einberufen werden, und wenn es sonst unmöglich wäre, den Gerichtshof spruchfähig zu machen.

Von diesem Gesichtspunkte aus wird die vorgeschlagene Zahl der Ersazmänner ohne Zweifel genügen.

In den Artikeln 2 und 3 und im ersten Saze von Art. 4 des Entwurfes sind die Art. 107 und 108 der neuen Bundesverfassung reproduzirt. In dieser Beziehung bleibt daher nichts zu bemerken.

Der Nachsaz zu Art. 4 ist dagegen ergänzend beigefügt worden, und es scheint uns in der That nicht überflüssig zu sein. Es dürfte nemlich zweifelhaft erseheinen, ob die Stellung eines Eisenbahndirektors unter die Worte ,, Beruf oder Gewerbeu subsumirt werden könnte, während diejenige eines Verwaltungsrathes bei irgend einem auf Aktien gegründeten Unternehmen durch diese Worte entschieden nicht ausgeschlossen wäre. Es bedarf aber wohl keiner weitern Ausführung, daß die Theilnahme an der Verwaltung einer Eisenbahn, oder einer Kreditanstalt, oder irgend eines andern finanziellen Unternehmens sich mit dem Amte eines Bundesrichters nicht verträgt. Abgesehen davon, daß der Fall des gesezlichen Ausstandes allzuhäufig eintreten könnte, würde man einem Manne, der bei solchen Unternehmungen in hervorragender Weise betheiligt wäre, auch in Fällen, wo nicht gerade seine Gesellschaft als Partei erschiene, nicht die nöthige Unbefangenheit und Freiheit des Urtheils zutrauen.
Die Fassung des 2. Sazes von Art. 4 lautet übrigens nur gegen die Direktoren und Verwaltungsräthe solcher Gesellschaften, die einen Erwerb bezweken. Die Unvereinbarkeit, um die es sich hier handelt, hat gegenüber Wohlthätigkeitsgesellschaften und geselligen Vereinen keinen Grund.

1062 Art. 5 ist gleichlautend mit den drei lezten Säzen des Art. 53 des bisherigen Gesezes.

Art. 6. Was die Amtsdauer des Bundesgerichtes betrifft, so konnte es sich zunächst fragen, ob man die Integralcrneuerung beibehalten, oder aber die Partialerneuerung einführen wolle. Der Bundesrath stellt, in Uebereinstimmung mit der Kommission, den Antrag, die Amtsdauer der Mitglieder des Bundesgerichtes und ihrer Ersazmänner auf 6 Jahre zu fixiren und die Erneuerung in zwei Serien vorzunehmen. Die eine Serie würde bestehen aus fünf Mitgliedern und drei Ersazmännern, die andere aus vier Mitgliedern und drei Ersazmännern. -- Was zunächst die vorgeschlagene Amtsdauer von 6 Jahren, am Plaze der durch die Bundesverfassung von 1848 vorgeschriebenen 3 Jahre, betrifft, so hat es dem Bundesrathe geschienen, daß sie sich für eine richterliche Behörde, in welcher eine gewisse Stabilität unumgänglich nothwendig ist, rechtfertige.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben für ihre buudesgerichtliche Magistratur das Princip der Lebenslänglichkeit angenommen. Allein dieses Princip, das ebenfalls durch die Gesezgebung mehrerer großer Staaten Europas anerkannt ist, würde sich nur schwer mit unsern Sitten und politischen Institutionen vertragen.

Indeß erachtet der Bundesrath, daß zwischen einer Ernennung auf Lebenszeit und einer solchen auf drei Jahre eine mittlere Dauer zu wählen bleibe. Wenn den Funktionen eines Bundesrichters eine doppelt so lange Dauer eingeräumt wird, als das Mandat eines Mitgliedes des National- oder Bundesrathes dauert, und wenn das System der Erneuerungswahlen in zwei Hälften angenommen wird, so gibt man dem Gerichtshofe jene Stätigkeit und jenen Geist der Gleichförmigkeit, der einem großen gerichtlichen Verbände unentbehrlich ist, und man gewährt gleichzeitig jeder Legislatur der Bundesversammlung die Möglichkeit, an der Komposition des Bundesgerichtes mitzuwirken.

Wenn dieses System Ihre Anerkennung fände, so würde die Bundesversammlung, sobald das neue Gesez über die Gerichtsorganisation in Kraft getreten, die erste Gesammtwahl von neun Richtern und von sechs Ersazmännern vornehmen, welche durch das Loos in zwei Serien getheilt werden müßten. Die erste Serie würde ganz ausnahmsweise nur für drei Jahre gewählt.

Der Bundesrath sezt einen großen Werth darauf, daß die Wahlen der Mitglieder
des Bundesgerichtes nicht mit den politischen Wahlen zusammentreffen. Die Bundesverfassung von 1874 gibt hierin dem Gesezgeber volle Freiheit, und der vorliegende Entwurf macht hievon in dem Sinne Gebrauch, daß er die erste Wahl des Bundesgerichtes vornehmen will, sobald das Gesez in Kraft getreten

1063 sein wird. Wenn dasselbe von der Bundesversammlung im Juni oder Juli 1874 angenommen würde, so könnte es entweder mit dem Ablaufe der Referendumsfrist, oder selbst durch das Referendum noch vor dem Ende des Jahres in Kraft treten, so daß die Bundesversammlung in der Lage wäre, im Dezember nächsthin den neuen Gerichtshof zu bestellen. Die Erneuerungswahlen würden sich dann von drei zu drei Jahren folgen, ohne weder mit der Integralerneuerung des Nationalrathes, noch mit derjenigen des Bundesrathes zu coincidiren.

Im Art. 7 haben wir das bisherige Verfahren bei der Wahl des Präsidenten des Bundesgerichtes beibehalten; die Bundesversammlung würde sich auch kaum die Wahl desselben entziehen lassen. Dagegen dürfte sie damit einverstanden sein, wenn die Wahl des Vice-Präsidenten dem Bundesgerichte zugewiesen wird, wodurch der Bundesversammlung die langweilige Arbeit von oft zahlreichen Scrutinien, die gerade für diese Stelle meistens nöthig werden, erspart und zugleich dem Bundesgerichte einen gewissen, nach unserer Ansicht berechtigten Einfluß auf die Wahl seines Arorstandes gesichert würde. Die Bundesversammlung könnte dann in dieser Wahl einen Vorschlag für die nächste Präsidentschaft finden, ohne daß sie jedoch daran gebunden wäre. Die Verlängerung der Amtsdauer des Präsidenten und Vice-Präsidenten auf drei Jahre seheint sich durch die vorgeschlagene Verlängerung der Amtsdauer im Allgemeinen zu rechtfertigen.

Art. 8 und 9. Der Grundsaz,daß das Bundesgericht selbst seine Kanzlei bestelle, ist in der neuen Bundesverfassung (Ai-t. 109), wie in der bisherigen enthalten. Die Ernennung von zwei Gerichtschreibern, wovon der eine der deutsclien, der andere der romanischen Schweiz angehören soll, scheint dem Bundesrathe eine Notwendigkeit zu sein, damit die von dem Gerichtshöfe ausgehenden Akten in jedem einzelnen Falle die originale und authentische Redaktion in der Sprache der Parteien erhalten können. Im Uebrigen wird die Vermehrung des Kanzleipersonals wahrscheinlich nur allmälig eintreten, und da sich der Umfang des Bedürfnisses nicht von Anfang an voraussehen läßt, so scheint es sich zu rechtfertigen, wenn hierin dein Bundesgerichte freie Hand gelassen wird, immerhin mit dem Vorbehalte, daß die Bundesversammlung alljährlich bei Feststellung des' Budgets ihm den erforderlichen Kredit anweisen soll.
Art. 10 schreibt vor, daß zur Beschlußfähigkeit des Gerichtes für alle wichtigern Fragen sieben Richter anwesend sein mü.ssen.

Ueberdies hat es dem Bundesrathe geschienen, es sei nöthig, ausdrüklich zu bestimmen, daß die Zahl der berathenden und absthn-

1064 menden Mitglieder ungerade sein müsse. Die Erfahrung des gegenwärtigen Bundesgerichtes hat gezeigt, daß wenn acht Richter sizen, ein Urtheil zu Stande kommen kann mit vier Stimmen gegen vier, indem die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gab. Ein solches Urtheil, besonders wenn es aus einer öffentlichen Berathung hervorgegangen ist, hat nicht das Ansehen für sich, daß es aus der wirklichen und numerischen Mehrheit hervorgegangen sei. Nach dem Entwurfe soll diese Mehrheit die nothwendigc Bedingung sein, für jeden Entscheid und jede Wahl des Bundesgerichtes.

Art. 11. Der Bundesrath empfiehlt, dem Bundcsgcrichtc einen festen Amtssiz zu geben und zu bestimmen, daß die Mitglieder daselbst ihren Wohnsiz nehmen müssen. Der gegenwärtige Zustand ist unvereinbar mit den neuen Aufgaben, welche die Bundesverfassung dem Gerichtshofe zuweist. Es wird derselbe in Civilsacheu und wegen Fragen des öffentlichen Rechtes häufig Sizung halten müssen und bald ein Archiv und ein bedeutendes Material besizen.

Damit auch das Studium der Akten, das in einem zum großem Theil schriftlichen Prozeßverfahren, von der größten Wichtigkeit ist, mit der nothwendigen Sorgfalt und Regelmäßigkeit stattlinden kann, ist ein fester Siz des Gerichtes und seiner Mitglieder absolut nothwendig. Die Beziehungen des Tribunals und seiner Kanzlei mit dem Publikum und den Parteien fordern ihn ebenfalls.

Im Schöße der Kommission, welcher der Bundesrath die Berathung dieses Gesezentwurfes übertragen hat, stellte eine Minderheit den Antrag, daß nur für die Kanzlei des Bundesgerichtcs ein fester Siz 'zu bezeichnen und im Uebrigeu zu bestimmen sei, daß das Gericht abwechselnd je zu einer Session in der deutschen Schweiz und zu der andern Session in der französischen Schweiz sich besammle, während den Richtern freigestellt bliebe, den Wohnsiz beizubehalten, den sie zur Zeit der Wahl hatten. Diese Kombination würde allerdings die ziemlich große Schwierigkeit heben, die in der Bezeichnung eines festen Amtssizes liegt, was nicht wird geschehen können, ohne Blitbewerber und Rivalitäten hervorzurufen.

Allein der Buudesrath beharrt nichtsdestoweniger auf dem Glauben, daß ein fester Amtssiz nothwendig sei und selbst im Interesse einer prompten Justiz liege. Dieses Interesse fordert in der T hat, daß die Richter nahe beisammen wohnen und daß sie die
Akten und nothwendigen Hilfsmittel fortwährend zu ihrer Verfügung haben, was nur möglich ist, wenn das Archiv, eine Bibliothek und die Gerichtskanzlei vollkommen organisirt sind. Die Circulation der Akten unter den über das ganze Land zerstreut wohnenden Richtern würde selbst bei den heutigen Verkehrsmitteln bedeutende Unannehmlichkeiten und Verzögerungen im Gefolge haben.

1065 Wenn der Bundesrath dafür sich ausspricht, daß das Bundesgericht und dessen Mitglieder einen einzigen und den gleichen Amtssiz haben müssen, so geht er zugleich von der Ansicht aus, daß nicht die Bundesstadt dieser Amtssiz sein soll. Die Décentralisation ist die Grundlage selbst eines Bundesstaates, und die Concentration der verschiedenen Gewalten rechtfertigt sich hier nur dann, wenn sie durch ein wirkliches Bedürfniß geboten ist. Wenn nun auch in der That es nothwendig ist, daß die gesezgebende und die vollziehende Gewalt den gleichen Siz haben, so liegt eine solche Nothwendigkeit für die richterliche Gewalt nicht vor. Es können im Gegentheil vom Standpunkte der Unabhängigkeit aus wesentliche Vortheile damit verbunden sein, daß das Bundesgericht außerhalb der laufenden Politik stehe, welche nothwendig die politischen Behörden umgibt und deren spezielle Sphäre sie ist. · Der Bundesrath will nicht in weitere Erörterungen über diesen Spezialpunkt eintreten ; er enthält sich auch, bei Anlaß des Gesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege, einen Vorschlag über den künftigen Siz des Bundesgerichtes zu machen. Er nimmt an, daß die Bezeichnung dieses Sizes durch einen Spezialbeschluß geschehen werde, wie dieses im Jahr 1848 bezüglich der Stadt Bern geschehen ist. Er wird einen solchen Beschluß beantragen, wenn die Bundesversammlung die Frage eines festen und besondern Amtssizes im Prinzip entschieden haben wird. Indeß kann der Bundesrath sich doch nicht enthalten, hier noch daran zu erinnern, daß alle Theile der Eidgenossenschaft verlangen können, au den materiellen Vortheilen, welche die neuen politischen Institutionen der Schweiz; bieten, zu partizipiren, und daß die Gerechtigkeit fordert, hierauf Rüksicht zu nehmen.

Schließlich muß der Bundesrath hier noch beifügen, daß wenn er nicht jezt schon einen Vorschlag macht bezüglich der Besoldung der Bundesrichter und der Gerichtsschreiber, sowie bezüglich der Entschädigung der Ersazmänner, dieses darum nicht geschieht, weil ihm scheint, daß diese Frage in direktem Zusammenhang stehe mit der Frage des obligatorischen Domizils. Wenn die leztere einmal gelöst ist, so wird der Bundesrath auch hierüber den Entwurf zu einem Spezialdekret vorlegen, zumal die Bundesversammlung auch, mit einem Spezialdekret die Besoldung der Mitglieder des Bundesrathes
und des Kanzlers der Eidgenossenschaft festgestellt hat.

Art. 12. Zur Unterstüzuug des Gesagten glauben wir auf die Bestimmung im Art. 108 der neuen Bundesverfassung hinweisen zu sollen, wonach die Mitglieder des Bundesgerichtes keine andere Beamtung, sei es im Dienste der Eidgenossenschaft, sei es in einem Kanton, bekleiden, noch irgend einen andern Beruf oder Gewerbe

1066 betreiben dürfen. Es kann in der That dieser Bestimmung kein anderer Sinn unterlegt werden, als daß die Mitglieder des Bundesgerichts, gleich den Mitgliedern des Bundesrathes, ihre Kantone zu verlassen und ihren Wohnsiz in derjenigen Stadt zu nehmen haben, welche als Amtssiz des Bundesgerichtes erklärt wird. Es wird Aufgabe des Besoldungsdekretes sein, ihnen eine derartige Uebersiedelung, überhaupt die Annahme der neu geschaffenen Stellung, möglich zu machen. Die äußere Gleichstellung mit den Mitgliedern des Bundesrathes schien es auch zu fordern, daß die Artikel l bis 6 des Bundesgesezes vom 23. Dezember 1851 (Off. Sammlung III, S. 33 u.-ff.) auf die Mitglieder des Bundesgerichtes analoge Anwendung finden sollen. Auch sie sollen so wenig als möglich den Gesezen und Behörden ihres nicht selbst gewählten, sondern durch das Bundesgesez ihnen auferlegten Wohnortes unterworfen sein; sie sollen ihr politisches und bürgerliches Domizil in ihrem Heimatkanton beibehalten.

Art. 13. Gerichtsferien sind in den meisten Kantonen bereits gesezlich angenommen oder Sache der Gewohnheit.

Dem Bundesgerichte dürfen sie um so eher bewilligt werden, als es in den ersten Jahren wohl nicht allzusehr mit Geschäften überhäuft sein wird.

Um indessen den leitenden Gedanken, daß das Bundesgericht eine permanente und nicht mehr, wie bis dahin, eine in der ganzen Schweiz zerstreute Behörde sein soll, nicht abzuschwächen, haben wir eine bescheidene Maximaldauer der Ferien aufgestellt und zudem den Präsidenten, beziehungsweise den Vizepräsidenten, verpflichtet, während der Ferien im Amtssize zu verbleiben. Lezteres wird namentlich vorgeschlagen mit Rüksicht auf Empfangnahme eingehender Akten und allfällig erforderlicher Präsidialvcrfügungen.

Die Art. 14 und 15 sind nahezu gleichlautend mit Art. 56, 57 und 58 des Gesezes von 1849. Man hat einzig den § l des Art. 14 allgemeiner gefaßt und darin als unbedingten Grund der Ablehnung eines Richters die im ersten § des alten Art. 57 vorgesehenen Fälle aufgenommen. Diese Aenderung ist eine selbstverständliche.

Art. 14 stimmt im Allgemeinen überein mit Art. 56 des bisherigen Gesezes. Ziffer 3 wurde am Schlüsse etwas abgekürzt, weil es passend scheint, daß auch Jemand, der außergerichtlich als Bevollmächtigter einer Partei gehandelt hat, vom Richteramte auszuschließen sei,
dagegen dürfte das ,,Handeln", namentlich als Bevollmächtigter, auch den Auftrag zu gerichtlichen Handlungen in sich begreifen. In Ziff. 4 wurde statt der ,,Sachen seines Heimatkantons"

10(57 eine etwas präzisere Redaktion gewählt, weil nunmehr der Fall häufig eintreten wird, daß zufolge Art. 113 der Bundesverfassung Beschwerden erhoben werden gegen Verfügungen richterlicher oder anderer Behörden des Heimatkantons, bei welchen lezterer selbst weder zu gewinnen noch zu verlieren hat, und der betreffende Bundesrichter, weil der kantonalen Amtsphäre entrükt, ganz unbefangen ist.

Art. 15 stimmt ebenfalls beinahe wörtlich mit Art. 57 und 58 des bisherigen Gesezes überein. Die einzige wesentliche Aenderung besteht darin, daß am Schlüsse gesagt wird, ,,in streitigen Fällen"1 statt ,,in beiden Fällen." Wir glauben nemlich, daß es keines weitern Entscheides bedürfe, wenn beide Parteien und der betreffende Richter selbst über die Rekusation einverstanden sind.

Art. 16 entspricht dem Art. 63 des bisherigen Gesezes, mit der Modifikation, daß die Ernennung von a u ß e r o r d e n t l i c h e n Ersazmännern für Fälle, in denen das Bundesgericht mit den ord e n t l i c h e n Ersazmännern nicht verhandlungsfähig gemacht werden könnte, der Bundesversammlung entzogen wird. Es scheint neinlich, daß im Interesse der Beförderung der Justiz nicht erst der Zusammentritt der Bundesversammlung abgewartet werden dürfe, bevor das Bundesgericht in die Behandlung eines solchen Falles eintreten könne. Für solche, übrigens wahrscheinlich nicht häufig vorkommende Falle kann der Ausweg, daß die nöthigen außerordentlichen Ersazmänner durch das Loos aus den Präsidenten der obersten Gerichtshöfe der Kantone bestimmt werde, keine Inkonvenienzen bieten.

Art. 17. Auch dieser Artikel entspricht beinahe ganz dem bisherigen Art. 54, mit der Modifikation, daß die Beeidigung des Staatsanwaltes in allen Fällen vor dem Bundesrathe geschehen soll, was bei den jezigen Verkehrsmitteln leichter auszuführen ist als im Jahr 1849. Da es sich bei der Strafjustiz des Bundes in der Regel um politische Prozesse handelt, so ist es ohnehin besser, wenn der Bundesanwalt sich persönlich nach Bern begibt, um seine Instruktionen zu empfangen.

In Art. 18, 19 und 20 wurde aus den bisherigen Artikeln 64 -- 72 des Bundesgesezes vom 5. Juni 1849 dasjenige herübergenommen, was als nothwendig erschien.

Art. 21 entspricht dem bisherigen Art. 73.

Ebenso Art. 22 den bisherigen Artikeln 78 und 79. Indeß wurde hier die längst antiquirte Bestimmung
weggelassen, daß wenn eidg. Justizbehörden in einem Kanton in Thätigkeit treten, die Kanton sregierung hievon zu benachrichtigen sei.

Art. 23 ist übereinstimmend mit dem bisherigen Art. 85.

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IL Zivilrechtspflege.

Art. 25 wiederholt den Art. 110 der neuen Bundesverfassung mit folgenden Zusäzeu: a. In Ziff. 2 mußte ein Minimalwerth für die Kompetenz des Bundesgerichtes angesezt werden. Bis jezt war derselbe nach dem Geseze von 1849 Fr. 3000 alte Währung oder Fr. 4500 neue Währung. Es scheint uns nun, man dürfe diesen Ansaz bei einem ständigen Bundesgerichte füglich auf Fr. 3000 neue Währung heruntersezen, zumal für den Bund als Beklagten das Bundesgericht doch das allein richtige Forum ist; b. in Uebereinstimmung mit Art. 47, Ziff. l, Litt, c des bisherigen Gesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege haben wir, auch abgesehen vom Werthe, alle Fälle, in denen a u sw a r t i g e Kläger den Bund belangen, in die Kompetenz des Bundesgerichtes gelegt ; c. auch in der neuen Bestimmung der Ziff. 4 mußte ein Minimalwerth festgesezt werden, zumal Art. 110 der Bundesverfassung dieses vorschreibt. Die Verfassung des Kantons Schaffhausen hat im Art. 61 bereits die nemliche Bestimmung und ruft bezüglich des Wertlies dem Art. 47, Ziff. 4 des bisherigen Gesezes. Da nun auch bei dem forum prorogatum, von welchem in Art. 27 die Rede ist, der Miuirnalwerth ebenfalls auf Fr. 3000 neue Währung herabgesezt ist, so glaubten wir es auch hier thuu zu sollen. Wenn einmal ein ständiges Bundesgericht existirt, so müssen wir nicht mehr fürchten, demselben zu viel Geschäfte zuzuweisen, und was die vermehrten Kosten für die Parteien betrifft, so können dieselben, soweit auch bei den jezigen Verkehrsmitteln noch ein Unterschied vorhanden ist, gerade in den Fällen, um die es sich hier handelt, der vollkommenen Unbefangenheit-des Bundesgerichtes gegenüber, nicht in Betracht kommen.

Im Art. 25 stimmt der Eingang mit Art. 114 der Bundesverfassung überein. Im Uebrigen gingen wir davon aus, daß der leichter Uebersicht wegen diejenigen zivilrechtlichen Kompetenzen zusammengestellt werden sollen, welche dem Bundesgerichte bis jezt infolge des Art. 106 der Bundesverfassung von 1848 übertragen worden sind. Die Expropriationen und die Ehescheidungen, welche bis anhin das Bundesgericht am meisten beschäftigten, und auch in Zukunft noch reichlichen Stoff liefern werden, sind begreiflicherweise im Geseze von 1849 noch nicht erwähnt. Daneben hat das neue Eisenbahngesez für das Bundesgericht eine Anzalü von Köm-

10(59 « petenzen aufgestellt, welche man dort mit Mühe zusammensuchen muß, während sie im vorliegenden Entwürfe an einander gereiht sind. Endlich glaubten wir der Vollständigkeit wegen auch noch das erst im Entwurfe vorliegende Gesez über die Verpfändung und Zwangsliquidation von Eisenbahnen erwähnen zu sollen.

Art. 26 ist von der größten Wichtigkeit. Die schweizerische Rechtseinheit, welche durch Art. 64 der Bundesverfassung auf einem allerdings nur beschränkten Gebiete in Aussicht genommen ist, wird nur dann von entschiedenem praktischem Werthe sein, wenn für eine gleichförmige Praxis der Gerichte in der Anwendung der zu erlassenden Bundesgeseze civilrechtlichen Inhaltes gesorgt wird, und dieser Zwek kann nur in der Weise erreicht werden, daß man gegen die Urtheile kantonaler Gerichte einen Weiterzug an das Bundesgerieht öffnet. War man hierüber bei den Berathungeu über die Bundesrevision so ziemlich einverstanden, so gingen dagegen die Ansichten darüber, ob dieser Weiterzug in der Form der Appellation oder der Kassation stattfinden solle, bedeutend auseinander.

Der Nationalrath hatte im Jahre 1872 bereits in der Bundesverfassung selbst den Grundsaz aussprechen wollen, daß das Bundesgericht nur Kassationsbehörde sein solle in Civilsachen, bei denen die Anwendung der zu erlassenden Bundesgeseze in Frage kommt; der Ständerath dagegen trat dem Beschlüsse des Nationalrathes nicht bei, und so entstand der jezige Art. 114 der Bundesverfassung, welcher die Frage, in welcher Weise der Weiterzug au das Buiidesgericht zu organisiren sei, gänzlich offen gelassen hat.

Es kann sich zunächst darum handeln, ob diese grundsäzliche Frage jczt schon zu entscheiden sei, obschon die im Art. 64 der Bundesverfassung vorgesehenen Geseze noch nicht erlassen sind und zum Theil wohl erst nach einigen Jahren zur Annahme gelangen werden. Wir halten dafür, daß allerdings gerade das Organisationsgesez für das Bundesgericht der passendste Anlaß sei, um die Frage zu lösen, und glauben auch nicht, daß der Entscheid ohne Nachtheil verschoben werden könnte, indem schon in der nächsten Sizung die Gesezesentwürfe über den Frachtverkehr, sowie über Tödtungen und Verlezungen auf Eisenbahnen u. s, w. vorgelegt werden sollen, bei welchen die Ergreifung geeigneter Mittel, um eine gleichförmige Anwendung derselben durch die kantonalen
Gerichte zu sichern, ebenfalls als dringend geboten erscheint.

Ein unbeschränktes Berufungsrecht an das Bundesgericht in der Weise, daß gegen jedes Urtheil kantonaler Gerichte, gleichviel ob es sich dabei hauptsächlich um thatsächliche oder um rechtliche Fragen handle, die Appellation ergriffen werden könnte, würde ohne Zweifel manche Vortheile darbieten. Die Fragen des That-

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bestandes und der Rechtsanwendung hängen oft auf das innigste mit einander zusammen, und der oberste Gerichtshof kann im einzelnen Falle nur dann ein vollkommen gerechtes Urtheil fällen, wenn er freie Hand hat für die Beurtheilung aller Verhältnisse, welche dabei in Betracht kommen. So wichtig indessen diese Vorzüge einer eigentlichen Appellationsinstanz sind, 'so würde doch, wollte man das Bundesgericht 'zu einer solchen erheben, die ausserordentliche Verschiedenheit der kantonalen Prozeßgeseze große, beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten. Würde die Bundesverfassung die Möglichkeit geöffnet haben, eine einheitliche Gesezgebung auch über den Civilprozeß aufzustellen, so wäre es leicht und wohl auch passend gewesen, das unbeschränkte Appellationsverfahren einzuführen; nun aber, da für die Ermittlung der Thatschen nichts anders übrig bliebe als in zweiter Instanz sich an dasjenige kantonale Prozeßgesez zu halten, welches dem Verfahren vor erster Instanz als Norm diente, könnte von einer gleichförmigen gerichtlichen Praxis doch nicht in vollem Umfange die Rede sein. Es würde auch das Aktenmaterial, welches von den kantonalen Gerichten an das Bundesgericht gelangen würde, keineswegs immer ein vollständiges, zur Würdigung der thatsächlichen Verhältnisse genügendes sein, indem z. B. die Zeugenverhöre nicht in allen Kantonen protokollirt werden. Unter diesen Umständen schien es uns, es müsse von einer unbeschränkten Appellation abstrahirt und die Aufgabe des Bundesgerichtes dahin beschränkt werden, daß es> unter Zugrundelegung des von den kantonalen Gerichten festgestellten Thatbestandes, lediglich die Frage der richtigen Anwendung des Gesezes zu prüfen habe. Daß es dann aber in dieser Funktion nicht weiter zu beschränken sei und namentlich nicht etwa, wie es in Frankreich üblich ist, ein unrichtig befundenes Urtheil an eine untere Instanz zurükweisen müsse, sondern es selbst a b ä n d e r n könnne, glauben wir durch die allgemein gehaltene Fassung, die wir dem Art. 27 geben, hinlänglich ausgedrükt zu haben.

Eine wichtige Frage ist ferner, ob man den Weiterzug an das Bundesgericht gestatten wolle schon gegen erstinstanzliche oder erst gegen leztinstanzliche Urtheile der kantonalen Gerichte. Wählt man das Leztere, so schafft man allerdings für die meisten Kantone eine dritte Instanz; allein
das erstere Auskunftsmittel würde doch zu sehr in die Gerichtsorganisation der Kantone eingreifen, · welchen die Rechtsprechung im Art. 64 der Bundesverfassung ausdrüklich garantirt ist. Allerdings sind daneben die dem Bundesgerichte einzuräumenden Kompetenzen vorbehalten ; aber es kann diesem Vorbehalte doch nicht wohl die Auslegung gegeben werden, daß daSi Bundesgericht an die Stelle der kantonalen Obergerichte zu treten

1071 habe. Den Nachtheil einer dritten Instanz können übrigens die Kantone selbst dadurch beseitigen, daß sie für gewisse Arten von Rechtsstreitigkeiten nur e i n e regelmäßige Instanz aufstellen, wie es z: B. im Kanton Zürich mit den Handelsstreitigkeiten der Fall ist.

Was endlich die Werthsumme betrifft, welche ein Streitgegenstand erreichen muß, um an das Bundesgericht gezogen werden zu können, so ist in dieser Hinsicht einerseits darauf Rüksicht zu nehmen, daß nicht wegen allzu hohem Minimum nur in sehr wenigen Fällen die Berufung stattfinden könne, weil alsdann eben eine gleichförmige Praxis in der Anwendung der Bundesgeseze nicht in allen Beziehungen oder doch nur sehr langsam sich bilden könnte ; andererseits aber darf mit Rüksicht auf die größern Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht, sowie zur Verhütung allzugroßer Geschäftslast, welche mit der Zeit für unsern obersten Gerichtshof eintreten könnte, das Minimum auch nicht allzuniedrig angesezt werden. Wir glauben, daß diesen beiden Erwägungen so ziemlich Rechnung getragen sein dürfte, wenn wir die Summe, mit welcher das Recht des Weiterzuges an das Bundesgericht beginnt, auf Fr. 3000 festsezen, auf denjenigen Betrag also, welcher bereits auch in den Art. 24 und 27 vorgeschrieben ist für Fälle, in denen das Bundesgericht erstund leztinstanzlich entscheidet.

Art. 27. Der erste Saz entspricht dem Art. 111 der neuen Bundesverfassung; der zweite Saz dem Art. 47, Ziff. 7 des bisherigen Gesezes. Was die Werthsumme betrifft, so verweisen wir auf das bereits Gesagte.

III. Strafrechtspflege.

Art. 28 wiederholt lediglich den Art. 112 der Bundesverfassung unter Berufung auf die damit in Verbindung stehenden Art. 73 bis 77 des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853.

Art. 29 entspricht im Wesentlichen den Artikeln 8 und 9 des bisherigen Gesezes. Nur fanden wir es praktischer, eine alljährliche Gesammterneuerung aller drei Kammern, jedoch ohne Ausschluß der Wiederwählbarkeit einzuführen, anstatt die bloß theilweise Erneuerung der Anklagekammer beizubehalten.

Art. 30 entspricht dem bisherigen Art. 10, und Art. 31 den bisherigen Artikeln 19 bis 21.

Art. 32. Mit diesem Artikel wurde die seit 1857 bestehende Praxis gesezlich sanktionirt. Diese Praxis gründet sieh auf einen Bundesbeschluß vom 23. September 1856, dahin gehend, daß die

1072 in Folge Resignation des damaligen Funktionärs frei gewordene Stelle des eidgenössischen Generalanwaltes einstweilen nicht mehr zu besezen sei. Hiedurch wurde dem Bundesrathe die Möglichkeit gegeben, jeweilen diejenige Persönlichkeit als Bundesanwalt zu wählen, die für den speziellen Fall vorzugsweise geeignet zu sein schien.

Dieses Verfahren empfiehlt sich auch für die Zukunft. Bei der geringen Zahl von Straffällen, welche das Bundesgericht in Zukunft wie bis dahin zu behandeln haben wird, ist dieses das allein passende Verfahren.

Art. 33. Wenn nach Art. 12 des bisherigen Gesezes nicht weniger als fünf verschiedene Kriminalkammern jährlich bezeichnet werden mußten, während in der Regel keine etwas zu thun hatte, so erklärt sich diese sonderbare Einrichtung daraus, daß man im Jahre 1849 nicht bloß der Verschiedenheit der Sprachen, sondern auch den Entfernungen und der daraus entstehenden Kostenvermehrung glaubte Rechnung tragen zu müssen. Der leztere Grund fällt nun natürlich weg, weil in Zukunft alle Bundesrichter am nemlichen Orte wohnen werden und die Sprachverschiedenheit dadurch berüksichtigt werden kann, daß alle drei Nationalsprachen in der Kriminalkammer vertreten sein müssen. Man kann also ganz wohl die fünf Kammern auf Eine reduziren, wodurch es-um so eher möglich wird, die Mitglieder der Kriminalkammer nicht bloß bei der Wahl der Anklagekammer zu übergehen, sondern auch bei derjenigen des Kassationsgerichtes, welches der Kriminalkammer gegenüber die obere Instanz bildet.

Zum Präsidenten der Kriminalkammer kann nicht ohne Weiteres das erstgewählte Mitglied bezeichnet werden, sondern die Mitglieder werden je nach dem Sprachgebiete, dem der Verhandlungsort angehört, im Vorsize unter sich abwechseln müssen. Zu diesem Ende schlagen wir vor. daß für jeden einzelnen Fall das Bundesgericht den Assisenpräsidenten aus den drei Mitgliedern der Kammer bezeichnen soll.

Absaz 2 des Art. 33 entspricht dem bisherigen Artikel 15, Lemma 3.

Art. 34 und 35 stimmen überein mit den bisherigen Artikeln 22 bis 24, und 28. Wir haben einzig die Aenderung vorgenommen, daß wir vom Kanton Graubünden nicht bloß Misox und Calanca, sondern alle italienisch redenden Gemeinden, also auch die Thäler Bergeil und Puschlav dem fünften Assisenbezirke einverleibt haben.

Sollte einmal im Kanton Tessin ein eidgenössisches
Schwurgericht von politischer Bedeutung stattfinden müssen, so würden gerade die italienisch redenden Graubündner das einzige unbefangene Element für dasselbe liefern.

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Art. 36 ist übereinstimmend mit dem bisherigen Art. 25, und t. 37 mit dem bisherigen Art. 26.

Ebenso entspricht der Art. 38 den bisherigen Art. 27, 29 und . Es haben hier nur folgende Modifikationen stattgefunden, daß : unbestimmte Bezeichnung ^Kantonalbehörden"1 durch das Wort antonsregierungen" ersezt, daß ferner statt des Bundesrathes das i ebenfalls permanente Bundesgericht zum Depositar der Geiwornenlisten gemacht und daß endlich der Nachsaz von Art. 31 überflüssig gestrichen wurde.

Art. 39 ist der durch eine Novelle vom 16. Juli 1862 (Amtl.

mmlung VII, Seite 302) abgeänderte Art. 30 des bisherigen Gees.

Art. 40 entspricht den bisherigen Artikeln 33 und 34. Da man 3r künftig keine kantonalen Behörden mehr für die Ausloos'ung · engern Liste in Anspruch zu nehmen braucht, so wurde die sprechende Aenderung vorgenommen, indem die Ausloosung nun ·ch die Kriminalkammer selbst geschehen kann, deren Mitglieder der Regel ohnehin bei einander sein werden. -- Was die Bundessvaltschaft betrifft, von welcher hier und in den folgenden Artikeln Rede ist, so wurde aus den zum Art. 32 hervorgehobenen Grüni deren Organisation, wie sie in den Art. 43 bis 46 des Gesezes i 1849 aufgestellt war, fallen gelassen.

Die Art. 41 bis 45 entsprechen den bisherigen Art. 35 bis 40.

:, 46 bis 48 den bisherigen Art. 82 bis 84.

Art. 49 umschreibt zuerst die Kompetenzen des Kassationsichtes, wie sie durch das Bundesgesez über den Strafprozeß und ·eh dasjenige über fiskalische Uebertretungen festgestellt sind, süglich der Organisation schließt er sich sodann im Wesentlichen dias bisherige Gesez (Art. 13) an, nach welchem das Kassationsicht aus dem Präsidenten des Bundesgerichtes und vier Mitglien bestehen soll. Zu der Oekonomie des gegenwärtigen Entwurfes te es allerdings besser gepaßt, wenn diese Kammer des Bundesichtes, gleich den beiden andern Kammern, auf drei Mitglieder n Präsidenten inbegriffen) reduzirt worden wäre ; allein die Wichteit der Entscheidungen, welche das Kassationsgericht unter Umnden zu treffen haben kann, schien eine solche Reduktion doch ht wohl zu erlauben. Wenn nun unter den fünf Mitgliedern ;rdings nur drei sein werden, welche weder in der Anklagekamr, noch in der Kriminalkammer sizen, so ist doch auf der andern te zu berüksichtigen : 1) daß in den Kassationsfragen, welche i auf Uebertretungen fiskalischer Bundesgeseze beziehen, jedens alle fünf Mitglieder ganz unbefangen sind; 2) bei Rekursen

1074

gegen Beschlüsse oder Urtheile der beiden andern Kammern kraft Art. 29 diejenigen Mitglieder des Kassatioiisgerichtes, welche bereits in einer derselben mitgewirkt haben, in Ausstand kommen und durch Suppleanten ersezt werden. Leztere werden nun freilich nicht mein' wie bis dahin aus den Mitgliedern, sondern aus den Ersazmännem des Bundesgerichtes zu wählen sein. Wir haben die Zahl der zu wählenden Suppleanten auf bloß drei, statt der bisherigen fünf, augesezt, damit wenigstens die sechs Ersazmäuner einfach auf die drei Kammern vertheilt werden können. Dabei sezen wir jedoch immerhin voraus, daß, wenn unter den acht Mitgliedern und Ersazmännern des Kassationsgerichtes in einem Spezialfalle weniger als fünf sizen könnten, die außerordentlichen Suppleanten zuerst aus den sechs übrigen Mitgliedern und Ersazmännern des Buudesgerichtes genommen würden und erst nachher gemäß Art. 16 zu verfahren wäre.

IV. Staatsrechtliche Entscheidungen.

Art. 50 enthält die nähere Ausführung des Art. 113, Ziff. l der Bundesverfassung. Es wird sich bei diesen Kompetenzfragen wesentlich nur um Konflikte zwischen dem Bundesrathe und einer Kantonsregierung, sowie um Bestreitungen der Kompetenz des Bundesgerichtes selbst handeln. Daß in lezterm Falle, der bekanntlich bis jezt ziemlich oft eingetreten ist, nicht mehr die Bundesversammlung, sondern das Bundesgericht selbst zu entscheiden haben soll, darüber wird man ziemlich allgemein einverstanden sein. Eine Ausnahme bildet immerhin der Fall, der in Folge des Art. 52 nicht ganz selten eintreten dürfte, daß streitig ist, ob der Bundesrath oder das Buudesgericht einen Rekurs zu entscheiden habe. Diese Kompetenzfrage soll nach dem klaren Wortlaute des Art. 85, Ziff; 13 der Bundesverfassung durch die Bundesversammlung entschieden werden.

Im Art. 51 wurde eine Definition von Ziff. 2 des Art. 113 der Bundesverfassung versucht ; immerhin soll dieselbe keine erschöpfende sein, daher der Ausdruk ,,insbesondere11-. Grenzstreitigkeiten wurden bis dahin immer als ,,staatsrechtlicher Natura betrachtet, daher von der Bundesversammlung entschieden. Es kann aber nach dem Wortlaute der Ziff. 2 keinem Zweifel unterliegen, daß sie nun dem Bundesgerichte zufallen. Eine staatsrechtliche Streitigkeit zwischen Kantonen liegt ferner auch dann vor, wenn die Auslegung eines interkantonalen Vertrages (worunter die Konkordate mitverstanden werden mögen) zwischen zwei Regierungen streitig ist, im Gegensaze zu ;dem Falle, wo bloß Privaten sich über Verlezung eines

1075 Konkordates durch eine kantonale Behörde beschweren; ebenso wenn zwischen zwei Behörden verschiedener Kantone ein Kompetenzkonflikt entsteht, dessen sich die Regierungen annehmen.

Art. 52. Es schien dem Bundesrathe nüzlich, noch eine weitere Materie ausdrüklich in die Kompetenz des Bundesgerichtes au legen, nämlich die A u s l i e f e r u n g e n , welche neben Fragen über Interpretation von Staatsverträgen und von Strafgesezen, oft auch sehr verwikelte thatsächliche Fragen veranlaßen. Es wird insbesondere sehr vortheilhaft sein, wenn die zuweilen schwierige Frage, ob eine eingeklagte Handlung ein gemeines, oder ein politisches Verbrechen enthalte, von einem Gerichtshof entschieden wird.

Art. 53 enthält zunächst wieder eine nähere Umschreibung des Inhaltes von Ziff. 3 des Art. 113. Daß unter den ,, verfassungsm ä ß i g e n R e c h t e n der B ü r g e r a nicht bloß die in der Bundesverfassung, sondern auch die in den Kantonsverfassungen gewährleisteten Rechte zu verstehen sind, kann nach Art. 5 der Bundesverfassung und nach der bisherigen Praxis keinem Zweifel unterliegen. Eher läßt sich fragen, ob auch solche Rechte der Bürger, welche nicht in der Bundesverfassung selbst, sondern nur in den Ausführungsgesezen zu derselben festgestellt sind, zu den ,, verfassungsmäßigen" gehören. Wir glauben aber, es müsse diese Frage mit Rüksicht auf die vielen Bestimmungen der neuen Bundesverfassung, welche einem Geseze rufen, bejaht werden. Der Art. 66 z. B. enthält eine Garantie gegen ungerechtfertigten Entzug politischer Rechte, aber er überläßt die nähern Bestimmungen einem Ausführungsgeseze. Unzweifelhaft muß nun, wenn zuwider diesem Geseze Jemand in einem Kanton seiner politischen Rechte verlustig erklärt würde, hierüber ein Rekurs an die Bundesbehörden gestattet sein, und es könnte auch unter allen Umständen an den Bundcsrath rekurrirt werden, welcher gemäß Art. 102, Ziff. 2 der Bundesverfassung für Beobachtung der Geseze des Bundes zu wachen hat.

Es scheint uns jedoch, die Ausscheidung der Kompetenzen zwischen Bunde&rath und Bundesgericht sollte sich nach den M a t e r i e n bestimmen und nicht nach dem sehr zufälligen Umstände, ob ein Artikel der Bundesverfassung bereits eine bestimmte Vorschrift enthält oder leztere sich erst in dem durch ihn geforderten Bundesgeseze findet.

Die Beschwerden
über Verlezung verfassungsmäßiger Rechte können natürlich nur von Schweizerbürgern und schweizerischen Korporationen erhoben werden, diejenigen über Verlezung von Staatsverträgen aber auch von Ausländern, weßhalb wir in Litt, b des Art. 52, im Gegensaze zu Litt, a, das in der Bundesverfassung enthaltene Wort ,,Privaten" beibehalten haben.

Bnndesblatt. Jahrg. XXVI. Bd.I.

85

1076 Daß die Rekurse sich immer gegen Verfügungen k a n t o n a l e r B e h ö r d e n richten müssen, kann wohl nicht fraglich sein. Eine, Neuerung enthält dagegen die Aufstellung eines T e r m i n e s für Einreichung der Beschwerden. Bis jezt bestand bekanntlich keine solche Frist, und es wurden Rekurse hin und wieder erst nach, Jahren eingegeben. Allein es gehörte diese Eigentümlichkeit der bundesstaatsrechtlichen Praxis gerade zu denjenigen Seiten derselben, welche die Bezeichnung ,, R e k u r s u n w e s e n " veranlaßt haben.

Wenn man in früherer Zeit aus Achtung vor den verfassungsmäßigen Rechten der Bürger, denen der Bund seinen unbedingten Schuz zugesagt hat, sich nicht entschließen konnte, die Rekurse irgendwie einzuschränken, so hat man sich nun doch wohl im Laufe der lezten zwei Jahrzehnde davon überzeugen müssen, daß mit dem Beschwerderechte auch viel Mißbrauch getrieben wird und daher dasselbe an gewisse Bedingungen geknüpft werden darf und soll..

Die zweite Abtheilung des Art. 52 enthält die Ausführung desim Art. 113 der Bundesverfassung niedergelegten Vorbehaltes einer Ausscheidung der sogenannten A d m i n i s t r a t i v s t r e i t i g k e i t e n , welche nach Art. 102, Ziff. 2 durch den Bundesrath zu entscheiden, sind, von den staatsrechtlichen Fragen, welche in die Kompetenz des Bundesgerichtes fallen. Es hätte diese Ausscheidung, welche, bei der neuen Organisation der Bundesreehtspflege gerade die meisten Schwierigkeiten darbietet, einem besondern Geseze überlassen werden können; aber es schien uns, daß der vorliegende Entwurf an Unvollständigkeit leiden würde, wenn er nicht die Zuständigkeit des.

Bundesgerichtes, wie sie sich in Folge der Bestimmungen der neuen Verfassung gestalten soll, nach allen Richtungen hin genau normiren würde. Es boten sich nun für diese Ausscheidung zwei Wege dar : entweder konnten alle diejenigen Rekurse, welche das Bundesgericht beurtheilen soll, speziell aufgezählt werden, in der Meinung, daß dann alle übrigen dem Bundesrathe und in zweiter Instanz der Bundesversammlung verblieben, oder man konnte die Jurisdiktion des Bundesgerichtes als R e g e l hinstellen und sodann als.

A u s n a h m e n die Fälle aufzählen, welche als ,,AdministrativStreitigkeiten" vom Bundesrathe zu entscheiden sind. Wenn wir denlezten Weg einschlugen, so geschah es
wesentlich aus dem Grunde, weil sich die beiden Systeme bereits in der Verhandlung des Nationalrathes vom 5. Februar 1872, aus welcher der gegenwartige Art. 113 hervorgegangen ist, gegenübergestanden sind, und weil der Antrag, welcher die Mehrheit erhielt, in dem Sinne interpretirt wurde, wie wir ihn nun ausgeführt haben. (Vergi, das gedrukte.

Protokoll S. 500 u. ff.)

1077 Handelt es sich nun also darum, in dem vorliegenden Entwurfe bloß die Attribute des Bundesrathes in Rekurssachen festzustellen, in der Meinung, daß alle andern hier nicht genannten Beschwerden über Verlezung verfassungsmäßiger Rechte, sowie von Konkordaten und Staatsverträgen, durch das Bundesgericht zu beurtheilen sind, so bietet sich von selbst der leitende Gesichtspunkt dar, daß dem Bundesrathe alles dasjenige zu übertragen ist, was vorwiegend politischer und administrativer Natur ist, dem Bundesgerichte hingegen diejenigen Gebiete, auf welchen das Staatsrecht sich mit dem Privat- oder Strafrechte berührt, oder wo sonst rechtliche Momente vorzugsweise den Ausschlag geben.

Durchgehen wir nun zunächst ihrer Reihenfolge nach die Artikel der Bundesverfassung, aus welchen Beschwerden von Bürgern über Rechtsverlezung gegen kantonale Behörden hergeleitet werden könnten, so bietet sich uns hier vorerst der Att. 18, Lemma 3 dar.

Sollte ein Kanton für militärische Effekten noch eine Taxe verlangen, so könnte sicherlich jeder Wehrmann sich darüber bei den Bundesbehörden beschweren; aber es ist wohl keine Frage, daß hierin kein Stoff für eine gerichtliche Verhandlung liegt. Dem genannten Falle ähnlich wäre es, wenn Jemand sich darüber beschweren würde, daß, zuwider dem Art. 27, Lemma 2 der Bundesverfassung, vou seinen Kindern ein Schulgeld gefordert werde. Es ließe sich auch auf Lemma 3 dieses Artikels eine Beschwerde wegen Rechtsverlezung gründen, wenn z. B. an einem katholischen Orte eine Schule so eingerichtet wäre, daß ' sie von protestantischen Kindern nicht besucht werden könnte ; allein auch hier wird man besser die Administrativbehörde einschreiten lassen. Eine Verlezung eines verfassungsmäßigen Rechtes liegt ohne Zweifel auch vor, wenn in einem Kanton die Handels- und Gewerbsfreiheit mehr beschränkt wird als Art. 31 der Bundesverfassung es zuläßt. Aber da solche Fragen keinen juristischen, sondern einen administrativen Charakter haben, so wird man wohl auch nicht dem Bundesgerichte sie überweisen wollen.

In die gleiche Kategorie gehören Beschwerden von Privaten über einen dem Art. 32 widersprechenden Bezug von Konsumgebühren.

Was das wichtige Gebiet des Niederlassungswesens betrifft, so sind wir der Ansicht, daß eine Beschwerde über Verkümmerung des Stimmrechtes der Niedergelassenen
(Art. 43 der Bundesverfassung) wesentlich politischen Inhaltes sei, so daß man besser thut, dem Bundesrathe und der Bundesversammlung den Entscheid zu übertragen. Anders verhält es sieh dagegen mit den zivilrechtlichen und Steuerverhältnissen der Niedergelassenen (Art. 46). Hier

1078 berührt sich das Staatsrecht mit dem Privatrechte, und daher ist es passend, über hierauf bezügliche Rekurse das Bundesgericht entscheiden zu lassen. Das Nemliche kann füglich geschehen bei Rekursen, welche aus dein im Art. 48 geforderten Bundesgeseze entstehen können, weil es sich hier um Forderungen einer Gemeinde an die andere handelt.

Ebenso beantragt der Bundesrath die Sorge für Beobachtung und Anwendung der durch die Artikel 49 und 50 der Bundesverfassung den Bürgern eingeräumten Rechte (konfessionelle Artikel), dem Bundesgerichte zu übertragen. Es handelt sich hier um individuelle Rechte, welche von denjenigen, die sich verlezt glauben, besser vor einem Gerichtshöfe, als vor einer politischen Behörde vertheidigt werden können. Indeß wird es gerechtfertigt sein, den im Art. 50, Alinea 3 vorgesehenen Konfliktfall dem Bundesrathe vorzubehalten, weil es sich hier um. Fragen des ö f f e n t l i c h e n R e c h t e s handelt, die direkt im Zusammenhange stehen mit den verfassungsmässigen Aufgaben der politischen Behörden, und für welche es möglich sein muß, in lezter Instanz den Entscheid der Bundesversammlung anrufen zu können.

Mit .dem Art. 54 der Bundesverfassung beginnt die hauptsächliche Wirksamkeit des Bundesgerichtes. Die Fragen, ob' eine Ehe als gültig anzuerkennen sei, ob eine Frau das Heimatreeht des Mannes erworben habe, ob voreheliche Kinder als legitimirt zu betrachten seien, gehören allenthalben in die gerichtliche Kompetenz ; aber auch die fernem Fragen, ob eine Ehe zu gestatten sei oder nicht, ob gewisse von dem Bräutigam zu bezahlende Gebühren zuläßig seien oder nicht, eignen sich besser für die gerichtliche Cognition als für diejenige einer politischen Behörde.

Auch den Schuz der Preßfreiheit und des Vereinsrechtes (Art. 55 und 56 der Bundesverfassung) überweisen wir dem Bundesgerichte, weil namentlich auf dem erstem Gebiete oft ziemlich schwierige Rechtsfragen auftauchen und weil bei den politischen Behörden die individuellen Rechte nicht immer am besten geschüzt sind.

Ganz gerichtlicher Natur und daher dem Schuze des Bundesgerichtes zu unterstellen sind die Artikel 58 bis 62 und Art. 65, welchen auch noch Art. 44, Lemma \ angereiht werden kann.

Auch die Handhabung des auf Art. 67 gegründeten Auslieferungsgesezes wird dem Bundesgerichte zugewiesen, weil es sich
hierwesentlich um Fragen handelt, die dem Gebiete des Strafrechtes und des Strafprozesses angehören.

Gehen wir nun von der Bundesverfassung über zu den B unde sgesozen, deren Anwendung in den Kantonen Anlaß zu Be-

1079 schwerden geben könnte, so wird man wohl darüber einig sein, daß die Handhabung von Gesezen polizeilichen Inhaltes dem Bundesrathe zu überlassen ist. Daß aber auch die aus Bundesgese/en hervorgehenden Administrativstreitigkeiten erwähnt werden müssen, folgt daraus, daß im ersten Theile des Art. 52 dieses Gesezentwurfes vorausgesezt ist, das Rekursrecht an das Bundesgericht sei begründet, nicht bloß wenn Bestimmungen der Bundesverfassung, sondern auch wenn solche der Ausführungsgeseze zu derselben verlezt werden.

Was die Beschwerden betrifft, welche die in den K a n t o n s v e r f a s s u n g e n garantirten Rechte der Bürger zum Gegenstande haben, so sind wir der Ansicht, daß dieselben im Allgemeinen durch das Bundesgericht zu erledigen seien. Wir nehmen davon bloß aus die Rekurse, welche sich auf kantonale Wahlen und Abstimmungen beziehen, weil diese einen eminent politischen Charakter haben und es unsern schweizerischen Begriffen nicht sehr entsprechen würde, wenn ein Gericht es wäre, welches z. B. eine Regierungswahl oder eine Referendumsabstimmung in einem Kanton aus formellen Gründen kassiren würde. Durchgehen wir im Uebrigen die Rekurse, welche seit 1848 über Verlezung kantonaler Verfassungsbestimmungen eingegangen sind, so werden wir finden, daß sich dieselben hauptsächlich auf folgende Gegenstände bezogen: Amtsdauer der Behörden, Kompetenzen der gesezgebenden Behörden, Trennung der Gewalten, Verhältnisse der Gemeinden und Korporationen. Bei den meisten dieser Rekurse handelte es sich weit weniger um politische als um Rechtsfragen; mittelbar oder unmittelbar waren es Privatrechte, welche sich gegen die Staatsgewalt zur Wehr sezten. Das Bundesgericht eignet sich also zur Beurtheilung solcher Fälle um so besser, je weniger sich bei ihm voraussezen läßt, daß es sich um politischer Sympathien willen über klar vorliegenden Verfassungsbruch hinwegsezen werde.

Wir gelangen nun zu den K o n k o r d a t e n und bemerken dabei zum voraus, daß in Folge der neuen Bundesverfassung die Zahl der noch in Kraft bestehenden Uebereiukünfte zwischen den Kantonen, welche diesen Namen tragen, sich immer mehr vermindern wird.

Soweit jedoch für Privaten ein Beschwerderecht wegen Nichtbeachtung von Konkordaten begründet sein kann, scheint es uns, daß es sich hauptsächlich um privatrechtliche Verhältnisse
handeln wird, wie dieses z. B. in ganz vorzüglichem Maße bei den beiden konkursrechtlichen Konkordaten der Fall ist. Die Erfahrung hat gezeigt, daß es sich bei der Auslegung und Anwendung der Konkordate oft um schwierige und verwikelte Rechtsfragen handelt-,

1080 daher erscheint es als angemessen, solche Rekurse im Allgemeinen dem Entscheide des Bundesgerichtes zu unterstellen. Wenn man daran denken wollte, diejenigen Konkordate auszunehmen, welche sich auf die Freizügigkeit der wissenschaftlichen Berufsarten beziehen, so wäre nicht zu übersehen, daß z. B. ein patentirter Arzt, welcher sich darüber beschweren wollte, daß ihm in einem Kanton die Praxis nicht gestattet werde, sich einfach auf Art. 5 der Uebergangsbestimmungen zur Bundesverfassung berufen könnte und somit des Konkordates gar nicht mehr bedürfte.

Wir haben daher bezüglich der Konkordate nicht für nöfchig erachtet, auch dem Bundesrathe noch Kompetenzen einzuräumen.

Von großer Wichtigkeit ist die Frage, in welchen Fällen man Beschwerden über Verlezung der S t a a t s v e r t r ä g e mit d e m Auslande an das Bundesgericht gelangen lassen will. Da es sich hier sehr oft darum handeln wird, Venvikelungen mit dem Auslande zu verhüten oder zu riskireu, also hin und wieder auch politische Rüksichten ins Auge zu fassen sein werden, so schien es rathsam, den Kreis der bundesgerichtlichen Kompetenzen etwas enger zu ziehen als bei interkantonalen Fragen.

Art. 54 enthält bloß eine nothwendige Ergänzung des vorhergehenden Artikels, indem er den Schlußsaz des Art. 113 der Bundesverfassung auch auf die Fälle der Art. 50, 51 und 52 bezieht.

Im Art. 55 glaubten wir noch einige Vorschriften über das in Angelegenheiten staatsrechtlicher Natur von dem Bundesgerichte zu beobachtende Verfahren aufnehmen zu sollen, in der Meinung immerhin, daß die weitere Ausgestaltung desselben der Praxis zu überlassen sei. Wir wollten dabei nur andeuten, daß bei diesen staatsrechtlichen Fragen doch nicht ganz das für Civilstreitigkeiteu vorgeschriebene Verfahren Anwendung finden könne, sondern in der Regel, wie bis anhin, beim Bundesrathe, auf Grundlage der Rcchtsschriften und ohne Vorladung der Parteien geurtheilt werden solle.

Es werden dadurch den Parteien unnöthige Kosten erspart, worauf aus dem Grunde zu achten ist, weil hier nicht, wie bei andern Kompetenzen des Bundesgerichtes, ein Minimalwerth des Streitgegenstandes vorgeschrieben werden kann, und daher oft sehr untergeordnete Streitigkeiten vorkommen werden. Nur wenn die Parteien selbst es verlangen, was natürlich nur in besonders wichtigen Fällen geschehen wird,
kann nach unserm Vorschlage das Bundesgericht eine mündliche Schlußverhandlung anordnen, sofern auch in der Beschaffenheit des Falles selbst, z. B. wenn er sehr verwikelt, ist, oder es sich dabei um ganz neue Fragen handelt, Crründe dafür vorlieget!.

1081 Die Berathungen und Abstimmungen des Bundesgerichtes sollen sauch in staatsrechtlichen. Angelegenheiten öffentlich sein, wie es nach Art. 79 des Bundescivilprozesses im ordentlichen Prozeßverfahren der Fall ist.

Art. 36 stellt in erster Linie das Prinzip auf, daß für die Entscheidungen staatsrechtlicher Natur in der Regel keine Gerichtsgebühren bezogen und daß auch keine Parteientschädigungen zugesprochen werden sollen. Bekanntlich ist auch bis jezt das Verfahren in Rekurssachen vor dem Bundesrathe und vor der Bundesversammlung unentgeltlich gewesen. Man könnte zwar sagen, daß es bei diesen n i c h t gerichtlichen Behörden kaum anders hätte sein können, daß aber jezt, da ein gerichtliches Verfahren eintrete, keine genügenden Gründe dafür bestehen, um die Rechtsfälle, welche hier in Frage liegen, mit Bezug auf die Gerichtskosten anders zu behandeln, als alle andern Civil- und Straffälle, zumal durch die neue Organisation des Bundesgerichtes das Budget der Eidgenossenschaft mit einer nicht unbedeutenden Mehrausgabe belastet werde. Allein wir glauben, daß dieser Einwurf im zweiten Saze in richtiger Weise beantwortet wird. Es versteht sich nemlich von selbst, daß in allen Fällen, wo ein Rekurs begründet erklärt wird, der Gerichtshof keine Gebühren erheben kann ; denn es wäre unbillig, solche der Gegenpartei aufzuerlegen, weil nicht sie es ist, welche die Verhandlung vor Bundesgericht nothwendig gemacht hat, sondern die kantonale Behörde, welche durch ihre Verfügung eine Verfassuugsvorsehrift etc. verlezt hat. Sodann wird eine Reihe anderer Rekurse zwar als unbegründet abgewiesen werden müssen, sei es wegen Mangels der Kompetenz, oder sei es wegen Maugels an materiellen Gründen; allein der Richter mußte sich überzeugen, daß der Rekurrent den Weiterzug in gutem Glauben ergriffen hatte, weil auf seinen Fall keine oder nur unklare gesezliche Vorschriften zu passen schienen, oder weil die Gerichtspraxis noch nicht klar ausgebildet war, -- in solchen Fällen wäre es auch unbillig, dem Rekurrenten noch Gerichtsgebühren aufzuerlegen. Anders verhält es sich aber in allen jenen Fällen, in denen das Gericht finden mußte, daß die Anhebung oder Veranlaßung des Streites, oder die Art der Prozeßführung aus Trillerei und Chicane entsprungen ist. Für solche Fälle erhält der Gerichtshof in Absaz 2 von Art. 55 die
Befugniß, von dem Grundsaze der Unentgeltlichkeit eine Ausnahme zu machen und sowohl Gerichtsgebühren, wie auch Parteieutschädiguiigen auszusprechen.

Die im Art. 57 dem Präsideuten des Bundesgeriehtes eingeräumte Befugniß zum Erlaß provisorischer Verfügungen behufs Festhaltuug des status quo bedarf keiner weitern Rechtfertigung, zumal für dia

1082 Gerichtsferien. Ebenso versteht es sich von selbst, daß die neinliche Befugniß dem Vicepräsidenten zusteht, wenn er am Plaze des Präsidenten zu fungiren berufen ist.

Indem wir hiermit unsern erläuternden Bericht schließen, benuzen wir den Anlaß, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 23. Mai 1874.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenoßenschaft : Schiess.

1083

(Entwurf)

Bundesgesez über

die Organisation der Bundesrechtspflege.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Ausführung der Art. 106--114 der Bundesverfassung vom und in Abänderung des Bundesgesezes vom 5. Juni 1849 über den nämlichen Gegenstand, nach Eiusicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 23. Mai 1874,

b eschließt: I. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 1. Das Bundesgericht besteht aus n e u n M i t g l i e d e r n , und s e c h s E r s a z m ä n n e r n .

Art. 2. Die Mitglieder des Bundesgerichts und die Ersazmänner werden von der Bundesversammlung gewählt. Bei der Wahl derselben soll darauf Bedacht genommen werden, daß alle drei Nationalsprachen vertreten seien (Art. 107 der Bundesverf.).

Art. 3. In das Bundesgericht kann jeder Schweizerbürger ernannt werden, der in den Nationalrath wählbar ist.

Die Mitglieder der Bundesversammlung und des Bundesrathes und die von diesen Behörden gewählten Beamten können nicht gleichzeitig Mitglieder des Bundesgerichts sein (Art. 108 der Bundesverf.)

1084 Art. 4. Die Mitglieder des Bundesgerichts dürfen keine andere Beamtung, sei es im Dienste der Eidgenossenschaft, sei es in einem Kantone bekleiden, noch irgend einen andern Beruf oder Gewerbe treiben (Art. 108 der Bundesverf.)

Sie dürfen auch nicht bei Erwerbsgesellschaften die Stellung von Direktoren oder von Mitgliedern des Verwaltungsrathes einnehmen.

Art. 5. Blutsverwandte und Verschwägerte in auf- und absteigender Linie unbedingt, und in der Seitenlinie bis und mit dem Grade von Geschwisterkindern, sowie Ehemänner von Schwestern können nicht gleichzeitig Mitglieder oder Ersazmänner des Bundesgerichtes sein.

Ebensowenig ist es zulässig, daß zwei in einem solchen Verwandtschaftsverhältniss stehende Personen bei dem Bundesgericht oder einer Abtheilung desselben in irgend einer Weise, sei es als Richter oder Gerichtschreiber oder Untersuchungsrichter oder Staatsanwalt, gleichzeitig angestellt seien.

,Ein Justizbeamter, welcher durch Eingehung einer Ehe in ein unzulässiges Verwandtschaftsverhältniss mit einem andern Beamten der Bundesrechtspflege eintritt, verzichtet damit auf seine Stelle.

Die Amtsdauer der Mitglieder und Ersazmänner des Bundesgerichts ist auf s e c h s J a h r e festgesezt.

Sie treten abtheilungsweise von drei zu drei Jahren aus.

t)ie erste Wahl findet unmittelbar nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesezes statt.

Die erste Abtheilung von 5 Mitgliedern und 3 Ersazmännern wird sofort nach der ersten Wahl durch das Loos bestimmt und kommt drei Jahre nach ihrer Wahl in Austritt.

Stellen, welche während der Amtsdauer erledigt werden, sind in der nächstfolgenden Sizung der Bundesversammlung für den Rest der Amtsdauer der zu ersehenden Mitglieder .wieder zu besezen.

Art. 7. Der P r ä s i d e n t des Bundesgerichtes wird von der Bundesversammlung aus den Mitgliedern desselben auf drei Jahre gewählt.

Das Bundesgericht bezeichnet selbst durch geheime Wahl seinen V i c e p r ä s i d e n t e n für die nämliche Amtsdauer.

Sind Präsident und Vicepräsident verhindert, so führt das erstgewählte Mitglied ,den Yorsiz im Bundesgerichte.

1085 Art. 8. Dem Bundesgerichte steht die Wahl zweier Ger i c h t s s c h r e i b e r zu, von denen der eine der deutschen, der andere der romanischen Schweiz angehören soll. Diese Wahlen geschehen durch geheimes Stimmenmehr auf die Dauer von 6 Jahren, wobei jedesmal bei Ernennung der einen Abtheilung des Gerichtes ein Gerichtsschreiber in Ernennung fällt.

Die Gerichtsschreiber führen beim Bundesgerichte und seinen Abtheilungen das Protokoll. Das Bundesgericht bezeichnet im Uebrigen den Geschäftskreis der beiden Geriehtsschreiber.

In Fällen von Verhinderung eines Gerichtsschreibers bezeichnet der Präsident einen Stellvertreter.

Art. 9. Das Buudesgericht verfügt, innerhalb der Schranken des ihm hiefür anzuweisenden Kredites, die Anstellung des nothwendigen Kanzleipersonals, sowie der zur Bedienung des Gerichtshofes erforderlichen Weibel.

Art. 10. Zur Vornahme von Wahlen und zur Fassung aller in die Kompetenz des Bundesgerichtes fallenden Beschlüsse und Entscheidungen ist die A n w e s e n h e i t von sieben M i t g l i e d e r n erforderlich und genügend.

Bei allen Urtheilsfällungen muss die Zahl der berathenden und abstimmenden Mitglieder eine ungerade sein.

Bei gleichgetheilten Stimmen gibt der Präsident den Ausschlag.

Art. 11. Der A m t s s i z des Bundesgerichtes, seiner Abtheilungen (mit Ausnahme der Kriminalkammer) und seiner Kanzlei wird durch einen besondern Bundesbeschluss bezeichnet.

Er kann nicht am nemlichen Orte sich befinden, wo die politischen Bundesbehörden ihren Siz haben.

Dieser Amtssiz hat die Räumlichkeiten für die Sizungen des Bundesgerichtes und seiner Abtheilungen, für die Kanzlei und das Archiv unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, gehörig einzurichten und zu unterhalten. Die hiefür erforderlichen Anordnungen unterliegen der Genehmigung des Bundesrathes.

Art. 12. Die Mitglieder des Bundesgerichtes und die Gerichtssclireiber sind verpflichtet, in dem bezeichneten Amtssize zu -vohnen.

Die Bestimmungen des Bundesgesezes vom 23. Dezember 1851 über die politischen und polizeilichen Garantien (Art. l--6), betreffend die persönlichen Verhältnisse der Mitglieder des Bundesrathes und des Kanzlers, finden analoge Anwendung auf die Mitglieder des Bundesgerichtes und auf die Gerichtsschreiber.

lose Art. 13. Sofern der Stand der Geschäfte es erlaubt, ist das Bundesgericht befugt, alljährlich ein oder zweimal Ferien anzuordnen, während welcher sich sämmtliche Mitglieder, mit Ausnahme des Präsidenten oder Vicepräsidenten, vom Amtssize entfernen dürfen. Die Dauer dieser Ferien darf jedoch acht Wochen im Jahre nicht übersteigen.

Daneben kann das Bundesgericht, wenn genügende Gründe dafür vorliegen, einzelnen seiner Mitglieder, sowie den Gerichtsschreibern U r l a u b ertheilen. Für das beurlaubte Mitglied wird alsdann ein Ersazmann einberufen.

Art. Ì i. Ein Bundesrichter oder ein Ersazmann des Bundesgerichtes darf das R i c h t e r a m t n i c h t a u s ü b e n : 1) in allen Angelegenheiten, in welchen er, seine Frau, seine Verlobte, seine Verwandten und Verschwägerten, in der geraden Linie unbeschränkt und in der Seitenlinie bis und mit dem Grad von Geschwisterkindern, oder in welchen der Ehemann der Schwester seiner Frau in dem Ausgange des Streites ein mittel- oder unmittelbares Interesse haben ; 2) in Sachen einer Person, deren Vormund er ist ; 3) in einer Angelegenheit, mit Beziehung auf welche er bereits in einer andern Abtheilung des Bundesgerichtes, oder als Untersuchungsrichter oder Staatsanwalt, oder als Schiedsrichter oder Bevollmächtigter gehandelt hat; 4) in Angelegenheiten einer juristischen Person, deren Mitglied er ist, sowie in Streitfällen, bei welchen sein Heimatkanton als Prozesspartei erscheint ; 5) in einem Rechtsstreite, in welchem er als Zeuge oder Sachverständiger oder Rechtskonsulent gehandelt, oder als Mitglied einer Behörde Vollmacht zum gerichtlichen Verfahren ertheilt hat.

Trifft bei einem Bundesrichter oder Ersazmann eine Bestimmung dieses Artikels zu, so hat er diess rechtzeitig dem Präsidenten des Bundesgerichtes oder der betreffenden Abtheilung anzuzeigen.

Art. 15. Ein Bundesrichter oder Ersazmann kann, ohne unbedingt vom Richteramte ausgeschlossen zu sein, von den Parteien a b g e l e h n t w erd'en oder seinerseits den A u s s t a n d v e r l a n g e n : 1) wenn er in irgend einem Verhältniss zu einer Partei steht) das eine Feindschaft oder Abhängigkeit erzeugt; 2) wenn er über den zu beurtheilenden Fall seine Meinung während der Dauer des Prozesses ausgesprochen hat.

1087 Ablehnungsgesuche, sowohl von Seite eines Richters als der Parteien, sind rechtzeitig dem Präsidenten, beziehungsweise dem Vicepräsidenten des Bundesgerichtes einzureichen. Rührt das Gesuch von einer Partei her, so theilt der Präsident dasselbe dem betreffenden Mitgliede und der Gegenpartei zur Beantwortung mit. In streitigen Fällen entscheidet über ein solches Gesuch das Bundesgericht oder, wenn dasselbe nicht versammelt ist, der Präsident.

Art. 16. Das Bundesgericht in seiner Gesammtheit kann nicht abgelehnt werden.

Sollten in einem einzelnen Balle so viele Mitglieder und Ersazmänner rekusirt werden, daß keine gültige Verhandlung stattfinden könnte, so bezeichnet der Vorsizende des Bundesgerichtes durch das Loos, aus der Zahl der Obergerichtspräsidenten der Kantone, so viele a u s s e r o r d e n t l i e h e Ersaz m ä n n e r , als erforderlich sind, um die Rekusationsfrage und nötigenfalls auch die Hauptsache selbst beurtheilen zu können.

Art. 17. Die Justizbeamten des Bundes sollen, bevor sie ihre Funktionen antreten, den durch das Gesez vom 15. November 1848 vorgeschriebenen Eid leisten.

Das Bundesgerieht wird durch die Bundesversammlung beeidigt ; diejenigen Mitglieder und Ersazmänner, welche bei dieser Feierlichkeit nicht anwesend sind, leisten dea Eid in der ersten Gerichtssizung, welcher sie beiwohnen.

Die Gerichtsschreiber und deren Stellvertreter, die Untersuchungsrichter und deren Schriftführer, werdea durch den Präsideuten oder ein von ihm zu bezeichnendes Mitglied des Bundesgerichtes beeidigt. Die Bundesanwälte hingegen leisten den Eid vor dem Bundesrathe.

Ueber die Beeidigung wird jeweilen ein Protokoll aufgenommen, i; Art. 18. Die P r ä s i d e n t e n des Bundesgerichtes und seiner verschiedenen Abtheilungen nehmen die bei je 1er Gariehtsstelle einlaufenden Akten in Empfang und führen über deren Eingang, sowie über die von ihnen getroffenen Verfügungen fortlaufende Protokolle.

Art. 19. Der Präsident ordnet je nach dem Stande der Geschäfte die Gerichtssizungen an und trifft die dafür nöthigen Vorbereitungen. Er leitet die gerichtlichen Verhandlungen und sorgt für Ruhe und Ordnung. Personen, welche sich seinen Weisungen, nicht unterziehen, kann er aus dem Sizungssaale abtreten und nöthigenfalls bis auf 24 Stunden in Haft sezen lassen.

1088 Art. 20. Der Präsident tiberwacht die Thätigkeit der Instruktionsrichter im Civilprozesse, der Gerichtsschreiber und der unteren Angestellten.

Art. 21. Alljährlich erstattet das Bundesgericht der Bundesversammlung einen elnlässlichen B e r i c h t über die Bundesrechtspflege nach ihren verschiedenen Richtungen.

Art. 22. Die für die Bundesrechtspflege aufgestellten Behörden und einzelnen Beamten können alle Amtshandlungen, für welche sie zuständig sind, in jedem Kanton vornehmen, ohne vorher die Einwilligung der Kantonsbehörden nachzusuchen.

Den im Interesse der Rechtspflege gestellten Begehren der eidgenössischen Justizbeamten sollen die kantonalen Behörden in ihrem Amtskreise entsprechen.

Art. 23. Der Bundesrath macht der Kasse des Bundesgerichtes die erforderlichen V o r s c h ü s s e . Die Gerichtskanzlei führt über alle Einnahmen und Ausgaben genaue Rechnung.

II. Civilrechtspflege.

Art. 24. Das Bundesgericht beurtheilt civilrechtliche Streitigkeiten : i ) zwischen dem B u n d e und einem oder mehreren K a n tonen; 2) zwischen K o r p o r a t i o n e n oder P r i v a t e n als Klägern und dem B u n d e als Beklagten, soferne der Streitgegenstand einen Hauptwerth von wenigstens Fr. 3000 hat oder die Kläger dem Auslande angehören; 3) zwischen den K a n t o n e n unter sich; 4) zwischen den K a n t o n e n einerseits und K o r p o r a t i o n e n oder P r i v a t e n anderseits,wenn der Streitgegenstand einen Hauptwerth von wenigstens Fr. 3000 hat und die" eine oder andere.

Partei es verlangt.

Das Bundesgericht urtheilt ferner über Anstände betreffend Heimatlosigkeit, nach Anleitung des Bundesgesezes vom 3..

Dezember 1850, sowie über Bürgerrechtsstreitigkeiten zwischen Gemeinden verschiedener Kantone (Art. 110 der Bunderverf.)

Art. 25. Weiterhin hat das Bundesgericht zu entscheiden in allen. · denjenigen Fällen, welche die Bundesgesezgebung mittelst Spezialgesezen der Beurtheilung des Bundesgerichts unterstellt (Art114 der Bundesverf.)

1089 Insbesondere urtheilt das Bundesgericht infolge bisher erlassener Bundesgeseze : a) über Expropriationsstreitigkeiten bei Eisenbahnen und andern öffentlichen Werken, auf welche das Bundesgesez vom 1.

Mai 1850 von der Bundesversammlung anwendbar erklärt wird, nach Anleitung dieses Gesezes, beziehungsweise der Novelle zu demselben vom 18. Juli 1857 ; b) über die Scheidung gemischter E h e n , nach Anleitung des Bundesgesezes vom 3. Februar 1862 ; cj über alle privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen dem B u n d e und einer E i s e n b a h n g e s e l l s c h a f t , gemäß Art. 39 des Bundesgesezes über die Eisenbahnen vom 23. Dezember 1872, insbesondere über die in den Artikeln 14, 19, 24 und 33 dieses Gesezes vorgesehenen Entschädigungsfragen; d] über Entschädigungsforderungen der E i s e n b a h n v e r w a l t u n g e n an P r i v a t e n , in den in Artikel 15, Lemma 2 des nämlichen Gesezes vorgesehenen Fällen ; e) über Entschädigungsforderungen einer E i s e n b a h n v e r w a l t u n g an die a n d e r e , in den Fällen des Art. 30, Lemma 3 des nämlichen Gesezes; fj über alle bei de; Z w a n g s l i q u i d a t i o n von Eisenb a h n e n entstehenden Fragen, nach Anleitung des Bundesgesezes vom 1874 über diesen Gegenstand.

Art. 26. ' In Rechtsstreitigkeiten, die nach den Bundesgesezen zu erledigen sind, welche gemäß Artikel 64 der Bundesverfassung oder kraft Artikel 38 des Eisenbahngesezes erlassen werden, und deren Gegenstand einen Hauptwerth von wenigstens Fr. 3000 hat, ist jeder Partei das Recht geöffnet, l>ei dem Bundesgerichte die Abänderung des leztinstanzlichën kantonalen Haupturtheiles nachzusuchen.

Für dieses Rechtsmittel besteht eine peremtorische Frist von fünfzehn Tagen, von der Eröffnung des angefochtenen Urtheiles an gerechnet, binnen welcher die Streitsache mittelst schriftlicher Eingabe bei dem Präsidenten des Bundesgerichts anhängig gemacht werden muss.

Das Bundesgerioht hat in solchen Fällen seinem Urtheile den von den kantonalen Gerichten festgestellten Thatbestand zu Grunde zu legen.

Art. 27. Das Bundesgericht ist verpflichtet, die Beurtheilung j.uch anderer, als der in den Artikeln 24--26 genannten Rechtslälle zu übernehmen:

1090 1) wenn durch die V e r f a s s u n g oder die G e s e z g e b u n g eines Kantons bestimmte Rechtsstreitigkeiten an das Bundesgericht gewiesen werden, wozu jedoch die Genehmigung der Bundesversammlung erforderlich ist; 2) wenn dasselbe von b e i d e n P a r t e i e n angerufen wird und der Streitgegenstand einen Hauptwerth von wenigstens Fr. 3000 hat (Art. 111 der Bundesverf.)

IH. Strafrechtspflege.

Art. 28. Das Bundesgericht urtheilt mit Zuziehung von Geschwornen, welche über die Thatfrage absprechen, in Straffällen : 1) über H o c h v e r r a t h gegen die Eidgenossenschaft, Aufr u h r und G e w a l t t h a t gegen die Bundesbehörden; 2) über Verbrechen und Vergehen gegen das V ö l k e r r e c h t ; 3} über politische Verbrechen und Vergehen, die Ursache oder Folge derjenigen Unruhen sind, durch welche eine bewaffnete eidgenössische I n t e r v e n t i o n veranlaßt wird; 4) in Fällen, wo von einer Bundesbehörde die von ihr ernannten B e a m t e n dem Bundesgerichte zur strafrechtlichen Beurtheilung überwiesen werden (Artikel 112 der Bundesverfassung).

Die nähern Bestimmungen über die Kompetenz der Bundesassisen sind in den Artikeln 73 bis 77 des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853 enthalten.

Art. 29. Für die Verwaltung der Strafrechtspflege theilt sieh das Bundesgericht in eine Anklagekammör. eine Kriminalkammer und ein Kassationsgericht. Im Anfange eines jeden Jahres werden diese drei Kammern für die Dauer desselben neu gewählt.

Kein Richter kann in einer und derselben Sache in mehreren Abtheilungen des Bundesgerichtes sizen.

O o Art. 30. Die A n k l a g e k a m m e r besteht aus drei Mitgliedern und aus eben so vielen Ersazmännern, welche in Fällen von Verhinderungen der Mitglieder einberufen werden. Das erstgewählte Mitglied ist Präsident.

Art. 31. Unter der Leitung und Aufsicht der Anklagekammer stehen zwei U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r , welche das Bundesgericht für eine Amtsdauer von sechs Jahren ernennt. Sie bezeichnen selbst ihre Schriftführer; jedoch ist diese Wahl dem Präsidenten der Anklagekammer zur Genehmigung vorzulegen.

1091 Außerordentliche Untersuchungsrichter können, wenn das Bunesgericht gerade nicht versammelt ist, durch den Präsidenten deselben ernannt und einberufen werden.

Art. 32. Der Bundesrath bezeichnet in jedem einzelnen Falle en Bundesanwalt.

Art. 33. Die K r i m i n a l k a m m e r , welche an allen Sizuugen er Bundesassisen Theil zu nehmen hat, besteht aus drei Mitliedurn. Für Verhinderungsfälle werden ihr drei Ersazmänner bei;egeben. Es sollen in dieser Kammer alle drei Nationalsprachen ertreten sein. Der Präsident wird für jede einzelne Sizung vom iundesgericht bezeichnet.

Sollte ein Mitglied oder Ersazmann der Kriminalkammer durch in vorhergesehene Umstände verhindert sein, an einer Assisensizung ?hgil zu nehmen, so kann der Präsident derselben ein Mitglied iner kantonalen Gerichtsstelle zum ausserordentlichen Ersazmann rnennen und einberufen.

Art. 34. Die Bundesassisen bestehen aus der Kriminalkammer ;nd aus zwölf G e s c h w o r n e n , welche in den Kantonen vom -7olke gewählt und sodann aus der Liste jedes Bezirkes heraus;eloost werden.

Art. 35. Das Gebiet der Eidgenossenschaft wird in folgende ünf Assisenbezirke eingetheilt: Der erste Bezirk umfaßt die Kantone Genf, Waadt, Freiburg mit Ausnahme der Gemeinden, in denen die deutsche Sprache voricrrscht), Neuenburg und diejenigen Gemeinden der Kantoue Bern ind Wallis, in denen die französische Sprache das Uebergewicht hat.

Der zweite Bezirk besteht aus den Kantonen Bern (mit Auslahme des, dem ersten Bezirke zugewiesenen Landestheils), Solo,hurn, Basel und Luzern, sowie aus den deutschsprecheuden Geneinden der Kantone Freiburg und Wallis.

Der dritte Bezirk enthält die, Kantone Aargau, Zürich, Schafflausen, Thurgau, Zug, Schwyz und Unterwaiden.

Der vierte Bezirk begreift in sich die Kantone Uri, Glarus, ippenzell, St. Gallen und Graubünden (mit Ausnahme der Geneindeu, in denen die italienische Sprache vorherrscht).

Der fünfte Bezirk endlich besteht aus dem Kanton Tessin und Jen italienisch redenden Gemeinden des Kantons Graubünden.

In den vier ersten Bezirken wird auf je 1000 Einwohner, im iinften Bezirke auf je 500 Einwohner ein Geschworner gewählt ind in die Liste des Bezirks eingetragen.

Bundesblatt Jahrg. XXYI. Bd. 1.

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1092 Art. 36. Jeder nach Art. 74 der Bundesverfassung stimmberechtigte Schweizer k a n n zum G e s c h w o r n e n e r n a n n t werd e n . Ausgenommen sind jedoch : 1) Die Mitglieder der obersten kantonalen Gerichtsbehörden!

sämmtliche Gerichtspräsidenten, Verhörrichter und Staatsanwälte, sowie alle eidgenössischen und kantonalen Vollziehungsbeamten, mit Ausnahme der Gemeindebeamten ; 2) Die Geistlichen ; 3) Die Angestellten in den Verhafts- und Strafanstalten; 4) Die Polizeiangestellten.

Art. 37. Jeder, der zum Geschwornen ernannt wird, ist verp f l i c h t e t , dem an ihn gerichteten Rufe F o l g e zu leisten. Ausgenommen sind: 1) Alle, welche das 60. Altersjahr zurükgelegt haben; ft,, 2) Jeder, der auf der lezten Geschwornenliste sich befunden hat ; 3) Diejenigen, welche wegen Krankheit oder in Folge irgend eines Gebrechens ausser Stande sind, die Pflichten eines Geschwornen zu erfüllen.

Art. 38. Der Entscheid der Frage, ob Jemand fähig oder verpflichtet sei, sich auf die Geschwornenlisten sezen zu lassen, steht den K a n t o n s r e g i e r u n g e n zu.

Dieselben übersenden die kantonalen Geschwornenlisten dem Bundesgerichte, welches daraus die Bezirkslisten (Art. 35) zusammensezt und veröffentlicht.

Wenn Geschworne aus irgend einem Grunde diese Eigenschaft verlieren oder mit Tod abgehen, so hat die Kantonsregierung hievon dem Bundesgerichte Anzeige zu machen, damit sie aus der Liste gestrichen werden.

Art. 39. Die E r n e u e r u n g der G e s c h w o r n e n l i s t e erfolgt je von sechs zu sechs Jahren. Der Bundesrath sorgt dafür, daß die neuen Listen rechtzeitig angefertigt werden.

Art. 40. Vor jedem Zusammentritt der Bundesassisen läßt die Kriminalkammer in öffentlicher Sizung die N a m e n der Geschwornen des Bezirkes, in welchem die Verhandlung stattfinden soll, in eine Urne einwerfen und sodann vierundfünfzig derselben herausz i e h e n , verlesen und protokolliren.

Abschriften der so gebildeten engern Liste werden un verzögert dem vom Bundesrathe bezeichneten- Staatsanwalte, sowie dem Angeklagten oder seinem Vertheidiger zugestellt.

1093 Art. 41. In jedem an die Assisen gewiesenen Falle kann der Bundesanwalt zwanzig Geschworene v e r w e r f e n , und ebenso viele der Angeklagte.

Sind in einem Falle mehrere Angeklagte, so können sie sich über die Ausübung des Verwerfungsrechtes vereinigen, oder es kann jeder von ihnen sein Recht für sich besonders ausüben. In beiden Fällen dürfen sie aber die Anzahl der Rekusationen, die einem einzelnen Angeklagten erlaubt sind, nicht überschreiten. Vereinigen sich die Angeklagten nicht über die Ausübung des Verwerfungsrechtes, so bestimmt unter ihnen das Loos, in -welcher Ordnung jeder seine Rekusationen vorzubringen hat. Die Geschwornen, welche auf diese Weise von einem Angeklagten rekusirt wurden, sind es dann für alle, bis die Anzahl der gestatteten Rekusationen erschöpft ist.

Art. 42. Innerhalb 14 Tagen, vom Empfange der in Art. 40 erwähnten Abschrift an gerechnet, sind die Rekusationen mündlich oder schriftlich dem Präsidenten der Kriminalkammer anzumelden.

Wer dieses unterläßt, wird angesehen, als habe er auf sein Recht verzichtet.

Art. 43. Sind 40 Geschworne rekusirt worden, so werden die übrig gebliebenen v i e r z e h e n zu den Assisen e i n b e r u f e n .

Haben nicht so viele Rekusationen stattgefunden, so bezeichnet die Kriminalkammer unter den nicht verworfenen Geschwornen die einzuberufenden vierzehen durch das Loos.

In beiden Fällen wird ebenfalls durch das Loos ausgemittelt, welche zwei von den 14 Geschwornen als E r s a z m ä n n e r der Jury beizugeben seien.

Art. 44. Dem Präsidenten der Kriminalkammer steht es frei, zu einer Assisensizung, bei welcher eine beträchtliche Anzahl von Anklagen zu beurtheilen ist, oder aus andern gewichtigen Gründen a l l e auf der engern Liste befindlichen 54 Geschwornen einzuberufen und das Rekusationsrecht erst beim B e g i n n der Ve r ha n d1 u n g e n ausüben zu lassen.

Art. 45. Die Einladungen zu den Assisen sollen den Geschwornen wenigstens sechs Tage vor der Sizung zugestellt werden.

Art. 46. Für jede Sizung der Bundesassisen soll die Kantonsregierung des Ortes, wo sie gehalten wird, ein angemessenes L o k a l zur Verfügung stellen. Baarauslagen für nothwendige Einrichtungen werden aus der Gerichtskasse vergütet. Dagegen dürfen keine Miethzinse berechnet werden.

1094 Art. 47. Wachen, Bedekungen und Gefangenwärter werden auf Ansuchen des AssisenpräsiJenten oder des Untersuchungsrichters durch die Behörden des Kantons, in welchem das Verfuhren vor sich geht, einberufen. Die Kosten trägt die Gerichtskasse.

Art. 48. Die V e r h a f t e t e n werden in den Kantonalgefängnissen untergebracht. Ihre Verpflegung wird nach dem gesezlichen Tarif des Kantons aus der Gerichtskasse vergütet. Mit Bezug auf ihre Ueberwachung und Behandlung hat jedoch der Gefangenwärter die Befehle des eidgenössischen Untersuchungsrichters, beziehungsweise des Assisenpräsidenten zu befolgen.

Art. 49. Das Kassationsgericht hat theils über Kassations-, Revisions- und Rehabilitationsgesuche in Kriminalfällen (Art. 135 bis 168, 175 bis 182 des eidg. Strafprozessgesezes), theils über Beschwerden gegen Urtheile kantonaler Gerichte, welche sich auf Uebertretungen fiskalischer Bundesgeseze beziehen (Art. .18 des Bundesgesezes vom 30. Juni 1849), zu entscheiden.

Es besteht aus dem Präsidenten des Bundesgerichts, welcher von Amtswegen den Vorsiz führt, vier Mitgliedern und drei Ersazmännern. Um gültige Beschlüsse fassen zu können, muß das Kassationsgericht immer vollzählig, d. h. mit fünf Richtern besezt sein. Nötigenfalls wird es hiefür aus den übrigen, nach Art. 29 stimmberechtigten Mitgliedern und Ersazmännern des Bundesgerichts nach ihrer Reihenfolge ergänzt, und wenn auch diese nicht ausreichen, so wird nach Art. 16 verfahren.

IV. Staatsrechtliche Entscheidungen.

Art. 50. Das Bundesgericht entscheidet über K o m p e t e n z k o n f l i k t e zwischen Bundesbehörden einerseits und Kantonalbehörden anderseits.

Wird in irgend einem Rechtsfalle, welcher bei dem Bundesgerichte anhängig gemacht worden ist, von einer Partei behauptet, daß derselbe ausschließlich in die Kompetenz kantonaler Behörden falle, oder daß er durch auswärtige Behörden, oder durch ein Schiedsgericht zu erledigen sei, so entscheidet das Bundesgericht selbst über seine Zuständigkeit.

Ist dagegen zwischen Bundesrath und Bundesgericht streitig, ob ein Fall durch die eine oder die andere dieser Behörden zu beurtheilen sei, so entscheidet hierüber die Bundesversammlung (Art.

85, Ziff. 13, und Arf. 113, Ziff. l der Bundesverfassung).

Art. 51. Das Bundesgericht urtheilt ferner über Streitigkeiten staatsrechtlicher Natur sswischen K a n t o n e n .

1095 Hieher gehören insbesondere Grenzstreitigkeiten zwischen zwei Kantonen, Fragen der Anwendung interkantonaler Verträge und Kompetenzfragen zwischen den Behörden verschiedener Kantone bei welchen eine Kantonsregierung selbst den Gegenstand bei dem Bundesgerichte anhängig macht.

Art. 52. Das Bundesgericht entscheidet über Auslieferungen, welche kraft bestehender Staatsverträge verlangt werden. Die vorläufigen Verfügungen bleiben in der Kompetenz des Bundesrathes.

Art. 53. Endlich beurtheilt das Bundesgericht B e s c h w e r d e n : a] von Schweizerbürgern und Korporationen, betreffend Verlezung derjenigen Rechte, welche ihnen entweder durch die Bund e s v e r f a s s u n g und die in Ausführung derselben erlassenen Bundesgese/.e oder durch die V e r f a s s u n g i h r e s K a n t o n s gewährleistet sind, b) von Privaten wegen Verlezung von K o n k o r d a t e n und V e r k o m m ni ssen unter den Kantonen, sowie von S t a a t s v e r t r ä g e n mit dem Auslande, vorausgesezt, daß im einen oder andern Falle diese Beschwerden gegen Verfügungen kantonaler Behörden gerichtet sind und innerhalb sechszig Tagen, von Eröffnung der leztern an gerechnet, eingereicht werden.

Ausgenommen sind B e s c h w e r d e n und A n s t ä n d e , welche sich auf folgende Bestimmungen -der Bundesverfassung beziehen und nach Art. 113, Saz 2 derselben durch den B u n d e s r a t h , bez i e h u n g s w e i s e d u r c h d i e B u n d e s v e r s a m m l u n g (Art. 8 5 , Ziff. 12 der Bund es Verfassung) zu entscheiden sind: 1) Art. 27, Saz 2 und 3, betreffend das Schulwesen der Kantone ; 2) Art. 31, betreffend die Handels- und Gewerbefreiheit ; 3) Art. 31 und 32, betreffend die noch anerkannten Verbrauchssteuern und die Eingangsgebühren von Wein und andern geistigen Getränken ; 4) Art. 43, betreffend die Rechte der Niedergelassenen; 5) Art. 50, Saz 3, betreuend die Bildung und Trennung der Religionsgenossenschaften, insoweit Fragen des öffentlichen Rechts zu erledigen sind; 6) Art. 53, betreffend Civilstand und Begräbnißpläze, insoweit die Erledigung durch die Gesezgebung den vollziehenden Behörden zugewiesen wird.

Gleichermaßen sind dem Entscheide des Bundesrathes, beziehungsweise der Bundes versammlung unterstellt:

1096 7) Beschwerden über die Anwendung der in den Art. 24, 25, 33, 34, 39, 40 und 69 der Bundesverfassung vorgesehenen Bundesgeseze; 8) Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen und Abstimmungen ; 9) Anstände herrührend aus denjenigen Bestimmungen der Staatsverträge mit dem Auslande, welche sich auf Handels- und Zollverhältnisse, Patentgebühren, Niederlassung, Befreiung vom Militärpflichtersaze und Freizügigkeit beziehen.

Art. 54. Das Bundesgericht hat bei den in Art. 50, 51, 52 und 53 vorgesehenen Entscheidungen sich an die von der Bundesversammlung erlassenen Geseze und allgemein verbindlichen Beschlüsse, sowie an die von ihr angenommenen Staatsverträge zu halten (Art. 113 der Bundesverfassung).

Art. 55'. Die staatsrechtlichen Entscheidungen : des Bundesgerichtes erfolgen in der Regel'bloß auf Grundlage eines s c h r i f t lichen V e r f a h r e n s .

Die einlangenden Beschwerden werden der Gegenpartei oder, wenn keine solche vorhanden, der Behörde, gegen welche sie gerichtet sind, zur Vernehmlassung mitgetheilt. Nach empfangener Antwort kann der Instruktionsrichter, sofern er es für nöthig erachtet, Replik und Duplik anordnen. Er sorgt zugleich für Erhebung der nöthigen Beweismittel.

Ausnahmsweise kann, wenn die Parteien es verlangen und besondere Gründe dafür vorliegen, das Bundesgericht eine m ü n d l i c h e Schluß Verhandlung anordnen.

Die Berathungen und Abstimmungen sind öffentlich.

Art. 56. Für die Entscheidung staatsrechtlicher Streitigkeiten sollen der Regel nach weder Gerichtsgebühren bezogen, noch Parteientschädigungen zugesprochen werden.

Doch kann das Gericht Ausnahmen machen in Fällen, wo die Anhebung oder Veranlassung des Streites, oder die Art der Prozeßführung es rechtfertigen sollte.

Art. 57. Der Präsident des Bundesgerichtes ist befugt, auf Ansuchen einer Partei diejenigen Verfügungen zu treffen, welche die Festhaltung des bestehenden Zustandes erfordert.

Diese Verfügungen sind dem Gerichte bei seiner nächsten Sizung zur Genehmigung vorzulegen.

1097

# S T #

Bundesrathsbeschluss betreffend

den Rekurs des Hrn. Statthalter Mathias Anton Wieland, in Somvix, wegen Gerichtsstand.

(Tom 26. März 1874.)

Der schweizerische Bundesrath hat

in Sachen des Hrn. Statthalter Mathias Anton W i e l a n d in Somvix, Kts. Graubünden, betreffend Gerichtsstand; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Der Rekurrent übergab im Herbste 1870 dem David Nüesch in Balgach, Kts. St. Gallen, eine Kuh zum Ueberwintern. Als er sie im folgenden Sommer zurüknehmen wollte, verlangte Nüesch ein Futtergeld von Fr. 60, während Wieland behauptete, daß Nüesch neben dem Nuzen von dem fraglichen Stük Vieh nur noch Fr. 15 zu fordern habe. Da aber Nüesch das Thier vor Bezahlung seiner Forderung nicht herausgeben wollte, so deponirte Wieland einen entsprechenden Betrag auf Recht hin bei dem Gemeindeammannamte zu Balgach.

Nüesch erhob hierauf bei dem Vermittleramte Balgach eine Klage gegen Wieland, welche an die Gerichtskommission des Be-

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege. (Vom 23. Mai 1874.)

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1874

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13.06.1874

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1059-1097

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