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Bericht der

Mehrheit der Kommission des Ständeraths über den Rekurs des Verwaltungsraths der Gemeinde Neuenburg gegen die Beschlüsse des Staatsraths vom 8. und 23. November 1872.

(Vom 20. Dezember 1873.)

Tit.!

Bei Anlaß des Rekurses des Administrativrathes der Burgergemeinde Neuenburg haben Sie am 21. Juli abhin, auf das einstimmige Gutachten Ihrer Kommission hin, erkannt, daß derjenige Theil dieses Rekurses, der die Verfassungswidrigkeit des Dekrets des Großen Raths des Kantons Neuenburg vom 11. September 1872 behauptet, durch welches Dekret die Art. 2 und 3 des Municipalgesezes modifizirt wurden, unbegründet erscheine, und daß ihm daher nicht Folge zu geben sei.

Nun erübrigt Ihnen noch, sich über den zweiten Theil des nemlichen Rekurses auszusprechen, welcher sich speziell mit den Vollziehungsbeschlüssen des Staatsraths von Neuenburg vom 8. und 23. November 1872 und mit dem Dekrete des Großen Raths vom 20. Juni 1873 befaßt.

Der Administrativrath faßt das, was er an diesen Beschlüssen und diesem Dekrete auszusezen findet, unter vier Punkte :

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1. Das Dekret vom 11. September 1872 entzieht den Gemeinden nicht das Recht, unter der Aufsicht des Staates frei über die Erträgnisse ihrer Güter zu verfügen, nachdem an die Municipalität die erforderliche Summe bezahlt worden, um die durch das Gesez ihr überbundenen Ausgaben bestreiten zu können.

2. Dieses Dekret entzieht ihnen nicht das Recht, Lehranstalten für eigene Angehörige oder für andere Zöglinge zu unterhalten und zu leiten.

3. Dieses Dekret entzieht ihnen nicht das Recht, Schenkungen zu empfangen und sachbezügliche Aufträge zu Gunsten gemeinnüziger Zweke zu vollziehen.

4. Die Gerichtsbehörde ist allein zuständig, über Anstände zwischen Gemeinden und Municipalitäten betreffend ihre Finanzverhältnisse und speziell die Auslegung und Anwendung der Schenkungen und Testamente zu urtheilen.

Wir wollen diese Rekursgrüiide nach einander prüfen; zunächst aber ist eine allgemeine Bemerkung vorauszuschiken.

Die beiden Räthe der Bundesversammlung der Eidgenossenschaft haben nur dann Rekurse gegen die Entscheidungen der Kantonsbehörden zu bcurtheilen, wenn sie sich darauf stüzen, daß diese Erlasse die Verfassung und die kantonalen Geseze, sowie die durch die Verfassung gewährleisteten Rechte verlezeu ; dagegen sind sie nicht dazu berufen, ihre Auffassung in Bezug auf Fragen des öffentlichen oder Privatrechtes auf dem Wege einer allgemeinen Meinungsäußerung oder einer Consultation über die Tragweite und o O ~ die Auslegungen der Verfassungen und der Geseze kundzugeben; sie sind nicht dazu berufen, eine von Rekurrenlen geltend gemachte allgemeine Supposition grundsäzlich zu entscheiden, wie ein Rechtskonsulent, ein Professor oder eine Fakultät des Rechts es thuii könnte.

Der Verwaltungsrath der Burgergemeinde von Neuenburg scheint die Intervention der eidgenössischen Räthe nicht so aufgefaßt zu haben: er macht, namentlich unter Nr. 3 und 4, Rechtsargumente geltend, welche sich auf allgemeine Suppositionen stüzen, die unabhängig sind von den speziellen, in den Akten der Neuenburger Behörden in Bezug auf genannte Burgerschaft erwähnten Thatsachen; er sucht so in allgemeiner Weise eine authentische Auslegung der Tragweite der Bestimmungen der Verfassung und der Geseze von Neueuburg zu erwirken, welche Auslegung ihn gegen die Eventualitäten der Zukunft schüzen und seine Stellung sichern könnte, wenn die aufgestellten Voraussezungen sich verwirklichen würden.

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Ihre Kommission muß erklären, daß sie die Stellung nicht annehmen kann, welche der rekurrirende Rath ihr anweisen möchte.

Sie will ihre Ansicht abgeben über die Verfassungsmäßigkeit der Vollziehungsbeschlüsse vom 8. und 23. November 1872 und des Dekrets vom 20. Juni 1873, sowie über die in den genannten Beschlüssen und in der später zwischen der Burgerschaft und der Einwohnergemeinde abgeschlossenen Uebereinkunft erwähnten Thatsachen, die als eine Anwendung und Konsequenz derselben erscheinen; -- dagegen lehnt sie die Aufgabe ab, die man ihr überbinden möchte, über allgemeine, nicht den Akten entnommene Thatsacheh eine Consultation abzugeben.

Um unsere Ansicht über die Rekursmotive des Verwaltungsraths der Burgergemeinde von Neuenburg klarer zu resümiren, folgen wir in der Anordnung nicht dem Rekurse und den ihn begleitenden Denkschriften; vielmehr werden wir versuchen, den Boden der Allgemeinheiten zu verlassen und die konkreten und speziellen Fragen aufzustellen, welche allein erörtert werden können.

E r s t e F r a g e . Der Verwaltungsrath, welcher einerseits behauptet, daß das Dekret vom 11. September 1872 den Gemeinden nicht das Recht entziehe, unter der Aufsicht des Staates frei über den Ertrag ihres Vermögens zu verfügen, macht anderseits geltend, daß dieses nämliche Dekret ihm nicht das Recht entziehen dürfe, sein von ihm seit vielen Jahren verwaltetes und geleitetes gymnase classique communal beizubehalten und dieser von allen Bewohnern von Neuenburg benuzten Unterriehtsanstalt einen Theil der Einkünfte zuzuwenden.

Der Verwaltungsrath fügt bei, daß, da im Art. 15 der Verfassung die Lehrfreiheit gewährleistet ist, er demzufolge das Recht habe, öffentliche Unterrichtsanstalten zu leiten, seien solche für die Bürger oder für andere Zöglinge bestimmt, und eine freiwillige Ausgabe zu machen, die ihm nicht durch das Gesez als ein öffentlicher Dienstzweig auferlegt wird.

Ihre Kommission findet einstimmig, daß in Bezug auf das gymnase classique communal, wie bei jeder andern Unterriehtsanstalt, die nicht einzig für seine armen Bürger bestimmt ist, der Vefwaltungsrath der Gemeinde nicht berechtigt erscheint, eine öffentliche-Unterrichtsaiistalt als eine seiner Leitung allein unterstellte Privatanstalt zu behalten.

Nach dea Artikeln 74 und folgenden der Verfassung der Republik von Neuenburg,
in dem vom Unterrichte handelnden Abschnitte, ist die Oberleitung und die Oberbeaufsichtigung des öffentlichen Unterrichts Sache des Staates. Das öffentliche Unterrichtswesen umfaßt alle Erziehungsanstalten, welche, sei es unter der

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kantonalen, s e i e s u n t e r k o m m u n a l e n o d e r m u n i e i p a l e n V e r w a l t u n g e n s t e h e n . Alle öffentlichen Unterrichtsanstalten bilden ein Ganzes, das den Primär-, Sekundär- und höhern Unterricht umfaßt. Die Organisation des öffentlichen Unterrichts ist dem Geseze vorbehalten.

Aus diesen Verfassungsbestimmungen erhellt, daß der in einer kommunalen oder muuicipalen Anstalt ertheilte Unterricht ein öffentlicher Unterricht sein und daß dieser Dienstzweig stets als zu den öffentlichen Dienstzweigen gehörend angesehen werden muß, ·welche der Oberleitung und der Oberaufsicht des Staates unterworfen sind.

Die Prätcntion einer Gemeindsbehörde, die Lehrfreiheit wie ein einfacher Privatmann da.zu benuzen zu können, eine Privatunterrichtsanstalt zum Gebrauche des Publikums zu errichten, scheint demzufolge Ihrer Kommission in jeder Beziehung unstatthaft zu sein. Will diese Behörde für ihre armen Augehörigen ein Erziehungshaus haben, so steht einer solchen Schöpfung, welche in direkter und inniger Beziehung zur Armenunterstüzung steht, nichts entgegen; etwas Anderes ist es aber, wenn diese Verwaltung ein klassisches oder industrielles Gymnasium, das für alle Zöglinge, welche die Bedingungen des Programms erfüllen, bestimmt ist, errichten und dabei doch gleichzeitig diese Anstalt als eine Privatschule oder Pension ausgeben will, die als solche sich der Intervention des Staates und der Einwohnergemeinde entzieht; -- dieß müssen wir als verfassungswidrig und ungesezlich betrachten.

Das Dekret vom 11. September 1872 hatte die Rechtsfolge, daß alle öffentlichen, durch den Gemeiudevorstaud geleiteten Dionstzweige auf die Einwohnergemeinde von Neuenburg übergingen; dasselbe hat besonders das klassische Gymnasium der Gemeinde Neuenburg im Auge, welches außerhalb der Municipalbefugnisse geblieben war. Dieß erhellt mit voller Evidenz aus dem den Dekretsentwurf begleitenden Berichte des Staatsra ths an den Großen Rath. Ihre Kommission, welche zwar einen Vorbehalt macht in Bezug auf die in diesem Berichte vorkommende Ausdehnung des Begriffes der öffentlichen Dienstzweige, muß im Uebrigen anerkennen, daß in Bezug auf die öffentlichen Unterrichtsanstalten eine gerechte und zwekmäßige Anwendung der obgedachten Verfassungsbestimmungen stattgefunden hat.

Die vor und nach diesem Dekrete vom
11. September crlassenenen Geseze bestätigen diese von uns aufgestellte Ansicht.

Zunächst citiren \vir das Gesez vom 27. Juni 1872 über den Sekundär- und industriellen Unterricht, welches die Forteiitwikelung desselben im Auge hat und im Artikel 3 Folgendes bestimmt: ,.ln

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den Gemeinden und Municipalitäten, wo sich ein Bedürfniß dafür geltend macht, ist vom Staatsralh im Einverständnisse mit den Lokalbehörden ein Institut für den Sekundär- oder industriellen Unterricht zu organisiren.a -- Weiter führen wir noch das Gesez vom 17. September 1873 über den untern klassischen Unterricht an.

Z w e i t e F r a g e . M u s e u m und Bibliothek. Der Verwaltungsrath verlangt, daß ihm nicht nur das Eigenthum der O O i O kostbaren -- artistischen, archäologischen und historischen -- Sammlungen, aus denen sein Museum besteht, zuerkannt werde, sondern daß er auch im Weitern die Verwaltung derselben behalten und zu ihrer Fortentwiklung, je nach dem Bedürfnisse, jährliche Beiträge verabfolgen könne, ohne genöthigt zu sein, die vom Staatsrathe in seinen Beschlüssen vom 8. und 23. November 1872 vorgeschriebene gemischte kommunale und municipale Verwaltung zu konstituiren. Das gleiche Begehren stellt er auch in Bezug auf seine Bibliothek.

Die Mehrheit Ihrer Kommission findet dieses Begehren des Verwaltungsraths begründet und ogerechtfertigt.

O O O Der Art. 6 der Neuenburger Verfassung sezt nämlich fest, daß das Vermögen der Gemeinden und der Korporationen gewährleistet ist und daß ihnen die Verwaltung desselben zusteht, mit Vorbehalt des dem Staate, laut Art. 68 der gleichen Verfassung, gehörenden Aufsichtsrechts.

Es entspricht demnach dieser Verfassung, daß die Verwaltung der Museen und der Bibliothek der Burgerschaft von Neuenburg dem Verwaltungsrathe anvertraut bleibe und daß er, unter der Aufsicht des Staates, auch ferner sich deren Conservirung sichern könne.

Das Dekret vom 11. September 1872 (Artikel 2) kann nicht die Bedeutung haben, diese verfassungsmäßige Stellung der kompetenten Behörde der Bürgerschaft von Neuenburgö zu modifiziren.

O Wenn daselbst bestimmt wird, daß alle öffentlichen Dienstzweige von Rechts wegen auf die Einwohnergemeinde (municipalité) übergehen, so kann gewiß, wie uns scheint, diese Bestimmung, gemäß Art. 67 der nämlichen Verfassung, nur auf die sogenannten öffentlichen Dienstzweige angewendet werden, weil dieselben lokale oder allgemeine Ausgaben, welche vom Geseze den Gemeinden oder Korporationen auferlegt werden, oder lokale Auslagen bedingen, die durch die allgemeinen Geseze oder durch die Verfassung selbst vorgesehen sind als zum öffentlichen Amte der kommunalen und municipalen Verwaltungen gehörend.

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Es besteht keine derartige Bestimmung in Bezug auf die Museen und Bibliotheken, während, wie wir gesehen haben, die Verfassung selbst (Art. 74) jede unter einer Gemeindeverwaltung stehende Erziehungsanstalt als öffentlichen Dienstzweig bezeichnet.

Es gehört sich daher, laut Verfassung, dem Verwaltungsrathe der Burgerschaft von Neuenburg seine Befugnisse in Bezug auf das Eigenthum und die Verwaltung seines besondern Vermögens, von dem er stets einen nationalen Gebrauch gemacht hat, zu wahren.

Es wird zwar eingewendet, daß diese kostbaren Sammlungen mit den gemeinnüzigen Anstalten im Zusammenhang stehen, welche sowohl von den Gemeindsgenossen des Hauptorts als von allen andern Einwohnern desselben benuzt werden; auch sagt man, daß sie eine nothwendige Zubehör der unter die Verwaltung, sei es des Staates, sei es der Municipalität gestellten öffentlichen Unterrichtsanstalten bilden.

Wir anerkennen gern das Gewicht dieser Einwendungen ; allein wir bestreiten, daß dieselben, der Verfassung zuwider (Art. 60) die Tragweite haben können, dem Verwaltungsrath seine verfassungsmäßigen Rechte zu entziehen und seine Befugnisse als Eigenthümer O O g und als Administrator zu schmälern.

Diese Museen und diese Bibliothek sind Vermögensobjekte, welche eine spezielle Bestimmung haben, die respektirt werden muß und stets respektirt werden wird, und deren Eigenthum und Verwaltung ihm gewährleistet sind. Indem er alljährlich diesen Museen und dieser Bibliothek in seinem Budget einen Beitrag aussezt, besorgt der Verwaltungsrath der Burgerschaft von Neuenburg keinen durch das Gesez ihm überbundenen Dienstzweig ; er begeht damit einen ' Akt der Verwaltung, sei es vermöge seines freien Willens, sei es in Vollziehung der Willensbestimmungen von Gebern oder Testatoren, und ist dabei der staatlichen Verwaltung und Kontrole unterworfen.

D r i t t e F r a g e . Schenkungen. Ihre Kommission hat sich nicht über das Recht der Burgergemeinde von Neuenburg auszusprechen, Schenkungen anzunehmen, welches Recht ihr übrigens weder vom Staatsrathe noch vom Großen Rathe streitig gemacht wird (dritte Conklusion, Dekret vom 20. Juni 1873). Sie muß sich darauf beschränken, zu konstatiren, daß bei Anlaß des gegenwärtigen Rekurses die Frage der Schenkungen und der Erfüllung der Lasten, welche für die eigenthümerische Burgergemeinde daraus herfließen können, nur in allgemeiner und abstrakter Weise aufgeworfen ist, und demzufolge der Beurtheilung der eidgenössischen Räthe nicht unterstellt ist.

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V i e r t e F r a g e . Gerichtskompetenz z u r Beurthcil u n g der A n s t ä n d e zwischen Gemeinden und Municipalitäten. Hier muß Ihre Kommission sich darauf beschränken, das zu wiederholen, was sie diesfalls in dem Kommissionalberichte vom 21. Juli 1873, Seite 6, sagte: ,,Wenn bei der Anwendung des Gesezes nicht bloß solche allgemein öffentlichen Güter, sondern auch solche in Frage kommen sollten, welche eine spezielle Zwekbestimmung oder einen nachweisbar privatrechtlichen Charakter haben, so ist je nachdem der zuständige Richter des Kantons, oder soweit allfällig das Legat Pury Veranlaßung dazu geben könnte, m ö g l i c h e r w e i s e das Bundesgericht das zuständige Forum.

,,Bloß deßwegen, weil in der künftigen Anwendung des Gesezes solche Streitpunkte entstehen können, liegt fût die Bundesbehörden kein Grund vor, das Gesez selbst -- das in vollständig konstitutioneller Weise geschaffen wurde -- als verfassungswidrig zu erklären."1 Daß in Bezug auf das Eigenthum der Burgerschaft von Neuenburg ein Anstand walte, haben uns die Akten des Rekurses des Verwaltungsraths nicht signalisirt; bloßen Eventualitäten der Zukunft haben wir aber nicht vorauszueilen durch voreilige Meinungsäußerung.

Die Mehrheit Ihrer Kommission beantragt demnach nachfolgenden Beschluß : Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft beschließt: 1. Der Rekurs des Verwaltungsrathes der Burgergemeinde Neuenburg ist, insoweit er die Verwaltung der Museen (Gemälde-, archäologische und naturgeschichtliche Sammlungen) und der Bibliothek zum Gegenstande hat, welche ihm durch den Art. 66 der Verfassung gewährleistet ist, für begründet erklärt.

2. Die übrigen Rechtsschlüsse besagten Rekurses sind als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 20. Dezember 1873.

Im Namen der Kommission, Der B e r i c h t e r s t a t t e r :

Jules Roguin.

«SB«--

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Kommissionalberichte betreffend

die Erwahrung der Abstimmung über die revidirte Bundesverfassung.

a. Bericht der nationalräthlichen Kommission.

(Vom 27. Mai 1874.)

Tit.!

Als der Entwurf der revidirten Bundesverfassung vom 5. März 1872 bei der Abstimmung am 12. Mai gleichen Jahres mit, einer Mehrheit von 5463 Volks- und 4 Kantonsstimmen in die Brüche gegangen war, zeigte sich im Schweizervolke keine Entmuthigung für die Fortsetzung der begonnenen Revisionsbestrebungen.

Im Volke waltete vielmehr das feste Vertrauen, die Schöpfer und Freunde des Revisionswerks, für welches die Hälfte der schweizerischen Wählerschaft und neun Kantone mit einer Bevölkerung von über anderthalb Millionen sich ausgesprochen haben, können und werden das angefangene Werk nicht unvollendet liegen lassen.

Man hegte aber auch die zuversichtliche Hoffnung, es werden die obsiegenden Gegner des Revisionswerks, weit entfernt der Fahne des Geistes zu folgen, "der stets verneint" nach reiferer Ueberlegung mit Freuden zu einem nochmaligen Versuch der Revision Hand bieten, um die Einrichtungen des Bundes mit den Bedürfnissen und Fortschritten der Zeit in Einklang zu bringen.

O O Jenes Vertrauen ging nicht zu Schanden, und diese Hoffnung ward erfüllt.

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Dio beiden in dem Revisionskampfe sich entgegenstehenden Parteien haben nicht vergessen, daß über ihnen das Vaterland steht.

Mit diesem Gefühle traten die Vertreter des schweizerischen Volks und der Kantone 1873 zu definitiver Lösung der Revisionsfrage wieder zusammen und schlugen, die gemeinsame Wohlfahrt des Vaterlandes getreu im Auge haltend, den Weg freundeidgenössischer Verständigung ein, -- den einzigen, der zum Ziele, d. h.

zu der revidirten Bundesverfassung vom 31. Januar 1874 führte, welche am 19. A p r i l a b b i n der Abstimmung des Volkes unterstellt worden ist.

Mit Botschaft vom 20. Mài erstattet nun der Bundesrath der Bundesversammlung eingehenden Bericht über das Gesammtergebniß sowohl dieser V o l k s a b s t i m m u n g als der S t ä n d e a b s t i m m u n g , wie dasselbe von ihm vorgeprüft und definitiv bereinigt wurde.

Im Eingange gibt die Botschaft einläßliche Auskunft über die Maßnahmen, die der Bundesrath behufs Konformirung des f r a n z ö s i s c h e n mit dem d eu t s ch en Text der Verfassung, --behufs Ueberseztung der letztern in' s Italienische und in die beiden romanischen Dialekte, sowie behufs Vervielfältigung, Publikation und Vertheilung sowohl der revidirten Verfassung, als der von ihm erlassenen sachbezüglichen Proklamation getroffen hat.

Der bundesräthlichen Botschaft ist der E n t w u r f eines, . die E r w a h r u n g des A b s t i m m u n g s e r g e b n i s s e s bet r e f f e n d e n D e k r e t s beigelegt und auf die Abstimmungsprotokolle hingewiesen, welche die Kantonsregierungen vorschriftsgemäß zu Händen der Bundesversammlung eingesendet haben.

Es hat Ihnen, Tit., gefallen, die Botschaft des Bundesraths über die Erwahrung der Abstimmung mit dem bezüglichen Entwurf eines Bundesbeschlusses und den angehängten Beilagen, den einschlägigen Abstimmungs-Verbalprozessen , Korrespondenzen, Rescripten etc. an eine Siebnerkommission zur Prüfung und Begutachtung zu überweisen.

Ihre Kommission vertheilte das umfangreiche Prüfungsmaterial zu leichterer Bewältigung desselben in drei Sektionen an ihre Mitglieder, beschäftigte sich in wiederholten Plenarsitzungen mit der ihr zur Untersuchung und Begutachtung überwiesenen Angelegenheit und beehrt sich anmit, nachfolgenden Bericht und Antrag Ihrer Würdigung und Schlußfassung zu unterstellen.

V o r b e r e i t
u n g e n z u r A b s t i m m u n g . W a s zunächst die Vorbereitungen zur Abstimmung anbelangt, deren Durchführung nach Erlaß des sachbezüglichen bundesräthlichen Beschlusses vom

479 13. Februar 1. J. vorzugsweise dem Bundeskanzler und der Bundeskanzlei oblag, so verliefen dieselben, zumal nach den gemachten Erfahrungen im Frühjahr 1872, mit einer solchen Präcision, Sicherheit und Raschheit, daß das diesbezügliche Verfall reu für die Entgegennahme von Plebisciten in demokratischen Staaten wohl als Muster dienen könnte. Die gesetzliche Vorschrift, daß jedem stimmfähigen Schweizerbürger ein Exemplar der revidirtcn Verfassung vier Wochen vor der Abstimmung eingehändigt werden müsse, war viel leichter zu erlassen, als durchzuführen. Dennoch wurde sie auch diesmal so vollzogen, daß die auf die Abstimmungen bezüglichen Drucksachen (693,382 Verfassungsentwürfe mit 292,445 Proklamationsexemplaren) rechtzeitig in die Hände der Stimmberechtigten gelangten. Wenn den Letztern die Verfassungsentwürfe da und dort etwas später zukamen, so lag die Schuld nicht bei der Bundeskanzlei, sondern bei manchen Gemeindevorstehern, welche glaubten, jene Entwürfe nicht ohne die ihnen etwas später zugesandten Proklamationen vertheilen zu sollen.

Die Papier-, Druck- und Buchbinderkosten, welche vor Wiederaufnahme der Revision im Jahr 1873 bis Ende Mai 1874 für Revisionsimprimate ausgegeben wurden, betragen die Summe von Fr. 107,430. 17 Rp.

S t i m m b e r e c h t i g u n g und S t i m m a b g a b e n . Die Vorschriften, welche der Bundesrath mit Kreisschreiben vom 19. April 1872 über die Stimmabgabe der N i e d e r g e l a s s e n e n und A u f e n t h a l t e r ertheilt und bei Anlaß der Abstimmung über das Verfassungsprojekt vom 5. März gleichen Jahres gehandhabt, hatten sich bereits so eingelebt, daß sich diesmal sachbezüglich keine Anstände ergeben haben. Nur die Frage, wie der Endtermin zur Anmeldung der Stimmabgabe für die Aufenthalter -- drei Tage vor dem Abstimmungsfag -- zu berechnen sei, gab da und dort zu Controversen Anlaß.

Den in den M i l i t ä r s c h u l e n befindlichen Bürgern wurde überall Gelegenheit gegeben, ihr Stimmrecht auszuüben. Was die Angestellten der P o s t , der E i s e n b a h n und D a m p f s c h i f f f a h r t anbelangt, denen es, ihrer dienstlichen Stellung wegen, nicht möglich war, die Gemeindsversammlung zu besuchen, so konnten diese in einzelnen Kantonen in einer, mit der betreffenden Verwaltung vereinbarten Station zu festgesetzter Tagesstunde, gegen Abgabe
ihres Stimmfähigkeitsscheins, ihre Stimmzettel abgeben.

Daß der Bundesrath den in M a i l a n d und M ü h l h a u s e n niedergelassenen Schweizern, welche, jene in Chiasso, diese in Basel, am 19. April an der Abstimmung Theil nehmen wollten, den Bescheid ertheilte: es könne ihrem Gesuche, angesichts des Art. 5

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des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872, wornach nur Schweizer, welche am genannten Tage wirklich in der Schweiz sich aufhalten, mitstimmen dürfen, nicht entsprochen werden, -- konnte Ihre Kommission nur billigen.

Die V e r s c h i e d e n h e i t der A l t e r s j a h r e der S t i m m b e r e c h t i g u n g , welche bekanntlich in einzelnen Kantonen besteht, hat in den Kantonen G r a u b ü n d e n und G e n f bei Erhebung der dortigen Standesvotcn zu Komplikationen geführt.

Da in Graubünden der Bürger in kantonalen Angelegenheiten schon mit dem erfüllten 17. Jahre stimmberechtigt ist, so ließ der Große Rath, damit die bei der Volksabstimmung ausgeschlosseneu Jahrgänge am Standesvotum mitwirken können, -- das graubündnerische Standesvotum aus dem Ergebniß der eidgenössischen Abstimmung mit Hinzurechnung der Altersklassen zwischen dem 17.

und 20. Jahre bilden. So wurde dann die Stimmenzahl zur Bildung des Standesvotums größer, als diejenige der Volksstimme.

Im umgekehrten Verhältniß befand sich der Kau ton G e n f .

Hier beginnt das Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten mit dem 21. Altersjahre. Gestützt auf das Gesetz vom 19. Juni 1872 wurde in Genf das Standesvotum so gebildet, daß alle stimmberechtigten Genfer, sowie alle Schweizerbürger aus andern Kantonen, welche mehr als ein Jahr im Kanton sich aufgehalten hatten, dazu mitwirken konnten. Zur Bildung der Volksstimme dagegen wirkten außerdem noch diejenigen Bürger mit, welche nach dem Bundesgesetz das 20. Altersjahr erfüllt hatten. So kam es denn, daß in Genf das Standesvotum im umgekehrten Verhältniß zu Graubünden weniger Stimmende zählt als das Volksvotum.

A b s t i m m u n g u n d A b s t i m m u n g s e r g e b n i ß . Die von den Kantonsregierungen eingesandten Abstimmungsprotokolle ·wurden von der Kommission kantonsweise geprüft und ihrer ä u ß e r n F o r m n a c h im Allgemeinen in guter Ordnung gefunden. Mehrere Kantone haben gedruckte Formulare eingeführt. Die Redaktionen der Protokolle sind sehr verschieden. Man vergleiche beispielsweise die komplizirten tessiuisehen mit den lediglich auf die Angabe der Stimmziffern reduzirten waadtländischen! Unter den größern Kantonen zeichnen sich in formeller Beziehung die Abstimmungsprotokolle des Kantons A a r g a u , und unter den kleinern Kantonen diejenigen der beiden U n t e r w a i
d e n aus; die
In materieller Beziehung ist vor Allem hervorzuheben, daß die Abstimmungsprotokolle vieler Kantone die Z a h l der S t i m m b e r e c h t i g t e n in j e d e r G e m e i n d e gar nicht aufführen, so daß

481 der Kommission eine eingehende Prüfung der Abstimmungsresultate und deren statistische Vergleichung und Verwertung in verschiedenen Richtungen schlechterdings nicht möglich war. Ihre Kommission muß daher auf die Vorsorge dringen, daß in Zukunft die Angabe der Stimmberechtigten in den Verbalprozessen nirgends mangele und daß, sei es bei Revision des Gesetzes vom 19. Juli 1872 oder aber bei Erlassung eines Bundesgesetzes, in welchem die Anwendung des Art. 89 der Bundesverfassung (Referendum) geregelt wird, auf eine diesbezügliche Vorschrift Bedacht genommen werde. Wird theoretisch angenommen, daß auf vier Köpfe der schweizerischen Wohnbevölkerung ein Stimmberechtigter falle, so variirt bei der am 19. April stattgehabten Volksabstimmung die Theilnahme der Stimmberechtigten zu den Bewohnern in den einzelnen Kantonen zwischen l : 4 und l : 3,5.

Die kommissionelle Prüfung der Abstimmungsprotolle hat im Weitern ergeben, daß hin und wieder Zählungsfehler in den Angaben der Stimmenden unterlaufen sind. Solches geschah z. B.

in den Verbalprocessen mehrerer tessinischen Gemeinden, in den Gemeinden St. Croix und Romont und in der Gemeinde Glarus, in welch letzterer das Gesammtergebniß der Stimmenden um 100 zu gering angegeben erscheint. Im Protokoll von Glarus mangelt auffallender Weise auch die Angabe der Stimmberechtigten, während diese sonst in allen Verbalprozessen der übrigen Gemeinden des Kantons Glarus gehörig vorgemerkt ist. Im Kanton Tessili sind nicht weniger als drei Kategorien von Stimmzedeln aufgestellt, die vorkommenden Falls von den Stimmenzählern als ungültig ero O klärt werden müssen. In der appenzellischen Gemeinde Herisau ließ man 7 Stimmen deshalb als ungültig wegfallen, weil die Stimmzedel Korrekturen enthielten oder auf denselben das Ja oder Nein nicht am rechten Orte angebracht war. Ein Stimmender darf sich aber korrigiren, und, wenn er z. B. anfänglich ein Ja geschrieben hat, dasselbe, sofern er sich eines andern besinnt oder ein Versehen gut machen will, durch ein Nein ersetzen und dann das Ja mit einem Durchstrich ausmerzen. Ueberhaupt sollen keine Stimmzedel in den Wegfall kommen, auf welchen der Wille des Stimmenden objectiv ausgesprochen erscheint.

Ihre Kommission kann nicht umhin, auch den Uebelstand hervorzuheben, daß Stimmkarten (bulletins de vote) mit den Namen der
Stimmgeber versehen werden. Es ist das ein Mißbrauch, welcher sich mit der g e s e t z l i c h e n V o r s c h r i f t der geheimen Stimmabgabe nicht verträgt und fortan nicht geduldet werden sollte. Damit hängt zusammen, daß auch bei Abstimmungen in Militärschulen, bei welchen die Stimmabgabe einzelner oft weniger Militärs an die Bundes Watt. Jahrg. XXVI. Bd. II.

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betreffenden Heimatkantone versandt wird, das Geheimniß der Stimmgebung besser als bisher gewahrt werden muß.

B e s c h w e r d e n g e g e n d i e Abstimmungsverhandl u n g e n sind nur aus der aargauischen Gemeinde B ü t t i k o n und der Nidwald'schen Gemeinde W o l f e n s c h i e ß e n an den Bundesrath eingelangt. Der Rekurs aus Wolfenschießen, welcher sich darauf stützt, daß eine Anzahl Stammkarten ,,gezeichnet" gewesen seien, wurde vom Bundesrath seiner Unwichtigkeit wegen, wie es scheint, ignorirt. Die-Kommission sieht sich nicht veranlaßt denselben zu releviren. Die Rekursschrift aus Büttikon fußt sich auf die Thatsache, daß das dortige Bureau die Stimmgabe zweier Abwesenden als gültig auf- und angenommen habe. Das Verfahren war dem Art. 8 des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 zuwider und die aargauische Regierung that ihre Pflicht, wenn sie die fehlbaren Stimmenzähler mit Ordnungsbußen belegte. In der schaffhausenschen Gemeinde Neukirch scheint ein gleiches ungesetzliches Verfahren stattgefunden zu haben. Wenigstens scheint dieses aus dem Wortlaut des Verbalprozes hervorzugehen. Im Neunkirch'schen Protokoll werden nämlich die Stimmberechtigten der Gemeinde mit 303 aufgeführt, dann heißt es weiter : Bei der Verhandlung anwesend 269.

Im D o m i c i l S t i m m e n d e . 24.

Nichtstimmende 10.

303.

Eine amtliche Aufhellung des Vorgangs dürfte durchaus am Platze sein.

Das Verfahren in Büttikon muß von der Kommission gerügt werden, wenn auch das bezügliche Abstimmungsresultat dadurch nicht wesentlich alterili wurde und im Uebrigen die Beschwerde selbst als wohl erledigt angesehen werden kann.

Abstimmungsergebniß. Die revidirte Verfassung vom 31. Januar 1874 haben angenommen nachstehende l4 1/2 Stände: Zürich, Bern, Glarus, Solothurn, Basel, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessili, Waadt, Neuenburg, Genf und der Halbkanton Appenzell A. Rh.

Verworfen wurde die Verfassung von den 7l/2 Ständen : Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Zug, Freiburg, Wallis und dem Halbkanton Appenzell I. Rh.

Die Volksabstimmung vom 19. April ergab 340,199 A n n e h m e n d e und 198,013 V e r w e r f e n d e , so daß die Zahl der Annehmenden diejenige der Verwerfenden um 142,186 Stimmen über-

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steigt. Legt man die schweizerische Wohnbevölkerung vom 1. Dez.

1870 mit 2,517,484 Stimmen und die Zahl der güllig Stimmenden diesem Plebiscit zu Grunde, so betheiligten sich an der Abstimmung 538,212 Votanten, so daß auf 1000 der Wohnbevölkerung 214 Bürger bei dieser wichtigen Entscheidung von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht haben. Bei dem Plebiscit vom 12. Mai 1872 nahmen nur 516,465 gültig Stimmende oder 205 auf 1000 an der 7 O O Abstimmung Theil.

Am 19. April wiesen blos die Kantone W a a dt und Z u g eine geringere Zahl von Stimmenden auf, als am 12. Mai 1872. G e n f und U r i sind sich in der Abgabe der Stimmen gleich geblieben.

Es stimmten in Uri im Mai 1872 4199 und im April 1874 4108, in Genf (1872) 12,449 und (1874) 12,501. Alle andern Kantone erscheinen bei der Abstimmung vom 19. April mit einer größern Anzahl Stimmen als 1872. Die höchste Zunahme fällt auf Tessin, die geringste auf Schaffhausen.

Werden die einzelnen Kantono nach der Zahl der am 19. April die Verfassung A n n e h m e n d e n rangirt, so ergibt sich nachstehende Reihenfolge: Schaffhausen (96,8°/oo), Zürich, Neuen bürg, Baselland, Baselstadt, Appenzell A. Rh., Thurgau, Bern, Genf, Glarus, Aargau, Solothurn, Waadt, St. Gallen und Graubünden (52,8°/oo).

Vergleicht man dieses Abstimmungsergebniß mit demjenigen vom 12. Mai 1872, so zeigt sich die größte Umkehr in Waadt, wo sich 54, in Neuenburg, wo sich 46,1, in Appenzell A. Rh., wo sich 45,5 und in Genf, wo sich 40,9°/o mehr Annehmende ergeben haben, als vor zwei Jahren.

· Der aufsteigende Procentsatz der Annehmenden in den übrigen Kantonen ist folgender : Es stimmten für die Verfassung in Uri 7,9% Appenzell I. Rh. . 14,3 ,, Wallis 15,5 .', O b w a l d e n . . . . 16,7 ^ Schwyz . . . . 17,6 ,, Nidwaiden . . . 18,9,, Freiburg . . . . 20,6 ,, Tessin 33,3 ., Luzern 38,3 ., Zug 39,6.;, Im Vergleich zur Abstimmung von 1872 haben sich am 19.

April in Wallis 2,l°/o und in Uri sogar 4,3°/o m e h r für die Annahme der Verfassung ausgesprochen. In der gesammten Schweiz

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nahm die Zahl der Annehmenden am 19. April 1874 gegenüber dem 12. Mai 1872 um 84,593 zu und die Zahl der Verwerfenden um 62,846 Stimmen ab, so daß die Zahl der Annehmenden um mehr als 13% gestiegen ist.

Damit schließt die Kommission ihren Untersuchungsbericht und stellt den Antrag : Es wolle der N a t i o n a l r ath den B u n d e s b e schluß, b e t r e f f e n d die E r w a h r u n g der Abs t i m m u n g ü b e r d i e a m 31. J a n u a r 1 8 7 4 v o r g e legte revidirte Bundesverfassung, wie solcher i n d e r b u n d e s r ä t h l i c h e n B o t s c h a f t v o m 20. M a i abbin formulirt worden ist, die Genehmigung ertheilen.

Mit der Inkrafttretung der erneuerten Bundesverfassung ist, Tit., so hofft Ihre Kommission mit Ihnen, dem Vaterlande eine Bürgschaft des Friedens gegeben. Diese Bürgschaft liegt in dem Abschluß der innern Kämpfe, welcher die energische Wiederaufnahme der großen Kulturaufgaben auf dem geistigen und volkswirthschaftlichen Gebiete, zu deren glücklicher Lösung alle wahren Freunde der Freiheit und des Fortschritts, die Schweizer aller Gauen, sich die Hand reichen werden, -- dem schweizerischen Volke und seinen republikanischen Behörden möglich macht.

Hochachtungsvoll.

B e r n , den 27. Mai 1874.

Die Kommission :

Hungerbühler, Berichterstatter.

Berthond.

Carter et.

Klein.

Romedi.

v. Roten.

v. Segesser.

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b. Bericht der ständeräthlichen Kommission.

(Vom 29. Mai 1874.)

Tit.!

Unterm 31. Jan. d. J. sind die beiden eidgen. Räthe über eine der bestehenden Verfassung gegenüber vielfach modifizirte Bundesverfassung der Schweiz schlüssig geworden, welche dann dea 19.

April dem Schweizer Volke und den Ständen zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt wurde. Das Resultat dieser Abstimmung liegt heute dem Rathe vor, resp. ist zu erklären, ob der Majoritätswille des Volks und der Stände die Verfassung angenommen hat oder nicht. Die Abstimmungsergebnisse haben bereits die Kontrole der Kantonalbehörden, ja man kann sagen die Kontrole des ganzen Schweizervolks, sodann die vorsichtige und einläßlichste Spezialkontrole des Bundesraths, sodann diejenige einer Kommission des Nationalrathes von 7 Mitgliedern, welchen ausreichende Zeit zu dieser Prüfungsfrage gegeben war, passirt, und der vom Bundesrath vorgeschlagene Beschluß der Inkraftcrklärung des neuen Grundgesezes ist gestern vom Nationalrathe einmüthig angenommen worden. Bei dieser Sachlage glaubte Ihre Kommission von einer weitern detaillirten Prüfung aller und jeder einzelnen Abstimmungsbelege der Stimmgemeinden und Kantone absehen zu sollen. Eine solche dreifach repetirte Prüfung eines von gar keiner Partei, ja von keinem einzigen stimmberechtigten Bürger der ganzen Schweiz, welcher Partei er immer angehöre, angezweifelten Resultats schien in der That überflüssig. Damit wir vor Sie treten und in Wahrheit hätten erklären können, daß jedes Dokument des so höchst umfangreichen Stimmprozesses von uns richtig gewerthet und gezählt sei, bedurfte es auch mehr als ein Paar Stunden Zeit und wir hätten dann verlangen müssen, daß die Berathung erst in mehreren Tagen vorgenommen würde, was dem Rathe schwerlich convenir!; hätte. Wir haben demnach die unbestrittenen völlig übereinstimmenden Prüfungsresultate des Bundesraths und der nationalräthlichen Kommission als durchaus v e r t r a u e n s w e r t h e Basis angenommen.

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Aus der Botschaft des Bundesrathes und dem Berichte der Nationalraths-Kornmission ergibt sich nachstehendes Resumé über die Vorbereitung und das schließliche Resultat des großen Stimmprozesses vom 19. April 1874.

Die Vorbereitungen und die Abstimmung sind in vollständiger und corrector Einhaltung der Bundesgesetze vom 19. Juli 1872 und der Verordnung des Bundesrathes vom 13. Hornung 1874 vor sich gegangen.

Die neue Verfassung ist in Aufstellung der nöthigen Kontrole für gute Traduction in die drei Landessprachen und selbst in die Dialekte des Romanischen übersetzt worden. Sodann sind zur vorgeschriebenen Zeit an sämmtliche stimmberechtigten Bürger des Landes zur Vertheilung gekommen 478,050 deutsche, 177,282 französische, 38,030 italienische Exemplare des neuen Verfassungsentwurfs.

Die bundesräthliche Proklamation zu der neuen Verfassung wurde in 292,445 Exemplaren in die Kantone versendet und daselbst publicirt.

Der Bundesrath traf die einsichtigsten Maßregeln, daß kein Bürger des Landes seines Stimmrechts beraubt werden könne, namentlich wurden für das im Dienst befindliche Militär, für Zoll- und Postbeamte, für Eisenbahn- und Dampfschiffangestellte, welche zur gegebenen Stunde au den gewöhnlichen Stimmorten nicht anwesend sein konnten, die nöthigen Maßregeln getroffen. Allen stimmberechtigten Niedergelassenen und Aufenthaltern im ganzen Lande wurde das Stimmrecht durch die liberalste Zeitfrist gewahrt. Dagegen mußte, in Nachachtung des stricten Wortlautes des Gesetzes, den im "Ausland domicilirten Schweizern, deren gehobener Patriotismus au der Abstimmung Theil zu nehmen gewünscht hätte, dieser Wunsch versagt werden. Nach allen diesen die Freiheit der Abstimmung in jeder Richtung wahrenden Maßregeln ergab sich in der Abstimmung vom 19. April selbst, nachfolgendes Resultat : 340,100 Bürger haben die Verfassung angenommen; 198,013 haben dieselbe verworfen. Mit einem Mehr von 142,186 Stimmen hat somit die V o l k s a b s t i m m u n gO die neue VerfassungO sanctionirt.

Aus der Kantons- oder Ständeabstimmung ergaben sich 141/2 annehmende und 7*/2 verwerfende Kautone. Erstere und Letztere sind im Beschluß namentlich erwähnt.

Da nur ll 1/2 Stände zur Sanction gefordert sind, so ist auch das Erforderniß der Ständemehrheit überwiegend geleistet. Es hat

487 somit die neue Bundesverfassung das geforderte doppelte Merkmal der Volks- und der Ständemehrheit auf sich vereinigt und ist in Folge davon die r e c h t s k r ä f t i g e Verfassung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t geworden.

Bezüglich der Details über die Zahlung und das Zustandekommen der Standesstimme, namentlich an den Orten, wo die Standesstimme mit der Volksabstimmung n i c h t oder doch nicht ganz zusammenfällt (Bündten und Genf z. B.), darf ich auf die bundesräthliche Botschaft und den Bericht an den Nationalrath verweisen. -- Dieses große Resultat ist in beiden Richtungen, Volks- und Ständeabstimmung, so zu sagen durchwegs unangefochten geblieben und seine Zuverläßigkeit ist auch dadurch nachträglich bekräftigt worden. Die verschwindend kleineu Ausstellungen au 2--3 Gemeinden, welche in der bundesräthlichen Botschaft und dem nationalräthlichen Bericht erwähnt sind, fallen gänzlich außer Betracht.

Aus dein Hauptresultate wäre eine große Zahl statistisch wichtiger Data, namentlich auch in Vergleichung mit dar Abstimmung vom Jahr 1872, zu ziehen. Da dieß zur heutigen Frage nichts thut, so enthalte ich mich dessen und will nur drei große Thatsachen hervorheben, die den Werth dieses Resultats erhöhen: a. Die volle, unbeschränkte und auch ohne alle Schranken gegen wie für dieses Werk benutzte und geübte freie Diskussion in Wort und Schrift vor der Abstimmung, gegen welche Freiheit keine Behörde des Landes, keine Partei einzuschreiten auch nur den Gedanken hatte.

b. Die allgemeine Theilnahme des ganzen Volks am AbstimmungsAct. Es haben 538.212 Votanten gestimmt auf 21/a Millionen Seeleu, 21,571 Bürger mehr als selbst 1872. Auf 1000 Seelen der Wohnbevölkerung kommen 211 abstimmende Bürger. Wir scheu also> in der That und Wahrheit eine V o l k s a b s t i m m u n g vor uns.

c. Die von der politischen Bildung und Reife unseres Volkes rühmlich zeugende Würde und Ruhe dieses großen Abstimmungsacts. Trotzdem es wahrlich an Uebertreibungen jeder Art unmittelbar vor der Abstimmung nicht fehlte, trotz dem Umstände, daß der Wärmegrad der Geister manchen Orts wahrlich dem Siedepunkt nahe stand, ist der große Akt aller Orten, man darf fast sagen in majestätischer Ruhe vor sich gegangen. Im ganzen Lande ist keine Spur von Störung oder Gewalt vorgekommen.

Dafür ist nunmehr auch
diese VerfassungO nicht nur f o r m e l l ,' sondern im tiefsten Sinn des Wortes m a t e r i e l l das Grundgesetz des schweizerischen Volkes geworden, das keine Partei angreifen kann noch wird; mehr n o c h , das keine Partei, selbst wenn sie

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könnte, angreifen will, -- so sehr ist in diesem Lande die Achtung hergestellt vor dem Rechte der verfassungsmäßigen Mehrheiten.

Dies ist das Ergebniß einer lange geübten wohlgeordneten Freiheit unseres Vaterlandes.

Der nationalräthliche Bericht begleitet die Vorarbeiten zur Abstimmung und einige Erscheinungen wahrend derselben mit mancherlei Bemerkungen zu Händen des Bundesrathes. Ihre Kommission will hievon wesentlich Eine kräftig unterstützen. Die Abstimmungskontrolen vieler KantoEe führen die Gesammtzahl der Stimmberechtigten in jeder Gemeinde nicht auf, was dahin geändert werden sollte, daß durch die g>mze Schweiz in jeder Gemeinde jeweilen die Gesammtzahl der Stimmberechtigten neben den Stimmenden aufgeführt wird. Wir fügen dieser Bemerkung nur zwei bei. Der § 8 des Bundesgesetzes betreffend die eidg. Abstimmung, vom 19. Heumonat 1872, besagt im deutschen Text, daß diese Akte ,,mittelst schriftlicher und geheimer Stimmgebungtt stattfinden sollen. Im französischen Text ist aber das ,,schriftlich" weggelassen, weshalb Kantone auch gedruckte Stimmzedel mit Ja und Nein glaubten gebrauchen zu dürfen. Wir finden in der Doppelvorschrift des deutschen Textes nicht nur den wahren Willen der Gesetzgeber, sondern überhaupt den materiell am besten die Freiheit sichernden Modus. Ihre Kommission nimmt an, daß der Bundesrath diese Bemerkungen für die Ausarbeitung des Referendumsgesetzes benutzen und bei jener Gelegenheit alle diese streitigen Punkte zur Entscheidung bringen werde.

Meine Herren Kollegen!

Diese Verfassung, die nunmehr die Richtung unserer Thätigkeit in Zukunft beherrscht, ist in Wahrheit eine That des Patriotismus in den Räthen und im Volke. Daß sie zu Stande komme, mußte von der Deinen Seite manches Liebe geopfert, auf der andern auf manches weiter Angestrebte verzichtet werden. Am heutigen Tage schon können wir einigermaßen erkennen, welche traurige Situation wir unserem Lande geschaffen hätten, wenn der Parteigeist über den maßhaltenden Patriotismus Meister geworden wäre!

Möge der Geist, der das Werk gezeugt, hat, auch die Ausführung leiten; möge in aller Zukunft in unserem gesegneten Lande A l l e n das Vate'rland über der Partei stehen !

Ihre Kommission beantragt Ihnen die Annahme des nationalräthlichen Beschlusses.

B e r n , den 29. Mai 1874.

Namens der Kommission, Der B e r i c h t e r s t a t t e r : C. Käppeler.

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# S T #

Bericht der

ständeräthlichen Kommission über Gewährleistung der neuen Verfassung des Kantons Zug.

(Vom 15. Juni 1874.)

Tit.!

Die zur eidgenössischen Sanktion vorliegende Verfassung des Kantons Zug vom 14./22. Dezember 1873 ist unter der Herrschaft der nunmehr außer Kraft erklärten Bundesverfassung vom Jahr 1848 entstanden; sie ist auch noch unter der Herrschaft jener Verfassung zur Sanktion vorgelegt worden. Die Aufklärung und Beantwortungo eingegangener Beschwerden hat die Schlußnahme der Räthc o o o verzögert und es ist demnach jezt die Sanktionsfrage unter der Herrschaft und nach den Vorschriften der revidirten Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 zu prüfen.

Gewiß wäre es nuzlose Arbeit, die Sanktion erst an Hand der alten Bundesverfassung zu prüfen und ein zweites Mal nach der revidirten. Der Leztern muß sie ja nunmehr unter allen Umständen entsprechen und somit ist, gleich wie bei der Verfassung von Glarus geschah, der lezte und nunmehr einzig gültige Maßstab von vornherein an die Prüfung zu legen. Das Meiste, was wir auszusezen haben, verstößt in der That auch nur gegen die revidirte Bundesverfassung, nicht gegen die frühere, und wird deßhalb schlechterdings nicht vorwurfsweise gegen den Kantonsrath von Zug vorgebracht. Die Zuger Verfassung theilt sachlich hierin das Schiksal der meisten oder gar aller unter der Bundesverfassung von 184, sanktionirter Kantonsverfassungen, von denen kaum E i n e sein wird

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Mehrheit der Kommission des Ständeraths über den Rekurs des Verwaltungsraths der Gemeinde Neuenburg gegen die Beschlüsse des Staatsraths vom 8.

und 23. November 1872. (Vom 20. Dezember 1873.)

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Bundesblatt

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Foglio federale

Jahr

1874

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

31

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.07.1874

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470-489

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10 008 247

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