16.027 Botschaft zur Änderung des Ausländergesetzes (Steuerung der Zuwanderung und Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen) vom 4. März 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Ausländergesetzes.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2014

M 14.3307

Ergänzungsleistungen und Datenübermittlung (N 6.5.15, Pezzatti)

2014

P

Verbesserter Vollzug des bestehenden Freizügigkeitsabkommens (N 26.9.14, FDP-Liberale Fraktion)

14.3462

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4.März 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2016-0014

3007

Übersicht Zur Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung (BV) sollen bei Personen aus Drittstaaten in Ergänzung zur geltenden Regelung insbesondere Höchstzahlen und Kontingente für den Familiennachzug, für Personen ohne Erwerbstätigkeit sowie für den Asylbereich eingeführt werden. Die Zuwanderung von Personen, für die das Freizügigkeitsabkommen mit der EU (FZA) oder das EFTAÜbereinkommen gilt, soll demgegenüber durch eine Schutzklausel gesteuert werden. Dabei wird eine einvernehmliche Lösung mit der EU angestrebt. Für den Fall, dass mit der EU nicht rechtzeitig eine Einigung erzielt werden kann, sieht der Gesetzesentwurf eine einseitige Schutzklausel für Personen aus den EU- und EFTA-Staaten vor.

Unabhängig von der Umsetzung von Artikel 121a BV schlägt der Bundesrat verschiedene Massnahmen vor, um den Vollzug der Personenfreizügigkeit zu verbessern. Diese Massnahmen sollen in der ganzen Schweiz eine einheitliche Anwendung des FZA gewährleisten und die Rechtslage klären. Es soll ausgeschlossen werden, dass ausländische Stellensuchende in der Schweiz Sozialhilfe beziehen. Die Vorlage legt zudem die Kriterien fest, wonach Personen aus den EU- und EFTA-Staaten bei unfreiwilliger Stellenlosigkeit (Stellenverlust) ihr Aufenthaltsrecht verlieren. Weiter sieht sie einen Datenaustausch zwischen den Behörden vor, wenn Ausländerinnen und Ausländer Ergänzungsleistungen beziehen. Diese Vollzugsverbesserungen wurden in die Vorlage zur Umsetzung von Artikel 121a BV aufgenommen, da sie ebenfalls einer besseren Steuerung der Zuwanderung dienen.

A. Umsetzung von Artikel 121a BV Ausgangslage Aus den am 9. Februar 2014 angenommenen Artikeln 121a und 197 Ziffer 11 BV folgen zwei Aufträge: erstens die Anpassung des Ausländergesetzes sowie zweitens Verhandlungen zur Anpassung von völkerrechtlichen Verträgen, die diesen Bestimmungen nicht entsprechen.

Das Vernehmlassungsverfahren zur Umsetzung von Artikel 121a BV im Ausländergesetz fand vom 11. Februar bis zum 28. Mai 2015 statt. Es betraf zwei Vernehmlassungsentwürfe: eine Revision des Ausländergesetzes (AuG) zur Umsetzung von Artikel 121a BV sowie eine Anpassung der vom Parlament an den Bundesrat zurückgewiesenen Vorlage zur Änderung des AuG (Integrationsvorlage; 13.030). Zur Integrationsvorlage hat der Bundesrat eine separate Zusatzbotschaft verabschiedet.
Nach der Auffassung des Bundesrats müssen das FZA, das EFTA-Übereinkommen sowie das Rahmenabkommen mit Liechtenstein angepasst werden. Dabei ist zuerst das FZA anzupassen. Der Bundesrat hat am 11. Februar 2015 das Verhandlungsmandat zur Anpassung des FZA verabschiedet mit dem Ziel, Artikel 121a BV umzusetzen und den bilateralen Weg weiterzuführen. Am 2. Februar 2015 verständigten sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundespräsidentin Simo-

3008

netta Sommaruga auf Konsultationen, in denen ausgelotet werden soll, ob es einen für beide Seiten gangbaren Weg gibt, den Verfassungsauftrag von Artikel 121a BV bei gleichzeitiger Wahrung des bilateralen Weges umzusetzen.

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Jean Asselborn kamen am 21. Dezember 2015 anlässlich einer Arbeitssitzung überein, die Konsultationen über das FZA fortzusetzen und zu intensivieren. Es besteht Einigkeit darüber, dass eine einvernehmliche Lösung über eine gemeinsame Auslegung der bestehenden Schutzklausel (Art. 14 Abs. 2 FZA) angestrebt werden soll. Diese Lösung soll die Anforderungen des FZA und der Schweizerischen Bundesverfassung in Einklang bringen. Die Konsultationen dauern noch an.

Inhalt der Vorlage Die Zulassung von Personen aus Drittstaaten richtet sich nach dem Ausländergesetz, das für Aufenthalte mit Erwerbstätigkeit bereits heute Höchstzahlen und Kontingente vorsieht. Das Gesetz muss jedoch an die neuen Vorgaben von Artikel 121a BV angepasst werden; dazu gehören insbesondere Höchstzahlen und Kontingente auch für Aufenthalte ohne Erwerbstätigkeit sowie für den Asylbereich.

Die Zulassung von Personen aus den EU/EFTA-Staaten richtet sich demgegenüber nach dem FZA beziehungsweise nach dem EFTA-Übereinkommen. Das Ziel des Bundesrats ist es, wenn immer möglich eine einvernehmliche Lösung mit der EU zu erzielen, welche die Verfassungsbestimmungen respektiert und das FZA beziehungsweise das EFTA-Übereinkommen einhält. Damit wäre der bilaterale Weg gesichert und die Rechtssicherheit, die für den Standort Schweiz von zentraler Bedeutung ist, wiederhergestellt. Falls eine einvernehmliche Lösung mit der EU bei der Umsetzung von Artikel 121a BV nicht gelingt, ist bei einer Kündigung des FZA der Fortbestand der ganzen Bilateralen I gefährdet. Es ist aber auch möglich, dass die EU auf eine Kündigung des FZA verzichtet und dafür anderweitige Ausgleichsmassnahmen vornimmt (z. B. Aussetzung der laufenden Verhandlungen bzw. kein Abschluss neuer Abkommen; Infragestellung bestehender Abkommen wie Kündigung oder Androhung der Kündigung des Horizon-Abkommens). Da der Bundesrat jedoch an die zeitlichen Vorgaben zur Umsetzung von Artikel 121a BV gebunden ist, enthält der Gesetzesentwurf eine einseitige Schutzklausel,
die bei einer Aktivierung allerdings nicht den Zulassungsbestimmungen des FZA entsprechen würde. In einem Urteil vom 26. November 2015 hat sich das Bundesgericht zum Verhältnis zwischen Artikel 121a BV und dem FZA geäussert. Bei einem tatsächlichen Normkonflikt zwischen innerstaatlichen Rechtsänderungen zur Umsetzung von Artikel 121a BV und dem FZA ginge demnach in der Rechtsanwendung das FZA vor. Würde das Parlament die Vorlage mit der einseitigen Schutzklausel verabschieden, könnte somit deren Anwendung in einem konkreten Einzelfall nur umgesetzt werden, wenn die Schweiz das FZA kündigen würde. In diesem Fall würde das AuG auch für Staatsangehörige der EU/EFTA-Mitgliedstaaten gelten und es müsste entsprechend angepasst werden. Eine Kündigung des FZA würde wegen der Guillotine-Klausel zum Wegfall der Bilateralen I führen.

3009

Durch eine vorübergehende und gezielte Beschränkung der Bewilligungen aus EU/EFTA-Staaten soll die Zuwanderung eigenständig gesteuert werden. Im AuG werden die Eckwerte einer solchen Schutzklausel festgehalten. So soll für die Zuwanderung von Angehörigen der EU- und EFTA-Staaten ein bestimmter Schwellenwert festgelegt werden, ab dem für das Folgejahr Höchstzahlen und allenfalls Kontingente eingeführt werden. Der Bundesrat legt dabei fest, für welche Bewilligungsarten und für welche Aufenthaltszwecke sie gelten. Gleichzeitig ergreift er Massnahmen zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotentials sowie der Integration von Ausländerinnen und Ausländern. Zudem passt er bei Bedarf den Vollzug des Ausländerrechts an. Bei diesen Entscheiden berücksichtigt er insbesondere das gesamtwirtschaftliche Interesse der Schweiz sowie die Empfehlungen einer neuen Zuwanderungskommission, wie sie im Entwurf vorgeschlagen wird.

Ergänzende Massnahmen zur Ausschöpfung des inländischen Potenzials an Arbeitskräften sowie zur Bekämpfung der Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt sind in separaten Vorlagen des Bundesrats vorgesehen.

B. Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen Ausgangslage Dem Bundesrat ist es ein zentrales Anliegen, dass die flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr konsequent umgesetzt werden und dass die negativen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit bekämpft werden. In den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche Massnahmen eingeführt. Dennoch wurde festgestellt, dass insbesondere bei der Anwendung des FZA in Bezug auf die Gewährung von Sozialhilfe oder das Erlöschen des Aufenthaltsrechts nach Stellenverlust eine unterschiedliche Praxis und wenig Klarheit herrschen. Deshalb hat der Bundesrat am 15. Januar 2014 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement und das Eidgenössische Departement des Innern beauftragt, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten, der diese Punkte regelt. Vom 2. Juli bis zum 22. Oktober 2014 wurde eine Vernehmlassung durchgeführt. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen folgen auch zwei Empfehlungen der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle und der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates.

Inhalt der Vorlage Zurzeit findet sich keine gesetzliche Regelung in einem Bundesgesetz, ob Ausländerinnen und Ausländern, die zum Zweck der Stellensuche in die
Schweiz einreisen, Sozialhilfe zu gewähren ist oder nicht. Deshalb wird vorgeschlagen, die Praxis zu vereinheitlichen und ausländische Personen sowie ihre Angehörigen von der Sozialhilfe auszuschliessen, wenn sie lediglich zur Stellensuche in die Schweiz kommen.

Dies ist mit dem FZA vereinbar.

Die Vorlage führt ausserdem eine klare Regelung ein, die den Zeitpunkt des Verlusts des Aufenthaltsrechts bei Stellenverlust genau bestimmt. Innerhalb der EU verfügen die Mitgliedstaaten über eine Regelung, die den Zeitpunkt festlegt, an dem die betroffene Person ihre Arbeitnehmereigenschaft verliert, wenn sie im ersten Jahr ihres Aufenthalts ihre Stelle verliert. Diese Regelung stützt sich auf eine Richtlinie,

3010

die in der Schweiz nicht anwendbar ist. Doch über das erste Jahr des Aufenthalts hinaus äussert sich das EU-Recht nicht zum genauen Zeitpunkt des Verlusts der Arbeitnehmereigenschaft. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union legt zwar gewisse Grundsätze fest, aber sie bestimmt diesen Zeitpunkt nicht näher. Da auch der Wortlaut des FZA nicht eindeutig ist, sollen die vorgeschlagenen Änderungen Klarheit schaffen und den Zeitpunkt festlegen, ab dem die betroffenen Personen keine Sozialhilfe mehr beanspruchen können.

Zur Ergänzung dieser Massnahmen wird ein Datenaustausch bei einem Bezug von Ergänzungsleistungen und einem Widerruf der Aufenthaltsbewilligung vorgeschlagen. Zudem wird der Bezug von Ergänzungsleistungen durch ausländische Personen ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz ausdrücklich ausgeschlossen.

3011

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Abkürzungsverzeichnis

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1

3016 3016 3019 3019 3020 3023

2

Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage bei der Umsetzung von Artikel 121a BV 1.2 Die beantragte Neuregelung zur Umsetzung von Artikel 121a BV 1.2.1 Überblick 1.2.2 Zulassung von Personen aus Drittstaaten 1.2.3 Zulassung von Personen aus den EU/EFTA-Staaten 1.2.4 Festlegung des Schwellenwerts und der Höchstzahlen bei der einseitigen Schutzklausel 1.2.5 Indikatoren für die Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente sowie des Schwellenwerts 1.2.6 Zuwanderungskommission 1.3 Kriterien für die Bewilligungserteilung nach Artikel 121a Absatz 3 BV 1.3.1 Ausreichende Existenzgrundlage 1.3.2 Integrationsfähigkeit 1.3.3 Gesuch eines Arbeitgebers 1.4 Begleitmassnahmen zur Umsetzung von Artikel 121a BV 1.4.1 Flankierende Massnahmen zum FZA 1.4.2 Förderung des inländischen Potenzials 1.5 Ausgangslage bezüglich der Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 1.6 Die beantragte Neuregelung zu den Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 1.6.1 Ziel 1.6.2 Ausschluss Stellensuchender von der Sozialhilfe 1.6.3 Datenaustausch über die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen 1.6.4 Erlöschen des Aufenthaltsrechts bei Stellenverlust 1.6.5 Umsetzung der Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 1.7 Erledigung parlamentarischer Vorstösse Ergebnisse der Vernehmlassungsverfahren und nachträgliche Änderungen 2.1 Vernehmlassungsverfahren zur Umsetzung von Artikel 121a BV 2.2 Vernehmlassungsverfahren zu den Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 2.2.1 Ergebnisse der Vernehmlassung 2.2.2 Änderungen nach der Vernehmlassung

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3025 3027 3029 3030 3030 3030 3031 3031 3031 3033 3034 3036 3036 3036 3037 3038 3039 3040 3042 3042 3045 3045 3046

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3

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

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4

Auswirkungen 4.1 Auswirkungen auf den Bund 4.1.1 Umsetzung von Artikel 121a BV 4.1.2 Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 4.2 Auswirkungen auf die Kantone 4.2.1 Umsetzung von Artikel 121a BV 4.2.2 Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 4.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 4.3.1 Umsetzung von Artikel 121a BV 4.3.2 Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 4.4 Auswirkungen auf die Politik der Schweiz gegenüber der EU

3065 3065 3065 3066 3066 3066 3067 3067 3067 3069 3070

5

Verhältnis zur Legislaturplanung

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6

Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit 6.1.1 Umsetzung von Artikel 121a BV 6.1.2 Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 6.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.2.1 Umsetzung von Artikel 121a BV 6.2.2 Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen 6.3 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 6.4 Datenschutz

3071 3071 3071 3071 3072 3072 3073 3076 3076

Anhang: Einseitige Schutzklausel für Angehörige der EU/EFTAMitgliedstaaten (vgl. Ziff. 1.2.3 und 1.2.4)

3077

Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG) (Steuerung der Zuwanderung und Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen) (Entwurf)

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Abkürzungsverzeichnis AHV ATSG AuG BJ BV DEA DV EDA EDI EFTA EJPD ELG ELV EMRK EuGH EU FlaM FZA

GPK-N IV KdK SECO SEM SKOS SVP VDK VEP VKM VSAA

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Alters- und Hinterlassenenversicherung Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (SR 830.1) Ausländergesetz vom 16. Dezember 2005 (SR 142.20) Bundesamt für Justiz Bundesverfassung (SR 101) Direktion für Europäische Angelegenheiten Direktion für Völkerrecht Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten Eidgenössisches Departement des Innern Europäische Freihandelsassoziation Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (SR 831.30) Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (SR 831.301) Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (SR 0.101) Gerichtshof der Europäischen Union Europäische Union Flankierende Massnahmen Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681) Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Invalidenversicherung Konferenz der Kantonsregierungen Staatssekretariat für Wirtschaft Staatssekretariat für Migration Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe Schweizerische Volkspartei Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren Verordnung vom 22. Mai 2002 über die Einführung des freien Personenverkehrs (SR 142.203) Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden

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VZAE WBF WTO ZUG

Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (SR 142.201) Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung Welthandelsorganisation Zuständigkeitsgesetz vom 24. Juni 1977 (SR 851.1)

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage bei der Umsetzung von Artikel 121a BV

Die neuen Artikel 121a und 197 Ziffer 11 der Bundesverfassung (BV)1 wurden in der Abstimmung über die Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» am 9. Februar 2014 von einer Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung und der Kantone angenommen.2 Die Ziele dieser Bestimmungen sind die eigenständige Steuerung und die Begrenzung der Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern durch die Schweiz (Art. 121a Abs. 1 und 2 BV).

Aus den zwei Artikeln folgen zwei Aufträge, die innerhalb der gleichen Frist umzusetzen sind: 1. Gesetzgebung: a.

Es ist ein neues Zulassungssystem für alle Ausländerinnen und Ausländer einzuführen, das insbesondere jährliche Höchstzahlen und Kontingente vorsieht. Bei der Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente für die Zulassung mit Erwerbstätigkeit ist der Vorrang der Schweizerinnen und Schweizer zu berücksichtigen und die Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind einzubeziehen. Massgebende Kriterien für die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen sind insbesondere das Gesuch eines Arbeitgebers, die Integrationsfähigkeit und eine ausreichende, eigenständige Existenzgrundlage (Art.

121a Abs. 1­3 BV).

b.

Kann die Ausführungsgesetzgebung bis am 9. Februar 2017 (d. h. drei Jahre nach Annahme der Initiative) nicht in Kraft treten, muss der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen vorübergehend durch Verordnungen erlassen (Art. 121a Abs. 5 und Art. 197 Ziff. 11 BV).

2. Völkerrechtliche Verträge:

1 2

a.

Es dürfen ab dem Zeitpunkt der Annahme der neuen Verfassungsbestimmungen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diese Bestimmungen verstossen (Art. 121a Abs. 4 BV).

b.

Völkerrechtliche Verträge, die den neuen Verfassungsbestimmungen widersprechen, sind ebenfalls bis zum 9. Februar 2017 neu zu verhandeln und anzupassen (Art. 197 Ziff. 11 BV). Betroffen davon sind die Freizügigkeits-

SR 101 Vgl. für Wortlaut, Beratungen im Parlament, Abstimmungsresultate usw.

www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Volksinitiative > Chronologie Volksinitiativen.

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abkommen mit der EU3 und der EFTA4 sowie der Rahmenvertrag Schweiz­ Liechtenstein5.

Die Departementsvorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) nach der Annahme von Artikel 121a BV beauftragt, eine Expertengruppe einzusetzen. Diese begleitet die Arbeiten zur Umsetzung konzeptionell und inhaltlich. Die Expertengruppe wird von Staatssekretär Mario Gattiker, SEM, in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und der Direktion für Europäische Angelegenheiten (DEA) präsidiert. In der Expertengruppe sind folgende Organisationen sowie Ämter und Stellen der Bundesverwaltung vertreten: Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren (VDK), Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden (VSAA), Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden (VKM), Schweizerischer Arbeitgeberverband, Schweizerischer Gewerbeverband, Schweizerischer Bauernverband, Travail.Suisse, Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Schweizerischer Städteverband, Schweizerischer Gemeindeverband, Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen, SEM, DEA, SECO, Bundesamt für Justiz(BJ), Direktion für Völkerrecht (DV), Bundesamt für Sozialversicherungen sowie der Sonderbotschafter für Migration (EJPD/EDA).

Im Hinblick auf die Ausarbeitung des Umsetzungskonzepts des Bundesrats wurden in der Expertengruppe Grundsatzfragen und Umsetzungsvorschläge der Verwaltung sowie einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Expertengruppe diskutiert und validiert. Das Ergebnis der Arbeiten wurde in einem gemeinsamen Synthesebericht vom 13. Juni 20146 festgehalten. Am 20. Juni 2014 stellte der Bundesrat ein Umsetzungskonzept7 vor, das auf den Vorarbeiten der Expertengruppe basiert. Im September 2014 diskutierte die Expertengruppe eine erste Fassung des Vernehmlassungsentwurfs und schlug Änderungen vor, die soweit möglich übernommen wurden.

Zusätzlich zur Expertengruppe wurde eine Arbeitsgruppe «Steuerung der Zuwanderung» der für den Vollzug verantwortlichen Behörden geschaffen, die spezifische vollzugsrelevante Fragen zur Organisation und zu den Prozessen bei der Umsetzung diskutiert. Sie besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der KdK, des VSAA, der VKM, des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), des EDA und des SEM. Die Arbeitsgruppe wird ebenfalls von Staatssekretär 3

4

5

6

7

Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681).

Anhang K des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation, konsolidierte Fassung des Vaduzer Abkommens vom 21. Juni 2001 (EFTA-Übereinkommen; SR 0.632.31).

Rahmenvertrag vom 3. Dezember 2008 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die Zusammenarbeit im Bereich des Visumverfahrens, der Einreise und des Aufenthalts sowie über die polizeiliche Zusammenarbeit im Grenzraum (SR 0.360.514.2).

Siehe www.sem.admin.ch > Einreise & Aufenthalt > Personenfreizügigkeit Schweiz ­ EU/EFTA > Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmungen zur Zuwanderung > Weitere Infos > Dokumentation > Weitere Dokumente.

Siehe www.sem.admin.ch > Einreise & Aufenthalt > Personenfreizügigkeit Schweiz ­ EU/EFTA > Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmungen zur Zuwanderung > Weitere Infos > Dokumentation > Weitere Dokumente.

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Mario Gattiker präsidiert. Am 12. Januar 2016 wurde der Gesetzesentwurf mit Vertreterinnen und Vertretern der Kantone (KdK und VDK) besprochen.

Die Grundlagen für den Vernehmlassungsentwurf bildeten insbesondere das Umsetzungskonzept des Bundesrats vom 20. Juni 2014, ein Gutachten des BJ 8 über den möglichen Handlungsspielraum bei der Umsetzung von Artikel 121a BV, ein Bericht der DV9 über die Vereinbarkeit von Artikel 121a BV mit bestehenden internationalen Verträgen sowie die Beratungen der Expertengruppe zur Umsetzung von Artikel 121a BV und deren Synthesebericht.

Das Vernehmlassungsverfahren fand vom 11. Februar bis zum 28. Mai 2015 statt.

Es betraf zwei Vernehmlassungsentwürfe: neben der Revision des Ausländergesetzes10 (AuG) zur Umsetzung von Artikel 121a BV auch eine Anpassung der vom Parlament an den Bundesrat zurückgewiesenen Vorlage zur Änderung des AuG (Integrationsvorlage, 13.030). Die Anpassungen der Integrationsvorlage sind in einer separaten Zusatzbotschaft enthalten.

Um den zweiten Auftrag der neuen Verfassungsartikel zu erfüllen, hat der Bundesrat am 8. Oktober 2014 den Entwurf eines Verhandlungsmandats zur Anpassung des FZA verabschiedet. Nach erfolgter Konsultation verabschiedete er das definitive Mandat am 11. Februar 2015. Mit den Verhandlungen sollen zwei Ziele verfolgt werden: Einerseits soll das FZA so angepasst werden, dass es der Schweiz künftig möglich ist, die Zuwanderung eigenständig zu steuern und zu begrenzen ­ unter Wahrung der gesamtwirtschaftlichen Interessen. Andererseits soll der bilaterale Weg gesichert werden. Beiden Zielen soll gleichermassen Rechnung getragen werden.

Am 2. Februar 2015 verständigten sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga auf Konsultationen, in denen ausgelotet werden soll, ob es einen für beide Seiten gangbaren Weg gibt, den Verfassungsauftrag von Artikel 121a BV bei gleichzeitiger Wahrung des bilateralen Weges umzusetzen.

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Jean Asselborn kamen am 21. Dezember 2015 anlässlich einer Arbeitssitzung überein, die Konsultationen über das FZA fortzusetzen und zu intensivieren. Es besteht Einigkeit darüber, dass eine einvernehmliche Lösung über eine gemeinsame Auslegung der bestehenden
Schutzklausel (Art. 14 Abs. 2 FZA) angestrebt werden soll. Diese Lösung soll die Anforderungen des FZA und der Schweizerischen Bundesverfassung in Einklang bringen. Der Bundesrat hat am 4. Dezember 2015 entschieden, dass er die Zuwanderung von Personen, die unter das FZA fallen, mittels einer Schutzklausel steuern will. Dabei strebt er eine einver8

9

10

Gutachten vom 8. April 2014 «Angenommene Volksinitiative : Auslegung der Artikel 121a und 197 Ziffer 9 der Bundesverfassung» (heute Ziff. 11), siehe: www. sem.admin.ch > Einreise & Aufenthalt > Personenfreizügigkeit Schweiz ­ EU/EFTA > Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmungen zur Zuwanderung > Weitere Infos > Dokumentation > Weitere Dokumente.

Bericht vom 26. Mai 2014 «Auswirkungen der neuen Verfassungsbestimmungen Artikel 121a und Artikel 197 Ziffer 9 (heute Ziff. 11) auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz», siehe: www. sem.admin.ch > Einreise & Aufenthalt > Personenfreizügigkeit Schweiz ­ EU/EFTA > Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmungen zur Zuwanderung > Weitere Infos > Dokumentation > Weitere Dokumente.

SR 142.20

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nehmliche Lösung mit der EU an, die anschliessend in das EFTA-Übereinkommen und den Rahmenvertrag mit Liechtenstein übernommen werden könnte. Für den Fall, dass mit der EU nicht rechtzeitig eine Einigung erzielt werden kann, wird im vorliegenden Gesetzesentwurf in Abweichung vom Vernehmlassungsentwurf neu eine einseitige Schutzklausel vorgeschlagen, die den Vorgaben von Artikel 121a BV entspricht.

Die laufenden Konsultationen mit der EU werden fortgesetzt, um wenn immer möglich eine einvernehmliche Lösung zu erzielen, welche die Verfassungsbestimmungen respektiert und das FZA einhält. Damit wäre der bilaterale Weg gesichert und die Rechtssicherheit wiederhergestellt, die für den Wirtschaftsstandort Schweiz von zentraler Bedeutung ist. Ein Wegfall der Bilateralen I hätte bedeutende Einschnitte für die Schweizer Volkswirtschaft zur Folge. Zwei wissenschaftliche Studien zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen eines Wegfalls der Bilateralen I zeigen, dass bis 2035 das Bruttoinlandprodukt zusammengerechnet 460 bis 630 Milliarden Franken tiefer ausfallen würde. Damit würde der Wegfall der Bilateralen I in weniger als 20 Jahren ungefähr ein heutiges «Jahreseinkommen» der Schweizer Volkswirtschaft kosten. Hinzu kämen weitere Einbussen aufgrund der verminderten Standortattraktivität und der Unsicherheit über die zukünftigen Beziehungen zur wichtigsten Handelspartnerin der Schweiz.11 Kann eine Einigung mit der EU erzielt werden, ist allenfalls eine Anpassung des vorliegenden Gesetzesentwurfs erforderlich. Dies könnte durch einen Antrag des Bundesrats in den zuständigen Parlamentskommissionen oder eine Zusatzbotschaft des Bundesrats erfolgen.

1.2

Die beantragte Neuregelung zur Umsetzung von Artikel 121a BV

1.2.1

Überblick

Die vorgeschlagene Regelung für die Zulassung von Personen aus Drittstaaten richtet sich grundsätzlich nach dem geltenden AuG, das für Aufenthalte mit Erwerbstätigkeit bereits heute Höchstzahlen und Kontingente sowie eine Prüfung des Inländervorrangs und die Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfall vorsieht. Es sind jedoch Anpassungen an die neuen Vorgaben von Artikel 121a BV erforderlich; dazu gehören insbesondere Höchstzahlen und Kontingente auch für Aufenthalte ohne Erwerbstätigkeit sowie für den Asylbereich. Der vorliegende Gesetzesentwurf entspricht für Personen aus Drittstaaten weitgehend dem Vernehmlassungsentwurf.

11

Studie BAKBASEL «Die mittel- und langfristigen Auswirkungen eines Wegfalls der Bilateralen I auf die Schweizerische Volkswirtschaft», Basel, November 2016, sowie Studie Ecoplan «Volkswirtschaftliche Auswirkungen eines Wegfalls der Bilateralen I», Bern, 12. November 2015; siehe: www.seco.admin.ch > Aktuell > Medieninformation > Medienmitteilungen 2015 > Studie zu Wegfall der Bilateralen I: Bedeutende Einschnitte für Volkswirtschaft.

3019

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Die Zulassung von Personen aus den EU/EFTA-Staaten richtet sich demgegenüber nach dem FZA bzw. nach dem EFTA-Übereinkommen. Das Ziel des Bundesrats ist es, hier wenn immer möglich eine einvernehmliche Lösung mit der EU zu erzielen, welche die Verfassungsbestimmungen respektiert und das FZA einhält.

Der Bundesrat ist jedoch an die zeitlichen Vorgaben zur Umsetzung von Artikel 121a BV gebunden, wonach die Ausführungsgesetzgebung bis am 9. Februar 2017 in Kraft treten muss. Andernfalls muss der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg erlassen (Art. 197 Ziff. 11 BV). Aus diesem Grund enthält der Gesetzesentwurf eine einseitige Schutzklausel, die im Anwendungsfall allerdings nicht den Zulassungsbestimmungen des FZA entsprechen würde (vgl. Ziff. 1.2.3 und 1.2.4).

Der Gesetzesentwurf sieht somit ein duales System vor, das eine privilegierte Zulassung und Aufenthaltsregelung für Angehörige der EU/EFTA-Staaten gemäss dem FZA bzw. des EFTA-Übereinkommens vorsieht. Die vorgeschlagene einseitige Schutzklausel wird erst ab einer gewissen Höhe der Zuwanderung aktiviert. Die Berücksichtigung des Vorrangs der Inländerinnen und Inländer erfolgt bei der Festlegung des Schwellenwerts sowie der Höchstzahlen und Kontingente. Eine Prüfung der beruflichen Qualifikation sowie der Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfall ist bei der einseitigen Schutzklausel ebenfalls nicht vorgesehen.

Es wird eine flexible Lösung vorgeschlagen, die es dem Bundesrat erlaubt, die Aufteilung der Höchstzahlen in kantonale Kontingente an die Kantone zu delegieren, selber vorzunehmen oder auf eine solche Aufteilung zu verzichten. Damit kann den unterschiedlichen Aufenthaltszwecken (Aufenthalt mit und ohne Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, Grenzgänger/innen, Asylbereich usw.) sowie zukünftigen Entwicklungen und Erfahrungen am besten Rechnung getragen werden. Die Regelung im Detail erfolgt in den Ausführungsbestimmungen des Bundesrats; sie kann somit an zukünftige neue Bedürfnisse angepasst werden. Für die Erteilung der ausländerrechtlichen Bewilligungen bleiben weiterhin die Kantone zuständig.

Neben der Umsetzungsgesetzgebung und der angestrebten Verhandlungslösung betreffend das FZA schlägt der Bundesrat als dritte Säule eine Reihe begleitender Massnahmen vor, die geeignet sind,
das inländische Arbeitskräftepotenzial besser zu nutzen und so die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften zu dämpfen und die Integration ausländischer Arbeitskräfte zu verbessern (vgl. Ziff. 1.4.2). Zudem sollen durch Verbesserungen bei den flankierenden Massnahmen (FlaM) Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt besser bekämpft werden (vgl. Ziff. 1.4.1).

1.2.2

Zulassung von Personen aus Drittstaaten

Höchstzahlen und Kontingente neu für alle Aufenthaltszwecke erforderlich Nach dem geltenden Recht werden nur für erwerbstätige Personen aus Drittstaaten Höchstzahlen und Kontingente für Aufenthalts- und Kurzaufenthaltsbewilligungen festgelegt (Art. 20 AuG). Artikel 121a BV sieht neu vor, dass solche zahlenmässigen Beschränkungen auch für alle anderen Aufenthaltszwecke erforderlich sind (Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit, Familiennachzug und Asylbereich; Art. 17a 3020

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E-AuG). Es wird vorgeschlagen, dass für diese unterschiedlichen Aufenthaltszwecke separate Höchstzahlen festgelegt werden können, die bei Bedarf zusätzlich in kantonale Kontingente aufgeteilt werden können. Dadurch wird vermieden, dass bei einer starken Zuwanderung z. B. im Asylbereich die Zulassung von dringend benötigten Fachkräften aus Drittstaaten nur noch in einem geringen Ausmass oder gar nicht mehr möglich ist.

Die im AuG enthaltenen zusätzlichen Voraussetzungen für die Bewilligungserteilung sollen beibehalten werden (z. B. bei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit und beim Familiennachzug).

Aufenthalt mit Erwerbstätigkeit Bei der Zulassung von erwerbstätigen Personen aus Drittstaaten soll das heute geltende System grundsätzlich beibehalten werden. Die Festlegung der jährlichen Höchstzahlen für Aufenthaltsbewilligungen und Kurzaufenthaltsbewilligungen (für Aufenthalte von über vier Monaten bis zu einem Jahr; verlängerbar auf maximal zwei Jahre) erfolgt durch den Bundesrat. Die Aufteilung der Höchstzahlen in kantonale Kontingente soll nach dem bestehenden festen Verteilschlüssel erfolgen (Art.

18a sowie Anhänge 1 und 2 der Verordnung vom 24. Oktober 200712 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, VZAE). Dies entspricht dem Vorschlag der Expertengruppe und dem Vernehmlassungsentwurf.

Der Gesetzesentwurf schlägt eine flexible Regelung für die Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente vor, die bei Bedarf zukünftig auch andere Lösungen für die Aufteilung der Höchstzahlen in kantonale Kontingente ermöglichen würde (Art. 17b E-AuG). Die Vorgaben von Artikel 121a BV müssen jedoch immer eingehalten werden.

Bei erwerbstätigen Personen aus Drittstaaten sollen weiterhin die berufliche Qualifikation, die Integrationsvoraussetzungen, der Vorrang der Inländerinnen und Inländer sowie die Einhaltung der orts-, berufs- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfall geprüft werden. Dabei sind die vertraglichen Verpflichtungen der Schweiz zu beachten (z. B. WTO-Abkommen und Freihandelsabkommen). Das Bewilligungsgesuch soll auch zukünftig durch den Arbeitgeber eingereicht werden.

Grenzgängerbewilligung Die geltende Regelung für Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Drittstaaten soll grundsätzlich weitergeführt werden (Art. 25 AuG). Hier sollen in der Regel auch weiterhin keine
Höchstzahlen und Kontingente festgelegt werden, da Grenzgängerinnen und Grenzgänger gemäss der Auslegung des Bundesrats von Artikel 121a Absatz 3 BV lediglich bei der Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente berücksichtigt werden müssen. Kommt die einseitige Schutzklausel für EU/EFTAAngehörige vorübergehend zur Anwendung, gelten jedoch allfällige Höchstzahlen und Kontingente auch für Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Drittstaaten.

Dadurch soll eine Umgehung der Zulassungsbeschränkungen vermieden werden (vgl. Ziff. 1.2.4).

12

SR 142.201

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Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit von mehr als einem Jahr Für Aufenthalte bis zu einem Jahr von Personen aus Drittstaaten ohne Erwerbstätigkeit sollen keine zahlenmässigen Beschränkungen eingeführt werden, da Aufenthalte unter einem Jahr nach der Auslegung des Bundesrats nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 121a BV fallen. Für längerfristige Aufenthalte sind neu Höchstzahlen vorgesehen. Der grösste Teil dieser Aufenthalte erfolgt vorübergehend zum Zweck der Aus- und Weiterbildung. Eine Aufteilung der Höchstzahlen auf kantonale Kontingente drängt sich aus heutiger Sicht nicht auf, zumal die Ausbildungsplätze in der Schweiz sehr unterschiedlich verteilt sind. Eine Aufteilung auf kantonale Kontingente wäre jedoch im Rahmen der vorgeschlagenen Regelung ebenfalls möglich.

Angesichts der grösstenteils vorübergehenden Aufenthalte erscheint eine flexible Anpassung der Höchstzahlen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Ausbildungs- und Forschungsplatzes Schweiz sinnvoll.

Familiennachzug Der Familiennachzug ist eine Folge der primären Zuwanderung mit einem bestimmten Aufenthaltszweck (z. B. Aufenthalt mit oder ohne Erwerbstätigkeit, Asylgewährung).

Die bestehenden Voraussetzungen für den Familiennachzug durch Personen aus Drittstaaten sollen weiterhin zur Anwendung kommen (Art. 42­45 AuG). Gemäss der hängigen Integrationsvorlage sollen für den Familiennachzug zusätzlich Sprachkenntnisse vorausgesetzt werden. Die im Auftrag des Parlaments erlassene Zusatzbotschaft des Bundesrats zur Anpassung der Integrationsvorlage sieht noch weitere Änderungen beim Familiennachzug vor.

Für den Familiennachzug durch Personen aus Drittstaaten soll in Anwendung von Artikel 121a BV neu eine Höchstzahl des Bundes geschaffen werden, wenn der Aufenthalt länger als ein Jahr dauert und damit in den Anwendungsbereich von Artikel 121a BV fällt (vgl. Ziff. 1.2.5). Diese Höchstzahl kann für den Familiennachzug durch Personen mit Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung gemeinsam festgelegt werden. Da für die kantonalen Behörden nur ein geringer Handlungsspielraum besteht, ist die Aufteilung der Höchstzahl für den Familiennachzug in kantonale Kontingente aus heutiger Sicht nicht erforderlich.

Sollten sich daraus in der Praxis Probleme ergeben, ist eine Anpassung durch den Bundesrat auf Verordnungsstufe
möglich.

Das Recht auf den Schutz des Familienlebens nach Artikel 14 BV und Artikel 8 der Konvention vom 4. November 195013 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ist weiterhin zu beachten. Zudem ist eine Rekrutierung von gut qualifizierten Arbeitskräften aus Drittstaaten ohne die gleichzeitige Gewährung des Familiennachzugs kaum möglich. Solche Arbeitskräfte werden auch in anderen Staaten von der Wirtschaft stark nachgefragt. Diesen Umständen ist bei der Festlegung der Höchstzahl für den Familiennachzug Rechnung zu tragen.

13

SR 0.101

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Asylbereich Für Aufenthalte im Rahmen des Asylverfahrens sind keine Höchstzahlen vorgesehen, da es sich hier um vorübergehende und provisorische Aufenthalte handelt, die nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 121a BV fallen. Zahlenmässige Beschränkungen sind nach Artikel 121a Absatz 2 BV jedoch neu für vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige (Art. 83 AuG und Art. 66 des Asylgesetzes vom 26. Juni 199814, AsylG) mit einem Aufenthalt von mehr als einem Jahr sowie für anerkannte Flüchtlinge mit Aufenthaltsbewilligung erforderlich, da ihr Aufenthalt in den Anwendungsbereich von Artikel 121a BV fällt (vgl. Ziff. 1.2.5). Da hier das SEM über die Zulassung entscheidet, soll für den Asylbereich eine separate Höchstzahl des Bundes ohne Aufteilung in kantonale Kontingente geschaffen werden. Im Hinblick auf das verfassungs- und völkerrechtliche Non-Refoulement-Gebot sowie die humanitäre Tradition der Schweiz muss eine rasche Anpassung dieser Höchstzahl bei einer veränderten Ausgangslage möglich sein.

Zuwanderungskommission Die vorgesehene neue Zuwanderungskommission (vgl. Ziff. 1.2.6) soll auch Empfehlungen zu den Höchstzahlen und Kontingenten für die Zuwanderung von Personen aus Drittstaaten ausarbeiten. Erfolgt eine starke Zunahme der Einwanderung im Bereich der nur bedingt steuerbaren Zuwanderung (v. a. Familiennachzug, Asylbereich), prüft der Bundesrat eine angemessene Beschränkung der Zuwanderung von Erwerbstätigen unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Interessen.

1.2.3

Zulassung von Personen aus den EU/EFTA-Staaten

Einseitige Schutzklausel Die vorgeschlagene einseitige Schutzklausel war im Vernehmlassungsentwurf noch nicht enthalten. Für Personen aus EU/EFTA-Staaten gilt das FZA bzw. das EFTAÜbereinkommen grundsätzlich weiterhin. Bei einer hohen Zuwanderung aus diesen Staaten sollen jedoch vorübergehende und gezielte Beschränkungen bei der Bewilligungserteilung möglich sein. Die einseitige Schutzklausel entspricht den Vorgaben von Artikel 121a BV und soll im AuG geregelt werden (Art. 17c und 17d E-AuG).

Im Auslösungsfall entspricht sie allerdings nicht den Zulassungsbestimmungen des FZA bzw. des EFTA-Übereinkommens.

In einem Urteil vom 26. November 2015 hat sich das Bundesgericht zum Verhältnis zwischen Artikel 121a BV und dem FZA geäussert. Bei einem tatsächlichen Normkonflikt zwischen innerstaatlichen Rechtsänderungen zur Umsetzung von Artikel 121a BV und dem FZA ginge demnach in der Rechtsanwendung das FZA vor15.

Würde das Parlament die Vorlage mit der einseitigen Schutzklausel verabschieden, könnte somit deren Anwendung in einem konkreten Einzelfall nur umgesetzt werden, wenn die Schweiz das FZA kündigen würde. In diesem Fall würde das Ausländergesetz auch für Staatsangehörige der EU/EFTA-Mitgliedstaaten gelten und es 14 15

SR 142.31 Urteil 2C_716/2014 vom 26. November 2015 E. 3.3.

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müsste entsprechend angepasst werden. Eine Kündigung des FZA würde wegen der Guillotine-Klausel zum Wegfall der Bilateralen I führen.

Erfolgt keine Kündigung durch die Schweiz, sind folgende Reaktionen der EU auf die einseitige Schutzklausel denkbar: Sie kündigt das FZA, womit automatisch auch die Bilateralen I wegfallen oder sie verzichtet auf eine Kündigung des FZA, beschliesst aber anderweitige Ausgleichsmassnahmen (z. B. Aussetzung der laufenden Verhandlungen bzw. kein Abschluss neuer Abkommen, Infragestellung bestehender Abkommen wie Kündigung oder Androhung der Kündigung des Horizon-Abkommens). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die EU bereits das Inkrafttreten des revidierten Ausländergesetzes, das die Einführung einer einseitigen Schutzklausel vorsieht, als Verletzung des FZA betrachten und entsprechende Gegenmassnahmen ergreifen würde. Auf jeden Fall würde eine solche Lösung mit einer einseitigen Schutzklausel zu einer Rechtsunsicherheit in Bezug auf das FZA und andere bilaterale Abkommen führen. Sie könnte auch das Ziel des Bundesrates gefährden, den bilateralen Weg zu konsolidieren und fortzuentwickeln.

Die einseitige Schutzklausel wird erst aktiviert, wenn die Zuwanderung von Angehörigen der EU/EFTA-Mitgliedstaaten einen bestimmten, vom Bundesrat festgelegten Schwellenwert überschreitet. In diesem Fall legt der Bundesrat für das folgende Kalenderjahr Höchstzahlen und allenfalls kantonale Kontingente fest. Gleichzeitig verstärkt er die Massnahmen zur FZA-konformen Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials auch durch die Integration von Ausländerinnen und Ausländern (vgl. Ziff. 1.4.2). Zudem passt er bei Bedarf den Vollzug des Ausländerrechtes an, etwa zur besseren Bekämpfung von Missbräuchen beim FZA. Die Höchstzahlen und Kontingente können unabhängig von der Höhe der Zuwanderung durch den Bundesrat um ein weiteres Jahr verlängert werden, wenn dies für die längerfristige Steuerung der Zuwanderung tatsächlich erforderlich ist. Der Bundesrat bestimmt zudem, für welche Bewilligungsarten und für welche Aufenthaltszwecke die Höchstzahlen gelten und ob die Höchstzahlen in kantonale Kontingente aufgeteilt werden sollen.

Die Grafik im Anhang illustriert den Mechanismus bei der Anwendung der Schutzklausel.

Auch bei einer Zulassung unter Anwendung der einseitigen Schutzklausel
soll der Aufenthalt von Angehörigen der EU/EFTA-Staaten gemäss dem bestehenden FZA bzw. dem EFTA-Übereinkommen geregelt werden (z. B. Koordination der Sozialversicherungen; Anerkennung von Diplomen und Berufsabschlüssen; Grundsatz der Gleichbehandlung mit den Schweizerinnen und Schweizern in vielen Lebensbereichen; Verbleiberecht; eingeschränkte Widerrufsgründe für Bewilligungen). Diese Bereiche werden von Artikel 121a BV grundsätzlich nicht berührt.

Grenzgängerbewilligung Die Grenzgängerbeschäftigung hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Die Personenfreizügigkeit führte hier ebenfalls zu einer gewissen Liberalisierung. Darüber hinaus dürften weitere Faktoren zur Zunahme der Grenzgängerbeschäftigung beigetragen haben. Dazu gehören neben sinkenden Pendelkosten und der Arbeitsmarktlage im benachbarten Ausland insbesondere die höheren Löhne in der Schweiz, wobei hier über das hohe Lohnniveau hinaus der starke Franken die reale Kaufkraft der Schweizer Löhne im Ausland seit 2010 zusätzlich erhöht hat.

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Die Zunahme und die Auswirkungen der Grenzgängerbeschäftigung betreffen die Regionen der Schweiz in unterschiedlichem Ausmass. 16 Die Regelung für Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus den EU/EFTA-Staaten soll grundsätzlich weiterhin gemäss dem FZA erfolgen, da sie nach der Auslegung des Bundesrats von Artikel 121a Absatz 3 BV nicht unter den Anwendungsbereich von Artikel 121a BV fallen. Sie müssen lediglich bei der Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente berücksichtigt werden. Zudem soll der Bundesrat auch bei Grenzgängerbewilligungen Höchstzahlen und Kontingente zur Vermeidung von Umgehungen vorsehen können, wenn die einseitige Schutzklausel aktiviert wird (vgl. Ziff. 1.2.4).

1.2.4

Festlegung des Schwellenwerts und der Höchstzahlen bei der einseitigen Schutzklausel

Die tatsächliche Höhe des Schwellenwerts sowie der Höchstzahlen und Kontingente können heute noch nicht festgelegt werden, da die ausschlaggebenden zukünftigen Rahmenbedingungen nicht bekannt sind.

Der Schwellenwert ist ein vorgängig definierter Wert der Zuwanderung von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU und der EFTA sowie ihrer Familienangehörigen, ab dem der Bundesrat die Bewilligungserteilung durch Höchstzahlen begrenzt (Art. 17c und 17d E-AuG). Er legt diesen Wert jährlich in einer Verordnung (VZAE) fest. Der Schwellenwert setzt sich aus einer Referenzperiode und einer Referenzgrösse in Bezug auf die Zuwanderung zusammen.

Die Referenzperiode ist die Zeitspanne, die für die Messung der Zuwanderung relevant ist. Da die Zuwanderung saisonalen Schwankungen unterliegt, sind die Zuwanderungszahlen einzelner Monate nicht genügend aussagekräftig. Es ist daher sinnvoll, die Referenzperiode auf ein Jahr festzusetzen.

Als Referenzgrösse für den Schwellenwert kann die Nettoeinwanderung (Einwanderung minus Auswanderung) oder die Anzahl der erteilten Bewilligungen verwendet werden. Für die Beurteilung der effektiven Migrationsentwicklung ist die Nettozuwanderung grundsätzlich besser geeignet. Aufenthalte von weniger als einem Jahr und Grenzgängerbewilligungen werden dabei nicht mitgezählt, da sie nach der Auslegung des Bundesrats von Artikel 121a Absatz 3 BV nicht als Zuwanderung zu betrachten sind.

Damit ist folgender Mechanismus denkbar, der auf Verordnungsstufe näher festzulegen ist (Art. 17c und 17d E-AuG): Wächst im Zeitraum eines Jahres die ständige Wohnbevölkerung der Angehörigen der EU- und EFTA-Staaten durch die Nettozuwanderung um mehr als (x) Personen (Variante: mehr als x %), so steuert die Schweiz im folgenden Kalenderjahr die Zuwanderung von Personen aus diesen Staaten durch Höchstzahlen und Kontingente. Der Bundesrat kann diese Massnahme 16

Vgl. 11. Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz­EU vom 23. Juni 2015: Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Schweizer Arbeitsmarkt; siehe www.seco.admin.ch > Dokumentation > Publikationen und Formulare > Studien und Berichte > Observatoriumsberichte.

3025

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um ein weiteres Kalenderjahr verlängern. Der Inländervorrang wird bei der Festlegung des Schwellenwerts und auch der Höchstzahlen und Kontingente berücksichtigt (Art. 17e E-AuG).

Der Stichtag für die Berechnung, ob der Schwellenwert innerhalb eines Jahres überschritten wurde, ist der 1. Juni jeden Jahres. Wird der Schwellenwert überschritten, so treten die vom Bundesrat zu beschliessenden Höchstzahlen für das folgende Kalenderjahr am 1. Januar in Kraft. Damit bleiben sieben Monate, um insbesondere in der Zuwanderungskommission eine Empfehlung auszuarbeiten sowie die interessierten Kreise, einschliesslich der parlamentarischen Kommissionen, zu konsultieren und im Bundesrat einen Entscheid zu den Höchstzahlen zu treffen. Die Erfahrungen bei der heutigen Festlegung von Höchstzahlen und Kontingenten bei Erwerbstätigen aus Drittstaaten zeigen, dass diese Frist für einen fundierten Entscheid und für die organisatorische und technische Umsetzung notwendig ist. Die Höchstzahlen können anschliessend unabhängig von der Höhe der Zuwanderung im ersten Kalenderjahr um ein weiteres Kalenderjahr verlängert werden, wenn dies zur besseren Steuerung der Zuwanderung notwendig ist.

Damit die im Rahmen der früher angewendeten Ventilklausel des FZA festgestellten Umgehungen der zahlenmässigen Beschränkungen im Fall einer Einführung von Höchstzahlen und Kontingenten verhindert werden können, sollen auch die Kurzaufenthalts- und Grenzgängerbewilligungen für Angehörige der EU/EFTA-Staaten ab einer Gültigkeitsdauer von über vier Monaten den Höchstzahlen und Kontingenten unterstellt werden können (für Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Drittstaaten siehe auch Ziff. 1.2.2).

Es ist vorgesehen, dass der Bundesrat im Rahmen der einseitigen Schutzklausel bei Bedarf eine globale Höchstzahl des Bundes für die Zulassung von Angehörigen der EU/EFTA-Staaten festlegt, allenfalls aufgeteilt nach Aufenthaltszweck (v. a.

Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, Nichterwerbstätige). Diese Höchstzahl wird während eines Kalenderjahres periodisch (z. B. alle zwei Monate oder quartalsweise) freigegeben. Eine Aufteilung in kantonale Kontingente (Verteilschlüssel) wäre zwar möglich, ist aber nicht vorgesehen. Ein kantonaler Verteilschlüssel bedingt eine langwierige Konsensfindung unter den Kantonen. Die Höchstzahlen müssen aber sehr rasch nach
Überschreitung des Schwellenwerts (Stichtag 1. Juni), das heisst innert wenigen Monaten, für das folgende Kalenderjahr festgelegt werden.

Bezüglich Planungssicherheit können sich Nachteile für Kantone und Unternehmen ergeben, wenn die periodisch freigegebenen globalen Höchstzahlen regelmässig rasch ausgeschöpft werden. Dies könnte zu einem administrativen Mehraufwand bei den kantonalen Vollzugsstellen führen (vgl. Ziff. 4.3).

3026

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1.2.5

Indikatoren für die Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente sowie des Schwellenwerts

Bei Angehörigen von Drittstaaten sollen unabhängig von der Höhe der Zuwanderung und vom Aufenthaltszweck Höchstzahlen und Kontingente festgelegt werden (vgl. Ziff. 1.2.2). Bei Angehörigen der EU/EFTA-Staaten ist dies nur erforderlich, wenn der Schwellenwert der einseitigen Schutzklausel überschritten wird (vgl.

Ziff. 1.2.4).

Gemäss Verfassungstext sind die Höchstzahlen und Kontingente für erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz auszurichten, wobei ein Inländervorrang zu berücksichtigen ist. Um beiden Zielsetzungen gerecht zu werden, werden Indikatoren herangezogen, die einerseits die Nachfrage der Unternehmen nach ausländischen Arbeitskräften reflektieren und andererseits die Schwierigkeiten berücksichtigen, im Inland entsprechende Arbeitskräfte zu finden. Die gleichen Indikatoren können auch in die Berechnung des Schwellenwerts einfliessen, wobei bei dessen Überschreitung die tatsächliche Begrenzung der Zuwanderung durch die anschliessenden Höchstzahlen erfolgt.

Für die Erhebung des Bedarfs an ausländischen Arbeitskräften sollen die Kantone beigezogen werden. Ihre konsolidierten Angaben sollen durch die vorgeschlagene Zuwanderungskommission validiert werden. Der Entscheid des Bundesrats soll anschliessend insbesondere unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Interessen, der internationalen wirtschaftlichen Verpflichtungen (z. B. WTO, Freihandelsabkommen) und der Empfehlung der Zuwanderungskommission erfolgen. Die Bedürfnisse der Wissenschaft und Forschung werden ebenfalls berücksichtigt.

Die Bedarfserhebung orientiert sich einerseits an der Zuwanderung früherer Jahre. In diesen Zahlen spiegelt sich u. a. die Wirtschaftsstruktur, die sich in einer regional unterschiedlichen Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften manifestiert. Andererseits ist die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften stark von der Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung abhängig. Entsprechend sind Informationen und wo möglich auch Prognosen namentlich zur Entwicklung des Bruttoinlandprodukts, der Beschäftigung sowie der Arbeitslosigkeit ebenfalls relevante Indikatoren der Bedarfsermittlung.

Zur Berücksichtigung eines Inländervorrangs bei der Festlegung von Höchstzahlen und Kontingenten können Arbeitslosenquoten und Indikatoren zu den Schwierigkeiten
bei der Rekrutierung von Arbeitskräften herangezogen werden. Liegt die Arbeitslosenquote relativ hoch und sind Arbeitskräfte eher selten nachgefragt bzw.

leicht zu finden, deutet dies auf ein vorhandenes Arbeitskräftepotenzial im Inland hin. Liegt die Arbeitslosenquote dagegen sehr niedrig, während viele Arbeitskräfte nachgefragt werden und diese auch schwierig zu finden sind, dann deutet dies auf einen Arbeitskräftemangel hin.

Bei der Festlegung von Höchstzahlen und Kontingenten ist zwischen einer kurzfristigen und einer längerfristigen Perspektive zu unterscheiden. In der kurzen Frist ergibt sich der Bedarf nach ausländischen Arbeitskräften in erster Linie aus der bestehenden Wirtschaftsstruktur, der allgemeinen Arbeitsmarktlage (hohe/tiefe Arbeitslosigkeit) und der erwarteten konjunkturellen Entwicklung. Mittel- und langfristig spielen weitere Faktoren wie etwa die demografische Entwicklung, 3027

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strukturelle Veränderungen der Wirtschaft oder auch Änderungen in der Arbeitsmarktbeteiligung der inländischen Bevölkerung ebenfalls eine Rolle. Als Indikatoren für solche Entwicklungen können etwa das Wachstum der Bevölkerung im Erwerbsalter (für die Demografie), Unterschiede im Beschäftigungswachstum nach Branchen (für den Strukturwandel) oder Erwerbsquoten verschiedener Bevölkerungsgruppen (für die Ausschöpfung von Fachkräftepotenzialen) herangezogen werden.

Typischerweise handelt es sich dabei um Grössen, die sich von Jahr zu Jahr nur wenig verändern, aber über mehrere Jahre betrachtet eine relativ klare Trendentwicklung aufweisen können. Insofern eignen sich solche Indikatoren zur Festlegung von mittel- und längerfristigen Zielgrössen für die Zuwanderung, weniger jedoch für die jährliche Festlegung von Höchstzahlen und Kontingenten.

Die Höchstzahlen für Nichterwerbstätige ergeben sich insbesondere aus dem Bedarf an Bewilligungen für die Aus- und Weiterbildung. Sie sollen wie dargelegt (vgl.

Ziff. 1.2.2) in erster Linie für Personen aus Drittstaaten festgelegt werden. Hier sind die Bedürfnisse der Kantone sehr unterschiedlich. Es ist zudem zu beachten, dass nach Beendigung der Aus- und Weiterbildung in der Regel eine Ausreise aus der Schweiz erfolgt (Rotation). Als Ausgangspunkt für die Zuteilung von Kontingenten dürften die Erfahrungen der letzten Jahre relevant sein, denn diese zeigen die regionale Verteilung von Bildungsinstitutionen mit internationaler Ausstrahlung. Genaue Indikatoren bestehen hier nicht; es ist jedoch darauf zu achten, dass diese Zulassungsmöglichkeit nicht zur Umgehung der Zulassungsbeschränkungen für Erwerbstätige führt.

Die Zuwanderung von ausländischen Rentnerinnen und Rentnern findet nur in einem sehr beschränkten Rahmen statt (jährlich rund 900 Aufenthaltsbewilligungen).

Die Höchstzahlen für anerkannte Flüchtlinge sowie für vorläufig Aufgenommene ergeben sich aus den bisherigen Erfahrungen und aus den Prognosen, die das SEM schon heute für die Planung seiner Tätigkeiten erstellen muss. Dabei ist insbesondere sicherzustellen, dass auch bei einer Überschreitung der Höchstzahlen die Bundesverfassung (Art. 25 BV) und das zwingende Völkerrecht (Non-Refoulement-Gebot) nicht verletzt werden.17 Entsprechend wird der Bundesrat insbesondere im Fall einer akuten humanitären
Krise die erforderlichen Massnahmen zur Erhöhung der Höchstzahlen ergreifen müssen.

Die Höchstzahl für den Familiennachzug ergibt sich aus dem Durchschnitt der bisherigen Zuwanderung zu diesem Aufenthaltsweck. Hier besteht kein wesentlicher Handlungsspielraum für eine Einschränkung (vgl. Ziff. 1.2.2). Qualitative Einschränkungen und Bedingungen für den Familiennachzug bestehen bereits nach dem geltenden Recht (Art. 42­52 AuG; Anhang I Art. 3 FZA).

In den letzten Jahren ist der Anteil des Familiennachzugs an der gesamten Zuwanderung stetig gesunken, und der Anteil der Erwerbstätigen ist gestiegen. Der Familiennachzug erfolgt auch zu Schweizerinnen und Schweizern sowie zu Ausländerinnen und Ausländern, die sich bereits sehr lange oder schon in der zweiten und dritten Generation in der Schweiz aufhalten.

17

Vgl. Ziff. 1.3.2 der Botschaft zur Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung», BBl 2013 291, hier 299; siehe auch Ziff. 1.1 oben.

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Bei der Umsetzung sind die Bundesverfassung (Art. 13 Abs. 1 BV) sowie die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz einzuhalten; dies gilt in erster Linie bei der Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente. Sollten die festgelegten Höchstzahlen und Kontingente nicht ausreichen, muss der Bundesrat die notwendigen Massnahmen ergreifen und sie entsprechend erhöhen (Ziff. 6.1.1 und 6.2.1).

1.2.6

Zuwanderungskommission

Bei der Umsetzung von Artikel 121a BV kommt der Begrenzung der Zuwanderung durch die Festlegung eines Schwellenwerts für die Zuwanderung von Angehörigen der EU/EFTA-Staaten sowie durch die Höchstzahlen und Kontingente für Angehörige von Drittstaaten und ­ bei einer Überschreitung des Schwellenwerts ­ auch für Angehörige der EU/EFTA-Mitgliedstaaten eine zentrale Bedeutung zu. Dabei sind das gesamtwirtschaftliche Interesse sowie der Vorrang der Inländerinnen und Inländer zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind weitere übergeordnete Ziele zu beachten, z. B. die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Nutzung des inländischen Potenzials, die Förderung der Integration, die humanitäre Tradition der Schweiz sowie die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Diese Ziele, die auch in einem Konflikt zueinander stehen können, müssen bei der Steuerung der Zuwanderung konkretisiert werden.

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, wird die Einsetzung einer Zuwanderungskommission vorgeschlagen (Art. 17f E-AuG). Der Gesetzesentwurf sieht aufgrund des Vernehmlassungsresultats neu vor, dass neben den zuständigen Behörden der Kantone und des Bundes die Sozial-partner ebenfalls dieser Kommission angehören sollen. Bei den Entscheiden der Kommission soll jedoch den hoheitlichen Aufgaben der Migrations- und Arbeitsmarktbehörden des Bundes und der Kantone Rechnung getragen werden, indem sie allein über die Empfehlungen an den Bundesrat bezüglich des Schwellenwerts sowie der Höchstzahlen und Kontingente entscheiden. Die Sozialpartner bringen ihr spezifisches Fachwissen bei der Vorbereitung dieser Empfehlungen ein. Der Bundesrat regelt die Beschlussfassung innerhalb der Kommission auf Verordnungsstufe. Je nach Aufgabe können auch weitere Kreise beigezogen werden (z. B. Kommunalverbände, Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen).

Die Kommission hat insbesondere die Aufgabe, Expertisen zum quantitativen und qualitativen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften zu erstellen. Zu diesem Zweck ist auch die Durchführung eines regelmässigen wissenschaftlichen Monitorings des Migrationsbereichs sinnvoll. Die Grundlage für die Arbeit der Zuwanderungskommission bilden die in Ziffer 1.2.5 dargestellten Indikatoren. Gestützt auf die Ergebnisse der Expertisen und des Monitorings soll die Kommission dem Bundesrat Empfehlungen zur Festlegung des Schwellenwerts sowie der notwendigen Höchstzahlen und Kontingente unterbreiten.

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1.3

Kriterien für die Bewilligungserteilung nach Artikel 121a Absatz 3 BV

1.3.1

Ausreichende Existenzgrundlage

Artikel 121a Absatz 3 sieht als eines der Kriterien für die Bewilligungserteilung eine ausreichende, eigenständige Existenzgrundlage vor. Dies wird bei Angehörigen von Drittstaaten bereits nach dem geltenden Recht bei der Bewilligungserteilung im Einzelfall geprüft (z. B. Art. 22, 27, 29 und 43­45 AuG). Der Bezug von Sozialhilfe kann zudem zu einem Widerruf der Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung führen (Art. 62 Bst. e und Art. 63 Abs. 1 Bst. c AuG).

Bei der vorgeschlagenen einseitigen Schutzklausel für Angehörige der EU- und EFTA-Staaten erfolgt demgegenüber keine Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfall. Die FlaM ermöglichen jedoch Kontrollen bezüglich der Einhaltung der minimalen oder der orts-, berufs- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen. Sie dienen damit dem Schutz der Erwerbstätigen vor wiederholten und missbräuchlichen Unterschreitungen der orts- und branchenüblichen Löhne und unterstützen die Durchsetzung zwingender Mindestlöhne. Eine Verbesserung der FlaM soll in einer separaten Botschaft vorgeschlagen werden (vgl.

Ziff. 1.4.1).

Die vorgeschlagenen Verbesserungen beim Vollzug der Freizügigkeitsabkommen sehen vor, dass das Aufenthaltsrecht von Angehörigen der EU- und EFTA-Staaten bei Stellenverlust unter bestimmten Bedingungen erlischt (vgl. Ziff. 1.6.4), wenn sie nicht über eine ausreichende Existenzgrundlage verfügen. Eine Zulassung ohne Erwerbstätigkeit in der Schweiz setzt zudem voraus, dass dafür die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden sind. Damit wird das Erfordernis der ausreichenden Existenzgrundlage auch bei Angehörigen der EU- und EFTA-Mitgliedstaaten erfüllt.

1.3.2

Integrationsfähigkeit

Artikel 121a Absatz 3 BV enthält als weiteres Kriterium für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung die Integrationsfähigkeit. Für die Erteilung von Bewilligungen für Aufenthalte mit Erwerbstätigkeit an Angehörige von Drittstaaten sieht Artikel 23 Absatz 2 AuG vor, dass die berufliche Qualifikation, die berufliche und soziale Anpassungsfähigkeit, die Sprachkenntnisse und das Alter eine nachhaltige Integration in den schweizerischen Arbeitsmarkt und das gesellschaftliche Umfeld erwarten lassen müssen.

Das FZA sieht für EU-Staatsangehörige ebenfalls vor, dass bei einer schlechten Integration das Aufenthaltsrecht unter gewissen Umständen erlischt (v. a. bei einem schwerwiegenden Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit, bei freiwilliger Aufgabe der Erwerbstätigkeit ohne ausreichende Existenzmittel sowie bei einer missbräuchlichen Berufung auf das FZA zur Erlangung von Unterstützungsleistungen). Die in dieser Vorlage vorgeschlagenen Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen dienen im Ergebnis ebenfalls einer nachträglichen Kontrolle der Integration (vgl. Ziff. 1.5).

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Von einer zusätzlichen, systematischen Prüfung der Integrationsfähigkeit auch bei Angehörigen der EU- und EFTA-Staaten soll jedoch abgesehen werden. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen kann davon ausgegangen werden, dass sie sich gut integrieren. Die Kantone haben im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zur Revision der integrationsrechtlichen Bestimmungen im AuG (13.030) auch klar signalisiert, dass eine systematische Überprüfung der Integrationskriterien im Zusammenhang mit der Erteilung und Verlängerung aller Aufenthaltsbewilligungen ihre Kapazitäten sprengen würde (z. B. die Durchführung von Sprachtests). Die Integration wird zudem unabhängig von der Staatsangehörigkeit durch diverse Massnahmen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden gefördert. Damit wird das Erfordernis der Integrationsfähigkeit auch bei Angehörigen der EU- und EFTAMitgliedstaaten erfüllt.

Auch bei einer umfassenden Prüfung der Integrationsfähigkeit vor der Einreise kann letztlich nicht vorhergesagt werden, wie sich die Integration einer zuziehenden Person tatsächlich entwickeln wird.

1.3.3

Gesuch eines Arbeitgebers

Als drittes Kriterium für die Bewilligungserteilung bei Aufenthalten mit Erwerbstätigkeit wird in Artikel 121a Absatz 3 BV das Gesuch eines Arbeitgebers vorausgesetzt. Dies entspricht der geltenden Regelung für Angehörige von Drittstaaten (Art. 18 Bst. b AuG).

Angehörige der EU/EFTA-Staaten, die eine unselbstständige Erwerbstätigkeit ausüben wollen, müssen für die Bewilligungserteilung eine Einstellungserklärung oder eine Arbeitsbescheinigung vorlegen (Anhang I Art. 6 Abs. 3 FZA). Diesen Dokumenten kommt im Ergebnis die gleiche Funktion zu wie einem formellen Bewilligungsgesuch des Arbeitgebers. Auch so kann sichergestellt werden, dass eine Bewilligung für eine unselbstständige Erwerbstätigkeit nur dann ausgestellt wird, wenn tatsächlich auch eine Arbeitsstelle vorhanden ist. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der in Artikel 121a Absatz 3 BV enthaltenen Regelung. Damit wird das Erfordernis eines Gesuchs eines Arbeitgebers auch bei Angehörigen der EUund EFTA-Mitgliedstaaten erfüllt.

1.4

Begleitmassnahmen zur Umsetzung von Artikel 121a BV

1.4.1

Flankierende Massnahmen zum FZA

Zu einer wirksamen Steuerung der Migration gehören auch Massnahmen zur Bekämpfung von Missbräuchen. Die Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen (FlaM) wurde seit ihrem Inkrafttreten am 1. Juni 2004 auf Gesetzes- und Verordnungsebene mehrfach verbessert. Im Hinblick auf die Ausdehnung des FZA auf die im Jahr 2004 neu der EU beigetretenen zehn Staaten wurden die FlaM am 1. April 2006 erstmals angepasst. Am 1. Januar 2010 wurde der Vollzug der FlaM als Folge der Ausdehnung des FZA auf Rumänien und Bulgarien optimiert. Im Januar 2013 3031

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wurden weitere Gesetzeslücken geschlossen und der Vollzug effizienter ausgestaltet.

Zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit ausländischer Dienstleistungserbringerinnen und Dienstleistungserbringer wurden eine Dokumentationspflicht sowie neue Sanktionsmöglichkeiten eingeführt.

Seit dem 1. Mai 2013 sind Entsendebetriebe verpflichtet, den Lohn der in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Meldeverfahren anzugeben. Am 15. Juli 2013 trat die verstärkte Solidarhaftung für das Bauhauptund Baunebengewerbe in Kraft.

Seit dem 1. November 2014 gilt für ausländische Dienstleistungserbringerinnen und Dienstleistungserbringer im Garten- und Landschaftsbau eine Melde- bzw. Bewilligungspflicht ab dem ersten Einsatztag.

Am 1. Juli 2015 hat der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zur Änderung des Entsendegesetzes18 überwiesen. Der Bundesrat schlägt darin vor, die Obergrenze der Verwaltungssanktionen im Entsendegesetz bei Verstössen gegen die minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen von heute 5000 Franken auf 30 000 Franken zu erhöhen. Diese Vorlage wird derzeit im Parlament behandelt.

Zusätzlich zu den erwähnten Gesetzes- und Verordnungsanpassungen wird auch der Vollzug der FlaM laufend verbessert, beispielsweise durch Weisungen und Empfehlungen des SECO an die Vollzugsorgane oder durch Audits. Es finden zudem Schulungsveranstaltungen im Rahmen eines Projekts des SECO, der paritätischen Kommissionen, der Kontrollorgane sowie der Kantone zur Optimierung der Arbeitsweise der paritätischen Kommissionen und der Zusammenarbeit mit den Kantonen statt.

Seit dem 26. März 2014 kann auf Antrag der Kontrollorgane in besonders betroffenen Branchen und Regionen die Anzahl der vom Bund mitfinanzierten Kontrollen erhöht werden. Einige Kontrollorgane haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Am 18. Dezember 2015 hat der Bundesrat im Zusammenhang mit der Umsetzung von Artikel 121a BV beschlossen, die Bekämpfung von Missbräuchen auf dem Arbeitsmarkt zu verstärken: Schwarzarbeit: Der Bundesrat verabschiedete die Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes gegen die Schwarzarbeit19. Die Revision stellt einen verbesserten Informationsaustausch der verschiedenen an der Schwarzarbeitsbekämpfung beteiligten Behörden sicher. Damit wird die Missbrauchsbekämpfung über den Bereich Schwarzarbeit hinaus
verstärkt. Es können insbesondere mehr Verstösse gegen das Entsendegesetz und gegen allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge aufgedeckt werden. Der Schutz der Arbeits- und Lohnbedingungen als zentrale Aufgabe der FlaM wird damit verbessert. Neu sollen die Kontrollorgane ausserdem die Kompetenz erhalten, in Bagatellfällen selbstständig Bussen verhängen zu können.

FlaM: Die Arbeitsgruppe «Personenfreizügigkeit und Arbeitsmarktmassnahmen» mit Sozialpartnern und Kantonen unter Führung des Leiters der Direktion für Arbeit im SECO wurde reaktiviert mit dem Ziel, gemeinsame Massnahmen zur Bekämp18 19

BBl 2015 5845 BBl 2016 157

3032

BBl 2016

fung von Missbräuchen auf dem Arbeitsmarkt und zur Verbesserung des Vollzugs der FlaM auszuarbeiten. Der Bundesrat nahm den Bericht der Arbeitsgruppe am 24. Februar 2016 zur Kenntnis und beschloss gestützt darauf, Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt mittels verschiedener Massnahmen zur bekämpfen. Das WBF wurde beauftragt, zur Definition der Voraussetzungen zur Verlängerung eines Normalarbeitsvertrages im Sinne von Artikel 360a Obligationenrecht20 (OR) eine Botschaft vorzulegen. Mittels eines von der Arbeitsgruppe erarbeiteten Aktionsplans soll der Vollzug der FlaM weiter verbessert werden. Zudem soll die Einführung einer Zustelladresse in der Schweiz für ausländische Entsendebetriebe vertieft geprüft werden. Das WBF wurde beauftragt, dem Bundesrat dazu bis am 30. April 2016 einen Vorschlag zu unterbreiten.

1.4.2

Förderung des inländischen Potenzials

Neben der Anpassung des Ausländergesetzes und des FZA zur Umsetzung von Artikel 121a BV soll zur Verminderung des Bedarfs an ausländischen Arbeitskräften das inländische Potenzial generell gefördert werden. Dieser Förderung kommt insbesondere dann eine erhöhte Bedeutung zu, wenn die einseitige Schutzklausel aktiviert wird. Zusammen mit der Einführung von Höchstzahlen für Angehörige der EU/EFTA-Staaten sind entsprechende Massnahmen zu ergreifen (Art. 17c Abs. 1 E-AuG). Dazu dienen beispielsweise die in der Zusatzbotschaft zur Integrationsvorlage vorgeschlagenen Verbesserungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt von Personen aus dem Asylbereich.

Am 18. Dezember 2015 beschloss der Bundesrat eine weitere Verstärkung der Fachkräfteinitiative. Dazu soll die Zusammenarbeit mit den Kantonen und den Organisationen der Arbeitswelt intensiviert werden. Gemeinsame Arbeitsgruppen prüfen, ob Lücken in den Bereichen Aus- und Weiterbildung sowie Umschulung bestehen und wie sie allenfalls geschlossen werden können. Im Fokus stehen Bereiche, in denen der Fachkräftemangel besonders gross ist. Dazu gehören namentlich Gesundheits- und technische Berufe sowie das Bau- und Gastgewerbe. Das Engagement der Kantone, der Sozialpartner sowie der Branchen- und Berufsverbände ist dabei von zentraler Bedeutung. Zudem soll eruiert werden, wie mehr inländische Arbeitskräfte durch Aus- und Weiterbildung sowie Umschulung in staatsnahen Bereichen eingestellt werden können und ob hier noch ein Optimierungsbedarf besteht. An einem Fachkräftegipfel im September 2016 werden die Resultate präsentiert, und es wird über das gemeinsame weitere Vorgehen entschieden. Bis dahin führt das WBF auch vertiefte Abklärungen zur Finanzierung der Weiterbildung von älteren Arbeitnehmenden durch. Das Ziel ist es, ihre Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten und zu verbessern.

Um das inländische Potenzial besser auszuschöpfen, hat der Bundesrat am 18. Dezember 2015 zudem ein vierjähriges Pilotprogramm zur Flüchtlingslehre beschlossen, das auf das bewährte Prinzip der Schweizer Berufslehre setzt. Das Ziel ist es, anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene rascher ins Erwerbs20

SR 220

3033

BBl 2016

leben zu integrieren. Mit dem Pilotprogramm der Vorlehren für Flüchtlinge, den sogenannten Integrationsvorlehren, reagiert der Bundesrat auf die gestiegene Anzahl von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen, die längerfristig in der Schweiz verbleiben. Er will das Potenzial dieser Arbeitskräfte besser ausschöpfen und ihre Sozialhilfeabhängigkeit senken. Das Pilotprogramm leistet damit auch einen Beitrag zur Linderung des Fach- und Arbeitskräftemangels (Fachkräfteinitiative). Neben der Integrationsvorlehre für Flüchtlinge setzt das Pilotprogramm auf eine frühzeitige Sprachförderung für Personen im Asylprozess mit Aussicht auf einen längerfristigen Verbleib in der Schweiz.

1.5

Ausgangslage bezüglich der Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

Im vorliegenden Gesetzesentwurf sind auch Massnahmen zum verbesserten Vollzug der Freizügigkeitsabkommen (FZA und EFTA-Übereinkommen) enthalten, zu denen bereits früher und unabhängig von der Umsetzung von Artikel 121a BV eine separate Vernehmlassung durchgeführt wurde. Diese dauerte vom 2. Juli bis zum 22. Oktober 2014.

In seinem Bericht vom 4. Juli 2012 über die Personenfreizügigkeit und die Zuwanderung in die Schweiz21 kommt der Bundesrat zum Schluss, dass sich die Zuwanderung der letzten Jahre in weiten Teilen positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz ausgewirkt hat. Er hält aber auch fest, dass die Zuwanderung den Reformbedarf in verschiedenen Bereichen erhöht hat. Bei der (schrittweisen) Einführung der Personenfreizügigkeit wurden Begleitmassnahmen getroffen, um mögliche unerwünschte Nebenwirkungen der Personenfreizügigkeit wirksam zu verhindern. Ergänzend hat der Bundesrat 2010 ein Massnahmenpaket zur Verbesserung des Vollzugs des FZA verabschiedet.22 Dieses sieht Massnahmen gegen unberechtigte und missbräuchliche Sozialleistungsbezüge und Aufenthaltsansprüche sowie Massnahmen zum Schutz vor Lohn- und Sozialdumping vor. Der Bundesrat hat im September 2015 einen Bericht in Erfüllung des Postulats 13.359723 vorgelegt, in dem er eine Bestandsaufnahme der Umsetzung des Massnahmenkatalogs vom 24. Februar 2010 vornimmt.

Trotz dieser Massnahmen hat sich jedoch gezeigt, dass im Zusammenhang mit der Gewährung von Sozialhilfe und des Aufenthaltsrechts wenig Klarheit herrscht in Bezug auf Personen, die zum Zweck der Stellensuche in die Schweiz einreisen oder die während ihres Aufenthalts in der Schweiz ihre Erwerbstätigkeit aufgeben. Die Anwendung des FZA hat gezeigt, dass die Praxis in diesen Bereichen sehr unterschiedlich ist. Zudem erweist es sich als nötig, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, 21 22

23

Bericht verfügbar unter: www.sem.admin.ch > Aktuell > News > News 2012 > Bericht über die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit und der Zuwanderung.

Vgl. Massnahmenkatalog des Bundesrates vom 24. Februar 2010, verfügbar unter: www.sem.admin.ch > Einreise & Aufenthalt > Personenfreizügigkeit Schweiz ­ EU/EFTA > Weiterführende Informationen.

Postulat Cesla Amarelle «Personenfreizügigkeit. Monitoring und Evaluation der Massnahmen zur Umsetzung des Freizügigkeitsabkommen in den Bereichen Sozialleistungen und Aufenthaltsrecht».

3034

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um den Datenaustausch zwischen den für die Ergänzungsleistungen zuständigen Behörden und den Migrationsbehörden zu ermöglichen in Bezug auf die Ausrichtung dieser Leistungen sowie in Bezug auf Änderungen des Status von ausländischen Staatsangehörigen.

Der Bundesrat hat deshalb das EJPD und das EDI am 15. Januar 2014 beauftragt, eine Änderung des Ausländergesetzes und des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung24 (ELG) in die Vernehmlassung zu geben.

Diese Änderungen gehen auch in die von der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) gewünschte Richtung, die sie in ihrem Bericht vom 4. April 201425 zum Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern unter dem Personenfreizügigkeitsabkommen vorgibt. Der Bericht nimmt denn auch in der Einleitung zur zweiten, fünften und achten Empfehlung ausdrücklich darauf Bezug. Zudem äussert sich die GPK-N in ihrem Bericht vom 6. November 201426 zufrieden über die vorgesehenen Massnahmen und begrüsst, dass der Bundesrat den Prozess zur Ausarbeitung der Gesetzesgrundlagen, die für die Einführung eines Informationsaustauschs zwischen den Migrationsbehörden und den für die Ergänzungsleistungen zuständigen Organen erforderlich sind, in die Wege geleitet hat. Die GPK-N ist der Ansicht, dass die Massnahmen des vorliegenden Gesetzesentwurfs angemessen sind. Sie sollen den rechtlichen Rahmen klären in Bezug auf die Möglichkeit, Angehörigen von Mitgliedstaaten der EU oder der EFTA ihr Aufenthaltsrecht infolge Arbeitslosigkeit zu entziehen (Empfehlungen 2 und 8).

Zudem hat die GPK-N drei Empfehlungen in ein Postulat27 aufgenommen, das den Bundesrat beauftragt, zusammen mit den Kantonen die Gründe für die bei der Umsetzung des FZA festgestellten kantonalen Unterschiede zu eruieren. Der Bericht des Bundesrats in Erfüllung des Postulats muss neben den Ursachen für die kantonalen Unterschiede auch Möglichkeiten für eine einheitlichere Steuerung der Zuwanderung durch den Entzug von Aufenthaltsbewilligungen oder die Beschränkung ihrer Gültigkeitsdauer aufzeigen. Dieser Bericht wird im Frühling 2016 veröffentlicht und enthält allenfalls weitere Massnahmen für einen optimierten Vollzug des FZA und für eine bessere Missbrauchsbekämpfung.

24 25 26

27

SR 831.30 BBl 2014 8201 Bericht «Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern unter dem Personenfreizügigkeitsabkommen: Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates zur Stellungnahme des Bundesrates vom 13. August 2014», BBl 2015 793 Postulat der GPK-N 14.4005 «Klärung der Ursachen für die Unterschiede beim kantonalen Vollzug des Abkommens über die Personenfreizügigkeit».

3035

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1.6

Die beantragte Neuregelung zu den Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

1.6.1

Ziel

Der Gesetzesentwurf soll eine einheitliche Praxis bei der Umsetzung der Freizügigkeitsabkommen auf gesamtschweizerischer Ebene gewährleisten und die Rechtslage in Bezug auf die Auslegung gewisser Bestimmungen klären. Zudem soll den Anliegen der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle und der GPK-N Rechnung getragen werden, die sie in Berichten zum Aufenthalt von Angehörigen der EU/EFTAMitgliedstaaten festgehalten haben.28

1.6.2

Ausschluss Stellensuchender von der Sozialhilfe

Zurzeit findet sich keine Regelung in einem Bundesgesetz, ob stellensuchenden Ausländerinnen und Ausländern Sozialhilfe zu gewähren ist oder nicht. Allfällige Regelungen sind im kantonalen Recht enthalten. Bei fehlendem kantonalem Ausschluss der Sozialhilfe ist gemäss der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS)29 zu unterscheiden, ob die stellensuchenden Ausländerinnen und Ausländer mit Kurzaufenthaltsbewilligung einen Unterstützungswohnsitz in der Schweiz begründet haben oder nicht. Ausländische Stellensuchende halten sich nur vorübergehend in der Schweiz auf und haben damit ihren Wohnsitz im Ausland nicht aufgegeben. Sie haben somit keinen Unterstützungswohnsitz in der Schweiz. Verfügt die betroffene Person über keinen Wohnsitz in der Schweiz und gerät sie in eine Notlage, ist sie nach Artikel 21 des Zuständigkeitsgesetzes vom 24. Juni 197730 (ZUG) zu unterstützen (z. B. Unterstützung bei der Organisation der Heimreise, allenfalls Finanzierung der Reisekosten sowie minimale Unterstützung, bis die Heimreise frühestens möglich ist).

Laut SKOS steht der betroffenen Person aber der Nachweis offen, dass sie trotz der Kurzaufenthaltsbewilligung zur Stellensuche in der Schweiz einen Unterstützungswohnsitz begründet hat. Indizien für eine Wohnsitzbegründung sind laut SKOS insbesondere der Bezug einer eigenen, unbefristet gemieteten Wohnung in der Schweiz oder die definitive Auflösung des eigenen Haushalts im Ausland. Falls die betroffene Person Wohnsitz in der Schweiz begründet, hält sie sich bis zum Ablauf der Kurzaufenthaltsbewilligung rechtmässig in der Schweiz auf. Sie hat dann ge28

29

30

Bericht «Evaluation zum Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern unter dem Personenfreizügigkeitsabkommen» der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der GPK-N, BBl 2014 8221, und Bericht der GPK-N vom 6. November 2014, BBl 2015 793.

Vgl. SKOS, Sozialhilfe und Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA), Bewilligungsübersicht EU/EFTA-Bürgerinnen, Erläuterungen zur Bewilligungsübersicht EU/EFTABürgerinnen, Kommission Rechtsfragen. 27. September 2011 / 22. August 2013, verfügbar unter: www.skos.ch > Sozialhilfe und Praxis > Rechtliches > Unterstützung ausländischer Personen Personenfreizügigkeit und Sozialhilfe > Bewilligungsübersicht mit Erläuterungen EU/EFTA-Bürger/innen.

SR 851.1

3036

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mäss den aktuellen SKOS-Richtlinien denselben Anspruch auf Sozialhilfe wie die übrigen Inländerinnen und Inländer.

In Bezug auf die Gewährung von Sozialhilfe an stellensuchende Ausländerinnen und Ausländer besteht derzeit eine unterschiedliche Gesetzgebung und Praxis in den Kantonen. Dies soll nun vereinheitlicht werden. Ausländerinnen und Ausländer sowie ihre Angehörigen sollen gestützt auf Bundesrecht von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden, wenn sie lediglich zur Stellensuche in die Schweiz einreisen (Art. 29a E-AuG). Nach dem FZA können solche Personen während der Dauer ihres Aufenthalts von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden (Anhang I Art. 2 Abs. 1 FZA).

Es ist festzuhalten, dass auch bei einem Ausschluss dieser Personen von der Sozialhilfe das Recht auf Nothilfe bestehen bleibt. Gemäss Praxis des Bundesgerichts besteht der verfassungsmässigen Anspruch auf das Existenzminimum unabhängig vom Aufenthaltsstatus einer Person, die sich in der Schweiz aufhält (Art. 12 BV).31

1.6.3

Datenaustausch über die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen

Nach geltendem Recht müssen die Polizeibehörden, die Gerichts- und Strafuntersuchungsbehörden, die Zivilstandsbehörden sowie die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden den Migrationsbehörden von Amtes wegen die Eröffnung von Strafuntersuchungen, zivil- und strafrechtliche Urteile, Änderungen im Zusammenhang mit dem Zivilstand sowie eine Verweigerung der Eheschliessung melden. Eine Meldepflicht besteht auch für die Behörden, die für die Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen und von Arbeitslosenentschädigungen zuständig sind (Art. 97 Abs. 3 Bst. d und e AuG in Verbindung mit Art. 82 VZAE). Hingegen besteht keine Meldepflicht bei der Gewährung von Ergänzungsleistungen.

Das FZA sieht vor, dass eine Person mit einem Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit keine staatlichen Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen darf sowie über einen genügenden Krankenversicherungsschutz verfügen muss (Anhang I Art. 24 Abs. 1 FZA). Andernfalls erlischt ihr Aufenthaltsrecht. Dies gilt auch beim Bezug von Ergänzungsleistungen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt eine Invalidenrente keine Sozialhilfe im Sinn von Anhang I Artikel 24 Absatz 1 FZA dar. 32 Renten und Leistungen anderer Sozialversicherungen werden somit bei der Berechnung der ausreichenden finanziellen Mittel berücksichtigt.33 Anders verhält es sich hingegen bei Ergänzungsleistungen gemäss ELG. Hier hat das Bundesgericht entschieden, dass die

31 32 33

BGE 121 I 367 Urteile des Bundesgerichts 2C_222/2010 vom 29. Juli 2010 E. 6.2.2 und 2C_625/2007 vom 2. April 2008 E. 6.

Vgl. Laurent Merz, Le droit de séjour selon lALCP et la jurisprudence du Tribunal fédéral, in : Revue de droit administratif et de droit fiscal 65/2009, S. 277. Angeführt im Bundesgerichtsurteil 2C_989/2011 vom 2. April 2012 E. 3.3.3.

3037

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betroffene ausländische Person, die Ergänzungsleistungen bezieht, nicht über ausreichende finanzielle Mittel im Sinn von Anhang I Artikel 24 Absatz 2 FZA verfügt.34 Allerdings fehlen den Migrationsbehörden regelmässig die Informationen, um bei einem Bezug von Ergänzungsleistungen die Aufenthaltsbewilligung zu entziehen.

Mit dem vorgeschlagenen Datenaustausch zwischen den für die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zuständigen Organen und den kantonalen Migrationsbehörden soll der Informationsfluss verbessert werden (Art. 97 E-AuG).

Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen verlangen, dass neben der Pflicht zur Datenbekanntgabe im betreffenden Bundesgesetz (AuG) auch die entsprechende Ermächtigung zur Auskunftserteilung in der Sozialversicherungsgesetzgebung statuiert wird. Mit einer Änderung des ELG sollen die gesetzlichen Grundlagen dazu geschaffen werden.

Die vorgeschlagene Regelung betrifft grundsätzlich alle Ausländerinnen und Ausländer, die sich als Nichterwerbstätige in der Schweiz aufhalten. Die Datenbekanntgabe beschränkt sich auf die bundesrechtlich geregelten Ergänzungsleistungen.

Bewilligungen für Drittstaatsangehörige können mit Bedingungen verbunden werden (Art. 32 Abs. 2 und 33 Abs. 2 AuG). Wird eine solche Bedingung nicht mehr erfüllt, kann die Bewilligung entzogen werden, sofern das Bundesrecht keinen Bewilligungsanspruch vorsieht. Dies gilt auch dann, wenn als Bedingung ausreichende finanzielle Mittel vorausgesetzt wurden und die betroffene Person später Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen beantragt.

Zudem soll ein Bezug von Ergänzungsleistungen nicht mehr möglich sein, sobald eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Kurzaufenthaltsbewilligung widerrufen worden ist. Eine entsprechende Änderung des ELG wird ebenfalls vorgeschlagen.

1.6.4

Erlöschen des Aufenthaltsrechts bei Stellenverlust

Zurzeit besteht im FZA keine klare Regelung in Bezug auf das Erlöschen des Aufenthaltsrechts von Personen, deren Arbeitsverhältnis unfreiwillig endet.

Der Bundesrat hat 2010 einen Massnahmenkatalog (Weisungen) verabschiedet, der namentlich eine Regelung enthält in Bezug auf den Verlust des Aufenthaltsrechts von EU/EFTA-Staatsangehörigen mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung oder einer Aufenthaltsbewilligung, wenn ihre Erwerbstätigkeit im ersten Jahr ihres Aufenthalts endet.35 Nicht geregelt ist jedoch der Verlust des Aufenthaltsrechts bei Beendigung der Erwerbstätigkeit nach dem ersten Jahr des Aufenthalts. Die Vorlage zielt auf eine Auslegung des FZA ab, die klare zeitliche Beschränkungen hinsichtlich des Verlusts der Arbeitnehmereigenschaft sowie des Aufenthaltsrechts ermöglicht.

Dabei lehnt sie sich an die vom Bundesrat bereits früher eingeführte Regelung an.

Grundsätzlich erlischt das Aufenthaltsrecht von Inhaberinnen und Inhabern einer Aufenthalts- oder einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA entweder sechs Monate nach Ende ihrer Erwerbstätigkeit, nach Ablauf der Arbeitslosenentschädi34 35

BGE 135 II 265 E. 3.7 S. 272 f.

Vgl. Ziff. 1.5

3038

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gungen oder sechs Monate nach Ablauf der Arbeitslosenentschädigungen. Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, die ihre Erwerbstätigkeit nach dem ersten Jahr des Aufenthalts aufgeben, erhalten während dieser Fristen Sozialhilfe (vgl. Art. 61a E-AuG). Dies entspricht nach Auffassung des Bundesrats im Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesgerichts sowie des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH; vgl. auch Ziff. 6.2.2), wonach das Aufenthaltsrecht erlischt, wenn keine reellen Chancen mehr bestehen, eine neue Stelle antreten zu können. Die Vorlage nutzt den bestehenden Ermessensspielraum und legt genau fest, zu welchem Zeitpunkt das Aufenthaltsrecht in der Schweiz erlischt.

Nach Ablauf der in Artikel 61a E-AuG vorgesehenen Fristen können die zuständigen Behörden auch weiterhin nach dem bestehenden Recht eine Aufenthaltsbewilligung erteilen, wenn die betroffene Person ein anderes Aufenthaltsrecht gestützt auf das FZA oder die Rechtsprechung des EuGH geltend machen kann (Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, Verbleiberecht, Stellensuche usw.).

1.6.5

Umsetzung der Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

Die Bestimmungen über den Datenaustausch bei Ausrichtung von Ergänzungsleistungen (vgl. Ziff. 1.6.3) machen Verordnungsanpassungen erforderlich. Diese betreffen die Verordnung vom 15. Januar 197136 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV) und die VZAE.

In der ELV soll vorgesehen werden, dass die für die Festsetzung und die Auszahlung der Ergänzungsleistungen zuständigen Organe den kantonalen Migrationsbehörden unaufgefordert den Namen, die Vornamen, das Geburtsdatum, die Staatsangehörigkeit und die Adresse der Ausländerinnen und Ausländer melden, denen Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden.

Es ist noch zu prüfen, ob ein Verzicht auf die Datenbekanntgabe sinnvoll ist, wenn die betroffenen Personen die Niederlassungsbewilligung besitzen. Diese kann nur widerrufen werden, wenn eine dauerhafte und erhebliche Sozialhilfeabhängigkeit vorliegt (Art. 63 Abs. 1 Bst. c AuG). Eine analoge Regelung wurde am 1. Januar 2014 im Zusammenhang mit der Datenbekanntgabe im Bereich der Arbeitslosenentschädigung eingeführt (vgl. Art. 82 Abs. 7 VZAE).

Zudem ist zu prüfen, ob auf Verordnungsstufe eine Einschränkung der Meldepflicht in zeitlicher Hinsicht vorzusehen ist. Auf eine Datenbekanntgabe wäre demnach zu verzichten, wenn sich die Ausländerin oder der Ausländer zum Beispiel ununterbrochen und ordnungsgemäss seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz aufhält. In diesen Fällen besteht ein langjähriger Voraufenthalt, und Missbräuche beim Leistungsbezug sind in der Regel auszuschliessen.

Im Vernehmlassungsverfahren haben einige Kantone den Vorschlag begrüsst, Personen mit einer Niederlassungsbewilligung von der Datenbekanntgabe auszuschlies-

36

SR 831.301

3039

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sen oder eine zeitliche Begrenzung nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von zehn Jahren vorzusehen.

Allenfalls wäre auch eine Beschränkung der Datenbekanntgabe auf Staatsangehörige der EU- oder EFTA-Mitgliedstaaten vorstellbar, da sie keine Karenzfrist für den Bezug von Ergänzungsleistungen erfüllen müssen. Drittstaatsangehörige müssen für die Bezugsberechtigung generell eine Karenzfrist von zehn Jahren (ausnahmsweise fünf Jahre) erfüllen. Nach Ablauf dieser Zeit können regelmässig Missbrauchstatbestände ausgeschlossen werden.

Ein Teil der Vernehmlasser lehnte eine Beschränkung der Meldung auf Staatsangehörige der EU/EFTA-Mitgliedstaaten ab, da diese Informationen auch bei Drittstaatsangehörigen nützlich sein könnten.

Die Konkretisierung der in Artikel 97 Absätze 3 und 4 E-AuG vorgeschlagenen Datenbekanntgabe soll in Artikel 82 VZAE erfolgen. Die Bestimmung ist entsprechend der in der ELV vorgesehenen Regelung zu formulieren. Es ist zu prüfen, ob in die VZAE eine Regelung aufgenommen werden soll, wonach die Meldepflicht bei einem Kantonswechsel auf die Migrationsbehörde des neuen Wohnsitzkantons übergeht.

Der Betrag, ab dem die für die Festsetzung und die Auszahlung der Ergänzungsleistungen zuständigen Organe die Fälle melden müssen, in denen lediglich die Krankheits- und Behinderungskosten vergütet werden, kann in der ELV festgelegt werden (Art. 3 Abs. 1 Bst. b und 14 Abs. 6 ELG).

Bei der Konkretisierung der Bestimmungen über den Datenaustausch ist der Umsetzung der von Nationalrat Philipp Müller am 28. Mai 2008 eingereichten parlamentarischen Initiative 08.42837 Rechnung zu tragen. Sie ist Gegenstand der Zusatzbotschaft zur Integrationsvorlage, mit der auch ein Datenaustausch über Ergänzungsleistungen eingeführt werden soll.

Im Hinblick auf die übrigen vorgeschlagenen Gesetzesänderungen zu den Vollzugsverbesserungen sind keine Ausführungsbestimmungen erforderlich.

1.7

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Der Bundesrat beantragt die Abschreibung der von Nationalrat Bruno Pezzatti 38 am 6. Mai 2014 eingereichten Motion 14.3307 , mit welcher der Bundesrat beauftragt wird, den Datenaustausch zwischen den Migrationsbehörden und den Durchführungsstellen der Ergänzungsleistungen zu AHV/IV zu regeln, damit der Bezug von Ergänzungsleistungen durch Ausländerinnen und Ausländer gemeldet werden kann.

Das Ziel der Motion wird mit diesem Gesetzesentwurf erreicht, da dieser eine Regelung für den Datenaustausch zwischen diesen beiden Behörden vorschlägt (vgl.

Ziff. 3 zur Änderung von Art. 97 Abs. 3 Bst. f AuG und Art. 26a ELG).

37 38

Parlamentarische Initiative Philipp Müller «Kein Familiennachzug bei Bezug von Ergänzungsleistungen» (08.428).

Motion Bruno Pezzatti «Ergänzungsleistungen und Datenübermittlung» (14.3307).

3040

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Zudem wird die Abschreibung des Postulats 14.3462 der FDP-Liberale Fraktion39 beantragt. Dieses Postulat beauftragt den Bundesrat, zu prüfen und Bericht zu erstatten, ob rasch umsetzbare Massnahmen zur Verbesserung des Vollzugs des geltenden FZA zu ergreifen sind. Insbesondere ist zu überprüfen, ob Mängel bei der Umsetzung bestehen in Bezug auf die Erteilung, die Erneuerung oder den Entzug von Bewilligungen, ihre Umwandlung in eine Niederlassungsbewilligung und den Ausschluss neu in die Schweiz eingereister EU/EFTA-Staatsangehöriger von der Sozialhilfe.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass der vorliegende Gesetzesentwurf einigen Anliegen des Postulats entspricht. Dies betrifft insbesondere die Bestimmung zum Ausschluss derjenigen Personen von der Sozialhilfe, die zur Stellensuche in die Schweiz einreisen (Art. 29a E-AuG), sowie die Bestimmung betreffend den Zeitpunkt des Verlusts des Aufenthaltsrechts und die Gewährung bzw. Nichtgewährung von Sozialhilfe bei unfreiwilliger Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 61a E-AuG).

Darüber hinaus stellen weitere, bereits umgesetzte Massnahmen Antworten auf die im Postulat formulierten Anliegen dar. So sieht der neue Artikel 18 Absatz 2 der Verordnung vom 22. Mai 200240 über die Einführung des freien Personenverkehrs (VEP), in Kraft seit dem 1. April 2015, insbesondere vor, dass Angehörige der EU/EFTA-Mitgliedstaaten, die eine Kurzaufenthaltsbewilligung zum Zweck der Stellensuche in der Schweiz erhalten möchten, über genügend finanzielle Mittel verfügen müssen. In seinem Bericht vom 21. Juni 2015 in Erfüllung des Postulats Amarelle 13.359741 äussert sich der Bundesrat ausserdem zu den Bedingungen für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach fünf Jahren. Die Weisungen des SEM sensibilisieren unter anderem die Durchführungsstellen darüber, dass die Art der Aufenthaltsbewilligung für EU/EFTA-Staatsangehörige sich nach der Dauer des Arbeitsvertrags bestimmt. Bei einem unterjährigen Vertrag wird eine Kurzaufenthaltsbewilligung erteilt. Dies gilt auch für Einsatzverträge, da der mit dem Verleiher abgeschlossene Vertrag nicht massgebend ist ­ auch dann nicht, wenn er unbefristet ist. Schliesslich ermöglicht der Datenaustausch im Bereich der Sozialleistungen den Kantonen, die Kontrollen zu verstärken, um Bewilligungen zu verweigern oder zu widerrufen.

39 40 41

Postulat FDP-Liberale Fraktion vom 18. Juni 2014 «Verbesserter Vollzug des bestehenden Freizügigkeitsabkommens» (14.3462).

SR 142.203 Vgl. Postulat Amarelle «Personenfreizügigkeit. Monitoring und Evaluation der Massnahmen zur Umsetzung des Freizügigkeitsabkommen in den Bereichen Sozialleistungen und Aufenthaltsrecht» (13.3597).

3041

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2

Ergebnisse der Vernehmlassungsverfahren und nachträgliche Änderungen

2.1

Vernehmlassungsverfahren zur Umsetzung von Artikel 121a BV

Allgemeine Bemerkungen Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 11. Februar bis zum 28. Mai 2015. Der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung enthält eine umfassende Auswertung.42 Im Vernehmlassungsentwurf war die einseitige Schutzklausel (vgl. Ziff. 1.2.3) noch nicht enthalten. Der Entwurf sah auch für Angehörige der EU/EFTA-Staaten generell Höchstzahlen und Kontingente sowie eine Prüfung des Vorrangs der Inländerinnen und Inländer sowie der orts-, berufs- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfall vor. Dieser ursprüngliche Vorschlag stand unter dem grundsätzlichen Vorbehalt, dass eine entsprechende Anpassung des FZA mit der EU vereinbart werden kann.

Viele Vernehmlasser äussern sich nicht klar für oder gegen den Vernehmlassungsentwurf, wünschen aber wesentliche Änderungen. Einzelne Parteien und Sozialpartner lehnen ihn grundsätzlich ab. In den Stellungnahmen wird wiederholt darauf hingewiesen, dass je nach dem Ausgang der Verhandlungen mit der EU erhebliche Anpassungen beim Umsetzungskonzept erforderlich sein könnten. Mehrfach werden konkrete Massnahmen gefordert, um das inländische Arbeitskräftepotenzial tatsächlich besser zu nutzen.

Sehr oft wird darauf aufmerksam gemacht, dass seit der Abstimmung vom 9. Februar 2014 eine erhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich der zukünftigen Regelung der Zuwanderung bestehe, die auch zu einer Schwächung des Wirtschaftsstandorts Schweiz führen würde.

Verhältnis zum FZA Viele Vernehmlasser stellen mit dem Bundesrat fest, dass eine Gesamtbeurteilung der Umsetzung von Artikel 121a BV erst möglich sein wird, wenn das Ergebnis der Gespräche mit der EU zur Vereinbarkeit mit dem FZA vorliegt. Sie betonen generell, dass die Gründe, die zu einer Annahme von Artikel 121a BV geführt haben, ernst zu nehmen sind (v. a. starke Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung in den letzten Jahren und Befürchtungen über eine Verschlechterung der Situation auf dem Arbeitsmarkt). Eine sehr grosse Mehrheit spricht sich für eine Beibehaltung des FZA und damit für den bilateralen Weg aus, der von der Stimmbevölkerung ebenfalls mehrfach gutgeheissen wurde. Zur Erreichung dieses Ziels wird sehr oft eine FZA-kompatible Umsetzung von Artikel 121a BV gefordert, die auch die Interessen der Schweizer Wirtschaft berücksichtigt. Teilweise wird anstelle von Höchstzahlen
und einem Inländervorrang die Einführung einer Schutzklausel vorgeschlagen, wobei unterschiedliche Modelle bevorzugt werden. Viele Vernehmlasser befürchten, 42

Siehe: www.sem.admin.ch > Aktuell > News > News 2015 > Steuerung der Zuwanderung: Bundesrat entscheidet sich für Schutzklausel.

3042

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dass die im Vernehmlassungsentwurf vorgeschlagene Regelung zu einem grossen bürokratischen Aufwand bei den Vollzugsbehörden und den Arbeitgebern führen würde.

Die grosse Mehrheit begrüsst die Beibehaltung des dualen Zulassungssystems (unterschiedliche Regelungen für EU/EFTA und Drittstaaten). Einige Vernehmlasser kritisieren die Beibehaltung des grundsätzlichen Vorrangs des FZA vor dem AuG (Art. 2 Abs. 2 AuG; Subsidiaritätsprinzip); damit werde Artikel 121a BV gerade bei den hauptsächlichen Herkunftsländern nicht umgesetzt. Hier sei ebenfalls eine Regelung im AuG vorzusehen, zumindest bis zu einer entsprechenden Anpassung des FZA. Erfolgt keine Anpassung des FZA an Artikel 121a BV, erwägt die SVP eine Volksinitiative zur Kündigung dieses Abkommens. Nach ihrer Auffassung habe die Stimmbevölkerung mit der Annahme von Artikel 121a BV gleichzeitig auch über die Abschaffung der Personenfreizügigkeit entschieden.

Es wird wiederholt vorgeschlagen, dass Kurzaufenthaltsbewilligungen bis zu einem Jahr und Grenzgängerbewilligungen von Personen aus den EU/EFTA-Staaten im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen nicht den Höchstzahlen unterstellt werden. Eine solche Lösung verursache weniger Probleme mit dem FZA, und sie sei auch mit Artikel 121a BV vereinbar. Teilweise wird eine stärkere Einflussnahme der Kantone auf die Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente gefordert; insbesondere sollen die Grenzkantone ihre Grenzgängerkontingente selbst festlegen können.

Haltung des Bundesrats: Die Gespräche mit der EU über die Umsetzung von Artikel 121a BV im Rahmen des FZA sollen weitergeführt werden. Für den Fall, dass diese Gespräche nicht rechtzeitig abgeschlossen werden können, sieht der Gesetzesentwurf in Abweichung vom Vernehmlassungsentwurf neu eine möglichst einfach umzusetzende, einseitige Schutzklausel für Angehörige der EU/EFTA-Staaten vor (vgl. Ziff. 1.2.3 und 1.2.4). Die Schutzklausel entspricht den Anforderungen von Artikel 121a BV. Diese Vorgehensweise entspricht grundsätzlich auch dem Willen einer Mehrheit der Vernehmlasser. Dieses Vorgehen könnte jedoch das Ziel einer Konsolidierung und Weiterentwicklung des bilateralen Weges gefährden, das ebenfalls von einer Mehrheit der Vernehmlassung unterstützt wird.

Prüfung des Inländervorrangs sowie der Lohn- und Arbeitsbedingungen bei Personen aus
den EU/EFTA-Staaten Die überwiegende Mehrheit der Parteien und interessierten Kreise spricht sich bei der Zulassung von Angehörigen der EU/EFTA-Mitgliedstaaten gegen eine Prüfung des Inländervorrangs im Einzelfall aus; er soll nur bei der Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente berücksichtigt werden. Eine Einzelfallprüfung wird auch bei der Kontrolle der orts-, berufs- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen abgelehnt. Hier soll lediglich eine summarische Prüfung erfolgen. Eine Minderheit der Vernehmlasser, jedoch eine Mehrheit der Kantone (einschliesslich KdK) spricht sich in diesen Bereichen für eine Prüfung im Einzelfall aus.

Haltung des Bundesrats: Die vorgeschlagene einseitige Schutzklausel verzichtet auf diese Einzelfallprüfungen bei der Zulassung von Personen aus den EU/EFTAStaaten. Sie entspricht damit den Anliegen der Mehrheit der Vernehmlasser (vgl.

Ziff. 1.2.3, 1.2.4 sowie bezüglich der ausreichenden Existenzgrundlage Ziff. 1.3.1).

Der Inländervorrang wird bei der Festlegung des Schwellenwerts und der Höchst3043

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zahlen berücksichtigt. Die FlaM ermöglichen ausserdem Kontrollen bezüglich der Einhaltung der minimalen oder der orts-, berufs- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen und dienen damit dem Schutz der Erwerbstätigen. Die einseitige Schutzklausel soll möglichst einfach und ohne grossen bürokratischen Aufwand bei einer Überschreitung des Schwellenwerts aktiviert und später auch wieder aufgehoben werden können.

Zusammensetzung der Zuwanderungskommission Die überwiegende Mehrheit der Vernehmlasser, insbesondere der Parteien, der Sozialpartner und der weiteren interessierten Kreise, sprechen sich entgegen dem Vernehmlassungsentwurf für einen Einbezug der Sozialpartner in die neu zu schaffende Zuwanderungskommission aus. Eine klare Minderheit, jedoch die überwiegende Mehrheit der Kantone (einschliesslich KdK) sprechen sich gegen den Einbezug der Sozialpartner aus. Die Zuwanderungskommission soll nach ihrer Auffassung nur durch die für den Vollzug verantwortlichen Behörden des Bundes und der Kantone gebildet werden; die Sozialpartner könnten bei Bedarf angehört werden.

Haltung des Bundesrates: Der Gesetzesentwurf sieht aufgrund des Vernehmlassungsresultats neu vor, dass neben den zuständigen Behörden der Kantone und des Bundes die Sozialpartner ebenfalls dieser Kommission angehören sollen. Bei den Entscheiden der Kommission soll jedoch den hoheitlichen Aufgaben der Migrationsund Arbeitsmarktbehörden des Bundes und der Kantone Rechnung getragen werden (Ziff. 1.2.6).

Zulassung von Personen aus Drittstaaten Eine grosse Mehrheit der Vernehmlasser wünscht bei der Zulassung von erwerbstätigen Personen aus Drittstaaten die Fortführung der bisherigen Regelung im AuG (Höchstzahlen und kantonale Kontingente; Prüfung des Inländervorrangs sowie der Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfall). Die Einführung von Höchstzahlen auch für den Asylbereich und beim Familiennachzug wird teilweise abgelehnt, da hier verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Ansprüche bestehen würden und damit zahlenmässige Beschränkungen wirkungslos blieben. Einige Vernehmlasser wünschen strengere Voraussetzungen für den Familiennachzug.

Durch die Höchstzahlen auch im Bereich der Aus- und Weiterbildung werden teilweise negative Auswirkungen auf den Bildungs- und Forschungsstandort Schweiz befürchtet. Da diese Aufenthalte in der
Regel nur von vorübergehender Natur seien, könne hier auf eine restriktive Lösung verzichtet werden.

Haltung des Bundesrats: Der Gesetzesentwurf sieht bei der Zulassung von erwerbstätigen Personen aus Drittstaaten grundsätzlich die grossmehrheitlich gewünschte Fortführung der bisherigen Regelung vor (vgl. Ziff. 1.2.2). Die Notwendigkeit von Höchstzahlen auch in den Bereichen des Familiennachzugs und des Asyls ergibt sich aus den Anforderungen von Artikel 121a BV. Diese Höchstzahlen sollen jedoch unter Berücksichtigung der Anforderungen der BV, der internationalen Verpflichtungen sowie der humanitären Tradition der Schweiz festgelegt werden. Strengere Bestimmungen für den Familiennachzug von Personen aus Drittstaaten werden mit der zurzeit im Parlament behandelten Integrationsvorlage vorgeschlagen. Bei der

3044

BBl 2016

vorübergehenden Zulassung zur Aus- und Weiterbildung sollen die spezifischen Bedürfnisse des Bildungs- und Forschungsstandorts Schweiz berücksichtigt werden.

2.2

Vernehmlassungsverfahren zu den Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

2.2.1

Ergebnisse der Vernehmlassung

Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 2. Juli bis zum 22. Oktober 2014. Der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung enthält eine umfassende Auswertung.43 Die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer begrüsst das Ziel der Missbrauchsbekämpfung sowohl beim Bezug von Sozialhilfe als auch bei der Anwendung des FZA. Die Idee, die Praxis der Kantone im Bereich der Sozialhilfe zu vereinheitlichen und die Situation in Bezug auf die unfreiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu klären, wird ebenfalls begrüsst.

Eine grosse Mehrheit der Befragten, insbesondere die Kantone, äussern ernsthafte Vorbehalte zur vorgeschlagenen Änderung des AuG in Bezug auf den Verlust des Aufenthaltsrechts bei einer unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art.

61a E-AuG). Sie sind der Ansicht, dass die geplante Änderung in der Praxis wenig Klärung bringen werde. Es werden unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Verbesserungsvorschläge gemacht, die nicht einer gemeinsamen Linie entsprechen.

Die Kantone haben sich allgemein für klare zeitliche Beschränkungen des Aufenthaltsrechts in diesem Bereich ausgesprochen, weshalb die Vorlage einige Änderungen erfahren hat (vgl. Ziff. 2.2.2).

Einige Vernehmlassungsteilnehmer schlagen vor, auf Artikel 61a E-AuG zu verzichten. Nach ihrer Meinung bringt diese Regelung keinen Mehrwert, da sie weniger restriktiv ist als das geltende FZA, oder sie trägt nicht zur Klärung der Situation bei. Andere haben Vorbehalte in Bezug auf die Wirkung des Vernehmlassungsentwurfs. Sie erachten den Entwurf als unklar und schlagen zahlreiche Änderungen vor.

Positiv aufgenommen wurden hingegen die vorgeschlagenen Änderungen im Zusammenhang mit dem Datenaustausch betreffend Ergänzungsleistungen. Aus den Stellungnahmen gehen hier deutlich zwei Ergänzungsvorschläge hervor: einerseits die Einführung einer Meldepflicht bei der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten zusätzlich zu der im Vernehmlassungsentwurf vorgesehenen Meldung über die Auszahlung von jährlichen Ergänzungsleistungen und andererseits die Änderung von Artikel 5 ELG, wodurch die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen an Ausländerinnen und Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz ausdrücklich ausgeschlossen werden soll.

43

Bericht über die Vernehmlassungsergebnisse, verfügbar unter: www.sem.admin.ch > Aktuell > Laufende Gesetzgebungsprojekte > Teilrevision des Ausländergesetzes (AuG): Umsetzung von Artikel 121a BV.

3045

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Der Ausschluss derjenigen Personen von der Sozialhilfe, die zum Zweck der Stellensuche in die Schweiz einreisen, wird begrüsst.

2.2.2

Änderungen nach der Vernehmlassung

Aufgrund der Stellungnahmen der Vernehmlassungsteilnehmer wurde der Teil der Vorlage geändert, der sich mit dem Erlöschen des Aufenthaltsrechts nach einer unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses befasst (Art. 61a AuG). Es werden neu zeitliche Beschränkungen in Bezug auf das Erlöschen des Aufenthaltsrechts festgelegt, um das FZA sowie die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH und des Bundesgerichts konsequent umzusetzen.

Der Vernehmlassungsentwurf sah Annahmen in Bezug auf den Zeitpunkt vor, in dem das Aufenthaltsrecht von Inhaberinnen und Inhabern einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA oder einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA erlischt. Diese Annahmen liessen sich jedoch durch eine Regelung umstossen, wonach das Aufenthaltsrecht weiterbesteht, solange die betroffene Person nachweist, dass sie aktiv eine Stelle sucht und dass eine objektiv begründete Aussicht auf eine Beschäftigung vorliegt.

Die neue Vorlage verzichtet nun auf die Möglichkeit, den Aufenthalt von Inhaberinnen und Inhabern einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA oder einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA zeitlich unbeschränkt zu verlängern.

Bei Inhaberinnen und Inhabern einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA kommt nur noch eine zusätzliche Aufenthaltsfrist von sechs Monaten zur Anwendung, wenn sie ihre Stelle während oder nach dem ersten Jahr des Aufenthalts verlieren ­ unter Vorbehalt der Frist, während der eine Arbeitslosenentschädigung ausbezahlt wird.

Nach Ablauf der Frist von sechs Monaten bleibt eine Aufenthaltsregelung gestützt auf andere Bestimmungen des FZA oder der VEP möglich. Dazu gehört auch die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung in schwerwiegenden Härtefällen, wenn die Voraussetzungen dazu erfüllt sind.

Die Fristen, während derer das Aufenthaltsrecht von Inhaberinnen und Inhabern einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA nach einer unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den ersten zwölf Monaten bestehen bleibt, wurden gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf gekürzt. Neu kann ihr Aufenthaltsrecht bereits vor Ablauf der Gültigkeitsdauer der ursprünglichen Bewilligung erlöschen.

Sie behalten wie die Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA ihr Aufenthaltsrecht während sechs Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Bundesrat ist der Ansicht,
dass diese Lösung mit dem FZA sowie mit der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesgerichts vereinbar ist (vgl.

Ziff. 6.2.2).

Im Hinblick auf das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens zum Datenaustausch bei der Ausrichtung von Ergänzungsleistungen sieht die Vorlage zusätzlich zur Meldepflicht beim Bezug von jährlichen Ergänzungsleistungen (Geldleistungen) nun auch eine Meldepflicht vor bei Fällen von gewisser Schwere, in denen Krankheitsund Behinderungskosten (Sachleistungen) vergütet werden. Ausserdem wird eine 3046

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Änderung des ELG vorgeschlagen, um die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen an Ausländerinnen und Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz ausdrücklich auszuschliessen.

3

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Ausländergesetz Art. 2 Abs. 2 und 3 Gemäss diesen Bestimmungen gilt für Staatsangehörige der EU/EFTA-Staaten und ihre Familienangehörigen das AuG nur subsidiär. Das FZA bzw. das EFTAÜbereinkommen geht vor, sofern es eine abweichende Regelung enthält und das AuG nicht günstigere Bestimmungen vorsieht. Der Bundesrat hat am 4. Dezember 2015 entschieden, Artikel 121a BV gegenüber Staatsangehörigen der EU/EFTAStaaten mittels einer einseitigen Schutzklausel umzusetzen, wenn nicht rechtzeitig eine einvernehmliche Lösung mit der EU im Rahmen des FZA gefunden werden kann. Damit diese einseitige Schutzklausel bei Bedarf zur Anwendung kommen kann, ist ein entsprechender Vorbehalt in den Absätzen 2 und 3 vorzusehen (Art. 17c und 17d E-AuG). Dieser Vorbehalt ergibt sich aus Artikel 121a BV, der eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung und eine Begrenzung der Zuwanderung durch Höchstzahlen und Kontingente unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Ausländerinnen und Ausländer verlangt.

Die Regelung der Zulassung von Drittstaatsangehörigen richtet sich demgegenüber nach dem AuG, das an die Anforderungen von Artikel 121a BV angepasst werden muss. Das duale Zulassungssystem bleibt somit erhalten.

In Absatz 2 ist zudem eine formale Anpassung erforderlich. Der Begriff «Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EG)» wird durch den heute zu verwendenden Begriff «Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU)» ersetzt.

Gliederungstitel vor Art. 17a Im Hinblick auf die notwendige ausführlichere Regelung der Höchstzahlen und Kontingente bei der Umsetzung von Artikel 121a BV ist die Einführung eines neuen Abschnitts erforderlich.

Art. 17a

Höchstzahlen

Höchstzahlen sind für die Zulassung von Personen aus Drittstaaten immer erforderlich (vgl. Ziff. 1.2.2). Sie können in kantonale Kontingente aufgeteilt werden (Art. 17b Abs. 1 E-AuG). Bei Angehörigen der EU- und EFTA-Staaten kommen die Höchstzahlen und Kontingente nur zur Anwendung, wenn der Schwellenwert der einseitigen Schutzklausel überschritten wird (Art. 17c und 17d E-AuG; vgl.

Ziff. 1.2.3 und 1.2.4).

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Höchstzahlen und Kontingente für Grenzgängerbewilligungen von Personen aus Drittstaaten können nur dann festgelegt werden, wenn die einseitige Schutzklausel aktiviert wird (Art. 17d Abs. 4 und 25 Abs. 1 Bst. c E-AuG).

Zu Abs. 2 Bst. a Der Einbezug von Kurzaufenthaltsbewilligungen für mehr als vier Monate entspricht der heutigen Regelung. Eine allgemeine Ausnahme von den Begrenzungsmassnahmen wäre für Aufenthalte bis zu einem Jahr nach der Auslegung des Bundesrats von Artikel 121a BV zwar möglich, sie würde jedoch zu Umgehungsproblemen führen.

Zu Abs. 2 Bst. c Niederlassungsbewilligungen sollen nur dann den Höchstzahlen unterstellt werden, wenn sie ausnahmsweise bereits bei der Zulassung erteilt werden (v. a. Kinder unter 12 Jahren von Schweizerinnen und Schweizern oder von Niedergelassenen; Art. 42 Abs. 4 und 43 Abs. 3 AuG). Die spätere Umwandlung der Aufenthalts- in eine Niederlassungsbewilligung muss demgegenüber nicht den Höchstzahlen unterstellt werden (Abs. 4 Bst. b).

Zu Abs. 3 Vorläufige Aufnahmen sollen nur bei Aufenthalten von mehr als einem Jahr den Höchstzahlen unterstellt werden; in der Regel werden sie für kürzere Aufenthalte nicht angeordnet. Ein vorübergehender Schutz gemäss AsylG wurde bisher noch nie gewährt. Es ist auch hier davon auszugehen, dass eine solche Massnahme für Aufenthalte von mehr als einem Jahr angeordnet würde. Aufenthalte von bis zu einem Jahr können nach der Auffassung des Bundesrats generell von den Begrenzungsmassnahmen ausgenommen werden, da sie nicht als Zuwanderung zu betrachten sind und damit nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 121a BV fallen.

Zu Abs. 4 Bst. a Verlängerungen von Bewilligungen unterstehen grundsätzlich nicht den Höchstzahlen und Kontingenten. Eine Ausnahme ist jedoch dann erforderlich, wenn eine bestimmte Bewilligungsart oder ein bestimmter Aufenthaltszweck erst ab einer gewissen Aufenthaltsdauer diesen Begrenzungen unterstellt wird.

Dies gilt bei der Verlängerung der Kurzaufenthaltsbewilligung über vier Monate bei einem Aufenthalt mit Erwerbstätigkeit und über ein Jahr bei einem Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit. Kurzaufenthaltsbewilligungen können bis maximal zwei Jahre verlängert werden (Art. 32 AuG).

Zu Abs. 4 Bst. b und c Da bereits für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung eine Höchstzahl gilt, erfolgt bei der Umwandlung
der Aufenthaltsbewilligung in eine Niederlassungsbewilligung keine erneute Anrechnung. Dies gilt auch dann, wenn eine vorläufige Aufnahme, die ebenfalls den Höchstzahlen untersteht, später in eine Aufenthaltsbewilligung umgewandelt wird.

3048

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Zu Abs. 5 Es ist vorgesehen, dass der Bundesrat die Höchstzahlen nach den Absätzen 2­4 für bestimmte Aufenthaltszwecke festlegen kann (z. B. Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, Asylgewährung und vorläufige Aufnahme; vgl. Ziff. 1.2.2­1.2.4).

Art. 17b

Aufteilung der Höchstzahlen in kantonale Kontingente

Der Bundesrat kann vorsehen, dass die Höchstzahlen in kantonale Kontingente aufgeteilt werden. Dies ist bei erwerbstätigen Personen aus Drittstaaten bereits heute der Fall (Art. 18a und Anhänge 1 und 2 VZAE).

Der Bundesrat soll die Aufteilung der Höchstzahlen in kantonale Kontingente neu auch an die Kantone übertragen können. Können diese sich nicht einigen, soll der Bundesrat diese Aufteilung subsidiär vornehmen. Ein gleicher Ansatz besteht heute im Asylbereich bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone (Art. 27 AsylG). Eine solche Lösung wäre auch in den übrigen Bereichen möglich, bei denen neu gemäss den Vorgaben von Artikel 121a BV Höchstzahlen eingeführt werden müssen (vgl. Ziff. 1.2.5; v. a. Familiennachzug und Personen ohne Erwerbstätigkeit).

Bei erwerbstätigen Personen aus Drittstaaten soll gemäss dem Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens der heutige Verteilschlüssel für kantonale Kontingente vorerst weiterhin zur Anwendung gelangen.

Art. 17c

Schwellenwert zur Steuerung der Zuwanderung von EU- und EFTA-Staatsangehörigen

In diesem Artikel wird die eigenständige Schutzklausel für Angehörige der EU/EFTA-Staaten geregelt (vgl. Ziff. 1.2.3).

Zu Abs. 1­3 Der Bundesrat legt den Schwellenwert fest (Abs. 2 und Art. 17e E-AuG); sinnvoll ist eine jährliche Festlegung (vgl. Ziff. 1.2.4). Wird der Schwellenwert überschritten, legt der Bundesrat zudem Höchstzahlen für die Bewilligungserteilung fest. Gleichzeitig fördert er verstärkt das inländische Arbeitskräftepotenzial, um den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften zu senken (vgl. Ziff. 1.4.2). Dies soll auch durch die Förderung der Integration von Ausländerinnen und Ausländern erreicht werden.

Zudem passt er bei Bedarf den Vollzug des Ausländerrechtes an, etwa zur besseren Bekämpfung von Missbräuchen beim FZA. Vor der Festlegung der Begrenzungsmassnahmen hört der Bundesrat die zuständigen parlamentarischen Kommissionen (Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben, Staatspolitische Kommissionen) an (Abs. 3).

Zu Abs. 4 Solange die Zuwanderung unterhalb des Schwellenwerts liegt, richtet sich die Zulassung nach den Bestimmungen der Freizügigkeitsabkommen. Üben die betroffenen Personen eine Erwerbstätigkeit aus, kann angenommen werden, dass die qualitativen Zulassungsvoraussetzungen nach Artikel 121a Absatz 3 BV eingehalten werden (vgl. Ziff. 1.3).

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Wird ein offensichtlicher Missbrauch des FZA festgestellt, in dem eine Person z. B.

nur eine sehr geringfügige Erwerbstätigkeit ausübt, um dadurch in der Schweiz Sozialleistungen beziehen zu können, soll der Aufenthalt verweigert werden. Dies entspricht der heutigen Praxis.

Art. 17d

Höchstzahlen und Kontingente bei Überschreiten des Schwellenwerts

Zu Abs. 1 Es ist Aufgabe des Bundesrats, den Schwellenwert sowie bei dessen Überschreitung Höchstzahlen festzulegen. Der Bundesrat kann die Höchstzahlen in kantonale Kontingente aufteilen; Art. 17b E-AuG kommt dabei analog zur Anwendung (Abs. 5).

Es ist jedoch vorgesehen, bei einer allfälligen Aktivierung der Schutzklausel vorerst auf eine solche Aufteilung zu verzichten und eine mit der Umsetzung der Ventilklausel nach Artikel 10 FZA vergleichbare, einfache Lösung zu bevorzugen (vgl.

Ziff. 1.2.3 und 1.2.4).

Zu Abs. 2 Erachtet es der Bundesrat zur besseren Steuerung der Zuwanderung als erforderlich, kann er die Höchstzahlen und Kontingente um ein weiteres Kalenderjahr verlängern.

Zu Abs. 3 Wie bei der Regelung für die Angehörigen von Drittstaaten (Art. 17a Abs. 5 E-AuG) kann der Bundesrat auch bei Angehörigen der EU/EFTA-Staaten separate Höchstzahlen für unterschiedliche Aufenthaltszwecke festlegen (Erwerbstätigkeit, Familiennachzug usw.). Zur Verhinderung von Umgehungen sollen auch Kurzaufenthaltsbewilligungen von mehr als vier Monaten den Höchstzahlen unterstehen (analog Art. 17a Abs. 2 Bst. a E-AuG bei Angehörigen von Drittstaaten).

Zu Abs. 4 Wird die Schutzklausel bei einer hohen Zuwanderung aktiviert, können zusätzlich Höchstzahlen und allenfalls kantonale Kontingente für Grenzgängerbewilligungen über vier Monate festgelegt werden, um Umgehungen zu verhindern. Sie gelten auch für Personen aus Drittstaaten, die als Grenzgängerinnen oder Grenzgänger in der Schweiz tätig sind (Art. 25 Abs. 1 Bst. c E-AuG).

Zu Abs. 5 Durch die sinngemässe Anwendung der Artikel 17a und 17b E-AuG und den Einbezug der Empfehlungen der neuen Zuwanderungskommission (Art. 17f E-AuG) ist sichergestellt, dass bei der einseitigen Schutzklausel die gleichen Grundsätze zur Anwendung kommen wie bei Personen aus Drittstaaten. Dazu gehören die Möglichkeit der jederzeitigen Anpassung der Höchstzahlen bei Bedarf (Art. 17a Abs. 1 E-AuG), der Geltungsbereich der Höchstzahlen (Art. 17a Abs. 2­4 E-AuG) sowie das Verfahren bei einer allfälligen Aufteilung der Höchstzahlen in kantonale Kontingente (Art. 17b E-AuG). Zudem sind bei der Festsetzung der Höchstzahlen und Kontingente die gleichen Kriterien zu beachten (Art. 17e E-AuG).

3050

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Art. 17e

Kriterien für die Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente sowie des Schwellenwerts

In dieser Bestimmung werden die wichtigsten Eckwerte und Indikatoren aufgezählt, die bei der Festlegung des Schwellenwerts sowie der Höchstzahlen und Kontingente für Angehörige von Drittstaaten und der EU/EFTA-Staaten zu beachten sind (vgl.

Ziff. 1.2.5).

Die allgemeinen Grundsätze des AuG über die Zulassung (Art. 3 AuG) sind zu berücksichtigen. Dazu gehören insbesondere folgende Elemente: die Interessen der Gesamtwirtschaft, die Integrationsmöglichkeiten, die demografische, soziale und gesellschaftliche Entwicklung sowie die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz.

Art. 17f

Zuwanderungskommission

Es soll eine durch den Bundesrat eingesetzte ausserparlamentarische Kommission (Verwaltungskommission) geschaffen werden (Ziff. 1.2.6), die insbesondere Empfehlungen bezüglich des Schwellenwerts bei der einseitigen Schutzklausel sowie bei der Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente ausarbeitet (Ziff. 1.2.4 und 1.2.5).

Die für beratende Kommissionen massgebenden Regelungen (v. a. Amtsdauer, Wählbarkeit, Taggeld, Inhalt der Einsetzungsverfügung, Publikation) finden sich in den Artikeln 57a­57f des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199744 und in den Artikeln 8a­8iter der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 199845. Die Kommission besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der verantwortlichen Vollzugsbehörden; die Sozialpartner werden in die Arbeiten der Kommission direkt einbezogen, beispielsweise durch ständige Arbeitsgruppen. Die nähere Regelung erfolgt auf Verordnungsstufe.

Art. 18 Bst. c und d Es ist eine gesetzestechnische Anpassung erforderlich, da die Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente neu in den Artikeln 17a und 17b geregelt wird.

Art. 19 Bst. c­e Zu Bst. c Nach Artikel 121a Absatz 3 BV muss bei selbstständig Erwerbstätigen ebenfalls geprüft werden, ob eine eigenständige Existenzgrundlage besteht. Dies soll hier neu ausdrücklich erwähnt werden. In der Praxis wird dies bei Personen aus Drittstaaten bereits heute vorausgesetzt. Die Zulassung von selbstständig erwerbstätigen Angehörigen der EU/EFTA-Staaten richtet sich nach dem FZA.

44 45

SR 172.010 SR 172.010.1

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Zu Bst. d und e Es ist eine gesetzestechnische Anpassung erforderlich, da die Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente neu in den Artikeln 17a und 17b geregelt wird.

Art. 20 Dieser Artikel muss aufgehoben werden, da er nur für erwerbstätige Personen aus Drittstaaten zahlenmässige Beschränkungen vorsieht. Neu müssen nach Artikel 121a BV grundsätzlich für alle Bewilligungsarten und Aufenthaltszwecke Höchstzahlen und Kontingente festgelegt werden (v. a. auch für den Familiennachzug, Aufenthalte ohne Erwerbstätigkeit und den Asylbereich). Diese Begrenzungsmassnahmen werden in einem neuen Abschnitt 1a geregelt (Art. 17a und 17b). Für Angehörige der EU/EFTA-Staaten gilt die einseitige Schutzklausel (Art. 17c und 17d).

Art. 21 Abs. 2 Bst. d und e Vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige sollen neu ebenfalls als inländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten. Diese Personengruppen gehören zum einheimischen Arbeitsmarkt und damit auch zum bereits vorhandenen inländischen Arbeitskräftepotenzial, das bei der Umsetzung von Artikel 121a BV gefördert werden soll.

Art. 25

Zulassung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern

Die Regelung für Grenzgängerinnen und Grenzgänger im AuG gilt nur für Personen aus Drittstaaten. Sie entspricht mit Ausnahme der neu möglichen zahlenmässigen Beschränkung im Rahmen der einseitigen Schutzklausel (Art. 17d Abs. 4 E-AuG) dem geltenden Recht. Die Zulassung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern aus den EU/EFTA-Staaten richtet sich nach dem FZA.

Zu Abs. 1 Neu sollen Grenzgängerbewilligungen Höchstzahlen und Kontingenten unterstehen, wenn die einseitige Schutzklausel (Art. 17c und 17d E-AuG) zur Anwendung kommt (neuer Abs. 1 Bst. c). Die übrigen Änderungen sind gesetzestechnischer Natur.

Zu Abs. 2 Hier ist eine gesetzestechnische Anpassung erforderlich (Streichung des Verweises auf Art. 20 AuG), da die Einhaltung von allfälligen Höchstzahlen und Kontingenten im Rahmen der einseitigen Schutzklausel neu in Absatz 1 Buchstabe c geregelt wird.

Art. 26

Zulassung für grenzüberschreitende Dienstleistungen

Es sind gesetzestechnische Anpassungen erforderlich, da die Einhaltung der Höchstzahlen und Kontingente neu in den Artikeln 17a und 17b geregelt wird.

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Art. 27 Abs. 1bis, Art. 28 Abs. 2, Art. 29 Abs. 2 Die Bestimmungen über die Zulassung zu einem Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit (Aus- und Weiterbildung, Rentnerinnen und Rentner, medizinische Behandlung) werden mit einer zusätzlichen Bedingung ergänzt, wonach bei einem Aufenthalt von mehr als einem Jahr neu gemäss den Anforderungen von Artikel 121a BV Höchstzahlen und Kontingente eingehalten werden müssen (Art. 17a und 17b). Die Zulassung von nicht erwerbstätigen Angehörigen der EU/EFTA-Staaten richtet sich nach dem FZA.

Art. 29a

Stellensuche

Freizügigkeitsberechtigte Arbeitssuchende sind während der Dauer ihres Aufenthalts von der Sozialhilfe ausgeschlossen. Eine entsprechende Regelung ist auch im FZA ausdrücklich vorgesehen (Anhang I Art. 2 Abs. 1 zweiter Unterabsatz FZA).

Artikel 29a bezieht sich auf Stellensuchende und ihre Familienangehörigen, die erstmals zum Zweck der Stellensuche in die Schweiz einreisen. Personen, die sich nach einer unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterhin in der Schweiz aufhalten, um eine neue Stelle zu suchen, sind davon nicht betroffen. In Bezug auf die Familienangehörigen bleiben Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen aus anderen Gründen vorbehalten.

Da im Bereich der Gewährung von Sozialhilfe an stellensuchende Ausländerinnen und Ausländer in den Kantonen derzeit unterschiedliche gesetzliche Regelungen und eine unterschiedliche Praxis bestehen (vgl. Ziff. 1.6.2), soll mit der vorgeschlagenen Regelung eine Vereinheitlichung erreicht werden.

Weil ein Rahmengesetz auf Bundesebene fehlt, soll der Ausschluss Stellensuchender von der Sozialhilfe systematisch in einem Bundesgesetz verankert werden (Art. 164 Abs. 1 Bst. f BV). Es wird vorgeschlagen, diese Bestimmung in das AuG aufzunehmen. Die Verfassungsmässigkeit der vorgeschlagenen Bestimmung ergibt sich direkt aus Artikel 121 Absatz 1 BV (vgl. Ziff. 6.1.2). Systematisch ist es sinnvoll, den Ausschluss stellensuchender Ausländerinnen und Ausländer von der Sozialhilfe im 2. Abschnitt (Zulassung zu einem Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit) des 5. Kapitels (Zulassungsvoraussetzungen) des AuG zu regeln, da die betroffenen Personen zum Zweck der Stellensuche in die Schweiz einreisen und hier vorderhand keine Erwerbstätigkeit aufnehmen.

Art. 30 Abs. 1 Einleitungssatz und Buchstabe l Zu Abs. 1 Einleitungssatz Artikel 30 ermöglicht in den aufgeführten Fällen Ausnahmen von den allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen. Nach Artikel 121a BV ist jedoch eine Ausnahme von den Höchstzahlen und Kontingenten nicht mehr möglich, da sie grundsätzlich für alle Bewilligungsarten und jeden Aufenthaltszweck gelten. Der Einleitungssatz muss daher angepasst werden (keine Abweichung von Art. 17a und 17b). Ausnahmen

3053

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vom Inländervorrang sind demgegenüber möglich.46 Ausnahmen von den Zulassungsvoraussetzungen sind auch weiterhin angebracht, wenn z. B. ein schwerwiegender Härtefall vorliegt und eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

Zu Abs. 1 Buchstabe l Es handelt sich hier um eine gesetzestechnische Anpassung beim Verweis auf das Asylgesetz (die erstmalige Erwähnung erfolgt neu in Art. 17a).

Art. 42 Abs. 2bis, Art. 43 Abs. 1bis, Art. 44 Abs. 2, Art. 45 Abs. 2 Nach Artikel 121a Absatz 2 BV umfassen die Höchstzahlen und Kontingente auch den Familiennachzug. Aufenthalte von bis zu zwölf Monaten können jedoch davon ausgenommen werden. Dies bedeutet, dass der Familiennachzug von Personen mit Kurzaufenthaltsbewilligung nur angerechnet wird, wenn diese über ein Jahr verlängert wird. Vorbehalten bleiben in jedem Fall die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (Art. 3 Abs. 2 AuG, Art. 17e Abs. 1 Bst. a E-AuG). Der Familiennachzug von Angehörigen der EU/EFTA-Staaten richtet sich nach dem FZA.

Die Zusatzbotschaft zur Integrationsvorlage sieht in Artikel 43 ebenfalls die Hinzufügung eines neuen Absatzes 1bis und in Artikel 44 die Hinzufügung eines neuen Absatzes 2 vor. Hier wird voraussichtlich eine Koordinationsbestimmung nötig sein.

Art. 48 Abs. 1bis Nach Artikel 121a Absatz 2 BV umfassen die Höchstzahlen und Kontingente auch die Bewilligungserteilung an Pflegekinder, die sich länger als ein Jahr in der Schweiz aufhalten. Die Bestimmung muss entsprechend angepasst werden. Vorbehalten bleiben in jedem Fall die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (Art. 3 Abs. 2 AuG, Art. 17e Abs. 1 Bst. a E-AuG).

Art. 61a

Erlöschen des Aufenthaltsrechts von EU- und EFTA-Staatsangehörigen

Dieser Artikel regelt einerseits den Ausschluss derjenigen Personen von der Sozialhilfe, die über eine Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA oder eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA verfügen, und andererseits die Beschränkung ihres Aufenthaltsrechts im Rahmen des FZA. Diese Regelung hat zwingend durch eine formelle Gesetzesgrundlage zu erfolgen, denn sie legt Rechtsnormen fest in Bezug auf die Verpflichtungen der Kantone bei der Umsetzung und beim Vollzug des Bundesrechts, nämlich des FZA (Art. 164 Abs. 1 Bst. f BV). Deshalb wird vorgeschlagen, diese Bestimmung in das AuG aufzunehmen.

Diese Bestimmung soll zudem die Rechtslage in Bezug auf den Verlust des Aufenthaltsrechts von EU/EFTA-Staatsangehörigen klären, wie dies die GPK-N in ihrem Bericht vom 4. April 2014 verlangt (vgl. Ziff. 1.5).

46

Vgl. Botschaft zur Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» Ziff. 3.2, BBl 2013 291, hier 313.

3054

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Artikel 61a ist ausschliesslich auf Staatsangehörige der EU/EFTA-Mitgliedstaaten anwendbar, die ursprünglich eine Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung zur Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit in der Schweiz erhalten haben.

Personen, die eine Bewilligung für einen anderen Aufenthaltszweck erhalten haben, beispielsweise zur Aus- und Weiterbildung oder im Rahmen eines Familiennachzugs, fallen nicht in den Anwendungsbereich dieses Artikels.

Der Gesetzesentwurf bezieht sich auf die unfreiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses, das heisst wenn die betroffene Person infolge Entlassung ihre Stelle verloren hat. Er befasst sich somit nicht mit der Aufgabe der Erwerbstätigkeit infolge vorübergehender Arbeitsunfähigkeit bei Krankheit, Unfall oder Invalidität. Bei freiwilliger Arbeitslosigkeit endet nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Arbeitnehmereigenschaft und damit das Aufenthaltsrecht zudem sofort. 47 Die vorgeschlagene Regelung bezieht sich auf das Erlöschen des Aufenthaltsrechts von Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern, wenn deren Erwerbstätigkeit in den ersten zwölf Monaten (Abs. 1 und 2) beziehungsweise nach den ersten zwölf Monaten (Abs. 4) ihres Aufenthalts endet. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen die betroffene Person ein anderes Aufenthaltsrecht gemäss dem FZA in Anspruch nehmen kann (Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, Bleiberecht usw.).

Das Bundesgericht48 hat anerkannt, dass eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA während den ersten fünf Jahren der Gültigkeitsdauer widerrufen werden kann, wenn die betroffene Person die Arbeitnehmereigenschaft verloren hat. Konkret hat sich das Bundesgericht zum Verlust der Arbeitnehmereigenschaft einer EU-Staatsangehörigen geäussert, deren Erwerbstätigkeit nach den ersten zwölf Monaten ihres Aufenthalts in der Schweiz endete (Situation nach Art. 61a Abs. 4 E-AuG). Den Verlust der Arbeitnehmereigenschaft hat das Gericht damit begründet, dass der Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung erloschen war (18 Monate Arbeitslosigkeit), die betroffene Person daraufhin von der Sozialhilfe abhängig wurde und kaum Chancen hatte, eine stabile Anstellung zu finden (lange Arbeitslosigkeit, sehr häufige krankheitsbedingte Absenzen und mangelnde berufliche Qualifikation).

Bereits in einem früheren Fall hat das
Bundesgericht entschieden, dass der Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, der während 18 Monaten unfreiwillig arbeitslos war, die Arbeitnehmereigenschaft verliert. Während dieses Zeitraums war die betroffene Person nicht erwerbstätig, und sie bezog Leistungen der Arbeitslosenversicherung und danach Sozialhilfe. 49 In einem späteren Urteil50 hat das Bundesgericht befunden, dass eine ausländische Person ihre Arbeitnehmereigenschaft verlieren kann und dass die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA verweigert bzw. diese widerrufen werden kann (Art. 23 VEP): a.

47 48 49 50

wenn sie freiwillig arbeitslos ist;

Urteil 2C_412/2014 vom 27. März 2014 E. 3.2.

Urteil 2C_390/2013 vom 10. April 2014.

Urteil 2C_967/2010 vom 17. Juni 2011.

Urteil 2C_412/2014 vom 27. Mai 2014.

3055

BBl 2016

b.

wenn aus ihrem Verhalten abgeleitet werden kann, dass keine begründete Aussicht auf eine Beschäftigung mehr besteht; und

c.

bei Missbrauch, das heisst, wenn die betroffene Person sich in einen anderen Vertragsstaat begibt, um dort einer fiktiven oder zeitlich stark begrenzten Tätigkeit nachzugehen mit dem einzigen Ziel, in den Genuss bestimmter Leistungen zu kommen, beispielsweise bessere Fürsorgeleistungen als im Herkunftsstaat.51

Das Bundesgericht hat diese Auslegung bestätigt im Zusammenhang mit einem in Fünferbesetzung getroffenen Urteil52, das einen deutschen Staatsangehörigen betraf, der 2006 mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag in die Schweiz eingereist war und eine Aufenthaltsbewilligung mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren erhielt.

Der EuGH hatte kürzlich Gelegenheit, sich zum Verlust des Aufenthaltsrechts von Stellensuchenden aus einem EU-Mitgliedstaat und deren Zugang zu Sozialhilfeleistungen zu äussern.53 Diesbezüglich hat er festgestellt, dass es für Staatsangehörige der EU zwei Möglichkeiten gibt, in einem anderen Mitgliedstaat ein Aufenthaltsrecht zu erlangen: ­

Sind Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, denen ein Aufenthaltsrecht als Erwerbstätige zustand, unfreiwillig arbeitslos geworden, nachdem sie weniger als ein Jahr gearbeitet hatten, und stellen sie sich dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung, behalten sie ihre Arbeitnehmereigenschaft und ihr Aufenthaltsrecht für mindestens sechs Monate. Während dieses gesamten Zeitraums können sie sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen und haben Anspruch auf Sozialhilfeleistungen.

­

enn Unionsbürgerinnen und Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat noch nicht gearbeitet haben oder wenn der Zeitraum von sechs Monaten abgelaufen ist, dürfen Arbeitssuchende nicht aus dem Aufnahmemitgliedstaat ausgewiesen werden, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. In diesem Fall darf der Aufnahmemitgliedstaat jedoch jegliche Sozialhilfeleistung verweigern.

Diese Rechtsprechung stützt sich auf die Unionsbürgerrichtlinie54, die für die Schweiz nicht anwendbar ist. Sie zeigt jedoch die geltende Regelung im EU-Recht auf.

51 52 53 54

BGE 131 II 339 E. 3.4, S, 347; Urteil 2C_390/2013 vom 10. April 2014 E. 3.2 und 4.3.

Urteil 2C_195/2014 vom 12. Januar 2015.

Vgl. Urteil des EuGH vom 15. September 2015 in der Rechtssache Jobcenter Berlin Neukölln gegen Nazifa, Sonita, Valentina und Valentino Alimanovic, (C-67/14).

Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77.

3056

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Zu Abs. 1 und 2 Diese Absätze betreffen den Fall, dass die Erwerbstätigkeit in den ersten zwölf Monaten des Aufenthalts unfreiwillig endet. Die Absätze beziehen sich nicht nur auf Fälle, in denen die Inhaberinnen und Inhaber einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA bei Ablauf der Gültigkeitsdauer der Bewilligung das Arbeitsverhältnis unfreiwillig beenden, sondern auch auf Fälle, in denen die Inhaberinnen und Inhaber einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA oder einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der erstmalig erteilten Bewilligung, das heisst vor Beendigung der ersten zwölf Monate des Aufenthalts in der Schweiz, unfreiwillig beenden.

Anhang I Artikel 2 Absatz 1 zweiter Unterabsatz FZA ermöglicht den Staatsangehörigen der Vertragsparteien, sich in das Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei zu begeben oder nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einer Dauer von weniger als einem Jahr dort zu bleiben, um sich eine Beschäftigung zu suchen und sich während eines angemessenen Zeitraums von bis zu sechs Monaten dort aufzuhalten. In diesem Zeitraum können sie von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden.

Für den Bundesrat richtet sich dieser Absatz sowohl an Inhaberinnen und Inhaber einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA als auch an Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, die ihre Stelle in den ersten zwölf Monaten ihres Aufenthalts in der Schweiz unfreiwillig verlieren, denn er ist wie folgt formuliert: «nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einer Dauer von weniger als einem Jahr». Demzufolge ist die effektive Dauer der Anstellung massgebend und nicht die Gültigkeitsdauer des Arbeitsvertrags oder der Bewilligung.

Nach der Auffassung des Bundesrats bezieht sich Anhang I Artikel 6 Absätze 1 und 6 FZA nur auf die Situation bei Beendigung der Erwerbstätigkeit nach den ersten zwölf Monaten des Aufenthalts in der Schweiz. Diese Feststellung wird dadurch gestützt, dass Anhang I Artikel 2 Absatz 1 zweiter Unterabsatz FZA eine spezifische Regelung des Aufenthaltsrechts «nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einer Dauer von weniger als einem Jahr» vorsieht. Daraus lässt sich ableiten, dass das FZA die Rechtslage bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit im ersten Jahr des Aufenthalts in der Schweiz mit Anhang I Artikel 2 Absatz 1 zweiter
Unterabsatz FZA abschliessend regeln wollte.

Absatz 1 des vorgeschlagenen Artikels stützt sich somit auf die in Anhang I Artikel 2 Absatz 1 zweiter Unterabsatz FZA vorgesehene Frist und hält fest, dass das Aufenthaltsrecht von Inhaberinnen und Inhabern einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA oder einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA sechs Monate nach Beendigung der Erwerbstätigkeit endet. Ausserdem wird für die Stellensuche generell ein Zeitraum von sechs Monaten eingeräumt, der gemäss der VEP auf bis zu zwölf Monate verlängert werden kann (Art. 18 Abs. 2 und 3 VEP).

Bei einer unmittelbaren Aneinanderreihung verschiedener Kurzaufenthaltsbewilligungen EU/EFTA sieht Absatz 1 vor, dass die Frist von sechs Monaten für jede neue Kurzaufenthaltsbewilligung gilt. Wie bereits erwähnt, ist der Bundesrat der Ansicht, dass sich Anhang I Artikel 2 Absatz 1 zweiter Unterabsatz FZA auf die effektive Dauer des Arbeitsverhältnisses und nicht auf die Gültigkeitsdauer des Arbeitsvertrags oder der Bewilligung bezieht. Für Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthalts3057

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bewilligung EU/EFTA hingegen regelt Absatz 1 das Aufenthaltsrecht bei unfreiwilliger Beendigung des Arbeitsverhältnisses im ersten Jahr des Aufenthalts in der Schweiz, im Gegensatz zu Absatz 4, der das Aufenthaltsrecht nach dem ersten Jahr des Aufenthalts regelt.

Absatz 2 legt zudem fest, dass bei einer Auszahlung von Arbeitslosenentschädigungen über die in Absatz 1 genannte Frist hinaus das Aufenthaltsrecht von Inhaberinnen und Inhabern einer Kurzaufenthaltsbewilligung oder einer Aufenthaltsbewilligung bis zur Beendigung dieser Zahlungen fortbesteht; die betreffenden Personen können jedoch keine Sozialhilfeleistungen beanspruchen (Abs. 3).

Nach Ansicht des Bundesrats ist diese Regelung mit Anhang I Artikel 24 Absatz 3 FZA vereinbar, wonach Personen, die ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von weniger als einem Jahr im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei innehatten, sich dort aufhalten dürfen, sofern sie die Zulassungsvoraussetzungen für nicht erwerbstätige EU/EFTA-Staatsangehörige erfüllen. Sie müssen also für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, sowie über einen Krankenversicherungsschutz, der sämtliche Risiken abdeckt. Die ihnen gemäss den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zustehenden Arbeitslosengelder sind dabei als ausreichende finanzielle Mittel zu betrachten.

Zu Abs. 3 Dieser Absatz regelt den Anspruch auf Sozialhilfe bei Beendigung der Erwerbstätigkeit in den ersten zwölf Monaten des Aufenthalts in der Schweiz. Während der Frist von sechs Monaten (Abs. 1) oder, falls Arbeitslosenentschädigungen bezahlt werden, über diese Frist hinaus (Abs. 2) können Inhaberinnen und Inhaber einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA oder einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA keine Sozialhilfe beziehen. Dieser Absatz übernimmt die in Anhang I Artikel 2 Absatz 1 zweiter Unterabsatz FZA festgelegte Regelung, wonach Stellensuchende, die nach einer Beschäftigung von weniger als einem Jahr in der Schweiz geblieben sind, von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden können. Für den Bundesrat entspricht diese Lösung im Endergebnis auch der Rechtsprechung des Bundesgerichts, das in einem jüngeren Grundsatzentscheid55 festgehalten hat, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer, die oder
der die Stelle infolge Haft vor Ablauf der im Arbeitsvertrag vorgesehenen Anstellungsdauer verliert, sechs Monate in der Schweiz bleiben darf, um hier eine Stelle zu suchen, aber keinen Anspruch auf Sozialhilfe hat (Anhang I Art. 2 Abs. 1 zweiter Unterabsatz FZA). Wenn diese Personen Arbeitslosenentschädigungen beziehen (bei Totalisierung der Versicherungszeiten), findet der gleiche Grundsatz Anwendung.

Inhaberinnen und Inhabern einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, deren Erwerbstätigkeit in den ersten zwölf Monaten ihres Aufenthalts in der Schweiz endet (Abs. 1), sind gestützt auf Anhang I Artikel 2 Absatz 1 zweiter Unterabsatz FZA während der in Absatz 1 festgelegten Frist von sechs Monaten oder darüber hinaus ebenfalls von der Sozialhilfe ausgeschlossen, wenn sie Arbeitslosenentschädigung nach Anhang I Artikel 24 Absatz 3 FZA beziehen.

55

Urteil 2C_395/2014 vom 19. Mai 2015, zur Veröffentlichung vorgesehen.

3058

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Diese Regelung unterscheidet sich von derjenigen, die in den Mitgliedstaaten der EU Anwendung findet. Das EU-Recht56 sieht eine Frist von sechs Monaten mit Arbeitnehmereigenschaft vor, wenn die stellensuchende Person bei ordnungsgemäss bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf ihres auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Lauf der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit sich dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt. Während diesen sechs Monaten können die betroffenen Personen Sozialhilfe beziehen. Nach Ablauf dieser Frist können sie sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhalten, um eine Stelle zu suchen, 57 ohne jedoch Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen zu können.

Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass das FZA den Sozialhilfeausschluss sowohl von Inhaberinnen und Inhabern einer Kurzaufenthaltsbewilligung als auch von Inhaberinnen und Inhabern einer Aufenthaltsbewilligung zulässt, wenn diese im ersten Jahr ihres Aufenthalts ihre Stelle verlieren. Für den Bundesrat lässt sich eine restriktive Auslegung des beim Vollzug des FZA bestehenden Ermessensspielraums auch gestützt auf Artikel 121a Absatz 3 BV rechtfertigen. Dieser sieht vor, dass Ausländerinnen und Ausländer, die sich in der Schweiz aufhalten möchten, über eine ausreichende, eigenständige Existenzgrundlage verfügen müssen.

Auch wenn Staatsangehörigen der EU/EFTA-Mitgliedstaaten Sozialhilfe oder andere Leistungen verweigert werden können, bleibt der verfassungsmässige Anspruch auf das Existenzminimum nach Artikel 12 BV vorbehalten, und dies unabhängig vom Aufenthaltsstatus in der Schweiz.58 Zu Abs. 4 Absatz 4 betrifft den Fall, dass die Erwerbstätigkeit nach den ersten zwölf Monaten des Aufenthalts endet. Das Bundesgericht59 hat den Grundsatz anerkannt, wonach eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA während der fünfjährigen Gültigkeitsdauer widerrufen werden kann, da die Inhaberin oder der Inhaber in diesem Zeitraum die Arbeitnehmereigenschaft unter gewissen Umständen verlieren kann. Im besonderen Fall der unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach den ersten zwölf Monaten des Aufenthalts legen das FZA und die geltende Gesetzgebung den genauen Zeitpunkt nicht fest, an dem ein Staatsangehöriger der EU/EFTA-Mitgliedstaaten mit einer
Aufenthaltsbewilligung sein Aufenthaltsrecht verliert. Anhang I Artikel 6 Absatz 1 FZA bestimmt lediglich, dass bei der ersten Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, also nach fünf Jahren, die Gültigkeitsdauer der Bewilligung auf mindestens zwölf Monate beschränkt werden kann, wenn die Inhaberin oder der Inhaber seit mehr als zwölf aufeinanderfolgenden Monaten unfreiwillig arbeitslos ist. Hingegen legt diese Bestimmung nicht fest, wie lange die betroffene Person ihre Arbeitnehmereigenschaft und die damit verbundenen Rechte behält, wenn sie ihre Stelle im Zeitraum zwischen dem zweiten Jahr ihres Aufenthalts in der Schweiz und dem Zeitpunkt der Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung, das heisst am Ende des

56 57 58 59

Art. 7 Abs. 3 Bst. c der Unionsbürgerrichtlinie.

Art. 14 Abs. 4 Bst. b der Unionsbürgerrichtlinie.

BGE 135 II 265 und Urteil des Bundesgerichts 2C 222/2010 vom 29. Juli 2010.

Urteil 2C_390/2013 vom 10. April 2014.

3059

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fünften Jahres ihres Aufenthalts, verliert. Absatz 4 ist somit eine Ausführungsbestimmung zum FZA.

Das Ziel dieser Bestimmung ist die Schaffung einer klaren Rechtsgrundlage für eine einheitliche Praxis der kantonalen Vollzugsbehörden, da eine genaue Regelung im FZA fehlt. Die Grundlagen für die vorgeschlagene Regelung finden sich in der Auslegung des FZA (insbesondere Anhang I Art. 6 Abs. 1 FZA), der Stossrichtung der Grundsatzentscheide des EuGH60 sowie der Praxis des Bundesgerichts. Bei Beendigung der Erwerbstätigkeit kann jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer der EU/EFTA während eines angemessenen Zeitraums in der Schweiz bleiben, um eine neue Stelle zu suchen. Eine Wegweisung wegen Rechtsmissbrauchs oder zum Schutz der öffentlichen Ordnung nach Anhang I Artikel 5 FZA bleibt vorbehalten.

Bei unfreiwilliger Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach den ersten zwölf Monaten des Aufenthalts hält Absatz 4 fest, dass die betroffene Person ihre Arbeitnehmereigenschaft und die damit verbundenen Rechte noch während sechs Monaten nach der Beendigung der Erwerbstätigkeit oder nach der Beendigung der Auszahlung von Arbeitslosenentschädigungen behält. Während dieser Zeit behält die betroffene Person ihre Arbeitnehmereigenschaft nach Anhang I Artikel 6 Absatz 6 FZA. Damit besitzt sie auch ein Aufenthaltsrecht und sie kann nicht von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden. Nach dem FZA (Anhang I Art. 9 Abs. 2 FZA) ist ein solcher Ausschluss nicht zulässig.

Die in Absatz 4 vorgesehene Frist von sechs Monaten ermöglicht es, die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu berücksichtigen, das in einem Fall feststellte, dass eine Person nach einem Aufenthalt von 18 Monaten ihr Aufenthaltsrecht verliert. 61 In der Praxis haben Personen, die im zweiten Jahr ihres Aufenthalts in der Schweiz ihre Stelle verlieren, in der Regel Anspruch auf Arbeitslosenentschädigungen, und dies auf jeden Fall während zwölf Monaten (je nach Fall sogar bis zu 520 Taggelder oder 24 Monate).62 Absatz 4 ermöglicht somit im Fall einer Auszahlung von Arbeitslosenentschädigungen den Fortbestand des Aufenthaltsrechts der betroffenen Person während mindestens 18 und höchstens 30 Monaten. In sehr seltenen Fällen, in denen die betroffene Person trotz des Verlusts ihrer Arbeitsstelle keine Arbeitslosenentschädigungen beziehen kann, bleibt das
Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer nur während sechs Monaten nach Beendigung der Erwerbstätigkeit bestehen. Die Frist von sechs Monaten lehnt sich an die Frist an, die nach der Rechtsprechung des EuGH in einem konkreten Fall63 als für die Stellensuche angemessen betrachtet wird, sowie an Artikel 18 Absatz 2 VEP.

In Verbindung mit der Auszahlung von Arbeitslosenentschädigungen berücksichtigt sie auch die in Anhang I Artikel 6 Absatz 1 FZA enthaltene Frist, die eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung um mindestens zwölf Monate vorsieht. Die Frist 60 61 62 63

Vgl. insbesondere Urteil des EuGH vom 26. Mai 1993 in Sachen Dimitrios Tsiotras gegen Landeshauptstadt Stuttgart, C-171-91, Punkt 8.

Urteil 2C_390/2013 vom 10. April 2014.

Vgl. Art. 27 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vom 25. Juni 1982; SR 837.0.

Vgl. Urteil des EuGH vom 26. Februar 1991 in Sachen The Queen gegen Immigration Appeal Tribunal, ex parte Gustaff Desiderius Antonissen, C-292/89.

3060

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nach Absatz 4 berücksichtigt auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts. 64 Gemäss dem EuGH räumen die Bestimmungen des Abkommens über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer den Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten das Recht ein, sich im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten aufzuhalten, um dort eine Beschäftigung als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer auszuüben oder eine Stelle als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer zu suchen.65 Das Aufenthaltsrecht, das die Stellensuchenden aus diesen Bestimmungen ableiten, kann zeitlich begrenzt sein. In Ermangelung einer Bestimmung des EU-Rechts, die eine Frist für den Aufenthalt von stellensuchenden Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten festlegt, sind die Aufnahmemitgliedstaaten berechtigt, eine für diesen Zweck angemessene Frist zu bestimmen. Erbringt die betroffene Person nach Ablauf dieser Frist jedoch den Nachweis, dass sie weiterhin und mit begründeter Aussicht auf eine Beschäftigung Arbeit sucht, so darf sie vom Aufnahmemitgliedstaat nicht ausgewiesen werden. 66 Im vorliegenden Fall legt Absatz 4 eine zeitliche Begrenzung der Arbeitnehmereigenschaft und damit des Aufenthaltsrechts fest, wenn die betroffene Person nach Ablauf der Frist immer noch eine Stelle sucht, also nach mindestens sechs Monaten Aufenthalt nach Aufgabe einer Erwerbstätigkeit von zwölf Monaten oder länger (bei Verweigerung der Auszahlung von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung) oder nach maximal 30 Monaten (bei Auszahlung von 520 Taggeldern der Arbeitslosenversicherung und einer anschliessenden Verlängerung des Aufenthalts um sechs Monate nach Abs. 4). Dieser Absatz hält somit den Grundsatz fest, dass eine betroffene Person nach Ablauf dieser Fristen keine begründete Aussicht mehr auf eine Beschäftigung hat und dass ihre Arbeitnehmereigenschaft somit erlischt. Es soll auch eine klare zeitliche Beschränkung festgelegt werden in Bezug auf das Urteil Antonissen des EuGH67, das festhält, dass die betroffene Person ihr Aufenthaltsrecht behält, solange sie beweist, dass sie aktiv eine Stelle sucht und berechtigte Aussicht auf eine Beschäftigung besteht. Bei Ablauf der in Artikel 61a AuG genannten Fristen haben die zuständigen Behörden immer noch die Möglichkeit, eine Aufenthaltsbewilligung nach geltendem Recht zu erteilen, wenn zum Beispiel wichtige Gründe, beispielsweise eine
sehr schwierige familiäre Situation, dies gebieten oder wenn sich die betroffen Person erneut zur Stellensuche in der Schweiz begeben will (Art. 18 und 20 VEP).

Wird ausserdem nach Artikel 61a AuG festgestellt, dass die betroffene Person ihre Arbeitnehmereigenschaft und infolgedessen ihr Aufenthaltsrecht verloren hat, ist ebenfalls zu prüfen, ob sie ein anderes Aufenthaltsrecht gestützt auf das FZA besitzt (Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, Verbleiberecht usw.). Für einen Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit müssen die dafür notwendigen finanziellen Mittel nachgewiesen werden können (Anhang I Art. 24 Abs. 1 FZA).

64 65 66

67

Vgl. Urteile 2C_390/2013 und 2C_495/2014 vom 10. April 2014.

Vgl. Urteil des EuGH vom 26. Mai 1993 in Sachen Dimitrios Tsiotras gegen Landeshauptstadt Stuttgart, C-171-91, Punkt 8.

Vgl. Urteile des EuGH vom 26. Februar 1991, Antonissen, C-292/89, Punkt 21, und vom 20. Februar 1997, Kommission/Belgien, C-344/95, Punkt 17. Vgl. auch Urteil EuGH vom 23. März 2004 in Sachen Brian Francis Collins gegen Secretary of State for Work and Pensions, C-138/02, Punkte 36 und 37.

Vgl. Urteil des EuGH vom 26. Februar 1991, Antonissen, C-292/89.

3061

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Zu Abs. 5 Dieser Absatz hält zudem fest, dass die Absätze 1­4 sich ausschliesslich auf Situationen der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit beziehen, das heisst, wenn die betroffene Person infolge Entlassung ihre Stelle verloren hat. Er befasst sich nicht mit der Aufgabe der Erwerbstätigkeit infolge vorübergehender Arbeitsunfähigkeit bei Krankheit, Unfall oder Invalidität.

Art. 83 Abs. 1 Nach Artikel 121a Absatz 2 BV umfassen die Höchstzahlen und Kontingente auch die vorläufige Aufnahme. Aufenthalte bis zu 12 Monaten können jedoch davon ausgenommen werden. Vorläufige Aufnahmen sollen daher nur bei Aufenthalten von mehr als einem Jahr den Höchstzahlen unterstellt werden (Art. 17a Abs. 3). In der Regel werden sie für kürzere Aufenthalte nicht angeordnet. Vorbehalten bleiben in jedem Fall die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (Art. 3 Abs. 2 AuG, Art. 17e Abs. 1 Bst. a E-AuG).

Art. 85 Abs. 7 Bst. d Nach Artikel 121a Absatz 2 BV umfassen die Höchstzahlen und Kontingente auch den Familiennachzug von vorläufig Aufgenommenen. Aufenthalte bis zu zwölf Monaten können jedoch davon ausgenommen werden. Vorbehalten bleiben in jedem Fall die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (Art. 3 Abs. 2 AuG; Art. 17a Abs. 3, 17e Abs. 1 Bst. a und 83 Abs. 1 E-AuG).

Die Zusatzbotschaft zur Integrationsvorlage sieht in Artikel 85 Absatz 7 ebenfalls die Hinzufügung eines neuen Buchstabens d vor. Hier wird voraussichtlich eine Koordinationsbestimmung nötig sein.

Art. 97 Abs. 3 Bst. f und Abs. 4 Ins AuG soll die Meldepflicht bei einem Bezug von Ergänzungsleistungen (Abs. 3 Bst. f) aufgenommen werden. Die gesetzliche Grundlage zum Datenaustausch soll analog auch im ELG geschaffen werden (Art. 26a E-ELG).

Absatz 4 sieht zusätzlich eine Meldepflicht der Migrationsbehörden gegenüber den für die Ausrichtung der Ergänzungsleistungen zuständigen Organen vor. Erhielt die zuständige kantonale Migrationsbehörde gestützt auf Artikel 26a ELG eine Meldung über den Bezug einer Ergänzungsleistung, meldet sie dem für die Festsetzung und die Auszahlung der Ergänzungsleistung zuständigen Organ unaufgefordert die Nichtverlängerung oder den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung. Damit wird erreicht, dass die für die Ergänzungsleistungen zuständigen Organe die Gewährung der von ihnen ausgerichteten Leistungen überprüfen können.
Der Bundesrat wird die Modalitäten und den Umfang der Datenbekanntgabe auf Verordnungsebene konkretisieren.

Die Regelung betrifft grundsätzlich alle Ausländerinnen und Ausländer, die sich als Nichterwerbstätige in der Schweiz aufhalten. Bewilligungen für Drittstaatsangehörige können mit Bedingungen verbunden werden (Art. 32 Abs. 2 und 33 Abs. 2 AuG).

3062

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Ist in einem solchen Fall die Bedingung, aufgrund der die Bewilligung erteilt wurde, nicht mehr gegeben, kann diese entzogen werden, sofern es sich dabei um eine Bewilligung handelt, für die kein bundesrechtlicher Anspruch besteht. Dies gilt auch, wenn als Bedingung für die Erteilung der Bewilligung ausreichende finanzielle Mittel vorhanden sein mussten und die betroffene Person später Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen beantragt (vgl. Ziff. 1.6.4).

Die Zusatzbotschaft zur Integrationsvorlage sieht in Artikel 97 Absatz 3 ebenfalls die Hinzufügung eines neuen Buchstabens f vor. Hier wird voraussichtlich eine Koordinationsbestimmung nötig sein.

Art. 103a Abs. 2 Bst. b und 109d Es handelt sich hier um gesetzestechnische Anpassungen (Verweis auf das FZA und das EFTA-Übereinkommen und Verwendung der Abkürzung «EU»).

Asylgesetz Art. 60 Abs. 1 Nach Artikel 121a Absatz 2 BV umfassen die Höchstzahlen und Kontingente auch Personen, denen Asyl gewährt wird und die deshalb eine Aufenthaltsbewilligung erhalten (Art. 17a Abs. 2 Bst. b E-AuG). Vorbehalten bleiben in jedem Fall die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (Art. 3 Abs. 2 AuG, Art. 17e Abs. 1 Bst. a E-AuG).

Art. 66 Abs. 1 Nach Artikel 121a Absatz 2 BV umfassen die Höchstzahlen und Kontingente auch Personen, denen Schutz gewährt wird (Art. 17a Abs. 3 E-AuG). Vorbehalten bleiben in jedem Fall die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (Art. 3 Abs. 2 AuG, Art. 17e Abs. 1 Bst. a E-AuG).

Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung Art. 5 Abs. 1 Mit der vorgeschlagenen neuen Bestimmung (Abs. 1 erster Satz E-ELG) können ausländischen Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, Ergänzungsleistungen verweigert werden.

Nach Artikel 5 Absatz 1 ELG müssen sich Ausländerinnen und Ausländer unmittelbar vor dem Zeitpunkt, ab dem die Ergänzungsleistung verlangt wird, während zehn Jahren ununterbrochen in der Schweiz aufgehalten haben (Karenzfrist). Für Vertragsstaatsangehörige, für die das anwendbare Sozialversicherungsabkommen eine ausserordentliche Rente vorsieht, gilt in gewissen Fällen eine Karenzfrist von fünf Jahren.68 Für Flüchtlinge und staatenlose Personen beträgt die Karenzfrist ebenfalls 68

Vgl. Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV, Rz 2420.02.

3063

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fünf Jahre (Art. 5 Abs. 2 ELG). Nach der Rechtsprechung69 werden in Bezug auf die Definition des gewöhnlichen Aufenthalts Zeiten, während denen sich eine Person illegal in der Schweiz aufgehalten hat, bei der Aufenthaltsdauer nicht angerechnet.

Im Zusammenhang mit der Karenzfrist ist Schweizer Staatsangehörigen, Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der EU, die der Verordnung (EG) 883/2004 unterstellt sind, sowie Staatsangehörigen der EFTA, die der Verordnung (EWG) 1408/71 unterstellt sind, die Ergänzungsleistung ohne Rücksicht auf eine bestimmte Wohnoder Aufenthaltsdauer in der Schweiz zu gewähren.

Nach Artikel 4 Absatz 1 ELG haben nur Personen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt (Art. 13 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200070 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, ATSG) in der Schweiz Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Diese Bestimmung gilt auch für Personen, welche die Karenzfrist erfüllt haben, bzw. für Personen, welche keiner Karenzfrist unterstellt sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts in Bezug auf die Invalidenversicherung71 hat jedoch der Verlust der Aufenthaltsrechts nicht zwingend und automatisch den Verlust des Schweizer Wohnsitzes zur Folge. Dieser bleibt bestehen, solange sich die ausländische Person in der Schweiz aufhält und ihren Willen bekundet, hier zu bleiben. Folglich wird trotz der Tatsache, dass die ausländische Person keine Aufenthaltsbewilligung mehr besitzt, der Wohnsitz in der Schweiz durch Artikel 4 Absatz 1 ELG anerkannt. Diese Situation soll mit der vorgeschlagenen Änderung aufgehoben werden.

Art. 26a und 26b Wie im Kommentar zu Artikel 97 E-AuG erwähnt, soll auch in Artikel 26a ELG die rechtliche Grundlage für den Datenaustausch geschaffen werden. Zur Prüfung des Anspruchs auf Aufenthalt in der Schweiz melden die für die Festsetzung und die Auszahlung der Ergänzungsleistungen zuständigen Organe den Migrationsbehörden unaufgefordert den Bezug einer jährlichen Ergänzungsleistung nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a ELG, in Abweichung von Artikel 33 ATSG.

Zudem ist im Gesetz auch eine Meldepflicht der für die Ergänzungsleistungen zuständigen Organe bei Fällen von gewisser Schwere, in denen nur Krankheits- und Behinderungskosten vergütet werden (Art. 3 Abs. 1 Bst. b und 14 Abs. 6 ELG), zu verankern. Aus Gründen der Verhältnismässigkeit
und der Durchführbarkeit werden nur grössere Vergütungen gemeldet, denn es gilt, eine Lawine an Meldungen über geringfügige Beträge zu vermeiden. Der Betrag, ab dem diese Meldung erfolgt, wird auf dem Verordnungsweg festgelegt.

Die Bestimmungen des ATSG sind anwendbar, soweit das ELG nicht ausdrücklich eine Abweichung vom ATSG vorsieht (Art. 1 Abs. 1 ELG). Personen, die an der Durchführung sowie der Kontrolle oder der Beaufsichtigung der Durchführung der Sozialversicherungsgesetze beteiligt sind, haben gegenüber Dritten Verschwiegenheit zu bewahren (Schweigepflicht nach Art. 33 ATSG). Um die unaufgeforderte 69 70 71

Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, EVG P 42/90 vom 8. 1.1992.

SR 830.1 Vgl. beispielsweise Urteil I 486/00 vom 30. September 2004.

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Datenbekanntgabe an die Migrationsbehörden zu ermöglichen, muss die Abweichung vom ATSG in Artikel 26a E-ELG ausdrücklich erwähnt werden.

Zudem ist in diesem Artikel zu präzisieren, dass sich die Datenbekanntgabe auf die bundesrechtlich geregelten Ergänzungsleistungen beschränkt. Es gibt Kantone, die zusätzlich zur AHV/IV rein kantonale Ergänzungsleistungen ausrichten. Da nicht alle Kantone solche Ergänzungsleistungen anbieten, soll deren Bezug nicht der Meldepflicht unterstellt werden. Die bundesrechtlichen Ergänzungsleistungen bestehen aus der jährlichen Ergänzungsleistung (Art. 3 Abs. 1 Bst. a ELG) und aus der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten (Art. 3 Abs. 1 Bst. b ELG). Die jährliche Ergänzungsleistung ist eine Geldleistung (Art. 15 ATSG), die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten eine Sachleistung (Art. 14 ATSG).

Welche Daten der Migrationsbehörde gemeldet werden müssen, soll der Bundesrat in der Ausführungsgesetzgebung konkretisieren (vgl. Erläuterungen zu Art. 97 Abs. 3 Bst. f E-AuG in Ziff. 3 oben).

Sachlich gehört Artikel 26a E-ELG zu Artikel 26 ELG und stellt eine spezielle Rechtsnorm dieses Artikels dar. Da bereits ein Artikel 26a ELG besteht, wird der bisherige Artikel 26a ELG neu zu Artikel 26b.

Die Zusatzbotschaft zur Integrationsvorlage sieht ebenfalls einen neuen Artikel 26a vor. Hier wird voraussichtlich eine Koordinationsbestimmung nötig sein.

4

Auswirkungen

4.1

Auswirkungen auf den Bund

4.1.1

Umsetzung von Artikel 121a BV

Heute prüfen die zuständigen Behörden der Kantone und des Bundes jährlich rund 13 000 Gesuche für Personen aus Drittstaaten, die eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz aufnehmen wollen. Neu ist durch die Migrationsbehörden zusätzlich die Einhaltung der Höchstzahlen für Personen aus Drittstaaten sicherzustellen, die als Nichterwerbstätige, im Rahmen des Familiennachzugs oder im Asylbereich zuwandern.

Ein weiterer Mehraufwand ergibt sich aus der vorgeschlagenen einseitigen Schutzklausel für Angehörige der EU- und EFTA-Staaten. Kommt sie bei einer hohen Zuwanderung zur Anwendung, müssen bei einer Fixierung der Höchstzahlen und Kontingente in Anwendung der Schutzklausel beispielsweise auf dem bisherigen Niveau neu pro Jahr zusätzlich rund 140 000 Gesuche für erwerbstätige EU/EFTAAngehörige mit Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligungen sowie rund 60 000 Gesuche für Grenzgängerinnen und Grenzgänger bearbeitet werden. Eine aufwändige Prüfung des Inländervorrangs sowie der Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfall ist bei der einseitigen Schutzklausel nicht vorgesehen.

Die Umsetzung von Artikel 121a BV ist somit mit einer Erhöhung des Stellenbedarfs bei den Migrations- und Arbeitsmarktbehörden verbunden, deren Ausmass insbesondere von der Ausgestaltung und Anwendung der einseitigen Schutzklausel abhängig ist.

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Zusätzliche Aufgaben für die Bundesbehörden ergeben sich bei der Festlegung und Überwachung der neu geschaffenen Kategorien von Höchstzahlen für Personen aus Drittstaaten (Art. 17a Abs. 1 und 2: Personen ohne Erwerbstätigkeit, Familiennachzug und Asylbereich) sowie der einseitigen Schutzklausel für Angehörige der EUund EFTA-Staaten (Art. 17c). Ein finanzieller Aufwand ergibt sich insbesondere aus der notwendigen Anpassung des Zentralen Migrationsinformationssystems. Zudem ergeben sich neue Aufgaben aus der Leitung, Betreuung und Finanzierung der vorgeschlagenen Zuwanderungskommission (Art. 17f).

Der Stellenbedarf beim Bund, insbesondere für die Festlegung und Überwachung des neu zu schaffenden Schwellenwerts, der zusätzlichen Höchstzahlen und allenfalls Kontingente sowie für die Betreuung der neuen Zuwanderungskommission, dürfte im einstelligen Bereich liegen. Der finanzielle Aufwand für die Anpassungen im ZEMIS dürfte gemäss heutigen Erkenntnissen im tiefen einstelligen Millionenbereich liegen. Die konkreten personellen und finanziellen Auswirkungen für den Bund können jedoch erst abgeschätzt werden, wenn die erforderlichen Vollzugsbestimmungen vorliegen.

4.1.2

Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

Die vorgesehenen Gesetzesänderungen für einen verbesserten Vollzug der Freizügigkeitsabkommen haben keine finanziellen oder personellen Auswirkungen auf den Bund. Der Vollzug der Freizügigkeitsabkommen liegt in erster Linie in der Zuständigkeit der Kantone.

4.2

Auswirkungen auf die Kantone

4.2.1

Umsetzung von Artikel 121a BV

Gestützt auf die bisherigen Erfahrungen bei der Anrufung der im FZA enthaltenen Ventilklausel für die Zulassung von Angehörigen der EU-17- und EU-8-Staaten72 kann davon ausgegangen werden, dass die Einführung von Höchstzahlen und Kontingenten im Rahmen der einseitigen Schutzklausel nicht zu einem wesentlich höheren Vollzugsaufwand führen wird, da keine zusätzliche Prüfung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie des Inländervorrangs im Einzelfall vorgesehen ist.

Im Unterschied zur vollen Personenfreizügigkeit (ohne Höchstzahlen und Kontingente) ist nach Auslösung der einseitigen Schutzklausel eine Arbeitsaufnahme und Wohnsitznahme erst möglich, wenn im Rahmen der Höchstzahlen und allfälligen Kontingente eine Bewilligung erteilt wird. Die Zuteilung erfolgt nach dem Ein-

72

EU-17-Staaten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, Zypern; EU-8-Staaten: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn.

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gangsdatum des Gesuchs («first in, first served»). Dieses System erlaubt keine Priorisierung einzelner Branchen oder Berufszweige nach Prüfung des Einzelfalls.

Die konkreten personellen und finanziellen Auswirkungen für die Kantone können erst abgeschätzt werden, wenn die erforderlichen Vollzugsbestimmungen vorliegen.

4.2.2

Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

Die Vollzugsbehörden der Kantone sind bereits heute gehalten, bei einer Aufgabe der Erwerbstätigkeit zu prüfen, ob weiterhin ein Aufenthaltsrecht gestützt auf das FZA besteht. Mit der vorgeschlagenen Regelung soll dieser Entscheid einerseits vereinfacht werden und die Kontrollen sollen andererseits regelmässiger erfolgen.

Ein erheblicher Mehraufwand ist dadurch nicht zu erwarten. Bei den Kantonen ist ein geringfügiger Rückgang der Ausgaben im Bereich der Sozialhilfe zu erwarten.

Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht quantifizierbar.

4.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

4.3.1

Umsetzung von Artikel 121a BV

Verlässliche Aussagen zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Umsetzung von Artikel 121a BV zu machen, ist derzeit nicht möglich. Die Auswirkung der Beschränkung der Zuwanderung auf die Schweizer Volkswirtschaft hängt massgeblich davon ab, wie hoch der Schwellenwert definiert wird und in welchem Ausmass die festzulegenden Höchstzahlen und Kontingente zu einer Einschränkung der Zuwanderung insbesondere von erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländern allgemein führen. Nach Artikel 121a Absatz 3 BV sind bei der Steuerung der Zuwanderung die gesamtwirtschaftlichen Interessen zu berücksichtigen.

Bei der Auslösung der einseitigen Schutzklausel soll sich das Verfahren so nah wie möglich am bisherigen System orientieren. Es ist insbesondere keine Prüfung des Inländervorrangs und der Lohn- und Arbeitsbedingungen im Einzelfall vorgesehen.

Für die Unternehmen sind somit keine wesentlich höheren administrativen Kosten oder längere Verfahren für die Einholung der Bewilligung für Angehörige der EU/EFTA-Staaten zu erwarten. Die Kosten dürften sich etwa auf dem heutigen Niveau für Arbeitskräfte aus den EU-25/EFTA-Mitgliedstaaten73 bewegen. Im Jahr 2013 wurden die direkten Regulierungskosten zur Rekrutierung von Arbeitskräften aus den EU-25/EFTA-Staaten auf durchschnittlich 25 Franken, für Arbeitskräfte aus den EU-2-Staaten74 auf 419 Franken und für Drittstaatsangehörige auf 516 Franken 73

74

EU-25-Staaten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Schweden, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Zypern.

EU-2-Staaten: Bulgarien und Rumänien.

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pro Fall geschätzt. Die Bewilligungsdauer betrug 9 Tage bei EU/EFTA-Staatsangehörigen und 20 Tage bei Drittstaatsangehörigen75.

Generell ist davon auszugehen, dass je tiefer der Schwellenwert festgelegt wird und je knapper die Höchstzahlen und Kontingente relativ zur Nachfrage der Unternehmen bemessen werden, desto negativer die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sein werden. Kaum beziffern lassen sich die Kosten, die sich aus entgangenen Aufträgen ergeben, wenn Stellen nicht rasch genug, überhaupt nicht oder nur suboptimal besetzt werden können. Die Problematik des Fachkräftemangels wird damit verschärft, mit negativen Auswirkungen auf die Innovationskraft der Wirtschaft und die Attraktivität der Schweiz als Wirtschaftsstandort.

Um eine möglichst hohe Planungssicherheit zu erreichen, sollen die Höhe der Höchstzahlen und Kontingente und die Zuteilungsmechanismen für die Unternehmen möglichst vorhersehbar und transparent sein. Unsicherheiten betreffend die Umsetzung des neuen Systems zur eigenständigen Steuerung der Zuwanderung sind zu vermeiden, um negative Auswirkungen auf die Investitionen und die Standortattraktivität zu verhindern.76 Zudem sind die zusätzlichen Kosten für die Umsetzung des neuen Systems so tief wie möglich zu halten.

Mittel- und längerfristig ist bei einer deutlichen Einschränkung der Zuwanderung auch mit negativen Auswirkungen der demografischen Alterung auf den Arbeitsmarkt und die Finanzierung der Altersvorsorge zu rechnen.

Ein Monitoring der Zuwanderung anhand von schweizweit einheitlichen Kriterien soll über die Zeit hinweg eine Orientierung der Steuerung der Zuwanderung an den gesamtwirtschaftlichen Interessen ermöglichen und einen übermässigen Einfluss einzelner Interessengruppen und Regionen begrenzen.

Falls eine einvernehmliche Lösung mit der EU im Rahmen des FZA nicht gelingt, ist der Fortbestand der ganzen Bilateralen I gefährdet. Eine Kündigung des FZA und ein damit verbundener Wegfall der Bilateralen I wären mit schwerwiegenden Konsequenzen für verschiedene bedeutende Wirtschaftssektoren, aber auch für die Volkswirtschaft als Ganzes verbunden.

Der Zugang der Schweizer Wirtschaft zum EU-Markt, ihrem mit Abstand bedeutendsten Exportmarkt, würde sich in verschiedenen Bereichen verschlechtern beziehungsweise würde ganz wegfallen. Dies hätte direkte negative
Konsequenzen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft im europäischen Markt und negative Auswirkungen auf die Attraktivität der Schweiz als Wirtschaftsstandort insgesamt. Gemäss den vom SECO bei den unabhängigen Forschungsinstituten BAKBASEL und Ecoplan in Auftrag gegebenen Studien würde der Wegfall der Bilateralen I in weniger als 20 Jahren ungefähr ein heutiges «Jahreseinkommen» der Schweizer Volkswirtschaft kosten (vgl. Ziff. 1.1). Hinzu kämen weitere Einbussen aufgrund der verminderten Standortattraktivität und der Unsicherheit über die 75

76

BSS (2013), Schätzung der Kosten und Vereinfachung der Regulierungen im Bereich der Zulassung von ausländischen Erwerbstätigen zum schweizerischen Arbeitsmarkt ­ Studie im Auftrag des BFM Vgl. Abberger K. et al (2014), «The Swiss Mass Immigration Initiative: The impact of increased policy uncertainty on expected firm behavior», KOF Studies No. 53, October 2014.

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zukünftigen Beziehungen zur wichtigsten Handelspartnerin der Schweiz. Die Planungssicherheit ist indessen für Unternehmen entscheidend, um langfristige Investitionsentscheide zur Schaffung von Produktionskapazitäten und von Arbeitsplätzen zu fällen.

Die EU könnte zudem auch weitere Abkommen, die nach der Auffassung der EU mit dem FZA verbunden sind, in Frage stellen (z. B. die Schengen- und DublinAssoziierungsabkommen). Der Erhalt der Bilateralen I und des damit verbundenen Zugangs in die EU für Schweizer Unternehmen liegt im gesamtwirtschaftlichen Interesse der Schweiz.

Es ist aber auch möglich, dass die EU auf eine Kündigung des FZA verzichtet und dafür anderweitige Ausgleichsmassnahmen vornimmt (z. B. Aussetzung der laufenden Verhandlungen bzw. kein Abschluss neuer Abkommen; Infragestellung bestehender Abkommen wie Kündigung oder Androhung der Kündigung des HorizonAbkommens). Eine weitere Reaktion könnte darin bestehen, dass die EU nichts unternimmt und insbesondere abwartet, ob die einseitige Schutzklausel angewendet wird und welche Wirkungen sie entfaltet.

Die Absicht des Bundesrates ist es, die Konsolidierung des bilateralen Weges sowie dessen Weiterentwicklung zu sichern. Der Bericht zur Beantwortung des Postulats 13.4022 Keller-Sutter «Freihandelsabkommen mit der EU statt bilaterale Abkommen» hat aufgezeigt, dass ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU hinsichtlich Marktzugang die bestehenden bilateralen Abkommen nicht ersetzen könnte. Die bilateralen Abkommen haben in verschiedenen Bereichen für in die EU exportierende Schweizer Anbieter binnenmarktähnliche Verhältnisse mit entsprechender Rechtssicherheit geschaffen. Zudem wurde mit den Bilateralen die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU um wichtige politische Bereiche erweitert, was mit einem Freihandelsabkommen nicht erreicht werden könnte. Somit decken die bilateralen Abkommen die Interessen der Schweiz weit besser ab.

Selbst bei einem Verzicht der EU auf Ausgleichsmassnahmen könnte die Rechtsunsicherheit rund um das FZA und andere bilaterale Abkommen die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz gefährden.

4.3.2

Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

Mit den Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen werden in erster Linie eine rechtliche Klärung bezüglich der Gewährung von Sozialhilfe und des Entzugs des Aufenthaltsrechts bei Beendigung der Erwerbstätigkeit sowie eine einheitlichere Praxis der kantonalen Behörden angestrebt. Eine direkte Auswirkung auf die Volkswirtschaft ist damit nicht verbunden.

3069

BBl 2016

4.4

Auswirkungen auf die Politik der Schweiz gegenüber der EU

Mit einer gemeinsamen Lösung zwischen der Schweiz und der EU für eine Schutzklausel könnte das FZA aufrechterhalten werden. Zudem könnte auch das Protokoll III zur Ausdehnung des FZA auf Kroatien ratifiziert werden. Zum Zeitpunkt der Ratifikation dieses Protokolls muss somit sichergestellt sein, dass eine FZA-kompatible Lösung vorliegt. Die Ratifikation ist die Voraussetzung dafür, damit die Forschungszusammenarbeit mit der EU ab dem Jahr 2017 weitergeführt werden kann (Horizon 2020-Paket). Die Errungenschaften des bilateralen Wegs blieben somit erhalten, und der Bundesrat könnte seine Strategie gegenüber der EU fortführen.

Würde das Parlament die Vorlage mit der einseitigen Schutzklausel verabschieden, könnte ihre Anwendung in einem konkreten Einzelfall nur umgesetzt werden, wenn die Schweiz das FZA kündigen würde (vgl. Ziff. 1.2.3).

Zudem wäre es nicht ausgeschlossen, dass die EU die Einführung einer einseitigen Schutzklausel durch die Schweiz als eine Verletzung des FZA betrachtet. Sie könnte das FZA aufkündigen, wodurch alle bilateralen Abkommen I nach sechs Monaten automatisch ausser Kraft gesetzt würden. Sie könnte auch weitere Ausgleichsmassnahmen verabschieden, beispielsweise die Aussetzung der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU in gewissen Bereichen. Der Rat der EU hat in seinen Schlussfolgerungen vom 16. Dezember 2014 unterstrichen, dass die Schengen/ Dublin-Assoziierung der Schweiz sowie die Teilnahme der Schweiz an bestimmten EU-Programmen in Frage gestellt werden könnten.

Die Beibehaltung sämtlicher Errungenschaften des bilateralen Wegs wäre somit nicht gewährleistet. Dies könnte sich insbesondere auf Bereiche wie Bildung, Forschung und Innovation, Verkehr sowie innere Sicherheit auswirken. Eine solche Situation hätte zudem bedeutende wirtschaftliche Folgen (vgl. Ziff. 4.3).

Die EU verknüpft zudem den Abschluss neuer Abkommen über den Binnenmarkt, einschliesslich eines Abkommens über institutionelle Fragen, mit einer Lösung für das FZA. Falls keine solche Lösung zustande kommt, wäre das Ziel des Bundesrats, den bilateralen Weg zu sichern und weiterzuentwickeln, gefährdet. Auf die Dauer könnte die Strategie des Bundesrats gegenüber der EU in ihrer Gesamtheit in Frage gestellt werden.

5

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 27. Januar 201677 zur Legislaturplanung 2015­ 2019 und im zugehörigen Entwurf des Bundesbeschlusses über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt.

77

BBl 2016 1105, hier 1184 und 1225

3070

BBl 2016

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

6.1.1

Umsetzung von Artikel 121a BV

Der Entwurf zur Änderung des AuG stützt sich auf Artikel 121 Absatz 1 BV (Gesetzgebungskompetenz des Bundes betreffend die Gewährung von Asyl sowie Aufenthalt und Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern) und auf Artikel 121a BV (Steuerung der Zuwanderung).

Durch eine angemessene Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente sowie aufgrund der Möglichkeit des Bundesrats, die erforderlichen Erhöhungen vorzunehmen, falls sie nicht ausreichen, können der Anspruch auf Achtung des Privatund Familienlebens (Art. 13 Abs. 1 BV) sowie das Non-Refoulement-Gebot (Art. 25 BV) eingehalten werden.

6.1.2

Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

Der Bund kann nach geltendem Recht weder die kantonalen Regelungen ­ namentlich über ein Rahmengesetz ­ harmonisieren noch die Verfahren oder Mindeststandards der Sozialhilfe festlegen (Art. 115 BV). Jede Intervention des Bundes im Bereich der Sozialhilfe würde eine neue Verfassungsgrundlage erforderlich machen.78 Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre kann der Bund also aus der Verfassung keinerlei materielle Gesetzgebungskompetenz ableiten.

Gemäss dem Bericht des Bundesrats zur Sozialhilfe vom Februar 2015 verfügt der Bund jedoch in drei Sonderfällen über Kompetenzen in diesem Bereich: bei Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern (Art. 40 Abs. 2 und 54 BV), bei Arbeitslosen (Art. 114 Abs. 5 BV) und bei Personen, die dem AsylG unterstehen.

Der Bundesgesetzgeber hat im AsylG gestützt auf Artikel 121 Absatz 1 BV besondere Bestimmungen vorgesehen, die von den Kantonen zu beachten sind.79 Dieser Artikel verleiht dem Bund nicht nur die Gesetzgebungskompetenz im Asylbereich, sondern auch im Bereich der Ein- und Ausreise, des Aufenthalts und der Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern. Somit stützt sich der Gesetzesentwurf bei den vorgeschlagenen Bestimmungen über den Ausschluss der Stellensuchenden und deren Familienangehöriger von der Sozialhilfe (Art. 29a E-AuG) sowie über den Sozialhilfeausschluss bei unfreiwilliger Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 61a Abs. 3 E-AuG) auf Artikel 121 Absatz 1 BV.

78

79

Vgl. Bericht des Bundesrates vom 25. Februar 2015, S. 51, Ziff. 8.1.1 «Ausgestaltung der Sozialhilfe und der kantonalen Bedarfsleistungen. Handlungsbedarf und -möglichkeiten» in Erfüllung des Postulats «Rahmengesetz für die Sozialhilfe» (13.4010) vom 6. November 2013 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats; siehe: www.bsv.admin.ch > Themen > Alter, Generationen und Gesellschaft > Sozialpolitik > Ausgestaltung der Sozialhilfe.

Vgl. Bericht des Bundesrates vom 25. Februar 2015, S. 6, Ziff. 2.2.1.

3071

BBl 2016

6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

6.2.1

Umsetzung von Artikel 121a BV

Einhaltung der Verpflichtungen im Rahmen der Höchstzahlen und Kontingente Durch eine angemessene Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente sowie aufgrund der Möglichkeit des Bundesrats, sie bei einem Bedarf aufgrund des Völkerrechts zu erhöhen, können ein grosser Teil der internationalen Verpflichtungen der Schweiz grundsätzlich eingehalten werden (z. B. Abkommen vom 28. Juli 195180 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, EMRK, aber auch im Wirtschaftsbereich z. B. die WTO-Abkommen und Freihandelsabkommen).

Verhältnis zum FZA Völkerrechtliche Verträge, die den neuen Verfassungsbestimmungen widersprechen, sind bis zum 9. Februar 2017 neu zu verhandeln und anzupassen (Art. 197 Ziff. 11 BV). Betroffen davon sind die Freizügigkeitsabkommen mit der EU und der EFTA sowie der Rahmenvertrag Schweiz­Liechtenstein (vgl. Ziff. 1.1).81 Im Hinblick auf eine mögliche Anpassung des FZA hat der Bundesrat am 20. Juni 2014 das EJPD beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem EDA und dem WBF bei der EU ein entsprechendes Begehren einzureichen. Mit Schreiben vom 4. Juli 2014 des SEM an den Leiter der EU-Delegation im Gemischten Ausschuss zum FZA wurde dieses Begehren eingereicht. Die damalige Aussenbeauftragte der EU, Frau Catherine Ashton, hat der Schweiz am 24. Juli 2014 in ihrer mit den EU-Mitgliedstaaten konsolidierten Antwort an den Bundespräsidenten mitgeteilt, dass Verhandlungen mit dem Ziel der Einführung von Kontingenten und Höchstzahlen sowie eines Inländervorrangs dem Prinzip der Freizügigkeit zuwiderlaufen. Am 11. Februar 2015 verabschiedete der Bundesrat ein Verhandlungsmandat zur Anpassung des FZA. Am 2. Februar 2015 verständigten sich EU-Kommissionspräsident Juncker und Bundespräsidentin Sommaruga auf Konsultationen, in denen ausgelotet werden soll, ob es einen für beide Seiten gangbaren Weg gibt, den Verfassungsauftrag von Artikel 121a BV bei gleichzeitiger Wahrung des bilateralen Weges umzusetzen.

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Jean Asselborn kamen am 21. Dezember 2015 anlässlich einer Arbeitssitzung überein, die Konsultationen über das FZA fortzusetzen und zu intensivieren. Ziel beider Seiten ist es, eine einvernehmliche Lösung zu finden, die sowohl die BV als auch das FZA respektiert. Der Fokus der Konsultationen liegt auf einer
gemeinsamen Interpretation des bestehenden Abkommens. Artikel 14 Absatz 2 FZA sieht bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen die Prüfung geeigneter Abhilfemassnahmen durch den Gemischten Ausschuss vor. Das Ziel ist es, dass sich die Schweiz und die EU auf eine gemein80 81

SR 0.142.30 Bericht vom 26. Mai 2014 «Auswirkungen der neuen Verfassungsbestimmungen Artikel 121a und Artikel 197 Ziffer 9 (heute Ziff. 11) auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz»; siehe: www. sem.admin.ch > Einreise & Aufenthalt > Personenfreizügigkeit Schweiz ­ EU/EFTA > Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmungen zur Zuwanderung > Weitere Infos > Dokumentation > Weitere Dokumente.

3072

BBl 2016

same Auslegung dieses Artikels einigen, die den Anforderungen an eine Schutzklausel und den Vorgaben von Artikel 121a BV entspricht.

Die vorgeschlagene einseitige Schutzklausel (vgl. Ziff. 1.2.3 und 1.2.4) soll nur dann in Kraft gesetzt werden, wenn eine einvernehmliche Lösung mit der EU, die sowohl den Anforderungen von Artikel 121a BV als auch den Anforderungen des FZA entspricht, nicht rechtzeitig zustande kommt. Die einseitige Schutzklausel ist dann nicht mit dem FZA, dem EFTA-Übereinkommen (Anhang K) und dem Rahmenvertrag Schweiz­Liechtenstein vereinbar, wenn der Schwellenwert überschritten wird und deshalb Höchstzahlen und Kontingente eingeführt werden.

Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die EU bereits das Inkrafttreten des revidierten AuG, das die Einführung einer einseitigen Schutzklausel vorsieht, als Verletzung des FZA betrachten und entsprechende Gegenmassnahmen ergreifen würde. Es ist möglich, dass die EU in diesem Fall auf eine Kündigung des FZA verzichtet und dafür anderweitige Retorsionsmassnahmen vornimmt (z. B.

Aussetzung der laufenden Verhandlungen bzw. kein Abschluss neuer Abkommen; Infragestellung bestehender Abkommen wie Kündigung oder Androhung der Kündigung des Horizon-Abkommens).

6.2.2

Vollzugsverbesserungen bei den Freizügigkeitsabkommen

Vereinbarkeit von Art. 61a E-AuG mit dem FZA Die Vereinbarkeit von Artikel 61a E-AuG mit dem FZA, wie es vom Bundesgericht ausgelegt wird, ist in dreifacher Hinsicht umstritten. Folgende Punkte sprechen gegen eine solche Vereinbarkeit: Der erste Punkt betrifft das automatische Erlöschen des Aufenthaltsrechts von Arbeitnehmenden sechs Monate nach dem Verlust ihrer Arbeitsstelle und die Einführung einer unterschiedlichen Regelung je nach Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsbewilligung (Art. 61a Abs. 1 und 4 E-AuG). Denn gemäss Anhang I Artikel 6 Absatz 6 FZA und der Rechtsprechung des Bundesgerichts bleibt die Arbeitnehmereigenschaft ­ und somit das damit einhergehende Aufenthaltsrechts ­ bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit bestehen.82 Gemäss den jüngsten Urteilen des Bundesgerichts kann die Arbeitnehmereigenschaft bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zwar erlöschen, aber nur wenn sich aus dem Verhalten der betroffenen Person schliessen lässt, dass sie nicht mehr aktiv eine Stelle sucht und keine begründete Aussicht mehr auf eine Beschäftigung besteht.83 Der zweite strittige Punkt betrifft das Kriterium des Endes des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung wenn es darum geht, das Erlöschen des Aufenthaltsrechts zu bestimmen (Art. 61a Abs. 2 E-AuG). Wie im ersten Punkt erwähnt, sollte eine unfreiwillig arbeitslos gewordene Person ihre Arbeitnehmereigenschaft solange behalten, wie sie aktiv eine neue Stelle sucht und begründete Aussicht auf eine 82 83

Vgl. Urteil 8C_395/2014 vom 19. Mai 2015 E. 4.5.

Vgl. BGE 141 II 2015 E. 2.2.1 und Urteil 2C_412/2014 vom 27. März 2014 E. 3.2.

3073

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Beschäftigung besteht. Die Beendigung der Auszahlung von Arbeitslosenentschädigungen bedeutet aber nicht in jedem Fall, dass die betroffene Person aufgehört hat, aktiv eine Stelle zu suchen oder dass sie keine Aussicht auf eine Beschäftigung mehr hat. Zudem untersteht dieses Kriterium innerstaatlichem Recht, während gestützt auf Artikel 16 FZA der Begriff der Arbeitnehmereigenschaft in allen Vertragsparteien gleich zu definieren ist.84 Der dritte strittige Punkt betrifft den Ausschluss unfreiwillig arbeitslos gewordener Personen, die noch die Arbeitnehmereigenschaft besitzen, von der Sozialhilfe (Art. 61a Abs. 3 E-AuG). Nach Anhang I Artikel 9 Absatz 2 FZA (gleiche soziale Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmende) sollten diese Personen ­ solange sie ihre Arbeitnehmereigenschaft gemäss den Bestimmungen des FZA behalten ­ die mit dieser Eigenschaft einhergehenden Vergünstigungen beibehalten. Es ist somit problematisch, nicht nur unfreiwillig Arbeitslose, die ihre Arbeitnehmereigenschaft nach Anhang I Artikel 6 Absatz 6 FZA behalten (vgl. erster Punkt),85 von der Sozialhilfe auszuschliessen, sondern auch unfreiwillige Arbeitslose, für die das innerstaatliche Recht eine automatische Verlängerung der Arbeitnehmereigenschaft vorsieht ­ in diesem Fall über den neuen Artikel 61a Absatz 1 und 2 E-AuG (Verlängerung für eine Mindestaufenthaltsdauer von sechs Monaten oder länger bei Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigungen).

Stellungnahme des Bundesrats Der Bundesrat ist der Ansicht, dass Artikel 61a AuG mit dem FZA vereinbar ist.

Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Frist von sechs Monaten für das Fortbestehen des Aufenthaltsrechts von Inhaberinnen und Inhabern einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA oder einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA im ersten Jahr des Aufenthalts lehnt sich an die Frist an, die im FZA selber als für die Stellensuche angemessen erachtet wird (Anhang I Art. 2 Abs. 1 FZA). Der Bundesrat ist der Ansicht, dass diese Regelung auch für Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA gilt. Diese Bestimmung ist auf beide Bewilligungskategorien anwendbar, da sie sich mit der spezifischen Situation «nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einer Dauer von weniger als einem Jahr» befasst. Deshalb sind sie nicht unterschiedlich zu behandeln. Faktisch befinden sich
die betroffenen Personen mit beiden Bewilligungskategorien in der gleichen Situation, denn sie haben sich zum Zeitpunkt der Aufgabe ihrer Erwerbstätigkeit gleich lange in der Schweiz aufgehalten.

In Bezug auf das Kriterium des Endes der Arbeitslosenentschädigung lässt sich gleich argumentieren, wenn es darum geht, den Zeitpunkt des Erlöschens des Aufenthaltsrechts zu bestimmen und bis dahin die Sozialhilfe zu verweigern. Auch für diesen Fall enthält das Abkommen eine Bestimmung, die dahingehend ausgelegt werden kann, dass sie sowohl auf Inhaberinnen und Inhaber einer Kurzaufenthaltsbewilligung EU/EFTA als auch auf Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA anwendbar ist (Anhang I Art. 24 Abs. 3 FZA). Während des Zeitraums, in dem Arbeitslosenentschädigungen bezogen werden, sind demnach 84 85

BGE 131 II 339.

Vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_395/2014 vom 19. Mai 2015 E. 4.5.

3074

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Personen, die «ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von weniger als einem Jahr innehatten», als nicht erwerbstätige Personen zu betrachten. Daher können sie auch keine Sozialhilfe beziehen.

In Bezug auf das Erlöschen des Aufenthaltsrechts nach dem ersten Jahr des Aufenthalts bei einer unfreiwilligen Beendigung des Arbeitsverhältnisses stützt sich der Gesetzesentwurf auf die Auslegung des FZA (Anhang I Art. 6 Abs. 6 FZA) sowie die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EuGH. Das Aufenthaltsrecht kann so zeitlich beschränkt werden, damit der vorgeschlagene Artikel 61a E-AuG in der Praxis tatsächlich auch anwendbar und wirksam ist.

Wenn eine unfreiwillig arbeitslos gewordene Person ihre Aufenthaltsbewilligung erneuern will, sieht auch das FZA eine zeitlich beschränkte Verlängerung der Aufenthaltsdauer vor. Der EuGH bezeichnet die fehlende Aussicht auf eine Beschäftigung als mögliche zeitliche Beschränkung des Aufenthaltsrechts, er erachtet aber in seiner Rechtsprechung eine Frist von sechs Monaten für die Stellensuche als angemessen. Das Bundesgericht hat in einem Fall festgestellt, dass nach 18 Monaten Arbeitslosigkeit keine Aussicht auf eine Beschäftigung mehr besteht. Der Gesetzesentwurf sieht hingegen eine minimale Frist von sechs Monaten und eine maximale Frist von zweieinhalb Jahren (d. h. 30 Monate bei maximalem Bezug der Arbeitslosenentschädigung) für die Stellensuche vor. Nach diesem Zeitraum kann durchaus davon ausgegangen werden, dass keine begründete Aussicht auf eine Beschäftigung mehr besteht und dass damit das Aufenthaltsrecht und der Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe erlöschen, wie dies der Gesetzesentwurf vorsieht. Der mit dem Verlust der Arbeitnehmereigenschaft verbundene Automatismus nach Artikel 61a E-AuG steht dem weiteren Verbleib der betroffenen Person in der Schweiz gestützt auf andere Rechte nach dem FZA oder dem AuG nicht entgegen.

Die Festlegung von bestimmten zeitlichen Beschränkungen in Bezug auf das Erlöschen des Aufenthaltsrechts ist nötig, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die vorgeschlagene Regelung entspricht grundsätzlich auch dem Sinn von Artikel 121a Absatz 3 BV, der als Bedingung für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung den Nachweis ausreichender finanzieller Mittel vorsieht. Der Automatismus beim Erlöschen des Aufenthaltsrechts
wurde vom Bundesrat bereits bei der Einführung des Massnahmenkatalogs vom 24. Februar 2010 als zulässig erachtet. Die in Artikel 61a E-AuG vorgeschlagene Regelung bei Beendigung der Erwerbstätigkeit im ersten Jahr des Aufenthalts reiht sich in die bereits ergriffenen Massnahmen ein und entspricht grundsätzlich dem EU-Recht. Da Artikel 61a E-AuG sich auf Bestimmungen des FZA stützt, die selber auch zeitliche Beschränkungen vorsehen für das Aufenthaltsrecht und den Zugang zu Sozialhilfeleistungen nach dem Verlust des Aufenthaltsrechts oder je nach Bewilligungskategorie, ist der Bundesrat der Ansicht, dass Anhang I Artikel 9 Absatz 2 FZA nicht verletzt wird, wonach EU/EFTA-Staatsangehörigen die gleichen sozialen Vergünstigungen wie inländischen Arbeitnehmenden zu gewähren sind.

Für Einzelheiten wird auf die rechtlichen Erklärungen zur Vereinbarkeit von Artikel 61a AuG mit dem FZA in Ziffer 3 verwiesen.

3075

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Vereinbarkeit der Artikel 29a und 61a E-AuG mit der «Stand-still»-Klausel Die Bestimmungen von Artikel 29a E-AuG zum Ausschluss Stellensuchender von der Sozialhilfe sowie von Artikel 61a E-AuG verletzen die «Stand-still»-Klausel nach Artikel 13 FZA nicht, wonach sich die Vertragsparteien verpflichten, in den unter das FZA fallenden Bereichen keine neuen Beschränkungen für Staatsangehörige der anderen Vertragspartei einzuführen. Die unterschiedliche Behandlung von EU/EFTA-Staatsangehörigen gegenüber Schweizer Staatsangehörigen beim Zugang zur Sozialhilfe leitet sich aus dem FZA selber ab, denn dieses erlaubt namentlich den Ausschluss Stellensuchender oder nicht erwerbstätiger Personen von der Sozialhilfe (vgl. Art. 2 sowie Anhang I Art. 2 Abs. 2 und 24 FZA). Nach der Rechtsprechung86 steht die «Stand-still»-Klausel lediglich der Einführung von (direkten oder indirekten) diskriminierenden Massnahmen entgegen; sie bietet neben den anderen Bestimmungen des FZA, die eine Diskriminierung verbieten, keine zusätzlichen Garantien. Nach Ansicht des Bundesrats gilt die gleiche Feststellung in Bezug auf Artikel 61a E-AuG, der Massnahmen enthält, die den gemeinschaftlichen Besitzstand präzisieren.

6.3

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Vorlage untersteht nicht der Ausgabenbremse nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV, da sie keine Subventionsbestimmungen enthält und nicht die Schaffung eines Verpflichtungskredits oder Zahlungsrahmens nach sich zieht.

6.4

Datenschutz

Gemäss dem Bundesgesetz vom 19. Juni 199287 über den Datenschutz dürfen die Organe des Bundes Personendaten nur weitergeben, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. Besonders schützenswerte Personendaten sowie Persönlichkeitsprofile dürfen sie nur bearbeiten, wenn ein Gesetz im formellen Sinn dies ausdrücklich vorsieht. Artikel 97 Absatz 3 Buchstabe f und Absatz 4 E-AuG sowie Artikel 26a E-ELG über den Datenaustausch bei Ergänzungsleistungen stellen ausreichende formelle Gesetzesgrundlagen dar, sodass die Vorlage mit der Datenschutzgesetzgebung vereinbar ist.

86 87

BGE 130 I 26 E. 3.4 SR 235.1

3076

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Anhang

Einseitige Schutzklausel für Angehörige der EU/EFTA-Mitgliedstaaten (vgl. Ziff. 1.2.3 und 1.2.4)

3077

BBl 2016

3078