16.029 Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Verlängerung von Normalarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen) vom 4. März 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einer Änderung des Obligationenrechts (Verlängerung von Normalarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. März 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2016-0545

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Übersicht Im Zusammenhang mit der Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung hat der Bundesrat beschlossen, Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt verstärkt zu bekämpfen. Zu diesem Zweck soll der Vollzug der flankierenden Massnahmen weiter verbessert werden, und auf Gesetzesebene sollen die Voraussetzungen geregelt werden, unter denen befristete Normalarbeitsverträge nach Artikel 360a des Obligationenrechts, die Mindestlöhne vorsehen, befristet verlängert werden können.

Ausgangslage Am 1. Juni 2004 sind die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit in Kraft getreten. Sie schützen in- und ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirksam vor Lohnunterbietungen und Verstössen gegen die Arbeitsbedingungen. Im Rahmen der flankierenden Massnahmen wird der Arbeitsmarkt beobachtet und die Einhaltung der Arbeitsbedingungen kontrolliert. Bei Missbräuchen können Massnahmen ergriffen werden, sowohl auf individueller Ebene, namentlich Sanktionen, wie auch auf genereller Ebene, namentlich der befristete Erlass von zwingenden Mindestlöhnen. Eine intensive Beobachtung des Arbeitsmarktes ermöglicht es, solche Missbräuche festzustellen. Wo Missbräuche festgestellt wurden, haben erleichtert allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge und wenn nötig der Erlass von Normalarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen dazu beigetragen, dass die orts- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz nicht erodiert sind.

Im Zusammenhang mit der Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung sollen bei Personen aus Drittstaaten in Ergänzung zur geltenden Regelung insbesondere Höchstzahlen und Kontingente für den Familiennachzug, für Personen ohne Erwerbstätigkeit sowie für den Asylbereich eingeführt werden. Die Zuwanderung von Personen, für die das Freizügigkeitsabkommen mit der EU oder das EFTAÜbereinkommen gilt, soll demgegenüber durch eine Schutzklausel gesteuert werden.

Da bislang mit der EU keine Einigung über eine einvernehmliche Schutzklausel erzielt werden konnte, sieht die Vorlage des Bundesrates eine einseitige Schutzklausel vor. Bei diesem Umsetzungsmodell sind keine unmittelbaren und grundsätzlichen Auswirkungen auf das heutige System der Arbeitsmarktaufsicht zu erwarten und folglich keine grundlegenden konzeptionellen Anpassungen der flankierenden Massnahmen erforderlich.
Der Bundesrat beschloss weiter, im Zusammenhang mit der Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt verstärkt zu bekämpfen und inländische Fachkräfte zu fördern. Dazu sollen im Bereich der flankierenden Massnahmen auf Gesetzes- und auf Vollzugsebene verschiedene Massnahmen ergriffen werden.

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Inhalt der Vorlage Auf Gesetzesebene sollen die Voraussetzungen definiert werden, unter denen ein befristeter Normalarbeitsvertrag mit zwingenden Mindestlöhnen nach Artikel 360a des Obligationenrechts befristet verlängert werden kann.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Am 1. Juni 2002 trat das Abkommen vom 21. Juni 19991 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) in Kraft. Im Zuge der schrittweisen Einführung des freien Personenverkehrs mit der EU fiel die vorgängige Kontrolle der Einhaltung der üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung per 1. Juni 2004 weg. Da die Schweiz im Vergleich zur EU als ein Hochlohnland gilt, besteht die Gefahr, dass die Löhne infolge des freien Personenverkehrs unter Druck geraten. Als Ausgleich zur vorgängigen und systematischen arbeitsmarktlichen Kontrolle wird mit den flankierenden Massnahmen der missbräuchlichen Unterschreitung der in der Schweiz üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen entgegengewirkt. Werden Verstösse festgestellt, greifen auf individueller Ebene Massnahmen wie Sanktionen gegen fehlbare ausländische Arbeitgeber. Bei missbräuchlichen Unterbietungen der üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen greifen auf genereller Ebene Instrumente wie die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen oder der Erlass von befristeten Normalarbeitsverträgen mit zwingenden Mindestlöhnen.

Die flankierenden Massnahmen traten am 1. Juni 2004 parallel zur zweiten Phase der Personenfreizügigkeit in Kraft.

Sie umfassen im Wesentlichen die folgenden Regelungen:

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Das Entsendegesetz vom 8. Oktober 19992 (EntsG) verpflichtet einen ausländischen Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen einer grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung in die Schweiz entsendet, zur Einhaltung der minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen, die in Bundesgesetzen, in Verordnungen des Bundesrates, in allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen oder in Normalarbeitsverträgen im Sinne von Artikel 360a des Obligationenrechts3 (OR) vorgeschrieben sind.

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Bei wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung können Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags, die namentlich die minimale Entlöhnung und die ihr entsprechende Arbeitszeit und den paritätischen Vollzug betreffen, im Sinne von Artikel 1a des Bundesgesetzes vom 28. September 19564 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) erleichtert allgemeinverbindlich erklärt werden. Diese Massnahme gilt sowohl für inländische Betriebe als auch für ausländische Entsendebetriebe.

SR 0.142.112.681 SR 823.20 SR 220 SR 221.215.311

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In Branchen, in denen es keinen Gesamtarbeitsvertrag gibt, können bei wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung befristete Normalarbeitsverträge im Sinne von Artikel 360a OR mit zwingenden Mindestlöhnen erlassen werden. Diese Massnahme gilt für alle Betriebe der jeweiligen Branche.

Mit der Umsetzung der flankierenden Massnahmen wurden verschiedene Akteure betraut. Es herrscht ein Vollzugsdualismus zwischen Branchen, die durch einen allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind, und Branchen ohne allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag.

Analyse der Wirksamkeit der flankierenden Massnahmen in den Jahren 2013 und 2014 und Verbesserungsmöglichkeiten auf Gesetzesebene Von Juli 2013 bis Februar 2014 zog die Arbeitsgruppe «Personenfreizügigkeit und Arbeitsmarktmassnahmen» aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundes, der Kantone und der Sozialpartner über die Wirkungsweise des heutigen Systems der flankierenden Massnahmen Bilanz und prüfte allfälligen Handlungsbedarf.

Die Arbeitsgruppe unterbreitete dem Bundesrat in einem Bericht Empfehlungen mit Verbesserungsmassnahmen auf Gesetzes- und auf Vollzugsebene.5 Der Bundesrat nahm am 26. März 2014 vom Bericht Kenntnis und beschloss verschiedene Verbesserungsmassnahmen. Er beauftragte das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) mit deren Umsetzung.

Am 19. September 2014 eröffnete der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren zum Bundesgesetz zur Optimierung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit.6 Die Vernehmlassung dauerte bis zum 19. Dezember 2014. Die Vernehmlassungsvorlage beinhaltete Massnahmen zur Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen, zur Verlängerung von Normalarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen im Sinne von Artikel 360a OR sowie die Erhöhung der Obergrenze der Sanktionen im EntsG.

Die Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer standen der Vorlage kritisch gegenüber. Die vorgeschlagenen Massnahmen im Bereich der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und der Normalarbeitsverträge wurden deutlich abgelehnt. Insbesondere wurde mit Blick auf die Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung7 (BV) der Zeitpunkt der vorgeschlagenen Anpassungen hinterfragt. Die vorgeschlagene Erhöhung der Obergrenze der Sanktionen im EntsG wurde in der Vernehmlassung hingegen mehrheitlich befürwortet.

Am 1. April 2015 nahm der Bundesrat Kenntnis vom Ergebnis der Vernehmlassung.

Gestützt darauf beschloss er, die in der Vorlage enthaltenen Massnahmen im Bereich der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und der 5 6 7

Der Bericht ist einsehbar unter: www.seco.admin.ch > Dokumentation > Publikationen und Formulare > Studien und Berichte > Arbeit Die Vernehmlassungsunterlagen sind einsehbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2014 > WBF SR 101

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Normalarbeitsverträge einstweilen zu sistieren. Er beschloss, dass im Rahmen der Umsetzungsarbeiten von Artikel 121a BV zu prüfen sei, wie die flankierenden Massnahmen an das neue Zulassungssystem angepasst werden müssen. Der Bundesrat beauftragte das WBF, die Massnahmen im Bereich der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und der Normalarbeitsverträge in diese Prüfung einzubeziehen.

Für die Ergebnisse der Vernehmlassung zu den einzelnen vorgeschlagenen Massnahmen im Bereich der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen und der Normalarbeitsverträge wird auf den Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens verwiesen.8 Umsetzung von Artikel 121a BV ­ Auswirkungen auf die flankierenden Massnahmen Mit Kenntnisnahme des Konzepts vom 20. Juni 2014 zur Umsetzung von Artikel 121a BV beauftragte der Bundesrat das WBF, in Zusammenarbeit mit dem EJPD und dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) den Bedarf für eine Anpassung der flankierenden Massnahmen an ein künftiges Zulassungssystem zu prüfen. Die Diskussionen zeigten, dass über die konkreten Einzelheiten der künftigen flankierenden Massnahmen erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden kann, wenn das definitive Zulassungsmodell feststeht. Im Rahmen der Vorarbeiten zum Konzept der Umsetzung von Artikel 121a BV hatte eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) mit Sozialpartnern und Kantonen dennoch Eckwerte9 zur künftigen Ausgestaltung der flankierenden Massnahmen festgelegt, die unabhängig von der Ausgestaltung des Zulassungssystems gelten sollten.

Am 4. Dezember 2015 fällte der Bundesrat den Entscheid, dem Parlament vorzuschlagen, Artikel 121a BV mittels einer Schutzklausel umzusetzen. Dabei strebt der Bundesrat eine einvernehmliche Lösung mit der EU an. Für den Fall, dass mit der EU nicht rechtzeitig eine Einigung erzielt werden kann, beauftragte der Bundesrat das EJPD, parallel dazu eine Botschaft mit einer einseitigen Schutzklausel auszuarbeiten. Diese Botschaft wurde am 4. März 2016 vom Bundesrat verabschiedet.

Gemäss dem Vorschlag des Bundesrates wird im Falle der Anrufung einer Schutzklausel die Zuwanderung durch Höchstzahlen beschränkt. Kommt es zur Einführung von Höchstzahlen, so ist bei der Erteilung von Bewilligungen im
Einzelfall keine vorgängige Prüfung des Inländervorrangs und der Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen wie im System vor der Einführung der Personenfreizügigkeit vorgesehen. Gelten die Höchstzahlen für alle Branchen und Berufe, d. h. wird keine Unterscheidung nach Qualifikation, Nachfrage, Risiken oder wirtschaftlichen Bedürfnissen getroffen, so ist keine arbeitsmarktliche Vorprüfung im Bewilligungsverfahren erforderlich.

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9

Der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung ist einsehbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2014 > WBF Die Eckwerte sind einsehbar in «Art. 121a BV (Steuerung der Zuwanderung), Umsetzungskonzept, 20. Juni 2014» unter: www.sem.admin.ch > Aktuell > News > News 2014 > Bundesrat präsentiert das Konzept zur Umsetzung des Zuwanderungsartikels

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Bei dem vorgesehenen Modell zur Umsetzung von Artikel 121a BV sind folglich keine unmittelbaren und grundsätzlichen Auswirkungen auf das heutige System der Arbeitsmarktaufsicht zu erwarten, das von einer nachträglichen Kontrolle der Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen ausgeht. Die Kontrolle und die Beobachtung des Arbeitsmarktes sollen weiterhin nach den aktuellen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes und den von den Kontrollorganen festgelegten Schwerpunkten erfolgen. Solche Schwerpunkte sind namentlich konkrete Verdachtsfälle, die Anzahl meldepflichtiger Dienstleistungserbringerinnen und -erbringer, die Zuwanderung, die Lohnentwicklung und die festgestellten Lohnverstösse.

Verstärkte Bekämpfung von Missbräuchen auf dem Arbeitsmarkt Im Zusammenhang mit der Umsetzung von Artikel 121a BV beschloss der Bundesrat am 18. Dezember 2015, Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt verstärkt zu bekämpfen.

Zur verstärkten Bekämpfung von Missbräuchen auf dem Arbeitsmarkt setzt der Bundesrat auf ein Paket mit vier Pfeilern:

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Entsendegesetz: Bereits am 1. Juli 2015 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur Änderung des Entsendegesetzes.10 Er schlug dem Parlament vor, die Obergrenze der Verwaltungssanktionen im Entsendegesetz bei Verstössen gegen die minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen von 5000 auf 30 000 Franken zu erhöhen.

­

Schwarzarbeitsbekämpfung: Am 18. Dezember 2015 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes gegen die Schwarzarbeit.11 Mit der Revision soll namentlich ein verbesserter Informationsaustausch der verschiedenen an der Schwarzarbeitsbekämpfung beteiligten Behörden sichergestellt und die Missbrauchsbekämpfung über den Bereich Schwarzarbeit hinaus verstärkt werden. Dadurch sollen insbesondere mehr Verstösse gegen das EntsG und gegen allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge aufgedeckt werden können.

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Optimierung der flankierenden Massnahmen: Der Bundesrat beschloss, die Arbeitsgruppe «Personenfreizügigkeit und Arbeitsmarktmassnahmen» aus dem Jahr 2013 mit Sozialpartnern und Kantonen als «Arbeitsgruppe zum Verbesserungsbedarf von Vollzug und Missbrauchsbekämpfung der flankierenden Massnahmen» zu reaktivieren, und appellierte an die Sozialpartner, sich auf Massnahmen zu einigen, die zur Bekämpfung von Missbräuchen auf dem Arbeitsmarkt und zur Optimierung der flankierenden Massnahmen zielführend sind.

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Zusätzliche Massnahmen zur Optimierung des Vollzugs der flankierenden Massnahmen: Der Bundesrat beauftragte das WBF, dem Bundesrat für allfällige weitere Gesetzesanpassungen zu den flankierenden Massnahmen eine Vorlage vorzulegen, die nach einer Vernehmlassung bis am 17. Juni 2016 dem Parlament in einer Botschaft unterbreitet werden soll.

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Resultate der Arbeitsgruppe zum Verbesserungsbedarf von Vollzug und Missbrauchsbekämpfung der flankierenden Massnahmen und Beschluss des Bundesrates vom 24. Februar 2016 Die Arbeitsgruppe zum Verbesserungsbedarf von Vollzug und Missbrauchsbekämpfung der flankierenden Massnahmen hielt von Ende Dezember 2015 bis Anfang Februar 2016 sechs Sitzungen ab und erstattete dem WBF darüber Bericht. In Bezug auf die vom Bundesrat am 1. April 2015 sistierten Massnahmen aus dem Bundesgesetz zur Optimierung der flankierenden Massnahmen konnte in der Arbeitsgruppe keine Einigung erzielt werden. Die Arbeitgeberseite steht der Vorlage nach wie vor ablehnend gegenüber, auch wenn es zu einzelnen Massnahmen wie insbesondere dem Arbeitgeberquorum vereinzelte abweichende Minderheitsmeinungen innerhalb der Arbeitgeberschaft gibt. Die Arbeitnehmerseite befürwortet das gesamte Paket der sistierten Massnahmen und fordert die Abschaffung des Arbeitgeberquorums bei der ordentlichen Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen. Die Kantone vertreten die Haltung, dass eine Anpassung der flankierenden Massnahmen im Bereich des kollektiven Arbeitsvertragsrechts auf einer sozialpartnerschaftlichen Verständigung zu basieren hat und von einem Eingriff des Staates in die Sozialpartnerschaft grundsätzlich abzusehen ist.

Einigung erzielte die Arbeitsgruppe hingegen in Bezug auf einen Aktionsplan zur weiteren Verbesserung des Vollzugs der flankierenden Massnahmen. Der Aktionsplan sieht einerseits im Bereich der Arbeitsmarktbeobachtung durch die tripartiten Kommissionen und andererseits im Bereich der Kontrollen ausländischer Dienstleistungserbringerinnen und ­erbringer durch die paritätischen Kommissionen Optimierungspotenzial. Der Vollzug soll verbessert werden, indem namentlich risikobasierte Kontrollstrategien, effektive und effiziente Organisationen und Entscheidstrukturen und eine glaubwürdige und einheitliche Sanktionspolitik gefördert werden. Der Aktionsplan soll bis Ende Juni 2016 konkretisiert und bis im Herbst 2016 in Etappen umgesetzt werden. Die Vertreterinnen und Vertreter in der Arbeitsgruppe verpflichten sich, an der Umsetzung des Aktionsplans mitzuwirken und im Rahmen ihrer Zuständigkeit auf die Umsetzung des Aktionsplans in den dafür vorgesehenen Gremien Einfluss zu nehmen.

Die Arbeitsgruppe diskutierte
ausserdem weitere Vorschläge für mögliche Verbesserungen der flankierenden Massnahmen auf Gesetzesebene, unter anderem die Einführung einer Zustelladresse in der Schweiz für ausländische Entsendebetriebe. Der Bundesrat ist mit dem Postulat 14.3106 «Europäische Unternehmen, die Personal in die Schweiz entsenden. Eröffnung von Entscheiden» bereits beauftragt worden, Lösungsmöglichkeiten zu dieser Thematik aufzuzeigen. Die Arbeitsgruppe war sich einig, dass die Einführung einer Zustelladresse in der Schweiz vertieft geprüft werden soll.

Der Bundesrat nahm den Bericht der Arbeitsgruppe am 24. Februar 2016 zur Kenntnis und beschloss gestützt darauf, dem Parlament vorzuschlagen, Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt mittels folgender Massnahmen zu bekämpfen: ­

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Verbesserung des Vollzugs der flankierenden Massnahmen im Sinne des erwähnten Aktionsplans;

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vertiefte Prüfung der Einführung einer Zustelladresse in der Schweiz für ausländische Entsendebetriebe;

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Definition der Voraussetzungen zur Verlängerung eines Normalarbeitsvertrags im Sinne von Artikel 360a OR.

Der Bundesrat hat das WBF am 24. Februar 2016 beauftragt, dazu eine Botschaft vorzulegen. Die Schaffung einer Zustelladresse bedingt weitere Abklärungen. Das WBF wurde beauftragt, dem Bundesrat dazu bis am 30. April 2016 einen Vorschlag zu unterbreiten.

Der Bundesrat hat am 4. März 2016 ausserdem die Motionen 15.3910, 15.3911, 15.3912 und 15.3913 «Optimierung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Einführung eines vereinfachten Verfahrens für die Verlängerung der Normalarbeitsverträge» gutgeheissen. Ihr Anliegen sowie dasjenigen der parlamentarischen Initiative 15.487 «Optimierung der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Einführung eines vereinfachten Verfahrens für die Verlängerung der Normalarbeitsverträge (NAV)» werden mit der vorliegenden Botschaft erfüllt.

1.2

Die beantragte Neuregelung

Die beantragte Neuregelung sieht eine Änderung des OR vor. In Artikel 360a OR sollen in einem neuen Absatz 3 die Voraussetzungen definiert werden, unter denen ein befristeter Normalarbeitsvertrag nach Artikel 360a Absatz 1 OR, der zwingende Mindestlöhne vorsieht, befristet verlängert werden kann.

Mit den flankierenden Massnahmen wurde eine allgemeine Beobachtung des Arbeitsmarktes durch tripartite Kommissionen, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern des Staates sowie der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerverbände, eingeführt. Tripartite Kommissionen existieren in jedem Kanton und auf Bundesebene. Stellen die tripartiten Kommissionen im Rahmen der Arbeitsmarktbeobachtung innerhalb einer Branche oder einem Beruf wiederholte und missbräuchliche Unterbietungen der orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne fest und liegt kein Gesamtarbeitsvertrag mit Bestimmungen über Mindestlöhne vor, der allgemein verbindlich erklärt werden kann, so kann die zuständige Behörde auf Antrag der tripartiten Kommission einen befristeten Normalarbeitsvertrag erlassen, der nach Regionen und gegebenenfalls Orten differenzierte Mindestlöhne vorsieht (Art. 360a Abs. 1 OR).

Die Artikel 360a und 360b OR, welche die aufgeführten Grundsätze regeln, halten heute nicht fest, unter welchen Voraussetzungen ein Normalarbeitsvertrag im Sinne von Artikel 360a OR verlängert werden kann. Der Gesetzesentwurf sieht vor, diese Voraussetzungen zu definieren. Ein bestehender Normalarbeitsvertrag soll verlängert werden können, wenn die zuständige tripartite Kommission wiederholte Verstösse gegen den Mindestlohn festgestellt hat und ihr Hinweise vorliegen, dass der Wegfall des Normalarbeitsvertrages und des darin geregelten Mindestlohnes zu erneuten wiederholten und missbräuchlichen Unterbietungen der orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne führen kann. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so kann

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die zuständige tripartite Kommission der zuständigen Behörde die Verlängerung des Normalarbeitsvertrags beantragen.

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Seit Inkrafttreten der flankierenden Massnahmen wurden auf Bundesebene sowie auf kantonaler Ebene mehrere Normalarbeitsverträge im Sinne von Artikel 360a OR befristet erlassen.12 Nach Ablauf der Geltungsdauer dieser Normalarbeitsverträge stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Verlängerung. Verschiedene der bereits erlassenen Normalarbeitsverträge wurden bereits einmal oder mehrmals verlängert.

Aktuell sind jedoch die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Normalarbeitsvertrag nach Artikel 360a OR verlängert werden kann, nicht gesetzlich geregelt. Es liegt eine Gesetzeslücke vor.

Ist davon auszugehen, dass ein bestehender Normalarbeitsvertrag unter denselben Voraussetzungen verlängert werden kann, wie er erlassen wurde, so stellt sich die Frage nach der analogen Anwendbarkeit dieser Kriterien auf die veränderte Situation. Ist ein Normalarbeitsvertrag nach Artikel 360a OR in Kraft, so wurde damit ein Mindestlohn festgelegt. Die Anwendung des Kriteriums der «wiederholt missbräuchlichen Unterbietung der orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne» ist folglich zu wenig klar. Dies ist unbefriedigend, da es sich beim Erlass eines Mindestlohnes um einen staatlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit handelt.

Die Tatsache, dass die Verlängerungsvoraussetzungen nicht definiert sind und sich zahlreiche Fragen in diesem Zusammenhang stellen, kann zu Rechtsunsicherheit führen. Das staatliche Handeln ist weniger erkennbar und berechenbar. Aufgrund der bei der Beantragung der Verlängerung für die zuständigen tripartiten Kommissionen bestehenden erheblichen Unklarheiten kann es zu einer uneinheitlichen Praxis in den verschiedenen Kantonen und auf Bundesebene kommen.

Diese Rechtsunsicherheit soll behoben und die gesetzliche Lücke geschlossen werden. Bei den vorgeschlagenen Verlängerungsvoraussetzungen handelt es sich um Kriterien, die bereits bei der Verlängerung der Geltungsdauer und Anpassung der auf Bundesebene bestehenden Verordnung vom 20. Oktober 2010 13 über den Normalarbeitsvertrag für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Hauswirtschaft (NAV Hauswirtschaft) angewandt wurden.

Ergebnis der Vernehmlassung Eine Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Vernehmlassung von 2014 lehnte die vorgeschlagene Definition der Voraussetzungen für die Verlängerung eines Normalarbeitsvertrags ab.

12 13

Die Normalarbeitsverträge im Sinne von Art. 360a OR sind einsehbar unter: www.seco.admin.ch > Themen > Arbeit > Arbeitsrecht > Normalarbeitsverträge SR 221.215.329.4

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Seitens der Gegner wurde festgehalten, mit der vorgeschlagenen Massnahme entferne man sich vom Gedanken der Missbrauchsbekämpfung, und es widerspreche dem Schweizer Arbeitsrecht, einseitig Lohnvorschriften zu erlassen. Mehrere Gegner des Vorschlags beantragten für den Fall, dass an der Vorlage festgehalten werde, die unbestimmten Rechtsbegriffe wie «wiederholt», «Hinweise» oder «befristet» genauer zu fassen oder ausführlich zu definieren.

Aus Sicht der Befürworter trägt die vorgeschlagene Definition zu mehr Rechtssicherheit und zur Vollzugsvereinheitlichung bei und hilft, Missstände einzudämmen. Einige Befürworter bedauern, dass die Vorlage nicht vorschlägt, inskünftig weitere Bestimmungen wie Bestimmungen zur Arbeitszeit in einem Normalarbeitsvertrag im Sinne von Artikel 360a OR regeln zu können.

1.4

Umsetzung

Die Umsetzung der neuen Bestimmung hat keine Neuerungen betreffend die Zuständigkeit der Vollzugsorgane zur Folge.

2

Erläuterungen zu Art. 360a Abs. 3 OR

Ein Normalarbeitsvertrag soll unter den Voraussetzungen verlängert werden können, dass von den tripartiten Kommissionen wiederholte Verstösse gegen den Mindestlohn festgestellt wurden und ihnen Hinweise vorliegen, dass der Wegfall des Normalarbeitsvertrages erneut zu Missbräuchen führen kann. Die beiden Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Über die Verlängerung eines Normalarbeitsvertrags kann folglich nicht allein aufgrund der Verstossquote entschieden werden.

«Wiederholte Verstösse» bedeutet, dass in mehreren Betrieben einer Region oder in einem einzelnen Betrieb mit einer gewissen Marktmacht Verstösse bei mehreren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegen den zwingenden, im anwendbaren Normalarbeitsvertrag nach Artikel 360a OR festgelegten Mindestlohn festgestellt wird. «Wiederholt» meint folglich nicht Einzelfälle, in denen der Mindestlohn nicht eingehalten wurde.

Hinweise, dass der Wegfall des Mindestlohnes erneut zu Missbräuchen führen kann, können beispielsweise eine wachsende Zuwanderung von Personen aus Tieflohnländern oder eine hohe Nachfrage nach unqualifizierten Arbeitskräften sein.

Würde der Normalarbeitsvertrag ersatzlos wegfallen, so würde der Druck auf die orts-, berufs- und branchenüblichen Löhne und damit die Gefahr des wiederholten Missbrauchs wieder aufleben. Auch wenn der Antrag auf eine Verlängerung eines bestehenden Normalarbeitsvertrages im Sinne von Artikel 360a OR hauptsächlich auf Feststellungen basieren muss, ist mit der Verlängerung eines Normalarbeitsvertrages somit auch eine gewisse präventive Wirkung verbunden.

Mit der Definition der Verlängerungsvoraussetzungen soll allerdings nicht erreicht werden, dass ein Normalarbeitsvertrag unbeschränkt verlängert werden kann.

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Der Entscheid über den Antrag auf Verlängerung liegt bei der zuständigen tripartiten Kommission, die anschliessend an die zuständige Behörde gelangt. Sowohl die tripartite Kommission als auch die zuständige Behörde prüfen, ob die Verlängerungsvoraussetzungen erfüllt sind.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Die vorgesehene Änderung des OR hat keine finanziellen Auswirkungen auf den Bund. Mit der Definition der Voraussetzungen für die Verlängerung eines Normalarbeitsvertrags im Sinne von Artikel 360a OR wird eine gesetzliche Lücke geschlossen und damit eine Verfahrensfrage geklärt. Solche Normalarbeitsverträge können bereits heute verlängert werden. Die vorgeschlagene Änderung verursacht folglich keine Mehrkosten.

3.1.2

Personelle Auswirkungen

Die Änderung des OR hat keine Auswirkungen auf den Personalbestand.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

In Bezug auf die vorgesehene Änderung des OR ist die Situation der Kantone mit derjenigen des Bundes identisch. Der Bund ist für den Erlass eines Normalarbeitsvertrags im Sinne von Artikel 360a OR zuständig, wenn sich der Geltungsbereich auf das Gebiet mehrerer Kantone erstreckt. Andernfalls ist der Kanton zuständig.

Folglich hat die vorgeschlagene Änderung keine personellen Auswirkungen auf die Kantone.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Aus volkswirtschaftlicher Sicht hat die Öffnung des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren massgeblich zum Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum in der Schweiz beigetragen. Dank den flankierenden Massnahmen blieben negative Begleiterscheinungen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund der Personenfreizügigkeit begrenzt.

Bei der angestrebten Änderung des OR geht es in erster Linie darum, eine Gesetzeslücke zu schliessen. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung eines bestehenden Normalarbeitsvertrages werden dadurch geregelt. Die massgeblichen Bestimmungen im OR stellen weiterhin sicher, dass der Normalarbeitsvertrag ausschliesslich zur Missbrauchsbekämpfung im Rahmen der flankierenden Massnahmen eingesetzt wird. Indem die Verlängerung eines Normalarbeitsvertrags auch weiterhin befristet 2816

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ist, werden die Anreize für die Sozialpartner der Branche, sofern solche vorhanden sind, aufrechterhalten, die Lohn- und Arbeitsbedingungen gemeinsam festzuhalten.

Insgesamt kann die vorgeschlagene Anpassung des OR als moderat bezeichnet werden. Sie dient primär dazu, den Vollzug der flankierenden Massnahmen zu verbessern. Die Bekämpfung von missbräuchlichen Lohn- und Arbeitsbedingungen ist aus volkswirtschaftlicher Sicht von Bedeutung.

Die Marktzutrittschancen für ausländische Unternehmen bleiben intakt, ein administrativer Mehraufwand für die Unternehmen ist nicht zu erwarten.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 27. Januar 201614 zur Legislaturplanung 2015­ 2019 nicht angekündigt. Der Bundesrat erachtet die Optimierung der flankierenden Massnahmen und die verstärkte Bekämpfung von Missbräuchen auf dem Arbeitsmarkt im Zusammenhang mit der Umsetzung von Artikel 121a BV als angezeigt.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a BV, der den Bund ermächtigt, Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erlassen. Das sieht man so dem Erlass nicht an, weil es sich um eine Änderung des OR handelt. Das OR beruft sich im Ingress auf keine Verfassungsgrundlage.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Verlängerung von Normalarbeitsverträgen im Sinne von Artikel 360a OR stützt sich allein auf das innerstaatliche Recht. Sie steht in keinem Konflikt mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz.

5.3

Erlassform

Da mit diesem Entwurf ein geltendes Bundesgesetz abgeändert wird, ist der Erlass im Sinne von Artikel 164 BV in die Form eines Bundesgesetzes zu kleiden.

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