16.032 Botschaft zur Genehmigung des Abkommens mit Brasilien über den Informationsaustausch in Steuersachen vom 23. März 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Brasilien über den Informationsaustausch in Steuersachen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

23. März 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Mit dem vorliegenden Steuerinformationsabkommen (SIA) soll zwischen der Schweiz und Brasilien der Informationsaustausch in Steuersachen auf Anfrage geregelt werden.

Ausgangslage Zwischen der Schweiz und Brasilien besteht kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). Im Juni 2010 setzte Brasilien die Schweiz auf eine innerstaatliche Liste der Länder mit tiefer Besteuerung und ungenügendem Zugang zu Informationen über Beteiligungsträger von juristischen Personen (sog. schwarze Liste). Dank wiederholten Interventionen bei den brasilianischen Behörden konnte eine Suspendierung der Schweiz von der schwarzen Liste und eine Wiederherstellung der Kontakte auf technischer Ebene erreicht werden. Im Rahmen dieser Gespräche bekundete Brasilien sein Interesse, mit der Schweiz vorerst die Amtshilfe in Steuersachen in einem SIA zu vereinbaren.

Zur Vorlage Das vorliegende SIA regelt den Informationsaustausch in Steuersachen auf Anfrage in detaillierter Weise. Wie alle von der Schweiz abgeschlossenen SIA sieht es den spontanen und den automatischen Informationsaustausch nicht vor. Mit seinem Abschluss wird die Schweiz dauerhaft von der brasilianischen schwarzen Liste entfernt, was für die in Brasilien tätigen Schweizer Unternehmen einen wichtigen Meilenstein darstellt. Mit dem SIA können die Reputation und die Integrität des Schweizer Finanzplatzes gewahrt und die Empfehlung des Global Forum über Transparenz und Informationsaustausch für Steuerzwecke, mit interessierten Staaten und Territorien standardkonforme SIA abzuschliessen, umgesetzt werden.

Das SIA mit Brasilien wurde am 23. November 2015 unterzeichnet.

In der Anhörung ist der Abschluss dieses SIA grossmehrheitlich begrüsst worden.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Seit dem Beschluss des Bundesrats vom Frühjahr 2009, den international anerkannten Standard beim Informationsaustausch in Steuersachen gemäss Artikel 26 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) zu übernehmen, hat die Schweiz eine Vielzahl von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) revidiert und neue DBA mit einer standardkonformen Klausel über den Informationsaustausch abgeschlossen.

Sie setzt ihre Bestrebungen unvermindert fort, diese Amtshilfepolitik in bestehenden oder neuen DBA mit weiteren Staaten zu verankern.

Verschiedene Staaten und Territorien haben die Schweiz auch um Aufnahme von Verhandlungen ersucht, um ein Steuerinformationsabkommen (SIA; Tax Information Exchange Agreement, TIEA) abzuschliessen. Zu Beginn der Umsetzung der Amtshilfe auf Anfrage in Steuersachen erachtete die Schweiz jedoch zunächst die Revision ihrer DBA als prioritär. Das Global Forum über Transparenz und Informationsaustausch für Steuerzwecke (Global Forum) hat der Schweiz deshalb im Länderüberprüfungsbericht (Peer-Review-Bericht) vom Juni 2011 empfohlen, mit interessierten Staaten und Territorien standardkonforme SIA abzuschliessen. Am 4. April 2012 hat der Bundesrat einen entsprechenden Beschluss gefasst. Der Vollzug von SIA wird im Steueramtshilfegesetz vom 28. September 20121 (StAhiG) geregelt, das am 1. Februar 2013 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Bst. b StAhiG).

Zwischen der Schweiz und Brasilien besteht kein DBA. Während der Abschluss eines DBA mit Brasilien für die Schweiz wünschenswert ist, haben langjährige, exploratorische technische Gespräche zwischen den beiden Staaten bisher gezeigt, dass aufgrund unterschiedlicher Abkommenspolitik im Bereich der Doppelbesteuerung eine Einigung über eine für beide Seiten annehmbare Lösung nicht rasch zu erzielen ist. Darüber hinaus setzte Brasilien im Juni 2010 kraft normativer Instruktion 1.0372 die Schweiz auf eine innerstaatliche Liste der Länder mit tiefer Besteuerung und ungenügendem Zugang zu Informationen über Beteiligungsträger von juristischen Personen (sog. schwarze Liste). Dank wiederholten Interventionen bei den brasilianischen Behörden konnte eine Suspendierung der Schweiz von der schwarzen Liste und eine Wiederherstellung der Kontakte auf technischer Ebene erreicht werden. Im Rahmen dieser Gespräche bekundete Brasilien sein Interesse, mit der Schweiz
vorerst die Amtshilfe in Steuersachen in einem SIA zu vereinbaren.

Die beiden Länder nahmen in der Folge im Dezember 2013 Verhandlungen über den Abschluss eines SIA auf. Im Frühjahr 2014 einigten sich beide Seiten darauf, dass die Schweiz im Laufe der SIA-Verhandlungen von der brasilianischen schwarzen 1 2

SR 651.1 Eine normative Instruktion stellt einen administrativen Akt höherer Verwaltungsinstanzen dar und dient der Gesetzesauslegung. Normative Instruktionen werden amtlich publiziert und sind verbindlich.

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Liste weiterhin suspendiert bleibt und mit dem Abschluss des SIA dauerhaft daraus entfernt wird. Im Juni 2014 entfernte Brasilien die Schweiz aus der brasilianischen schwarzen Liste und setzte mittels normativer Instruktion 1.474 noch einzelne kantonale Steuerregimes auf die brasilianische Liste der privilegierten Steuerregimes (sog. graue Liste). Die brasilianischen Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen mit Schweizer Unternehmen pflegen, die von dieser Liste betroffen sind, müssen sich in Brasilien spezifischen Regeln betreffend Verrechnungspreise (auch wenn sie nicht derselben Gruppe zugehören) und Unterkapitalisierung unterwerfen.

Die schweizerische Präferenz liegt grundsätzlich weiterhin auf dem Abschluss eines DBA. Brasilien hat sich bereit erklärt, entsprechende Gespräche aufzunehmen, weicht allerdings mit seiner Abkommenspolitik in wichtigen Punkten vom OECDMusterabkommen ab.

DBA und SIA sind im Prinzip gleichwertige Instrumente für den Abschluss einer standardkonformen Bestimmung über den Informationsaustausch auf Anfrage. Im Vergleich zu einem DBA regelt ein SIA die Modalitäten der Amtshilfe detaillierter.

Das vorliegende SIA, wie alle von der Schweiz abgeschlossenen SIA, sieht den spontanen und den automatischen Informationsaustausch nicht vor.

Die Schweiz hat bereits mehrere SIA abgeschlossen, wovon diejenigen mit der Insel Man, Guernsey und Jersey in Kraft getreten und seit dem 1. Januar 2015 anwendbar sind. Die Abkommen mit Andorra, Grönland, San Marino und den Seychellen sind ebenfalls in Kraft getreten und seit dem 1. Januar 2016 anwendbar. Weiter hat die Schweiz SIA mit Belize und Grenada unterzeichnet. Die beiden SIA wurden dem Parlament mit Botschaft vom 7. Oktober 20153 zur Genehmigung vorgelegt.

Die SIA-Verhandlungen mit Brasilien, die fast zwei Jahre dauerten und auf dem Korrespondenzweg stattfanden, konnten am 11. August 2015 mit der Paraphierung eines Abkommensentwurfs abgeschlossen werden.

Der Abkommensentwurf mit Brasilien war vom 28. September bis zum 16. Oktober 2015 Gegenstand einer Anhörung der Kantone und der interessierten Wirtschaftskreise. Der Abschluss des Abkommens fand grossmehrheitlich Zustimmung; gewünscht wird für die Zukunft auch der Abschluss eines DBA.

Das vorliegende Abkommen mit Brasilien wurde am 23. November 2015 unterzeichnet.

1.2

Würdigung des Abkommens

Das Abkommen regelt den gegenseitigen steuerlichen Informationsaustausch auf Ersuchen. Der Vollzug der Amtshilfe erfolgt gestützt auf das StAhiG. Der Abschluss von SIA dient der schweizerischen Umsetzung der internationalen Amtshilfepolitik und steht im Einklang mit dem Bundesratsbeschluss vom 4. April 2012, standardkonforme Amtshilfe nicht nur in Form von DBA, sondern auch von SIA zu vereinbaren. Mit dem Abschluss dieses Abkommens wird die Schweiz dauerhaft von der brasilianischen schwarzen Liste entfernt, was für die in Brasilien tätigen Schweizer 3

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Unternehmen einen wichtigen Meilenstein darstellt. Wünschenswert ist auch die Entfernung von der brasilianischen grauen Liste. Mit der Unternehmenssteuerreform III werden voraussichtlich die von der grauen Liste erfassten kantonalen Steuerregimes abgeschafft. Dieser Umstand dürfte inskünftig die Nachteile der grauen brasilianischen Liste entschärfen. Mit dem SIA können die Reputation und die Integrität des Schweizer Finanzplatzes gewahrt und die Empfehlung des Global Forum umgesetzt werden, mit interessierten Staaten und Territorien standardkonforme SIA abzuschliessen.

Gegenüber dem OECD-Musterabkommen von 2002 über den Informationsaustausch in Steuerbelangen (TIEA-MA) berücksichtigt das Abkommen zwei Besonderheiten des Schweizer Rechts: keine Aufnahme einer Bestimmung über Steuerkontrollen im Ausland sowie keine rückwirkende Inkraftsetzung für Informationen betreffend Steuerstrafsachen.

Die Terms of Reference des Global Forum sehen vor, dass Informationen mit allen interessierten Partnern auszutauschen sind. Deshalb ist Gesuchen um eine Vereinbarung über den steuerlichen Informationsaustausch zu entsprechen, und zwar unabhängig davon, ob ein Partnerstaat dies nur in einem SIA regeln will. Die Schweiz lehnt deshalb spezifische Anfragen betreffend den Abschluss eines SIA nicht ab. Mit dem Übereinkommen des Europarats und der OECD vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen in seiner revidierten und am 1. Juni 20114 in Kraft getretenen Fassung (Europarats-/OECD-Übereinkommen), welches 2013 unterzeichnet wurde, wird die Schweiz ihr Netz für den Informationsaustausch in Steuersachen nochmals erweitern. Sie wird nach der Ratifikation des Übereinkommens auch auf dieser Grundlage Informationen auf Ersuchen austauschen können.

Auch wenn das Übereinkommen ein wichtiges Instrument für die steuerliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten sein wird, hat das SIA mit Brasilien ihre eigene Relevanz.

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Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

Das Abkommen ist sowohl formell als auch materiell standardkonform, es folgt weitgehend dem TIEA-MA und entspricht der Abkommenspolitik der Schweiz im Bereich der steuerlichen Amtshilfe. Im Folgenden werden die einzelnen Bestimmungen des Abkommens erläutert.

Ingress Gemäss Ingress besteht der allgemeine Zweck der SIA darin, den Informationsaustausch in Steuersachen zwischen den Vertragsparteien zu erleichtern.

Art. 1

Gegenstand und Geltungsbereich des Abkommens

Die Vertragsparteien leisten einander Unterstützung durch den Austausch von Informationen, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen 4

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Rechts betreffend die unter das SIA fallenden Steuern voraussichtlich erheblich sind.

Mit dem Verweis auf die voraussichtliche Erheblichkeit der ersuchten Auskünfte soll ein möglichst weit gehender Informationsaustausch in Steuersachen gewährleistet werden. Gleichzeitig wird damit jedoch klar festgehalten, dass es untersagt ist, sogenannte fishing expeditions («Fischzüge» bzw. unzulässige Beweisausforschung) zu betreiben, also Gesuche ohne konkrete Anhaltspunkte zu stellen, oder um Informationen zu ersuchen, deren Erheblichkeit hinsichtlich der Steuerbelange einer bestimmten steuerpflichtigen Person wahrscheinlich nicht gegeben ist.

Die persönlichen Rechte und Sicherheiten, welche die Gesetze oder die Verwaltungspraxis der ersuchten Partei gewähren, bleiben anwendbar, sofern ein wirksamer Informationsaustausch dadurch nicht verhindert oder übermässig verzögert wird. Für die Schweiz heisst dies namentlich, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie die Rechtsweggarantie nach Massgabe der gesetzlichen Bestimmungen gewahrt bleiben.

Art. 2

Zuständigkeit

Dieser Artikel hält fest, dass die ersuchte Vertragspartei nicht verpflichtet ist, Auskünfte zu erteilen, die weder ihren Behörden vorliegen noch sich im Besitz oder unter der Kontrolle von Personen in ihrem Hoheitsbereich befinden. Die Begriffe «Besitz» oder «Kontrolle» sind in einem weiten Sinne auszulegen.

Die Auskunftspflicht ist weder durch die Ansässigkeit noch durch die Staatsangehörigkeit der Person, auf die sich die Auskünfte beziehen, oder der Person, die im Besitz der ersuchten Informationen ist oder diese kontrolliert, begrenzt. Das heisst, dass es für die Anwendung des Abkommens nicht notwendig ist, dass die betroffene Person in der Schweiz oder in Brasilien ansässig ist. Eine wirtschaftliche Anknüpfung in der ersuchenden Vertragspartei genügt für die Stellung eines Ersuchens.

Art. 3

Unter das Abkommen fallende Steuern

Die Bestimmung über die unter das Abkommen fallenden Steuern sieht vor, dass die Schweiz Auskünfte für Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie für Erbschafts- und Schenkungssteuern verlangen kann.

Brasilien kann für die folgenden Steuern auf Bundesebene um Informationsaustausch ersuchen: Einkommenssteuer und Gewinnsteuer (IRPF und IRPJ), Industrieproduktsteuer (IPI), Finanztransaktionssteuer (IOF), Grundsteuer für ländliche Anwesen (ITR), Sozialintegrationsabgabe (PIS), Sozialfinanzierungsabgabe (COFINS), Reingewinnsozialabgabe (CSLL) und andere vom Sekretariat für Bundesfinanzen verwaltete Steuern. Bei Letzteren handelt es sich konkret um Steuern bzw. Abgaben in Zusammenhang mit dem Vorsorgesystem und in Bezug auf gewisse wirtschaftliche Tätigkeiten (grenzüberschreitende Lizenzgebühren und gewisse technische, administrative und wissenschaftliche Dienstleistungen). Die formell als Abgabe bezeichnete CSLL hat materiell den Charakter einer Gewinnsteuer und wird mit 9 % auf dem Reingewinn der Unternehmen erhoben. PIS und COFINS sind zwei umsatzabhängige Sozialprogrammabgaben, die auf dem Bruttoumsatz erhoben werden.

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Art. 4

Begriffsbestimmungen

Artikel 4 definiert die Begriffe des Abkommens. Dabei werden im Wesentlichen die Definitionen des TIEA-MA übernommen. Auf Antrag von Brasilien wurde die Definition des Begriffs «Staatsangehörige», der in Artikel 6 Absatz 6 des Abkommens enthalten ist, in diese Bestimmung aufgenommen. Die Definition für Staatsangehörige der Schweiz entspricht jener der Schweizer DBA. Der Begriff «Straftat», der in Artikel 5 Absatz 1 des Abkommens vorkommt, wird ebenfalls in Artikel 4 in Anlehnung an das TIEA-MA definiert. Eine rückwirkende Anwendung des SIA bei Steuerstrafsachen, wie dies das TIEA-MA vorsieht, ist wie in allen Schweizer SIA auch im vorliegenden SIA ausgeschlossen (vgl. Art. 11).

Art. 5

Informationsaustausch auf Ersuchen

Abs. 1 Der Informationsaustausch für die in Artikel 1 genannten Zwecke beschränkt sich ausdrücklich auf den Informationsaustausch auf Ersuchen. Das SIA sieht den spontanen und den automatischen Informationsaustausch nicht vor. Die Bundesversammlung hat am 18. Dezember 2015 das Europarats-/OECD-Übereinkommen sowie die multilaterale Vereinbarung der zuständigen Behörden vom 29. Oktober 20145 über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten (AIA-Vereinbarung) zusammen mit dem Bundesgesetz vom 18. Dezember 20156 über den internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen (AIA-Gesetz) verabschiedet. Damit werden die rechtlichen Grundlagen für den automatischen und den spontanen Informationsaustausch geschaffen. Sollten die Schweiz und Brasilien ihre Zusammenarbeit im Steuerbereich auf den automatischen Informationsaustausch ausweiten wollen, müssten diese Instrumente herangezogen und bilateral aktiviert werden.

Die Informationen nach dem Abkommen werden unabhängig davon ausgetauscht, ob das Verhalten, das Gegenstand der Ermittlungen ist, nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei eine Straftat darstellen würde. Die ersuchende Vertragspartei stellt nur dann ein Ersuchen, wenn sie ihre eigenen Untersuchungsmassnahmen ausgeschöpft hat, ausser der Rückgriff auf diese Untersuchungsmassnahmen würde unverhältnismässig grosse Schwierigkeiten mit sich bringen.

Abs. 2 Die ersuchte Vertragspartei darf sich nicht einfach auf die Auskünfte berufen, die sich im Besitz der zuständigen Behörde befinden, sondern sie muss alle erforderlichen Massnahmen ergreifen, um der ersuchenden Vertragspartei die verlangten Informationen zu erteilen. Dies gilt auch dann, wenn die ersuchte Vertragspartei die Informationen nicht für eigene steuerliche Zwecke benötigt. Der Informationsaustausch beschränkt sich damit nicht auf Informationen, die auch den Steuerbehörden der ersuchten Vertragspartei von Nutzen sind.

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Abs. 4 Beide Vertragsparteien stellen sicher, dass ihre zuständigen Behörden über die nötigen Befugnisse zur Einholung und Erteilung von Auskünften verfügen, welche sich bei Banken oder anderen Finanzintermediären befinden oder die Eigentumsverhältnisse einer Person betreffen. Dabei schliessen die Eigentumsverhältnisse sowohl das rechtliche als auch das wirtschaftliche Eigentum ein. Diese Präzisierung, die in vielen brasilianischen SIA enthalten ist, entspricht dem international vereinbarten Standard. Die ersuchte Partei hat entsprechende Auskünfte auch dann einzuholen und auszutauschen, wenn nach ihrem Recht oder ihrer Verwaltungspraxis die verlangten Informationen nicht erhältlich wären. Entsprechend kann die Schweiz den Informationsaustausch nicht unter Hinweis auf das schweizerische Bankgeheimnis verweigern. Das SIA und Artikel 8 Absatz 2 StAhiG in Verbindung mit Artikel 13 Absatz 1 StAhiG stellen die Rechtsgrundlagen zur Beschaffung der ersuchten Auskünfte dar. In Bezug auf Inhaberinformationen finden die am 1. Juli 2015 in Kraft getretenen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 20147 zur Umsetzung der revidierten Empfehlungen der Groupe d'action financière Anwendung.

Diese Bestimmungen führen zu einer Verbesserung der Transparenz von juristischen Personen durch Massnahmen, die einerseits die nicht börsenkotierten Gesellschaften mit Inhaberaktien und andererseits die Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Personen betreffen.

Abs. 5 Absatz 5 enthält die Angaben, welche die ersuchende Vertragspartei schriftlich liefern muss, um die voraussichtliche Erheblichkeit der verlangten Informationen nachzuweisen. Das Amtshilfeersuchen soll möglichst detailliert formuliert sein und so viele Informationen wie möglich enthalten. Mit den in Absatz 5 aufgeführten Angaben sollen fishing expeditions verhindert werden. Allerdings ist die Bestimmung weit auszulegen, damit ein wirksamer Informationsaustausch nicht verhindert wird. Entsprechend Artikel 26 OECD-MA beschränkt sich der Informationsaustausch nach dem SIA auf konkrete Anfragen. Dazu gehören nach dem weiterentwickelten OECD-Standard auch konkrete Anfragen, die auf eine genau definierte Gruppe von Steuerpflichtigen abzielen, bei denen davon ausgegangen werden muss, dass sie ihren Steuerpflichten in der ersuchenden Vertragspartei nicht
nachgekommen sind. Damit ermöglicht es das SIA, Gruppenersuchen Folge zu leisten. Das Abkommen verlangt die Identifikation der betroffenen Person. Gemäss dem Kommentar von 2002 zum TIEA-MA kann diese beispielsweise durch eine Kontonummer oder auch durch andere Identifikationsinformationen erfolgen (vgl. Erläuterungen im Kommentar zu Art. 5 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 1 des TIEA-MA). Der geltende Kommentar zu Artikel 26 OECD-MA kann zur Auslegung beigezogen werden. Das Verfahren für Gruppenersuchen richtet sich nach dem StAhiG.

Abs. 6 Absatz 6 legt das Verfahren und die Fristen fest, um eine rasche Übermittlung der Informationen sicherzustellen. Die ersuchte Vertragspartei muss die ersuchende Vertragspartei unverzüglich informieren und ihr angeben, weshalb sie nicht in der 7

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Lage war, die Informationen innerhalb der vorgegebenen Frist zu beschaffen und zu liefern. Die im Abkommen genannten Verfahren und Fristen sind dieselben wie im TIEA-MA.

Art. 6

Möglichkeit der Ablehnung eines Ersuchens

Abs. 1 Die ersuchte Vertragspartei ist nicht verpflichtet, Auskünfte einzuholen oder zu erteilen, welche die ersuchende Vertragspartei nach ihrem innerstaatlichen Recht nicht einholen könnte. Die ersuchte Vertragspartei kann das Ersuchen auch ablehnen, wenn es nicht in Übereinstimmung mit dem SIA gestellt wurde.

Abs. 2, 3 und 4 Das Abkommen hält fest, dass die Vertragsparteien nicht verpflichtet sind, Informationen zu erteilen, die ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren offenbaren würden (Abs. 2) oder deren Preisgabe dem Ordre public widerspräche (Abs. 4).

Absatz 3 sieht weiter vor, dass die jeweiligen Bestimmungen des Abkommens eine Vertragspartei nicht zur Beschaffung oder Erteilung von Informationen verpflichten, welche die vertrauliche Kommunikation zwischen einer Klientin oder einem Klienten einerseits und einer Rechtsvertreterin oder einem Rechtsvertreter andererseits preisgeben würden, sofern diese Kommunikation zum Zweck der Suche nach oder der Gewährung von rechtlichem Rat oder zum Zweck der Verwendung in bestehenden oder geplanten Rechtsverfahren erstellt wurde.

Abs. 5 Ein Amtshilfeersuchen darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die dem Ersuchen zugrunde liegende Steuerforderung sei strittig.

Abs. 6 Die ersuchte Vertragspartei kann ein Amtshilfeersuchen ablehnen, wenn die von der ersuchenden Vertragspartei erbetenen Auskünfte Staatsangehörige der ersuchten Vertragspartei gegenüber Staatsangehörigen der ersuchenden Vertragspartei unter den gleichen Umständen benachteiligen.

Art. 7

Vertraulichkeit

Alle von der anderen Vertragspartei erhaltenen Auskünfte sind vertraulich zu behandeln. Dieser Schutz ist im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch in Steuersachen unabdingbar. Unter die Vertraulichkeit fallen sowohl die von der ersuchenden Vertragspartei gemachten Angaben (vgl. Art. 5 Abs. 5) als auch die von der ersuchten Vertragspartei erteilten Auskünfte. Die Informationen dürfen nur für die Zwecke des SIA verwendet werden. Sie dürfen nur den Personen oder Behörden zugänglich gemacht werden, die mit der Veranlagung oder der Erhebung, mit der Vollstreckung oder Strafverfolgung oder mit der Entscheidung von Rechtsmitteln hinsichtlich der unter dieses SIA fallenden Steuern befasst sind.

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Der ersuchenden Vertragspartei ist es untersagt, diese Informationen ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung der ersuchten Vertragspartei Dritten zugänglich zu machen. Der ersuchenden Vertragspartei ist es auch untersagt, die erhaltenen Auskünfte einem anderen Staat oder einer anderen Jurisdiktion bekanntzugeben. Will ein Drittstaat von einer Vertragspartei Auskünfte einholen, so kann er dies mittels eines Amtshilfeersuchens gestützt auf ein DBA oder ein SIA tun, das er direkt mit dieser Vertragspartei abgeschlossen hat. Dadurch wird die Vertraulichkeit der Auskünfte gewährleistet.

Art. 8

Kosten

Nach dem Abkommen bestimmen die Vertragsparteien die Tragung der anfallenden Kosten der Amtshilfe im gegenseitigen Einvernehmen. Mit Brasilien ist diesbezüglich noch keine Vereinbarung abgeschlossen worden.

Art. 9

Umsetzungsgesetzgebung

Die Vertragsparteien erlassen die erforderlichen Bestimmungen, um das Abkommen zu erfüllen und auszuführen. Die Schweiz verfügt mit dem StAhiG über die erforderliche Rechtsgrundlage.

Art. 10

Verständigungsverfahren

Zur Bereinigung von Schwierigkeiten bei der Durchführung oder Auslegung des Abkommens wird ein Verständigungsverfahren vorgesehen. Dabei können sich die Vertragsparteien auch auf eine andere Form der Streitbeilegung einigen.

Art. 11

Inkrafttreten

Das SIA mit Brasilien tritt am Tag des Eingangs der späteren der beiden Notifikationen über den Abschluss der hierfür erforderlichen innerstaatlichen Verfahren in Kraft. Die Bestimmungen des SIA finden Anwendung auf Informationen betreffend Steuerjahre, die am oder nach dem 1. Januar des auf das Inkrafttreten des SIA folgenden Kalenderjahres beginnen, oder ­ in Ermangelung einer Steuerperiode, wie dies z. B. bei Erbschafts- und Schenkungssteuern der Fall ist ­ betreffend alle Steuerforderungen, die am 1. Januar des auf das Inkrafttreten des SIA folgenden Kalenderjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen.

Art. 12

Kündigung

Jede Vertragspartei kann das Abkommen jederzeit schriftlich kündigen. Die Kündigung wird am ersten Tag des siebten Monats nach Eingang der schriftlichen Kündigungsanzeige bei der anderen Vertragspartei wirksam.

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Finanzielle Auswirkungen

Da ein SIA, im Gegensatz zu einem DBA, nicht die gegenseitige Besteuerung, sondern nur den Informationsaustausch in Steuersachen regelt, hat das SIA mit Brasilien keine Verminderung der Steuereinnahmen zur Folge. Gegebenenfalls kann das SIA zu zusätzlichen Steuereinnahmen führen, da es der Schweiz erlaubt, Amtshilfeersuchen an Brasilien zu stellen. Diesbezügliche Schätzungen sind jedoch nicht möglich. Aufgrund des Abkommens kann sich ein administrativer Mehraufwand für die Behandlung von eingehenden Ersuchen ergeben; es ist aber nach gegenwärtigem Erkenntnisstand zu erwarten, dass sich dieser mit den vorhandenen Personalressourcen bewältigen lässt.

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Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage für das neue Abkommen ist Artikel 54 der Bundesverfassung8 (BV), der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist. Nach Artikel 166 Absatz 2 BV ist die Bundesversammlung für die Genehmigung des Abkommens zuständig. Das neue Abkommen ist unbefristet, es kann aber jederzeit unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden. Das Abkommen sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Dem Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstehen die Staatsverträge, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesrecht erfordert. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20029 gilt eine Bestimmung eines Staatsvertrags dann als rechtsetzend, wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generell-abstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt.

Das neue Abkommen regelt die Pflicht zur Amtshilfe an Brasilien. Diese wird gemäss internationalem Standard umfassend gewährt, was der schweizerischen Abkommenspolitik entspricht. Das Abkommen enthält wichtige neue Bestimmungen im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV, welche die Form eines Gesetzes annähmen, falls sie im Landesrecht erlassen würden. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Brasilien über den Informationsaustausch in Steuersachen unterliegt daher gemäss dieser Bestimmung dem fakultativen Referendum.

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SR 101 SR 171.10

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