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Bericht des

Bundesrathes an. den Nationalrath auf dessen Postulat vom 25. Juni d. J. betreffend das Programm über die Reihenfolge der nach Annahme der Bundesverfassung vom 29. Mai d. J. zu erlassenden Geseze.

(Vom 9. Oktober 1874.)

Tit.!

In Vollziehung des Beschlusses des hohen Nationalrathes vom 25. Juni, durch welchen der Bundesrath eingeladen wurde, unterBerüksichtigung einer rationellen Gruppirung der gleichartigen Materien , über die Reihenfolge der nach Annahme der Bundesverfassung vom 29. Mai d. J. zu erlassenden Geseze ein Programm vorzulegen, beehren wir uns, Ihnen nachstehenden Bericht zu erstatten.

Die große Zahl gesezgeberischer Arbeiten, welche die Annahme der revidirten Bundesverfassung in Aussicht stellte und die Dringlichkeit mehrerer Theile der neuen Gesezgebung mußte den Bundesrath von selbst dazu führen, sowohl über die Gesammtheit der durch die neue Bundesverfassung ihm als vorberathender Behörde zufallenden Aufgabe rechtzeitig eine Uebersicht zu gewinnen, als auch über die Vertheilung der Arbeit und das zunächst an dieHand zu Nehmende sich Rechenschaft zu geben. Zu diesem Behufe wurden schon am 2. Februar dieses Jahres, nachdem die neue Bundesverfassung von den beiden Räthen durchberathen und zur Vorlage an das Volk und die Kantone festgestellt war, die

177 einzelnen Departemente eingeladen, in Erwägung zu ziehen und zu berichten, inwiefern ihnen durch die am 31. Januar von den Räthen beschlossene revidirte Bundesverfassung legislatorische Arbeiten erwachsen werden. Diese Berichte unterstellte der Bundesrath unmittelbar nach Annahme der Bundesverfassung einer einläßlichen Berathung, wobei es sich zunächst darum handelte, dea einzelnen Departementen die Materien, mit denen sie sich zu befassen haben werden, bestimmt zuzuscheiden, im Fernern aber auch sich zu verständigen, welche Vorlagen den Räthen in erster Linie zu machen sein werden. Hiebei blieben wir vorläufig stehen, indem wir uns vorbehielten, im weiteren Verlaufe aus der Zahl der von den Departementen inzwischen ausgearbeiteten weiteren Geseze diejenigen in Behandlung zu nehmen und zur Berathung an die Räthe nachrüken zu lassen, deren Erlaß der gesammten dannzumaligen Sachlage entsprechend sein würde. Der Erlaß auch nur der Geseze, welche von der neuen Bundesverfassung ausdrüklich vorgesehen sind, dürfte mehrere Jahre in Anspruch nehmen, wobei die geringsten Schwierigkeiten auf Seiten der vorberathenden, ständigen Behörde liegen dürften. Die Ausdehnung und Vervielfachung der Sessionen der gesezgebenden Räthe aber hat ihre Grenzen ; die neunzigtägige Referendumsfrist verlangsamt den Gang der Gesezgebung ebenfalls, und die mögliche Verwerfung eines einzigen Hauptgesezes kann die Gesezgebung auf dem betreffenden Gebiete urn ein volles Jahr zurükstellen. Daneben ist, und zwar nicht zum Mindesten, in Berüksichtigung zu ziehen, daß die Kantone durch jedes neue Bundesgesez zu Revisionen ihrer Gesezgebung veranlaßt werden, zu welchen ihnen eine gewisse Zeit gelassen werden muß und die nicht allzusehr kumulirt werden dürfen. Ebenso hat die Fähigkeit nnd Willigkeit des Volkes, neue Geseze aufzunehmen, ihre natürlichen Grenzen, welche nicht ungestraft überschritten werden. Manche der Veränderungen, die ihm bevorstehen, sind tiefeingreifender Natur, und die Behörden werden gut daran thun, bei dem gesetzgeberischen Ausbau der Verfassung die Kräfte und dieStimmung- der schweizerischen Bevölkerung nicht zu überspannen.

Wenn demgemäß für den Erlaß der durch die neue Bundesverfassung bedingten, beziehungweise der von ihr ausdrüklich verlangten Geseze ein Zeitraum von mehreren Jahren in Aussicht genommen
werden muß, und man sieh dabei vergegenwärtigt, wie viel Unvorhergesehenes während dieser Zeit bei den Vorberathungen der Geseze, der Behandlung und Erledigung derselben in den Rätheu, in dem Verhalten des Volkes, in der ganzen Situation eintreten kann, so dürfte es ziemlich gewagt erscheinen, für die

178 Reihenfolge der zu erlassenden Geseze auf so lange hinaus ein bestimmtes Programm aufstellen zu wollen. Die Erfahrungen, welche in den Kantonen mit derartigen Programmen für die Gesezgebung gemacht worden sind, sprechen wenig zu Gunsten solcher Vorausbestimmungen und lassen uns fürchten, daß auch das Programm für die eidgenössische Gesezgebung in kurzer Zeit vergessen oder dessen Durchführung* durch die Umstände gestört sein wird.

Immerhin wird eine solche Darstellung den Nuzen gewähren, in übersichtlicherer Weise als dies die Verfassung selbst leistet, einen Ausblik über die gesezgeberischen Gesammtaufgaben der nächsten Jahre zu geben und, wenn auch nur sehr im Allgemeinen und unter Vorbehalt der je nach dem weitern Verlauf der Dinge notliwendig erscheinenden Modifikationen, als Leitung findie Vorberathung und den Erlaß der Geseze zu dienen.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen geben wir zunächst eine Zusammenstellung dieser auf den verschiedenen Gebieten behufs Ausführung der Bundesverfassung zu erlassenden Geseze, und werden uns dann erlauben, Ihnen unsere Ansichten darüber vorzulegen, welche Reihenfolge dafür in Aussicht zu nehmen sein dürfte.

Die Geseze, welche die neue Bundesverfassung ausdrüklich vorsieht oder nothwendig bedingt, sind nachfolgende :

A. Organisation der Bundesgewalten.

Gesez betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse. (Art. 89--93.)

Gesez über Orgaaisation und Competenzen des Bundesgerichts.

CArt. 1070 Gesez über Organisation und Geschäftsführung des Bundesrathes.

B. Landesverteidigung.

Gesez über Organisation des schweizerischen Militärwesens.

(Art. 19, 20.)

Gesez über die Organisation der Militäradministration.

Gesez über die Militärpensionen. (Art. 18.)

Gesez über Enthebung von der Wehrpflicht. (Art. 18.)

Gesoz über die Militärsteuer. (Art. 18.)

Gesez über die Benuzung der Waffenpläze und Militäranstalten.

(Art. 22.)

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C. Volkswirtschaft.

Gesez betreffend die Oberaufsicht über die Wasser- und Forst polizei im Hochgebirge. (Art. 24.)

Gesez über Maß und Gewicht. (Art. 40.)

Gesez über die Ausübung der Fischerei und Jagd. (Art. 25.)

Gesez zum Schuze der für die Forstwirtschaft nüzlichen Vögel.

(Art. 25.)

Gesez über Expropriation bei Errichtung und Unterstü/ung öffentlicher Werke durch die Eidgenossenschaft. (Art. 23.)

Gesez über Verwendung von Kindern und Dauer der Arbeit in den Fabriken, sowie zum Schuze der Arbeiter gegen einen die Gesundheit und Sicherheit gefährdenden Gewerbbetrieb.

(Art. 34.)

Gesez betreffend den Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenturen. (Art. 34.)

Gesez betreffend den Geschäftsbetrieb von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens. (Art. 34.)

Gesez über die Ausgabe und Einlösung von Banknoten. (Art. 39.)

Gesez über Lotterie. (Art. 35.)

Gesez über die kantonalen Ausweise für die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten. (Art. 33.)

D. Cultus.

Gesez über Steuern zu Cultuszweken.

(Art. 49.)

E. Cirilstand und Ehe.

Gesez über die Feststellung und Beurkundung des Civilstandes (Art. 53.)

Gesez über die Erfordernisse zur Eingehung der Ehe und über deren Trennung. (Art. 54.)

F. Bürgerrecht und Niederlassung.

Gesez über die politische- Sciminberechtigung der Schweizerbürger. (Art. 47 und 66.)

Gesaz über die bürgerliche und zivilreehtliche Stelllung der Niedergelassenen und Aufenthalter. (Art. 45, 46 und 47.)

180 Gesez über Erwerb und Verlust des Bürgerrechtes. (Art. 44.)

Gesez über Dauer und Kosten der Niederlassungsbewilligung.

(Art. 45.)

Gesez über die Verpflegung und Beerdigung armer schweizerischer Niedergelassener. (Art. 48.)

G. Civilrecht.

Gesez über die persönliche Handlungsfähigkeit. (Art. 64.)

Gesez über das Obligationsrecht mit Inbegriff des Handels- und Wechselrecbtes. (Art. 64.)

Gesez über das Betreibungsverfahren und das Konkursrecht (Art. 64.)

Gesez über das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst. (Art. 64.)

% H. Finanzen.

Gesez über die Entschädigung an die Kantone, welche unter die Bestimmung des Art. l Lern. 2 der Uebergangsbestimmungen der neuen Bundesverfassung fallen. (Uebevgangsbest. Art. l,) Gesez über die Geldscala.

Diese Zusammenstellung, welche mehrerer wichtiger, gegenwärtig in Behandlung liegender und später noch zu erlassender Geseze aus dem Gebiete des Eisenbahnwesens und aus anderen Gebieten nicht erwähnt, weil dieselben ihre konstitutionelle Unterlage nicht erst durch die neue Bundesverfassung erhalten haben, weist im Ganzen 35 verschiedene Geseze auf, von denen nicht wenige eben so umfassender als tiefgreifender Natur sind.

Die eidgenössischen Räthe werden zu deren Berathung und Festeilung wenigstens 5 starke Sessionsabtheilungen bedürfen, wobei angenommen ist, daß während jeder dieser Abtheilungen zwanzig Sizungstage ausschließlich auf Berathung dieser Gesezesvorlagen verwendet werden. Wir kommen unter dieser Voraussezung und ebne Rüksichtnahme auf andere, oben berührte Umstände, welche zu einer Verlangsamving des ganzen Prozesses führen können, auf einen Zeitraum von 2--3 Jahren als Minimum für den Erlaß der ersten durch die neue Bundesverfassung bedingten Geseze.

Was nun die Reihenfolge betrifft, welche für die Anhandnahme und den Erlaß dieser Geseze aufzustellen sein möchte, so dürfte ein bezüglicher Vorschlag um so mehr praktischen Werth hnben.

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je größer und allgemeiner dessen Umrisse gehalten sind. Von diesem Gesichtspunkte aus vertheilen wir die eben genannten G-eseze in 3 Serien, welche bestimmt wären, der Zeit nach auf einander zu folgen und innerhalb welcher den Umständen und Verhältnissen der nöthige .Spielraum offen bliebe.

Es würden fallen in die

I. Serie.

A u s A: Gesez über die Volksabstimmung, über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse. -- Bereits erlassen und in Kraft. -- Gesez über Organisation und Kompetenzen des Bundesgerichts.

-- Bereits erlassen und in Kraft.

Aus B : Gesez über Organisation des schweizerischen Militärwesens.

Gesez über die Militärpensionen.

Aus C: Gesez über Maß und Gewicht.

Gesez über die Oberaufsicht über die Wasser- und Forstpolizei im Hochgebirge.

Gesez über die Ausgabe und Einlösung von Banknoten.

Aus D : Gesez über Steuern zu Cultuszweken.

Aus E : Gesez über den Civilstand und über die Etie.

Aus F: Gesez über die politische Stimmberechtigung der Schweizerbürger.

Gesez über die bürgerliche und civilrechtliche Stellung der Niedergelassenen und Aufenthalter.

Gesez über den Erwerb und Verlust des Bürgerrechts.

Aus H: Gesez über die Geldscala.

Gesez betreffend die Kantone, welche unter Art. 1 lein. 2 der Uebergangsbestimmungen der Bundesverfassung fallen.

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II. Serie.

A u s A: Gesez über Organisation und Geschäftsführung des Bundesrathes-

Gesez Gesez Gesez Gesez

A u s B: über Organisation der Militäradministration.

über die Militärsteuer.

über Enthebung von der Wehrpflicht.

über die Benuzung der Waffenpläze und Militäranstalten.

Aus C: Gesez über Expropriation bei Errichtung und Unterstüzung öffentlicher Werke etc.

Gesez über Verwendung von Kindern und Dauer der Arbeit in den Fabriken etc.

Gesez über den Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenturen.

Gesez über die kantonalen Ausweise für die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten. (Freizügigkeit.)

Aus F: Gesez über die Dauer und Kosten der Niederlassungsbewilligung.

Gesez über die Verpflegung und Beerdigung armer schweizerischerNiedergelassener etc.

Aus G: Gesez über das Betreibungsverfahren und den Concurs.

Gesez betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit.

Gesez über das Obligationenrecht mit Inbegriff des Handels- und Wechselrechts.

III. Serie.

Aus B: Weitere Ausführungsgeseze.

Aus Gesez über Gesez zum lichen

C: Ausübung der Fischerei und Jagd.

Schuz der für die Land- und Forstwirtschaft nüzVögel.

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Gesez über den Geschäftsbetrieb von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens.

Gesez über die Lotterien.

Aus G: Gesez über das Urheberrecht an Werken der Litteratur und Kunst.

Indem wir Ihnen die Vernehmlassimg vorzulegen die Ehre haben, erlauben wir uns noch zu bemerken, daß wir es absichtlich unterlassen, einen bestimmten Verschlag zu formuliren, weil wir von vornherein als selbstverständlich angenommen, daß es nicht die Absicht des hohen Nationalratb.es sei, das Programm zum Gegenstand eines Beschlusses zu machen, vielmehr der Zwek seines Auftrages mit Kenntnißnahme des Berichts erfüllt sein dürfte..

B e r n , den 9. Oktober 1874.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft;

Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend -die Konzession einer Eisenbahn von Chambésy an die schweizerisch-französische Grenze gegen Fernex.

(Vom 9. Oktober 1874.)

Tit.!

Herr Joseph F u c h e z , Civilingenieur in Lyon, sucht um die Konzession für das auf schweizerischem Gebiet gelegene Stük einer Eisenbahn nach, welche Genf mit Dijon, also auch mit Paris, auf einem 114 Kilometer kürzeren Wege verbinden soll, als dies durch die gegenwärtig bestehende Eisenbahn der Gesellschaft Paris-LyonMéditerranée über Culoz, Bourg und Mâcon geschieht. Die projektirte Linie zweigt bei Chambésy von dem Schienenstrang der Suisse Occidentale ab, führt über Fernex, Gex, St. Claude und Clairvaux nach Lons-le Saulnier, der Hauptstadt des Département du Jura, und von da nach St. Jean-de-Losne zum Anschluß an eine bereits konzedirte Linie nach Dijon. Die Länge des Trace beträgt 197 Kilometer, wovon bloß 2 Kilometer auf schweizerisches Gebiet entfallen.

Im Département de la Côte d'Or hat Herr Fuchez die Konzession unterm 16. April und 20 Juli d. J. erhalten ; im Département du Jura wird sie wahrscheinlich im Oktober d. J. definitiv werden-, im Département de l'Ain werden die nöthigen Vorarbeiten gemacht,

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Bericht des Bundesrathes an den Nationalrath auf dessen Postulat vom 25. Juni d. J.

betreffend das Programm über die Reihenfolge der nach Annahme der Bundesverfassung vom 29. Mai d. J. zu erlassenden Geseze. (Vom 9. Oktober 1874.)

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24.10.1874

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