11.418 Parlamentarische Initiative Gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 22. Januar 2016

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes vom 18. März 19941 über die Krankenversicherung (KVG). Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

22. Januar 2016

Im Namen der Kommission Der Präsident: Ignazio Cassis

1

SR 832.10

2016-0531

3385

Übersicht Mit der vorgeschlagenen Gesetzesrevision soll der Berufsstatus der Pflegefachpersonen (bis anhin in der Gesetzgebung als «Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner» bezeichnet) aufgewertet werden. Das längst nicht mehr zutreffende Image eines Hilfsberufs soll überwunden werden. Pflegefachpersonen sollen mit ihren spezifischen Kompetenzen besser wahrgenommen und ihre Rolle in einer patientenzentrierten Gesundheitsversorgung gestärkt werden.

Neu sollen die Pflegefachpersonen einen Teil der Pflegeleistungen, nämlich die Leistungen der Abklärung, Beratung und Koordination sowie der Grundpflege (inkl.

psychiatrische Grundpflege) nicht mehr auf Anweisung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin erbringen, sondern sie sollen direkten Zugang zu den Patientinnen und Patienten haben ­ sowohl im Spital als auch als selbständige und auf eigene Rechnung tätige Pflegefachperson, als Angestellte eines Pflegeheims und als Angestellte einer Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause. Für die Behandlungspflege ist weiterhin ein Auftrag oder eine Anordnung eines Arztes oder einer Ärztin erforderlich. Der Bundesrat wird die Leistungen definieren. Diese Aufwertung des Berufsstatus soll dazu beitragen, die Attraktivität des Pflegeberufs zu erhöhen, die Rekrutierung von jungen Erwachsenen und Wiedereinsteigerinnen zu erleichtern und die Verweildauer im Beruf zu verlängern.

Pflegefachpersonen sollen deshalb ausdrücklich in den Katalog der Leistungserbringer nach Artikel 35 Absatz 2 KVG aufgenommen werden. Auch die übrigen Gesetzesbestimmungen zu den Pflegefachpersonen sind anzupassen, wie auch die diesbezüglichen Verordnungsbestimmungen. Auf Verordnungsebene werden zudem die Fragen der Umsetzung zu klären sein, wie insbesondere die erforderlichen Kompetenzen und Bildungsabschlüsse. Weitere Fragen wie die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung bedürfen der Klärung zwischen den Tarifpartnern.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die neue Regelung zu einer Ausweitung der Pflegeleistungen und damit zu einem Anstieg von Kosten und Prämien führen könnte, sind flankierende Massnahmen vorgesehen: Die vorderhand bis zum 30. Juni 2016 befristete Kompetenz der Kantone zur bedarfsabhängigen Zulassung von Leistungserbringern soll auf die Pflegefachpersonen ausgedehnt werden. Zudem sollen
Pflegefachpersonen nur mit jenen Versicherern direkt abrechnen können, mit denen sie vorgängig einen Zulassungsvertrag haben abschliessen können.

Der Bundesrat soll dem Parlament fünf Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regelung insbesondere über die wirtschaftlichen Auswirkungen Bericht erstatten. Vorsichtshalber ist vorgesehen, dass die Änderungen nach sechs Jahren ausser Kraft treten.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 16. März 2011 reichte Nationalrat Rudolf Joder (SVP, BE) die parlamentarische Initiative mit folgendem Wortlaut ein: «Das KVG ist dahingehend anzupassen, dass die Gesundheits- und Krankenpflege als Leistungen definiert werden, die von Pflegefachpersonen zu einem näher zu definierenden Teil auf ärztliche Anordnung und zu einem näher zu definierenden Teil in eigener Verantwortung erbracht werden.» Der Initiant begründete sein Anliegen im Wesentlichen mit folgenden Argumenten: Die Bedeutung der Pflege werde angesichts der zunehmenden Alterung der Bevölkerung und des chronischen Charakters vieler Krankheiten markant zunehmen.

Auch die Einführung der Fallpauschalen, die zu schnelleren Entlassungen von Patienten aus Spitälern führe, erhöhe die Ansprüche an die Pflege. Gleichzeitig zeichne sich ein Mangel an Pflegepersonal ab. Eine gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege steigere die Attraktivität des Berufs, erleichtere die Rekrutierung junger Berufsleute und trage dazu bei, dass qualifizierte Pflegefachpersonen länger im Beruf blieben. Die vorgeschlagene Regelung trage zu einer Kostensenkung bei; eine Mengenausweitung werde es nicht geben.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) gab der parlamentarischen Initiative am 2. Februar 2012 mit 20 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen Folge. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) stimmte diesem Beschluss am 16. April 2012 mit 9 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu.

Die SGK-NR erteilte ihrer Subkommission «KVG»2 am 29. Juni 2012 den Auftrag, einen Erlassentwurf zu erarbeiten. Die Subkommission bereitete am 29. August 2012 ein Hearing vor, das sie am 9. Januar 2013 mit Vertreterinnen und Vertretern der Pflegewissenschaft, der Pflegeberufe und der Hausärzte durchführte. An ihren Sitzungen vom 22. Mai 2013, 9. Oktober 2013, 13. November 2013 und 21. Mai 2014 diskutierte sie über eine Änderung des KVG und beriet einen entsprechenden Vorentwurf. Sie zog dazu ­ gestützt auf Art. 112 Abs. 1 ParlG3 ­ Sachverständige des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) bei. Die SGK-NR beriet den Vorentwurf an ihren Sitzungen vom 13. August 2014, 15. Oktober 2014 und 23. Januar 2015. Am 15. April 2015 prüfte sie den erläuternden Bericht und beschloss, ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen. Am 22. Januar 2016 nahm sie deren Ergebnisse zur Kenntnis und stimmte dem vorliegenden Bericht- und Erlassentwurf mit 17 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu.

2 3

Humbel, Bortoluzzi, Carobbio Guscetti, Cassis, Fehr Jacqueline, Frehner, Gilli, Moret, Schmid-Federer, Stahl, Steiert.

SR 171.10

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2

Ausgangslage

2.1

Pflegefachpersonen

2.1.1

Allgemeines zur Bildungssystematik der Gesundheitsberufe

Mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1999 wurde dem Bund die Regelungskompetenz über sämtliche Berufsbildungsbereiche übertragen. Mit dem neuen Berufsbildungsgesetz von 2004 und der Teilrevision des Fachhochschulgesetzes 2005 wurden die Gesundheitsberufe auch auf Gesetzesstufe integriert 4. 2006 haben Volk und Stände neue Verfassungsbestimmungen zur Bildung gutgeheissen, die unter anderem eine einheitliche Steuerung des gesamten Hochschulbereichs vorsehen.

Durch die Einführung neuer Kompetenzen und Verantwortlichkeiten hat diese Revision der Bildungssystematik ein neues Gesicht verliehen. Den Personen in den Gesundheitsberufen stehen vielfältige Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten offen: neben Berufen der beruflichen Grundbildung (Sekundarstufe II z.B.

Dentalassistent/in EFZ), der höheren Berufsbildung (Tertiär B: eidg. Prüfung z.B.

zum Fachexperten in Infektionsprävention im Gesundheitswesen oder höhere Fachschulen z.B. zum dipl. Rettungssanitäter HF) stehen auch Angebote an Fachhochschulen und Universitäten (Tertiär A) zur Auswahl 5.

2.1.2

Bildungsgänge für den Pflegefachberuf

Für diplomierte Pflegefachpersonen gibt es derzeit zwei Bildungsgänge: ­

Berufsbildung an einer höheren Fachschule (HF, Tertiärstufe B) für einen Abschluss als diplomierte Pflegefachperson HF;

­

Ausbildung an einer Fachhochschule (FH, Tertiärstufe A) für einen Abschluss als Bachelor of Science FH in Pflege.

Zwei Gesetzgebungen definieren die Anforderungen an diese Bildungsgänge. Zum einen reglementiert das Berufsbildungsgesetz6 (BBG) die Bildungsgänge der höheren Pflegefachschulen, wo das Pflegefachdiplom HF erworben werden kann. Die Kompetenzen, über die die Diplomierten verfügen müssen, werden im Rahmenlehrplan für den Bildungsgang Pflege zur dipl. Pflegefachfrau HF / zum dipl. Pflegefachmann HF präzisiert. Dieser wurde am 4. September 2007 von der OdASanté und der Schweizerischen Konferenz Pflegebildungen im Tertiärbereich (SKP) erlassen und am 24. September 2007 vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie 4

5

6

Seit 2005 fallen die FH-Studiengänge im Gesundheitswesen in den Zuständigkeitsbereich des Bundes. Sie werden daher in der Verordnung des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung über Studiengänge, Nachdiplomstudien und Titel an Fachhochschulen vom 2. September 2005 (SR 414.712) geregelt.

Weiterführende Informationen sind zur Bildungssystematik der Gesundheitsberufe zu finden unter: www.obsan.ch > Publikationen > Obsan Dossier 24; oder unter: www.odasante.ch > Bildungssystematik > Grafik mit Berufen.

SR 412.10, per 1. Januar 2004 in Kraft getreten.

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(BBT) genehmigt. Der Rahmenlehrplan ist am 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Die revidierte Version des Rahmenlehrplans Pflege HF gilt seit dem 14. Februar 2011.

Gemäss der Verordnung des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) über Mindestvorschriften für die Anerkennung von Bildungsgängen und Nachdiplomstudien der höheren Fachschulen (MiVo-HF) muss der Rahmenlehrplan «periodisch überprüft und den wirtschaftlichen, technologischen und didaktischen Entwicklungen angepasst» werden (MiVo-HF Art. 7 Abs. 4).

Auszug aus dem Rahmenlehrplan «Pflege» Die Tätigkeiten der diplomierten Pflegefachperson HF umfassen ein breites Spektrum von Aufgaben der Gesundheitsversorgung: ­

die Pflege und Betreuung von physisch und psychisch kranken und behinderten Menschen in allen Lebensphasen und mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen;

­

die Prävention von Krankheiten und die Gesundheitsförderung;

­

die Mitarbeit bei der Entwicklung von politischen Strategien zur Förderung der langfristigen Gesundheit der Bevölkerung;

­

usw.

Die Tätigkeiten lassen sich anhand des Kontinuums der Pflege folgendermassen gliedern: ­

Gesundheitserhaltung und -förderung, Prävention

­

akute Erkrankungen

­

Rekonvaleszenz und Rehabilitation

­

Langzeitpflege

­

palliative Pflege und Betreuung

Die diplomierte Pflegefachperson HF trägt die fachliche Verantwortung für den gesamten Pflegeprozess und für die Ausführung der organisatorischen und medizinisch-technischen Aufgaben, welche ihr delegiert wurden. Sie arbeitet effizient, analytisch, systematisch, evidenzbasiert und reflektiert. Sie berücksichtigt ethische und rechtliche Prinzipien, den Gesundheitszustand, die Bedürfnisse und Ressourcen, das Alter, das Geschlecht, die Biografie, den Lebensstil und die soziale Umgebung der Patientinnen/Patienten sowie das kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld. [...]

(Quelle: www.sbfi.admin.ch/bvz/hbb/index.html?lang=de&detail=1&typ=RLP&item=17)

Zum anderen regelte das Fachhochschulgesetz7 (FHSG) die Anforderungen an die Studiengänge Bachelor of Science und Master of Science an den Fachhochschulen.

Es bildete den gesetzlichen Rahmen für den Abschluss Bachelor of Science (BSc.)

7

SR 414.71, per 1. Januar 2004 in Kraft getreten.

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in Pflege, mit dem der Pflegefachberuf ausgeübt werden kann. Das FHSG wurde durch das Bundesgesetz vom 30. September 2011 über die Förderung der Hochschulen und die Koordination im schweizerischen Hochschulbereich (HFKG)8 ersetzt, das den Gesetzgebungsauftrag des neuen Verfassungsartikels 63a9 umsetzt. Dieser neue Verfassungsartikel verpflichtet Bund und Kantone, gemeinsam für einen wettbewerbsfähigen und koordinierten gesamtschweizerischen Hochschulbereich von hoher Qualität zu sorgen. Das HFKG hat jedoch nicht zum Ziel, Anforderungen an die Ausbildung zu definieren. Es ist daher angezeigt, ein Gesetz für die Gesundheitsberufe auszuarbeiten, das die in den entsprechenden Studiengängen zu erwerbenden Kompetenzen festlegt. Dazu dient das künftige Bundesgesetz über die Gesundheitsberufe (GesBG, s. Ziff. 2.2.).

In Erwartung dieser normativen Vorgaben wurden die Bildungscurricula auf Bachelorstufe der FH-Studiengänge im Gesundheitswesen in Anlehnung an den Bericht Projekt Abschlusskompetenzen FH-Gesundheitsberufe10 (2009) konzipiert. Der Bericht präsentiert die Ergebnisse der im Auftrag des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie11 ausgeführten Arbeiten der Rektorenkonferenz der Fachhochschulen der Schweiz (KFH). Er beschreibt für jeden betroffenen Gesundheitsberuf und damit auch für den Pflegeberuf die zu vermittelnden Abschlusskompetenzen auf Bachelor-, aber auch auf Masterstufe. Darin enthalten sind allgemeine Kompetenzen, die für alle Gesundheitsberufe gelten, was zur Entwicklung einer berufsübergreifenden Arbeitskultur beiträgt. Ebenso wurden auch berufsspezifische Kompetenzen definiert.

2.1.3

Statistik der Pflegeabschlüsse

Aus statistischer Sicht zeigt Tabelle 1 die Entwicklung der Anzahl Pflegeabschlüsse über die beiden Bildungswege höhere Fachschule HF und Bachelor FH von 2010 bis 2014.

Tabelle 1 Anzahl Abschlüsse in den Studiengängen Pflege FH und Pflege HF

2010 2011 2012 2013 2014

Total

Pflege Bachelor FH Tertiär A

Pflege HF Tertiär B

2290 1987 1813 2202 2445

614 681 704 755 843

1676 1306 1109 1447 1710

Quelle: BFS, 2015.

8 9 10 11

SR 414.20, per 1. Januar 2015 in Kraft getreten.

In der Volksabstimmung vom 21. Mai 2006 angenommen.

Projekt Abschlusskompetenzen FH-Gesundheitsberufe, C. Ledergerber, J. Mondoux, B. Sottas, KFH, 2009.

Seit 1. Januar 2013 Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).

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2.1.4

Ausübung des Pflegeberufs und Kompetenzbereich

Der Zugang zur Ausübung von nicht universitären Gesundheitsberufen wird derzeit von den kantonalen Gesetzgebungen geregelt. Im Pflegebereich machen die derzeit geltenden kantonalen Bestimmungen bezüglich Zugang zur Berufsausübung keinen Unterschied zwischen den Bildungswegen: Pflegefachleute mit Bachelor FH und solche, die einen vom Bund anerkannten Bildungsgang in Pflege an einer höheren Fachschule (HF) abgeschlossen haben, unterliegen derzeit denselben Regelungen und haben gleichermassen Zugang zur Berufsausübung.

Die Patientensicherheit wird dadurch gewährleistet, dass die Pflegefachleute genau wie die universitären Medizinalberufe dafür verantwortlich sind, dass sie ihre Leistungen im Rahmen ihrer im Laufe der Aus- und Weiterbildung erworbenen Kompetenzen erbringen.

Aufgrund ihrer Ausbildung sind diplomierte Pflegefachkräfte (sowohl mit HFDiplom als auch mit Bachelor FH) namentlich in der Lage, selbstständig eine Pflegediagnose zu stellen, den Pflegebedarf zu beurteilen und die erforderlichen Massnahmen zu treffen. Sie haben jedoch weder die Fähigkeit noch die Kompetenzen, beim Stellen einer medizinischen Diagnose den Arzt oder die Ärztin zu ersetzen.

2.1.5

Ausbildungen auf Sekundarstufe II für Berufe im Pflegebereich

Mit der Einbindung der Gesundheitsberufe in die schweizerische Bildungssystematik kam es zu einer Diversifizierung der Qualifikationen und zur Entstehung neuer Berufe im Pflegebereich.

Auf Sekundarstufe II werden nun mehrere Ausbildungen mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) angeboten, und zwar für folgende Berufe: ­

Fachfrau/-mann Gesundheit (FaGe);

­

Fachfrau/-mann Betreuung (FaBe).

Auf Sekundarstufe II wird auch ein eidgenössisches Berufsattest als Assistent/-in Gesundheit und Soziales (AGS) angeboten.

Diese Ausbildungen führen zur Berufstätigkeit im Gesundheitswesen und sind nicht mit den diplomierten Pflegefachpersonen zu verwechseln. Ihr Berufsbild und ihr Kompetenzbereich werden aufgrund des Berufsbildungsgesetzes und der dazugehörigen Verordnungen in Rahmenlehrplänen definiert12. Diese Berufspersonen der Sekundarstufe II wirken in ihrem Kompetenzbereich selbstständig (im fachlichen Sinne und nicht im Sinne von wirtschaftlich selbstständig). Sie sind gemäss den derzeit gültigen kantonalen Reglementierungen jedoch nicht zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt.

12

Der Obsan-Bericht Bildungsabschlüsse im Bereich Pflege und Betreuung, systematische Übersichtsarbeit (2013) beinhaltet einen Kurzbeschrieb der Berufsbilder. Siehe www.obsan.ch > Publikationen > Obsan Dossier 24.

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2.1.6

Statistik des Pflegefachberufs

Das allgemeine Konzept zur Schätzung des Pflegefachpersonals in der Schweiz besteht darin, die im Pflegebereich tätigen Personen in Spitälern, Pflegeheimen und bei der Spitex zusammenzuzählen. Die nach Tätigkeitsort ­ Spitäler (K+), sozialmedizinische Einrichtungen (Somed) und Spitex ­ erstellten Statistiken des Bundesamtes für Statistik (BFS) erfassen Personalbestände, aber auch Schätzungen bezüglich Vollzeitäquivalenten (VZÄ).

Aufgrund der verfügbaren statistischen Daten (vgl. Tabelle 2) schätzt13 man die Zahl der Pflegefachleute im Schweizer Gesundheitswesen im Jahr 2013 auf 87 654 Personen, was 60 365 VZÄ entspricht. Die Pflegefachleute bilden die grösste Berufsgruppe vor den Ärztinnen und Ärzten, deren Zahl auf 40 000­46 000 Personen geschätzt wird. Die Spitäler sind der wichtigste Arbeitgeber der Pflegefachleute.

Tabelle 2 Schätzung des Pflegefachpersonals im Schweizer Gesundheitswesen, nach Tätigkeitsort, per 31.12.2013.

Spitäler Anzahl Personen

Pflege- 56 799 fachleute

Pflegeheime

Spitex

Total

VZÄ14

Anzahl Personen

VZÄ

Anzahl Personen

VZÄ

Anzahl Personen

VZÄ

43 632

17 658

10 581

13 197

6 151

87 654

60 365

Quelle: Auszug aus BFS-Aufstellung, nur Pflegefachpersonen mit tertiären Abschlüssen

Die Krankenhausstatistik des BFS besagt, dass 2013 33 Prozent des Pflegepersonals ausländischer Nationalität und 67 Prozent Schweizer Staatsbürgerinnen und -bürger waren. In dieser Statistik umfasst der Begriff Pflegepersonal jedoch sowohl Berufsleute mit Abschlüssen auf Sekundarstufe II als auch solche mit Tertiärabschlüssen.

Für den Anteil ausländischer Pflegefachleute auf Tertiärstufe liegen derzeit keine statistischen Daten vor.

Im gesamten Gesundheits- und Sozialwesen waren 2014 etwa 21 Prozent der Erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländer. Bezogen auf alle Wirtschaftszweige war der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer auf 26 Prozent der Erwerbsbevölkerung zu schätzen, wobei die Schweiz einen Anteil an ausländischer Wohnbevölkerung von 24,3 Prozent hatte.

Die Spitex-Statistik des BFS15 zählte 2014 759 selbstständige Pflegefachleute, die Pflegeleistungen zu Hause anbieten. Das entspricht 455 VZÄ.

13

14

Man spricht hier von Schätzung, da man aufgrund des statistischen Konzepts nicht ausschliessen kann, dass eine Person, die mehrere Tätigkeiten in Teilzeit ausübt, mehrmals erfasst wird. Ist eine Person beispielsweise gleichzeitig in einem Spital und bei der Spitex tätig, wird sie zweimal gezählt.

Vollzeitäquivalent (VZÄ)

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In Anbetracht der absehbaren Zunahme der Bedürfnisse und im Bewusstsein um die künftigen Herausforderungen hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) in Zusammenarbeit mit anderen Partnern16 den Masterplan «Bildung Pflegeberufe» initiiert. Der Masterplan soll die Attraktivität und die Anzahl Ausbildungsabschlüsse im Pflegebereich erhöhen.

2.1.7

Rollenentwicklung

Wie der Bericht Die zukünftigen Berufsbilder von ÄrztInnen und Pflegenden17 (2007 und 2011) hervorhebt, arbeiten Pflegefachleute, genau wie Ärztinnen und Ärzte und die restlichen Gesundheitsfachleute, nicht in einem geschützten Rahmen. «Die gesellschaftlichen Entwicklungen in allen Bereichen (vom Werte- bis zum Wirtschaftssystem) haben entscheidenden Einfluss auf die Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit.»18 Dieses Phänomen, verstärkt durch die jüngsten Veränderungen in der Schweizer Bildungslandschaft und die Entstehung neuer Qualifikationen, hat in Kombination mit den steigenden Bedürfnissen dazu beigetragen, dass zahlreiche Reflexionsarbeiten und Pilotprojekte zur Teamzusammensetzung, d.h. zum «Skill-/ Grade-Mix», sowie zu Profil und Kompetenzen jeder Berufsgruppe lanciert wurden.

Die Reflexionsarbeiten gehen aus von den Gegebenheiten in diesem Bereich, den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten sowie der Einrichtungen, die Pflegepersonal beschäften, wie auch von den Bedürfnissen der Kantone, die für die Planung, die Versorgung und teilweise auch für die Finanzierung zuständig sind.

2.2

Das geplante Gesundheitsberufegesetz

Das geplante Gesundheitsberufegesetz (GesBG) soll im Interesse der öffentlichen Gesundheit die Qualität in den Gesundheitsberufen, die mehrheitlich auf Fachhochschulniveau (FH) vermittelt werden, fördern. Dazu werden gesamtschweizerisch einheitliche Anforderungen an die Ausbildung und Berufsausübung festgelegt, wobei die geltende Reglementierung in der höheren Berufsbildung und in den universitären Medizinalberufen berücksichtigt wird.

Der aus einer Zusammenarbeit zwischen dem BAG und dem SBFI hervorgegangene Entwurf des Gesetzes soll den gesundheits- und bildungspolitischen Anforderungen entsprechen. Die Vorlage lehnt sich konzeptionell an das Medizinalberufegesetz

15

16

17 18

Selbstständige Pflegefachleute, die weniger als 250 Stunden Leistungen pro Jahr erbringen oder ein Pensum von unter 25 % haben, sind nicht verpflichtet, an der statistischen Erhebung des BFS teilzunehmen.

Darunter Bundesamt für Gesundheit, Kantone (Erziehungsdirektorenkonferenz [EDK] und Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoreninnen und -direktoren [GDK]) sowie Nationale Dachorganisation der Arbeitswelt Gesundheit (OdASanté).

Die zukünftigen Berufsbilder von ÄrztInnen und Pflegenden, Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, 2011.

SAMW, 2011, S. 5

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vom 23. Juni 2006 (MedBG)19 an. Die Vorlage wurde im November 2015 dem Parlament überwiesen.

Der Entwurf des GesBG regelt die Hochschulstudiengänge in der Pflege, der Physiotherapie, der Ergotherapie, der Ernährung und Diätetik, der Optometrie, der Osteopathie sowie der Hebammen. Es legt die allgemeinen Kompetenzen gesamtschweizerisch einheitlich fest. Die Regelung der berufsspezifischen Kompetenzen delegiert die Vorlage an den Bundesrat.

Die Anforderungen an die Bildungsgänge in Pflege an höheren Fachschulen (HF) werden weiterhin im BBG20 definiert.

Da der Bereich der Gesundheitsberufe hohe Risiken für die Patientinnen und Patienten bergen kann, sieht die Vorlage eine Bewilligungspflicht für die Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung vor. Der Ausdruck «Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung»21 geht weiter als der Begriff «selbstständige Berufsausübung»: Er umfasst auch Personen, die berufliche Verantwortung im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses tragen. Dieses gesamtschweizerisch harmonisierte Konzept gewährleistet, dass die Verantwortung für eine Behandlung bei einer entsprechend geschulten Fachperson liegt. Diese Bewilligungspflicht wird mit Berufspflichten und Disziplinarmassnahmen kombiniert. So trägt das GesBG zur Gewährleistung der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit bei.

Artikel 117a Absatz 2 Buchstabe a BV verleiht dem Bund die umfassende Kompetenz zur Regelung der Anforderungen an die Berufsausübung aller Berufe der medizinischen Grundversorgung, unabhängig von der Form der Berufsausübung. Gestützt darauf werden auch Personen erfasst, die in öffentlichen Institutionen nicht privatwirtschaftlich tätig sind. Die Gesetzgebung für die Berufsausübung ohne eigene fachliche Verantwortung bleibt hingegen Sache der Kantone.

Ein erklärtes bildungs- und gesundheitspolitisches Ziel in der Pflege ist die Berechtigung sowohl des HF-Diploms Pflege wie auch des Bachelordiploms FH Pflege zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung. Durch beide Ausbildungen werden Kompetenzen erworben, die für eine qualitativ hochwertige Berufsausübung Gewähr bieten und die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden. Ausbildungsangebote auf beiden Bildungsstufen verbreitern das Feld für die Rekrutierung geeigne19 20 21

SR 811.11 SR 412.10 Der Begriff «Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung» umfasst sowohl die unselbstständige (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines öffentlichen oder privaten Unternehmens) als auch die selbstständige Ausübung, solange diese nicht unter der Aufsicht einer Angehörigen oder eines Angehörigen desselben Berufs geschieht. Bei den in eigener fachlicher Verantwortung tätigen Personen handelt es sich also um die selbstständig, beispielsweise in einer eigenen Praxis tätigen Gesundheitsfachpersonen, gleichzeitig aber auch um angestellte Führungskräfte, welche die fachliche Verantwortung für die korrekte Berufsausübung der ihnen unterstellten Mitarbeitenden tragen, und um angestellte Fachkräfte, die ihre Tätigkeit alleine ausüben und keiner fachlichen Aufsicht unterstehen.

So wären zum Beispiel eine Person, die den Pflegedienst eines Spitals, einer Klinik oder einer Abteilung leitet, und eine in einer ärztlichen Gruppenpraxis als einzige Physiotherapeutin tätige Person bewilligungspflichtig, da sie nicht unter fachlicher Aufsicht stehen.

Damit soll gewährleistet werden, dass die Verantwortung für eine Behandlung bei einer entsprechend ausgebildeten Fachperson liegt.

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ter Gesundheitsfachleute und die Ausschöpfung des Nachwuchspotenzials, was gerade im Hinblick auf die Linderung des Fachkräftemangels von erstrangiger Bedeutung ist. Die beiden Diplome werden im Entwurf des GesBG gleichgestellt mit Bezug auf: ­

die Bewilligungserteilung zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung;

­

die Berufspflichten sowie entsprechende Disziplinarmassnahmen.

Es ist ausserdem festzuhalten, dass die Pflegeberufe mit Ausbildung auf Sekundarstufe II vom Entwurf zum neuen GesBG nicht betroffen sind.

2.3

Die Bevölkerung altert und der Pflegebedarf steigt

Die Schweizer Bevölkerung wird älter. Gemäss den Bevölkerungsprognosen des BFS wird sich der Anteil der über 65-jährigen Menschen zwischen 2010 und 2030 von 17,1 auf 24,2 Prozent erhöhen.22 Parallel dazu wird die Zahl der über 80-jährigen Frauen und Männer steigen; ihr Anteil an den über 65-Jährigen wird sich gemäss BFS-Prognose zwischen 2010 und 2030 von 28,4 auf 32,4 Prozent erhöhen.

Damit wächst auch der Anteil jener Menschen in der Schweiz, die auf Pflege angewiesen sind. Von den 80- bis 84-Jährigen sind 13 Prozent pflegebedürftig, von den über 85-Jährigen sind es gut 34 Prozent.

Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) hat untersucht, wie sich die Bevölkerungsentwicklung, aber auch medizinische und gesellschaftliche Trends auf die Pflegebedürftigkeit auswirken können.23 Dabei zeigte sich: Selbst wenn sich die Gesundheit alter Menschen in den nächsten Jahren positiv entwickeln wird ­ beispielsweise dank medizinischem Fortschritt, verbesserter Gesundheitsvorsorge oder verstärkter präventiver Massnahmen ­ ist damit zu rechnen, dass der Pflegebedarf stark ansteigt. Nach dem Referenzszenario in dieser Studie «würde sich die Zahl von älteren pflegebedürftigen Menschen in der Schweiz von gut 125 000 Personen im Jahr 2010 bis 2030 auf gut 182 000 Personen erhöhen (was eine relative Zunahme um 46 % bedeutet). Der relative Anteil an 80-jährigen und älteren Pflegebedürftigen in dieser Gruppe steigt in diesem Szenario an, von 74 Prozent (2010) auf knapp 80 Prozent (2030). In anderen Worten: Es dürfte in Zukunft nicht nur mehr pflegebedürftige Menschen ­ mehrheitlich Frauen ­ geben, sondern sie werden in vielen Fällen auch älter sein (was z.B. das Risiko von Multimorbidität erhöht)»24.

Da mehr Menschen ein sehr hohes Alter erreichen, ist auch mit einem deutlichen Anstieg der Zahl an Alzheimer und anderen Demenzformen Erkrankten zu rechnen.

Bei gleich bleibender Häufigkeit von Demenz dürfte die Zahl der Betroffenen zwi22 23

24

Bundesamt für Statistik, Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2010­ 2060, 2010, gemäss dem mittleren Szenario A-00-2010.

François Höpflinger, Lucy Bayer-Oglesby, Andrea Zumbrunn: Pflegebedürftigkeit und Langzeitpflege im Alter ­ Aktualisierte Szenarien für die Schweiz, Buchreihe des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums, Verlag Hans Huber, 2011; vgl. auch Medienmitteilung des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums vom 19.5.2011.

Pflegebedürftigkeit und Langzeitpflege im Alter, F. Höpflinger, L. Bayer-Oglesby und A. Zumbrunn, Obsan, 2011, S. 60, Abbildung 2.

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schen 2010 und 2030 von 125 000 auf 218 000 steigen. Verbesserte Behandlungsund Rehabilitationsstrategien könnten die starke Zunahme des Pflegebedarfs zwar abschwächen. Aber auch bei positiver Entwicklung ist in den nächsten Jahrzehnten mit rasch steigenden Zahlen zu rechnen, speziell weil geburtenstarke Jahrgänge die risikoreichen Jahre des Alters erreichen.

In den kommenden Jahren wird sich auch die Art der Pflege ändern. So zeigt die Studie des Obsan eine Zunahme der Nachfrage nach ambulanter, professioneller Pflege im Alter. Heute leben rund 90 Prozent der 80- bis 84-Jährigen zu Hause. In der Folge der demografischen, medizinischen und sozialen Trends erfolgt der Eintritt in ein Alters- und Pflegeheim in den kommenden Jahren tendenziell später und häufiger erst gegen das Lebensende.

Wie sich der Pflegeleistungs- und Personalbedarf entwickeln könnte, hat das Obsan im Rahmen der Studie «Gesundheitspersonal in der Schweiz ­ Bestandesaufnahme und Perspektiven bis 2020» untersucht, die 2009 publiziert wurde. 25 Die Prognosen betreffen die Spitäler, die Alters- und Pflegeheime sowie die Spitex-Dienste. Sie gehen im Referenzszenario vom «mittleren» Bevölkerungsszenario des BFS, einer Verkürzung der Hospitalisationsdauer und einer Verbesserung des Gesundheitszustandes der älteren Bevölkerung aus. Ausgehend von diesen Hypothesen könnte der Bedarf an Pflegeleistungen von 2006 bis 2020 wie folgt zunehmen: Hospitalisationstage +2,4 Prozent, Beherbergungstage in Alters- und Pflegeheimen +30 Prozent und Spitex-Klienten +20 Prozent.

Geht man von einer unveränderten Produktivität und Erwerbsquote aus, müssten aufgrund dieses erhöhten Pflegebedarfs 17 000 Stellen (Vollzeitäquivalente) neu geschaffen und 25 000 Personen zusätzlich eingestellt werden (+13 Prozent). Hinzu kommen rund 60 000 Gesundheitsfachleute (30 Prozent), die wegen Pensionierung ersetzt werden müssen. Der grösste Bedarf an zusätzlichen Angestellten, mehr als 15 000, ist gemäss der Obsan-Studie in den Alters- und Pflegeheimen zu erwarten.

2.4

Geltendes Recht

2.4.1

Die Leistungserbringer nach KVG

Das KVG unterscheidet zwischen Leistungserbringern, die direkt zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sind und Personen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin selbständig und auf eigene Rechnung Leistungen erbringen. In seiner Botschaft über die Revision der Krankenversicherung vom 6. November 199126 äusserte sich der Bundesrat wie folgt: «Die Grundversorgung für die Patienten soll, wie auch heute, in erster Linie unter der Obhut und Führung des Arztes erbracht werden, der sozusagen in einer «Scharnierfunktion» den Leistungsbedarf und die Bedarfsdeckung in zweckmässiger und optimaler Form zusammenführen soll. Er kann und wird dies im Zusammenwirken 25

26

Hélène Jaccard, France Weaver, Maik Roth, Marcel Widmer, Gesundheitspersonal in der Schweiz ­ Bestandesaufnahme und Perspektiven bis 2020; siehe auch Obsan Factsheet vom 7. April 2009.

BBl 1992 I 93, S.163

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mit den anderen Leistungserbringern tun. In ähnlicher, aber auf sein Gebiet zugeschnittener Form wird dies, wie auch heute, der Chiropraktor tun. Für die anderen, im Gesetz bewusst nicht abschliessend aufgezählten medizinisch-therapeutischen Berufe und Berufe der spitalexternen sowie der Hauskrankenpflege [heute: Krankenpflege ambulant beziehungsweise zu Hause] gilt demgegenüber, wie heute, dass sie nur auf ärztliche Anordnung für die soziale Krankenversicherung tätig werden sollen. Angestrebt wird eine möglichst gute Koordination von Diagnose und Therapie, was der Qualitätssicherung und der Wirtschaftlichkeit der Leistungen, und damit letztlich dem Interesse der Versicherten und der Patienten dienen soll.» Die Eidgenössischen Räte haben die vom Bundesrat vorgeschlagene Ordnung übernommen.

Zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sind nach Artikel 35 Absatz 2 KVG u.a. Ärzte oder Ärztinnen, Chiropraktoren oder Chiropraktorinnen, Hebammen, Spitäler, Geburtshäuser, Pflegeheime sowie Einrichtungen, die der ambulanten Krankenpflege durch Ärzte und Ärztinnen dienen. Die zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätigen Leistungserbringer werden im Gesetz abschliessend aufgezählt. Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe e KVG verweist auf die Personen und Organisationen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin Leistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erbringen.

Die Personen, die auf ärztliche Anordnung hin Leistungen erbringen, sind in Artikel 46 der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV)27 abschliessend genannt: Es sind dies, neben den Pflegefachpersonen, die Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen, Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen, Logopäden und Logopädinnen sowie die Ernährungsberater und Ernährungsberaterinnen. Diese Unterscheidung beruht auf dem Grundsatz, dass der Arzt oder die Ärztin eine «Scharnierfunktion» übernehmen und eine Koordination von Diagnose und Therapie sicherstellen soll.

Auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin Leistungen erbringen können nach Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe e KVG auch Organisationen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin tätige Personen beschäftigen. Die Voraussetzungen dafür, dass diese Organisationen zu Lasten
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung Leistungen erbringen können, sind in den Artikeln 51 bis 52b KVV festgehalten. Pflegefachpersonen sind namentlich in Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause beschäftigt. Analog zum Spital und zum Pflegeheim tritt in dieser Konstellation nicht die Pflegefachperson, sondern die Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause gegenüber der obligatorischen Krankenpflegeversicherung als Leistungserbringer auf.

27

SR 832.102

3397

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2.4.2

Die Zulassung der Pflegefachpersonen zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung

Artikel 49 KVV hält die Bedingungen fest, welche die Pflegefachfrauen 28 und Pflegefachmänner erfüllen müssen, damit sie zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen sind. Sie haben nachzuweisen a.

das Diplom einer Schule für Gesundheits- und Krankenpflege, das von einer von den Kantonen gemeinsam bezeichneten Stelle anerkannt oder als gleichwertig anerkannt worden ist, oder ein nach dem Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Berufsbildung anerkanntes Diplom;

b.

eine zweijährige praktische Tätigkeit bei einer Pflegefachfrau oder einem Pflegefachmann, die oder der nach dieser Verordnung zugelassen ist, oder in einem Spital oder einer Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause unter der Leitung einer Pflegefachfrau oder eines Pflegefachmanns, die oder der die Zulassungsvoraussetzungen dieser Verordnung erfüllt.

Können sie diesen Nachweis erbringen, sind sie berechtigt, auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin selbständig und auf eigene Rechnung zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung Leistungen zu erbringen.

2.4.3

Die Leistungen nach KVG

Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt die Kosten für die Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen (Art. 25 Abs. 1 KVG). Für die diagnostischen und therapeutischen Leistungen der Ärztinnen und Ärzte gilt das Vertrauensprinzip. Grundsätzlich werden alle ärztlichen Leistungen vergütet, wenn nicht etwas anderes bestimmt wird. Der Pflichtleistungscharakter von diagnostischen und therapeutischen ärztlichen Leistungen wird damit implizit vermutet. Der Bundesrat kann die von Ärzten und Ärztinnen oder von Chiropraktoren und Chiropraktorinnen erbrachten Leistungen bezeichnen, deren Kosten von der OKP nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen übernommen werden (Art. 33 Abs. 1 KVG). Zudem bestimmt er, in welchem Umfang die obligatorische Krankenpflegeversicherung neue oder umstrittene Leistungen zu vergüten hat, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) sich noch in Abklärung befindet (Art. 33 Abs. 3 KVG). Der Bundesrat hat diese Aufgaben gestützt auf Artikel 33 Absatz 5 KVG an das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) delegiert. Bei der Bezeichnung der Leistungen lässt sich der Bundesrat von Kommissionen beraten. Das EDI beschliesst nach Konsultation der Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK), ob eine beantragte oder bestrittene Leistung von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet, nur unter bestimmten Voraussetzungen vergütet oder nicht 28

Unter dieser Bezeichnung sind auch die die Pflegefachpersonen mit einem BachelorDiplom auf Fachhochschulstufe eingeschlossen. Hingegen sind die Pflegeberufe auf Sekundarstufe II nicht eingeschlossen II (s. Ziff. 2.1.4).

3398

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vergütet wird. Der Entscheid wird in Anhang 1 zur Krankenpflege-Leistungsverordnung vom 29. September 1995 (KLV) 29 angeführt.

Für die Leistungen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin erbracht werden, kennt das KVG die abschliessende Aufzählung von Pflichtleistungen (Positivlisten, geschlossener Leistungskatalog). Danach werden nur diejenigen Leistungen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen, die ausdrücklich in der departementalen Krankenpflege-Leistungsverordnung oder in einer Liste erwähnt sind, die Kraft Delegation durch das EDI (Analysenliste mit Tarif, Arzneimittelliste mit Tarif und Liste der Mittel und Gegenstände) oder durch das BAG (Spezialitätenliste) erstellt wird. Was nicht explizit erwähnt ist, ist keine Pflichtleistung. Für die präventiven Leistungen der Ärztinnen und Ärzte wie auch für die Leistungen bei Mutterschaft gilt ebenfalls eine Positivliste.

2.4.4

Die Leistungen der Krankenpflege ambulant und im Pflegeheim

Die Leistungen der Krankenpflege zu Hause, ambulant oder im Pflegeheim, die auf ärztliche Anordnung hin oder im ärztlichen Auftrag zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erbracht werden können, sind in Artikel 7 KLV abschliessend umschrieben. Absatz 1 von Artikel 7 KLV hält fest, welche Personen und Organisationen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung Leistungen erbringen können. Dies sind die Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, die Organisationen der Krankenplege und Hilfe zu Hause und die Pflegeheime. Absatz 2 von Artikel 7 KLV definiert die Leistungen der Abklärung, und Beratung und Koordination (Bst. a), enthält die Liste der Massnahmen der Untersuchung und Behandlung (Bst. b) und umschreibt die Massnahmen der Grundpflege in Buchstabe c.

2.4.5

Die Erfassung des Pflegebedarfs

Artikel 8 KLV regelt den ärztlichen Auftrag, die ärztliche Anordnung und die Bedarfsabklärung. Absatz 1 hält fest, dass der ärztliche Auftrag oder die ärztliche Anordnung von Leistungen der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner oder der Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause aufgrund der Bedarfsabklärung und der gemeinsamen Planung der notwendigen Massnahmen näher zu umschreiben ist. Liegt eine ärztliche Anordnung vor, kann die Patientin beziehungsweise der Patient bei Pflege zu Hause Kontakt mit einer beliebigen Pflegefachperson oder Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause aufnehmen. Eine Pflegefachperson klärt den Bedarf der notwendigen Leistungen mit der Patientin oder dem Patienten und dem Arzt ab und legt Art, Umfang, Zeitpunkt, Häufigkeit sowie Dauer der Einsätze fest. Bei einer Patientin oder einem Patienten, die oder der im Pflegeheim gepflegt wird, übernimmt das Pflegeheim die Abklärung.

29

SR 832.112.31

3399

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Die Einzelheiten der Abklärung werden in Administrativverträgen der Versichererverbände mit den Leistungserbringerverbänden für die Bereiche Pflegeheime, Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause und der freiberuflichen Pflegefachpersonen geregelt. Das darin vereinbarte Vorgehen ist in der Regel wie folgt vereinbart: ­

Eine ärztliche Anordnung bzw. ein ärztlicher Auftrag muss vorliegen.

­

Eine Pflegefachperson, die die im Administrativvertrag festgehaltenen Anforderungen erfüllt, erhebt den Pflegebedarf. Sie verwendet ein Formular, auf das sich die Vertragsparteien geeinigt haben und das alle erforderlichen Angaben enthält. In der Regel steht die Wahl des Bedarfserfassungssystems dem Leistungserbringer im Rahmen der kantonalen Vorgaben frei. Es können die Bedarfserfassungssysteme PLAISIR, RAI/RUG oder BESA eingesetzt werden.

­

Das Bedarfsmeldeformular wird, vollständig ausgefüllt, nach Unterzeichnung durch den Arzt und die verantwortliche Pflegefachperson dem Versicherer zugestellt.

2.4.6

Die Verantwortung der Leistungserbringer gegenüber der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und Verantwortung der (Pflege-) Fachpersonen für die eigene Leistung

Wie einleitend erwähnt, kennt das KVG zwei «Kategorien» von Leistungserbringern, nämlich zum einen jene, die direkt zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sein können, und zum anderen die Personen, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin selbständig und auf eigene Rechnung Leistungen erbringen.

Gegenüber der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tragen alle diese Leistungserbringer die Verantwortung für ihre Leistungen. Das heisst, sie sind dafür verantwortlich, dass die Leistung in der erforderlichen Qualität erbracht wird. Personen, die unter Verantwortung und Aufsicht eines Arztes oder einer Ärztin arbeiten, erbringen demgegenüber delegierte Leistungen (z.B. Medizinische Praxisassistentinnen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten). Diese Personen sind im KVG nicht als Leistungserbringer angeführt, die Leistungen werden gegenüber der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vom delegierenden Arzt oder der delegierenden Ärztin abgerechnet, diese tragen auch die Verantwortung.

Ferner tritt das Spital, das Pflegeheim oder die Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause als Leistungserbringer gegenüber der obligatorischen Krankenpflegeversicherung auf und nicht die von diesen angestellten Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachpersonen. Innerhalb des Spitals, innerhalb des Pflegeheims, innerhalb der Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause und innerhalb einer Organisation wie der Arztpraxis tragen die Personen, an die eine Leistung übertragen worden ist, die Verantwortung für ihre eigene Leistung. Die haftpflichtrechtliche Veantwort3400

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lichkeit richtet sich nach den jeweiligen anwendbaren Bestimmungen des Zivilrechts bzw. des öffentlichen Rechts.

2.5

Vernehmlassungsverfahren

Mit Schreiben vom 24. April 2015 unterbreitete die SGK-NR ihren Vorentwurf mit dem erläuternden Bericht den Kantonen, politischen Parteien, gesamtschweizerischen Dachverbänden der Gemeinden, Städte und Berggebiete sowie der Wirtschaft und weiteren interessierten Organisationen zur Vernehmlassung. Sie lud die 134 Adressaten ein, bis am 14. August 2015 Stellung zu nehmen. Insgesamt gingen 96 schriftliche Stellungnahmen ein30; 73 davon stammten von offiziell begrüssten Vernehmlassungsteilnehmern.

Grundsätzlich zustimmend zur Stossrichtung der Vorlage äusserten sich 23 Kantone (alle ausser SH, ZG und ZH) sowie die Parteien CVP und SPS. Breite Unterstützung fand die Vorlage auch bei den Organisationen der Pflege (Berufsverbände, Pflegeheime, Spitex), der Spitäler (mit Ausnahme der Privatkliniken Schweiz), der Patientinnen und Patienten sowie der Konsumentinnen und Konsumenten. Es gehe darum, den Pflegefachpersonen die Verantwortung zuzugestehen, die sie in vielen Fällen bereits wahrnähmen. Damit würden die pflegerischen Leistungen aufgewertet und die Hausärzte entlastet.

Trotz Verständnis für das mit der Vorlage verfolgte Anliegen äusserten die Organisationen der Ärztinnen und Ärzte teilweise grosse Bedenken. Sie forderten, dass auf Gesetzesstufe definiert werde, welche Leistungen die Pflegefachpersonen ohne ärztliche Anordnung erbringen dürften und welche Bildungsabschlüsse sie dafür nachweisen müssten. Die Dachverbände der Krankenversicherer nahmen unterschiedliche Positionen ein: Während curafutura die Stossrichtung der Vorlage unterstützte, lehnte santésuisse diese ab.

Die Wirtschaftsdachverbände mit Ausnahme des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes lehnten die Vorlage ebenfalls ab. Auch die FDP.Liberalen sprachen sich gegen die Vorlage aus und beantragten, die Umsetzung der parlamentarischen Initiative eng auf das neue Gesundheitsberufegesetz abzustimmen. Die SVP äusserte sich kritisch zum vorgeschlagenen Weg, dies trotz grundsätzlicher Zustimmung zum Anliegen der parlamentarischen Initiative.

Zur Frage, ob die vorgeschlagene Neuregelung zu einer Mengenausweitung und höheren Kosten führen würde oder nicht, waren die Meinungen ­ auch mangels aussagekräftiger Daten ­ geteilt. Mehrere Kantone äusserten Bedenken und verlangten, dass Vorkehren gegen eine mögliche Kostensteigerung getroffen würden. Andere
Kantone teilten die Befürchtungen nicht oder nur bedingt, da die Pflegetarife im Vergleich zu anderen Branchen bescheiden seien und das Angebot an ausgebildeten Pflegefachpersonen knapp sei und bleibe. Obwohl nur hypothetische Annahmen 30

Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung ­ Parlamentarische Initiative Gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege, Bundesamt für Gesundheit, September 2015, publiziert unter www.parlament.ch > Curia Vista Suche > 11.418 > Vernehmlassung.

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getroffen werden könnten, versuchte santésuisse eine Kostenschätzung und kam zum Schluss, dass im ambulanten Bereich Mehrkosten von 20 bis 100 Millionen Franken und im Bereich Pflegeheime Mehrkosten von 30 Millionen Franken resultieren könnten. Nicht berücksichtigt in dieser Schätzung wurde eine allfällige präjudizielle Wirkung der Vorlage, die Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und andere Berufe veranlassen könnte, die gleichen Rechte wie die Pflegefachpersonen einzufordern.

Der Vorschlag, die Möglichkeit einer Zulassungssteuerung (Art. 55a KVG) auf Pflegefachpersonen auszuweiten, wurde insbesondere von Grenzkantonen wie Genf, Tessin, Waadt oder Wallis sowie der Ärzteschaft unterstützt. Andere Vernehmlassungsteilnehmer ­ insbesondere die Organisationen der Pflege ­ lehnten eine Zulassungssteuerung ab, da diese dem erklärten Ziel, die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern, zuwiderlaufen würde. Die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden lehnte den Minderheitsantrag zur Einführung der Vertragsfreiheit für Pflegefachpersonen (Art. 40a) ab; die beiden Dachverbände der Krankenversicherer, santésuisse und curafutura, stimmten ihm zu.

Zur Frage, wer die Leistungen der Akut- und Übergangspflege (Art. 25a Abs. 2) anordnen sollte, waren die Meinungen geteilt: Insbesondere die Organisationen der Pflege verlangten, dass in diesem Bereich die gleichen Regeln gelten sollten wie für alle anderen Pflegeleistungen. Die SP, die Patienten- und Konsumentenorganisationen unterstützten die gemeinsame Anordnung der Akut- und Übergangspflege durch Arzt und Pflegefachperson. Die Organisationen der Ärzteschaft und der Krankenversicherer unterstützten den Minderheitsantrag, wonach die Akut- und Übergangspflege ärztlich angeordnet werden soll.

3

Die beantragte Neuregelung

3.1

Grundzüge

Die Gesetzesrevision verfolgt primär das Ziel, den Berufsstatus der Pflegefachpersonen aufzuwerten. Das längst nicht mehr zutreffende Image eines Hilfsberufs soll überwunden werden. Pflegefachpersonen sollen mit ihren spezifischen Kompetenzen besser wahrgenommen und ihre Rolle soll in einer patientenzentrierten Gesundheitsversorgung gestärkt werden. Sie sollen insbesondere in der Grundpflege vermehrt selbständig tätig sein können. Diese Aufwertung des Berufsstatus soll dazu beitragen, die Attraktivität des Pflegeberufs zu erhöhen, die Rekrutierung von jungen Erwachsenen und Wiedereinsteigerinnen zu erleichtern und die Verweildauer im Beruf zu verlängern.

Pflegefachpersonen sollen deshalb ausdrücklich in den Katalog der Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer gemäss Artikel 35 Absatz 2 KVG aufgenommen und somit anerkannt werden. Welche Leistungen sie selbständig und ohne ärztliche Anordnung erbringen dürfen, wird der Bundesrat bzw. das EDI gestützt auf Artikel 25a Absatz 3 KVG, Artikel 33 Absatz 1bis KVG i.V.m. Artikel 33 Absatz 5 KVG und Artikel 33 KVV in Artikel 7 KLV festlegen. Es handelt sich dabei um eine «Positivliste» von Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination 3402

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sowie Massnahmen der Grundpflege. Keine Änderung ist hingegen im Bereich der Behandlungspflege vorgesehen, die weiterhin ärztlich angeordnet werden muss.

Die Tatsache, dass Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner gewisse Leistungen neu ohne ärztliche Anordnung oder ärztlichen Auftrag erbringen können, wirkt sich unterschiedlich aus, je nachdem ob sie als Angestellte in einem Spital, einer Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause oder einem Pflegeheim arbeiten oder ob sie selbständig auf eigene Rechnung tätig sind: ­

Pflegefachpersonen sollen in Artikel 25 Absatz 2 KVG explizit als Erbringer von Pflegeleistungen genannt werden, die in einem Spital durchgeführt werden. Dies soll ihre Stellung im Hinblick auf die spitalinterne Organisation und Aufgabenverteilung stärken. Die ausdrückliche Nennung der Pflegefachpersonen ändert jedoch nichts daran, dass aus Sicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung das Spital der abrechnungsberechtigte Leistungserbringer bleibt und die Pflegeleistungen im Rahmen der Pauschalen gemäss Artikel 49 Absatz 1 KVG vergütet werden.

­

Ist im Anschluss an einen Spitalaufenthalt eine Akut- und Übergangspflege notwendig, so soll der Arzt oder die Ärztin im Spital die Leistungen nach Konsultation der zuständigen Pflegefachpersonen anordnen (Art. 25a Abs. 2 KVG). Mit der ausdrücklichen Erwähnung dieser Konsultationspflicht im Gesetz soll die Stellung der Pflegefachpersonen auch in diesem Bereich gestärkt und ihr spezifisches Wissen besser berücksichtigt werden. An der Vergütung der Leistungen ändert sich nichts (Art. 25a Abs. 2 KVG).

­

Pflegefachpersonen, die in einer Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause oder in einem Pflegeheim angestellt sind, sollen die vom Bundesrat bezeichneten Pflegeleistungen gestützt auf eine Bedarfsabklärung, aber ohne ärztliche Anordnung oder ärztlichen Auftrag erbringen können (Art. 25a Abs. 1 KVG). Damit soll im Gesetz eine Situation abgebildet werden, die vielerorts bereits Realität ist: Bisher müssen die pflegerischen Leistungen zwar ärztlich angeordnet werden, doch heissen der Arzt oder die Ärztin faktisch in vielen Fällen den vom Pflegefachpersonal erhobenen Pflegebedarf gut. Abrechnungsberechtigte Leistungserbringer bleiben die Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause oder das Pflegeheim.

­

Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, die selbständig auf eigene Rechnung tätig sind, sollen die vom Bundesrat bezeichneten Pflegeleistungen gestützt auf eine Bedarfsabklärung, aber ohne ärztliche Anordnung oder ärztlichen Auftrag durchführen und selber gegenüber der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abrechnen können. Allerdings sollen sie nur mit jenen Versicherern direkt abrechnen können, mit denen sie vorgängig einen Zulassungsvertrag haben abschliessen können (neuer Art. 40a KVG).

Es ist schwierig abzuschätzen, wie sich die neue Regelung insgesamt auf die Menge der erbrachten Pflegeleistungen und damit auf die Kosten und Prämien auswirken wird. Aus diesem Grund sieht der Entwurf mehrere flankierende Massnahmen vor: Wie oben erwähnt, sollen die Leistungen von selbständig auf eigene Rechnung tätigen Pflegefachpersonen nur dann durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgegolten werden, wenn sich diese Pflegefachpersonen vertraglich mit 3403

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einem oder mehreren Versicherern einigen können (Art. 40a KVG). Zudem soll der Bundesrat die Kompetenz erhalten, die Zulassung von Pflegefachpersonen zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung von einem Bedürfnis abhängig zu machen. Artikel 55a KVG, der die Einschränkung der Zulassung zur Tätigkeit zulasten der Krankenversicherung regelt, soll entsprechend ergänzt werden. Dabei ist zu beachten, dass Artikel 55a KVG bis zum 30. Juni 2016 befristet ist. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des vorliegenden Bericht- und Erlassentwurfs durch die SGK-NR war offen, ob und allenfalls in welcher Form die entsprechende Zulassungssteuerung weitergeführt wird.

Schliesslich soll der Bundesrat mit einer neuen Übergangsbestimmung beauftragt werden, dem Parlament spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung einen Bericht über eine Wirkungsanalyse vorzulegen, die insbesondere die wirtschaftlichen Auswirkungen darstellen soll. Vorsichtshalber ist vorgesehen, dass die Gesetzesänderung nach sechs Jahren ausser Kraft tritt.

3.2

Minderheitsanträge

Eine Minderheit (de Courten, Brand, Clottu, Stahl, Steinemann) beantragt, auf die Vorlage nicht einzutreten. Sie befürchtet, dass die gesetzliche Aufwertung der Pflege zu einer Mengenausweitung und damit zu höheren Kosten und Prämien führe, da die ärztliche Kontrolle über einen Teil der Pflegeleistungen entfalle.

Eine Minderheit (Schmid-Federer, Carobbio Guscetti, Feri Yvonne, Gysi, Häsler, Heim, Humbel, Ingold, Lohr, Schenker Silvia, Steiert, Weibel) beantragt, dass die Leistungen der Akut- und Übergangspflege, die sich im Anschluss an einen Spitalaufenthalt als notwendig erweisen, gemeinsam von einem Arzt oder einer Ärztin und einer Pflegefachperson angeordnet werden (Art. 25a Abs. 2 KVG). Eine solche Regelung entspricht ­ gemäss dieser Minderheit ­ der schon heute in vielen Spitälern ausgeübten Praxis. Als Folge beantragt die Minderheit in Artikel 33 Absatz 1 bis den neuen Buchstaben c, mit welchem dem Bundesrat die Kompetenz übertragen werden soll, Leistungen zu bezeichnen, die gemeinsam von einem Arzt oder einer Ärztin und einer Pflegefachperson angeordnet werden.

Eine Minderheit (Schmid-Federer, Carobbio Guscetti, Feri Yvonne, Gysi, Häsler, Heim, Humbel, Ingold, Lohr, Schenker Silvia, Steiert, Weibel) lehnt die in Art. 40a vorgesehene Aufhebung des Kontrahierungszwangs in Bezug auf Pflegefachpersonen ab und beantragt die Streichung dieser Bestimmung. Die Frage der Aufhebung des Kontrahierungszwangs ist ­ gemäss dieser Minderheit ­ eine Systemfrage und muss ganzheitlich für alle Leistungserbringer geprüft werden. Es gehe nicht, den Kontrahierungszwang bei einer einzigen Berufsgruppe, den Pflegefachpersonen, aufzuheben. Dies würde dazu führen, dass nicht mehr jede ausreichend qualifizierte Pflegefachperson ihre Leistungen automatisch zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abrechnen könnte. Das wäre nur dann möglich, wenn sie mit den Versicherern eine vertragliche Vereinbarung schliesst. Die Wahlfreiheit der Patientinnen und Patienten würde teilweise eingeschränkt. Eine solche Neuerung würde gemäss der Minderheit auch den Zielen der Vorlage zuwiderlaufen, welche die Attraktivität des Pflegeberufs steigern soll.

3404

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Eine Minderheit (Carobbio Guscetti, Feri Yvonne, Gysi, Heim, Schenker Silvia, Steiert) lehnt es ab, die gesetzlichen Änderungen auf sechs Jahre zu befristen. Sie beantragt deshalb die Streichung von Absatz 3 der Schlussbestimmungen (Ziff. II).

4

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 25 Abs. 2 Bst. a Einleitungssatz und Ziff. 2bis Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe a des Gesetzes umschreibt die Leistungen, die ambulant, stationär oder in einem Pflegeheim sowie die Pflegeleistungen, die in einem Spital erbracht werden.

Die heutige Regelung der Abgrenzung von Pflegeleistungen, die anlässlich einer stationären Behandlung nach Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe a KVG und solchen, die ambulant erbracht werden nach Artikel 25a KVG, erlaubt einen gewissen Interpretationsspielraum, schliesst doch die Formulierung in Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe a KVG die ambulant durchgeführten Pflegeleistungen nicht explizit aus. Mit der vorgeschlagenen Formulierung ist die Abgrenzung zwischen Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe a KVG und Artikel 25a KVG eindeutig: Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe a KVG bezieht sich lediglich auf Pflegeleistungen anlässlich einer stationären Behandlung.

Neu werden die Pflegefachpersonen in Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe a in einer neuen Ziffer 2bis explizit genannt, dies für die Leistungen der Abklärung, Beratung und Koordination nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a KLV sowie der Grundpflege nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe c KLV, die die Pflegefachpersonen ohne Anordnung oder Auftrag eines Arztes bzw. einer Ärztin erbringen können. Die Behandlungspflege nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b KLV werden die Pflegefachpersonen auch in Zukunft auf Anordnung eines Arztes bzw. einer Ärztin erbringen.

Entsprechend werden die Pflegefachpersonen in jenen Fällen unter Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer 3 KVG subsumiert.

Die ausdrückliche Nennung der Pflegefachpersonen in Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer 2bis KVG ändert jedoch nichts daran, dass aus Sicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung das Spital der abrechnungsberechtigte Leistungserbringer bleibt und die Pflegeleistungen im Rahmen der Pauschalen gemäss Artikel 49 Absatz 1 KVG vergütet werden.

Art. 25a Abs. 1 und 2 erster Satz Artikel 25a KVG wurde von den Eidgenössischen Räten im Rahmen der Neuordnung der Pflegefinanzierung beschlossen31 und ist am 1. Januar 2011 in Kraft getreten. Im Gegensatz zur vormals in Artikel 25 festgehaltenen Regelung, wonach die obligatorische Krankenpflegeversicherung auch die Kosten der ambulant, bei Hausbesuchen, stationär oder in einem Pflegeheim erbrachten Pflegemassnahmen übernahm, leistet die obligatorische Krankenpflegeversicherung, gestützt auf Artikel 25a 31

AS 2009 3517

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Absatz 1 KVG, seit Anfang 2011 einen Beitrag an die Pflegeleistungen. Die Regelung der Restfinanzierung obliegt den Kantonen.

Für die Behandlungspflege nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b KLV wird weiterhin eine ärztliche Anordnung bzw. ein ärztlicher Auftrag erforderlich sein. Für diesen Fall ist neu Artikel 25a Absatz 1 Buchstabe a KVG formuliert worden.

Artikel 25a Absatz 1 Buchstabe b KVG steht für die Leistungen der Abklärung, Beratung und Koordination (Art. 7 Abs. 2 Bst. a KLV) sowie der Grundpflege (Art. 7 Abs. 2 Bst. c KLV), die ohne ärztliche Anordnung bzw. ohne ärztlichen Auftrag durch Pflegefachpersonen erbracht werden.

Bestehen bleibt jedoch in jedem Fall das Erfordernis eines ausgewiesenen Pflegebedarfs, damit der Beitrag der obligatorischen Krankenpflegeversicherung entrichtet wird.

Neu eingeführt wurde mit der Neuordnung der Pflegefinanzierung das Konzept der Akut- und Übergangspflege. Wenn sie sich im Anschluss an einen Spitalaufenthalt als notwendig erweist, wird sie von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und vom Wohnkanton des Versicherten während längstens zwei Wochen nach den Regeln der Spitalfinanzierung vergütet. Somit wird nicht ein Beitrag entrichtet, sondern eine Pauschale vergütet. Versicherer und Leistungserbringer vereinbaren die Pauschalen. Neu muss der Arzt oder die Ärztin für die Anordnung der Akut- und Übergangspflege die zuständigen Pflegefachpersonen konsultieren. Das spezifische Wissen der Pflegefachpersonen soll somit besser berücksichtigt werden. Gleichzeitig wird jedoch klargestellt, dass die formelle Kompetenz für die Anordnung solcher Leistungen beim Arzt oder bei der Ärztin bleibt.

Eine Minderheit (Schmid-Federer, Carobbio Guscetti, Feri Yvonne, Gysi, Häsler, Heim, Humbel, Ingold, Lohr, Schenker Silvia, Steiert, Weibel) beantragt, dass die Anordnung der der Akut- und Übergangspflege gemeinsam von einem Arzt oder einer Ärztin und einer Pflegefachperson erfolgt.

Art. 33 Abs. 1bis Das Konzept der Umschreibung der Leistungspflicht nach Artikel 33 Absatz 1 KVG bedeutet, dass grundsätzlich alle ärztlichen Leistungen vergütet werden, wenn nicht etwas anderes bestimmt wird. Der Pflichtleistungscharakter von diagnostischen und therapeutischen Arztleistungen wird damit implizit vermutet (Vertrauensprinzip).

Die von Ärztinnen und Ärzten bzw. Chiropraktorinnen
und Chiropraktoren vorgenommenen Untersuchungen und Behandlungen werden damit grundsätzlich vergütet, sofern in Anhang 1 KLV keine Sonderregelung festgehalten ist.

Für Leistungen der Pflegefachpersonen soll aber das Vertrauensprinzip nicht gelten, entsprechend ist in Artikel 33 Absatz 1bis KVG festgehalten, dass der Bundesrat die Kompetenz erhält, die Leistungen zu bezeichnen, die ­

3406

von Pflegefachpersonen auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin erbracht werden, d.h. die Behandlungspflege (vgl. Art. 33 Abs. 1bis Bst. a KVG); sowie

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­

von Pflegefachpersonen ohne Anordnung oder Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin erbracht werden, d.h. die Abklärung, Beratung und Koordination sowie Grundpflege (vgl. Art. 33 Abs. 1bis Bst. b KVG).

Eine Minderheit (Schmid-Federer, Carobbio Guscetti, Feri Yvonne, Gysi, Häsler, Heim, Humbel, Ingold, Lohr, Schenker Silvia, Steiert, Weibel) beantragt im Rahmen von Artikel 33 Absatz 1bis Buchstabe c KVG, dass der Bundesrat die Kompetenz erhält, die Leistungen zu bezeichnen, die gemeinsam von einem Arzt oder einer Ärztin und einer Pflegefachperson angeordnet werden, d.h. Leistungen der Akutund Übergangspflege (vgl. diesbezüglich Ausführungen unter Art. 25a Abs. 2 KVG).

Art. 35 Abs. 2 Bst. dbis Artikel 35 Absatz 2 KVG nennt die Leistungserbringer, die zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen sind. Neu werden die Pflegefachpersonen in Buchstabe dbis explizit genannt, dies für die Leistungen der Abklärung, Beratung und Koordination nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a KLV sowie der Grundpflege nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe c KLV, die die Pflegefachpersonen ohne Anordnung oder Auftrag eines Arztes bzw. einer Ärztin erbringen können. Die Behandlungspflege nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b werden die Pflegefachpersonen auch in Zukunft auf Anordnung eines Arztes bzw. einer Ärztin erbringen. Entsprechend werden die Pflegefachpersonen in jenen Fällen unter Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe e KVG subsumiert. Es ist davon auszugehen, dass, wie bis anhin, ein Teil der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner selbständig und auf eigene Rechnung tätig ist, dass die Mehrheit jedoch in einem Spital oder in einer Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause angestellt ist.

Auf Verordnungsebene ist geregelt, welchen Bildungsabschluss die Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner nachweisen müssen, damit sie zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sein können. Die Regelung wurde 1995 beschlossen und nur einmal an die geänderten Kompetenzen des Bundes angepasst.

Seit Inkrafttreten des KVG hat sich die Bildungssystematik im Bereich der Gesundheit in wesentlichen Punkten geändert. Neue Bildungsgänge wurden geschaffen, insbesondere auf Fachhochschulebene. Im Zusammenhang mit der Zuweisung der neuen Kompetenzen an die Pflegefachpersonen wird auf Verordnungsebene zu klären sein, welche Abschlüsse für die direkte Erbringung der Leistungen und welche für die Erbringung der Leistungen auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin Voraussetzung bilden, damit die Leistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erbracht werden können.

Art. 40a

Pflegefachpersonen

Pflegefachpersonen, die auf eigene Rechnung und ohne ärztliche Anordnung selbständig tätig sind, sollen keinen automatischen Anspruch auf Abgeltung ihrer Leistungen durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung haben. Für die Zulassung der Pflegefachpersonen zur direkten Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung braucht es einen Vertrag mit einem oder mehreren

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Krankenversicherern. Die Regelung der Einzelheiten wird dem Bundesrat übertragen.

Eine Minderheit (Schmid-Federer, Carobbio Guscetti, Feri Yvonne, Gysi, Häsler, Heim, Humbel, Ingold, Lohr, Schenker Silvia, Steiert, Weibel) beantragt die Streichung dieser Bestimmung.

Art. 55a Mit Beschluss der Eidgenössischen Räte vom 21. Juni 2013 zur Änderung des KVG wurde die Einschränkung der Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung wieder eingeführt. Die Bestimmung trat am 1. Juli 2013 in Kraft und gilt bis zum 30. Juni 2016. Sie gilt für Ärztinnen und Ärzte mit der Ausnahme jener, die mindestens drei Jahre an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben. Mit dem vorgeschlagenen Artikel 55a Absatz 1 Buchstaben c und d wird die Kompetenz der Kantone zur bedarfsabhängigen Zulassung auf die Pflegefachpersonen erweitert, unabhängig davon, ob diese selbständig oder in einem Anstellungsverhältnis in einem Spital oder einer Organisation der Krankenpflege und Hilfe zu Hause arbeiten.

Anzumerken ist, dass die Geltungsdauer von Artikel 55a KVG in der aktuell gültigen Form bis am 30. Juni 2016 befristet ist. Die Bestimmung wird folglich per 30.

Juni 2016 wegfallen, sofern nicht die Weiterführung der Regelung vorher beschlossen wird.

Übergangsbestimmung Der Bundesrat wird mit der Übergangsbestimmung beauftragt, dem Parlament spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung einen Bericht über eine Wirkungsanalyse vorzulegen, die sich insbesondere zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Gesetzesänderung äussert.

Inkrafttreten Die Gesetzesvorlage soll eine befristete Geltungsdauer von 6 Jahren haben. Danach fallen Anpassungen, Ergänzungen und Streichungen dahin und es leben die heute geltenden Bestimmungen wieder auf.

Eine Minderheit (Carobbio Guscetti, Feri Yvonne, Gysi, Heim, Schenker Silvia, Steiert) beantragt die unbefristete Gültigkeit der Vorlage.

5

Auswirkungen

5.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Mit den Massnahmen im Bildungsbereich ist die Attraktivität der Pflegeberufe gesteigert worden. Zum einen ist davon auszugehen, dass dies der Personalknappheit im Pflegebereich entgegenwirkt. Ob die dadurch ausgelöste Entwicklung ausreicht, um die in Zukunft zusätzlich erforderlichen Pflegefachpersonen zu generieren, kann 3408

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heute nicht beurteilt werden. Dies vor allem deshalb, weil das Angebot an Pflegefachpersonen durch Faktoren, die sich im Wandel befinden, beeinflusst wird. Auch die Beziehung der Schweiz zu den Ländern der EU, aus denen viele in der Schweiz tätigen Pflegefachpersonen stammen, hat hier einen grossen Einfluss.

Nach Artikel 25a KVG leistet die obligatorische Krankenpflegeversicherung einen Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und eines ausgewiesenen Pflegebedarfs ambulant, auch in Tages- oder Nachtstrukturen, oder im Pflegeheim erbracht werden. Nach Artikel 7a KLV beträgt der Beitrag der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei Krankenpflege zu Hause ­

für die Leistungen der Abklärung, Beratung und Koordination durch Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner sowie durch Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause Fr. 79.80 pro Stunde, und

­

für Leistungen der Grundpflege Fr. 54.60 pro Stunde.

Den Versicherten dürfen höchstens 20 Prozent des höchsten Beitrages überwälzt werden, und die Kantone regeln die Restfinanzierung. Sollte sich ein Markt bilden für Pflegefachpersonen mit Ausbildungen vor allem auf der Tertiärstufe und sollten diese nicht nur Leistungen der Abklärung, Beratung und Koordination erbringen, sondern auch solche der Grundpflege, ist zu erwarten, dass früher oder später Ansprüche in Bezug auf eine bessere Entlöhnung manifest werden. Je mehr die Pflegefachpersonen mit Ausbildung auf der Tertiärstufe zur Aufrechterhaltung einer qualitativ hochstehenden Versorgung benötigt werden, desto eher ist davon auszugehen, dass sie den Anspruch auf eine ihrer Ausbildung entsprechenden Entschädigung durchsetzen können, mit den entsprechenden Kostenfolgen für Versicherer, Versicherte und Kantone.

Zur Frage, wie sich die vorgeschlagene Verlagerung gewisser Kompetenzen von Ärztinnen oder Ärzten hin zu Pflegefachleuten auswirken wird, lassen sich lediglich Hypothesen formulieren. Wenn die dazu befugten Pflegefachpersonen selbst bestimmen können, welche Leistungen sie erbringen, besteht einerseits theoretisch ein Anreiz, mehr Leistungen zu erbringen als im Fall, in dem die Erbringung von Leistungen ohne ärztliche Anordnung nicht möglich ist. Ob diese Kostenfolgen beziehungsweise eine solche Mengenausweitung in der Folge der vorgeschlagenen Gesetzesänderung tatsächlich eintreten werden, kann nicht vorhergesagt werden. Die Statistiken zeigen immerhin, dass mit einer zunehmenden Zahl der Leistungserbringer auch mehr Leistungen erbracht werden. Anderseits kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Ärztinnen und Ärzte entlastet werden, wenn sie gewisse Pflegeleistungen ­ insbesondere solche der Grundpflege zu Hause oder im Pflegeheim ­ nicht mehr anordnen müssen. Ob dies in der Praxis zu einer spürbaren Entlastung und somit zu Kosteneinsparungen führen wird, lässt sich im Voraus kaum fundiert abschätzen.

Heute gibt es eine sehr kleine Gruppe von selbständigen Pflegefachpersonen, die auf eigene Rechnung tätig sind. Gemäss der Spitex-Statistik des BFS von 2014 ist von ungefähr 760 Pflegefachpersonen auszugehen sowie von 207 erwerbswirtschaftlichen Unternehmen und 557 gemeinnützigen und öffentlich-rechtlichen Unterneh-

3409

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men32. Es ist nicht bekannt, wie sich diese Gruppe verhält und weiterentwickelt. Es ist aber zu erwarten, dass sich Organisationen bilden bzw. bestehende Organisationen weiterentwickeln, die sich zunehmend auf den hier angesprochenen Pflegebereich der Grundpflege spezialisieren und mehr Leistungserbringer entsprechend mehr Leistungen erbringen werden. Diese künftigen Entwicklungen sind aber nicht absehbar. Weil die Richtung und Stärke der verschiedenen Entwicklungstendenzen nur schwerlich abgeschätzt werden können, lassen sich Kostenfolgen nicht ausweisen. Sicher ist lediglich, dass aufgrund der im KVG enthaltenen Finanzierungsregelungen (Spitalfinanzierung, Pflegefinanzierung) allfällige Mehrkosten sowohl zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, der Patientinnen und Patienten als auch zu Lasten der der Kantone gehen würden, denn die Kantone übernehmen mindestens 55 Prozent der leistungsbezogenen Pauschalen beim Spitalaufenthalt sowie einen grossen Teil der bei der Pflege zu Hause und im Pflegeheim anfallenden Restkosten. Die Versicherer haben dabei ihre Kontrollfunktion wahrzunehmen und die Wirtschaftlichkeit von Pflegeleistungen zu überprüfen, unabhängig davon, ob die Leistungen mit oder ohne ärztliche Anordnung oder ärztlichen Auftrag erbracht werden (s. Ziff. 5.2).

In Übrigen ist davon auszugehen, dass auch andere Berufsgruppen die gleichen Forderungen stellen wie die Pflegefachpersonen33 und dass die Gesetzesänderung präjudiziellen Charakter haben kann.

5.2

Vollzugstauglichkeit

Seit Inkrafttreten des KVG hat sich die Bildungssystematik im Bereich der Gesundheit in wesentlichen Punkten geändert (s. Ziff. 2.1). Zwar wurde mit der vom Bundesrat am 3. Dezember 2004 beschlossenen Änderung von Artikel 49 KVV, der die Voraussetzungen festhält, die Pflegefachpersonen erfüllen müssen, damit sie zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sein können, den neuen Kompetenzen des Bundes Rechnung getragen 34. Grundsätzlich wurde der Artikel jedoch so belassen, wie er seit Inkrafttreten des Gesetzes Gültigkeit hat. Mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung erhalten die Pflegefachpersonen mehr Kompetenzen. Damit sichergestellt ist, dass die direkt zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätigen Pflegefachpersonen die dafür erforderlichen Anforderungen erfüllen, hat der Bundesrat gestützt auf die neue Bildungssystematik festzulegen, über welchen Fähigkeitsausweis beziehungsweise welchen höheren Fachschul- oder Fachhochschulabschluss eine Pflegefachperson verfügen muss, um ohne ärztliche Anordnung beziehungsweise ohne ärztlichen Auftrag Leistungen der Abklärung sowie der Grundpflege, eingeschlossen solche der psychiatrischen Grundpflege, vorzunehmen. Artikel 49 KVV wird entsprechend anzupassen sein.

32 33

34

www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/14/03/05/key/02.html.

Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS AG ­ Aktueller Stand der schweizerischen Diskussion über den Einbezug von hoch ausgebildeten nichtärztlichen Berufsleuten in der medizinischen Grundversorgung, Bern November 2013.

AS 2004 5075

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Heute ist für alle Leistungen der Pflege zu Hause und im Pflegeheim gleichermassen eine ärztliche Anordnung oder ein ärztlicher Auftrag erforderlich. Mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung wird neu ein Unterschied gemacht zwischen direkt zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erbrachten Leistungen der Pflegefachpersonen (Abklärung, Beratung und Koordination sowie Grundpflege) und solchen, die sie auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin erbringen können (Behandlungspflege). Artikel 7 KLV ist anzupassen, so dass klar wird, dass die Vergütung der Leistungen nach Absatz 2 Buchstabe b (Behandlungspflege) nach wie vor vom Vorliegen eines ärztlichen Auftrags oder einer ärztlichen Anordnung abhängig ist. Die Kompetenz ist vom Bundesrat an das EDI delegiert.

Nach Artikel 56 des Gesetzes muss sich der Leistungserbringer in seinen Leistungen auf das Mass beschränken, das im Interesse der Versicherten liegt und für den Behandlungszweck erforderlich ist. Für Leistungen, die über dieses Mass hinausgehen, kann die Vergütung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung verweigert werden. Gestützt auf diese Bestimmungen überprüfen die Versicherer die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringer. Dies erfolgt nach einer von den Versicherern und den Leistungserbringern vertraglich festgelegten Methode (Art. 56 Abs. 6 KVG). Für den Bereich der ärztlichen Leistungen erfolgt die Überprüfung systematisch. Die Tarifpartner haben vereinbart, dass die bisher verwendete Varianzanalyse von den Versicherern und Leistungserbringern gemeinsam weiterentwickelt werden soll. Die Erläuterungen von santésuisse zur bei der Rechnungsprüfung herangezogenen Rechnungstellerstatistik zeigen, dass in die Wirtschaftlichkeitsprüfung zwar die vom Arzt veranlassten Kosten für Arzneimittel und Physiotherapie, nicht aber jene für die Pflege zu Hause und im Pflegeheim einfliessen35.

Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt grundsätzlich auch für die Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. Auch sie werden vom Gesetz verpflichtet, mit den Versicherern vertraglich eine Methode zur Kontrolle der Wirtschaftlichkeit festzulegen. Heute wird die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit durch die Versicherer in den Administrativverträgen mit den Verbänden der Leistungserbringer geregelt (s. Ziff. 2.4.5).

Dabei sind in der
Regel Kontrollbesuche der Versicherer bei den Leistungserbringern vorgesehen. Eine Kontrolle über die Einstufung des Pflegebedarfs übt jedoch auch der Arzt oder die Ärztin aus, der oder die das Formular zur Erhebung des Pflegebedarfs unterschreibt. Fällt diese Kontrolle weg, bleibt noch die Kontrolle durch die Kontrollbesuche der Versicherer bei den Leistungserbringern. Die Versicherer kennen die einzelnen Patientinnen und Patienten und deren Geschichte vor allem aus den Akten. Deshalb können falsche und insbesondere zu hohe Einstufungen weniger gut erkannt werden als im Fall, in dem der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin ein Formular unterschreiben muss.

35

www.santesuisse.ch > onlineshop Leistungserbringer > Erläuterung zur Statistik inkl.

ANOVA-Index.

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6

Verhältnis zum europäischen Recht

6.1

Vorschriften der Europäischen Union

Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 2 des Vertrages der Europäischen Union36 überträgt der Union die Aufgabe, die soziale Gerechtigkeit und den sozialen Schutz zu fördern. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmenden innerhalb der Union ist in Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)37 geregelt. Das Freizügigkeitsprinzip verlangt eine Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit, wie dies in Artikel 48 AEUV festgelegt ist. Das Unionsrecht sieht keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten sowie die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit weiterhin bestimmen. Die Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit wird durch die Verordnung (EG) Nr. 883/200438 und die Durchführungsverordnung Nr. 987/200939 geregelt. Seit dem Inkrafttreten des Abkommens vom 21. Juni 199940 zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft am 1. Juni 2002 ist die Schweiz Teil des multilateralen Koordinationssystems.

Die Empfehlung vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes41 forderte die Mitgliedstaaten auf, für die rechtmässig in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Personen den Zugang zur notwendigen Gesundheitsversorgung sowie zu den Krankheitsvorsorgemassnahmen zu ermöglichen.

6.2

Die Instrumente des Europarates

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 196442 (EOSS) regelt in ihrem Teil II die ärztliche Betreuung. Die Vertragsstaaten nach Teil II sind verpflichtet, den geschützten Personen medizinische Versorgung bei Krankheit ohne Rücksicht auf ihre Ursache sowie bei Mutterschaft zu gewährleisten. Der Leistungsempfänger kann zur Beteiligung an den Kosten der bei Krankheit gewährten medizinischen Versorgung verpflichtet werden. Zudem kann die Dauer der erbrachten Leistungen für die einzelnen Fälle auf 26 Wochen beschränkt werden. Die Schweiz hat bei der Ratifikation der EOSS erklärt, die Verpflichtungen aus Teil II nicht zu übernehmen.

36 37 38

39

40 41 42

ABl. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 13.

ABl. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 47.

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1).

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.11).

SR 0.142.112.681 ABl. L 245 vom 26. August 1992, S. 49.

SR 0.831.104

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Die (revidierte) Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 6. November 1990 erweitert den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der EOSS. Sie tritt nach der Ratifikation durch zwei Mitgliedstaaten des Europarates in Kraft. Bis anhin haben die Niederlande (22.12.2009) ratifiziert und 13 weitere Staaten unterzeichnet.

Die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 sowie die revidierte Europäische Sozialcharta vom 3. Mai 1996 statuieren in Artikel 12 das Recht auf soziale Sicherheit. Die Schweiz hat die beiden Abkommen nicht ratifiziert.

6.3

Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

Bei der vorliegenden parlamentarischen Initiative geht es um die Aufwertung des Berufsstatus der Pflegefachpersonen. Das in der Schweiz anwendbare europäische Recht setzt für diesen Bereich keine Normen fest. Die Staaten können diese Aspekte nach eigenem Ermessen bestimmen. Deshalb steht die Vorlage im Einklang mit dem von der Schweiz übernommenen europäischen Recht.

7

Rechtliche Grundlagen

7.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Diese Gesetzesvorlage stützt sich auf Artikel 117 der Bundesverfassung, der dem Bund eine umfassende Kompetenz in Bezug auf die Krankenversicherung verleiht.

7.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung notwendigen Regelungskompetenzen (Erlass der Vollzugsbestimmungen) werden dem Bundesrat in Artikel 96 KVG delegiert.

7.3

Erlassform

Es handelt sich um die Änderung eines Bundesgesetzes.

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