16.061 Die Sicherheitspolitik der Schweiz Bericht des Bundesrates vom 24. August 2016

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Übersicht Der Bundesrat veröffentlicht regelmässig Berichte über die Sicherheitspolitik der Schweiz. Diese legen die Grundlinien für die schweizerische Sicherheitspolitik der nächsten Jahre fest. Der letzte Bericht stammt aus dem Jahr 2010. In der Zwischenzeit hat sich die Bedrohungslage zum Teil markant verändert. Der Bundesrat beschloss deshalb 2013, einen neuen Bericht zu erarbeiten.

Der vorliegende Bericht enthält einen ausführlichen ersten Teil zur Lageanalyse (Ziff. 2). Diese besteht aus einer einleitenden Analyse der globalen sicherheitsrelevanten Trends; gemäss Bericht sind dies der Übergang zu einer multipolaren Weltordnung, die Ausbreitung von Wohlstand und Technologie, anhaltende Krisen, Umbrüche und Instabilität, die Migrationsbewegungen sowie die Weiterentwicklung des Konfliktbildes. Neben einer generellen Beschreibung dieser Trends werden jeweils auch die Auswirkungen auf die Schweiz thematisiert.

Nach den generellen Trends werden im zweiten Teil der Lageanalyse die für die Schweiz massgeblichen Bedrohungen und Gefahren erläutert. Diese werden in sechs Kategorien unterteilt: illegale Beschaffung und Manipulation von Informationen, Terrorismus und Gewaltextremismus, bewaffneter Angriff, Kriminalität, Versorgungsstörungen sowie Katastrophen und Notlagen. Ausgehend von einer Beschreibung der aktuellen Entwicklungen in diesen sechs Themenbereichen kommt der Bericht zum Schluss, dass es in den letzten fünf Jahren zum Teil markante Entwicklungen gegeben hat. Dies gilt insbesondere für das im Zuge der Ukraine-Krise nachhaltig verschlechterte Verhältnis zwischen dem Westen und Russland, die Verschärfung der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus sowie das Ausmass an illegalen Aktivitäten und Missbrauch im Cyber-Raum. Der Bericht hält fest, dass die Bedrohungen und Gefahren insgesamt noch komplexer, noch stärker untereinander verknüpft und unübersichtlicher geworden sind und dass eine besondere Herausforderung für die Sicherheit der Schweiz in der Kombination oder Verkettung der verschiedenen Bedrohungen und Gefahren liegt.

Ebenfalls als Teil der umfassenden Lageanalyse werden die für die Schweiz sicherheitspolitisch relevanten Organisationen und Vereinbarungen behandelt. In diesem Kapitel geht es darum, diese Organisationen (OSZE, Nato, EU, Europarat, UNO, Interpol) und Vereinbarungen
(z. B. im Abrüstungsbereich) zu beschreiben und die Möglichkeiten für eine verstärkte sicherheitspolitische Kooperation aufzuzeigen.

Dieser Teil ist ebenfalls etwas ausführlicher gehalten als im letzten sicherheitspolitischen Bericht, weil er dazu dient, ein Postulat der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates zu erfüllen (Postulat vom 20. Mai 2011, Verstärkte Mitwirkung der Schweiz bei der europäischen Sicherheitsarchitektur; 11.3469).

Nach der Lageanalyse wird die Ausrichtung der sicherheitspolitischen Strategie der Schweiz beschrieben (Ziff. 3). Bei der Strategie geht es darum, wie die sicherheitspolitischen Mittel eingesetzt werden sollen, um die sicherheitspolitischen Ziele zu erreichen und damit den sicherheitspolitischen Interessen zu dienen. Dazu werden zuerst die sicherheitspolitischen Interessen und Ziele definiert und anschliessend die Ausrichtung der sicherheitspolitischen Strategie der Schweiz beschrieben. Die

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inhaltlichen Bestandteile dieser Strategie sind Kooperation, Selbstständigkeit und Engagement. Es wird erläutert, was diese drei Kernbegriffe in der Praxis bedeuten und wie sie angewendet und kombiniert werden für eine möglichst wirksame und effiziente Sicherheitspolitik.

Ausgehend von der Strategie werden die Mittel zu deren Umsetzung beschrieben. Es wird aufgezeigt, nach welchen Grundsätzen die sicherheitspolitischen Instrumente eingesetzt werden und welche Beiträge sie leisten. Dabei wurde für diesen Bericht ein anderer Ansatz gewählt als bisher üblich: Statt die Aufgaben und Strukturen der Instrumente einzeln nacheinander aufzuführen, wird beschrieben, welche Beiträge die Instrumente zur Prävention, Abwehr und Bewältigung der einzelnen Bedrohungen und Gefahren konkret leisten. Diese Darstellung hat den Vorteil, dass ein direkter Bezug zu den einzelnen Bedrohungen und Gefahren hergestellt wird und dass die Aufgaben und das Zusammenspiel der Instrumente konkreter und anschaulicher beschrieben werden können. Ausgehend von dieser Beschreibung wird abschliessend festgehalten, welche Anpassungen und Massnahmen bei den einzelnen Instrumenten nötig oder bereits eingeleitet sind, um auch künftig die geforderten Leistungen erbringen zu können.

Im letzten Teil (Ziff. 4) wird die sicherheitspolitische Führung auf Stufe Bund und Kantone sowie die diesbezügliche Zusammenarbeit im Sicherheitsverbund Schweiz thematisiert. Hier geht es insbesondere darum, die Erkenntnisse aus der Pilotphase und Evaluation des Sicherheitsverbunds Schweiz sowie der ersten Sicherheitsverbundsübung abzubilden. Es wird festgehalten, dass sich der 2010 lancierte Sicherheitsverbund Schweiz grundsätzlich bewährt hat, und es wird auf punktuelle Anpassungen verwiesen, die nach der Evaluation und der Auswertung der Sicherheitsverbundsübung 2014 vorgenommen worden sind. Weiter enthält das Kapitel auch Aussagen zu den Mitteln für die sicherheitspolitische Führung, namentlich zur Bedeutung sicherer Kommunikationsmittel und geschützter Führungsanlagen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Einleitung

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Lage 2.1 Globale Trends 2.1.1 Übergang zu einer multipolaren Weltordnung 2.1.2 Ausbreitung von Wohlstand und Technologie 2.1.3 Anhaltende Krisen, Umbrüche und Instabilität 2.1.4 Migrationsbewegungen 2.1.5 Weiterentwicklung des Konfliktbildes 2.2 Bedrohungen und Gefahren 2.2.1 Einleitung 2.2.2 Illegale Beschaffung und Manipulation von Informationen 2.2.3 Terrorismus und Gewaltextremismus 2.2.4 Bewaffneter Angriff 2.2.5 Kriminalität 2.2.6 Versorgungsstörungen 2.2.7 Katastrophen und Notlagen 2.2.8 Fazit 2.3 Sicherheitspolitisch relevante Organisationen und Vereinbarungen 2.3.1 Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 2.3.2 Nato 2.3.3 Europäische Union 2.3.4 Europarat 2.3.5 Vereinte Nationen 2.3.6 Interpol 2.3.7 Weitere Bereiche internationaler Zusammenarbeit 2.3.8 Fazit 2.4 Bisherige Eckwerte der Sicherheitspolitik

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Strategie 3.1 Sicherheitspolitische Interessen und Ziele 3.1.1 Sicherheitspolitische Interessen 3.1.2 Sicherheitspolitische Ziele 3.2 Bestandteile der Strategie: Kooperation, Selbstständigkeit und Engagement 3.2.1 Kooperation 3.2.2 Selbstständigkeit 3.2.3 Engagement 3.2.4 Bezug zu den Bedrohungen und Gefahren

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3.3

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Mittel: Die Instrumente der Sicherheitspolitik und ihre Beiträge zur Prävention, Abwehr und Bewältigung der Bedrohungen und Gefahren 3.3.1 Illegale Beschaffung und Manipulation von Informationen 3.3.2 Terrorismus und Gewaltextremismus 3.3.3 Bewaffneter Angriff 3.3.4 Kriminalität 3.3.5 Versorgungsstörungen 3.3.6 Katastrophen und Notlagen 3.3.7 Anpassungsbedarf bei den Instrumenten der Sicherheitspolitik

Sicherheitspolitische Führung und Sicherheitsverbund Schweiz 4.1 Bund 4.2 Kantone 4.3 Zusammenarbeit Bund-Kantone 4.4 Mittel für die sicherheitspolitische Führung

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Abkürzungsverzeichnis

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Glossar

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Bericht 1

Einleitung

Berichte des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz dienen dazu, aufgrund einer Analyse des Umfeldes zu prüfen, ob und inwieweit bei der Sicherheitspolitik und ihren Instrumenten Anpassungsbedarf besteht, damit die Schweiz auf sich verändernde Bedrohungen und Gefahren rasch und richtig reagieren kann.

Seit dem letzten Bericht vom 23. Juni 20101 haben verschiedene sicherheitspolitische Entwicklungen und Ereignisse stattgefunden, die eine solche Analyse und Überprüfung nahelegen. Dazu gehören die Umbrüche und Konflikte in Nordafrika und im Nahen Osten, das damit zusammenhängende Anschwellen der Migrationsbewegungen, der Aufstieg der Terrororganisation «Islamischer Staat» und die erhöhte Anziehungskraft des Dschihad für Personen in westlichen Staaten, die Annexion der Halbinsel Krim durch Russland, die Kämpfe in der Ostukraine und die rapide Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, die massive Zunahme von Cyber-Angriffen, die gestiegene Macht von Propaganda im Zeitalter von allgegenwärtigen Kameras, digital bearbeiteten Bildern und Internet, die massenhafte Abschöpfung von Information mit elektronischen Mitteln und die nukleare Katastrophe in Fukushima. Das sind einschneidende und voraussichtlich lange nachwirkende Ereignisse. Sie sind in der Sicherheitspolitik der Schweiz zu berücksichtigen; sie dürfen aber nicht zum Schluss führen, dass nun alles anders sei als 2010.

Auch die sicherheitspolitischen Instrumente sind einem Wandel unterworfen.

Dies gilt insbesondere für die Armee. Sie soll in Bereitschaft, Ausbildung, Ausrüstung und regionaler Abstützung verbessert werden, einen Sollbestand von 100 000 Armeeangehörigen und Ausgaben von 5 Milliarden Franken pro Jahr erreichen. Sicherheitspolitisch wichtige Volksabstimmungen haben stattgefunden, zur allgemeinen Wehrpflicht und zur Beschaffung von Kampfflugzeugen.

Auch in anderen Bereichen der Sicherheitspolitik gab es Neuerungen. Grundlagendokumente und Gesetzesentwürfe wurden erarbeitet, wie etwa die Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken vom 19. Juni 20122, die Nationale Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen vom 27. Juni 20123, die Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung vom 18. September 20154, das neue Nachrichtendienstgesetz vom 25. September 20155, die Strategie für
den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz 2015+ vom 9. Mai 20126 oder der Bericht der Studiengruppe Dienstpflichtsystem vom 15. März 20167. Daneben hat sich die schweizerische 1 2 3 4 5 6 7

BBl 2010 5133 www.isb.admin.ch > Themen > Cyber-Risiken NCS www.bevoelkerungsschutz.admin.ch > Weitere Aufgabenfelder > Schutz kritischer Infrastrukturen BBl 2015 7487 BBl 2015 7211 BBl 2012 5503 www.vbs.admin.ch > Startseite > Aktuell > Wissenswertes > Die Zukunft der Dienstpflicht: neue Ansätze

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Sicherheitspolitik auch in der Praxis weiterentwickelt, im Inland vor allem durch den Sicherheitsverbund Schweiz, mit dem die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen weiter vorangetrieben wurde, im Ausland unter anderem mit dem Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) 2014.

Der vorliegende Bericht soll den sicherheitspolitischen Entwicklungen Rechnung tragen und aufzeigen, welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen. Er legt dar, wodurch die Sicherheit der Schweiz bedroht oder gefährdet wird, wie das Umfeld der Schweiz aussieht, welche sicherheitspolitische Strategie sie verfolgt, mit welchen Mitteln diese umgesetzt und wie die sicherheitspolitische Führung gestaltet wird.

Besonderes Augenmerk legt der Bericht auf die Darstellung der Bedrohungen und Gefahren. Es war dem Bundesrat ein Anliegen, diese umfassend und gründlich zu analysieren. Deshalb wurden zu dieser Frage Hearings mit sicherheitspolitischen Experten aus dem In- und Ausland durchgeführt, deren Resultate publiziert und auch in den vorliegenden Bericht eingeflossen sind. Ein weiterer Fokus des Berichts liegt auf der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit im regionalen Umfeld, womit der Bundesrat ein Postulat der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates vom 19. Mai 2011 erfüllt, das einen Bericht des Bundesrates zu diesem Thema verlangt (Verstärkte Mitwirkung der Schweiz bei der europäischen Sicherheitsarchitektur; 11.3469).

Wie beim letzten Bericht wurden die Kantone von Anfang an in die Arbeiten einbezogen. Dieses Vorgehen entspricht dem Geist des Sicherheitsverbunds Schweiz. Es ist Ausdruck davon, dass die Sicherheitspolitik in der Schweiz ganzheitlich betrachtet wird und deshalb auch die Gesamtheit der staatlichen Massnahmen aller Ebenen zur Gewährleistung der Sicherheit der Schweiz und ihrer Bevölkerung abgebildet werden soll. Entsprechend geht der Bericht vom gleichen, breiten Verständnis von Sicherheitspolitik aus wie der sicherheitspolitische Bericht 2010.

Sicherheitspolitik umfasst die Gesamtheit aller Massnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden zur Vorbeugung, Abwehr und Bewältigung machtpolitisch oder kriminell motivierter Drohungen und Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, die Schweiz und ihre Bevölkerung in ihrer Selbstbestimmung einzuschränken oder ihnen Schaden
zuzufügen. Dazu kommt die Vorbeugung und Bewältigung naturund zivilisationsbedingter Katastrophen und Notlagen.

Anders gesagt: Die Sicherheitspolitik ist betroffen, wenn Staaten, nichtstaatliche Gruppen oder einzelne Personen der Schweiz und ihrer Bevölkerung ihren Willen aufzwingen oder der Schweiz, ihrer Bevölkerung oder den Interessen des Landes Schaden zufügen wollen oder solchen Schaden in Verfolgung eigener Ziele in Kauf nehmen.8 Die Bewältigung natur- und zivilisationsbedingter Katastrophen und Notlagen wird separat erwähnt, weil dort keine feindliche Absicht vorliegt.

Dass die Sicherheitspolitik und ihre Instrumente für die staatliche Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit wichtig sind, ist unbestritten. Konflikte, Kriminalität, 8

Letzteres betrifft zum Beispiel die organisierte Kriminalität. Die Absicht dabei ist kaum, der Schweiz zu schaden, aber kriminelle Organisationen nehmen in Kauf, dass ihr Tun dem Staat, der Wirtschaft, der Gesellschaft oder Einzelpersonen Schaden zufügt.

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Katastrophen und Notlagen gab es schon immer und wird es auch weiterhin geben.

Die Frage ist, wie sie sich entwickeln und ob die Schweiz richtig ausgestattet ist, um damit umsichtig und wirksam umzugehen.

Zum besseren Verständnis des Textes finden sich am Ende ein Abkürzungsverzeichnis und ein Glossar.

2

Lage

2.1

Globale Trends

Die folgende Darstellung globaler Trends und von Bedrohungen und Gefahren für die Sicherheit der Schweiz und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner bezieht sich auf einen Horizont von rund zehn Jahren, also bis etwa 2025. Für diese Zeit können aktuelle Trends fortgezeichnet und deren Folgen abgeschätzt werden. Bei einigen Entwicklungen, wie zum Beispiel dem Klimawandel, sind zwar längere Trendaussagen möglich, die sicherheitspolitischen Implikationen daraus aber auf so lange Zeiträume nicht einschätzbar. Es geht also im Folgenden um aus heutiger Sicht wahrscheinliche Entwicklungslinien, auf die sich die Massnahmenplanung stützen kann.

2.1.1

Übergang zu einer multipolaren Weltordnung

Das internationale System befindet sich in einer Übergangsphase von einem unipolaren Zeitalter, wie es seit dem Ende des Kalten Kriegs besteht, zu einem multipolaren System. Die machtpolitischen Gewichte ­ gemessen an Faktoren wie Wirtschaftskraft, Bevölkerungszahl, Militärausgaben und Investitionen in neue Technologien ­ verlagern sich allmählich vom Westen in den asiatischen Osten und nach Süden.

Die USA, Europa und Japan werden einflussreich bleiben, aber im Vergleich zu anderen Ländern vermutlich an Einfluss verlieren. Sie werden Mächten wie China, Indien und Brasilien, in geringerem Masse auch Ländern wie Indonesien oder der Türkei, die bereits wichtige Akteure der Weltwirtschaft sind, mehr Platz einräumen müssen. Dies gilt auch für Russland, das zwar auf dem europäischen Kontinent eine aktivere Rolle spielt, im Vergleich zu den aufstrebenden Staaten aber zumindest wirtschaftlich stagniert. Diese Entwicklung wird über die nächsten zehn Jahre die westliche Dominanz des internationalen Systems aufweichen.

Die fortschreitende globale Vernetzung von Wirtschaft, Technologie und Information schafft auch mehr Möglichkeiten für nichtstaatliche Akteure, von terroristischen Gruppen und organisierter Kriminalität über globale Wirtschaftsimperien bis hin zu Megastädten, die Wirtschaftskraft und Innovation vereinigen. Diese neuen Akteure können mehr Einfluss auf grenzüberschreitende Konflikte und Konfliktlösungen erlangen.

In einer Welt mit mehr Akteuren und einer grösseren Diversität von Interessen könnten die Konfliktlösungsmechanismen der internationalen Organisationen wieder 7770

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vermehrt gelähmt und Entscheide verhindert oder verzögert werden. Umgekehrt wird der Bedarf nach Regelungen für regionale und globale Probleme sowie wirtschaftliche und militärische Stabilisierungsmassnahmen wahrscheinlich weiter wachsen. Neue Foren wie die G20 werden wichtiger.

Der Übergang in eine neue Ordnung wird mit Spannungen verbunden sein. Dies führt aber nicht notgedrungen zu Grosskonflikten, da die Führungsmächte bereits jetzt stark und in Zukunft noch zunehmend miteinander wirtschaftlich verflochten sein werden. In einigen Regionen wird diese Entwicklung jedoch nicht ohne Brüche ablaufen. Der bewaffnete Konflikt in der Ukraine stellt einen solchen Bruch dar, ausgelöst durch innere Zerwürfnisse und ein offensiveres Verhalten Russlands. In Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten und Südasien gibt es viele Treiber für innerstaatliche und zwischenstaatliche Konflikte: Wenig leistungsfähige Staatsstrukturen und mangelnde wirtschaftliche und politische Perspektiven können zu weiteren fragilen Staaten führen. Diese haben Destabilisierungspotenzial weit über ihre Grenzen hinaus.

Europa, Russland und die USA Die Infragestellung der bisherigen Ordnung hat in Europa bereits eingesetzt und nimmt ­ für manche überraschend ­ einen besonders dramatischen, militärischen Verlauf. In der Ukraine besteht ein bewaffneter Konflikt. Besonders in Osteuropa wird Russland als Bedrohung empfunden.

Russland hat eine vor 25 Jahren erlittene, als nationale Katastrophe empfundene Schwächephase überwunden und beginnt, die internationale Ordnung in Europa, wie sie sich nach dem Kalten Krieg herausgebildet hat, herauszufordern. Es ist nach einem langen Auf- und Umbauprozess heute in Bezug auf eine zentralisierte politische Struktur und Verwaltung, auf Sicherheitsstrukturen, einschliesslich der Streitkräfte, und auf die Wirtschaft stärker als vor 20 Jahren. Die russische Führung setzt politische, wirtschaftliche, militärische, nachrichtendienstliche und propagandistische Mittel zunehmend kombiniert ein. Gegen das Vorgehen Russlands regt sich im Westen Widerstand. In der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen um die Ukraine wurden aus Sicht der jeweiligen Gegenpartei bereits rote Linien überschritten, was eine Eskalation in Gang gesetzt hat. Die Rückkehr zu einer Lage, wie sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten
vorherrschte, zeichnet sich vorderhand nicht ab.

Die USA werden über die nächsten zehn Jahre die einzige wirklich globale Führungsmacht bleiben, auch wenn der Einfluss anderer Staaten zunimmt. Es stellt sich die Frage, wie die USA in einer Ära des Übergangs ihre Verantwortung für die Stabilität der internationalen Ordnung wahrnehmen werden, weltweit, aber seit dem Konflikt in der Ukraine vordringlich auch wieder in Europa.

Die sicherheitspolitische Zukunft in Europa ist ungewiss. So ist etwa noch nicht abschliessend zu beurteilen, ob der in Aussicht stehende Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union deren sicherheitspolitisches Gewicht langfristig schwächt oder im Gegenteil eine neue Dynamik verteidigungspolitischer Integration und Zusammenarbeit unter den verbleidenden Mitgliedern begünstigt.

Ambivalent gestalten sich auch die Szenarien für das zukünftige Verhältnis des 7771

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Westens gegenüber Russland. Einerseits ist eine Verhärtung der Fronten festzustellen, die das Risiko einer politischen, wirtschaftlichen und allenfalls militärischen Konfrontation zwischen Russland auf der einen Seite, den USA, der Nato und der EU auf der anderen Seite enthält. Anderseits gibt es zwischen dem Westen und Russland nach wie vor Raum für Kooperation, wie der Abschluss des IranNuklearabkommens zeigte. Wie die Entwicklung im Einzelnen verlaufen und wohin sie führen wird, kann nicht vorausgesagt werden. Schwere Krisenfälle könnten sich auf einer Ost-West-Bruchlinie quer durch den Kontinent ereignen, die vom Baltikum über Belarus, die Ukraine und Moldawien bis in den Kaukasus und den Balkan verläuft, wo die neue Rivalität Konflikte in einer Region überlagern könnte, die den Zerfall von Jugoslawien noch nicht überwunden hat. Dabei kann auf beiden Seiten ein breites Spektrum von nicht-militärischen und militärischen Mitteln eingesetzt werden.

Auswirkungen auf die Schweiz Die Schweiz ist weltweit stark vernetzt. Als Staat mit sehr beschränkten Machtmitteln liegt es in ihrem Interesse, dass internationale Normen bestehen und respektiert werden. Diese Normen sind aber nicht ein für alle Mal gesetzt. Der Auftritt neuer Akteure auf der internationalen Bühne und Veränderungen im Gewicht bestehender Akteure führt dazu, dass Normen zum Teil in einer Weise weiterentwickelt werden, die von der westlich-liberalen Ordnung der Nachkriegszeit abweichen. Für die Schweiz ist es wichtig, sich in diesen Prozess der Herausbildung neuer und der Anpassung bestehender Normen mit ihren Interessen und Werten einzubringen. Sie kann diesen Prozess aber weder dominieren, noch sich ihm entziehen.

Auch auf regionaler Ebene, in Europa oder im euro-atlantischen Raum, sind für die Schweiz wichtige Normen in Bewegung geraten, zum Beispiel in Bezug auf die Steuerpraxis. Generell läuft die Tendenz in Richtung stärkerer internationaler Harmonisierung, auf deren Ausgestaltung mächtige Akteure einen stärkeren Einfluss haben. Für die Schweiz entsteht ein Druck zur Übernahme der Normen; sie könnte diese nur unter beträchtlichen wirtschaftlichen Kosten und Risiken zu ignorieren versuchen.

Die Schweiz muss sich darauf einstellen, dass im politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb unter Staaten verschiedenste Machtressourcen
eingesetzt werden und sich je nach Gegenstand und Interessenlage wechselnde Allianzen bilden. Dieser Wettstreit um Interessen ist intensiv; er wird aber nur dann zu einem Thema für die Sicherheitspolitik, wenn Staaten versuchen, ihre politischen Interessen gegenüber der Schweiz gewaltsam oder unter Androhung von Gewalt durchzusetzen. Auf politischen und wirtschaftlichen Druck in der internationalen Ausmarchung von

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Interessen sind nicht sicherheitspolitische, sondern aussen- und wirtschaftspolitische Antworten gefragt.9 Die Schweiz ist politisch und wirtschaftlich für den Wandel grundsätzlich gut gerüstet. In vielen Fällen werden allerdings Abwägungen zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen notwendig werden. Die Konsolidierung der Beziehungen zur EU und zu den USA ist eine mindestens ebenso wichtige Voraussetzung, um die Handlungsfähigkeit zu bewahren, wie die Intensivierung der Beziehungen zu anderen Partnern.

2.1.2

Ausbreitung von Wohlstand und Technologie

Die Entwicklung der Weltwirtschaft ist ein zentraler Treiber des Trends zur Weiterverbreitung von Wohlstand. Angesichts der Finanzkrise von 2008 wäre eine Prognose über die nächsten zehn Jahre gewagt: Auch erneute Finanzkrisen sind möglich.

Die Multipolarität der Welt ist wirtschaftlich seit längerer Zeit eine Realität. Die Anteile der Wirtschaften der USA, Europas, Russlands und Japans an der globalen Wirtschaftsleistung sind sinkend, jene Asiens (mit Ausnahme Japans), Lateinamerikas und Afrikas steigend. Je nach Berechnungsgrundlage wird China 2025 oder wenig später voraussichtlich die USA als weltgrösste Wirtschaft ablösen.

In weiten Teilen der Welt verbessern sich die Lebensbedingungen ­ mit ungewissen Folgen Verschiedene Faktoren weisen darauf hin, dass die Mittelklassen in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wahrscheinlich weiter wachsen werden. Dieser Trend bewirkt tendenziell, dass mehr Regionen ein höheres Bildungsniveau erreichen und sich die Nutzung moderner Technologien und Kommunikationsmittel ausdehnt.

Diese Entwicklung verspricht für Hunderte von Millionen Menschen eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Sie kann in weiten Teilen der Welt Impulse zur Stabilisierung von Gesellschaften geben, anderswo aber je nach Ausgestaltung der politischen Ordnung und der Verteilung des geschaffenen zusätzlichen Wohlstandes die bestehenden Verhältnisse destabilisieren. Höherer Wohlstand bedeutet auch einen erhöhten Bedarf nach Ressourcen (z. B. Energieträger und andere Rohstoffe, Nahrungsmittel, Wasser), was zur Übernutzung der natürlichen Lebensgrundlagen und zu Verteilungskonflikten beitragen kann.

9

Die Aussen- und die Wirtschaftspolitik sind selber wesentliche Politikbereiche eines Staates mit eigenen Zielen und Verantwortlichkeiten, genauso wie die Sicherheitspolitik.

Das heisst, dass vieles in der Aussen- und der Wirtschaftspolitik nichts mit Sicherheitspolitik zu tun hat. Es gibt aber Querverbindungen und Überlappungen: Gewisse Bereiche der Aussen- und der Wirtschaftspolitik liefern auch wichtige Beiträge für eine wirksame Sicherheitspolitik, genauso wie die Sicherheitspolitik Beiträge zur Aussen- und zur Wirtschaftspolitik leistet.

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Auch der technologische Fortschritt wirkt als globaler Treiber Eng verknüpft mit der Entwicklung der Weltwirtschaft und des Wohlstands ist die technologische Entwicklung. Neue Produktionstechnologien in der Industrie, in der Landwirtschaft, im Energiesektor oder im Gesundheitswesen haben grosse Auswirkungen. So hat die neue Technologie zur Ausbeutung von Öl- und Gasreserven die USA in wenigen Jahren auf den Weg zur Energieautarkie gebracht. Miniaturisierung, Automatisierung, verstärkte Nutzung des Weltraums und die rasch fortschreitende Vernetzung der Infrastruktur dank neuer Informations- und Kommunikationstechnologien versprechen grosse Entwicklungssprünge in Wirtschaft, Forschung und öffentlicher Verwaltung. Sie verschärfen gleichzeitig aber auch die Problematik, dass viele Güter sowohl für friedliche als auch für machtpolitische, kriegerische oder kriminelle Zwecke verwendet werden können. Schranken für den illegalen Einsatz von Hochtechnologie zum grossflächigen Schaden der Gesellschaft werden fortwährend erodieren und deshalb werden sie neu definiert und durchgesetzt werden müssen. Dies betrifft insbesondere die Forschungsfreiheit und hier im Speziellen die biotechnologische Forschung.

Vor- und Nachteile des technologischen Fortschritts sind besonders im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie offensichtlich. Diese durchdringt mittlerweile praktisch alle Lebensbereiche, und die Möglichkeiten zur Nutzung von «Big Data» werden sich ausweiten, mit potenziell grossen positiven Impulsen für die Wirtschaft, aber auch für den Staat: Vernetzung der öffentlichen Infrastruktur für mehr Effizienz, Transparenz und Interaktivität mit den Benutzern. Umgekehrt entstehen grosse Risiken bezüglich Datensicherheit und Schutz vor mutwilliger oder gar feindlicher Störung derselben Infrastruktur (von der Elektrizitätsversorgung über Kommunikationsmittel bis hin zur illegalen Beschaffung und Manipulation von Informationen), insbesondere bei der Entwicklung des «Internet der Dinge», der digitalen Verknüpfung von Gegenständen und Maschinen.

Teil dieser technologischen Entwicklung ist die Weiterentwicklung und -verbreitung von leistungsfähigen Waffen. In der konventionellen Rüstung wird sich vor allem die Aufklärung und darauf basierend die Fähigkeit zur sofortigen und präzisen Zielbekämpfung verbessern
und verbreiten. Hochentwickelte, zum Teil sogar autonome Waffensysteme10 sowie bewaffnete und unbewaffnete Drohnen werden dabei eine immer grössere Rolle spielen. Auch wird eine grössere Anzahl an Staaten über die technologische Basis verfügen, welche die Herstellung von Massenvernichtungswaffen ermöglicht. Die Verhütung oder Eindämmung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel wird damit noch schwieriger.

Zunehmende Nutzung und Abhängigkeit von Technologien im Weltraum Gesellschaft, Wirtschaft und Behörden in der Schweiz nutzen zunehmend Daten und Informationen, die aus dem Weltraum gewonnen oder durch den Weltraum transportiert werden. Von alltäglichen Applikationen der Informations- und Kommunikationstechnologie über Dienstleistungen aller Art bis zu hochspezialisierten wissen10

Damit sind Waffensysteme gemeint, die aufgrund vorprogrammierter Einstellungen eine gewisse Zeit ohne menschliche Steuerung operieren können und bei denen in dieser Zeit die Programmierung Entscheidungen durch Menschen ersetzt.

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schaftlichen Diensten werden Technologien angewendet, die von der Nutzung des Weltraums abhängig sind. Dazu gehören auch sicherheitsrelevante Anwendungen in der Katastrophenhilfe, bei Notfalldiensten, der Polizei, Grenzwachtkorps, Armee und den Nachrichtendiensten. Die Nutzung des Weltraums für Beobachtung und Aufklärung, Kommunikation und Navigation ist für das Funktionieren, die Wohlfahrt und die Sicherheit moderner Gesellschaften im Alltag und in Krisen unverzichtbar und sicherheitspolitisch relevant.

Mit der zunehmenden Nutzung von Weltraumtechnologien wachsen auch Abhängigkeiten und Verletzlichkeiten. Systeme zur Nutzung des Weltraums sind als kritische Infrastrukturen zu verstehen, ebenso wichtig wie beispielsweise Datennetze.

Viele kritische Infrastrukturen am Boden hängen von der Nutzung der Weltraumtechnologie ab, so zum Beispiel die Steuerung von Finanzdienstleistungen, Verkehr, Energie und Kommunikation. Zur zentralen Weltrauminfrastruktur gehören neben Satelliten auch Empfängerstationen und weitere Betriebsinfrastrukturen auf dem Boden. Die Satelliten funktionieren nicht nur in einer ausserordentlich harschen Umgebung, sie sind auch hochsensibel und verletzlich gegenüber vielfältigen Gefahren. Diese können natürlichen oder technischen Ursprungs sein, beispielsweise durch Sonnenaktivität oder Weltraumschrott; sie können ohne Absicht eintreten, wie Kollisionen zwischen Satelliten, oder gewollt herbeigeführt werden, beispielsweise durch Anti-Satelliten-Waffen. Mit der zunehmenden Anzahl von Satelliten und anderen technischen Systemen im Weltraum steigt die Wahrscheinlichkeit von Zwischenfällen und nehmen Interessenkonflikte um den Zugang und die Nutzung beschränkt verfügbarer und für die Nutzung günstiger Erdumlaufbahnen zu.

In den letzten Jahren hat die Zahl der Weltraumakteure stark zugenommen. Das Weltall ist nicht mehr ausschliesslich die Domäne der Grossmächte; heute unterhalten über fünfzig Staaten Weltraumprogramme. Neben den Staaten spielen private, kommerzielle und nicht-kommerzielle Akteure eine zunehmend wichtige Rolle, wobei es sich dabei vermehrt auch um kleinere, private industrielle Einheiten handelt. Wirtschaftlich findet eine Privatisierung und Kommerzialisierung, technisch eine Miniaturisierung statt, mit der Folge, dass insgesamt ein breiterer Zugang zur Weltraumfahrt
entsteht. Die Vermischung von staatlichen, teilweise machtpolitischen Rivalitäten und transnationalen Wirtschaftskonflikten wird die internationalen Beziehungen beeinflussen; die Staaten werden gleichzeitig politikgestaltend und von Entwicklungen getrieben sein.

Seit den Anfängen der Raumfahrt spielen machtpolitische und militärische Interessen eine wesentliche Rolle. Dieser Aspekt akzentuiert sich. Militärisch bedeutungsvolles Technologiewissen verbreitet sich in immer mehr Staaten mit Absichten zur militärischen Nutzung des Weltraums. Diese Nutzung ist vielfältig: Sie reicht von der Überwachung, Aufklärung und Zielzuweisung, der Navigation bis hin zur Lenkung einzelner Waffen in ihr Ziel. Die USA, Russland und China verfügen über Waffensysteme, die von der Erde aus Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen kinetisch zerstören können. Neben kinetischen Angriffen sind auch nicht-kinetische möglich: Störung oder Blendung optischer Satellitensensoren mit Laserstrahlen oder sogar nuklear-elektromagnetische Impulse zur Zerstörung elektronischer Satelliten-Komponenten. Demgegenüber ist die Kriegführung aus dem Weltraum gegen terrestrische Ziele bis heute eine Vision geblieben, ebenso wie der Krieg im Weltraum, das 7775

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heisst die Bekämpfung von Weltraumobjekten durch im All stationierte Waffen. In dieser Dimension haben allerdings die USA und Russland verschiedentlich Versuche unternommen und bis heute halten Vermutungen an, dass sie solche Fähigkeiten haben.

Mit der zunehmenden Nutzung des Weltraums akzentuiert sich die Dual-useThematik; zivile und militärische Anwendungen können nur schwer auseinandergehalten werden. Viele heute allgemein verwendete Applikationen sind militärischen Ursprungs, wie Satellitenbilder oder Navigationssysteme. Umgekehrt können zivile Infrastrukturen und Anwendungen auch militärisch genutzt werden. Da eine wachsende Anzahl von Staaten das Weltall militärisch nutzt oder nutzen will und alle internationalen Bemühungen zur Eingrenzung oder Regulierung nur geringe Erfolge zeitigten, ist davon auszugehen, dass die Konkurrenz um Zugang und Nutzung des Weltraums wachsen wird, wobei kein Staat den Weltraum oder Teile davon völkerrechtlich für sich beanspruchen kann.

Auswirkungen auf die Schweiz Offene, globale Märkte sind für die Schweiz und ihren Wohlstand essenziell. Die Schweiz hat von der Globalisierung profitiert und kann deshalb auch vom Trend zur Ausbreitung von Wohlstand positive Impulse erwarten. Auf Exporten im Hochtechnologie- und Dienstleistungsbereich basierende Volkswirtschaften haben grundsätzlich gute Karten in einem sich wandelnden Weltmarkt. Gleichzeitig wird aber Europa relativ zu den aufstrebenden Ländern wirtschaftlich und politisch an Einfluss verlieren, und auch die Schweiz wird die Folgen eines zunehmend globalisierten Arbeitsmarktes und einer ebenso globalisierten Migration spüren. Die Herausforderungen für Europa würden drastisch steigen, falls das internationale Finanz- und Wirtschaftssystem erneut in eine Krise geraten sollte oder falls wiederholte Krisenlagen im EU-Raum die Errungenschaften des gemeinsamen Marktes gefährden sollten.

Die Abhängigkeit der Schweizer Wirtschaft von einem ungestörten Import von Rohstoffen, Gütern und Dienstleistungen bedeutet eine anhaltende Verwundbarkeit von Staat und Wirtschaft für Versorgungsstörungen. Die internationale Vernetzung der Schweiz bewirkt zudem eine Ausdehnung der Schweizer Interessen im Ausland: Durch ihre starke Präsenz ist die Schweiz weltweit wirtschaftlich und sozial zwar gut vernetzt, damit werden aber auch
Schweizer Staatsangehörige und Interessen von Konflikten und Gewalt bedroht.11 Die Schweizer Industrie verlagert die Fertigung teilweise in Länder mit günstigeren Produktionskosten. Damit verbunden ist immer der Transfer von Knowhow, das dann im Zielland grundsätzlich auch für nicht legitime Zwecke verwendet werden kann. Auch bei der Forschung besteht der Trend zur Internationalisierung, unter 11

Schweizerinnen und Schweizer machen pro Jahr rund 9 Millionen Auslandreisen, über 700 000 leben ständig im Ausland. 172 Auslandsvertretungen (103 Botschaften, 12 Missionen bei internationalen Organisationen, 22 Kooperationsbüros, 31 Generalkonsulate, 4 andere Aussenstellen) und 195 Honorarkonsulate vertreten die Interessen der Schweiz im Ausland. Dazu kommt eine grosse Zahl von Firmen und Nichtregierungsorganisationen mit engen Beziehungen zur Schweiz, darunter zum Teil mit humanitären Einsätzen in Krisengebieten.

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anderem aufgrund des in der Schweiz bestehenden Mangels an einheimischen Fachkräften.

Die Schweiz ist stark von der störungsfreien Nutzung des Weltraums abhängig.

Auch die sicherheitspolitischen Instrumente der Schweiz nutzen heute Navigationssignale aus dem Weltraum, Satellitenbilder und in seltenen Fällen Satellitenkommunikation. Angesichts der Bedeutung des Weltraums und der internationalen Entwicklungen stellen sich für die Schweiz sicherheitspolitische Herausforderungen. Die Schweiz betreibt keine eigenen Satelliten12 und ist nicht in der Lage, ein umfassendes Weltraumsystem autonom zu betreiben und zu schützen. Weil aber im Konfliktfall Leistungen von kommerziellen Anbietern oder Kooperationspartnern ausfallen können, soll geprüft werden, ob die Schweiz zumindest in Teilbereichen Kapazitäten aufbauen soll. Es gilt aufzuzeigen, welche Abhängigkeiten bei Weltraumanwendungen bestehen und wie damit umgegangen werden kann. Abklärungsbedarf besteht insbesondere in Bereichen wie der satellitengestützten Aufklärung (z. B. zur Überwachung terrestrischer kritischer Infrastrukturen), der Navigation und Positionierung (z. B. für genaue Allwetter-Navigation am Boden und in der Luft) oder bei luft- und weltraumgestützten Kommunikationssystemen. Dabei sollen staatliche zivile und militärische Organe ihre Arbeit eng koordinieren und mit der Schweizer Forschung und Industrie zusammenarbeiten.

International engagiert sich die Schweiz für die friedliche Nutzung des Weltraums und für die Stabilität und Sicherheit im Weltraum. Sie setzt sich gegen einen Rüstungswettlauf und die Stationierung von Waffen im Weltall ein. Sie befürwortet angemessene, der Technologie angepasste und durchsetzbare internationale Regelungen.

2.1.3

Anhaltende Krisen, Umbrüche und Instabilität

In den vergangenen Jahren haben sich vor allem in Nordafrika, im Nahen und im Mittleren Osten die politischen Verhältnisse krisenhaft zugespitzt und Umbrüche eingesetzt. Zum Teil innerhalb dieser Region, zum Teil aber auch ausserhalb bestehen fragile Staaten; in immer mehr Gebieten werden staatliche Strukturen geschwächt oder lösen sich gar auf. Es ist davon auszugehen, dass die Umbrüche weitergehen, Situationen sich weiterhin zuspitzen werden und die Instabilität anhält.

Die Zustände in Europa lassen sich mit jenen in diesen Krisenregionen nicht vergleichen. Aber auch in Europa hat sich ­ ausgelöst von der Finanz- und Schuldenkrise und verstärkt durch den bewaffneten Konflikt in der Ukraine sowie grosse Flüchtlingsbewegungen aus dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika ­ gezeigt, dass die wirtschaftliche, finanzielle, soziale und zum Teil auch politische Stabilität weniger robust ist als vorher angenommen.

12

Ein von der ETH Lausanne gebauter Minisatellit (Swiss Cube) wurde im September 2009 in das Weltall geschickt, um ein Leuchtphänomen in der oberen Atmosphäre zu fotografieren, das durch Interaktion zwischen der Sonneneinstrahlung und Sauerstoffmolekülen verursacht wird. Es handelt sich dabei aber nicht um einen operativen Einsatz eines Satelliten durch den Bund.

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Krisenregionen Besonders explosiv präsentiert sich die Gemengelage von Umbruch, Krisen und Instabilität im Nahen und Mittleren Osten: Neben jahrzehntealten ungelösten Problemen (israelisch-palästinensischer Konflikt, ethnisch-religiöse Spannungen im Libanon) zeigt sich dort, wie sich in fragilen und durch Konflikte geschwächten Staaten und Gesellschaften radikale Bewegungen einnisten, die nicht notwendigerweise einen lokalen Ursprung haben und sich bei stabileren Bedingungen nicht bilden würden. Teile von Irak und Syrien werden von einer terroristischen Organisation («Islamischer Staat») kontrolliert, mit der Konsequenz, dass ausländische Kämpfer (viele von ihnen aus Europa und einige davon aus der Schweiz) an den Kämpfen in Irak und Syrien teilnehmen. Aber auch in anderen Ländern der Region und darüber hinaus gibt es Ableger des «Islamischen Staates» und von Al-Qaida. Sie prosperieren in Krisengebieten und profitieren von der Unfähigkeit von Staaten, ihr Machtmonopol durchzusetzen und ihre Grenzen zu kontrollieren. Die Schwäche der staatlichen Strukturen, die Erfahrung, dass Aufstände gegen die Regierung erfolgreich sein können, die zweifelhafte Legitimität der von Kolonialmächten gezogenen Grenzen und wiedererwachte grenzüberschreitende Identitäten bedrohen die bisherige Ordnung in dieser Region.

Die Auseinandersetzung um das iranische Nuklearprogramm konnte mit einem umfassenden Abkommen zwischen Iran, den fünf permanenten Mitgliedern des Sicherheitsrates und Deutschland im Juli 2015 entschärft werden. Das Abkommen sieht eine massive Einschränkung der iranischen Fähigkeiten im Nuklearbereich vor, bei gleichzeitiger Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen den Iran. Dieses Abkommen könnte, wenn es umgesetzt wird, eine neue Dynamik in der Region des Persischen Golfs auslösen, mit einer Wiederkehr einer iranischen Führungsrolle, aber auch dem Risiko eines Konflikts zwischen Iran und Saudi-Arabien, den Führungsmächten von Schiiten und Sunniten. Die Spannung zwischen diesen beiden Staaten ist ein Schlüsselfaktor in mehreren regionalen Konflikten (Irak, Syrien, Jemen).

In der Sahel-Zone überlagern sich althergebrachte Verwerfungen und neuere Konflikte. Oft fördern die schwache Teilhabe von Minderheiten an der staatlichen Macht, soziale Ungleichheit und die Schwäche der staatlichen Strukturen
Spannungen, die zu Aufständen und Staatsstreichen führen können. Clan-Wirtschaft und Korruption behindern die wirtschaftliche Entwicklung. Zunehmende Umweltprobleme und Bevölkerungswachstum verschärfen Armut, Migrationsströme, Arbeitslosigkeit und Entvölkerung der ländlichen Regionen. Weite Gebiete entgleiten der staatlichen Kontrolle, und die Staaten können die Sicherheit ihrer Einwohner nicht gewährleisten. Dies wiederum gibt lokalen politischen Akteuren und der transnational organisierten Kriminalität grosse Freiräume für Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, Geiselnahmen und Geldwäscherei und erhöht die Attraktivität terroristischer Gruppen. Terroristische Gruppierungen wie die Al-Qaida im islamischen Maghreb oder die Ableger des «Islamischen Staates» in Nigeria (Boko Haram) und Libyen sind weiterhin in der Region aktiv oder haben Fuss gefasst. Diese werden teilweise von ausserhalb der Region finanziell unterstützt. Besonders gross ist die Instabilität im Grenzgebiet von Libyen, Algerien und Niger, aber auch in Mali. Im Grunde ist der Sahel eine von Instabilität geprägte Region, trotz den Bemühungen 7778

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einzelner Staaten, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Afrikanischen Union, der Vereinten Nationen und weiterer internationaler Organisationen.

Fragile Staaten Ein grundlegendes Sicherheitsproblem in Nordafrika und dem Nahen Osten, aber auch in anderen Regionen liegt in der Schwäche staatlicher Strukturen. Das heisst, dass gewisse Länder ­ man spricht von «fragilen Staaten» ­ nicht in der Lage sind, grundlegende Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken und staatliche Funktionen wahrzunehmen, weil ihre Organisation oder Finanzmittel nicht ausreichen oder sie von inneren Konflikten zerrüttet sind. Dem Verhalten lokaler Eliten, ihren Machtmitteln und der Art, wie sie ihre Macht ausüben, kommt dabei eine grundlegende Bedeutung zu. Oft spielen Rohstoffvorkommen, der Zugang zu diesen und die Verteilung des wirtschaftlichen Ertrags eine zentrale Rolle. Mit schwachen Institutionen einher geht eine geringe Legitimität der politischen Führung, fehlende Rechtsstaatlichkeit und ein aufgeweichtes oder fehlendes Gewaltmonopol des Staates. Dies führt zu Defiziten bei der Sicherheit der Bevölkerung und der Einhaltung der Menschenrechte sowie zu schwachem wirtschaftlichem Wachstum. Neue Technologien, demografische Veränderungen und der Klimawandel haben in den letzten Jahren die Fragilität von Staaten verstärkt.

Drogenhandel, Waffenhandel und die Missachtung von Menschenrechten sind oft zugleich Ursache und Folge von Fragilität und Gewaltkonflikten. Die bewaffneten Konflikte in fragilen Staaten werden meist von Kriegswirtschaften genährt, die wiederum eng mit organisierter Kriminalität, Korruption und Terrorismus verknüpft sind. Rund zwei Drittel der fragilen Staaten haben seit 1989 bewaffnete Konflikte erlebt. In über 40 Prozent der Länder, die einen bewaffneten Konflikt durchlaufen haben, kommt es innerhalb von zehn Jahren erneut zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

Eine weitere Begleiterscheinung von fragilen Staaten und Gewaltkonflikten ist die Piraterie. Angriffe auf Handelsschiffe mit Kaperungen und Lösegeldforderungen begannen 2006 im Golf von Aden und weiteten sich in der Folge auf das Horn von Afrika und Teile des Indischen Ozeans aus. Die 2009 einsetzenden militärischen Operationen und die schiffsseitigen Präventivmassnahmen zeigten rasch Wirkung.

Der Schwerpunkt der Piraterie hat sich an
die westafrikanische Küste mit Zentrum Nigeria verlagert. Zur Lösegelderpressung kommt in Afrika eine grosse Gewaltbereitschaft hinzu, die häufig zum Tod oder zu schweren Verletzungen von Seeleuten führt.

Libyen und Jemen sind Beispiele dafür, wie staatliche Autorität rasch zerfallen kann.

In beiden Fällen haben innere Konflikte zusammen mit externer Einflussnahme den fragilen Staat rasch zu einem eigentlichen gescheiterten Staat («failed state») mutieren lassen.

Auswirkungen auf die Schweiz Es besteht eine direkte Verbindung zwischen der Unsicherheit im Maghreb und im Nahen und Mittleren Osten und der Sicherheit in der Schweiz: Die Konflikte in dieser Region, die Feindseligkeit der Terrororganisationen Al-Qaida und «Islami7779

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scher Staat» gegen den Westen und die Attraktivität des Dschihadismus auch für Menschen in der Schweiz sind für die terroristische Bedrohung in Form von Anschlägen in der Schweiz oder gegen schweizerische Personen und Einrichtungen im Ausland ausschlaggebend. Dabei sind nicht nur die Pläne der Terrororganisationen von Belang; Personen in der Schweiz können sich selbst radikalisieren und ohne direkte Verbindung zu Terrororganisationen aktiv werden. Vor allem dschihadistische Rückkehrer sind eine Bedrohung. Zudem verursacht oder begünstigt die regionale Instabilität Flüchtlings- und Migrationsströme, die auch von Terroristen genutzt werden können, um unerkannt in die Schweiz zu gelangen.

Schweizer Staatsangehörige und Interessen können auch direkt vor Ort bedroht sein.

Es ist auch in Zukunft davon auszugehen, dass Schweizerinnen und Schweizer im internationalen Vergleich überdurchschnittlich oft verreisen oder im Ausland arbeiten und dass der Aufenthaltsort in Krisengebieten liegen kann. Die Betroffenheit von Schweizer Interessen durch Konflikte oder terroristische Aktionen kann dabei eher zufällig sein; als westliche Nation wird die Schweiz aber in dschihadistischen Kreisen als Teil des generellen Feindbildes wahrgenommen. Namentlich in Konfliktzonen im islamischen Raum können Schweizerinnen und Schweizer jederzeit Opfer von Entführungen oder Terrorakten werden.13 Mit einer zunehmend schwierigen Sicherheitslage sind auch immer mehr diplomatische Vertretungen der Schweiz konfrontiert, sodass in den letzten Jahren an mehreren Botschaften die Sicherheitsmassnahmen verstärkt werden mussten. Gewaltsam ausgetragene Konflikte können zudem neben natur- oder technikbedingten Katastrophen auch kurzfristig grössere Evakuierungen von Schweizerinnen und Schweizern erfordern.

Eine Herausforderung besteht schliesslich für die in der Schweiz ansässigen Unternehmen, die in fragilen Staaten tätig sind, sowie für den internationalen Finanzplatz Schweiz. Diese Unternehmen sehen sich erhöhten Reputationsrisiken ausgesetzt. 14 Die Volatilität im Nahen und Mittleren Osten und die manchenorts morsche Abstützung der politischen Eliten enthält auch Risiken für wirtschaftlich wichtige Transportwege, von denen einige durch die Region führen (Suez-Kanal, Strasse von Aden, Strasse von Hormuz) und für die Erdölproduktion,
auch wenn die Abhängigkeit des Westens von Öl arabischer Herkunft gesunken ist.

Darüber hinaus besteht das Risiko, dass ein nukleares Wettrüsten im Mittleren Osten das gesamte globale Regime zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen mindestens beeinträchtigen oder sogar zum Kollaps bringen könnte. Jede Weiterverbreitung solcher Waffen ist der Sicherheit der Schweiz abträglich.

13

14

Die Anzahl Entführungen mit terroristischem Hintergrund ist zu Beginn dieses Jahrzehnts sprunghaft angestiegen. So waren rund ein Dutzend solcher Entführungen mit Bezug zur Schweiz zu verzeichnen. Der Anschlag von Luxor (Ägypten) von 1997, bei dem 36 Schweizerinnen und Schweizer getötet wurden, war zwar eine Ausnahme. Es werden aber immer wieder Schweizer Staatsangehörige bei terroristischen Anschlägen getötet oder verletzt.

Siehe dazu: Bericht der interdepartementalen Koordinationsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung (KGGT) vom Juni 2015 über die nationale Beurteilung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierungsrisiken in der Schweiz.

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2.1.4

Migrationsbewegungen

Wenn in diesem Bericht von Migration die Rede ist, dann umfasst dies sowohl die privat oder beruflich motivierte Migration als auch die Flucht vor bewaffneten Konflikten und individueller Verfolgung. Neben bewaffneten Konflikten und fehlenden wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven werden die anhaltende Globalisierung der Wirtschaft, divergierende Altersstrukturen und Einkommensunterschiede zwischen reichen und ärmeren Regionen und Ländern und innerhalb von Ländern dazu beitragen, dass die Migration weiter zunehmen wird.

Weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In Europa wurden 2015 über eine Million Asylgesuche gestellt, der überwiegende Teil davon aufgrund der anhaltenden Konflikte in Syrien und dem Irak. Im Mittelmeerraum haben die Migrationsbewegungen in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Während Syrer im Jahr 2014 mehrheitlich über Libyen und das zentrale Mittelmeer nach Süditalien gelangten, verschob sich die Migration 2015 auf die Route von der Türkei über die östliche Ägäis nach Griechenland. Auch die afghanischen, irakischen, pakistanischen und iranischen Asylsuchenden, deren Zahl zugenommen hat, benützen grösstenteils ebenfalls diese Migrationsroute, ebenso wie Personen aus nordafrikanischen Staaten. Die Weiterwanderung der Migranten aus Griechenland auf der sogenannten Balkanroute wurde von den Ländern auf dieser Route toleriert und ihr Transit teilweise sogar unterstützt.

Neben der Herkunft der Migranten kann sich auch die Migrationsroute schnell ändern. Verschiedene staatliche Massnahmen können dazu beitragen, die Migration auf einer bestimmten Route einzudämmen oder faktisch zu stoppen, aber dies führte bisher oft bloss dazu, dass sich die Migration auf andere Routen verlagerte.

Personen, die über das zentrale Mittelmeer nach Italien gelangen, stechen meist von Libyen aus in See, seit das weitgehende Fehlen staatlicher Strukturen es Schlepperbanden ermöglicht, praktisch ungehindert ihrer Tätigkeit nachzugehen. In vielen west- und zentralafrikanischen Ländern besteht ein grosses und latentes Abwanderungspotenzial. Hier kann schon eine kleine Veränderung der Lage (z. B. eine Verschlechterung der politischen oder ökonomischen Situation) zu einer Zunahme der Abwanderung führen. Bislang standen ökonomische Motive im
Vordergrund für die Abwanderung aus Nigeria und anderen westafrikanischen Staaten, aber durch die anhaltenden Kämpfe im Nordosten Nigerias und in den angrenzenden Staaten ist eine weitere Motivation hinzugekommen. Europa ist dabei nur sekundäres Ziel; die meisten Personen bleiben auf dem afrikanischen Kontinent.

Die Migration nach Europa hat 2015 die Staaten entlang der Balkanroute und die Zielstaaten vor grosse Probleme gestellt. Als primäre Zielstaaten der Migranten waren Deutschland, Schweden und Österreich stark betroffen. Die Regierungen dieser Länder ergriffen verschiedene Massnahmen, um die Migration besser zu kontrollieren. Beispielsweise führten einige EU-Mitgliedstaaten wieder Binnengrenzkontrollen ein oder erliessen strengere Asylgesetze. Nationale Vorgehensweisen setzten das Schengen-Dublin-System stark unter Druck. Auf EU-Ebene wurden Programme zur Umsiedlung von Asylsuchenden aus Italien und Griechenland in andere europäische Staaten verabschiedet. An diesen Programmen beteiligt sich die Schweiz auf freiwilliger Basis.

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Die Europäische Kommission lancierte zudem eine Reihe von Reformen im Schengen-/Dublin-System, darunter die Schaffung einer neuen Grenzschutzagentur mit breiterem Aufgabenfeld sowie die Anpassung des Schengener Grenzkodex, um systematische Kontrollen von freizügigkeitsberechtigten Personen an der SchengenAussengrenze durchführen zu können. Sie strebt zudem eine Reform der DublinRegelungen an, die eine fairere Teilung der Verantwortung unter den beteiligten Staaten fördern soll.

Auswirkungen auf die Schweiz Die Schweiz gehört zu den Industriestaaten, in denen das Durchschnittalter der Bevölkerung steigt; sie ist mit einer aus wirtschaftlicher Sicht ungünstigen Entwicklung der Altersstruktur konfrontiert. Die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte kann diesen Trend abschwächen. Gleichzeitig bringen Migrationsbewegungen gesellschafts- und auch sicherheitspolitische Herausforderungen mit sich.

Im Zuge der weltweiten Konflikte stieg die Zahl der Asylsuchenden auch in der Schweiz an, wenn auch weniger ausgeprägt als im europäischen Durchschnitt. Die Entwicklung in den Konfliktregionen ist ungewiss und die Migrationsentwicklung schwer voraussehbar.

Die Zunahme der Migration ist an sich keine sicherheitspolitische Bedrohung für die Schweiz. Die Migration berührt aber neben der Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik auch eine Reihe von Aspekten der Sicherheitspolitik. Unter Migranten können sich vereinzelt auch Personen befinden, die Verbindungen zu terroristischen Kreisen oder terroristische Absichten haben, wie die Anschläge in Frankreich, Belgien und Deutschland gezeigt haben. Migration kann ethnische Spannungen oder gewalttätigen Extremismus fördern, beispielsweise zwischen verschiedenen Ethnien, die in einem internen Konflikt Parteien sind. Migranten können auch Einfluss auf die Entwicklung der Kriminalität haben. Gewalt-, Vermögens- und Drogendelikte sowie Urkundenfälschungen (gefälschte Reise- und Aufenthaltsdokumente) und Scheinehen sind zudem mit irregulären Migrationsbewegungen verbunden.

Migration, organisiertes Schlepperwesen, Ausbeutung und Menschenhandel begünstigen sich gegenseitig. Wegen hoher ausstehender Zahlungen von Schlepperleistungen können Migranten mit irregulärem Aufenthalt ausgenutzt werden, weil sie die Schulden durch Arbeit abgelten müssen. Bei Sprachunkenntnis und
Mittellosigkeit können Migranten von kriminellen Organisationen leichter ausgebeutet werden.

Frauen und Kinder gelten als besonders gefährdet, Opfer von organisierter Bettelei, Zwangsprostitution oder Ausnutzung der Arbeitskraft zu werden.

Die Schweiz engagiert sich mit kurz- und längerfristig wirksamen Massnahmen, um die Fluchtursachen zu bekämpfen und um die direkten und indirekten Auswirkungen der Zunahme der Migration zu bewältigen. Sie tut dies zum einen mit verschiedenen aussen- und migrationsaussenpolitischen Massnahmen. Sie leistet humanitäre Hilfe zur Linderung von Not vor Ort und in Transitstaaten. Sie setzt sich für den Schutz von Migrantinnen und Migranten in Erstaufnahmeländern ein und unterstützt die betroffenen Staaten und deren Bevölkerung. Auch hilft sie mit, dass Flüchtlinge in den Herkunftsregionen eine nicht von Nothilfe abhängige Existenz aufbauen können. Mit ihrem Engagement bearbeitet die Schweiz sozio-ökonomische und politi7782

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sche Fluchtursachen und trägt zu nachhaltiger Entwicklung und besseren Perspektiven bei. Mit dem Instrumentarium der Friedens- und Menschenrechtspolitik engagiert sie sich in der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung und setzt sich für eine politische Lösung der Syrien-Krise und anderer Konflikte ein. Zudem unterstützt sie in regionalen Dialogen und auf globaler Ebene kooperative Ansätze in Migrationsfragen.

Weiter beteiligt sich die Schweiz an Massnahmen der EU, in dem sie sich beispielsweise für eine solidarischere Verteilung der Asylsuchenden und eine Angleichung der Asylstandards innerhalb Europas einsetzt. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung ist die freiwillige Beteiligung der Schweiz an Programmen der EU zur Umsiedlung (Relocation) und Neuansiedlung (Resettlement) schutzbedürftiger Personen. Zudem beteiligt sich die Schweiz im Rahmen ihrer SchengenAssoziierung finanziell und mit der Entsendung von Grenzwächtern an der EUAgentur zur Sicherung der Schengen-Aussengrenzen (Frontex). Sie nimmt weiter am Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen teil und entsendet Experten für dessen Einsätze zur Unterstützung von Mitgliedstaaten.

Schliesslich ergreift die Schweiz auch Massnahmen im Inland. Um die Attraktivität der Schweiz zu senken, werden seit 2012 schwach begründete Asylgesuche prioritär behandelt, und für bestimmte Herkunftsländer mit tiefer Schutzquote hat die Schweiz beschleunigte Asylverfahren eingeführt. Ausserdem hat der Bund Strukturen im Hinblick auf eine laufende Beurteilung der Migrationslage und die Bewältigung von Krisensituationen gebildet, in denen Vertreter des Bundes und der Kantone eng zusammenarbeiten. Eine von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden gemeinsam verabschiedete Notfallplanung soll sicherstellen, dass auch bei einer stark ansteigenden Zahl von Asylgesuchen alle Schutzsuchenden registriert, überprüft und betreut werden können. Schliesslich wurden Vorkehrungen getroffen, damit die Armee bei Bedarf zur Unterstützung der zivilen Behörden, in erster Linie des Grenzwachtkorps, rasch eingesetzt werden kann. Die Schweiz engagiert sich dafür, dass Personen, die in der Schweiz kein Asyl erhalten, in ihre Heimatstaaten zurückgeführt werden können. Dafür werden Rückübernahmeabkommen abgeschlossen und die freiwillige Rückkehr mit Anreizen gefördert.

2.1.5

Weiterentwicklung des Konfliktbildes

Die sicherheitspolitische Lage ist in einem stetigen Wandel begriffen. Das trifft auch auf die Art zu, wie bewaffnete Konflikte ausgetragen werden. Das Konfliktbild hat sich stark gewandelt; das haben auch die jüngsten bewaffneten Konflikte in Europa bestätigt.

Veränderte, aber nicht grundlegend neue Form bewaffneter Konflikte Bewaffnete Konflikte zeichnen sich zunehmend dadurch aus, dass militärische, politische, wirtschaftliche und auch kriminelle Mittel und Kräfte unter Einbezug moderner Waffen und Technologien, insbesondere im Kommunikations- und CyberBereich, orchestriert zusammen eingesetzt werden. Propaganda und Desinformation spielen dabei eine zentrale Rolle. Von besonderer Bedeutung ist das enge Zusam7783

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menwirken von regulären und irregulären Kräften. Irreguläre geniessen dabei häufig staatliche Unterstützung und agieren im Interesse oder gar im Auftrag eines Staates, ohne dass sich dieser dazu bekennen muss. Zur Anwendung gelangt diese Art der Kriegführung ­ die häufig auch als hybride Kriegführung bezeichnet wird ­ in verschiedenen Bereichen und Sphären: auf dem Gefechtsfeld, wo gekämpft wird, unter der Zivilbevölkerung, bei der es darum geht, Sympathien und Unterstützung zu finden, und innerhalb der internationalen Gemeinschaft, in der es um politische und wirtschaftliche Unterstützung geht. Von Staaten wird eine solche Art der Kriegführung vor allem dann angewendet, wenn es darum geht, das internationale Recht (insbesondere das Recht auf Selbstverteidigung) zu unterlaufen oder eine für den Aggressor nachteilige Intervention der internationalen Staatengemeinschaft zu vermeiden. Unter Umständen lässt sich damit auch ein Vorwand für massives militärisches Eingreifen provozieren. Diese Art der Kriegführung ist nicht völlig neu; neu ist aber die Qualität einiger Elemente. Dabei geht es um neue Informationsmittel und -kanäle für Propaganda, Information und Desinformation sowie Führung, um früher regulären Armeen vorbehaltene moderne und sehr leistungsfähige Waffensysteme in den Händen irregulärer Kräfte, um den Einsatz von Sonderoperationskräften, die manchmal in einer völkerrechtlichen Grauzone agieren, und um die Operationssphäre Cyber. Ein exemplarischer Fall für diese Art von Konfliktaustragung sind die Vorgänge in der Ukraine.

Informationsoperationen: Desinformation und Propaganda Manche Staaten setzen zur Erreichung ihrer Ziele ihr gesamtes Machtspektrum ein.

Dazu gehören neben der Aussenpolitik und der Armee auch Informationsoperationen. Diese werden in Kombination mit anderen Massnahmen oder im Vorfeld von militärischen Aktionen zum Einsatz gebracht, um die Öffentlichkeit und die Gegenseite zu beeinflussen. Dabei geht es um Diskreditierung und Spaltung der Akteure und um die Schaffung einer Atmosphäre, in der ein erheblicher Teil der Bevölkerung den Erklärungen der Behörden nicht mehr glaubt. In Bezug auf militärische Operationen können Informationsoperationen bewirken, dass für einen Angreifer der grossflächige Einsatz von Streitkräften nicht notwendig wird, sondern beispielsweise nur
der Einsatz von Spezialkräften, und dass die Erfolgschancen eines Einsatzes regulärer Streitkräfte, sollte ein solcher dennoch nötig sein, steigen.

Informationsoperationen umfassen vor allem Desinformation und Propaganda, um der Gegenseite im Informationsraum die Handlungsfähigkeit zu nehmen, die Initiative an sich zu reissen und zu schaden. Bei Desinformation geht es darum, das Vertrauen der Bevölkerung in offizielle Verlautbarungen zu beschädigen, indem einzelne Aspekte dieser Verlautbarungen mit gezielten Fehlinformationen in Zweifel gezogen werden. Propaganda zielt demgegenüber darauf ab, Informationen zu verbreiten, die eine bestimmte Sichtweise auf Ereignisse fördern und dadurch politische Haltungen fördern oder bekämpfen.

Die Inhalte von Informationsoperationen werden oft zentral festgelegt, deren Kernbotschaften zum Teil über eigens zu diesem Zweck geschaffene Medien (Fernsehkanäle, Newsportale) sowie über die sozialen Medien verbreitet. Zu beobachten ist auch eine systematische Bearbeitung von Kommentarspalten von Online-Medien.

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Innerstaatliche und zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte Der Zerfall staatlicher Strukturen und die Erosion des staatlichen Gewaltmonopols begünstigen interne bewaffnete Konflikte und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Lokale Milizen, Söldner, kriminelle Banden und private Sicherheitsfirmen spielen dabei eine zentrale Rolle. Ob die Häufigkeit derart ausgetragener Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren weiter zunehmen oder eher abnehmen wird, ist offen. Sicher werden sich solche Konflikte auch weiterhin wesentlich häufiger ereignen als zwischenstaatliche Kriege. Mit Letzteren muss aber auch in Zukunft gerechnet werden. Herkömmliche militärische Mittel und Fähigkeiten werden deshalb weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Wo reguläre militärische Verbände zum Einsatz kommen, wird es auch künftig um den Kampf der verbundenen Waffen gehen. Infanterie, Panzer, Artillerie, Kampfflugzeuge und andere Mittel zur Luftkriegführung sind weiterhin wichtige Mittel.

Technologie Alle Beteiligten an Konflikten, staatliche wie nichtstaatliche, haben heute wesentlich bessere Möglichkeiten, Informationen über den Gegner zu beschaffen und ein Lagebild zu erstellen. In einigen Bereichen, insbesondere im Cyber-Raum, spielen Landesgrenzen und Distanzen kaum noch eine Rolle, in anderen Bereichen ist dagegen physische Präsenz vor Ort nach wie vor erforderlich. Auch bei den Wirkmitteln haben Distanzen eine geringere Bedeutung. Wiederum gilt das besonders für den Cyber-Raum. Cyber-Angriffe können zur Unterstützung militärischer Operationen oder unabhängig von militärischen Aktionen durchgeführt werden. Es ist davon auszugehen, dass in künftigen Konflikten praktisch alle Parteien, grosse und kleine, staatliche und nichtstaatliche, im Cyber-Raum offensiv vorgehen werden. Die grössere Bedeutung des Cyber-Raums kann zur Folge haben, dass die Schweiz von bewaffneten Konflikten auch dadurch berührt wird, dass Informations- und Kommunikationsinfrastruktur in der Schweiz von ausländischen Akteuren in Konflikten missbraucht oder beschädigt wird. Zudem können Einschränkungen der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen im Ausland direkte Folgen für die Schweiz nach sich ziehen.

Distanzen verlieren auch bei der Projektion physischer Gewalt an Bedeutung, wenn auch in weit geringerem Ausmass. Durch die Verbreitung
weitreichender Trägermittel, insbesondere von ballistischen Lenkwaffen und Marschflugkörpern, werden immer mehr Staaten fähig, militärisch über Tausende von Kilometern zu wirken.

Eine besondere Art der globalen Machtprojektion ist der Einsatz von Drohnen, die häufig lokal stationiert sind, aber direkt aus dem Heimatland geführt werden, zur Aufklärung und Zielbekämpfung. Bis jetzt verfügen einzig die USA über diese Fähigkeit. Die Zahl der Akteure, die Macht auf diese Weise global anwenden können, wird zunehmen. Die Möglichkeiten nichtstaatlicher Akteure zur Projektion physischer Gewalt werden dennoch geringer bleiben als jene von Staaten. Sie werden sich zur Gewaltanwendung in entfernten Gebieten oft darauf beschränken müssen, Kämpfer einzuschleusen oder lokal zu rekrutieren. Die weltweite Mobilität und Vernetzung erleichtert dieses Vorgehen.

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Auswirkungen auf die Schweiz Die Wahrscheinlichkeit, dass die Schweiz ­ auch unter den veränderten Umständen der Konfliktaustragung ­ in absehbarer Zeit selber in einen bewaffneten Konflikt 15 verwickelt werden könnte, hat sich erhöht, bleibt aber gering. Der Wandel im Konfliktbild beeinflusst die Schweiz, ihre Sicherheitspolitik und ihre Instrumente zur Umsetzung dieser Sicherheitspolitik dennoch: Neue Realitäten bringen veränderte Anforderungen an die Ausrichtung und Leistungsfähigkeit der eigenen sicherheitspolitischen Instrumente mit sich, damit diese wirksam bleiben.

Die Veränderungen in der Art, wie Konflikte ausgetragen werden, betreffen vor allem die Armee. Ihre Fähigkeiten müssen auf das gegenwärtige und auf das wahrscheinliche künftige Konfliktbild ausgerichtet sein, nicht auf ein vergangenes.

Als Teil dieser Anpassung wurde überprüft, ob das Verständnis davon, was ein bewaffneter Angriff (und damit auch die Armeeaufgabe Verteidigung) ist, angesichts des Nebeneinanders von konventioneller und unkonventioneller Kriegführung revidiert werden muss. Innerhalb der bestehenden verfassungsmässigen und rechtlichen Rahmenbedingungen wurde diese Frage geklärt; die Ergebnisse sind in Ziffer 3.3.3 dieses Berichts zusammengefasst. Im Kern geht es darum, dass man von einem bewaffneten Angriff unter bestimmten Bedingungen auch dann sprechen kann, wenn nichtstaatliche Gruppierungen hinter einem Angriff stehen und dieser im Innern des Landes erfolgt; es geht nicht nur um den Angriff staatlicher Streitkräfte an der Grenze.

Konkrete Konsequenzen aus der Veränderung des Konfliktbildes wurden mit der Weiterentwicklung der Armee gezogen. Dies betrifft vor allem die Bereitschaft, die Ausbildung und die Ausrüstung. Bewaffnete Angriffe können rasch erfolgen, darum muss die Armee ­ vor allem zum Schutz der kritischen Infrastruktur ­ rasch aufgeboten und eingesetzt werden können. Die breitere Palette von Angriffsmöglichkeiten und die erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass zivile Ziele angegriffen werden, führt dazu, dass die Armee mehr als bisher auf Schutz und Sicherungsaufgaben ausgerichtet sein muss, ob diese als subsidiärer Einsatz zur Unterstützung der zivilen Behörden oder in Umsetzung der originären Vereidigungsaufgabe erfolgen. Das wirkt sich auf die Ausbildung und die Ausrüstung aus.

Um bei solchen Konfliktformen
wirksam zu reagieren, ist es wichtig, die kritischen Infrastrukturen zu kennen und rasch priorisieren zu können. Die Führung eines aktuellen Inventars kritischer Infrastrukturen und dessen Integration in ein nationales Lageverbundsystem tragen dazu bei, ebenso wie die Erarbeitung und Überprüfung von Schutzdispositiven für besonders wichtige Objekte.

15

Mit bewaffneter Konflikt ist hier eine Situation gemeint, in der die Schweiz sich verteidigen muss, d. h. das Ausmass der Bedrohung (Intensität, Ausdehnung) so gross ist, dass die territoriale Integrität, die gesamte Bevölkerung oder die Ausübung der Staatsgewalt bedroht sind und die Armee für die Verteidigung eingesetzt werden muss. Diese Auslegung des Begriffs Verteidigung betrifft einzig und allein einen verfassungsrechtlichen Begriff der Bundesverfassung und damit die innerstaatliche Frage, wer in einem Fall, in dem die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz massgeblich gefährdet ist, zuständig ist. Die völkerrechtliche Definition des Verteidigungsfalles gemäss UNO-Charta sowie des bewaffneten Konflikts bleiben vorbehalten.

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Das grosse Potenzial von Propaganda und Desinformation ist bei der Entwicklung der Information und Kommunikation seitens der Behörden zu berücksichtigen, um im Ereignisfall durch wahrheitsgemässe Information und Kommunikation die Wirkung von Desinformation und Propaganda zu negieren oder mindestens abzuschwächen. Dies erfordert, dass die Behörden die Möglichkeit von gegnerischen Informationsoperationen berücksichtigen und die Bedeutung einer aktiven und objektiven Information erkennen.

Die Cyber-Dimension moderner Konflikte ist einer der Gründe dafür, dass öffentliche und private Unternehmen, Betriebe und Verwaltungen ­ und auch die Armee ­ sich in dieser Hinsicht besser schützen. Sie ist auch ein Grund dafür, nachrichtendienstliche und forensische Fähigkeiten für das Erkennen, die Verfolgung und den Nachweis von Cyber-Angriffen beizubehalten und weiterzuentwickeln ­ gerade auch, um Desinformation entgegenzutreten.

Die Verwendung nicht gekennzeichneter Truppen und der von Staaten dirigierte und alimentierte Einsatz nichtstaatlicher Kräfte in Konflikten werfen operationelle und rechtliche Fragen auf.

2.2

Bedrohungen und Gefahren

2.2.1

Einleitung

Wenn man die Entwicklung der Bedrohungen und Gefahren 16 seit dem letzten Bericht über die Sicherheitspolitik der Schweiz betrachtet, so stellt man einschneidende Ereignisse vor allem in Bezug auf bewaffnete Konflikte (Ukraine, Jemen, Syrien, Irak), Terrorismus (Aufstieg des sog. «Islamischen Staates»), Spionage (NSA-Affäre) und technisch bedingte Katastrophen (Fukushima) fest. Weniger hat sich bei der Kriminalität, dem gewalttätigen Extremismus, der Gefahr von Versorgungsstörungen und den Naturgefahren verändert.

Zugenommen haben auch Cyber-Angriffe (durch staatliche und nicht-staatliche Akteure) und Cyber-Kriminalität. Der letzte Bericht fasste die Bedrohung im CyberRaum unter dem Aspekt der Angriffe auf die Informatik- und Kommunikationsinfrastrukturen zusammen. In vorliegenden Bericht wird ein anderer Ansatz gewählt. Die Informatik durchdringt praktisch alle Lebensbereiche; und überall dort, wo weiträumig vernetzte Informatik angewandt wird, besteht das Risiko, dass der virtuelle Raum dieser Vernetzung, der Cyber-Raum, missbraucht wird: Die Bedrohung im Cyber-Raum ist eine Querschnittsbedrohung. Sie schafft zu einem gewissen Teil neuere Bedrohungen, vor allem aber intensiviert sie bestehende Bedrohungen. So erleichtert sie die Spionage, verstärkt durch die Möglichkeit von Fremdeinwirkungen auf kritische Infrastrukturen die Gefahr von Versorgungsstörungen und gibt Kriminellen zusätzliche Mittel in die Hand. Deshalb werden Cyber-Bedrohungen in diesem Bericht nicht als separate Kategorie dargestellt, sondern als ergänzende und zunehmend wichtige Komponente anderer Bedrohungen und Gefahren.

16

Eine Bedrohung setzt einen Willen voraus, die Schweiz oder ihre Interessen zu schädigen oder zumindest eine solche Schädigung in Kauf zu nehmen. Eine Gefahr setzt keinen Willen zur Schädigung voraus (z. B. Naturgefahren und technische Gefahren).

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In der Folge werden die wichtigsten Bedrohungen und Gefahren 17 mit Bezug zur Schweiz dargestellt. Um anschaulich und nachvollziehbar zu machen, um welche Art von Bedrohungen und Gefahren es sich dabei handelt und von welchen aktuellen Entwicklungen sie geprägt sind, müssen diese auseinandergehalten und einzeln beschrieben werden. Dies darf aber nicht zum falschen Schluss führen, dass die beschriebenen Bedrohungen und Gefahren in der Realität ebenfalls nur einzeln und voneinander getrennt eintreten können; damit würde man die Bedrohungen und Gefahren nämlich unterschätzen, weil zwei Phänomene vernachlässigt werden:

17

­

Zum einen ist die Kombination oder Verkettung von verschiedenen Bedrohungen und Gefahren zu beachten. So könnte es nach einer Naturkatastrophe zu Versorgungsstörungen kommen, was wiederum eine rasche Verschlechterung der öffentlichen Sicherheit verursachen könnte. Ein Cyber-Angriff könnte einen grossräumigen Stromausfall zur Folge haben, der seinerseits die meisten Funktionen von Wirtschaft und Gesellschaft zum Erliegen bringen würde sowie weitere Kettenreaktionen auslösen könnte, von denen die ganze Bevölkerung betroffen wäre. Anders gesagt: Wenn eine Bedrohung oder Gefahr zur Realität wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass dadurch weitere Bedrohungen oder Gefahren ausgelöst werden. Das ist bei den sicherheitspolitischen Massnahmen (und auch Übungen) zu berücksichtigen. Es genügt nicht, jede Bedrohung oder Gefahr einzeln zu meistern; auch die Wechsel- und Folgewirkungen müssen berücksichtigt werden.

­

Zum andern ist der Bezug zur Schweiz weit zu fassen. Die Schweiz, ihre Bevölkerung und ihre Interessen können auch dann Schaden erleiden, wenn sie selber nicht das prioritäre Ziel oder überhaupt das Ziel sind. Die Schweiz ist vor allem mit ihren Nachbarstaaten, aber in vielen Belangen auch darüber hinaus, so stark verflochten, dass sie unweigerlich betroffen wird, wenn für einen Staat, eine Volkswirtschaft oder eine Gesellschaft in ihrer Umgebung eine Bedrohung zur Realität wird; es gibt auch in der Sicherheitspolitik das Phänomen des Kollateralschadens. Wenn im Umfeld der Schweiz ein Staat in einen bewaffneten Konflikt verwickelt wird, Terroranschläge erleidet oder seine Wirtschaft und Politik durch die organisierte Kriminalität unterhöhlt werden, hat das auch Konsequenzen für die Sicherheit der Schweiz. Deshalb sind die in der Folge dargestellten Bedrohungen auch dann für die Schweiz von Bedeutung, wenn sie nicht auf die Schweiz selbst, sondern auf ihr Umfeld gerichtet sind.

Zum Teil handelt es sich dabei um Bündel von Bedrohungen oder Gefahren. So umfasst die Gefahr Katastrophen und Notlagen neben Natur- und technischen Katastrophen auch Pandemien und die Auswirkungen des Klimawandels. Unter der Bedrohung bewaffneter Angriff sind auch die Auswirkungen der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und der Mittel zu ihrem Einsatz subsummiert.

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2.2.2

Illegale Beschaffung und Manipulation von Informationen

Spionage aus politischen oder wirtschaftlichen Motiven gegen die Schweiz oder gegen Schweizer Interessen fand schon immer statt. Auch die Risiken, dass politische Prozesse und Entscheide oder die wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität durch verfälschte Informationen beeinflusst werden oder das Land durch Sabotage beeinträchtigt wird, sind nicht neu.

Neben traditionellen Mitteln wie dem Einsatz von Spionen wird aber für solche Zwecke immer mehr Informations- und Kommunikationstechnologie genutzt. Dazu gehören das Eindringen in IT-Netzwerke, die Manipulation von Mobiltelefonen der Zielpersonen als Abhöreinrichtung oder die illegale Ausforschung per Internet.

Nachrichtendienste und Unternehmen beauftragen auch private, kommerziell arbeitende Agenturen (Detekteien, Beratungsfirmen) und Hacker, um an vertrauliche Daten und Informationen heranzukommen.

Eine neuere und sich verstärkende Entwicklung ist ausserdem, dass illegal erworbene Informationen kommerziell angeboten werden und sich teilweise sogar ein entsprechender Markt entwickelt hat. Die Hemmschwelle ist sowohl bei potenziellen Datenherausgebern als auch bei potenziellen Interessenten an solchen Daten gesunken. Dabei scheint es selbst Staaten kaum zu stören, dass sie auf illegale Weise an Daten gelangen.

Während Spionage früher bedeutete, dass Agenten die Schweiz selbst betreten oder Schweizerin und Schweizer, die sich im Ausland aufhalten, für die Spionage in der Schweiz anwerben mussten, und damit ein gewisses Risiko bestand, verhaftet zu werden, hat sich diese Situation in den letzten Jahren stark verändert. Zwar bleibt die herkömmliche Art der Spionage relevant, über die Verknüpfung der IT-Netzwerke ist es aber möglich geworden, elektronisch auf Informationen zuzugreifen, ohne das Staatsgebiet des Zielobjekts je betreten zu müssen. Selbst kleinere Staaten oder Organisationen können heute ihre Konkurrenten oder Gegner auf diesem Weg ausspionieren. Bei gezielten Angriffen wird vor allem Schadsoftware eingesetzt, die an ausgesuchte Opfer versendet wird.

Es sind auch Eingriffe in Steuerungsanlagen möglich, die zu einem unvorhergesehenen Verhalten, zum Beispiel von Fabrikationsanlagen oder kritischen Infrastrukturen, führen und damit für die Sabotage kritischer Systeme benützt werden können.

Wie verschiedene Fälle gezeigt haben, werden
solche Angriffe häufig durch den traditionellen Einsatz von Agenten und Spionagetechniken flankiert. Eine weitere Bedrohung ist, dass Informationen durch Schadprogramme unwiederbringlich zerstört werden (wogegen gute Backup-Konzepte helfen) oder schleichend verfälscht werden (was viel schwieriger zu entdecken ist).

Eine weitere Form von Cyber-Angriffen ist die Manipulation von Informationen, indem beispielsweise Websites von Regierungen, Medien oder Firmen gehackt werden. Die Verbreitung diskreditierender Botschaften oder der Unterbruch von Dienstleistungen können zu Reputationsschäden führen und die öffentliche Meinung beeinflussen. Über soziale Medien lassen sich Botschaften mit geringem Aufwand sehr rasch verbreiten, auch solche manipulativen oder diskreditierenden Inhalts.

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Manipulation der Informations- und Kommunikationstechnologie durch technologisch führende Staaten Für einige wenige technologisch führende Staaten sind durch die IT-Vernetzung praktisch aller Datenbanken und technischen Steuerungssysteme sowie insbesondere durch die Konzentration der technischen Entwicklung von Netzwerkkomponenten auf wenige Firmen Möglichkeiten für noch tiefere Eingriffe entstanden. Diese reichen von der Manipulierung von Industriesteuerungsanlagen bis zu einer praktisch weltumfassenden Kommunikationsüberwachung.

Gewisse Staaten sind in der Lage, auf die Herstellung von Hard- und Software einzuwirken. Durch den Zugriff auf die Programmierung ­ und hier insbesondere auf die Updates der Netzwerkkomponenten und Betriebssysteme oder die künstliche Schwächung von Verschlüsselungssystemen ­ ist es ihnen möglich, direkt in die Systeme einzugreifen. Ein potenzieller Angreifer muss damit nicht mehr Netzwerkhürden oder Firewalls überwinden, sondern befindet sich bereits im Firmennetz, nämlich in der durch ausländische Firmen hergestellten Hard- oder Software.18 Da dabei kein systemfremder Schadcode eingesetzt wird und die Manipulation Teil des gelieferten Systems ist, ist es für das Opfer bei der heutigen Komplexität der Systeme sehr schwierig zu erkennen, dass überhaupt ein Angriff stattfindet.

Nutzung von Grundtechnologien für Spionagezwecke stellt grundsätzliche Fragen Die breit angelegte Nutzung von Internettechnologien für nachrichtendienstliche Zwecke durch technologisch führende Staaten hat verschiedene Implikationen.

Wenn grundlegende Informations- und Kommunikationstechnologien der weltweiten Vernetzung plötzlich nicht mehr zuverlässig scheinen, können nur schwer Schutzmassnahmen getroffen werden, ist es doch praktisch nicht mehr möglich, auf die Nutzung dieser Technologien zu verzichten. Auch die rechtliche Einordnung dieser Aktivitäten ist schwierig. Wie weit geht legitime Terrorismusbekämpfung, und ab wann findet eine unzulässige Verletzung der Privatsphäre oder Spionage statt? Innerstaatliche Kommunikationsüberwachung ist zumindest in demokratischen Ländern meist streng kontrolliert und muss oft in jedem einzelnen Fall zum Beispiel durch Gerichte bewilligt werden. Grundsätzlich tangiert jede Sammlung und Bearbeitung von Kommunikationsdaten sowie deren Speicherung die
völkerrechtlich verankerten und universell geltenden Menschenrechtsgarantien, insbesondere das Recht auf Privatsphäre. Diese Garantien verpflichten die Staaten auch in ihrem grenzüberschreitenden Handeln.

Auch in der Schweiz gibt es Anbieter für Informations- und Kommunikationsüberwachung, die auf kommerzieller Basis für andere Staaten aktiv werden können.

Dabei kann sich die Frage stellen, ob diese Aktivitäten mit der Sicherheits- und Aussenpolitik der Schweiz vereinbar sind.

18

Die USA verfügen diesbezüglich über eine unangefochtene Vormachtstellung und Marktmacht, weil die grosse Mehrheit der Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnologien (Software- und Hardware-Hersteller) ihren Hauptsitz in den USA haben.

In geringerem Masse gilt das auch für China, das bei der Herstellung von HardwareBausteinen ebenfalls eine grosse Marktmacht hat; die Entwicklung der Software aber, die diese Komponenten ansteuert, ist oft nicht in chinesischer Hand.

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Schweiz als attraktives Spionageziel ­ auch als Standort internationaler Organisationen Die Attraktivität der Schweiz für fremde Nachrichtendienste geht hauptsächlich auf folgende Elemente zurück: ­

Die zentrale Lage in Europa mit guter Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, die UNO und andere internationale Gremien, insbesondere auf dem Platz Genf, der Finanzplatz, der Energie- und Rohstoffhandel bieten eine grosse Anzahl von Zielen. Dabei muss nicht die Schweiz selber im Visier sein, angegriffen werden auch internationale Organisationen, Grossfirmen und Nichtregierungsorganisationen. Die offene Gesellschaft der Schweiz erhöht die Chance für Spione, unerkannt zu bleiben.

­

Regierung und Verwaltung der Schweiz sind insbesondere dann gefährdet, wenn es darum geht, Interessen in umkämpften internationalen Verhandlungen durchzusetzen (z. B. bei Steuerfragen) oder wenn bei anderen Staaten der Eindruck entsteht, dass die Schweiz in der Bekämpfung von Bedrohungen, die auch für diese Staaten gefährlich werden könnten (z. B. Terrorismusvorbereitungen, Proliferation gefährlicher Waffen), zu wenig tut oder über Informationen verfügt, die interessant sein können.

­

Schweizer Hochschulen sowie öffentliche oder private Forschungszentren können wegen der hohen Standards und wirtschaftlich interessanter wissenschaftlicher Erkenntnisse attraktive Ziele für ausländische Nachrichtendienste und Unternehmen sein.

­

Ausländische Regimegegner und Oppositionelle in der Schweiz können von ihren Heimatstaaten überwacht werden.

2.2.3

Terrorismus und Gewaltextremismus

Obwohl die Schweiz in den letzten Jahren nicht von Anschlägen betroffen war, bedrohen Terrorismus und Gewaltextremismus die Sicherheit der Schweiz weiterhin. Der dschihadistisch motivierte Terrorismus wird auch in den kommenden Jahren für die Schweiz die bedrohlichste Form von Terrorismus und Gewaltextremismus bleiben. Allerdings besteht auch in anderen Bereichen (ethnonationalistisch, rechts- oder linksextrem motiviert) ein terroristisches oder gewaltextremistisches Potenzial, das sich innert kurzer Zeit realisieren kann.

In den letzten Jahren hat sich die vom dschihadistisch motivierten Terrorismus ausgehende Bedrohung erhöht; so im Herbst 2015, als der «Islamische Staat» Personen nach Europa schickte, um Anschläge zu planen und durchzuführen. Es ist mit weiteren Anschlägen in Europa zu rechnen, deren wahrscheinliche Urheber der «Islamische Staat» und Al-Qaida sein werden.

Ausländische gewaltextremistische oder terroristische Gruppierungen können auch in Europa Rückzugs- und Vorbereitungsräume einrichten und nutzen. Sie können versuchen, auch in der Schweiz Aktivitäten wie Rekrutierung, Sicherstellen der Logistik, Finanzierung und Planung von Anschlägen zu betreiben, wie der Fall der 7791

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im März 2016 vom Bundesstrafgericht erstinstanzlich verurteilten Mitglieder einer Zelle des «Islamischen Staates» zeigt. Solche Aktivitäten können zu politischem Druck seitens anderer Länder oder zu direkten, die Souveränität verletzenden Gegenmassnahmen wie verbotenem Nachrichtendienst führen kann.

Das Internet bietet allen gewaltextremistischen und terroristischen Gruppierungen neue Möglichkeiten, sowohl zur Propaganda wie zur heimlichen Vernetzung; es vereinfacht und unterstützt die Selbstradikalisierung künftiger Einzeltäter wie auch die Beteiligung an der Planung von Terroranschlägen über Landesgrenzen hinweg.

Entwicklungen und Konflikte im Ausland als Treiber Auch in der Schweiz haben ausländische terroristische und gewaltextremistische Gruppierungen Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten. Ihre Strategie und ihre Aktionen werden in erster Linie von der Lage in ihrem Kampfgebiet bestimmt, können aber auch von Ereignissen in der Schweiz beeinflusst werden (Anlässe, politische Debatten).

Dem «Islamischen Staat» ist es gelungen, sich in einem grossen Gebiet von Syrien und Irak als bestimmende Macht zu etablieren. Er hat die Führungsrolle in der dschihadistischen Bewegung von der Al-Qaida übernommen. Das Augenmerk der international ausgerichteten Dschihadisten gilt auch der westlichen Präsenz und westlichen Interessen in der islamischen Welt. Dabei gilt die Schweiz als Teil des Westens, steht aber weniger im Fokus als in der Region stärker involvierte westliche Staaten. Ereignisse oder politische Entscheide in der Schweiz, die in der islamischen Welt als muslimfeindlich aufgefasst werden, können aber die Schweiz zur Zielscheibe auch gewalttätigen Protests machen. Radikalisierte, indoktrinierte und kampferprobte Rückkehrer aus Konfliktgebieten könnten als Einzeltäter oder in Kleingruppen hierzulande Anschläge verüben. Via Internet können aus der Ferne Personen radikalisiert oder zu einem Anschlag mobilisiert werden, die anschliessend hier zur Tat schreiten. Hauptsächlich im Bereich Dschihadismus besteht derzeit das Risiko, dass sich ein hausgemachter Terrorismus entwickelt. Dies wird aber voraussichtlich nicht dazu führen, dass die Schweiz zu einem primären Ziel des dschihadistischer Akteure wird; es besteht aber (und erhöht sich allenfalls zeitweilig) das Risiko terroristischer Einzelaktionen.
Darüber hinaus können ausländische Interessen (z. B. Botschaften) oder internationale Organisationen in der Schweiz fallweise oder permanent einer höheren Bedrohung durch terroristische oder gewaltextremistische Gruppierungen ausgesetzt sein.

Das Erkennen solcher Akteure ­ derzeit hauptsächlich Einzeltäter oder Kleingruppen mit allenfalls loser Verbindung zu grösseren Gruppierungen ­ stellt insbesondere den Nachrichtendienst vor grosse Herausforderungen.

Mittel des Terrorismus Terroristen werden weiterhin versuchen, Anschläge auf weiche Ziele zu verüben.

Sie werden dazu in erster Linie Schusswaffen und Sprengstoff einsetzen, das aber möglichst innovativ, und auf maximale Wirkung bedacht sein. Die Anschläge in Paris und Brüssel haben gezeigt, dass Terroristen unbeteiligte Zivilisten ins Visier nehmen, um eine hohe Schockwirkung innerhalb der Bevölkerung zu erzielen.

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Gewisse Gruppierungen könnten auch versuchen, mit nuklearen, radiologischen, biologischen oder chemischen Substanzen Anschläge zu verüben Der Einsatz solcher Mittel erfordert allerdings nicht nur die nötigen Substanzen, sondern auch entsprechendes Wissen und spezifische Fertigkeiten. Der Kampfeinsatz von Dschihadisten in Syrien ­ einem Land, in dem chemische Kampfstoffe vorhanden sind und regelmässig eingesetzt werden ­ erhöht die Bedrohung, dass solches Know-how verbreitet wird.

Bezüglich der Weiterverbreitung nicht-konventioneller Waffen an nichtstaatliche Akteure sind zwei Themenfelder zu unterscheiden. Einerseits besteht das Risiko, dass Mittel aus staatlichen Arsenalen in den Besitz nichtstaatlicher Akteure gelangen; diese Bedrohung akzentuiert sich in Regionen, die vom Zerfall staatlicher Strukturen bedroht sind. Anderseits können nichtstaatliche Gruppierungen versuchen, selbst Massenvernichtungswaffen herzustellen. Ein Erfolg im Bereich Nuklearwaffen kann dabei ausgeschlossen werden, da terroristische Akteure nicht über die nötigen Ressourcen verfügen. Eine Bedrohung besteht aber im Einsatz einer «schmutzigen Bombe», die mit strahlendem Material versetzt ist. Im Bereich chemischer Substanzen oder pathogener Erreger sind die technischen und logistischen Hürden zwar auch signifikant, aber tiefer. In diesem Zusammenhang könnte die Schweiz zum Ziel von Beschaffungsversuchen werden.

Entführungen zur Erpressung von Lösegeld sind zu einer essenziellen Finanzierungsquelle für den Terrorismus geworden, von der auch Schweizer Bürgerinnen und Bürger betroffen waren und weiterhin betroffen sind.

Gleichbleibendes Gewaltpotenzial des Rechts- und Linksextremismus Rechts- und Linksextremismus sind in der Schweiz gesellschaftlich und politisch weitgehend isoliert, insbesondere wenn sie mit Gewalttaten verbunden sind. Eine Verminderung des Gewaltpotenzials ist nicht zu erwarten, aber es gibt auch keine Hinweise darauf, dass sich der einheimische rechte oder linke Gewaltextremismus hin zu schwereren Gewalttaten oder gar Terrorismus entwickelt. Insbesondere rechtsextremes Gedankengut in seiner herkömmlichen Form stösst aber in unserer Gesellschaft weitgehend auf Ablehnung. Die Strategie der rechtsextremen Szene, ihre Absichten im politischen System zu verwirklichen, ist gescheitert. Zahlenmässig im Rückgang
und gezwungen, sich bedeckt zu halten, ist derzeit keine neue Strategie absehbar. Sofern sich dies nicht ändert, ist nur vereinzelt mit diffuser Gewalt gewalttätiger Rechtsextremer zu rechnen.

Rechts- wie Linksextremismus werden aber versuchen, von aktuellen Themen zu profitieren. Neue Impulse könnten sowohl in der rechts- wie linksextremen Szene von ihren jeweiligen Pendants vornehmlich in unseren Nachbarländern ausgehen.

Die linksextreme Szene könnte sich allenfalls auch darum bemühen, ausländische Gewalttäter für Anschläge auf Schweizer Interessen hierzulande oder im Ausland zu gewinnen. Für den Linksextremismus ist eine Bewegung weg vom MarxismusLeninismus hin zum Anarchismus zu erwarten; eine neue Plattform könnte er im Rahmen von Auseinandersetzungen über Nutzung und Entwicklung städtischen Raums finden. Schon heute treten hier Linksextreme als Trittbrettfahrer und

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Gewaltkatalysatoren auf, was die Ordnungskräfte grösserer Städte immer wieder vor Herausforderungen stellt.

2.2.4

Bewaffneter Angriff

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Anwendung oder Androhung militärischer Gewalt zur Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen weltweit und auch in Europa eine Realität bleiben. Dabei kommen unterschiedliche Vorgehensweisen zum Zuge, militärische Gewaltanwendung herkömmlicher Art, aber auch unkonventionelle oder hybride Kriegführung, bei der neben oder statt regulärer Armeen weitere Mittel eingesetzt werden: Sonderoperationskräfte ohne Kennzeichnung ihrer Zugehörigkeit, verdeckte Unterstützung aufständischer Gruppierungen mit Söldnern, Waffen, Aufklärung und finanziellen Mitteln, wirtschaftlicher Druck und Desinformation, um die eigenen Aktivitäten zu kaschieren, die andere Seite anzuschwärzen und die politische Unterstützung für die eigene Seite zu stärken. Ein Gegner kann seine Ziele auch durch eine Beeinträchtigung der für das Funktionieren der staatlichen Führung, der wirtschaftlichen Abläufe und des gesellschaftlichen Lebens zentralen kritischen Infrastrukturen erreichen. Solche Angriffe richten sich nicht nur gegen die Integrität des Staatsgebietes, sondern direkt gegen das ordentliche Funktionieren des Landes und seiner Institutionen bis hin zur Unterminierung der staatlichen Souveränität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.19 Auch die erheblichen Potenziale an konventionellen Waffen sind trotz gewissen Reduktionen in Europa immer noch vorhanden, beziehungsweise wurden zum Teil ausgebaut. Kommt hinzu, dass auch terroristische und andere nichtstaatliche Akteure in den Besitz von militärischen Mitteln gelangen könnten, die bislang Staaten vorbehalten waren.

Anstrengungen Russlands zur Erneuerung seiner Streitkräfte In den militärischen Planungen Russlands spielt die Nato weiterhin eine wichtige Rolle. Die russischen Streitkräfte üben regelmässig den Kampf gegen die Nato in lokal begrenzten Konflikten nahe der russischen Grenze. Nach dem Kalten Krieg haben die russischen Streitkräfte in kurzer Zeit einen beispiellosen Niedergang erlebt. Am wenigsten davon betroffen waren die strategischen Nuklearstreitkräfte.

Die Talsohle ist aber durchschritten. Russland unternimmt erhebliche Anstrengungen zur Erneuerung seiner Streitkräfte.

Am weitesten fortgeschritten sind die Bemühungen bei den Luftstreitkräften. Nach anfänglichen Schwierigkeiten werden der russischen
Luftwaffe seit Anfang dieses Jahrzehnts in hohem Tempo moderne Mittel zugeführt. Russland beschafft inzwischen jährlich bedeutend mehr Kampfflugzeuge als jedes andere europäische Land.

Bereits heute verfügt es über die grösste Flotte an modernen Kampfflugzeugen in Europa, und falls Russland diese Kadenz aufrechterhalten kann, wird sich die Flotte mit hoher Wahrscheinlichkeit bis 2020 fast verdoppeln und damit ebenso gross sein 19

Eine ausführlichere Diskussion des Wandels in der Art bewaffneter Angriffe und der Konsequenzen für die Verteidigung ist in Ziffer 3.3.3 enthalten.

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wie jene der Luftwaffen Deutschlands, Frankreichs, Grossbritanniens und Italiens zusammen. Diese Kampfflugzeuge sind dabei technologisch mit westlichen Maschinen wie dem F/A-18C/D durchaus vergleichbar. Auch in der Ausbildung sind Fortschritte gemacht worden; so ist etwa die jährliche Flugstundenzahl russischer Piloten nicht mehr weit vom westlichen Niveau entfernt. Die Erneuerung der anderen Teilstreitkräfte ist weniger weit fortgeschritten. Beim Heer wurden in erster Priorität Spezialkräfte gefördert, die sich zur Bewältigung lokal begrenzter Konflikte eignen.

Daneben arbeitet die russische Rüstungsindustrie an der Gesamterneuerung der Kampffahrzeugflotte. Dabei geht es unter anderem um einen neuen Kampfpanzer, der ersten wirklichen Neuentwicklung auf diesem Gebiet seit den 1970er-Jahren.

Die Entwicklung einer neuen Generation von Kampffahrzeugen ist aber mit technischen Herausforderungen und Risiken verbunden. Bis zur Beschaffung von grösseren Stückzahlen wird es noch einige Jahre dauern. Wenig Konkretes ist derzeit über den Aufbau von Cyber-Fähigkeiten bei den Streitkräften bekannt. Dieser Bereich hat wahrscheinlich hohe Priorität. Es ist anzunehmen, dass die russischen Streitkräfte bereits heute über substanzielle Cyber-Fähigkeiten verfügen und diese nicht nur zur Unterstützung militärischer Aktionen einsetzen, sondern auch als eigenständiges Mittel und auch für nichtmilitärische Zwecke.

Trotz erfolgreicher Erneuerung auf breiter Ebene bestehen bei den russischen Streitkräften aber nach wie vor erhebliche Defizite, insbesondere in Aufklärung und Führung. Hier Fortschritte zu erzielen, dürfte schwierig sein; substanzielle Resultate sind nicht schnell zu erwarten. Auch in anderen Bereichen wird Russland bei der Erneuerung seiner Streitkräfte mit Problemen zu kämpfen haben. Eine umfassende Umsetzung der Reform und eine flächendeckende Modernisierung und Erneuerung des Materials, insbesondere bei den Landstreitkräften, werden schwierig und nur längerfristig zu erreichen sein. Im Bereich der Finanzierung der Militärreformen schaffen der fallende Ölpreis und die Wirtschaftssanktionen, die im Zusammenhang mit der Lage in der Ukraine gegen Russland verhängt wurden, seit 2014 Unsicherheiten.

Dennoch ist in den nächsten Jahren von substanziellen Fähigkeitssteigerungen der russischen Streitkräfte
auszugehen. Diese werden sich vor allem auf die Fähigkeit zur Bewältigung lokaler Konflikte auswirken, was einer Priorität der russischen Streitkräfte entspricht. Zur Sicherung seiner Südflanke will Russland in der Lage sein, mit kleineren Verbänden jederzeit militärisch zu intervenieren. Vorläufig werden die russischen Streitkräfte aber wahrscheinlich kaum in der Lage sein, erfolgreich raumgreifende Operationen gegen die Nato zu führen. Insbesondere die dazu notwendige Luftüberlegenheit wird Russland bis auf Weiteres nicht erringen können.

Unklarheit über die Entwicklung konventioneller militärischer Fähigkeiten in Nato-Staaten Nach dem Ende des Kalten Krieges haben praktisch alle Nato-Staaten ihre Streitkräfte reduziert und neu ausgerichtet. Entsprechend der damaligen Bedrohungswahrnehmung sollten sie künftig vor allem für Krisen- und Friedenseinsätze im Ausland geeignet sein. Die meisten Nato-Staaten, insbesondere die grösseren, unternahmen Anstrengungen, die Expeditionsfähigkeiten ihrer Streitkräfte zu erhöhen.

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Günstig auf die militärische Leistungsfähigkeit, insbesondere auch bei Einsätzen in Krisengebieten, wirken sich verschiedene Modernisierungsprogramme aus, vor allem Entwicklungen im Bereich der Luftkriegführung. Eine enge Vernetzung von Führungs-, Aufklärungs- und Waffensystemen, kombiniert mit einer Steigerung der Waffenwirkung, erlaubt eine Reduktion der Anzahl Systeme bei gleichbleibender Leistung. In den letzten Jahren sind im Bereich der Aufklärung und sofortigen präzisen Zielbekämpfung grosse Fortschritte erzielt worden.

Gleichzeitig hat aber ein quantitativer Abbau der Streitkräfte eingesetzt, der bis heute anhält. Davon betroffen sind Personal und Material. Die meisten Staaten der Nato haben die Wehrpflicht abgeschafft und sind zu deutlich kleineren Berufsarmeen übergegangen. Dieser Umbau geht vor allem zu Lasten der schweren mechanisierten Verbände und hat damit die Fähigkeiten der Nato zur Abwehr eines konventionellen Angriffs in Europa stark verringert. Mit der Aufnahme neuer Mitglieder konnte dieser Abbau nicht kompensiert werden, insbesondere weil diese über weitgehend veraltete, wenig schlagkräftige oder über gar keine nennenswerten Streitkräfte verfügen. Insgesamt hat die Nato mit ihrer Neuausrichtung nach dem Kalten Krieg ihre Fähigkeit zur Verteidigung Europas abgebaut.

Unter dem aktuellen Eindruck des Konflikts in der Ukraine, der russischen Aufrüstung und Moskaus Ambitionen in Europa wird auch im Westen der Druck für eine Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit grösser. In jedem Fall wird für die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses auch künftig das militärische Engagement der USA in Europa von zentraler Bedeutung sein. Dieses wird voraussichtlich nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden.

In Nordeuropa fühlen sich auch bündnisfreie Staaten zunehmend von Russland bedroht. Finnland und Schweden dürften ihre Verteidigungsfähigkeit deshalb in den nächsten Jahren wieder verstärken. Ein möglicher Nato-Beitritt ist in diesen beiden Ländern zwar ein Diskussionsthema, steht aber nicht unmittelbar bevor.

Wahrscheinlichkeit eines Grosskonfliktes in Europa Eine Bedrohung setzt zwei Komponenten voraus: die Absicht, einen Angriff durchzuführen, und die Fähigkeit dazu. Absichten können sich rasch ändern; dies gilt besonders für autokratische Regimes, die Entscheidungen im kleinen Kreis
treffen können. Der Aufbau von Fähigkeiten benötigt mehr Zeit. Sind die für einen Angriff benötigten Fähigkeiten gegeben und Angriffsabsichten vorstell- oder gar erkennbar, wird die Vorwarnzeit sehr kurz.

Im Kalten Krieg bestand eine solche Situation. In der Folge entspannte sich die sicherheitspolitische Lage in Europa, und die Fähigkeiten für grosse militärische Operationen in Europa nahmen ab. Daraus liessen sich längere Vorwarnzeiten für einen militärischen Grosskonflikt in Europa ableiten. Diese Phase ist vorbei. Was die Fähigkeiten betrifft, werden die russischen Streitkräfte bereits seit einigen Jahren modernisiert und in ihrer Schlagkraft gesteigert. Um der Nato militärisch auf der ganzen Breite ­ also nicht nur in einzelnen militärischen Bereichen wie zum Beispiel Sonderoperationskräften ­ ebenbürtig zu sein, wird Russland aber noch einige Jahre benötigen, sofern die westlichen Staaten ihre militärischen Fähigkeiten nicht weiter abbauen. Noch stärker hat sich aber die Lage bezüglich der möglichen Ab7796

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sichten verändert: Die Annexion der Krim durch Russland und der bewaffnete Konflikt in der Ukraine haben zu einer raschen und starken Verschärfung der Spannungen zwischen der Russland und dem Westen geführt. Es ist immer noch davon auszugehen, dass sich beide bemühen, einen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Nato zu vermeiden, aber das Risiko eines solchen Konflikts ist gestiegen.

Die Schweiz muss angesichts dieser angespannten Lage und dieser bestehenden Risiken die militärischen und sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa laufend aufmerksam verfolgen und die für die Verteidigung kritischen Fähigkeiten bewahren und weiterentwickeln ­ auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass ein bewaffneter Grosskonflikt in Europa ausbricht und die Schweiz dann von diesem militärisch erfasst wird. Die Weiterentwicklung der Armee steht im Einklang mit der Lageentwicklung in Europa. Insgesamt lässt sich sagen, dass eine direkte Bedrohung durch einen bewaffneten Angriff auf die Schweiz ­ ob im herkömmlichen Sinne oder in unkonventioneller Form ­ für die nächsten Jahre wenig wahrscheinlich ist.

Es sind keine Staaten oder Gruppierungen erkennbar, die sowohl über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, die Schweiz mit militärischen Mitteln anzugreifen, als auch entsprechende Absichten hegen.

Mehr potenzielle Akteure für einen bewaffneten Angriff von ausserhalb Europas Ein Angriff auf die Schweiz könnte allenfalls auch von ausserhalb Europas über grosse Distanz geführt werden. Neben dem Cyber-Bereich kommen dafür insbesondere ballistische Lenkwaffen oder Marschflugkörper in Frage. Derzeit sind nur wenige Staaten zu solchen Angriffen fähig, und bei diesen sind keine entsprechenden Absichten erkennbar oder zu erwarten. Die weltweite Verbreitung derartiger Waffensysteme wird aber fortschreiten. Bis 2025 muss von einer grösseren Zahl staatlicher Akteure ausgegangen werden, die Ziele in der Schweiz aus der Ferne angreifen könnten. Dabei ist die Schweiz kaum ein prioritäres Ziel, auch weil sie sich nicht militärisch in internationale bewaffnete Konflikte einmischt. Ein Angriff mit weitreichenden Waffen auf die Schweiz wird deshalb für die nächsten Jahre als nicht wahrscheinlich erachtet. Wegen der grossen Anzahl potenzieller Akteure und der nicht voraussehbaren Dynamik internationaler Krisen sind
hier Aussagen aber mit grösseren Unsicherheiten behaftet als im Fall militärischer Grosskonflikte in Europa. Die Libyen-Krise 2008 bis 2010 hat gezeigt, wie ein Staat ohne lange Vorwarnung drastische Massnahmen gegenüber der Schweiz ergreifen kann. Falls ein derartiger Akteur über weitreichende Waffen verfügt, kann er die Schweiz auch mit militärischen Mitteln bedrohen und erpressen, wobei dafür neben herkömmlichen auch unkonventionelle Mittel eingesetzt werden können, wie Cyber-Angriffe auf kritische Infrastrukturen (z. B. Finanzsystem, Energieversorgung) oder die Erpressung mit wirtschaftlichen Mitteln (z. B. Manipulation von Waren- und Finanzströmen).

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2.2.5

Kriminalität

Die Zahl krimineller Handlungen gemäss Strafgesetzbuch20 (StGB) und Betäubungsmittelgesetz vom 3. Oktober 195121 ist in der Schweiz in den letzten fünf Jahren leicht rückläufig, wobei deren Abnahme vor allem auf die zurückgehenden Diebstähle in allen Kategorien wie Einbruch-, Taschen- oder Fahrzeugdiebstahl zurückzuführen ist. Nach wie vor befindet sich dieser Kriminalitätsbereich auf einem im europäischen Vergleich hohen Niveau. Hauptverantwortlich dafür sind mobile, gut organisierte Gruppen aus Ost- und Südosteuropa sowie Personen aus dem Maghreb. Die hochprofessionellen Gruppen halten sich jeweils nur für kurze Zeit in der Schweiz auf, gehen arbeitsteilig vor, delinquieren in wechselnder Zusammensetzung und treten zunehmend gewaltbereit auf. Dieses Kriminalitätsaufkommen stellt die Existenz und das Funktionieren des Staates nicht in Frage; es beeinträchtigt aber nebst den schweren Gewaltdelikten das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung massgeblich und verursacht volkswirtschaftlichen Schaden. Eine Besserung ist in diesen Formen der Kriminalität derzeit nicht absehbar. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Täter häufig nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern ausser Landes sind, wenn ihnen die Delikte aufgrund der Spurenauswertung nachgewiesen werden können. In Bezug auf sonstige Bereiche des StGB sind die Zahlen bei Delikten gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit und gegen die sexuelle Integrität ziemlich stabil Auch das organisierte Verbrechen hat mit seinen Aktivitäten Einfluss auf die Sicherheit im Alltag. Es kann mit den durch kriminelle Aktivitäten im In- und Ausland generierten Geldern zudem den freien Wettbewerb und die Unabhängigkeit rechtsstaatlicher Institutionen sowie die Reputation des Schweizer Werk- und Finanzplatzes beeinträchtigen. Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in seinen zahlreichen Erscheinungsformen ist für die Strafverfolgungsbehörden wichtig, auch wenn das organisierte Verbrechen in der Schweiz bislang kein staatsgefährdendes Ausmass angenommen hat. Es gibt zurzeit keine Anzeichen, dass sich die diesbezügliche Bedrohungslage mittelfristig fundamental ändern wird.

Entwicklung in Europa für Kriminalität in der Schweiz wesentlich Die Sicherheit in der Schweiz hängt stark von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Sicherheit in Europa ab. In der Schweiz lassen
sich vergleichsweise hohe Erträge mit Diebstählen, dem Handel mit illegalen Waren (etwa Betäubungsmittel) und Dienstleistungen (etwa Menschenhandel, Prostitution) erzielen. Selbst bei einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung in Europa wird die Schweiz auf absehbare Zeit als Zielland von Kriminaltourismus und organisierter Kriminalität attraktiv bleiben. Eine länger anhaltende Wirtschaftskrise in Europa könnte die Situation noch verschlechtern: In einzelnen Ländern könnten staatliche Aufgaben wie der Grenzschutz oder die Strafverfolgung aufgrund wirtschaftlicher Zwänge vernachlässigt werden. Zudem bestünde die Gefahr, dass organisierte Kriminalität in wirtschaftsschwachen Regionen Fuss fassen und an wirtschaftlichem und politischem Einfluss gewinnen könnte.

20 21

SR 311.0 SR 812.121

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Eine weitere Harmonisierung von Recht und Bekämpfungsstrategien sowie der kontinuierliche Ausbau der internationalen Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden in Europa wird die Strafverfolgung stärken. Eine positive Entwicklung der Wirtschaft im Schengen-Raum wird eine zusätzlich dämpfende Wirkung auf die Kriminalitätsbelastung der Schweiz haben.

Technologische Innovationen beeinflussen die Kriminalität und deren Bekämpfung Der Missbrauch des Internets als Tatwerkzeug und Tatort krimineller Machenschaften nimmt zu. So eröffnen sich zum Beispiel wegen der Steuerung immer weiterer Lebensbereiche via Internet («Internet der Dinges»), durch die Inanspruchnahme von Cloud-Diensten, Verschlüsselungsprogrammen oder Kommunikationsanbietern neue Möglichkeiten, Delikte zu begehen und deren Verfolgung zu erschweren.

Beispiele dafür sind der Betrug via Internet, das unrechtmässige Beschaffen von Zugangsdaten für Internetdienste («phishing») oder die Verbreitung illegaler Inhalte (Kinderpornografie, Rassismus).

Die kriminelle Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien erfordert, dass die Strafverfolgungsbehörden über adäquate technische und personelle Mittel verfügen. Für eine wirksame Strafverfolgung unabdingbar sind ferner rechtliche Grundlagen, die mit der technologischen Entwicklung Schritt halten, sowie internationale Zusammenarbeit.

Fragile Staaten und Migration als verschärfende Faktoren Fragile Staaten sind anfälliger, als Logistikbasen und Umschlagplätze der organisierten Kriminalität, zum Beispiel für den illegalen Betäubungsmittelhandel, missbraucht zu werden ­ mit oder ohne Beteiligung staatlicher Organe. Bürgerkriege, Umstürze, wirtschaftliche Depression und politische Repression, zum Beispiel im Nahen und Mittleren Osten, im Maghreb und in anderen Regionen Afrikas, können den Druck auf die lokale Bevölkerung zur Emigration erhöhen. Die illegale Migration bietet bereits als solche ein lukratives Geschäftsfeld für die organisierte Kriminalität. Mit den Schutz- und Wohlstandsuchenden können auch Diaspora-Konflikte und Ableger krimineller Netzwerke in die Schweiz gelangen.

Risiken des Rohstoffhandels In vielen rohstoffreichen Ländern unterliegt der Rohstoffsektor (insbesondere die Ausbeutung und der Handel) keiner effektiven Gesetzgebung und Kontrolle und kann damit zum
zentralen Treiber staatlicher Korruption und organisierter Kriminalität werden. Dies kann damit insbesondere in fragilen Staaten auch Anlass und Finanzierungsquelle für bewaffnete Konflikte werden. Die Schweiz als Sitzstaat zahlreicher Rohstofffirmen und wichtiger Finanzplatz ist hier einem besonderen Risiko der Geldwäscherei von Seiten korrupter Akteure oder krimineller Organisationen ausgesetzt.

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2.2.6

Versorgungsstörungen

Versorgungsstörungen, zum Beispiel durch die Verknappung von Lebensmitteln, Erdöl oder Strom, sind seit Langem als Gefahr oder Bedrohung bekannt; Massnahmen zu ihrer Bewältigung sind auch geplant. Viele Dienstleistungen werden heute über elektronische Kanäle angeboten und genutzt; dazu gehört auch die Steuerung logistischer Abläufe und kritischer Infrastrukturen.

Vielfältige Verletzlichkeiten Versorgungsstörungen grösseren Ausmasses können auf verschiedene Art entstehen.

Bei versorgungskritischen Gütern kann sich eine sicherheitspolitisch relevante Versorgungsstörung ergeben, ohne dass dies machtpolitisch bedingt ist. Dies betrifft insbesondere Güter, die nicht oder nur schwer gelagert werden können (z. B.

Strom, in geringerem Masse auch Gas) oder aus ökonomischen oder praktischen Gründen nicht vorproduziert werden (Informatikkomponenten, Grosstransformatoren, gewisse Impfstoffe). Liefer- und Produktionsstörungen können auch durch die wirtschaftlich an sich erwünschte minimierte Lagerhaltung und Konzentration auf weltweit wenige Lieferanten entstehen, wenn ein technischer Ausfall oder Streiks dazu führen, dass Lieferungen kritischer Komponenten ausfallen und nicht substituiert werden können. Auch länger bestehende Unwetterschäden oder andere Naturgefahren (z. B. Vulkanasche) können Produktionseinrichtungen oder Transportinfrastrukturen unbenutzbar machen. Versorgungsstörungen können auch indirekt entstehen, wenn ein Gut zwar noch erhältlich ist, aber zu einem so hohen Preis oder in so kleinen Mengen (z. B. neue Impfstoffe im Pandemiefall), dass unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen der Einkauf kaum mehr möglich ist.

Internationale Absprachen Wenn andere Staaten oder grosse Unternehmen über Wirtschaftsgüter verfügen (dazu zählt auch der Standort wichtiger Schalt- oder Überwachungszentren kritischer Infrastrukturen), kann dies dazu benützt werden, der Schweiz anzudrohen, sie von wichtigen Gütern abzuschneiden, um sie aus politischen oder wirtschaftlichen Motiven unter Druck zu setzen. Die schlechte oder fehlende Lagerfähigkeit vieler Güter führt dazu, dass die Schweiz einem solchen Druck immer weniger durch Bevorratung oder durch Redundanzen entgegenhalten kann. Auch ist die Produktionskapazität für gewisse kritische Güter in der Schweiz gar nicht mehr vorhanden (selbst im Heilmittel-
und Impfstoffbereich). Eine Gegenstrategie, gerade bei nicht machtpolitisch bedingten Versorgungsstörungen, ist die Absicherung durch internationale Verträge und Regimes. Diese kann aber nur greifen, wenn die Interessen innerhalb der Regimes kongruent sind.

Vor- und Nachteile der internationalen Vernetzung Die internationale Vernetzung, insbesondere in der Informations- und Kommunikationstechnologie, aber auch bei anderen kritischen Infrastrukturen wie der Stromversorgung hat versorgungstechnisch gesehen Vor- und Nachteile. Sie kann Redundanzen stärken oder wie im Fall von Gas und Öl Substitutionen erleichtern. Sie führt 7800

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aber auch dazu, dass die Versorgung durch Ereignisse gestört werden kann, die an sich weit weg sind, durch die internationale Verflechtung aber auf die Versorgungslage im eigenen Land durchschlagen. Mit der internationalen Verflechtung geht auch eine Konzentration von Anbietern einher, wie zum Beispiel im Bereich der Netzwerktechnologie. Dies kann dazu führen, dass keine Reserven vorhanden oder Alternativen möglich sind, wenn ein bisher als zuverlässig angesehener Lieferant zum Beispiel aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen in Misskredit gerät oder ausfällt.

Auch Cyber-Angriffe können zu Versorgungsstörungen führen Cyber-Angriffe können sich auch gegen kritische Infrastrukturen richten. Diese sind heute häufig stark automatisiert und damit anfällig auf solche Angriffe. Ein CyberAngriff könnte insbesondere dann gravierende Folgen haben, wenn Funktionen oder Dienstleistungen beeinträchtigt oder lahmgelegt würden, die für das Funktionieren von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat wesentlich sind. Besonders relevant sind in diesem Zusammenhang die Steuerungs- und Schaltanlagen der Energieversorgung, der Telekommunikation, der Verkehrssteuerung oder von Finanztransaktionen. Der zeitweilige oder dauernde Ausfall solcher Infrastrukturen könnte zu fatalen Kettenreaktionen führen. Weil die Urheberschaft relativ einfach zu verschleiern ist, sind Cyber-Angriffe attraktiv; sie ermöglichen, mit geringem Risiko beträchtlichen Schaden anzurichten.

2.2.7

Katastrophen und Notlagen

Katastrophen und Notlagen sind Ereignisse, die so viele Schäden und Ausfälle verursachen, dass die personellen und materiellen Mittel der betroffenen Gemeinschaft überfordert sind und Hilfe von aussen nötig ist. Sie lassen sich aufgrund ihrer Ursachen und Auswirkungen in natur-, technik- und gesellschaftsbedingt unterscheiden, wobei die letzten beiden Kategorien zum Teil auch mit zivilisationsbedingt zusammengefasst werden. Katastrophen treten von ihrem Charakter her eher plötzlich ein; Notlagen hingegen sind Situationen, die sich oft über einen längeren Zeitraum anbahnen und länger andauern können (z. B. Strommangellage).

Wegen ihrer Topografie ist die Schweiz stark Naturgefahren ausgesetzt. Aufgrund des Klimawandels ist zu erwarten, dass die damit verbundenen Extremereignisse (Starkniederschläge, Stürme, aber auch längere Trockenperioden) noch verstärkt auftreten werden.

Die Schweiz gehört zu den am dichtesten besiedelten Staaten in Europa. Dies führt zu einer grossen Dichte an Infrastrukturen, was hohe Schäden zur Folge haben kann, wenn diese beeinträchtigt oder zerstört werden. Die hohe Infrastrukturdichte drückt sich auch darin aus, dass im Interesse einer effizienten Nutzung der Landschaft gekoppelte Knotenpunkte und Netzwerke entstehen (z. B. nahe beieinander verlaufende Autobahn- und Zugtrassen, ergänzt mit Telekommunikations- und Stromleitungen, Tunnels mit Mehrfachfunktionen).

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Besonders problematisch ist es, wenn es zu einer Kombination oder Verkettung von Ereignissen kommt. Wie Katastrophen in den letzten zehn Jahren gezeigt haben, können Ursachen wie Auswirkungen vielfältig sein. So kann es beispielsweise aufgrund von Stürmen, Hochwasser, Erdbeben, Ausfall von Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen, Kernkraftwerkunfällen, Cyber-Angriffen oder konventionellen Anschlägen zu Stromausfällen kommen. Diese wiederum können zu Umweltverschmutzungen, Störfällen in Produktionsanlagen, Ausfällen in der Versorgungs-, Verkehrs- sowie Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen, zu Verunreinigungen von Lebensmitteln und Trinkwasser und ­ bei langanhaltenden Stromausfällen ­ zu erhöhter Kriminalität und gewalttätigen Unruhen führen.

Häufigere und intensivere Naturkatastrophen Naturkatastrophen wie die Hochwasser von 2005 und 2007 werden in der Schweiz infolge des Klimawandels wahrscheinlich häufiger und intensiver auftreten. Auch Stürme und andere extreme Wetterereignisse und -perioden (Trockenheit, Hitze- und Kältewellen) werden wohl an Intensität weiter zunehmen. Hitzewellen gehören dabei zu den grössten Gefahren, welche die Schweiz im Bereich Katastrophen und Notlagen betreffen können. Durch Hitzewellen und Trockenheit ausgelöste Waldbrände sind ebenfalls Gefahren, die weiter zunehmen dürften und auch Auswirkungen auf die (Verkehrs-)Infrastrukturen und Siedlungsgebiete haben. Hanginstabilitäten durch den Klimawandel und verschärft durch starke Niederschläge führen zu Rutschungen und Murgängen, die ebenfalls die darunter liegenden Netzinfrastrukturen (Verkehr, Kommunikation, Energie) schädigen können. Obwohl die Schweiz eine geringe bis mittlere seismische Aktivität aufweist, gehören Erdbeben wegen des damit verbundenen Schadenpotenzials zu den grössten Risiken bezüglich Naturkatastrophen in der Schweiz.

Komplexere technikbedingte Gefahren Technikbedingte Katastrophen konnten in der Schweiz durch verbesserte Sicherheitsvorkehrungen ­ vor allem seit den Vorfällen in Schweizerhalle und Tschernobyl 1986 sowie den Strassentunnelbränden im Mont Blanc 1999 und Gotthard 2001 ­ in den vergangenen 20 Jahren reduziert werden. Zur Überwachung von Kern- und Stauanlagen existiert ein gut ausgebautes Frühwarn- und Alarmierungssystem. Wie bei Naturkatastrophen hat die hohe Siedlungs-
und Nutzungsdichte in der Schweiz aber zur Folge, dass die potenziellen Schäden grösser geworden sind. Ausfälle kritischer Sektoren der Infrastruktur (z. B. Energie, Verkehr, Informations- und Kommunikationstechnologie) können sowohl Ursache wie auch Folge von naturund gesellschaftsbedingten Katastrophen sein. Zudem können solche Ausfälle zu Versorgungsengpässen ­ und somit Notlagen ­ von weiteren lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen führen. Dabei ist die Stromversorgung von besonderer Bedeutung. Ein Stromausfall, der Ausfall der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen oder auch ein Flugzeugabsturz gehören im Bereich Katastrophen und Notlagen zu den grössten Risiken.

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Latente gesellschaftsbedingte Gefahren Gesellschaftsbedingte Katastrophen sind in der Schweiz eher selten, können aber komplexe und weitreichende Auswirkungen haben. Eine grossflächige, mehrwöchige Strommangellage ist diesbezüglich für die Schweiz das grösste Risiko. Grossflächige Infektionskrankheiten machen vor der Schweiz ­ trotz hohem Hygienestandard ­ nicht Halt, da sie hochgradig mit anderen Gesellschaften vernetzt ist. Die Erfahrungen mit Grippepandemien und SARS zeigen, dass mit Pandemien unterschiedlicher Schweregrade zu rechnen ist. Es ist aber unmöglich, vorauszusagen, wann und wo die nächste Pandemie ihren Ursprung nehmen, wie schnell sie sich ausbreiten und welchen Schweregrad sie haben wird. Der Schweregrad der letzten Pandemien (Spanische Grippe 1918, Asiatische Grippe 1957, Hongkong-Grippe 1968, H1N1-Pandemie 1977 und Pandemie 2009) war tendenziell abnehmend, was jedoch keine Prognose zulässt. Eine schwere Pandemie kann jederzeit auftreten und gravierende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Sie zählt damit ebenfalls zu den bedeutendsten Risiken für die Schweiz im Bereich Katastrophen und Notlagen.

Auch die rasche Ausbreitung des MERS-Virus im Nahen Osten und Südkorea unterstreicht diese Einschätzung. Neben der erheblichen Belastung des Gesundheitssystems können Einschränkungen oder ein Zusammenbruch öffentlicher Dienste und Infrastrukturen (Polizei, Feuerwehr, Verkehr, Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen) Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft und die Wirtschaft haben. Neben Pandemien, die direkt den Menschen bedrohen, haben auch Pandemien unter Nutztieren (Tierseuchen) ein grosses Schadenspotenzial.

2.2.8

Fazit

Aus sicherheitspolitischer Sicht kann festgehalten werden, dass es in den letzten fünf Jahren markante Entwicklungen gegeben hat, die für die Sicherheit der Schweiz wesentlich sind. Im Vordergrund stehen das Verhältnis zwischen West und Ost in Europa, die terroristische Bedrohung durch den Dschihadismus und die Risiken im Cyber-Raum.

Am wenigsten erwartet war die erste Entwicklung. Das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland hat sich im Zuge der Lage in der Ukraine stark und nachhaltig verschlechtert. Mit dem russischen Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine ist eine neue sicherheitspolitische Realität eingetreten, indem sich gezeigt hat, dass die Bereitschaft vorhanden ist, international anerkannte Grenzen gewaltsam zu verändern und völkerrechtswidrig Gebiete zu annektieren. Dies ist besorgniserregend, weil damit gegen in Europa fest verankert geglaubte und für die Sicherheit elementare Grundregeln verstossen wurde. Zwar bleibt die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Schweiz selber direkt Opfer eines bewaffneten Angriffs oder in einen solchen verwickelt wird. Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Konflikts in Europa und seiner Peripherie, der auch Konsequenzen für die Schweiz hätte, hat sich aber erhöht. Die Verteidigungsfähigkeit ist wieder stärker zu einem sicherheitspolitischen Thema in Europa geworden, als dies seit dem Ende des Kalten Krieges der Fall war.

Darauf muss sich auch die Schweiz einstellen, und mit der Verbesserung der militä-

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rischen Bereitschaft, Ausrüstung und Ausbildung in der Weiterentwicklung der Armee hat sie auch bereits wesentliche Schritte eingeleitet.

Terrorismus gehört zwar schon länger zu den grössten Bedrohungen, auch für die Schweiz; die Bedrohung durch den dschihadistischen Terrorismus hat sich aber in den letzten Jahren weiter verschärft. Dies hängt zum einen mit den Entwicklungen in Krisengebieten wie Syrien, Irak oder Libyen zusammen, wo sich neue, grossflächige Brutstätten und Operationsräume für dschihadistisch motivierten Terrorismus entwickelt haben und insbesondere mit der Terrororganisation «Islamischer Staat» eine neuartige Dimension von Terrorismus in Erscheinung getreten ist. Auf der anderen Seite ist ­ als Folge dieser regionalen Entwicklungen und der Durchschlagskraft terroristischer Propaganda ­ die Anzahl von dschihadistisch motivierten Reisenden und potenziellen Terroristen aus europäischen Ländern deutlich gestiegen und auch in Europa zu einem akuten Sicherheitsproblem geworden. Von dieser Entwicklung ist auch die Schweiz betroffen. Sie hat zwar den Vorteil, dass sie wegen ihrer sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen sowie der weniger kontroversen aussenpolitischen Exponiertheit weniger Nährboden und Angriffsfläche für dschihadistischen Terrorismus bietet; sie muss sich aber ebenfalls auf eine akute und länger anhaltende Bedrohung durch den dschihadistischen Terrorismus einstellen. Dabei muss sie auch verhindern, dass von ihrem Territorium aus die Sicherheitsinteressen anderer Staaten beeinträchtigt werden.

Die Möglichkeiten, den Cyber-Raum zu missbrauchen, und der tatsächliche Missbrauch haben zugenommen. Zwar sind bis heute gross angelegte Cyber-Angriffe, die auch weitreichende physische Schädigungen oder gar Tote verursacht hätten, ausgeblieben. Der bisherige Höhepunkt in dieser Beziehung war wahrscheinlich der Einsatz von Schadsoftware gegen Nuklearanreicherungsanlagen in Iran und ein Cyber-Angriff gegen ein Stahlwerk in Deutschland, der in einer massiven Beschädigung der Anlage kulminierte. Es hat sich in den letzten Jahren nicht nur gezeigt, welches Ausmass an technischen Möglichkeiten für den Missbrauch des CyberRaumes besteht, sondern auch, mit welcher Ruchlosigkeit Staaten bereit sind, diese zu nutzen. Diese Bedrohung spielt auch für die Sicherheit der Schweiz eine
wichtigere Rolle als bisher; der Schutz von Informations- und Kommunikationssystemen und -infrastrukturen hat einen grösseren Stellenwert.

Daneben gibt es aber auch Bedrohungen und Gefahren, bei denen in den letzten Jahren keine grösseren Änderungen eingetreten sind. Dies trifft insbesondere auf Naturkatastrophen und Notlagen, die Kriminalität und Versorgungsstörungen zu.

Diese gehören nach wie vor zu den realistischsten Bedrohungen und Gefahren für die Sicherheit der Schweiz; die sicherheitspolitischen Herausforderungen bleiben diesbezüglich im Wesentlichen aber unverändert.

Die Zunahme der Flucht- und Migrationsbewegungen kann zu gesellschaftlichen und politischen Problemen führen. Migration selbst fällt nicht primär in den Zuständigkeitsbereich der Sicherheitspolitik, und die Migration selbst kann nicht als Bedrohung oder Gefahr bezeichnet werden. Begleitumstände der Migration können aber sicherheitspolitisch von Bedeutung sein.

Insgesamt lässt sich mit Blick auf die Gesamtheit der Bedrohungen sagen, dass die Zahl sicherheitspolitisch relevanter Akteure und die Vielfalt der eingesetzten Mittel 7804

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steigen. Immer mehr Staaten, Organisationen, Gruppen und Individuen stehen Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung, um in einer Weise zu handeln, die sicherheitspolitische Wirkung entfaltet, oft auch auf die Schweiz (z. B. Cyber-Angriffe, Propagandatätigkeit, moderne Waffen). Die resultierenden Bedrohungen und Gefahren sind so noch komplexer, noch stärker untereinander verknüpft und unübersichtlicher geworden ­ eine Entwicklung, die wahrscheinlich weitergeht.

Eine wesentliche Entwicklung ­ auch für die Schweiz ­ ist der Bedeutungsverlust von Geografie und Distanz. Hatten natürliche Gegebenheiten wie geografische Lage und Distanzen lange Zeit bislang immer auch eine wichtige Schutzfunktion, ist dies bei vielen Bedrohungen heute kaum mehr der Fall; sie stoppen nicht auf der anderen Seite des Flusses oder Ozeans. Es macht gerade deren Unberechenbarkeit und damit auch Gefährlichkeit aus, dass sie sich von der Bindung an Geografie und Raum gelöst haben, und ein Land sehr rasch von Ereignissen oder Entwicklungen getroffen werden kann, die ihren Ursprung an einem ganz anderen Ort haben. Sicherheitspolitisches Denken und Handeln muss deshalb stärker als bisher mit bedenken, dass ein Land selbst dann massiv angegriffen werden kann, wenn seine physischen Grenzen perfekt bewacht und geschützt werden. Dies gilt in erster Linie für Aktivitäten im Cyber-Raum.

Die Verknüpfung und Unvorhersehbarkeit von Ereignissen führt auch dazu, dass beim Umgang mit Bedrohungen und Gefahren vermehrt «vom Ende her» gedacht werden muss, und nicht vom Anfang ­ sprich: dass nicht mehr von der einzelnen Bedrohung und deren möglichen Konsequenzen ausgegangen wird, sondern von den möglichen Folgen eines Vorfalls und deren Bewältigung. Dies ist der Grundgedanke der Resilienz, bei der es darum geht, den Schutz, die Widerstandskraft und Regenerationsfähigkeit eines Gesamtsystems ­ in diesem Fall des «Gesamtsystems Schweiz» ­ zu verbessern, zum Beispiel durch die Schaffung von Redundanzen in Bereichen wie der Kommunikation oder der Energieversorgung. Dieser Ansatz ist nicht neu, muss aber im sicherheitspolitischen Handeln und Denken noch stärker verankert werden. Dies auch deshalb, weil sich viele der real existierenden Bedrohungen nicht aus der Welt schaffen lassen und es deshalb darum gehen muss, auf die möglichen Folgen dieser
Bedrohungen vorbereitet sein zu sein und richtig mit ihnen umgehen zu können. Als zentral erscheint in diesem Kontext die rasche Realisierung eines krisensicheren Kommunikationsnetzes, an das die Partner des Sicherheitsverbunds Schweiz und die Betreiber kritischer Infrastrukturen angeschlossen sind.

2.3

Sicherheitspolitisch relevante Organisationen und Vereinbarungen

In diesem Kapitel wird die sicherheitspolitische Umgebung der Schweiz betrachtet, insbesondere die europäische Sicherheitsarchitektur und ihre Perspektiven, sowie weltweite Vorgänge, die direkte Auswirkungen auf die Sicherheit der Schweiz

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haben.22 Generell ist die Lage von der Tendenz zu einer erneuten Polarisierung zwischen dem Westen und Russland sowie der Notwendigkeit geprägt, neue Bedrohungen mit neuen Akteuren zu meistern. Die europäische Sicherheitsarchitektur zeichnet sich dadurch aus, dass es viele sicherheitspolitisch bedeutende Organisationen und Institutionen gibt. Das sicherheitspolitische Umfeld der Schweiz wird in erster Linie durch die Europäische Union, die Nato sowie die OSZE geprägt, wobei die Schweiz nur in Letzterer Mitglied ist. Von geringerer Relevanz für die Sicherheitspolitik im engeren Sinn ist der Europarat. Auf globaler Ebene spielt die UNO eine zentrale Rolle.

2.3.1

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien umfasst 57 Teilnehmerstaaten, inklusive die Schweiz, und 11 Partnerstaaten und ist damit die weltweit grösste regionale Sicherheitsorganisation. Die primär als Dialog- und Verhandlungsplattform zwischen den westlichen und östlichen Staatenblöcken gegründete Organisation hat zum Ziel, Sicherheit, Stabilität und Frieden für die mehr als eine Milliarde Menschen des OSZE-Raums zu fördern. Dazu setzt sie auf Dialog und Einbezug, Massnahmen zur Schaffung von Transparenz und Vertrauen, die Entwicklung und Umsetzung gemeinsamer Normen und Verpflichtungen, die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit sowie die Zusammenarbeit in einem breiten Spektrum sicherheitspolitisch relevanter Themen Die Ukraine-Krise hat deutlich gemacht, dass das friedliche Zusammenleben in Europa keine Selbstverständlichkeit ist. Die OSZE hat aufgrund dieser Krise wieder an Interesse und Profil gewonnen. Dies vor allem, weil sie sich als wichtigster brückenbauender Akteur in der Ukraine-Krise etablieren konnte, in den internationalen Bemühungen um De-Eskalation in diesem Konflikt eine zentrale Bedeutung einnahm und eine operationelle Rolle in der Umsetzung von Abmachungen zwischen den Konfliktparteien spielt. Es hat sich 2014, im Jahr des schweizerischen Vorsitzes der OSZE, gezeigt, dass die OSZE im aktuellen Kontext die einzige regionale Organisation ist, die über die notwendige Akzeptanz für die Bearbeitung von Konflikten in Europa verfügt.

Nach 1996 hatte die Schweiz 2014 zum zweiten Mal den OSZE-Vorsitz inne. Die Schweiz erstellte ein gemeinsames Vorsitzprogramm mit Serbien, das die OSZE 2015 präsidiert hat. Der Vorsitz ist das wichtigste Amt der OSZE und trägt die Gesamtverantwortung für die operativen Tätigkeiten der Organisation. Die Schweiz wollte mit ihrem Vorsitz vor allem Sicherheit und Stabilität fördern, die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und die Handlungsfähigkeit der OSZE stärken.

22

Dieses Kapitel mit der Beschreibung und Analyse des sicherheitspolitischen Umfeldes und den Mitwirkungsmöglichkeiten der Schweiz dient namentlich der Erfüllung des Postulats der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates vom 20. Mai 2011, das einen Bericht des Bundesrates zu diesem Thema verlangt (Verstärkte Mitwirkung der Schweiz bei der europäischen Sicherheitsarchitektur; 11.3469).

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Die Krise in der Ukraine überlagerte diese Prioritätensetzung und führte zu erhöhten Spannungen auch in der OSZE. Trotzdem gelang es der Schweiz, Konsensentscheide zu wichtigen Themen herbeizuführen, wie etwa zum Aufbau der Special Monitoring Mission in der Ukraine.

Die OSZE weist Merkmale auf, die auch in Zukunft zentral für die Verbesserung der europäischen Sicherheit sein werden: ­

Die OSZE ist die einzige Organisation, die einen grossen Teil der nördlichen Hemisphäre und damit sowohl europäische als auch nordamerikanische und asiatische Staaten umfasst. Wie keine andere Regionalorganisation kann sie daher den Dialog über die politischen Grenzen zwischen Ost und West und über Sachbereiche hinweg fördern und damit einen Beitrag zu Verständigung und Vertrauensbildung leisten. Dies ist angesichts der Ukraine-Krise und der starken davon ausgehenden Spannungen von Bedeutung. Eine Stärke ist diesbezüglich auch ihre Präsenz vor Ort in derzeit 15 Staaten.

­

Modern und zukunftsweisend bleibt bis heute der umfassende Sicherheitsbegriff der OSZE, der die politisch-militärische, die wirtschaftlichökologische und die menschliche Dimension umfasst. Sie hat damit ein politisches Verständnis von Sicherheit, das auch staatliche Garantien für Rechte und Freiheiten des einzelnen Menschen umfasst. Sie kann so auch auf die immer komplexer werdenden Bedrohungen und Gefahren eingehen, die vom konventionellen militärischen Angriff bis zum Missbrauch der CyberInfrastruktur und Terrorismus gehen. Die grosse Anzahl Themen ist bei der geringen finanziellen Ausstattung aber auch eine Herausforderung.

­

Alle 57 OSZE-Teilnehmerstaaten sind gleichberechtigt. Das bedeutet aber auch, dass die unterschiedlichen Positionen ­ und zwar in fast allen wesentlichen Fragen ­ täglich sichtbar werden. Entscheidungen können nur im Konsens gefällt werden und sind politisch, nicht aber rechtlich bindend. Dies macht die Organisation zwar schwerfällig und verzögert Reformbemühungen, gleichzeitig sind die Entscheide aber breit abgestützt und tragfähig.

Damit bestehen auch bessere Chancen für die Implementierung der getroffenen Beschlüsse. Die Entsendung der Special Monitoring Mission in die Ukraine hat gezeigt, dass die Organisation auch unter schwierigen Bedingungen handlungsfähig sein kann.

­

Die OSZE verfügt über drei unabhängige Institutionen (Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, Hohe Kommissarin für Nationale Minderheiten und OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit), die der Überwachung der politischen OSZE-Verpflichtungen dienen. Zudem hat die Organisation Frühwarnung, Konfliktverhütung, Krisenmanagement und Krisennachsorge als Arbeitsfelder definiert und ein Instrumentarium der präventiven Diplomatie geschaffen, das insbesondere in den lang andauernden Konflikten im Südkaukasus und Südosteuropa Anwendung findet.

Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung der Schweiz Der Vorsitz war für die Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik von hohem Nutzen. Mit ihrem Engagement in der OSZE konnte die Schweiz ihren Ruf als 7807

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kompetenter und verlässlicher Akteur stärken, der mit einer eigenständigen Politik nützliche Beiträge an die internationale Sicherheit leistet. Im Rahmen des aufeinanderfolgenden Vorsitzes mit Serbien hat sie 2015 die Aktivitäten der OSZE massgeblich mitbestimmt; so konnte zum Beispiel dank der Initiative der Schweiz ein Reflexionsprozess für robustere OSZE-Friedensmissionen angestossen werden. Die Stärkung der OSZE und der europäischen Sicherheit bleiben Prioritäten der Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik.

Im August 2015 beschlossen die Aussenminister Deutschlands, Österreichs, Liechtensteins und der Schweiz in Neuenburg eine engere Zusammenarbeit in sicherheitspolitischen Fragen mit OSZE-Fokus. In einer Erklärung hielten sie fest, dass mit Blick auf den Vorsitz von Deutschland 2016 und Österreich 2017 die OSZE weiter gestärkt werden soll. Für die künftige Zusammenarbeit wurden insbesondere folgende vier Themenfelder identifiziert: ­

Gemeinsames Bemühen der vier Länder zur friedlichen Konfliktlösung in der Ukraine: gemeinsame Unterstützung der Beobachtermission der OSZE in der Ukraine und der trilateralen Kontaktgruppe mit ihren vier Arbeitsgruppen.

­

Stärkung der OSZE-Instrumente: Die OSZE braucht bessere Instrumente sowohl bei der Frühwarnung und der Konfliktprävention als auch bei der Mediation, der Versöhnung und Aufarbeitung von Konflikten.

­

Der Schweizer Vorsitz initiierte eine Diskussion über europäische Sicherheit als gemeinsames Projekt und setzte dafür ein Panel internationaler Expertinnen und Experten ein, das Wege zur Wiederherstellung von Vertrauen und zur Förderung kooperativer Sicherheit in Europa aufzeigen soll. Die vier Länder beschlossen, dass gestützt auf die Empfehlungen dieses Panels die Diskussion über die Zukunft europäischer Sicherheit in der OSZE fortgeführt werden soll.

­

Stärkung der wirtschaftlichen Dimension der OSZE und insbesondere vertrauensbildender Massnahmen im wirtschaftlichen Bereich: Die Krise in und um die Ukraine hat deutlich gemacht, dass die Fragen regionaler wirtschaftlicher Integration starke politische Komponenten haben. Die vier Länder wollen sich dafür einsetzen, dass möglichst viele Gesellschaften und Staaten im gesamten OSZE-Raum von den Vorteilen wirtschaftlicher Verflechtung profitieren können.

Diese Kooperation mit Deutschland, Liechtenstein und Österreich soll es der Schweiz ermöglichen, auch für die nächsten Jahre wichtige sicherheitspolitische Impulse zu setzen. Der Rahmen der Zusammenarbeit wurde offen formuliert, sodass weitere Themenfelder gemeinsam aufgenommen, bearbeitet und in die OSZE eingebracht werden können.

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2.3.2

Nato

Die Nato umfasst die grosse Mehrheit der west- und zentraleuropäischen Staaten.

Sie verfügt über eine integrierte militärische Kommandostruktur und bleibt ein Verteidigungsbündnis mit der Verpflichtung gemäss Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, jedem Mitgliedstaat im Fall eines bewaffneten Angriffs beizustehen. Sie hat sich darüber hinaus im militärischen Krisenmanagement engagiert, insbesondere in Europa, im Mittelmeerraum und in Afghanistan. Die Nato schaffte zudem Rahmen für kooperative Sicherheit; zentrale Elemente davon sind die Zusammenarbeit mit Partnerstaaten und internationalen Organisationen sowie der Dialog, namentlich in Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.23 Ein Merkmal der Nato ist das Prinzip der offenen Tür: Montenegro wurde 2016 zum Beitritt eingeladen; eine weitergehende Erweiterung auf dem Balkan ist in den nächsten Jahren nicht wahrscheinlich. Da die Nato militärisch gesehen der Garant für die Sicherheit Westeuropas ist, kommt ihre Verteidigungsfähigkeit auch der Schweiz zugute: Luft- und Bodenangriffe von ausserhalb Westeuropas würden zuerst die territoriale Integrität von Nato-Mitgliedstaaten verletzen.

Die Nato und ihre Partnerschaften im Wandel Im Zuge der Ereignisse in der Ukraine ist die kollektive Verteidigung für die Nato wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Sie hat Massnahmen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit getroffen. Dazu zählen Truppenrotationen in Osteuropa und die Schaffung eines innerhalb einer Woche einsetzbaren Verbandes in Brigadestärke.

Darüber hinaus legt die Nato Gewicht auf die Steigerung oder zumindest die Vermeidung einer weiteren Reduktion der Verteidigungsausgaben. Ziel ist weiterhin, dass die Mitgliedstaaten bis 2020 einen Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandprodukt von zwei Prozent erreichen; ob das realisiert wird, wird in den einzelnen Mitgliedstaaten entschieden. Durch Spezialisierungen und die Nutzung von Synergien sollen Rüstungsgüter effizienter beschafft werden.

Die Truppen der International Security Assistance Force haben Afghanistan Ende 2014 verlassen. Die nachfolgenden Missionen sind viel kleiner und auf Ausbildung und Training ausgerichtet. Auch in Kosovo ist die Truppenstärke der Nato-geführten Kosovo Force auf rund 5000 zurückgegangen; weitere Reduktionen können
bald folgen.

Wie die Nato befinden sich die Partnerschaften im Wandel. 2011 wurde eine geografisch und thematisch ausgeweitete Partnerschaftspolitik beschlossen. Dazu kommen Projekte, in denen nur ein Teil der Alliierten und Partner zusammenarbeiten. Partnerstaaten können unter dem Titel der kooperativen Sicherheit ihre Zusammenarbeit mit der Nato individuell und gemäss ihrem Ambitionsniveau weiterentwickeln.

23

Kooperationen mit Partnerstaaten in Europa und aus dem ehemaligen Ostblock (Partnerschaft für den Frieden), im Mittelmeerraum (Mittelmeerdialog), in der Golfregion (Istanbul-Kooperationsinitiative) sowie für weitere Partner weltweit, insbesondere für truppenstellende Staaten in Nato-geführten Operationen.

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Die Nato und ihre Partner haben ein gemeinsames Interesse am Erhalt der militärischen Fähigkeiten und der Interoperabilität24, die mit dem langjährigen gemeinsamen Einsatz in friedenserhaltenden Operationen erreicht wurde. Die ist unter anderem das Ziel der Interoperabilitäts-Initiative25.

Schweizer Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden Die Schweiz nimmt seit 1996 an der Partnerschaft für den Frieden teil. Die Teilnahme bleibt für die Schweiz wichtig: Sie ermöglicht einen institutionellen Zugang zur Nato, deren Mitgliedern und den anderen Partnerstaaten, und sie ermöglicht oder erleichtert es, mit der Nato und anderen Partnerstaaten punktuell und nach eigenen Interessen sicherheitspolitisch zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit erfolgt auf freiwilliger Basis und wird vom jeweiligen Partner selbst bestimmt. Die Schweiz hat immer deutlich gemacht, dass die Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden für sie keine Vorstufe zu einem Nato-Beitritt ist. Dies gilt weiterhin.

Die Partnerschaft für den Frieden wurde 1997 um den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat ergänzt. Dieses Gremium ermöglicht einen sicherheitspolitischen Dialog.

Die Schweiz kann auf diesem Weg Anliegen einbringen. So konnte mit einer Initiative der Schweiz und des IKRK erreicht werden, dass die Nato eine Richtlinie für den Einsatz von privaten Militär- und Sicherheitsfirmen in Nato-geführten Operationen erliess.

Die Schweiz unterstützt einzelne Projekte. Sie bietet Ausbildungskurse an, und Schweizer besuchen Veranstaltungen anderer Länder der Partnerschaft für den Frieden. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, das Genfer Zentrum für die Demokratische Kontrolle der Streitkräfte und das Genfer Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung sowie die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETH Zürich. Auf politischer Ebene nehmen regelmässig Delegationen der beiden Sicherheitspolitischen Kommissionen des Parlaments an Veranstaltungen der Parlamentarischen Versammlung der Nato teil, um sicherheitspolitische Themen zu diskutieren.

Ein Schwergewicht der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der Nato ausserhalb der Partnerschaft für den Frieden ist die Teilnahme der Schweizer Armee an der KFOR in Kosovo, die unter UNO-Mandat von der Nato geführt wird. Derzeit
ist ein Truppenkontingent von 235 Angehörigen der Schweizer Armee im Einsatz.

2012 wurde der Schweiz ein regionales Kommando über Beobachtungsteams 26 übertragen. Die Teilnahme an dieser friedensunterstützenden Mission ermöglicht es der Schweiz, auf die Weiterentwicklung der KFOR einzuwirken. Die Armee kann auf diese Weise Einsatzerfahrung sammeln.

24 25 26

Interoperabilität ist die Fähigkeit, mit anderen Armeen zusammenzuarbeiten.

Partnership Interoperability Initiative.

Joint Regional Detachment North; es geht um die Leitung von Liaison and Monitoring Teams im Norden Kosovos, die Teil des Frühwarnsystems sind, das die KFOR aufgebaut hat, um ein umfassendes Lagebild zu erhalten und allfällige negative Trends möglichst frühzeitig zu erkennen und zu verfolgen.

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Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung der Schweiz Es liegt im Interesse der Schweizer Armee, die Zusammenarbeit mit der Nato zu erhalten: Das grösste Engagement der Schweizer Armee in der militärischen Friedensförderung erfolgt in einer von der Nato geführten Operation, und die Zusammenarbeit erleichtert es, mit militärischen Entwicklungen vertraut zu bleiben, sich mit anderen Armeen zu vergleichen und von Erkenntnissen27 anderer zu profitieren.

Dieser Erkenntnisgewinn und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit stärken die Handlungsfreiheit der Schweiz.28 Die Schweiz nimmt an der Interoperabilitätsplattform (Interoperability Platform) teil. Dies entspricht den Bedürfnissen der Armee. Die Schweiz verfolgt zudem die Entwicklungen in verschiedenen Initiativen29 und prüft im Einzelfall die Teilnahme an grossen Übungen. Jede Beteiligung ist von einem konkreten Nutzen für die Armee abhängig.

2014 wurde das Framework Nations Concept verabschiedet. Angeführt von einem Staat sollen mehrere Staaten ihre Fähigkeiten aufeinander abstimmen und bündeln.

Die Schweiz kann von der Nato auch im Bereich neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen profitieren, insbesondere in der Cyber-Sicherheit. Sie kann zum Kompetenzzentrum der Nato für Cyber Defence in Tallinn beitragen und dafür einen privilegierten Zugang zu entsprechendem Fachwissen erhalten.

Die Schweiz setzt sich für die Aufrechterhaltung einer Plattform für den politischen Dialog und eine auf gemeinsamen Werten basierende Kooperation ein. Sie ist an flexiblen Formaten für die vertiefte Diskussion von für sie relevanten Themen (z. B.

Cyber) interessiert, insbesondere in der Zusammensetzung Nato und westeuropäische Partner (28+630). Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit im umfassenden Rahmen der Partnerschaft für den Frieden und des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates beibehalten werden.

Die Schweiz kann sich auch in Diskussionen einbringen, die nicht zur klassischen Sicherheitspolitik gehören (z. B. Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten). In Rahmen der Nato kann die Implementierung solcher Initiativen vorangetrieben werden, da mit der Übernahme durch die Nato ein Multiplikator-Effekt in den Streitkräften von Alliierten und Partnern einhergeht; darüber hinaus setzt die Nato im militärischen Bereich oft den weltweiten Standard.
Die Schweiz ist schliesslich daran interessiert, die Weiterentwicklung der Partnerschaftspolitik mitzugestalten. Sie will sicherstellen, dass ihre Bedürfnisse auch in neuen Programmen und Formaten erfüllt werden können.

27 28

29

30

Zum Beispiel in den Bereichen Doktrin, Organisation, Ausbildung, Material, Personal und Bereitschaft.

Sollte die Schweiz trotz Neutralität Opfer eines bewaffneten Angriffs und die Neutralität damit hinfällig werden, soll die Armee grundsätzlich beide Optionen offenhalten: autonome Verteidigung und Zusammenarbeit mit anderen Staaten, wobei Letzteres Interoperabilität voraussetzt. Dies gilt auch ­ und im Alltag relevanter ­ für die Beteiligung an Einsätzen in der militärischen Friedensförderung.

Connected Forces Initiative, Smart Defence, Framework Mission Networking und Operational Capability Concept. Beim Letzteren prüft die Luftwaffe, ob einzelne Elemente teilnehmen sollen, da die Methodik für das Ausbildungscontrolling genutzt werden könnte.

Finnland, Irland, Malta, Österreich, Schweden, Schweiz.

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Alle Formen der Zusammenarbeit mit der Nato müssen mit dem Neutralitätsrecht und neutralitätspolitischen Erwägungen abgestimmt werden. Die Schweiz wird insbesondere die Fähigkeit bewahren, Verteidigungsoperationen ohne fremde Hilfe durchzuführen, und sie wird keine Verpflichtungen eingehen, anderen Staaten in einem bewaffneten Konflikt Unterstützung zu leisten.

2.3.3

Europäische Union

Die Europäische Union (EU) mit 28 Mitgliedstaaten prägt die sicherheitspolitische Umgebung der Schweiz in vielfältiger Weise. Was direkte Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik betrifft, stehen zwei Bereiche in Vordergrund: die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik und der sogenannte «Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts».

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zum Ziel und umfasst:

31

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­

eine gegenseitige Beistandsverpflichtung, wenn ein EU-Mitgliedstaat angegriffen wird; der Beistand muss aber nicht militärischer Art sein, weshalb die Beistandsverpflichtung mit dem Neutralitätsrecht vereinbar ist;

­

eine Solidaritätsklausel, welche die EU-Mitgliedstaaten zum Handeln verpflichtet, wenn ein EU-Mitgliedstaat von einem Terroranschlag betroffen ist31;

­

gemeinsame Missionen der EU zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit (sog. Petersberger Missionen; diese Missionen werden von Mitgliedstaaten durchgeführt, die sich dazu bereit erklären);

­

eine «ständige strukturierte Zusammenarbeit» zwischen jenen Mitgliedstaaten, die ihre Verteidigungsfähigkeiten in bestimmten Bereichen intensiver weiterentwickeln wollen;

­

eine Hohe Vertreterin der EU für die Aussen- und Sicherheitspolitik32, die den Europäischen Auswärtigen Dienst leitet, ein Vorschlagsrecht für gemeinsame Missionen hat und für deren Koordination zuständig ist;

­

eine Europäische Verteidigungsagentur, welche die Mitgliedstaaten bei der Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten unterstützt.

Die Solidaritätsklausel sieht ein gemeinsames Handeln der EU vor, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Ein Bezug zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik besteht jedoch nur insoweit, als Verteidigungsmassnahmen betroffen sind, d. h. bei der Abwehr terroristischer Bedrohungen von aussen.

Die Hohe Vertreterin ist gleichzeitig auch Vizepräsidentin der Kommission und Vorsitzende des Rates für Auswärtige Angelegenheiten.

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Die EU ist auch eine wichtige Organisation in der zivilen und militärischen Friedensförderung und Konfliktverhütung sowie in der Vermittlung, zum Beispiel auf dem Balkan oder betreffend Iran.

Obwohl sie sich in einzelnen Bereichen vertieft hat, stösst die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf souveränitätspolitische Vorbehalte unter den Mitgliedstaaten; eine zusätzliche Herausforderung sind die im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise gesunkenen nationalen Verteidigungshaushalte. Von einem offenen Beschaffungsmarkt für Rüstungsgüter ist die EU noch weit entfernt, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Mitgliedstaaten sind wenig koordiniert, und das Potenzial gemeinsamer Nutzung ziviler und militärischer Kapazitäten wird nicht ausgeschöpft. Unterschiedliche nationale Interessen und komplexe Organisationsstrukturen erschweren auch Einsätze zur Friedensförderung.

Als Bestandteil der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik soll die Europäische Verteidigungsagentur Lücken in den militärischen Fähigkeiten eruieren und gestützt darauf Rüstungsprioritäten definieren. Die europäischen Fähigkeiten zur Verteidigung sollen gestärkt werden, indem Rüstungskooperation gefördert, gemeinsame Forschung und Entwicklung betrieben und die nationalen Beschaffungsmärkte geöffnet werden. Um an solchen Initiativen teilzunehmen, können Drittstaaten Zusammenarbeitsvereinbarungen mit der Europäischen Verteidigungsagentur abschliessen. Die Schweiz hat eine solche Vereinbarung im März 2012 abgeschlossen. Diese bisher noch nicht genutzte Kooperation ist mit der Neutralität vereinbar, weil die Schweiz selber entscheidet, welche Informationen sie in diesem Rahmen austauschen und an welchen Projekten und Programmen sie teilnehmen will.

2016 hat die EU ihre «Globale Strategie der Aussen- und Sicherheitspolitik» verabschiedet. Sie ersetzt die Europäische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 und unterscheidet sich insbesondere im deutlichen Akzent, den sie auf gemeinsames Handeln setzt. Bedarf identifiziert sie unter anderem im Rüstungsbereich sowie in der verbesserten Reaktionsfähigkeit und Interoperabilität europäischer Verbände. In Bezug auf Friedensförderungseinsätze stehen eine stärkere Übernahme der Kosten durch die EU (statt durch die beteiligten Mitgliedstaaten) und und
Kooperationen einzelner Mitgliedstaaten zur Diskussion. Zuletzt erhielt die Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor dem Hintergrund des Austrittsentscheids des Vereinigten Königreichs prominenten Sukkurs verbleibender EUMitglieder. London stand einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU ­ im Gegensatz etwa zu Frankreich ­ traditionell skeptisch gegenüber. Ob die neue sicherheitspolitische Strategie in Kombination mit dem Brexit tatsächlich eine neue Dynamik sicherheitspolitischer Integration und Kooperation der EU-Mitglieder nach sich zieht, wird sich aber erst weisen müssen.

Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung der Schweiz Die EU ist für die Schweiz ein wichtiger Bezugsrahmen für die Sicherheitspolitik.

Die Rahmenbedingungen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden sich kurz- und mittelfristig kaum ändern.

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Die Schweiz hat sich seit 2004 an mehreren zivilen und militärischen EUFriedensförderungsoperationen beteiligt33. Sie hat daran ein zweifaches Interesse: Zum einen geht es darum, mit der Teilnahme von Militärpersonen, zivilen Expertinnen und Experten und Polizisten an Einsätzen der EU Stabilität und Frieden zu stärken und damit auch die Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit in Europa und an seiner Peripherie. Zum andern demonstriert die Schweiz damit Solidarität mit den Anstrengungen eines ihrer wichtigsten Partner in der Friedensförderung.

Seit einiger Zeit steht die Frage im Raum, ob die Schweiz mit der EU ein Rahmenabkommen über ihre Beteiligung an Einsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik anstreben soll. Seitens der EU besteht seit 2004 ein entsprechendes Verhandlungsmandat; der Bundesrat hat noch kein Mandat verabschiedet. Solange kein solches Rahmenabkommen besteht, muss für jede Beteiligung der Schweiz an einem zivilen oder militärischen Einsatz der EU ein separates Beteiligungsabkommen abgeschlossen werden. Ein Rahmenabkommen würde die grundsätzlichen Modalitäten der Teilnahme der Schweiz an solchen Einsätzen regeln und den administrativen Aufwand verringern; sein Inhalt wäre dabei weitgehend identisch mit jenem der Abkommen, welche die Schweiz bisher mit der EU für die Beteiligung an einzelnen Missionen abgeschlossen hat. Auch mit einem solchen Rahmenabkommen könnte die Schweiz wie bis anhin in jedem Fall autonom entscheiden, ob sie sich an einem konkreten Einsatz beteiligen möchte; eine Verpflichtung zur Teilnahme an einzelnen Missionen sähe ein Rahmenabkommen nicht vor. Der innerstaatliche Genehmigungsprozess zur Teilnahme an einzelnen EU-Missionen bliebe von einem solchen Rahmenabkommen unberührt.

Die Schweiz kann sich aufgrund einer seit 2012 geltenden, rechtlich nicht bindenden Vereinbarung an Projekten der Europäischen Verteidigungsagentur beteiligen. Das grösste Interesse und Potenzial dafür liegt zurzeit in Projekten mit Bezug zur Luftfahrt, Forschung, Beschaffung und Technologie.

33

Abgeschlossen: Polizeimission in Mazedonien (Proxima, beendet am 14.12.05), Beobachtermission in Aceh/Indonesien (AMM, beendet am 15.12.06), Militäroperation im Kongo (EUFOR RD Congo, beendet am 30.11.06, zwei unbewaffnete Militärärzte im Aug. 2006), Polizeimission im Kongo (EUPOL RD Congo, beendet am 30.09.14, Schweizer Justizexpertin zwischen Febr. und Dez. 2008), Polizeimission in Bosnien und Herzegowina (EUPM, beendet am 30.06.12, einzelne Experten zwischen 2003 und 2012), militärische Trainingsmission in Mali (EUTM Mali, seit April 2013, zivile Medienanalystin von Mai 2014 ­ April 2015). Laufend: Militäroperation in Bosnien und Herzegowina (EUFOR Althea, seit Nov. 2004, bewaffnetes Kontingent von 20 Personen sowie temporär bis zu sechs unbewaffnete Kleinwaffen-, Munitions- und Sprachexperten), Rechtsstaatlichkeitsmission im Kosovo (EULEX, seit 2008, in der Vergangenheit bis zu 16 Experten im Einsatz, aktuell ein Menschenrechtsexperte), zivile Unterstützungsmission der inneren Sicherheitskräfte in Mali (EUCAP Sahel Mali, seit Jan. 2014, ein Evaluationsexperte), zivile Beratermission zur Reform des zivilen Sicherheitssektors in der Ukraine (EUAM Ukraine, seit Juli 2014, ein Planungs- und Evaluationsexperte).

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Der «Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts» Der Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts34 ist ein Kernziel der EU. Seit 1999 hat sich in Ergänzung zu den nationalen Sicherheitspolitiken der Mitgliedstaaten und den traditionellen bisherigen Kooperationsformen eine zunehmende Zusammenarbeit und Harmonisierung der Regelungen im Bereich der inneren Sicherheit in der EU entwickelt. Es geht vor allem um jene Fälle, bei denen die EU und nicht nur ihre Mitgliedstaaten tätig werden muss: Grenzkontrollen sowie die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, des organisierten Verbrechens und des Terrorismus. Seit 2009, mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, hat sich die Entwicklung beschleunigt; die meisten der betroffenen Bereiche sind nun in den supranationalen EU-Rahmen integriert und unterstehen dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, wonach der Rat der EU mit qualifiziertem Mehr beschliesst und das Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht hat.

Massnahmen der operativen Polizeizusammenarbeit kann nach wie vor lediglich der Rat einstimmig beschliessen.

Die Schengen-Kooperation ist ein wichtiger Teil dieser übergreifenden Zusammenarbeit. Die grundsätzliche Abschaffung von Personenkontrollen an den Binnengrenzen, die nur aufgrund des Grenzübertritts erfolgen, wird durch Massnahmen zur Verstärkung der inneren Sicherheit kompensiert. Im Kern geht es um eine gemeinsame Politik für den Schutz der Aussengrenzen, insbesondere durch die Grenzschutzagentur Frontex, eine gemeinsame Politik für die Erteilung von Kurzzeit-Visa und eine verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Polizei (einschliesslich des Schengen-Informationssystems) und Rechtshilfe in Strafsachen.

Zusätzlich zur Schengen-Kooperation existieren im EU-Rahmen weitere Instrumente zur Polizei- und Justizkooperation in Strafsachen. Deren wichtigste Elemente sind:

34

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­

die Agentur Europol mit der Hauptaufgabe, Informationen Informationen auszutauschen, die nationalen Polizeibehörden zu unterstützen und die Zusammenarbeit zwischen ihnen zu fördern;

­

die Zusammenarbeit von Prüm für den Austausch von DNA- und Fingerabdruckdaten sowie Daten aus Fahrzeugregistern;

­

die Verwendung von Flugpassagierdaten (API35/PNR36) zur Bekämpfung des Terrorismus und anderer schwerer Kriminalität; Dieser Raum betrifft verschiedene Bereiche: Migration, Asyl, justizielle Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen und innere Sicherheit. Hier werden die Aspekte betrachtet, die mit der inneren Sicherheit zusammenhängen.

API = Advance Passenger Information; API-Daten umfassen die Personalien eines Flugpassagiers (Name, Vorname, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit) sowie Angaben zu seinem Reisedokument (Nummer, Ausstellerstaat, Reisepass oder Identitätskarte), die aus dem maschinenlesbaren Teil des Reisepasses abgelesen werden. APIDaten sind Schengen-relevant und dienen primär dem Zweck der Grenzkontrolle.

PNR = Passenger Name Records; bei PNR-Daten handelt es sich um Passagierangaben, welche die Fluggesellschaften in ihren Buchungs- und Abfertigungssystemen führen. Die Daten geben beispielsweise Aufschluss über die Wohnadresse, E-Mail-Adresse, Telefonnummer, Zahlungs- und Reisedaten, die Reiseroute, das mitgeführte Gepäck, die Sitzplatzwahl sowie das Reisebüro, das die Buchung vorgenommen hat.

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die Agentur Eurojust, welche die nationalen Justizbehörden unterstützt, wenn Untersuchungen und Strafverfahren mehrere Staaten betreffen;

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die europäische Polizeiakademie CEPOL zur Ausbildung von Polizeikadern;

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verschiedene Instrumente, um über die traditionelle Justizzusammenarbeit hinaus neue Wege zur gegenseitigen Anerkennung und direkten Anwendung von Justizentscheiden zu entwickeln. Der europäische Haftbefehl, der ein vereinfachtes Auslieferungsverfahren vorsieht, ist eines dieser Instrumente.

Die vom Europäischen Rat im Juni 2014 angenommenen strategischen Leitlinien für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 2015­2019 konzentrieren sich auf die Konsolidierung des Erreichten und die Verbesserung der Umsetzung der bestehenden Regeln, um das gegenseitige Vertrauen unter den Teilnehmerstaaten zu fördern.

Der wachsende Migrationsdruck hat nicht nur einzelne europäische Staaten, sondern das Schengen-System als Ganzes einer Belastungsprobe ausgesetzt. Verschiedene Staaten sahen sich veranlasst, vorübergehend wieder Binnen-Grenzkontrollen einzuführen, um zu überprüfen, wer in ihr Territorium einreist. Auch wenn diese Kontrollen basierend auf bestehenden Rechtsgrundlagen ergriffen wurden und damit Schengen-konform sind, so verdeutlichen sie, wie stark das Schengen-System und seine zentrale Errungenschaft des kontrollfreien Reisens auf dem Prüfstand stehen.

Im Rahmen der 2014 beschlossenen strategischen Leitlinien und unter dem Eindruck der neuen Herausforderungen wurden im Bereich der Schengener Zusammenarbeit und auch darüber hinaus verschiedene Vorschläge gemacht. Dabei geht es vor allem um das Schengen-Aussengrenzmanagement (unter anderem eine Stärkung der Rolle und Erhöhung der Mittel der Grenzschutzagentur Frontex) und die Verstärkung der Massnahmen gegen illegale Migration (Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländer, Bekämpfung der Schleuserkriminalität und des Menschenhandels, wirksame Rückkehrpolitik). Die Hauptaufgabe von Frontex ist die operationelle Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Überwachung und Sicherung der Aussengrenzen des Schengen-Raumes (z. B. durch koordinierte Zurverfügungstellung von zusätzlichem Grenzwachtpersonal oder Material und Massnahmen zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft, wie z. B. Ausbildung oder Erstellung von Risikoanalysen). Wie nah ihre Aufgaben bei den anderen sicherheitsrelevanten Themenfeldern liegen, kommt gerade in den aktuellen Diskussionen um die Schleppertätigkeiten zum Ausdruck.

Aufgrund der Konflikte im Irak und in Syrien sowie der Anschläge in Paris und Brüssel hat die Terrorismusbekämpfung in der europäischen Debatte um das Schengen-System nochmals an Bedeutung gewonnen. Im Vordergrund steht dabei das Phänomen der sogenannten foreign terrorist fighters, also potenziell rückkehrender dschihadistisch motivierter
Kämpfer, bei denen es sich oft um Staatsbürger europäischer Länder handelt. Der Rat der Justiz- und Innenminister beschloss, die Kontrolle auch von europäischen Staatsbürgern an den Aussengrenzen zu verschärfen und hat eine entsprechende Anpassung des Schengener Grenzkodex ausgearbeitet; deren Verabschiedung ist für 2016 geplant. Bereits verabschiedet wurde die Richtlinie über den Austausch von Flugpassagierdaten, die Fluggesellschaften verpflichtet, Flugpassagierdaten zur Verhütung und strafrechtlichen Verfolgung von terroristi-

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schen Straftaten oder schwerer Kriminalität an die zuständigen Behörden zu übermitteln. Diese Pflicht geht über die bereits bestehenden Meldepflichten hinaus.

Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung der Schweiz Die Entwicklung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat das Sicherheitsumfeld der Schweiz tiefgreifend verändert. Wegen ihrer geografischen Lage und der Wichtigkeit des Austauschs mit den Mitgliedstaaten der EU ist die Schweiz direkt von den Auswirkungen der Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb der EU betroffen. Einerseits ist sie von Bedrohungen wie grenzüberschreitender Kriminalität oder Terrorismus betroffen, sobald diese den europäischen Kontinent berühren, anderseits kann sie von den Sicherheitsvorkehrungen ihrer Partner und der EU profitieren. Eine besondere Herausforderung für die Schweiz ist es, in einer Umgebung ihren Platz zu finden, in der die traditionellen Arten der Zusammenarbeit, und insbesondere die bilaterale Zusammenarbeit, zunehmend durch multilaterale Kooperation auf europäischer Ebene abgelöst werden, zu der die Schweiz als Nichtmitglied ohne ein entsprechendes Abkommen mit der EU keinen Zugang hat.

Im Bereich Schengen ist die Schweiz aufgrund ihres Assoziierungsabkommens mit der EU an allen Instrumenten dieser Zusammenarbeit beteiligt. Sie hat Zugang zum Schengener Informationssystem (SIS II) und nimmt an der gemeinsamen Visapolitik teil, ebenso wie an den Anstrengungen zur Sicherung der Schengen-Aussengrenzen, insbesondere durch Beiträge an den Aussengrenzen-Fonds respektive sein Nachfolgeinstrument, den Fonds für die innere Sicherheit im Bereich Aussengrenzen und Visa, sowie durch die finanzielle Unterstützung und personelle Beteiligung an Einsätzen von Frontex. Die Schweiz ist dabei auch an der Weiterentwicklung von Schengen beteiligt. Dazu gehört der Vorschlag zur Einführung eines Systems, mit dem die Ein- und Ausreisekontrollen durch Automatisierung effektiver gestaltet werden sollen. Die Mitspracherechte der Schweiz im Rahmen von Schengen (decision shaping) ermöglichen es ihr, am Gesetzgebungsverfahren der EU teilzunehmen, wenn es um die Ausarbeitung künftiger Regelungen für den Schengen-Raum geht, wenn auch ohne Stimmrecht.

Ausserhalb des Rahmens von Schengen hat die Schweiz Zusammenarbeitsvereinbarungen mit Europol, Eurojust und CEPOL
abgeschlossen, um die Kooperation im Kampf gegen schwere Kriminalität und Terrorismus im Bereich der Polizei und der Strafverfolgung zu verstärken.

Es gibt zusätzlich zur Schengen-Kooperation weitere EU-Instrumente der Zusammenarbeit, die Nichtmitgliedern der EU offenstehen. Die Schweiz prüft von Fall zu Fall, ob eine Beteiligung zweckmässig wäre. Dabei geht es jeweils um eine Abwägung zwischen dem Nutzen dieser Instrumente für Polizei und Strafverfolgungsbehörden auf der einen, und den dadurch entstehenden Kosten und Verpflichtungen, welche die Schweiz einginge, wenn sie sich den EU-Regelungen anschliessen würde, auf der anderen Seite. Dabei ist auch zu beachten, dass sich diese EURegelungen weiterentwickeln können.

Die Schweiz hält die bestehenden Instrumente der Zusammenarbeit in Gerichts- und Strafsachen für zweckmässig; die Übernahme zusätzlicher Instrumente zur Anerkennung und direkten Anwendung ausländischer Gerichtsentscheide oder des euro7817

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päischen Haftbefehls drängt sich gegenwärtig nicht auf, soll aber zu einem späteren Zeitpunkt erneut geprüft werden. Dagegen hat die Schweiz ein Interesse, auch ausserhalb des Rahmens von Schengen in der Terrorismusbekämpfung mit der EU zusammenzuarbeiten. Im Gespräch ist die Beteiligung am durch die PNR-Richtlinie geschaffenen System zur Übermittlung von umfassenden Flugpassagierdaten der Fluggesellschaften an die zuständigen Behörden. Ob und in welchem Umfang sich die Schweiz daran beteiligen wird, ist zurzeit noch offen. Demgegenüber strebt die Schweiz eine Teilnahme an der Zusammenarbeit von Prüm für den Austausch von DNA- und Fingerabdruckdaten an, die sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Instrument im Kampf gegen die grenzüberschreitende Kriminalität entwickelt hat. Im Übrigen ist die Teilnahme an der Zusammenarbeit von Prüm eine Bedingung, damit Schweizer Strafverfolgungsbehörden Zugang zur Eurodac-Datenbank erhalten. Der Bundesrat hat das Verhandlungsmandat für Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf die Eurodac-Datenbank 2014, jenes für eine Teilnahme an der Zusammenarbeit von Prüm 2015 verabschiedet. Die EU ihrerseits hat das Verhandlungsmandat für die Prümer-Zusammenarbeit mit der Schweiz im Juni 2016 verabschiedet; die Verhandlungen sollen nun möglichst rasch abgeschlossen werden.

2.3.4

Europarat

Der Europarat, und insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, sind in ihrer Rolle als Garanten der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gestärkt worden. Mehrere Instrumente, die vom Europarat geschaffen wurden, tragen zum Frieden und zur Sicherheit Europas und auch der Schweiz bei. Dazu zählen die Konvention von Budapest gegen die CyberKriminalität (welche die Schweiz 2011 ratifiziert hat37) und die Konvention zur Verhütung von Terrorismus38 (welche die Schweiz 2012 unterzeichnet hat) sowie ihr Protokoll von 201539 zur Strafbarkeit von Reisen ins Ausland für terroristische Zwecke. Die Cyber-Kriminalität-Konvention40 ist das wichtigste völkerrechtliche Instrument zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Cyber-Kriminalität. Sie erleichtert die internationale Rechtshilfe, definiert Prozeduren, welche die schnelle Sicherstellung von Beweismaterial ermöglichen, und verpflichtet die Vertragsstaaten, ein Netzwerk von Ansprechpartnern rund um die Uhr zu betreiben.

Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung der Schweiz Weitere Konventionen, die vor Kurzem erarbeitet wurden oder in Erarbeitung sind, sollen den Kampf gegen Schmuggel und das organisierte Verbrechen unterstützen.

Dabei handelt es sich vor allem um die Konvention gegen Arzneimittelfälschungen und die Konvention gegen den Handel mit menschlichen Organen sowie den Vertrag über die Manipulation von Sportwettbewerben. Die Schweiz nimmt an der Erarbei37 38 39 40

SR 0.311.43 Zu finden unter www.coe.int/de/ > Mehr > Vertragsbüro > Gesamtverzeichnis > Nr. 196.

Zu finden unter www.coe.int/de/ > Mehr > Vertragsbüro > Gesamtverzeichnis > Nr. 217.

Zu finden unter www.coe.int/de/ > Mehr > Vertragsbüro > Gesamtverzeichnis > Nr. 185.

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tung dieser Konventionen teil, die sie zum gegebenen Zeitpunkt nach Massgabe der nationalen Interessen und im Hinblick auf eine wirksame Zusammenarbeit in Europa zu ratifizieren gedenkt.

2.3.5

Vereinte Nationen

Auf globaler Ebene sind die Vereinten Nationen (UNO) die wichtigste sicherheitspolitische Organisation; nur ihr Sicherheitsrat kann die Anwendung militärischer Gewalt legitimieren, die über Selbstverteidigung hinausgeht. Die Vereinten Nationen verfügen zudem über eine ganze Palette von Instrumenten für Konfliktverhütung, Konfliktnachsorge und Entwicklungszusammenarbeit. Dies ermöglicht einen ganzheitlichen Ansatz und substanzielle Beiträge zur nachhaltigen Stabilisierung von Konfliktregionen. Auswirkungen bewaffneter Konflikte sind weltweit spürbar; Einsätze der UNO kommen deshalb oft auch der Sicherheit der Schweiz zugute, wenn sie nicht in unmittelbarer Nachbarschaft der Schweiz stattfinden.

Das Umfeld, in dem friedensfördernde Einsätze der UNO stattfinden, hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Mandate sind komplexer und vielfältiger geworden, das Umfeld der Missionen gefährlicher. UNO-Friedenstruppen werden immer mehr in Situationen eingesetzt, in denen Konflikte mit zahlreichen und vielfältigen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren andauern. Die Unparteilichkeit der UNO wird nicht immer und nicht von allen Akteuren anerkannt. Einige dieser Akteure bevorzugen den Status Quo und sind nicht an einem nachhaltigen Frieden interessiert; UNO-Missionen werden so häufiger zu Angriffszielen. Dies hat Auswirkungen auf die Art des militärischen Engagements der UNO. Die Friedenstruppen werden zunehmend auch für Zwecke eingesetzt, die über die traditionellen Aufgaben militärischer Kräfte in UNO-Missionen hinausgehen. In der Demokratischen Republik Kongo kam 2013 erstmals eine Interventionsbrigade zum Einsatz, die das Mandat hatte, bewaffnete Gruppierungen zu neutralisieren. Parallel führten die regulären Verbände der UNO-Mission ihre Aufgaben zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Unterstützung der kongolesischen Regierung im Bereich der Stabilisierung und der Friedenskonsolidierung weiter; dazu gehörten unter anderem die Förderung eines transparenten und im Geist des Einbezugs geführten politischen Dialogs und das Monitoring von Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Interventionsbrigade ein Einzelfall und gemäss Sicherheitsrat explizit eine Ausnahme ist, werden die in diesem Zusammenhang gemachten Erfahrungen die Ausgestaltung künftiger Einsätze beeinflussen.

Weil die Konfliktsituationen
immer schwieriger werden und UNO-Missionen teilweise auf gut ausgerüstete Konfliktparteien treffen, muss die UNO die Ausrüstung ihrer Friedenstruppen modernisieren. Sie setzt dabei verstärkt auf moderne Technologien (z. B. Aufklärungsdrohnen oder Ausrüstung zum Schutz vor improvisierten Sprengladungen), auch um den stetig steigenden Bedarf an Personal zu kompensieren. Die dafür benötigten Mittel sind aber kostenintensiv, und die UNO ist auf Staaten angewiesen, welche diese Technologien beherrschen und zur Verfügung stellen. Der Druck auf europäische Staaten zu einem vermehrten Engagement wird sich wahrscheinlich erhöhen.

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Gegenwärtig dienen über 125 000 Männer und Frauen aus 121 Staaten in 16 UNOMissionen zur Friedenssicherung; davon sind rund 105 000 uniformiertes Personal (ca. 90 000 Militärs, 13 000 Polizisten, 2000 Militärbeobachter), der Rest zivile Angestellte.41 Das sind mehr als je zuvor, aber die meisten Missionen sind trotzdem unterdotiert. Zugenommen haben insbesondere Missionen im Nahen Osten, in Nordafrika und im Sahel, also in Gebieten, die für die Sicherheit Europas von direktem Belang sind. Die künftigen Beiträge aus Europa werden voraussichtlich vor allem finanzieller, materieller und technischer Natur sein, verbunden mit der Entsendung militärischer Spezialisten.

Der UNO werden mehr Aufgaben zugewiesen, die der betroffene Staat nicht mehr wahrnehmen kann. Der Schutz der Zivilbevölkerung ist Teil der meisten Mandate des UNO-Sicherheitsrates und macht die Friedensförderung noch komplexer. Militärische Mittel müssen dafür oft durch politisches Engagement und zivile Mittel ergänzt werden. Das ist auch eine Folge nichtmilitärischer Bedrohungen wie etwa der organisierten Kriminalität, zu deren Bekämpfung schwergewichtig zivile Kapazitäten notwendig sind, insbesondere der Justiz und Polizei. Die militärische Komponente muss in komplexen Konflikten primär Stabilisierungs- und Schutzfunktionen wahrnehmen. Eine nachhaltige Konfliktnachsorge erfordert aber ein breites und zivil gesteuertes staatsbildendes Engagement. In dieselbe Richtung zielt der Trend hin zu mehr Prävention: Die Erkennung systematischer Menschenrechtsverletzungen soll gestärkt werden, um sich anbahnende Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Auch hier handelt es sich schwergewichtig um eine Stärkung und bessere Koordination der zivilen Kapazitäten der UNO.

Wegen der Veränderungen im Umfeld von Friedensoperationen setzte der UNOGeneralsekretär ein unabhängiges Expertenpanel zur Überprüfung der zivilen und militärischen Friedensbemühungen der UNO ein. Dieses empfiehlt vier grundlegende Stossrichtungen:

41

­

Primat der Politik: Der Bericht unterstreicht, dass für einen nachhaltigen Friedens primär politische Lösungen anzustreben sind. Die Anwendung militärischer Mittel sei zwar in verschiedenen Fällen notwendig, dürfe aber nicht die einzige und abschliessende Massnahme der UNO sein.

­

Bedarfsgesteuerte Missionen: UNO-Friedensmissionen müssen noch mehr den situationsspezifischen Bedürfnissen gerecht werden. Unter dem weit gefassten Begriff "UN Peace Operations" soll künftig flexibler auf die Anforderungen von lokalen, regionalen und internationalen Akteuren eingegangen werden.

­

Stärkung von Partnerschaften: Der Bericht empfiehlt eine optimierte globale und regionale Sicherheitsarchitektur. Die UNO soll vermehrt die Rolle als Vermittlerin und Türöffnerin übernehmen, um regionale Organisationen ideal zu platzieren. Die Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union steht aufgrund der vielen Missionen in Afrika im Vordergrund.

Das Gros der Kontingente stammt aus asiatischen und afrikanischen Ländern; westliche Staaten stellen nur einen relativ kleinen Teil dieser Personalbestände.

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Fokus auf Menschen und die Mission im Feld: Das UNO-Sekretariat soll pragmatischer sein und sich noch mehr auf die Bedürfnisse der zivilen und militärischen Missionen ausrichten.

In seinem Umsetzungsbericht vom September 2015 nennt der UNO-Generalsekretär drei zentrale Pfeiler seines Aktionsplans:42 ­

Der Konfliktprävention sollen noch mehr Aufmerksamkeit zuteil und mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die frühzeitige Erkennung potenzieller Konflikte und eine rasche Reaktion darauf werden als Hauptfunktion der UNO bestätigt.

­

Die UNO muss vermehrt mit regionalen Organisationen, aber auch direkt mit einzelnen Staaten43 oder mit spezialisierten Institutionen44 zusammenarbeiten. Solche Partnerschaften mit massgeschneiderter Zuteilung von Aufgaben und Rollen dürften in Zukunft die Regel sein.

­

Die Planung und Durchführung von UNO-Friedensmissionen muss schneller, reaktionsfähiger und gegenüber den Bedürfnissen von Ländern und Betroffenen vermehrt rechenschaftspflichtig werden. Dazu plant der UNOGeneralsekretär Reformen des UNO-Sekretariats.

Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung der Schweiz Der Bundesrat entschied 2010 nach Konsultation der Aussenpolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte, dass die Schweiz sich für einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Periode 2023­2024 bewirbt. Die Wahl wird 2022 in der Generalversammlung stattfinden. Ein nichtständiger Sitz im Sicherheitsrat wird es der Schweiz ermöglichen, ihre Aussen- und Sicherheitspolitik weiterzuführen und gleichzeitig zum Einsatz des Sicherheitsrates für die internationale Sicherheit beizutragen. Dabei wird sich die Schweiz weiterhin und noch verstärkt für die Förderung von Frieden und Sicherheit im UNO-Rahmen einsetzen.

Für das Engagement der Schweiz in der Friedensförderung ist die UNO von zentraler Bedeutung. Im Bereich der nichtmilitärischen Konfliktlösung wird die Schweiz verschiedene Ziele im Rahmen der UNO weiterverfolgen, darunter die Stärkung der Kapazitäten der UNO im Bereich der Konfliktprävention, die Verbesserung der Kohärenz und Koordination des UNO-Systems und die Stärkung der Partnerschaften mit regionalen Organisationen. Zusätzlich setzt sich die Schweiz für Vergangenheitsbewältigung, die Stärkung der Beteiligung von Frauen und die Einhaltung der Menschenrechte ein.

Die Schweiz wird weiterhin ihre Guten Dienste als Gastgeberin von UNO-geführten Friedensgesprächen von verschiedenen Konfliktparteien anbieten, um damit einen Beitrag zur internationalen Stabilität zu leisten. Auch im Bereich der Mediation wird sich die Schweiz weiter engagieren.

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Welche der Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden, ist momentan noch offen.

Beispielsweise hat sich Frankreich mit Zustimmung der UNO in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik vor oder parallel zu einem UNO-Einsatz militärisch engagiert.

Ein Beispiel dafür ist die gemeinsame Mission der UNO und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Syrien.

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Die Schweiz nimmt regelmässig mit zivilen Expertinnen und Experten, Polizisten, Zollspezialisten, Militärbeobachtern, Verbindungsoffizieren und anderen militärischen Experten an UNO-Missionen teil. Das Vorliegen eines Mandats der UNO oder allenfalls der OSZE ist eine rechtliche Bedingung für Einsätze zur Friedensförderung der Armee; auch für diejenigen Einsätze, die nicht von der UNO selbst geführt werden (sondern von der Nato oder der EU im Auftrag der UNO, wie in Kosovo und Bosnien und Herzegowina der Fall). Die Teilnahme der Armeeangehörigen erfolgt freiwillig. Künftige Einsätze der Schweiz zur militärischen Friedensförderung könnten vermehrt in Missionen stattfinden, die von der UNO selbst geführt werden, wenn die von der Nato in Kosovo und von der EU in Bosnien und Herzegowina zu einem Ende kommen, die in Bezug auf das Personal heute über 80 Prozent der Schweizer Beiträge zur Friedensförderung ausmachen. Es ist davon auszugehen, dass künftig vor allem grössere Operationen eher von der UNO geführt werden als von der Nato oder der EU, weil solche Operationen primär ausserhalb Europas stattfinden, das Interesse der Nato zur Führung grösserer Einsätze geringer geworden ist und weil wegen der erhöhten Spannungen zwischen Russland und dem Westen die Führung grösserer Einsätze kaum wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten westlichen Organisationen übergeben wird.

Für eine Verstärkung des Engagements der Schweiz in der militärischen Friedensförderung stehen vor allem hochwertige Beiträge im Vordergrund. Auf hohe Nachfrage bei der UNO stossen Logistik, Transport zu Lande und in der Luft, Genie, Sanität, Informationsbeschaffung, Militärpolizei, humanitäre Minenräumung, sichere Lagerung und Vernichtung von Kleinwaffen und Munition, Experten zur Reform des Sicherheitssektors sowie Beratung und Ausbildungsunterstützung in diesen Bereichen. Die Neutralität der Schweiz, der hohe Ausbildungs- und Technologiestandard der Armee, die Mehrsprachigkeit und die durch das Milizsystem geschaffene Nähe zur Zivilbevölkerung machen die Schweizer Armee für manche Missionen der UNO besonders gut geeignet. Es ist deshalb denkbar, dass die UNO die Schweiz künftig noch vermehrt um Beiträge im Bereich der Friedensförderung ersuchen wird.

Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass Einsätze der UNO zur Friedensförderung stattfinden,
weil diese dazu beitragen, Konfliktregionen zu stabilisieren, was sich auch positiv auf die Sicherheit der Schweiz auswirkt. Solche Einsätze können aber nur stattfinden, wenn die Mitgliedstaaten der UNO bereit sind, dazu Beiträge zu leisten. Es liegt darum auch im Eigeninteresse der Schweiz, zu solchen Einsätzen beizutragen. Eine möglichst grosse Anzahl truppenstellender Länder für eine Friedensförderungsmission erhöht ausserdem deren Glaubwürdigkeit.

2.3.6

Interpol

Interpol ist die weltweit grösste internationale Polizeiorganisation mit 190 Mitgliedsstaaten. Ihr Ziel ist die umfassende gegenseitige Unterstützung aller Kriminalpolizeibehörden im Rahmen der nationalen Gesetze und der internationalen Menschenrechte. Der Sitz von Interpol ist in Lyon; 2015 wurde in Singapur ein zweiter globaler Standort eröffnet.

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Interpol fördert und unterstützt Aktivitäten zur Verhütung und Bekämpfung von Straftaten durch kriminalpolizeilichen Informationsaustausch über ein globales Kommunikationsnetzwerk, Datenbanken, operationelle Unterstützung sowie polizeiliche Aus- und Weiterbildung. Fahndungen via Interpol sind ein zentrales Instrument für die Mitgliedstaaten, um gesuchte Personen im Ausland aufzufinden und zu verhaften.

Jedes Land benennt ein nationales Zentralbüro; in der Schweiz übt das Bundesamt für Polizei (fedpol) diese Funktion aus. Es ist zuständig für die Zusammenarbeit mit den schweizerischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von Interpol andererseits.

Gezielt Einfluss genommen hat die Schweiz auf die zuletzt intensiv diskutierte externe Finanzierung von Interpol. So hat die Schweiz konkret eingefordert, dass die privaten Geldgeber von Interpol mit den Zielen und Aktivitäten der Organisation vereinbar sein müssen, dass die Unabhängigkeit gewahrt bleibt und dass Transparenz über die Zuwendungen bestehen muss. Auf Basis des Schweizer Vorstosses wurde ein Prozess lanciert, der die finanziellen Zuwendungen an Interpol präziser regelt und einer Sorgfaltsprüfung unterwirft.

Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung der Schweiz Der zweite globale Standort von Interpol in Singapur befindet sich derzeit im Aufbau. Interpol will dort die Bekämpfung der Cyber-Kriminalität intensivieren sowie die Forschung und Unterstützung im Bereich der Informationstechnologie verstärken. Ziel ist es, den Polizeibehörden weltweit die Instrumente und Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, die benötigt werden, um den heutigen anspruchsvollen und hoch entwickelten Herausforderungen der internationalen Kriminalität wirksam begegnen zu können. Eine aktive Teilnahme am Standort Singapur steht auch den Schweizer Strafverfolgungsbehörden offen, namentlich durch die Entsendung von Experten sowie die Teilnahme an spezialisierten Arbeitsgruppen oder Ausbildungen.

Eine weitere Möglichkeit der verstärkten Mitwirkung besteht darin, gezielt die Bekämpfung prioritärer Kriminalitätsbereiche zu fördern. Für Ende 2016 plant die Schweiz, eine globale Interpol-Konferenz zur Bekämpfung des Menschenhandels auszurichten. Als Veranstaltungsstaat kann die Schweiz Einfluss nehmen auf die Themensetzung, und sie kann eine Plattform schaffen für internationale Kontakte und den Austausch von Fachwissen.

2.3.7

Weitere Bereiche internationaler Zusammenarbeit

Weitere global tätige Organisationen spielen in Bezug auf bestimmte Bedrohungen eine wichtige Rolle, wie Interpol im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Ähnliches gilt für multilaterale Vereinbarungen, insbesondere in der Rüstungskontrolle und Abrüstung. Internationale Organisationen, die eine indirekte Auswirkung auf die Sicherheit haben, wie zum Beispiel die Internationale Organisation für Migration, werden hier nicht berücksichtigt.

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Rüstungskontrolle und Abrüstung Rüstungskontrolle und Abrüstung dienen im Idealfall dazu, die Kosten für militärische Bereitschaft zu vermindern, bewaffnete Konflikte weniger wahrscheinlich zu machen und die zerstörerischen Auswirkungen bewaffneter Konflikte zu verringern.

Sie können allein weder Konflikte verhindern noch lösen, aber sie können andere Instrumenten der Prävention, Krisenbewältigung und Konfliktnachsorge ergänzen.

Die entsprechenden Abkommen können ­ wenn ihre Einhaltung sorgfältig kontrolliert wird ­ Vertrauen fördern, Rüstungsniveaus limitieren, Waffenkategorien einschränken oder ganze Kategorien verbieten.

Die Schweiz setzt sich im Einklang mit ihrer humanitären Tradition für multilaterale Vereinbarungen ein, die neben Sicherheit, Stabilität und Frieden auch darauf abzielen, die Respektierung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zu stärken, das von bewaffneten Konflikten verursachte Leiden zu lindern, die Zivilbevölkerung zu schützen und die menschliche Sicherheit generell zu fördern.

Massenvernichtungswaffen Unter Massenvernichtungswaffen werden chemische, biologische, radiologische und nukleare Waffen verstanden. In Bezug auf diese Waffen bestehen verschiedene multilaterale und bilaterale (russisch-amerikanische) Abkommen. Seit 2010 gab es nur in zwei Bereichen Fortschritte: Das deklarierte syrische Arsenal an chemischen Waffen wurde vernichtet, und zwischen den fünf permanenten Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates und Deutschland auf der einen Seite sowie Iran auf der anderen Seite wurde ein Abkommen erreicht. Dieses schränkt die iranischen Nuklearaktivitäten ein und sieht im Gegenzug die Aufhebung der bestehenden Sanktionen vor.

Zwischen Russland und den USA wurden keine neuen Abkommen über die Beschränkung oder Verringerung ihrer Nuklearwaffen vereinbart, und die wegen der Lage in der Ukraine stark angestiegenen Spannungen zwischen Russland und dem Westen machen weitere Abkommen dieser Art für die kommenden Jahre unwahrscheinlich. Auch die anderen Staaten mit Atomwaffen halten an der nuklearen Abschreckungslogik fest, modernisieren ihre Arsenale oder vergrössern sie zum Teil sogar. In Bezug auf das Risiko eines versehentlichen oder übereilten Einsatzes von Nuklearwaffen ist deren Zahl möglicherweise weniger wichtig als die Bereitschaft, in der sie gehalten
werden. Manche Nuklearwaffenstaaten halten ihre Arsenale oder Teile davon für den Einsatz innerhalb von Minuten bereit.

Bezüglich der chemischen und biologischen Waffen stehen zwei Anliegen im Vordergrund: eine verbesserte Umsetzung der bestehenden Abkommen und das Bemühen, dass sich weitere Staaten diesen Abkommen anschliessen, damit sie universal werden. Bei den chemischen Waffen stehen zwei Herausforderung im Vordergrund, der Abschluss der nachweisbaren Zerstörung der verbleibenden Chemiewaffenbestände (u. a. Russlands und der USA) und die Verhinderung eines Wiederaufflammens dieser Bedrohung, insbesondere im Nahen Osten. Bei den biologischen Waffen gilt es, das Abkommen zum Verbot dieser Waffen mit vertrauensbildenden Massnahmen zu ergänzen und die Auswirkungen der rasanten Entwicklungen in der Biotechnologie auf die internationale Sicherheit systematisch zu überprüfen.

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Mit dem Labor Spiez engagiert sich die Schweiz in wichtigen Bereichen der technisch-wissenschaftlichen Rüstungskontrolle. Dazu gehören etwa die langjährige Unterstützung der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen sowie der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, der Aufbau nuklearforensischer Kapazitäten im Bereich der globalen Initiative zur Bekämpfung von nuklearem Terrorismus oder die Stärkung des Mechanismus des UNO-Generalsekretärs zur Untersuchung vermuteter B- und C-Waffen-Einsätze, der sich auch im Fall von Syrien bewährt hat. Insbesondere soll künftig die Rolle der international anerkannten Laboratorien im Biologie-Bereich gestärkt werden, denn der Nachweis biologischer Kampfstoffe muss nach strengen, international anerkannten Qualitätskriterien erfolgen, damit die Untersuchungsergebnisse der UNOMissionen auch international akzeptiert werden, wie dies im Bereich der Chemiewaffen bereits der Fall ist.

Konventionelle Waffen Die Abkommen über konventionelle Waffen in Europa sind in der Krise. Mehrere Staaten haben aufgehört, die Bestimmungen des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa45 anzuwenden. Ein anderes Abkommen, jenes über «Open Skies»46, verliert seine Glaubwürdigkeit, weil sich die Vertragsparteien angesichts unilateraler Beschränkungen durch einzelne Staaten nicht darauf einigen können, wie es korrekt umgesetzt werden sollte. Das Wiener Dokument47, das im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Abkommen auch für die Schweiz Geltung hat, konnte in einer sehr gespannten Lage in der Ukraine angewendet werden. Die mit Blick auf die militärischen Realitäten nötige Weiterentwicklung des Dokuments ist jedoch seit einigen Jahren blockiert. In den kommenden Jahren sollten das Abkommen über Open Skies und das Wiener Dokument den Entwicklungen der Bedrohungen und der Technologie sowie den gegenüber den frühen neunziger Jahren veränderten Realitäten der Sicherheitslage in Europa angepasst werden. Kurzfristig geht es darum, mit informellen Kontakten eine gemeinsame Grundlage für künftige Verhandlungen zu schaffen.

Die ungeregelte Verbreitung von Kleinwaffen, leichten Waffen und Munition ist eine Bedrohung für Frieden, Sicherheit und die Stabilität ganzer Regionen.

Insbesondere in fragilen Staaten geht viel Gewalt von diesen Waffen
aus, mit grossen Konsequenzen für die Entwicklung dieser Länder. Der UNO-Waffenhandelsvertrag,48 den die Schweiz 2015 ratifiziert hat und dessen ständiges Sekretariat in Genf ist, soll die unkontrollierte Weiterverbreitung konventioneller Waffen und damit auch die regionale Destabilisierung unterbinden und menschliches Leid

45 46 47 48

Zu finden unter www.osce.org/de/library/14089.

Zu finden unter www.osce.org/de/library/14129.

Zu finden unter www.osce.org/de/library/86599.

Vertrag vom 2. April 2013 über den Waffenhandel, SR 0.518.61. Der UNO-Waffenhandelsvertrag legt erstmals auf globaler Ebene die beim grenzüberschreitenden Handel mit konventionellen Waffen einzuhaltenden Standards fest. Diese sollen zu einem verantwortungsvollen internationalen Waffenhandel beitragen sowie dem illegalen Waffenhandel einen Riegel schieben und damit das durch Waffengewalt verursachte menschliche Leid vermindern.

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vermindern. Die Schweiz unterstützt die Bemühungen, weitere Staaten zum Beitritt zu diesem Vertrag zu bewegen und ihn wirksam umzusetzen.

In Übereinstimmung mit ihrer humanitären Tradition setzt sich die Schweiz auch für die korrekte Umsetzung und weitere Universalisierung der Abkommen zum Verbot von Anti-Personen-Minen49 und zum Verbot von Streumunition50 ein. Die humanitären und wirtschaftlichen Folgen dieser Kampfmittel sind auch lange Zeit nach einem bewaffneten Konflikt verheerend.

Der technologische Fortschritt ermöglicht die Modernisierung bestehender und die Entwicklung neuer Waffen. Es ist möglich geworden, Waffen zunehmend zu automatisieren und teilweise und für beschränkte Zeit sogar quasi autonom wirken zu lassen. Im Rahmen der UNO-Konvention von 1980 für konventionelle Waffen 51 werden das Potenzial zur Entwicklung von tödlichen autonomen Waffensystemen und dessen Tragweite erörtert. Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass Staaten die Vereinbarkeit von neuen Waffen und neuer Mittel oder Methoden der Kriegführung mit dem Völkerrecht überprüfen müssen.

Internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen die Piraterie Um die von der Piraterie und die durch sie verursachten Probleme anzugehen, organisiert die internationale Gemeinschaft multinationale oder zwischen einzelnen Staaten vereinbarte Polizeioperationen in gewissen Meeresgebieten, engagiert sich in langfristigen Bemühungen, um die Ursachen der Piraterie zu eliminieren, und erarbeitet in der Internationalen Seeschifffahrts-organisation Sicherheitsnormen.

Diese Massnahmen bedürfen der Ergänzung durch Projekte, um die Staaten der betroffenen Regionen und ihre Wirtschaft zu stärken. Die Schweiz ­ die eine Hochseeflotte unterhält, Heimatstaat mehrerer Reedereien ist und deren Wirtschaft stark vom Export abhängig ist ­ hat ein Interesse daran, dass die Sicherheit der Schifffahrt gewährleistet ist und der Kampf gegen die Piraterie wirksamer als bisher geführt wird.

Internationale Zusammenarbeit für die Sicherheit des Weltraums Die militärische Nutzung des Weltraums ist gegenwärtig nicht durch internationales Recht geregelt, mit Ausnahme des Verbots der Stationierung von Nuklearwaffen und anderer Massenvernichtungswaffen in Erdumlaufbahnen oder auf Himmelskörpern. Viele Staaten verfügen heute über Satelliten, um ihre militärischen Operationen
zu unterstützen, aber allem Anschein nach hat keiner davon Waffen im Weltall stationiert. China, die USA und vermutlich auch Russland haben aber die Fähigkeit, Satelliten in ihrer Umlaufbahn zu zerstören, und viele weitere Staaten könnten das Funktionieren von Satelliten anderer Staaten beeinträchtigen, mit Folgen für die militärischen und zivilen Anwendungen. Darüber hinaus ist die zunehmende Menge 49 50 51

Zu finden unter treaties.un.org > État des traités déposés auprès du Secrétaire général > Chapitre XXVI > 5.

Zu finden unter treaties.un.org > État des traités déposés auprès du Secrétaire général > Chapitre XXVI > 6.

Zu finden unter treaties.un.org > État des traités déposés auprès du Secrétaire général > Chapitre XXVI > 2.

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von Weltraumschrott eine Gefahr für Satelliten, Weltraumstationen und die weltraumbasierten Dienste generell.

Angesichts dieser Herausforderungen bemüht sich die UNO, Leitlinien zu entwickeln, um die friedliche Nutzung des Weltraums langfristig zu gewährleisten. Parallel zielen Initiativen in der Abrüstungskonferenz darauf ab, die Stationierung von Waffen im Weltraum und Gefährdungen der Sicherheit weltraumbasierter Systeme zu verhindern. Die EU hat einen Verhaltenskodex zur Erhöhung der Sicherheit im Weltraum vorgeschlagen, der heute international diskutiert wird.

Die Schweiz nimmt an verschiedenen Weltraumprogrammen teil und zieht wesentlichen Nutzen aus dem Zugang zu Informationen und Anwendungen, die auf Satelliten basieren. Sie ist daran interessiert, dass die Stationierung von Waffen im Weltraum verhindert wird und dass Bedingungen gewährleistet werden, die es ermöglichen, Satelliten sicher und nachhaltig zu betreiben. Die Schweiz unterstützt deshalb die derzeit in der UNO laufenden Arbeiten und nimmt an den Bemühungen der EU teil, einen internationalen Verhaltenskodex für Weltraumaktivitäten auszuarbeiten.

2.3.8

Fazit

Die multilaterale Zusammenarbeit ist auch im sicherheitspolitischen Bereich unter Druck geraten. Zu beobachten ist ein Trend zu verstärkter Machtpolitik und zu krisen- und themenspezifischen Ad-hoc-Formaten. Diese können helfen, im aktuell schwierigen weltpolitischen Umfeld multilaterale Lösungen vorzubereiten. Es besteht aber auch die Gefahr, dass der Multilateralismus damit untergraben wird.

Die multilaterale Zusammenarbeit in sicherheitspolitisch relevanten Organisationen und Bereichen wird sich voraussichtlich in den nächsten fünf bis zehn Jahren unterschiedlich entwickeln. Die homogensten regionalen Organisationen werden am ehesten dazu tendieren, die Integration zwischen ihren Mitgliedern voranzutreiben.

Die EU wird voraussichtlich ihre Kapazitäten im Polizei- und Justizbereich sowie auch in der Sicherheitspolitik weiter ausbauen. Zusätzlich dürfte die Belastungsprobe, der Schengen derzeit ausgesetzt ist, die Tendenz zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit weiter verstärken. Die Nato wird ihren derzeitigen Stellenwert behalten, in der Verteidigung vielleicht sogar noch erhöhen, umgekehrt in der Friedensunterstützung wahrscheinlich ein etwas tieferes Profil haben. Obwohl die OSZE unter den voneinander abweichenden Visionen ihrer (verglichen mit der EU und der Nato heterogeneren) Teilnehmer leidet, wird sie das einzige umfassende sicherheitspolitische Forum in Europa bleiben. Die UNO wird sich wahrscheinlich so entwickeln, dass der Bedarf nach ziviler Expertise und hochwertigen (und in der Regel bewaffneten) militärischen Beiträgen für Einsätze zur Stabilisierung und Schaffung von Sicherheit zunehmen wird. Diese Einsätze werden wahrscheinlich auch in Regionen erfolgen, die für die Sicherheit der Schweiz von direktem Belang sind.

Für die Schweiz ist multilaterale Zusammenarbeit nach wie vor der beste Weg, um kooperative Lösungen zu fördern. Die Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE und der UNO gehört zu den aussen- und sicherheitspolitischen Prioritäten der Schweiz. Daneben wird sie sich dort, wo möglich und sinnvoll, auch an den Frie7827

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densbemühungen der EU beteiligen. Zudem wird sie ihre Aktivitäten im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden fortsetzen und die Partnerschaft als Instrument für den sicherheitspolitischen Dialog und die Förderung der Fähigkeit zur Zusammenarbeit nutzen. Die Schweiz wird zudem die sicherheitspolitisch relevanten Tätigkeiten des Europarats fördern. Schliesslich wird sie sich weiterhin für eine Stärkung der Rüstungskontroll-, Abrüstungs- und Nonproliferationsregimes einsetzen.

Angesichts eines generellen Trends zu einer Intensivierung der Sicherheitskooperation zur Abwehr von Bedrohungen, die sich nicht an Grenzen halten, laufen Länder, die abseitsstehen, Gefahr, dass sich ihre Sicherheit verglichen mit jener anderer Länder verringert.

Bezogen auf die Bedrohungen und Gefahren lassen sich folgende Aussagen zur Sicherheitsarchitektur machen: In Bezug auf die illegale Beschaffung und Manipulation von Informationen, einer von Cyber-Aspekten geprägten Bedrohung, tragen die Aktivitäten in der UNO, in der OSZE, in der EU und ­ in geringerem Ausmass ­ in der Nato dazu bei, die Sicherheit und die Systemstabilität zu erhöhen. Die Schweiz wird sich für die Erarbeitung von Normen sowie für die Stärkung von Vertrauen und Transparenz einsetzen. Auf technischer Ebene kann das gegenseitige Nutzen von Angeboten für Ausbildung und Erfahrungsaustausch (Schweiz und Nato, in Zukunft auch mit der EU) dazu beitragen, Expertise aufzubauen; die Schweiz wird diese Möglichkeiten nutzen.

Dies kann Wissensaustausch, Teilnahme an Forschungs- und Entwicklungsprogrammen, gemeinsame Standards und Übungen umfassen. Was spezifische Vorhaben zum Schutz von Systemen betrifft, müssen diese in erster Linie nationaler Art sein, bilaterale Zusammenarbeit mit anderen Staaten kann aber diese Bemühungen unterstützen.

Bezüglich Terrorismus, Gewaltextremismus und Kriminalität ermöglicht Zusammenarbeit im Rahmen von Interpol und mit der EU (vor allem im SchengenKontext) eine generelle Stärkung der Kapazitäten der Schweiz, diese grenzüberschreitenden Bedrohungen abzuwehren. Die Teilnahme der Schweiz an Instrumenten wie der Zusammenarbeit von Prüm (zu DNA- und Fingerabdruckdaten) würde durch einen verbesserten und schnelleren Zugang zu nützlichen Informationen einen erheblichen Sicherheitsgewinn bedeuten, weshalb die Beteiligung angestrebt wird
Die Teilnahme an den entsprechenden Arbeiten der OSZE und des Europarates trägt ebenfalls zur Verstärkung der Kapazitäten der Schweiz gegen Terrorismus, Gewaltextremismus und Kriminalität bei. Bezüglich der Bekämpfung von Terrorismus und Gewaltextremismus ermöglichen das Globale Forum gegen den Terrorismus (Global Counterterrorism Forum), die OSZE und die UNO durch den Austausch von Informationen und «best practices», die Fähigkeiten der für die Abwehr dieser Bedrohungen zuständigen Organe zu stärken. Auf internationaler Ebene verstärkt die Schweiz ihr Engagement zur Unterstützung von Staaten in der Prävention von gewalttätigem Extremismus.

In Bezug auf die Bedrohung durch einen bewaffneten Angriff ist die Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden insofern nützlich, als sie die Fähigkeit der Schweizer Armee erhöht, bei Bedarf mit anderen Armeen zusammenzuarbeiten, was der Handlungsfreiheit der politischen Führung zugutekommt. Die beabsichtigte Teil7828

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nahme am Air Situation Data Exchange würde eine effiziente Luftpolizei erleichtern. Die Zusammenarbeit mit der Europäischen Verteidigungsagentur kann zu effizienten Rüstungsbeschaffungen beitragen. Bei Entscheidungen über die Teilnahme oder Nichtteilnahme an solchen Programmen und Projekten werden neutralitätsrechtliche und neutralitätspolitische Überlegungen immer einbezogen.

Internationale Absprachen und Zusammenarbeit ist mittlerweile ein Hauptelement der Massnahmen gegen Versorgungsstörungen.

Für Katastrophen und Notlagen hat die Schweiz auf nationaler Ebene bilaterale Abkommen mit den Nachbarländern abgeschlossen, ebenso wie die Grenzkantone mit den Nachbarregionen. Diese Abkommen werden durch Massnahmen in der Partnerschaft für den Frieden zur Erleichterung grenzüberschreitender Hilfe und durch Instrumente der UNO ergänzt. Zur Vervollständigung des für den Bevölkerungsschutz relevanten Lagebildes könnte auch der EU Civil Protection Mechanism einen Beitrag leisten.

2.4

Bisherige Eckwerte der Sicherheitspolitik

Sicherheitspolitik muss sich nach den Bedrohungen, Gefahren und den Entwicklungen des sicherheitspolitischen Umfelds ausrichten. Sie muss anpassungsfähig sein und bleiben. Nur so kann die Sicherheitspolitik wirksam Schutz und Sicherheit für das Land und die Bevölkerung schaffen und mit ihren Instrumenten Lösungen für die aktuellen und sich abzeichnenden Herausforderungen bieten. Verpasst sie es, auf massgebende Entwicklungen zu reagieren, gehen Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit verloren.

Neben Wandel und Anpassungsfähigkeit gibt es aber auch das Gebot der Kontinuität: Eine glaubwürdige Sicherheitspolitik muss langfristig ausgerichtet sein und die nötigen Anpassungen nachvollziehbar vornehmen, sonst läuft sie Gefahr, ihre Abstützung in der Bevölkerung zu verlieren. Das heisst für die Sicherheitspolitik der Schweiz, dass bisherige sicherheitspolitische Kernelemente, die weiterhin zukunftsfähig erscheinen, beibehalten werden, und jene Elemente der Sicherheitspolitik geändert oder aufgegeben werden, die nicht mehr der Zeit entsprechen.

Wie in jedem Politikbereich hat die Schweiz auch in der Sicherheitspolitik ein historisch gewachsenes Selbstverständnis, das die Gestaltung der Politik mitprägt.

Dazu gehört die Selbstwahrnehmung als ein wirtschaftlich starkes, international weit vernetztes Land, in dessen Aussenbeziehungen und -aktivitäten die Universalität und Neutralität eine grosse Rolle spielen. Die Schweiz hat sich als globaler Akteur positioniert, der auch jenseits seiner engeren Interessen zur Stabilität beizutragen bereit ist, zum Beispiel durch das Angebot von Guten Diensten und Vermittlung, die Förderung der Menschenrechte, die Friedensförderung mit zivilen und militärischen Mitteln und die Entwicklungszusammenarbeit. Diese Positionierung ist Bestandteil ihrer sicherheitspolitischen Grundausrichtung.

Die Schweiz hat sich aber in manchen Bereichen der Aussensicherheitspolitik auch eine gewisse Zurückhaltung auferlegt, insbesondere im militärischen Bereich. Sie hat ihre sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit anderen Staaten und Organisatio7829

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nen in den letzten rund 20 Jahren, also nach dem Ende des Kalten Krieges, angepasst und ausgeweitet. Dadurch, dass sie weder Mitglied der Nato noch der EU ist, hat die Schweiz aber eine andere sicherheitspolitische Ausgangslage als die meisten Staaten ihres näheren Umfelds.

Die Schweiz gehört zu den Staaten, welche die Armee nicht als ein Instrument zur Verfolgung machtpolitischer Ziele und Interessen jenseits der Landesgrenzen sehen.

Die Sicherheitspolitik der Schweiz ist aber nicht nur nach innen gerichtet ­ und das schon seit mehreren Jahrzehnten. Noch vor dem Ende des Kalten Krieges hatte sie eine so genannte «ausgreifende Komponente», die darin bestand, mit einem Engagement im Ausland die sicherheitspolitischen Risiken für die Schweiz zu vermindern. Dieser Teil der Sicherheitspolitik wurde in der Folge intensiviert. So hat über die letzten drei Jahrzehnte eine sicherheitspolitische Öffnung stattgefunden, die sich darin äusserte, dass die Schweiz ab Anfang der 1990er-Jahre friedensunterstützende Einsätze unter Mandat der UNO zu unterstützen begann, sich Sanktionsmassnahmen der UNO und später regional abgestützten internationalen Sanktionsmassnahmen der EU gegen Unrechtsstaaten anschloss und für Truppen unter Mandat des UNOSicherheitsrates den Transit über oder durch die Schweiz gewährte. Dazu kamen ­ via Teilnahme an der Partnerschaft für den Frieden ­ ein strukturiertes Verhältnis zur Nato ohne Beitrittsabsicht und Ad-hoc-Teilnahmen an Friedenseinsätzen der EU. Diese Elemente gehören mittlerweile zum Grundbestand der schweizerischen Sicherheitspolitik; die internationale Kooperation ist mindestens 60 Jahre alt, wenn man zum Beispiel die Entsendung von Militärbeobachtern zur Überwachung des Waffenstillstands in Korea (zusammen mit Schweden, Polen und der damaligen Tschechoslowakei) als Anhaltspunkt nimmt.

Die Schweiz verfolgt so schon seit mehr als einem halben Jahrhundert einen sicherheitspolitischen Mittelweg, zwischen den beiden Polen der sicherheitspolitischen Autonomie und der Integration. Sie hat diesen Mittelweg als Sicherheit durch Kooperation beschrieben. Das heisst, dass die Schweiz eine möglichst wirksame und effiziente Kooperation im Innern anstrebt sowie ­ überall dort, wo dies sicherheitspolitisch nötig oder sinnvoll ist ­ auch mit anderen Staaten und Organisationen zusammenarbeitet,
um Bedrohungen und Gefahren gemeinsam und möglichst frühzeitig vorzubeugen oder abzuwehren. Die Schweiz hat mit diesem Ansatz das Ziel verfolgt, durch verstärkte Zusammenarbeit auf den Bedeutungsverlust von Grenzen und Distanzen zu reagieren, ohne aber den Grundsatz der Eigenständigkeit aufgeben zu müssen.

Die föderale Struktur der Schweiz ist ein weiteres prägendes Merkmal. Die sicherheitspolitischen Zuständigkeiten sind in der Schweiz breit gestreut, horizontal wie vertikal. Sicherheitspolitik ist eine Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Gemeinden. Alle drei Ebenen sind mit ihren Rollen und Mitteln für die Sicherheit von Land und Bevölkerung wichtig. Diese starke Dezentralisierung, mit unterschiedlichen Zuständigkeiten für einzelne Instrumente, erhöht den Koordinationsaufwand.

Der Vorteil ist aber, dass es das Gesamtsystem beweglich, robust und damit auch resilient macht.

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3

Strategie

Jede Strategie befasst sich damit, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln ausgehend von der bestehenden Situation ein Ziel erreicht werden soll. Das ist auch bei der sicherheitspolitischen Strategie der Schweiz nicht anders. Es geht darum, wie die sicherheitspolitischen Mittel eingesetzt werden sollen, um die sicherheitspolitischen Ziele zu erreichen und damit den sicherheitspolitischen Interessen zu dienen. Dies umfasst die Prävention, die Abwehr und die Bewältigung von Bedrohungen und Gefahren für die Schweiz, deren Bevölkerung und den Interessen des Landes. Bei der Prävention geht es darum, das in der Schweiz gewohnte und im internationalen Vergleich hohe Sicherheitsniveau zu halten. Wenn die Schweiz Anschläge, Krisen, Konflikte oder Katastrophen erleidet, sind in der Phase der Abwehr wo möglich deren Urheber zu bekämpfen oder deren Auswirkungen zu begrenzen. Die Bewältigung besteht aus dem Einsatz der sicherheitspolitischen Instrumente zur Abwendung von weiterem Schaden, zur Behebung erlittener Schäden sowie zur Wiederherstellung des Normalzustands.

Eine Besonderheit der schweizerischen Sicherheitspolitik liegt darin, dass es eine ganze Palette sicherheitspolitischer Mittel gibt, für die unterschiedliche Staatsebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) zuständig sind und die je nach Bedrohungen und Gefahren und Phase unterschiedliche Leistungen erbringen müssen.

3.1

Sicherheitspolitische Interessen und Ziele

Interessen und Ziele stehen zueinander in einem engen Verhältnis: Interessen sind in der Regel inhaltlich weit gefasst und zeitlich nicht beschränkt. Ziele sind konkreter: Sie sind eine Auswahl und Konkretisierung der Interessen und sollen manchmal innerhalb einer bestimmten Frist erreicht werden. Es geht aber bei beiden, den sicherheitspolitischen Interessen ebenso wie bei den sicherheitspolitischen Zielen der Schweiz, darum, was bewahrt, erreicht oder verhindert werden soll, damit die Menschen in Sicherheit leben können ­ in erster Linie in der Schweiz, in zweiter Linie aber auch in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten.

3.1.1

Sicherheitspolitische Interessen

Die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz entsprechen einerseits universellen Anliegen (also solchen, die für andere Länder ebenso gelten können wie für die Schweiz), anderseits ergeben sie sich aus spezifischen Gegebenheiten der Schweiz.

Das universelle sicherheitspolitische Kerninteresse ist, dass Streitigkeiten zwischen Staaten oder innerhalb von Staaten mit friedlichen Mitteln beigelegt werden und dass Gewalt weder angedroht noch angewandt wird. Legitim ist einzig die Anwendung von Gewalt zur Selbstverteidigung oder auf der Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Die Bestimmungen des Völkerrechts müssen eingehalten werden; insbesondere dürfen Grenzen nicht durch Gewalt und gegen den Widerstand von Betroffenen verschoben werden. Staaten müssen selbst über ihre eigenen Angelegenheiten entscheiden können, sowohl in Bezug auf innere 7831

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Angelegenheiten wie auch auf die Gestaltung ihrer Beziehungen zu anderen Staaten und internationalen Organisationen. Zu den erweiterten sicherheitspolitischen Interessen gehört die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Systematische und schwer wiegende Verletzungen der Menschenrechte, ebenso wie die willkürliche Anwendung von Gesetzen und das Fehlen demokratischer Legitimation tendieren dazu, über kurz oder lang Konflikte zu schaffen. Wenn ein bewaffneter Konflikt stattfindet, liegt es im Interesse der Betroffenen wie der Völkergemeinschaft, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts eingehalten werden. Die Verhinderung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen ist ein weiteres fast universelles sicherheitspolitisches Interesse; insbesondere sollen nichtstaatliche Gruppen keinen Zugang zu solchen Waffen erhalten.

Manche dieser Interessen gelten für die Schweiz noch stärker als für viele andere Staaten. Sie ist ein geografisch kleines, in Bezug auf die Bevölkerung im europäischen Mittel liegendes, wirtschaftlich starkes, international sehr verflochtenes, mehrsprachiges, föderalistisch strukturiertes und direktdemokratisch ausgestaltetes Land. Sie muss auf die Macht des Rechtes setzen, nicht auf das Recht der Macht.

Als Staat, der einen eigenständigen Weg geht, muss die Schweiz jede Anwendung oder auch nur Androhung von Druck oder Gewalt durch andere Staaten ablehnen, nicht nur bezogen auf sich selbst, sondern auch zwischen Drittstaaten. Als direkte Demokratie, die von engagierten und gut informierten Staatsbürgerinnen und bürgern lebt, muss die Schweiz mit besonderer Entschiedenheit Propaganda und Desinformation verurteilen; sie sind Gift für den demokratischen Diskurs. Als Land sprachlicher, kultureller und religiöser Vielfalt steht die Schweiz für Toleranz und Einbezug, gegen Abschottung und Ausgrenzung. Schliesslich liegt es auch im Interesse der Schweiz, dass die sicherheitspolitisch relevanten internationalen Organisationen oder Allianzen in ihrem Umfeld handlungsfähig sind, um sowohl Streitigkeiten unter den Mitgliedern als auch Aggression von aussen zu verhindern.

In der Diskussion über die Sicherheitspolitik werden oft weitere Interessen genannt, darunter wirtschaftliche Prosperität und Mehrung des Wohlstands, Beschäftigung und Marktzugang, eine
freiheitliche Gesellschaft, funktionierende politische Institutionen, Chancengleichheit, Identität, Zusammenhalt und Vielfalt. Das sind nationale Interessen, aber nicht sicherheitspolitische Interessen im engeren Sinn: Es ist zum Beispiel nicht die Aufgabe der Sicherheitspolitik, dafür zu sorgen, dass die politischen Institutionen funktionieren; sie hat aber zu verhindern, dass das Funktionieren dieser Institutionen durch Machtpolitik oder Kriminalität beeinträchtigt wird. Gegen eine Ausweitung der sicherheitspolitischen Interessen auf das gesamte Spektrum nationaler Interessen spricht, dass damit die Kompetenz anderer Politikbereiche in Frage gestellt würde und dies dem Bestreben zuwider liefe, die Gesamtpolitik in praktisch handhabbare Bereiche aufzuteilen.

Manchmal wird die Neutralität als sicherheitspolitisches Interesse oder Ziel, oder gar als Gesamtheit der sicherheitspolitischen Strategie der Schweiz, angesehen. Die Neutralität ist eine bewährte sicherheits- und aussenpolitische Maxime der Schweiz; die Schweiz ist und bleibt neutral. Die Neutralität ist aber ein Mittel, nicht ein Ziel.

Sie dient übergeordneten Zielen, der Unabhängigkeit und der Sicherheit des Landes.

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3.1.2

Sicherheitspolitische Ziele

Gemäss Artikel 2 der Bundesverfassung52 (BV) schützt die Schweizerische Eidgenossenschaft die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes. Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes. Sie sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern. Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung.

Die Sicherheitspolitik ist ein Teilbereich der Gesamtpolitik und damit den gleichen Zielen verpflichtet. Sie ist aber nicht für alle Ziele des Landes gleichermassen von Bedeutung. Während die Sicherheitspolitik für den Schutz von Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit unmittelbar relevant ist und wichtige Beiträge dazu leistet, ist dies bei der nachhaltigen Entwicklung, der Chancengleichheit oder der kulturellen Vielfalt weniger oder gar nicht der Fall. Sicherheit ist aber das Fundament für die Realisierung auch dieser Ziele, obwohl sie im engeren Sinn nichts mit Sicherheitspolitik zu tun haben.

Beim Ziel der Sicherheitspolitik besteht kein Anlass, die Formulierung, wie sie bereits im letzten Bericht enthalten war53, zu ändern: Die schweizerische Sicherheitspolitik hat zum Ziel, die Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmung und Integrität der Schweiz und ihrer Bevölkerung sowie ihre Lebensgrundlagen gegen Bedrohungen und Gefahren zu schützen und einen Beitrag zu Stabilität und Frieden jenseits der Grenzen zu leisten.

Bei der Sicherheitspolitik geht es im Wesentlichen darum, dass die Schweiz über die Mittel und Abläufe verfügt, um ihre Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung zu wahren, das Land, seine Bevölkerung und seine Interessen zu schützen, natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen und Notlagen zu bewältigen sowie einen Beitrag für Stabilität und Sicherheit ausserhalb des Landes zu leisten. Die Mittel, welche die Schweiz dafür besitzt, müssen effizient, wirksam sowie mit Bedacht und Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden. In einem föderalen Staat wie der Schweiz verlangt dies nach enger Koordination zwischen den Departementen auf Bundesebene sowie zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden, und es erfordert ein gut abgestimmtes Zusammenspiel der einzelnen
Sicherheitsinstrumente, ebenso wie internationale Kooperation. Dies ist von dauernder Gültigkeit; was sich in der Sicherheitspolitik ändert, ist aber die Antwort auf die Fragen, wie und wo die Schweiz ihre Instrumente am besten einsetzt, um dieses Ziel zu erreichen, und wie diese Instrumente angepasst werden müssen, um wirksam zu bleiben.

Der Nutzen der Sicherheitspolitik bemisst sich daran, ob sie für gegenwärtige oder absehbare Sicherheitsprobleme Antworten und Lösungen bietet. Die Sicherheitspolitik und ihre Instrumente müssen an die aktuellen und sich abzeichnenden Bedrohungen und Gefahren angepasst werden, in einem stetigen Bemühen, sie angesichts der konkreten Bedrohungen und Gefahren für die Sicherheit der Schweiz und ihrer Bewohner zu optimieren. Überraschungen treten immer wieder ein. Man kann sich 52 53

SR 101 BBl 2010 5133, hier 5143

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aber nicht gegen alle möglichen Ereignisse im Voraus rüsten, ausser mit Flexibilität im Denken und in den Instrumenten der Sicherheitspolitik sowie der Stärkung der Widerstandskraft und Regenerationsfähigkeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.

3.2

Bestandteile der Strategie: Kooperation, Selbstständigkeit und Engagement

Der Kernbegriff der sicherheitspolitischen Strategie der Schweiz seit 2000 war die Kooperation ­ im Innern wie nach aussen. Kooperation ist und bleibt wichtig; sie ist aber nur einer der Bestandteile der sicherheitspolitischen Strategie. Zwei weitere sind für eine umfassende, realistische und erfolgversprechende Strategie nötig: Selbstständigkeit und Engagement. Diese drei Kernbegriffe stehen für die Spannbreite der sicherheitspolitischen Strategie der Schweiz. Selbständigkeit und Engagement begründen dabei nicht eine grundlegend andere oder neue Strategie; sie sind Abbild einer unübersichtlicher gewordenen Sicherheitslandschaft, in der für eine zielführende Navigation mehr erforderlich ist als der allein stehende Begriff der Kooperation.

Die Schweiz bestimmt jeweils im Lichte konkreter Lagen und Probleme, wie stark sie sich engagieren oder zurückhalten will und wo sie die Gewichte zwischen Selbstständigkeit und Kooperation legen will. Eine über alle Fälle hinweg gültige Patentlösung gibt es nicht.

3.2.1

Kooperation

Kooperation ist in der Sicherheitspolitik, im Innern der Schweiz wie auch im Verhältnis mit anderen Staaten und internationalen Organisationen, eine Notwendigkeit.

Viele Probleme können erst durch die Bündelung von Ressourcen der Kantone, des Bundes oder anderer Staaten oder durch Arbeitsteilung mit Aussicht auf Erfolg angegangen werden, von umfassenden Herausforderungen wie der Stabilisierung des westlichen Balkans bis zu konkreten Aufgaben wie der Gewährleistung der Sicherheit am jährlichen Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos. Kooperation ist aber auch ein weiter Begriff, der für sehr verschiedene Intensitäten einer Zusammenarbeit stehen kann: von Kontakten, Konsultationen, Koordination, fallweiser Teilnahme an gemeinsamen Vorhaben bis zu einer strukturierten und auf Dauer angelegten Arbeitsteilung.

Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Innern ist lang geübte Praxis und breit anerkannt. In einem föderalistischen Staat mit dezentral verteilten Zuständigkeiten ist eine effiziente und wirksame Sicherheitspolitik nur durch Zusammenarbeit zu erreichen. Diese wird bereits durch Artikel 57 BV nahegelegt: «1 Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. 2 Sie koordinieren ihre Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit.» Die Intensität und die konkrete Ausgestaltung dieser Zusammenarbeit haben sich über die vergangenen zwanzig Jahre aber gewandelt. Der 7834

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Sicherheitsverbund Schweiz, wie er in den vergangenen fünf Jahren aufgebaut wurde, entspricht den Bedürfnissen und politischen Gegebenheiten: Koordination und Konsultation in einem Geist des Einbezugs, aber mit klar zugewiesenen Verantwortungen. In den kommenden Jahren wird es darum gehen, diese Zusammenarbeit zu vertiefen, die Abläufe weiter zu präzisieren und sie mit Übungen zu überprüfen.

Bei der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit anderen Staaten und internationalen Organisationen geht es vor allem um die Bekämpfung von grenzüberschreitenden Bedrohungen. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn jene, welche die Sicherheit der Schweiz bedrohen, mobil sind und sich deshalb einem Zugriff durch Ausweichen in andere Länder entziehen können, wenn sie aus grosser Distanz operieren und damit in der Schweiz gar nicht greifbar sind, wenn die Dimension eines Problems die Möglichkeiten eines einzelnen Staates überfordert, wenn schweizerische Interessen im Ausland tangiert sind oder wenn wirksame Vorkehrungen im Alleingang unbezahlbar oder ineffizient wären. Wenn die Schweiz nützliche zivile und militärische Beiträge an die internationale Sicherheit leistet, kann sie sich als verlässlicher Partner positionieren.

Gleichzeitig ist Kooperation ein sehr weiter Begriff, begrenzt nur durch die Extreme eines sicherheitspolitischen Abseitsstehens oder Isolation einerseits und einer Integration im Sinne einer Mitgliedschaft in einer Allianz anderseits. Gegen Isolation spricht in erster Linie, dass damit Vorbeugung, Abwehr und Bewältigung der meisten Bedrohungen und Gefahren (z. B. Terrorismus, organisierte Kriminalität, Versorgungsstörungen) kaum mehr machbar wäre. Gegen Integration in eine Allianz sprechen das Bedürfnis nach Beibehaltung der bisherigen sicherheitspolitischen Identität sowie Zweifel daran, ob Integration der Sicherheit der Schweiz zuträglich wäre. Alles, was zwischen Isolation und Integration angesiedelt ist, fällt unter den Begriff der Kooperation. Daraus ergibt sich, dass diese sehr unterschiedlich ausgestaltet werden kann, je nach Gegenstand, Zielsetzung, Partner, Art, Umfang und politischem oder rechtlichem Rahmen.

Der Manövrierraum bei der sicherheitspolitischen Kooperation wird bestimmt durch Überlegungen zu Nutzen, Kosten und Risiken konkreter Kooperationsvorhaben.

Schranken setzt
der Kooperation die Neutralität. Sie lässt sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation wie Rüstungsbeschaffungen aus dem Ausland, Ausbildungskooperation und die Teilnahme an Friedensförderungseinsätzen zu. Sie schliesst aber jede Zusammenarbeit aus, die direkt mit militärischen Beistandspflichten verbunden ist, und sie legt es auch nahe, auf eine Zusammenarbeit oder Arbeitsteilung zu verzichten, die so weit ginge, dass die Schweizer Armee dadurch im konkreten Fall nicht mehr autonome Verteidigungsoperationen durchführen könnte.

Dabei gilt weiterhin, dass die Neutralität kein Selbstzweck ist, sondern der Sicherheit der Schweiz dienen muss.

3.2.2

Selbstständigkeit

Die Schweiz ist in Bezug auf praktisch alle Lebensbereiche ­ zum Beispiel Wirtschaft, Finanz- und Arbeitsmarkt, Umweltschutz, Wissenschaft, Technologie, Kul7835

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tur, Tourismus ­ mit internationalen, zum Teil globalen Strukturen vernetzt und verflochten. Das führt dazu, dass die Schweiz und ihre Bevölkerung für die Weiterführung ihres gewohnten Lebens von vielen Akteuren ausserhalb der Schweiz abhängig sind. Das Streben nach Unabhängigkeit findet in dieser Realität statt: Unabhängigkeit ist und bleibt ein Ziel. Volle Unabhängigkeit im Sinne von Autarkie ist aber nur für jene Staaten und Völker eine Option, die auf die Vorteile des internationalen Austausches von Menschen, Ideen, Kapital und Gütern zu verzichten bereit sind; die Schweiz gehört nicht dazu. Sie muss vielmehr versuchen, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden.

Trotz diesen Einschränkungen kann und will die Schweiz in der Sicherheitspolitik, wie auch in anderen Politikbereichen, selbstständig sein, in Bezug auf ihre sicherheitspolitische Positionierung gegen aussen, aber auch in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung ihrer sicherheitspolitischen Instrumente im Innern. Sie will bereit und fähig sein, sich ein eigenes Bild zu machen, über die eigenen Angelegenheiten selbst zu bestimmen und frei zu entscheiden, ob, wo, wann, wie und mit wem sie kooperieren oder sich engagieren soll. Selbstständigkeit heisst, so viel wie realistisch möglich selbst für die eigene Sicherheit zu sorgen, und sich so viel wie nötig auf andere abzustützen, wo das für die Wirksamkeit nötig oder für die Effizienz angezeigt ist.

Selbstständigkeit bedeutet aber auch, über eigene Mittel und Fähigkeiten zu verfügen und diese zeitgemäss weiterzuentwickeln, damit sicherheitspolitische Herausforderungen angegangen werden können; dies ist auch Voraussetzung, um mit anderen kooperieren zu können ­ nur wer auch eigene Mittel und Fähigkeit besitzt, kann sich als echter Partner in eine Kooperation einbringen.

Selbstständigkeit beginnt mit der Bereitschaft und Fähigkeit zur eigenen Informationsbeschaffung, Analyse und Beurteilung. Dies kann durchaus in vielen Fällen zu ähnlichen Erkenntnissen und Wertungen führen wie in anderen Staaten, aber selbst dort, wo die Schweiz etwas ähnlich bewertet wie andere Staaten, ist es wichtig, dass sie durch eigene Analyse und Bewertung dazu gekommen ist.

Selbstständigkeit besteht auch darin, dass die Schweiz selbst bestimmt, wie, mit welchen Mitteln und mit welchen Partnern sie Herausforderungen oder
Bedrohungen für ihre Sicherheit entgegentreten will. Das steht nicht im Gegensatz zu Kooperation und Engagement, sondern ist Voraussetzung dafür, dass Kooperation und Engagement bewusst eingegangen werden und damit solide abgestützt sind. Selbstständigkeit verringert das Risiko, ohne gründliche Abwägung an internationalen Entwicklungen oder Einsätzen mitzumachen, kann aber auch zur Folge haben, Trends zu verpassen oder von anderen Staaten als Trittbrettfahrer betrachtet zu werden.

Selbstständigkeit bezieht sich nicht nur auf internationale Aspekte der Sicherheitspolitik; sie hat auch im Innern der Schweiz eine wesentliche Bedeutung, indem sie das Bemühen kennzeichnet, die eigenen Angelegenheiten möglichst mit eigenen Kräften zu regeln. Auf diesem Grundgedanken basiert auch die für die Schweizer Sicherheitspolitik typische Subsidiarität ­ dass nämlich Aufgaben auf der tiefstmöglichen staatlichen Ebene wahrgenommen werden und die übergeordnete Ebene nur unterstützt oder eingreift, wenn die untere Ebene ihre Aufgaben in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht allein nicht zu bewältigen vermag.

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3.2.3

Engagement

Beim Engagement geht es darum, mit gezielten Beiträgen direkt oder indirekt die Sicherheit der Schweiz zu stärken. Sicherheitspolitisches Engagement gibt es auch innerhalb des Landes, zwischen den Gemeinden und Kantonen, aber auch zwischen Bund und Kantonen. Dieses gründet zum Teil auf lange bestehenden Traditionen. Es besteht aus Beiträgen, die über das hinausgehen, was gesetzlich oder vertraglich vorgeschrieben ist. Solches Engagement gibt es zum Beispiel im Bevölkerungsschutz, wo bei Katastrophen und Notlagen jeweils solidarische Unterstützung über die Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg unkompliziert und rasch erfolgt.

Auch sicherheitspolitisches Engagement jenseits der Grenzen ist nichts Neues.

Bereits vor dem Ende des Kalten Krieges gab es eine «ausgreifende Komponente» der Sicherheitspolitik: Wenn die sicherheitspolitischen Bedrohungen mehr und mehr ausserhalb des Landes liegen und ein guter Teil von ihnen nicht an der Grenze abgewehrt werden kann, ist es naheliegend, sich jenseits der Grenzen gegen sie einzusetzen. Das kann verschiedene Formen annehmen, von Entwicklungszusammenarbeit über gute Dienste (Vermittlung oder Mandate zur Vertretung der Interessen anderer Staaten, wie jener der USA in Iran oder jene der Russischen Föderation in Georgien und umgekehrt) bis zur Friedensförderung mit zivilen und militärischen Mitteln und Migrationspartnerschaften Sicherheitspolitisches Engagement im Ausland kann in Bezug auf Ort, Zeit, Mittel und Partner flexibel gehandhabt werden. So kann die Schweiz von bestimmten Aktivitäten in einem Land absehen oder sich zurückhalten, wenn sie es wegen der Neutralität oder bereits laufenden Engagements (z. B. diplomatische Schutzmandate) für sinnvoller hält. Ebenso kann sie sich von einem Engagement fernhalten, wenn ein hohes Risiko besteht, dass sie mit einem konkreten Engagement die Wahrscheinlichkeit von Angriffen in der Schweiz oder auf schweizerische Ziele im Ausland erhöhen würde. Die flexible Handhabung des Engagements kann aber auch mit Nachteilen verbunden sein, zum Beispiel mit Blick auf die Wahrnehmung der Schweiz als verlässlicher Akteur.

Der OSZE-Vorsitz 2014 war Gelegenheit für ein starkes Engagement der Schweiz für Frieden und Sicherheit. Ein Sitz der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat könnte dieses Engagement noch stärker zur Geltung bringen.
Die militärische Friedensförderung ist ein wichtiges Instrument des sicherheitspolitischen Engagements der Schweiz.54 Bereits vor mehr als 60 Jahren engagierte sich die Schweiz auf diese Art in internationalen Friedensbemühungen. Sie beteiligte sich mit zunächst mehr als 90 Angehörigen der Armee als einer von vier Staaten an der Neutralen Überwachungskommission für den Waffenstillstand in Korea. Diese 54

Die militärische Friedensförderung wird hier besonders erwähnt, weil sie ein gutes Beispiel für das sicherheitspolitische Engagement der Schweiz ist und weil sie nicht einer einzigen Bedrohung zugeordnet werden kann. In Ziff. 3.3 wird dargestellt, wie die einzelnen Instrumente der Sicherheitspolitik zur Verhütung und Bewältigung der einzelnen Bedrohungen und Gefahren beitragen. Dort kommt die militärische Friedensförderung nur am Rande vor, weil sie sich eben nicht spezifisch gegen eine Bedrohung richtet, sondern einen Beitrag zur Verhütung verschiedener Bedrohungen leistet.

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Beteiligung an dieser Überwachungskommission besteht noch heute, und in den vergangenen Jahrzehnten sind weitere Einsätze hinzugekommen. 55 Die militärische Friedensförderung hat zum Ziel, ein sicheres Umfeld zu schaffen.

Der Ausbruch von Kampfhandlungen soll verhindert oder deren Fortführung beendet werden. Auch wird versucht, die Bevölkerung zu schützen und Folgeerscheinungen von Konflikten zu beseitigen (z. B. Minen und Blindgänger, illegaler Handel mit Kleinwaffen und Munition). Dadurch sollen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass politische Friedensprozesse greifen und zivile Akteure der Friedensförderung ihre Arbeit ausüben können. Die militärische Friedensförderung leistet damit Beiträge zur Vorbeugung oder Minderung verschiedener Bedrohungen: Die Schaffung eines sicheren Umfelds kann dazu führen, dass die einheimische Bevölkerung sich weniger gezwungen sieht, ihre angestammten Gebiete zu verlassen, was die Migrationsproblematik und damit zusammenhängende Probleme wie zum Beispiel Kriminalität dämpfen kann. Durch die Stabilisierung und Lösung von gewaltsamen Konflikten kann die militärische Friedensförderung dazu beitragen, die Entstehung, Festsetzung und Verbreitung von Terrorismus zu verhindern oder zu vermindern. Indem Krisenregionen stabilisiert und Verkehrswege geschützt werden, kann die militärische Friedensförderung auch zur Verhinderung oder Verkürzung von Versorgungsstörungen beitragen. Und durch die Eindämmung bewaffneter Konflikte kann sie letztlich auch mithelfen, das Risiko zu mindern, dass solche Konflikte eskalieren und die Schweiz berühren. Es ist offensichtlich, dass die militärische Friedensförderung der Schweiz allein nur wenig ausrichten kann. Die vereinten Anstrengungen vieler Länder können indessen viel bewirken; sie finden aber nur dann statt, wenn die Staaten, darunter auch die Schweiz, zu ihnen beitragen.

Es gibt verschiedene Trends, welche die militärische Friedensförderung berühren.

Die Anzahl der an einem Konflikt beteiligten Parteien hat sich erhöht; oft bestehen keine strukturierten Konfliktparteien mehr, sondern nur bewaffnete Kleingruppen.

Die Grenze zwischen Kriminalität und Terrorismus hat sich verwischt. Die Risiken für Friedenstruppen haben sich erhöht. In aller Regel müssen sie heute bewaffnet sein, um sich selbst schützen und ihren Auftrag
erfüllen zu können.56 Die Sicherheit und damit zusammenhängend die Frage der Bewaffnung bekommt dadurch mehr Gewicht bei der Beurteilung, ob ein bestimmter Einsatz für die Schweiz in Frage kommt oder nicht. Davon ausgenommen sind Militärbeobachter der UNO oder der OSZE, die unbewaffnet eingesetzt werden.

Während der Bedarf nach Infanterieeinheiten weitgehend gedeckt ist, besteht auf internationaler Ebene ein grosser Bedarf nach hochwertigen Beiträgen wie Lufttransportkapazitäten, Aufklärungsdrohnen, Führungsmitteln und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten. Auch Logistik-, Transport-, Sanitäts-, Genieleistungen und spezielle Beiträge wie Fähigkeiten für die Minenräumung und Kampfmittelbeseiti55

56

Einsätze der Armee zur Friedensförderung bedürfen eines Mandats des UNOSicherheitsrates oder der OSZE. Die Teilnahme an Einsätzen ist freiwillig, und die Teilnahme an Kampfhandlungen zur Friedenserzwingung ist ausgeschlossen. Werden für einen bewaffneten Einsatz mehr als 100 Angehörige der Armee eingesetzt oder dauert dieser länger als drei Wochen, kann der Einsatz nur mit Zustimmung der Bundesversammlung erfolgen.

Siehe auch Ziff. 2.3.5.

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gung, die Unterstützung bei der Reform des Sicherheitssektors und bei Entwaffnungsprogrammen sowie den Kapazitätsaufbau regionaler Friedensförderungskräfte sind gesucht. Ebenso ist Unterstützung bei der sicheren Lagerung und Vernichtung von Waffen und Munition weiterhin gefragt, tendenziell sogar in erhöhtem Mass.

Die Schweizer Armee hat Stärken in der militärischen Friedensförderung: Die Neutralität begünstigt ihre Akzeptanz in Krisen- und Konfliktregionen, das Milizsystem erleichtert den Zugang zur Zivilbevölkerung, und französische Sprachkenntnisse sind besonders gefragt. Der Bundesrat strebt weiterhin eine qualitative und quantitative Erhöhung der militärischen Friedensförderung an, mit einem Schwergewicht beim Einsatz hochwertiger Mittel. Er will weiterhin gleichzeitig bis zu 500 Angehörige der Armee einsetzen können. Massgeblich sind dabei die konkreten Bedürfnisse der jeweiligen Friedensmission und die Fähigkeiten der Armee.

Im Vordergrund stehen Logistik- und Transportleistungen sowie Kleindetachemente und Nischenleistungen wie Nachrichtendienst, Sicherheitsberatung, Genie, Minenräumung, Unterstützung bei der sicheren Lagerung und Vernichtung von Waffenund Munitionsbeständen, Unterstützung bei der Reform des Sicherheitssektors und Entwaffnungsprogrammen sowie der Aufbau regionaler Kapazitäten für Friedensförderung. Das Gros der Leistungen der Armee kann immer noch durch Milizpersonal erbracht werden; für Lufttransportleistungen zum Beispiel muss hingegen auf das zivile und militärische Berufspersonal der Luftwaffe zurückgegriffen werden.

Die aktuelle Ausstattung der Armee erlaubt Einsätze in Kontingentsgrösse in unserer sowie den angrenzenden Klimazonen, die Entsendung von Kleindetachementen und Experteneinsätze sind weltweit möglich.

3.2.4

Bezug zu den Bedrohungen und Gefahren

Erfolgreiches Vorgehen gegen die Bedrohungen und Gefahren verlangt in der Regel nach einer Kombination von Selbstständigkeit, Kooperation und Engagement. Je nach Bedrohung oder Gefahr können aber unterschiedliche Akzente gesetzt werden.

Illegale Beschaffung und Manipulation von Informationen Kooperation spielt eine wichtige Rolle in der Bekämpfung der illegalen Beschaffung und Manipulation von Informationen, im Innern zum Beispiel durch den Betrieb und die Mitwirkung an der Melde- und Analysestelle Informationssicherung oder die Bildung eines Expertenpools, im Äusseren im Austausch von Informationen mit anderen Staaten, auch zur Abwehr von Spionage, sowie im Austausch von Expertenwissen und in der Ausbildung. In der Forschung und Ausbildung im CyberBereich besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen dem zivilen Bereich (Nachrichtendienst, Strafverfolgung, Aussenpolitik) und der Armee. International setzt sich die Schweiz dafür ein, die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Internetkriminalität zu verstärken (z. B. Konvention des Europarates über die CyberKriminalität) sowie das Risiko von Cyber-Angriffen zu verringern, indem Bestrebungen unterstützt werden, die Stabilität und Sicherheit des Cyber-Raums zu erhöhen (z. B. durch vertrauensbildende und kooperative Massnahmen). Gerade auch im Bereich des Nachrichtendienstes und der Strafverfolgung ist eine Kooperation mit 7839

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ausländischen Partnern (u. a. European Cybercrime Center, Interpol) unabdingbar, um Delikte, die mittels Internet begangen werden, aufklären und verfolgen zu können.

Selbstständigkeit ist in diesem Bereich gefordert, weil sich gezeigt hat, dass Staaten bei ihren Cyber-Aktivitäten eigennützige Ansätze verfolgen und dass Vertrauen in andere Staaten nur beschränkt möglich ist. Ebenso deutlich wurde aufgezeigt, dass Cyber-Aktivitäten oft nicht isoliert, sondern im Verbund mit anderen Methoden der Spionage ausgeführt werden. Die Selbstständigkeit betrifft in diesem Sinne Kapazitäten der Spionageabwehr wie auch den Schutz der eigenen Systeme (CyberVerteidigung) und den Aufbau von offensiven Fähigkeiten im Cyber-Bereich. Im Innern ist die Eigenverantwortung eine wichtige Leitlinie der Nationalen Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken. Alle Organisationen und Unternehmen müssen die Cyber-Risiken kennen und sind grundsätzlich selbst für die Schutzvorkehrungen verantwortlich. Der Staat erbringt dabei subsidiäre Unterstützung.

Die Schweiz engagiert sich auf internationaler Ebene, um die Schaffung von Verhaltensregeln im Cyber-Raum voranzutreiben. Vertrauensbildende Massnahmen und die Förderung eines von der Staatengemeinschaft geteilten Verständnisses zur staatlichen Nutzung des Cyber-Raums und dessen Grenzen sind Teile dieses Ansatzes.

Terrorismus und Gewaltextremismus Terrorismus und Gewaltextremismus sind oft grenzüberschreitende Bedrohungen.

Die Abwehr verlangt deshalb insbesondere auch Kooperation in Form eines guten internationalen Informationsaustausches über die Bedrohungslage, einer nachrichtendienstlichen, polizeilichen und rechtshilfebezogenen Zusammenarbeit beim Aufdecken von geplanten Terrorakten und bei der Verfolgung von Terroristen sowie zum Beispiel auch des Austausches von Luftlagedaten, um sich ungewöhnlich verhaltende Flugobjekte frühzeitig zu erkennen. Die Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung äussert sich international auch darin, dass die Schweiz an der Ausarbeitung und Weiterentwicklung der internationalen Regelwerke zur Terrorismusbekämpfung mitarbeitet oder Sanktionen des UNO-Sicherheitsrates umsetzt. Als Mitglied der UNO, des Global Counterterrorism Forum, des Europarats und der OSZE setzt sie sich für eine effiziente Architektur der internationalen
Terrorismusbekämpfung ein, die einem breites Sicherheitsbegriff Rechnung trägt.

Selbstständigkeit zeigt sich darin, dass die Schweiz über eigene Mittel verfügt, mit denen sich die gesamte Bandbreite terroristischer Bedrohungen über verschiedene Eskalationsstufen hinweg bewältigen lässt. Selbstständigkeit bedeutet auch, dass in der Schweiz verhindert wird, dass ein Nährboden für Terrorismus und Gewaltextremismus entsteht, wofür auch eine enge Kooperation im Innern nötig ist. Indem sie Anstrengungen unternimmt, um zu verhindern, dass sie zur Planung, Vorbereitung und Finanzierung von Terrorakten missbraucht wird, beteiligt sich die Schweiz am globalen Kampf gegen den Terrorismus. Zur Selbstständigkeit gehört auch, dass die Schweiz nur Anti-Terror-Sanktionslisten der UNO, nicht aber nationale Listen anderer Staaten mit designierten oder verbotenen Terrororganisationen übernimmt.

Sie ist namentlich in Bezug auf das Verbot von Organisationen zurückhaltend und hat bisher nur die Gruppierungen «Al-Qaida» und «Islamischer Staat» sowie ver7840

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wandte Organisationen verboten. Im Rahmen ihres friedenspolitischen und humanitären Engagements, insbesondere für den Schutz der Zivilbevölkerung, ist die Schweiz deshalb auch bereit, mit allen relevanten Akteuren eines Konflikts, inklusive nicht-staatlicher, bewaffneter und gewaltbereiter Gruppierungen, eher das Gespräch zu suchen, als es die meisten anderen Länder tun.

Die Schweiz engagiert sich, dass ihr Staatsgebiet weder für die Finanzierung noch für die logistische Unterstützung oder Planung von terroristischen Aktivitäten im Inoder Ausland missbraucht wird. Ebenso setzt sich die Schweiz dafür ein, dass kein Terrorismus aus ihrem Staatsgebiet exportiert wird, indem sie entsprechende Reisebewegungen verhindert. Sie bekämpft den Terrorismus umfassend und wendet dabei alle den internationalen Standards entsprechenden Mittel nach dem Gebot der Verhältnismässigkeit an. Ebenso engagiert sich die Schweiz, dass bei der Terrorismusbekämpfung weltweit die Menschenrechte und ­ in bewaffneten Konflikten ­ das humanitäre Völkerrecht respektiert werden. Sie setzt sich dafür ein, dass Ursachen und Phänomene von Terrorismus und Gewaltextremismus global angegangen werden, und leistet mit ihrer Entwicklungszusammenarbeit, mit Kapazitätsaufbau und mit ihrer Friedensförderung ­ insbesondere auch in fragilen Staaten ­ einen nachhaltigen Beitrag dazu. Sie scheut sich auch nicht, aufzuzeigen, wo es Interessenkonflikte geben kann und wie diese gelöst werden können. Dies betrifft insbesondere das humanitäre Engagement und den Dialog mit bewaffneten Gruppen, die in der humanitären Arbeit und der Friedensförderung in manchen Fällen für nachhaltige Lösungen einbezogen werden müssen.

Bewaffneter Angriff Sollte die Schweiz trotz ihrer Neutralität Opfer eines bewaffneten Angriffs und die Neutralität damit hinfällig werden, soll die Armee grundsätzlich beide Optionen offenhalten: autonome Verteidigung und Zusammenarbeit mit anderen Staaten, die Interoperabilität voraussetzt. Damit zeigt sich auch in diesem politisch sensiblen Bereich das Zusammenspiel von Selbstständigkeit und Kooperation: Die Armee muss zu beidem fähig sein.57 Kooperation gilt aber auch im Innern: Wenn es um die Abwehr oder die Bewältigung eines bewaffneten Angriffs geht, kommen praktisch alle Instrumente der Sicherheitspolitik aufeinander abgestimmt
zum Einsatz.

Selbstständigkeit spielt bei den meisten Massnahmen, die der militärischen Sicherheit dienen, eine grosse Rolle. Das ergibt sich zu einem grossen Teil aus den rechtlichen und politischen Auswirkungen der Neutralität und der Nichtmitgliedschaft in der Nato und in der Europäischen Union. Die Schweiz will selbständig zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs nötige Fähigkeiten bewahren.

Auch international gibt es einen weiten Bereich von Engagement, um die Wahrscheinlichkeit und die Folgen eines bewaffneten Angriffs zu verringern. Dazu gehört das ganze Spektrum der zivilen und militärischen Friedensförderung, Bemühungen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung, vertrauensbildende Massnahmen oder Initia57

Kooperation kann auch dazu dienen, die Selbstständigkeit zu erhöhen. Das ist dann der Fall, wenn mit Kooperation (z. B. in der Ausbildung) Fähigkeiten aufgebaut werden können, die alleine nicht erreichbar wären, für die selbstständige Verteidigung aber nötig sind.

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tiven zur Ächtung bestimmter Einsatzmittel (z. B. Streumunition, Antipersonenminen).

Kriminalität Die Notwendigkeit der Kooperation in der Bekämpfung der Kriminalität ergibt sich aus der Tatsache, dass die Ressourcen der Polizeibehörden in der Schweiz auf normale Lagen ausgerichtet sind. Für besondere oder ausserordentliche Lagen bestehen mit den Polizeikonkordaten und der Vereinbarung über interkantonale Polizeieinsätze (IKAPOL) eingespielte und bewährte Zusammenarbeitsformen unter den Kantonen, die verpflichtet sind, sich bei Bedarf gegenseitig zu unterstützen.58 Interkantonale Gremien wie die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) sorgen zudem auf politischer und auf operativer Stufe für eine rasche Entscheidfindung. Falls die gemeinsamen Kräfte der Kantone nicht ausreichen, unterstützt der Bund sie subsidiär. Auch zwischen Bund und Kantonen hat sich eine enge Kooperation entwickelt. In der Strafverfolgung ergibt sich der Kooperationsbedarf daraus, dass Delikte der organisierten Kriminalität, der Terrorismusfinanzierung oder der Wirtschaftskriminalität meistens kantonale und nationale Grenzen überschreiten. Hier wurden dem fedpol und der Bundesanwaltschaft deshalb Ermittlungs- und Strafverfolgungskompetenzen eingeräumt. Fedpol ist für nationale Polizeikooperation und -unterstützung sowie für die internationale Kooperation mit den ausländischen Polizeibehörden zuständig. Zur Bekämpfung der Kriminalität hat die Schweiz in den vergangenen Jahren Polizeiabkommen mit Staaten abgeschlossen, die für die Kriminalitätsentwicklung von besonderer Bedeutung sind, und sich an Schengen assoziiert.

Die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern und die Bekämpfung der Kriminalität sind in der Schweiz primär Aufgabe der Kantone. Der Bund ist nur für komplexe und grenzüberschreitende Kriminalitätsformen zuständig. Einige Kantone haben einen Teil dieser Kompetenzen an Städte und Gemeinden oder an die Eidgenössische Zollverwaltung beziehungsweise das Grenzwachtkorps delegiert. Dabei zeigt sich die für die Subsidiarität typische Selbstständigkeit. Die zuständigen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden der Kantone erledigen diese Aufgaben grundsätzlich umfassend und abschliessend.

Im Rahmen der
Förderung des Friedens und der Menschenrechte engagiert sich die Schweiz auch beim Aufbau staatlicher Strukturen und damit im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption in fragilen Kontexten. So werden beispielweise Schweizer Polizeiexperten und Grenzwächter an internationale Friedenmissionen (der UNO, OSZE und EU) entsandt, die beim Aufbau von rechtstaatlichen Institutionen mitwirken. Im weiteren Sinn dient auch das zivile und militärische Engagement im Ausland der Kriminalitätsbekämpfung in der Schweiz, wenn es dazu beiträgt, den Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben.

58

Die kantonalen Polizeikorps können bei Bedarf auch durch Polizeibeamte aus anderen Staaten unterstützt werden. Die Polizeiverträge mit Deutschland, Österreich / Liechtenstein und Frankreich sehen vor, dass die Beamten aus diesen Staaten unter der Leitung des Schweizer Polizeikorps auch hoheitliche Befugnisse haben können.

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Versorgungsstörungen Die Schweiz hat seit langem im Geist der Selbstständigkeit Vorkehrungen getroffen, um Versorgungsstörungen zu bewältigen. Traditionelle Mittel dafür sind unter anderem die Vorratshaltung und die Vorbereitung von Massnahmen zur Nachfragelenkung. Dieser eher statische Ansatz ist jedoch bereits seit rund 20 Jahren zugunsten wirtschaftlicher Kooperation und internationaler Regelungen abgeschwächt worden. Diese Konzeption passt besser zu den modernen Logistikketten, vor allem, weil sie in den Unternehmen deutlich weniger Ressourcen bindet und es den betroffenen Partnern ermöglicht, flexibel auf Versorgungsstörungen zu reagieren.

Katastrophen und Notlagen Beispielhaft für Kooperation steht das Verbundsystem Bevölkerungsschutz ­ die Polizei, die Feuerwehr, das Gesundheitswesen, die technischen Betriebe und der Zivilschutz ­, das durch gemeinsame Führungsorgane koordiniert eingesetzt wird. In der Koordination der verschiedenen Instrumente und Mittel auf nationaler Ebene spielt der Bundesstab ABCN eine wichtige Rolle. Internationale Kooperation kommt vor allem zum Zug, wenn es um Hilfseinsätze mit zivilen und militärischen Mitteln im Ausland geht oder ­ aufgrund eines extremen Ereignisses ­ die Schweiz auf ausländische Hilfe angewiesen ist. Dazu zählt auch die Nachbarschaftshilfe, für welche die Schweiz mit den Nachbarstaaten Abkommen abgeschlossen hat, welche die grenzüberschreitende Hilfe bei grösseren Katastrophe und Notlagen regeln. Die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen wird auf vielfältige Art sichergestellt. Sie reicht von interkantonalen Leistungsvereinbarungen über die Durchführung von Kantonsgrenzen übergreifenden Übungen bis zu regelmässigen tagenden Plattformen der im Verbundsystem Bevölkerungsschutz verantwortlichen Akteure.

Grundsätzlich ist die Schweiz von einem «Bottom-up»-Ansatz geprägt, welcher der Subsidiarität entspricht und die Selbstständigkeit auf dem tiefst möglichen Niveau fördert. Das gilt für Privat, Gemeinden, Regionen, Kantone und den Bund ebenso wie für die Polizei und die technischen Betriebe.

Kooperation und Engagement kommen zum Beispiel in der Klimapolitik und in der Vorbeugung und Bekämpfung von Pandemien zum Ausdruck.

3.3

Mittel: Die Instrumente der Sicherheitspolitik und ihre Beiträge zur Prävention, Abwehr und Bewältigung der Bedrohungen und Gefahren

Zu den sicherheitspolitischen Instrumenten der Schweiz gehören: ­

die Aussenpolitik,

­

die Armee,

­

der Bevölkerungsschutz,

­

der Nachrichtendienst,

­

die Polizei, 7843

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­

die Wirtschaftspolitik,

­

die Zollverwaltung,

­

der Zivildienst.

Die sicherheitspolitischen Instrumente bestehen demnach sowohl aus operativen Elementen (Armee, Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienst, Polizei, Zollverwaltung und Zivildienst) als auch Politikbereichen (Aussen- und Wirtschaftspolitik). Die Armee, der Bevölkerungsschutz, der Nachrichtendienst und die Polizei befassen sich praktisch ausschliesslich mit der Sicherheit der Schweiz, ihrer Bevölkerung und ihrer Infrastruktur. Für die Aussenpolitik, die Wirtschaftspolitik, die Zollverwaltung und den Zivildienst ist Sicherheit hingegen nur eines von mehreren Arbeitsgebieten.

Darüber hinaus gibt es weitere Behörden, die zur Sicherheit der Schweiz beitragen, aber nicht den sicherheitspolitischen Instrumenten zugerechnet werden, zum Beispiel das Informatiksteuerungsorgan des Bundes und das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation, die für den Bereich Cyber und dessen Sicherheit wichtig sind, oder die Transportpolizei, die für Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Verkehr eingesetzt wird. Nicht zu den sicherheitspolitischen Instrumenten des Landes gehören auch private Sicherheitsfirmen, auch wenn sie zunehmend eingesetzt werden.

Beim Einsatz der sicherheitspolitischen Instrumente können drei Phasen unterschieden werden: Prävention, Abwehr und Bewältigung.

­

Prävention ist zunächst einmal Antizipation: Bedrohungen und Gefahren müssen früh erkannt, die sicherheitspolitischen Instrumente auf sie ausgerichtet und die sicherheitspolitische Führung geregelt oder angepasst werden. Dazu kommt Bereitschaft: Die sicherheitspolitischen Instrumente müssen modern und vollständig ausgerüstet, gut ausgebildet und rasch einsetzbar sein. Mit Übungen werden sie und die sicherheitspolitische Führung überprüft. Zur Bereitschaft gehört auch die gezielte Erhöhung der Widerstandsund Regenerationsfähigkeit (Resilienz). Ein weiteres Element der Prävention ist der Einsatz sicherheitspolitischer Instrumente, um die Wahrscheinlichkeit zu vermindern, dass Bedrohungen und Gefahren eintreffen, zum Beispiel im Inland durch eine situativ erhöhte Polizeipräsenz oder international durch zivile und militärische Friedensförderung.

­

Wenn eine Bedrohung trotzdem eintrifft, geht es zunächst um Abwehr. Dabei geht es zum einen um passiven Schutz: Instrumente der Sicherheitspolitik werden eingesetzt, um Schaden fernzuhalten oder zu beschränken. Dazu gehören die Überwachung und Bewachung von kritischen Infrastrukturen und anderen Objekten und Räumen, aber auch der Bezug von Schutzräumen.

Wenn Bedrohungen konkret werden oder gar eintreten, geht es um aktive Interventionen: Diese bestehen darin, sicherheitspolitische Instrumente gegen Urheber einer Bedrohung einzusetzen, um deren Fähigkeit, weiteren Schaden zu verursachen, zu verringern oder zu eliminieren. Beispiele dafür sind Interventionen der Polizei gegen Terroristen oder ein Verteidigungseinsatz der Armee, um einen bewaffneten Angriff abzuwehren.

­

Die Bewältigung einer Bedrohung oder Gefahr besteht im Einsatz der sicherheitspolitischen Instrumente, um zunächst sicherzustellen, dass kein

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weiterer Schaden eintritt, und in der Folge die erlittenen Schäden zu beheben und den Normalzustand herzustellen.

In früheren sicherheitspolitischen Berichten wurden die sicherheitspolitischen Instrumente mit ihren Aufgaben, Leistungen, Strukturen und Plänen zur Weiterentwicklung einzeln beschrieben. Für den vorliegenden Bericht wird eine andere Darstellung gewählt: Anhand der einzelnen Bedrohungen und Gefahren wird aufgezeigt, wie jedes der sicherheitspolitischen Instrumente zu ihrer Prävention, Abwehr und Bewältigung beiträgt.59 Die Reihenfolge, in der die Instrumente erwähnt werden, entspricht der Bedeutung ihres Beitrages zur Bekämpfung der entsprechenden Bedrohung oder Gefahr. Diese Darstellung hat den Vorteil, dass ein direkter Bezug zwischen der Bedrohung und den einzelnen Instrumenten gemacht werden kann und die Aufgaben der Instrumente konkret beschrieben werden können.

3.3.1

Illegale Beschaffung und Manipulation von Informationen

Prävention Der Bundesrat verabschiedete 2012 die Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken, um der gestiegenen Bedeutung dieser Bedrohung Rechnung zu tragen. Diese Strategie wird jetzt umgesetzt, und sie hat dazu geführt, dass CyberSicherheit mehr Aufmerksamkeit erhält sowie die wichtigen Akteure in diesem Bereich besser vernetzt, die Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene verbessert und der Informationsaustausch zwischen Politik, Wirtschaft und Armee intensiviert wurden. Die Widerstandsfähigkeit gegen Cyber-Angriffe wurde auch durch einen Ausbau der Fähigkeiten und eine Optimierung der Abläufe verbessert. Die nationale Strategie betont das Prinzip der Selbstverantwortung beim Schutz der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen vor Cyber-Angriffen; aufgrund der Entwicklungen im Cyber-Bereich sind diesem Prinzip aber auch Grenzen gesetzt, die es bei der nächsten Überarbeitung der Strategie zu berücksichtigen gilt.

Der Nachrichtendienst des Bundes ist mit Unterstützung der Kantone für die Spionageabwehr zuständig, auch im Cyber-Raum. Er verfolgt und versucht auch im Voraus zu erkennen, wie sich die Methoden der Spionage und Sabotage in der realen Welt und im Cyber-Raum entwickeln, wer die wichtigen Akteure und was ihre Motive sind. Um ein Gesamtbild der Aktivitäten und Möglichkeiten im Cyber-Raum zu erhalten, werden Cyber-Vorfälle laufend analysiert. So konnten aus dem Fall Snowden zusätzliche Erkenntnisse über die Vorgehensweise gewisser Staaten und Nachrichtendienste gewonnen werden, die Rückschlüsse für die eigenen Schutzvorkehrungen ermöglichten. Eine wichtige Rolle bei der Prävention von CyberAngriffen spielt die Melde- und Analysestelle Informationssicherung (Melani) mit Analysen zur Bedrohungslage im Cyber-Raum und enger Zusammenarbeit mit der

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Unter Prävention werden alle sicherheitspolitischen Massnahmen und Aktivitäten vor einem möglichen Ereignis verstanden; unter Abwehr und Bewältigung alle Massahmen und Aktivitäten während und nach einem Ereignis.

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Wirtschaft durch Informationsaustausch und Sensibilisierung auf Cyber-Risiken.60 Der Nachrichtendienst des Bundes betreibt das Programm Prophylax, mit dem er Unternehmen sowie Forschungs- und höhere Bildungsinstitute für die Risiken der Spionage sensibilisiert.

Die Aussenpolitik setzt sich für internationale Regelungen ein, die den Schutz des Cyber-Raums verbessern und dessen Missbrauch verhindern oder zumindest einschränken sollen. Das macht sie in erster Linie über Verhandlungen im multilateralen Rahmen (z. B. UNO, OSZE, Europarat); sie sucht dazu aber auch die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten und Organisationen. Zum Beispiel hat die Schweiz in der OSZE zu vertrauensbildenden Massnahmen beigetragen, die das Risiko von Missverständnissen und Fehlkalkulationen im Cyber-Raum reduzieren sollen. Die Aussenpolitik setzt sich zudem dafür ein, dass bestehende völkerrechtliche Regeln auch auf den Cyber-Raum angewandt werden und dass durch politische Verhaltensnormen die Sicherheit und Stabilität im Cyber-Raum gefördert wird.

In Umsetzung der vom Bundesrat 2012 verabschiedeten Nationalen Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen identifizieren das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung cyber-bedingte Risiken der kritischen Infrastrukturen und wirken darauf hin, deren Resilienz zu verbessern. Es geht darum, Manipulationen solcher Systeme zu erkennen und Störungen oder Ausfälle kritischer Infrastrukturen zu vermeiden. Die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz betriebenen geschützten Systeme für Alarmierung, Kommunikation und Lagedarstellung sind auch gegen Cyber-Angriffe gehärtet.

Die Armee muss jederzeit, im Alltag wie in der Krise, ihre eigenen Informationsund Kommunikationssysteme und -infrastrukturen vor Angriffen schützen und Cyber-Angriffe abwehren können. Sie setzt die entsprechenden Mittel so ein, dass sie sich selber schützen und ihren Auftrag erfüllen kann. Die Rüstungspolitik sorgt dafür, dass die Armee mit den von ihr definierten sicherheitsrelevanten Technologien versorgt wird. Bei Bedarf können die Mittel der Armee aber auch für zivile Behörden und Betreiber kritischer Infrastrukturen zum Einsatz gelangen. Darüber hinaus beteiligt sich die Armee am Informations- und Erfahrungsaustausch mit zivilen und militärischen Stellen,
die sich mit der Abwehr von Cyber-Risiken befassen.

Abwehr und Bewältigung Die Polizei oder die Strafverfolgungsbehörden insgesamt kommen dann zum Einsatz, wenn es darum geht, Spionage, inklusive Cyber-Spionage, oder illegale Manipulationen strafrechtlich zu verfolgen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sich Erkenntnisse über einen bestimmten Fall von Spionage oder Manipulation zu einem konkreten Verdacht auf strafbare Handlungen verdichtet haben, sodass ein Strafverfahren eröffnet werden muss. Wichtig ist dabei die Fähigkeit zur Identifikation der Täterschaft: Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen können die Strafverfolgungsbehörden verschiedene Massnahmen zur Identifikation der Täterschaft ergreifen. Die 60

Bei Melani gibt es einen operativen Teil, der beim Nachrichtendienst des Bundes angesiedelt ist, und einen strategischen Teil, der zum Informatiksteuerungsorgan des Bundes gehört.

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bei fedpol angesiedelte nationale Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, die gemeinsam von Bund und Kantonen getragen wird, hat hier eine wichtige Rolle. Sie ist zentrale Anlaufstelle für Personen, die verdächtige Internetinhalte melden möchten. Die Meldungen werden nach einer ersten Prüfung und Datensicherung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden im In- und Ausland weitergeleitet. Ausserdem durchsucht fedpol das Internet nach strafrechtlich relevanten Inhalten und erstellt Analysen zur Internetkriminalität. Zentral bei der Strafverfolgung ist auch der Informationsaustausch mit dem European Cyber Crime Centre bei Europol und dem Interpol Global Complex for Innovation in Singapur.

Der Nachrichtendienst hat den Auftrag, Personen, die in der Schweiz illegal nachrichtendienstlich tätig sind, zu identifizieren und anschliessend Massnahmen gegen ihre Aktivitäten einzuleiten. Auch im Cyber-Raum geht es darum, Angriffe zu identifizieren und zurückzuverfolgen, um zu wissen, woher diese kommen, wer dahinter steckt und welche Ziele verfolgt werden. Dabei geht es um Angriffe auf Bundesbehörden, aber auch um Fälle, wo zum Beispiel Kantone oder Unternehmen von Angriffen betroffen und zu deren Abwehr oder Bewältigung auf Hilfe angewiesen sind. Je nach Schwere des Falles können für die Rückverfolgung sowie eine wirksame Abwehr und Bewältigung eines Cyber-Angriffs neben passiven Schutzmassnahmen auch offensive Gegenmassnahmen nötig sein. Bei Cyber-Angriffen und Spionage spielt auch das bei Melani angesiedelte Swiss Governmental Computer Emergency Response Team eine Rolle, indem es technische Unterstützung bei der Analyse und Nachbearbeitung der Vorfälle liefert.

Die Aussenpolitik kann bei Staaten, die mutmasslich Cyber-Angriffe oder -Spionage betreiben oder dies von ihrem Gebiet aus tolerieren oder dessen Territorium oder ITInfrastruktur missbraucht wird, intervenieren und diplomatischen Druck ausüben.

Sie kann bilaterale und multilaterale Kanäle auch nutzen, um im Falle eines Angriffs mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten, Informationen auszutauschen und Massnahmen zu koordinieren.

Die Armee kann mit ihrer technischen Expertise, über die sie für den Schutz der eigenen Informations- und Kommunikationssysteme und -infrastrukturen sowie für den Fall eines bewaffneten Konflikts verfügen
muss, zivile Behörden bei Bedarf unterstützen. Diese Unterstützung würde gleich wie bei physischen Schutz- und Sicherungseinsätzen subsidiär erfolgen, das heisst, wenn die betroffene Behörde nicht in der Lage ist, einen Cyber-Vorfall und dessen Konsequenzen selber zu bewältigen und um Unterstützung ersucht hat. Bei einem grossen Cyber-Angriff mit gravierenden Folgen könnte die Armee mit ihren geschützten und krisenresistenten Führungsunterstützungsmitteln die zivilen Behörden zur Sicherstellung der Führungsfähigkeit unterstützen und mit verschiedenen Leistungen zur Bewältigung der Folgen beitragen.

Das vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz geführte Inventar der kritischen Infrastrukturen ist eine Entscheidungsgrundlage für Priorisierungen bei der Bewältigung von Cyber-Angriffen, von der solche Infrastrukturen betroffen sind. Der Bevölkerungsschutz leistet auch Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Führungsfähigkeit, der Verteilung von Gütern und der Unterstützung hilfsbedürftiger Personen.

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3.3.2

Terrorismus und Gewaltextremismus

Prävention Der Bundesrat hat im September 2015 die Strategie der Schweiz zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedet. Als Leitbild der Strategie gilt: In der Schweiz werden keine terroristischen Anschläge verübt; ihr Staatsgebiet wird weder für die Finanzierung, noch für die logistische Unterstützung, noch die Planung von terroristischen Aktivitäten im In- oder Ausland missbraucht. Die Bekämpfung des Terrorismus erfolgt dabei im Rahmen der Verfassung und des Völkerrechts, unter besonderer Berücksichtigung der Grund- und Menschenrechte. Die Schweiz wahrt dabei die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit und gewichtet im Zweifelsfall die Freiheit höher. International gilt die Schweiz als verlässliche, dem Völkerrecht verpflichtete und umsichtige Akteurin. Im Kampf gegen den Terrorismus ist die Schweiz in den vier Handlungsfeldern Prävention, Schutz, Repression und Krisenvorsorge aktiv. Sie setzt sich in ihrer Aussenpolitik für die Bekämpfung des Terrorismus und dessen Ursachen ein. Die Bekämpfung des Terrorismus ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen und Gemeinden. Sie wird bundesintern departementsübergreifend und in Zusammenarbeit mit dem Ausland erfüllt. Neben repressiven polizeilichen Massnahmen sind auch Arbeiten im Gang, um der Radikalisierung von Personen vorzubeugen. Die Prävention von gewalttätigem Extremismus beginnt auf lokaler Ebene unter Einbezug der Sozial-, Familien- und Bildungsstrukturen sowie der betroffenen Gemeinschaften. Dabei spielen die Kantone und Gemeinden mit ihren gut funktionierenden Strukturen eine zentrale Rolle.

Die Aussenpolitik setzt sich dafür ein, dass Terrorismus und Gewaltextremismus international umfassend und wirksam geächtet und bekämpft werden, wofür die Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates, die entsprechenden internationalen Konventionen sowie die UNO-Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus massgebend ist. Die Prävention von gewalttätigem Extremismus gewinnt hierbei deutlich an Bedeutung und spielt in der schweizerischen Strategie eine wichtige Rolle. Die Schweiz setzt sich in internationalen Organisationen wie der UNO, dem Globalen Forum zur Bekämpfung des Terrorismus, dem Europarat und der OSZE für einen globalen und integrativen Ansatz zur Prävention und Bekämpfung des Terrorismus ein. Ein Beispiel für Prävention ist die Unterstützung des in
Genf angesiedelten Global Community Engagement and Resilience Fund, der sich auf Massnahmen konzentriert, die auf zivilgesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene getroffen werden können. Damit bildet er eine wichtige Schnittstelle zwischen der Entwicklungszusammenarbeit, der Konfliktprävention und der Friedensförderung. Auch der Einsatz für möglichst verbindliche Regelungen zum Waffenexport, zur Abrüstung und Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen ist zur Prävention von Terrorismus wichtig, weil damit verhindert werden kann, dass Waffen in falsche Hände gelangen. Mit der Teilnahme an internationalen Gremien und Diskussionen im In- und im Ausland kann die Aussenpolitik Informationen sammeln und Erkenntnisse austauschen, die für die nationale Terrorismusbekämpfung genutzt werden können. Weiter hat das EDA Massnahmen ergriffen, damit sich Schweizer Staatsangehörige im Ausland über Terrorismus-Risiken informieren können, und es verfasst Reisehinweise zu fast allen Ländern dieser Welt. Aktivitäten, um die Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft für das Risiko von Entführungen durch 7848

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Terrorristen zu sensibilisieren, wurden verstärkt. Das EDA hat seine Strukturen angepasst, um Entführungen durch Terroristen und Terroranschläge mit Schweizer Opfern möglichst gut bewältigen zu können. Dabei bleibt die Schweiz dem Grundsatz verpflichtet, keine Lösegeldzahlungen zu leisten, um terroristischen Aktivitäten nicht weiter Vorschub zu leisten. Die zivile Friedensförderung und die Entwicklungszusammenarbeit tragen dazu bei, Terrorismus und Gewaltextremismus durch die Stabilisierung von Konfliktregionen und den Aufbau funktionsfähiger Staatsstrukturen zu verhindern. Die Prävention von gewalttätigem Extremismus ist eine aussenpolitische Priorität. Das EDA hat einen aussenpolitischen Aktionsplan zur Bekämpfung des Terrorismus durch Vorbeugung erarbeitet. Dieser soll Staaten und betroffene Gemeinschaften darin unterstützen, das gesellschaftliche Umfeld so zu gestalten, dass sich Menschen nicht zu politisch oder ideologisch motivierter Gewalt hinreissen und von gewalttätigen Extremisten anwerben lassen. Die Bearbeitung der Ursachen von Terrorismus und Extremismus erfordert ein langfristiges und nachhaltiges Engagement.

Der Nachrichtendienst beobachtet und analysiert terroristische und gewaltextremistische Entwicklungen im In- und Ausland und identifiziert verdächtige und potenziell gefährliche Personen und Organisationen, um Anschlagspläne rechtzeitig zu erkennen und Anschläge zu verhindern. Dazu arbeitet er eng mit fedpol, den Kantonspolizeien und Partnerdiensten im Ausland zusammen. Der Nachrichtendienst versucht auch, Bemühungen zur Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen frühzeitig zu erkennen. Auch im Sinne der Prävention wurde seit 2011 das Dschihadismus-Monitoring im Internet verstärkt, um sich radikalisierende Personen frühzeitig zu identifizieren. Stellt der Nachrichtendienst mögliche strafbare Handlungen im Zusammenhang mit terroristischen oder gewaltextremistischen Aktivitäten fest, leitet er die Erkenntnisse an die Strafverfolgungsbehörden weiter.

Die Polizei trifft ebenfalls eine Vielzahl von Massnahmen, um terroristische und gewaltextremistische Straftaten zu verhindern. Aus bundesbehördlicher Sicht gehören hier der operative Informationsaustausch und die Personenausschreibung auf nationaler und internationaler Ebene dazu, namentlich via Europol, Interpol, die europäische
Police Working Group on Terrorism und das Schengener Informationssystem. Fedpol führt im Bereich Terrorismus und Gewaltextremismus gestützt unter anderem auf Hinweise des Nachrichtendienstes bei konkretem Verdacht Ermittlungen und operative Analysen durch, insbesondere auch im Internet, etwa zu dschihadistischen Aktivitäten. Fedpol hat den Auftrag, kriminelle (terroristische) Organisationen im Sinne von Artikel 260ter StGB zu identifizieren. Im Rahmen der von der Bundesanwaltschaft geführten Untersuchungen sammelt fedpol Beweise gegen Unterstützer solcher Organisationen, damit diese terroristische Vorbereitungshandlungen nicht zu Ende führen können und strafrechtlich belangt werden. Das seit Anfang 2015 gültige Bundesgesetz vom 12. Dezember 201461 über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaida» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen erweitert und präzisiert die diesbezüglichen Straftatbestände und weist die Strafverfolgungskompetenz den Bundesbehörden zu. Weiter kann fedpol ­ auch auf Antrag des Nachrichtendienstes ­ Einreiseverbote oder Ausweisungen gegen Ausländer verfügen, welche die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährden.

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Zudem kann fedpol terroristisches oder gewaltextremistisches Propagandamaterial beschlagnahmen oder einziehen. Bei Propaganda über das Internet kann es die Löschung der betreffenden Internetseite verfügen, wenn das Material auf einem schweizerischen Rechner liegt; andernfalls kann es dem schweizerischen Provider empfehlen, die im Ausland gehostete Webseite zu sperren. Schliesslich ergreift fedpol Massnahmen zum Schutz der Bundesbehörden, völkerrechtlich geschützter Personen sowie der ständigen diplomatischen Missionen, konsularischen Posten und internationaler Organisationen. In allen diesen Bereichen findet jeweils eine enge Kooperation und Koordination von fedpol mit dem Nachrichtendienst, den Kantonspolizeien und anderen fallweise betroffenen Behörden statt. Im Falle besonderer Bedrohungslagen werden zur Anpassung des Abwehrdispositivs alle zuständigen Dienste auf Bundes- und Kantonsebene in einer Task Force zusammengezogen.

Aufgrund der zunehmenden dschihadistisch motivierten Reisen nach Syrien und in den Irak wurde die Task-Force Tetra einberufen. Diese hat zusammen mit den Kantonen verschiedene Massnahmen erarbeitet und empfohlen, unter anderem die Sensibilisierung und Vernetzung der lokalen Behörden in den Kantonen und Gemeinden sei zu verbessern, damit Sympathisanten des terroristischen Dschihadismus frühzeitig erkannt und ihre Radikalisierung aufgehalten werden kann.

Die Zollverwaltung überwacht den grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehr und trägt damit dazu bei, dass terroristische oder gewaltextremistische Aktivitäten frühzeitig entdeckt werden. Sie sammelt Informationen über verdächtige Personen und potenziell gefährliche Güter (z. B. Dual-use-Güter, Kriegsmaterial) und verarbeitet sie in Faktenblättern oder Risikoprofilen oder gibt sie in die einschlägigen Datenbanken ein. Ein besonderes Augenmerk legt sie auf die Früherkennung falscher Identitäten beziehungsweise gefälschter Ausweise.

Die Wirtschaftspolitik kann mit der Kontrolle von Exporten sensitiver Güter (z. B.

Kriegsmaterial und Dual-use-Güter, die auch für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen genutzt werden können) die Wahrscheinlichkeit verringern, dass solche in falsche Hände geraten und für terroristische Zwecke missbraucht werden.

Ähnlich verhält es sich mit Sanktionen: Auch diese können dazu beitragen,
dass Vermögenswerte und kritische Güter von Akteuren ferngehalten werden, die terroristische Aktivitäten betreiben oder unterstützen könnten.

Die Armee kann die Polizei durch Bewachung und Sicherung kritischer Infrastrukturen und Grossveranstaltungen unterstützen, wobei sie bei planbaren Ereignissen zur Bewältigung vorübergehender Belastungsspitzen eingesetzt werden soll und dies möglichst kurz, damit die zivilen Mittel nicht konkurrenziert werden.62 Bei einer grösseren oder anhaltenden terroristischen Bedrohung steht die Armee für Schutzund Sicherungsaufgaben und eine Verstärkung des Luftpolizeidienstes zur Verfügung. Der Bundesrat kann die Benützung des gesamten Luftraumes oder das Überfliegen bestimmter Gebiete zeitweise oder dauernd einschränken oder verbieten. Ein eingeschränkter Luftraum wird mit Kampfflugzeugen kontrolliert. Besonders ge62

Sicherungseinsätze zur Unterstützung der zivilen Behörden haben einen wesentlichen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Armee, insbesondere auf die Ausbildung und Ausrüstung. Die Armee bewahrt ihre Fähigkeiten zum bewaffneten Kampf; sie verstärkt gleichzeitig ihre Fähigkeiten zum verhältnismässigen Einsatz mit nicht-letalen Mitteln in einem zivilen Umfeld.

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fährdete Objekte und Räume können zudem mit bodengestützter Luftverteidigung geschützt werden, mit der sich Flugobjekte bekämpfen lassen, die unmittelbar angreifen und nicht mit anderen Massnahmen von ihrem Vorhaben abgebracht werden können. Bei Krisen im Ausland kann für den Schutz diplomatischer Vertretungen der Schweiz spezialisiertes militärisches Berufspersonal eingesetzt werden, namentlich Angehörige der Militärpolizei oder des Kommandos Spezialkräfte. Es kann auch nötig sein, schweizerische Staatsangehörige zu retten und in die Schweiz zurückzuführen; solche Einsätze erfolgen in der Regel in Kooperation mit ausländischen Streitkräften. Mit der militärischen Friedensförderung trägt die Armee dazu bei, Konfliktregionen zu stabilisieren und damit das Entstehen und Festsetzen von Terrorismus in solchen Gebieten zu verhindern.

Abwehr und Bewältigung Die Polizei hat bei terroristischen oder gewaltextremistischen Vorfällen die Einsatzverantwortung. Sie hat die vordringliche Aufgabe, umgehend eine Situationsanalyse vorzunehmen und alle Schutzmassnahmen zu treffen, die geeignet sind, die Gefahr von weiteren Anschlägen oder Vorfällen einzudämmen. Sie koordiniert die notwendigen Massnahmen mit den Partnern im Bereich der Sicherheit. Wenn nötig, fordert die örtlich zuständige Polizei im Rahmen der Vereinbarung über die interkantonale Polizeizusammenarbeit (IKAPOL) Unterstützung an durch andere Polizeikorps, durch den von der KKPKS geführten nationalen Führungsstab Polizei oder, sofern es sich um eine länger andauernde und grossflächige Bedrohung handelt, subsidiäre Unterstützung durch die Armee an. Die Polizei hat zudem den Tathergang und die Täterschaft zu ermitteln und allenfalls eine Fahndung einzuleiten. Gleichzeitig eröffnet die zuständige Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung, womit die Polizei als Gerichtspolizei ihrer Aufsicht und ihren Weisungen untersteht. Terrorismusfinanzierung, Beteiligung an oder Unterstützung einer kriminellen (terroristischen) Organisation und Verbrechen, die von solch einer Terrororganisation ausgehen, begründen Bundeszuständigkeit. Bei Hinweisen oder konkretem Verdacht auf solche terroristischen Straftaten obliegt es fedpol, Ermittlungen aufzunehmen, beziehungsweise der Bundesanwaltschaft, eine Strafuntersuchung zu eröffnen.

Im Falle eines Terroranschlags mit
Folgen, die von den zivilen Behörden nicht allein bewältigt werden könnten, würde die Armee für Schutz- und Sicherungsaufgaben im Hinblick auf weitere Anschlagsversuche und für subsidiäre Hilfs- und Rettungseinsätze eingesetzt. Sie hat dazu geeignete Mittel (Lufttransport- und Luftaufklärungsmittel, geschützte Fahrzeuge), und ihre Personalstärke ermöglicht grössere Einsätze über längere Zeit. Die Hilfe, welche die Armee zur Bewältigung der Folgen eines massiven Terroranschlages leisten kann, ist grundsätzlich identisch mit jener in der Katastrophenhilfe (Ortung, Bergung, Rettung, sanitätsdienstliche Versorgung und Transporte, spezialisierte Mittel für ABC-Abwehr).

Der Nachrichtendienst würde auch nach einem Anschlag die permanente Verfolgung und Beurteilung der Bedrohungslage sicherstellen. Dies geschähe in enger Zusammenarbeit mit kantonalen Behörden und Partnerdiensten im Ausland. Er würde zudem auf Anfrage die Ermittlungsarbeiten der Strafverfolgungsbehörden mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen unterstützen, zum Beispiel zu Hintergrund, Motivation und Täterschaft.

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Die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz erarbeiteten Vorsorgeplanungen dienen dazu, Führungsorgane, vor allem die kantonalen Führungsstäbe, auf die Bewältigung von Anschlägen vorzubereiten. Die Mittel des Bevölkerungsschutzes kämen insbesondere nach einem grösseren Anschlag mit nuklearen, biologischen oder chemischen Mitteln zum Einsatz. Die Einsatzequipe des VBS63 mit ihren Spezialisten, mobilen Einsatzelementen und Messmitteln würde dann die Einsatzkräfte vor Ort unterstützen und das Labor Spiez Proben analysieren. Je nach Schadensausmass könnten Formationen des Zivilschutzes auch für Betreuung und psychologische Nothilfe eingesetzt werden.

Der Aussenpolitik käme bei einem grösseren Anschlag in der Schweiz die Aufgabe zu, bei den Kontakten mit dem Ausland eine koordinierende Rolle zu übernehmen.

Solche Kontakte könnten zum Beispiel nötig sein, um sich nach einem grösseren Anschlag mit anderen Ländern abzusprechen und allenfalls länderübergreifende Massnahmen zu veranlassen oder um internationale Hilfeleistung für die Schweiz zu koordinieren. Falls Schweizer Bürger Opfer von terroristischen Angriffen im Ausland werden, koordiniert das EDA die nötigen Unterstützungsarbeiten.

Die Zollverwaltung kann bei ihren Kontrollen an der Grenze oder im Grenzraum aufgrund konkreter Hinweise von Partnerbehörden nach Personen fahnden und diese entweder vorläufig festnehmen oder die Behörden über ihre Bewegungen orientieren. Findet sie in Kontrollen gefährliche Gegenstände, Barmittel oder Propagandamaterial, beschlagnahmt sie diese und überweist sie den zuständigen Strafverfolgungsbehörden.

3.3.3

Bewaffneter Angriff

Prävention Die Aussenpolitik hat die Aufgabe, zur friedlichen Lösung von Konflikten beizutragen. Viele Elemente der Aussenpolitik tragen direkt oder indirekt zur Konfliktverhinderung bei: die zivile Friedensförderung, das Engagement in der UNO und der OSZE, die Zusammenarbeit mit der Nato und der EU, aber auch die Entwicklungszusammenarbeit. Zu den präventiven Beiträgen der Aussenpolitik zählen auch die Bemühungen für die Ausarbeitung und Umsetzung internationaler Abkommen, die Entwicklung, Besitz, Einsatz und Weitergabe bestimmter Kategorien von Waffen regeln, beschränken oder ganz verbieten. Dies betrifft insbesondere Waffensysteme mit starken Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, wie zum Beispiel AntiPersonenminen oder Streumunition, die noch lange nach dem Ende eines bewaffneten Konflikts spürbar bleiben.

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Die Einsatzequipe VBS setzt sich aus freiwilligen Fachspezialistinnen und -spezialisten des Labor Spiez und des Kompetenzzentrums ABC-KAMIR (Kampfmittelbeseitigung und Minenräumung) der Armee zusammen, hat ein konzentriertes Fachwissen für Ereignisse und Drohungen mit Radioaktivität, biologischen und chemischen Stoffen und kann innerhalb von wenigen Stunden eingesetzt werden. Im Verdachts- oder Ereignisfall mit ABC-Substanzen steht sie bereit, um Behörden und Einsatzkräfte zu beraten und vor Ort mit spezifischen Mitteln zu unterstützen. Sie verfügt über modernes Mess- und Schutzmaterial für ABC-Ereignisse.

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Zusammen mit den zivilen Sicherheitsinstrumenten kann die Armee subsidiär dazu beitragen, Bedrohungen frühzeitig einzudämmen und dadurch zu verhindern, dass diese ein Ausmass annehmen, das die territoriale Integrität, die gesamte Bevölkerung oder die Ausübung der Staatsgewalt gefährden würde. Sie kann einen Gegner auch von einer Eskalation der Gewalt abhalten und zum Schutz kritischer Infrastrukturen beitragen. Ein Element der Prävention ist auch die militärische Friedensförderung; sie trägt zur Stabilisierung von Konfliktregionen und zur Verhinderung der Ausbreitung von bewaffneten Konflikten bei. Die Bedrohungen, und damit auch die Anforderungen an die Armee, ändern sich im Lauf der Zeit. An die Weiterentwicklung des Konfliktbildes und der sicherheitspolitischen Lage muss sich auch die Schweizer Armee stetig anpassen. Die Wirksamkeit der vorhandenen Fähigkeiten muss regelmässig überprüft und Lücken müssen frühzeitig erkannt und geschlossen werden. Die Rüstungspolitik befasst sich mit der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen für die Armee. Wo möglich und sinnvoll sollen Dienstleistungen und Rüstungsgüter, die für die Schweizer Armee von sicherheitsrelevanter Bedeutung sind, durch eine Technologie- und Industriebasis innerhalb der Schweiz abgedeckt werden können. Wo dies nicht der Fall ist, stellt die Rüstungspolitik sicher, dass die Bedürfnisse der Armee unter möglichst geringem technischem und finanziellem Risiko im Ausland gedeckt werden können.

Der Nachrichtendienst verfolgt die sicherheitspolitischen und militärischen Entwicklungen permanent, analysiert sie und versucht, ihren Verlauf zu antizipieren. Eine Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage muss so früh wie möglich erkannt werden, damit genügend Zeit verbleibt, um die sicherheitspolitischen Instrumente anzupassen. Dies gilt auch im Hinblick auf einen militärischen Grosskonflikt in Europa, der auch die Schweiz erfassen könnte. Der Nachrichtendienst beurteilt die Entwicklung der entsprechenden Vorwarnzeiten. Er verfolgt auch die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffenprogrammen und beurteilt, inwiefern die Schweiz dadurch bedroht wird. Der Nachrichtendienst unterstützt zudem die Wirtschaftspolitik und die Zollverwaltung, um illegale Exporte zu erkennen und zu unterbinden. Dazu identifiziert und sensibilisiert er
frühzeitig die gefährdeten Bereiche des Wissens- und Werkplatzes Schweiz.

Die Wirtschaftspolitik trifft mit der wirtschaftlichen Landesversorgung Vorbereitungen für grössere und länger andauernde Versorgungsstörungen. Solche würden sich zwangsläufig auch im Fall eines bewaffneten Konfliktes in der Schweiz oder ihrem unmittelbaren Umfeld ergeben. Zudem kann die Wirtschaftspolitik mit Exportkontrollen und mit Sanktionen verhindern, dass Waffensysteme und -bestandteile zu unerwünschten Endempfängern gelangen oder Dual-use-Güter zur Herstellung von Massenvernichtungs- und anderen Waffen missbraucht werden. Die Wirtschaftspolitik achtet auch darauf, dass die Schweiz über eine an die Bedürfnisse ihrer Landesverteidigung angepasste industrielle Kapazität verfügt.

Der Bevölkerungsschutz ist zwar nicht mehr primär auf einen bewaffneten Konflikt ausgelegt. Dennoch werden die ­ allerdings gegenüber früher reduzierten ­ Vorbereitungen, insbesondere des Zivilschutzes, für einen bewaffneten Konflikt beibehalten. So sind geschützte Führungsstandorte, Bereitstellungsanlagen, sanitätsdienstliche Anlagen und Schutzräume für die Bevölkerung nach wie vor wirksame Mittel.

Dazu kommen geschützte Alarmierungs- und Kommunikationssysteme zur Informa7853

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tion der Behörden und der Bevölkerung. In Bezug auf einen bewaffneten Konflikt wie auch andere Extremereignisse kann der Zivilschutz zudem in den Bereichen Personal, Material, Ausbildung und Kommunikation verstärkt werden.

Abwehr und Bewältigung Die Armee schützt im Fall eines bewaffneten Angriffs wichtige Räume, Einrichtungen und Verkehrsachsen, schützt den Luftraum und bewahrt das Land, seine Bevölkerung und seine kritischen Infrastrukturen zusammen mit anderen Instrumenten der Sicherheitspolitik vor Übergriffen. Nach herkömmlicher Auffassung besteht Verteidigung darin, einen militärischen (d. h. einen von organisierten staatlichen Streitkräften mit den üblichen Mitteln einer Armee geführten) Angriff von aussen abzuwehren. Der Wandel in der Art der Konfliktaustragung und die jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen in Europa legen es nahe, die herkömmlichen Vorstellungen eines bewaffneten Angriffs zu erweitern: Wenn Angehörige einer fremden Armee plötzlich mitten im Land stehen, genügt Verteidigung an der Grenze nicht; und wenn Gruppierungen mit Personen und Waffen von aussen unterstützt werden, wird es schwierig, zwischen inneren Unruhen und einem Angriff von aussen zu unterscheiden. Internationale bewaffnete Konflikte können auch mit Gewaltanwendung im Innern beginnen.

Angesichts der Verletzlichkeit von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft könnte die Schweiz (ebenso wie andere hochentwickelte Staaten) gelähmt oder gar zum Zusammenbruch gebracht werden, ohne dass ein Gegner einen bewaffneten militärischen Angriff von ausserhalb des Landes im herkömmlichen Sinn durchführen müsste. Ein Gegner könnte seine Ziele auch durch eine Beeinträchtigung der für das Funktionieren der staatlichen Führung, der wirtschaftlichen Abläufe und des gesellschaftlichen Lebens zentralen Infrastrukturen erreichen. Dabei könnte er eine ganze Reihe von Mitteln einsetzen, von Cyber-Attacken über Propaganda bis Sabotage mit Sonderoperationskräften oder anderen gewaltbereiten Akteuren. Solche Aktionen können von Informationskriegführung begleitet werden, einschliesslich der Drohung durch Aufmarsch oder Konzentration von Streitkräften.

Entscheidend für die Frage, ob die Armee zur Verteidigung oder zur subsidiären Unterstützung ziviler Behörden eingesetzt werden soll, kann in der modernen Welt deshalb nicht nur sein, woher
ein Angriff erfolgt und mit welchen Mitteln er durchgeführt wird, sondern auch seine Intensität und Ausdehnung. Das heisst, dass die Armee in einem Fall von hinreichend intensiver und ausgedehnter Bedrohung im Rahmen ihrer originären Aufgaben, also der Verteidigung, eingesetzt werden kann, auch wenn der Angriff nicht durch eine Armee erfolgt, die einem Staat zugeordnet werden kann. Kriterien für einen solchen Einsatz der Armee sind folgende Punkte, die alle erfüllt sein müssen: ­

Die territoriale Integrität, die gesamte Bevölkerung oder die Ausübung der Staatsgewalt sind konkret bedroht.

­

Es handelt sich um eine zeitlich anhaltende Bedrohung, die über eine punktuelle zeitliche Bedrohung hinausgeht.

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Es handelt sich um eine landesweite, und nicht nur örtliche oder regionale, Bedrohung, wobei das Niveau der Bedrohung nicht im gesamten Land gleich hoch sein muss.

­

Es handelt sich um eine Bedrohung, die eine solche Intensität (Angriffsähnlichkeit) erreicht, dass sie nur mit militärischen Mitteln bekämpft werden kann.

Dies sind nicht exakte Kriterien, aber sie erlauben eine Gesamtbeurteilung, ob ein Verteidigungsfall vorliegt, das heisst, ob die Armee originär (im Rahmen der Armeeaufgabe Verteidigung) oder aber nur subsidiär (im Rahmen der Armeeaufgabe Unterstützung der zivilen Behörden) eingesetzt werden kann. Der konkrete Entscheid, ob die Armee in einem Fall zur Verteidigung oder subsidiär eingesetzt wird, obliegt in jedem Fall dem Bundesrat und Parlament.

Um diese Auslegung des Begriffs Verteidigung richtig einzuordnen, müssen folgende Aspekte berücksichtigt werden: ­

Es geht nicht um eine völlig neue Auslegung, sondern um eine Nachführung des Verständnisses von Verteidigung, in Übereinstimmung mit der herrschenden Rechtslehre. Diese Auslegung respektiert die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung in der inneren und der äusseren Sicherheit; Aufgabenteilung und Verantwortungen werden damit nicht verändert.

­

Terroristische Angriffe oder Cyber-Angriffe könnten nur dann als bewaffneter Angriff taxiert werden, wenn es sich um Angriffe grösster Dimension handelt. Zudem können nicht alle Bedrohungen einen Verteidigungsfall auslösen: Spionage, Kriminalität, gewalttätiger Extremismus, Versorgungsstörungen, Katastrophen und Notlagen gehören zu den Bedrohungen oder Gefahren, die aus heutiger Sicht nicht einen bewaffneten Angriff konstituieren können.

­

Der Bundesrat und die eidgenössischen Räte haben mit dieser Auslegung die Option, aber nicht den Zwang, die Armee originär statt subsidiär einzusetzen, wenn Art, Ausmass und Dauer der Bedrohung dies nahelegen. Für einen originären Einsatz (also Verteidigung, und nicht bloss Unterstützung der zivilen Behörden) gelten die bestehenden rechtlichen Regelungen für den Landesverteidigungsdienst (Aktivdienst).

­

Die Armee ist ein geeignetes Instrument, wenn es um personalintensiven Schutz von Einrichtungen und Räumen geht, bei dem möglicherweise auch physische Gewalt angewandt werden muss. Bei der Festlegung der Grösse, der Organisation, der Ausrüstung und der finanziellen Alimentierung der Armee ist berücksichtigt, dass sie diese Aufgabe erfüllen muss, ob subsidiär oder originär.

­

Die Frage, ob Armeeeinsätze subsidiär oder originär erfolgen, ist vor allem von staatspolitischem und rechtlichem Interesse. Für die Armee ist sie insofern von Belang, als sie für den Fall eines originären Einsatzes in der Lage sein muss, grossangelegte Schutzaufgaben selber zu organisieren, was bei subsidiären Einsätzen nicht der Fall wäre, weil sie dafür bloss Personal und Material stellt. Für die Anordnung von Einsätzen und die Erteilung von Auf7855

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trägen an die Armee ist in jedem Fall die politische Führung (Bundesrat, Parlament) zuständig.

­

Diese Auslegung des Begriffs Verteidigung und des bewaffneten Angriffs im vorliegenden Kontext betrifft einzig und allein einen verfassungsrechtlichen Begriff der BV und damit die innerstaatliche Frage, wer in einem Fall, der die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz massgeblich gefährdet, in welcher Rolle eingesetzt wird. Die völkerrechtliche Definition des Verteidigungsfalles gemäss UNO-Charta sowie des bewaffneten Konflikts bleiben vorbehalten.

Den Verteidigungsauftrag setzt die Armee grundsätzlich defensiv und innerhalb der eigenen Landesgrenzen um. Angesichts der immer dichteren Besiedelung und der zunehmenden Verstädterung würde der Kampf voraussichtlich in überbautem Gelände geführt werden müssen. Charakteristisch für militärische Einsätze in überbautem Gelände sind die oft unklare Abgrenzung zwischen den Konfliktparteien, namentlich die Durchmischung von militärischen Kräften und Zivilbevölkerung und eventuell irregulären Akteuren auf engem Raum, die anspruchsvolle Aufklärung und Nachrichtenbeschaffung, kurze Reaktionszeiten, begrenzte Manövrierräume, eingeschränkte Sichtverhältnisse und geringe Kampfentfernungen. Die Aktionen der Armee am Boden würden durch gemischte Kampfverbände geführt, die je nach Einsatz aus Panzern, Panzergrenadieren, Infanterie, Panzersappeuren und weiteren Spezialisten bestehen. Mechanisierte Verbände sind heute und soweit absehbar auch in Zukunft das am besten geeignete Mittel für solche Aktionen. Nur sie haben genügend Feuerkraft, vor allem aber Schutz und Beweglichkeit, um alle Bedrohungen in einem bewaffneten Konfliktes zu bewältigen. Gerade bei Einsätzen in überbautem Gelände benötigen mechanisierte Verbände allerdings häufig den Schutz durch die Infanterie, weil sich ein Gegner rasch und gedeckt bewegen, nahe an gepanzerte Fahrzeuge herankommen und aus Deckungen Waffen auf kurze Distanzen einsetzen kann (z. B. Panzerabwehrwaffen, Sprengfallen). Indirektes Feuer mit differenzierter Wirkung ist ein wesentliches Element, das die Armee zur Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgabe benötigt. Verfügen eigene Truppen nicht über Bogenschusswaffen, so können sie auf einem modernen Gefechtsfeld nicht mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden. Sie würden durch das gegnerische Feuer permanent in Deckung gezwungen, könnten sich nicht bewegen, die Kampffähigkeit des Gegners nicht einschränken und ihren Auftrag folglich nicht erfüllen. Allerdings steht im überbauten Gelände der Einsatz von präzisem Feuer auf einzelne Punktziele im Vordergrund; Flächenfeuer kommt nur noch infrage, wenn dadurch keine unverhältnismässigen Schäden an Menschen, Material und Infrastruktur im Umfeld des Zieles in Kauf genommen werden müssen.

Luftverteidigung ist bei der Abwehr eines bewaffneten Angriffs die zentrale Aufgabe der Luftwaffe. Ohne
Schutz des Luftraums können militärische Aktionen am Boden und in der Luft höchstens in Ausnahmefällen erfolgreich durchgeführt werden. Die Luftwaffe muss fähig sein, sowohl angreifende Ziele in der Luft zu bekämpfen (defensive Luftverteidigung), als auch die gegnerische Luftwaffe in deren Raum anzugreifen (offensive Luftverteidigung). Neben Kampfflugzeugen werden für offensive Aktionen auch Spezialkräfte am Boden eingesetzt. Für die defensive Luftverteidigung werden Flugzeuge und Fliegerabwehrsysteme verwendet. Beide 7856

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setzen möglichst weitreichende Lenkwaffen gegen gegnerische Luftfahrzeuge ein.

Teile der Fliegerabwehrsysteme sollen auch anfliegende Marschflugkörper, Lenkwaffen und Drohnen abwehren können. Es ist vorgesehen, dass die Luftwaffe die Fähigkeiten zur Aufklärung und zur Unterstützung der Bodentruppen mit Kampfflugzeugen wieder aufbaut.

Für die wirksame Bekämpfung von Lenkwaffen und ballistischen Raketen mittlerer bis interkontinentaler Reichweite besitzt die Schweiz heute keine Mittel. Ein Schutz des ganzen Landes vor solchen Mitteln wäre im Alleingang selbst mit grösstem Aufwand nicht möglich. Wollte die Schweiz ihren aktiven Schutz vor Raketenangriffen von ausserhalb Europas verbessern, müsste sie sich an die Nato anlehnen.

Faktisch käme die Beteiligung an einem integrierten Abwehrsystem der Nato einer Bündnismitgliedschaft gleich, da die Kompetenz zur Einleitung von Abwehrmassnahmen bedingt durch die kurzen Vorwarnzeiten bereits im Voraus delegiert werden müsste. Dies wäre mit den neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen nicht vereinbar.

Die Mittel des Bevölkerungsschutzes spielen bei einem bewaffneten Konflikt ebenfalls eine wichtige Rolle für den Betrieb der Schutzanlagen, der geschützten Führungsstandorte und der öffentlichen Schutzräume sowie für die Unterstützung, Betreuung und Versorgung der Bevölkerung. Der Zivilschutz kann logistische Leistungen erbringen oder bei der Umsetzung von Rationierungsmassnahmen zur Bewältigung von Versorgungsengpässen mitwirken. Der Kulturgüterschutz stellt sicher, dass gefährdete Kulturgüter geschützt, gesichert und gehärtet werden.

Die Aussenpolitik müsste in jeden Fall auch dann weiterhin alle ihre diplomatischen Möglichkeiten ausschöpfen, wenn ein militärischer Konflikt die Schweiz unmittelbar bedrohen würde oder ein solcher schon ausgebrochen wäre. Es ginge darum, einen solchen Konflikt wenn möglich zu vermeiden und nach Ausbruch des Konfliktes allenfalls mit direkt involvierten Akteuren oder Drittparteien (z. B. zur Mobilisierung von Unterstützung) in Verhandlungen zu treten.

Die Wirtschaftspolitik müsste mit Hilfe der wirtschaftlichen Landesversorgung versuchen, die Folgen grösserer und länger andauernder Versorgungsstörungen oder -unterbrüche zu mildern.

Der Nachrichtendienst hätte auch bei unmittelbar drohendem oder bereits erfolgtem Ausbruch
eines bewaffneten Konflikts die Aufgabe, die politische und militärische Führung mit möglichst zuverlässigen und relevanten Informationen und Erkenntnissen zu versorgen und laufend ein aktuelles Lagebild bereitzustellen. Weil davon auszugehen ist, dass ein bewaffneter Konflikt auch von Cyber-Angriffen begleitet würde, müsste der Nachrichtendienst des Bundes auch diesbezüglich seine (defensiven und offensiven) Mittel und Fähigkeiten einbringen.

3.3.4

Kriminalität

Prävention Die Polizei engagiert sich in vielfacher Weise in der Verbrechensprävention. Dazu gehören sichtbare Präsenz im öffentlichen Raum, Beratung und Aufklärungskam-

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pagnen, zum Beispiel zur Prävention von Einbruch, Diebstahl oder Skimming 64. Die Polizei bekämpft namentlich auch die grenzüberschreitende Kriminalität und versucht, sie abzuwehren, bevor die Täter überhaupt in die Schweiz gelangen. Der Bundesrat hat 2012 eine Strategie zur integrierten Grenzverwaltung verabschiedet, um illegale Migration, gewerbsmässigen Menschenschmuggel und grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Eine rasche, wirksame und effiziente Bekämpfung beginnt nicht erst an den Grenzen der Schweiz und auch nicht an der Aussengrenze des Schengen-Raums, sondern bereits in den Herkunftsstaaten. Sie umfasst auch Massnahmen innerhalb des Schengen-Raums. Innerhalb der Schweiz verlangt die erfolgreiche Bekämpfung eine intensive Zusammenarbeit und Koordination.

Schwerpunkte setzt die Strategie bei der Verbesserung des Informationsaustauschs, der Lageanalyse sowie bei der Optimierung und Harmonisierung von Ausbildung, Ausrüstung und Infrastrukturen in der Schweiz. Weiter soll die Kooperation auf internationaler Ebene und mit nichtstaatlichen Akteuren verbessert werden. Der Bundesrat hat am 6. Juni 2014 den Aktionsplan zur Umsetzung der Strategie genehmigt.

Die Aussenpolitik trägt mit ihren Aktivitäten in der zivilen Friedensförderung, der Entwicklungszusammenarbeit und der menschlichen Sicherheit zur Stabilisierung von Konfliktregionen, zum Aufbau rechtstaatlicher Strukturen und zur Reduktion von Armut bei. Damit will die Schweiz auch die Anfälligkeit und Attraktivität fragiler Staaten für Kriminalität (inkl. organisierte Kriminalität, Piraterie, illegaler Waffen-, Menschen- und Drogenhandel) verringern. Die Schweiz unterstützt zudem internationale Initiativen für eine wirksamere Bekämpfung von organisierter Kriminalität. Migrationspartnerschaften betrachten die Migration als umfassendes und globales Phänomen und streben ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Schweiz und ihrer Partnerländer an. Verschiedene Migrationspartnerschaften sehen auch die Verstärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Migration und des Menschenhandels vor. Ein weiterer Bereich, der anfällig ist für Kriminalität, ist der Rohstoffsektor. Die Schweiz hat sich bereit erklärt, Möglichkeiten für globale Transparenz- und Berichterstattungsstandards im Rohstoffhandel zu prüfen, die der Korruption
vorbeugen.

Die Zollverwaltung spielt eine zentrale Rolle in der Umsetzung der Strategie der integrierten Grenzverwaltung und leistet einen präventiven Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung, in erster Linie bereits durch die abschreckende Wirkung ihrer Präsenz. Aufgrund ihrer Beobachtungen tauscht sie national und international Informationen über verdächtige Personen aus (z. B. durch Eingabe in die einschlägigen Datenbanken). Ein besonderes Augenmerk legt die Zollverwaltung auf die Früherkennung falscher Identitäten beziehungsweise gefälschter Ausweise, ein Bereich, in dem das Grenzwachkorps über ein besonders gutes Fachwissen verfügt.

Durch die Aufdeckung von solchen Urkundendelikten können oft weitere Delikte 64

Skimming bedeutet «abschöpfen» und beschreibt den Betrug mit Zahlungskarten, der sich dadurch auszeichnet, dass die Täterschaft den Magnetstreifen der Karte kopiert, speichert und anschliessend auf eine leere Karte überträgt. Gleichzeitig wird der Pin-Code mit einer Kamera oder einer manipulierten Tastatur ausfindig gemacht. Mit der gefälschten Karte und dem Code können die Täter danach auf das Konto des Opfers zugreifen und Geld beziehen. Da die Originalkarte beim Kunden verbleibt, bemerkt dieser den Betrug meist erst Tage später.

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(z. B. Betäubungsmitteldelikte, Fahrzeugschieberei, Betrug und andere Vermögensdelikte, Menschenhandel oder -schmuggel) verhindert oder aufgedeckt werden. Die Erfahrungen des Grenzwachtkorps mit Dokumentenfälschungen fliessen auch in die Produktion von Ausweisen ein und haben zur Verbesserung der Sicherheitselemente beigetragen. Durch ihre Mitwirkung in der Grenzschutzagentur Frontex trägt sie auch dazu bei, die illegale Migration und ihre Nebeneffekte bereits an der Grenze des Schengen-Raums zu bekämpfen.

Die Wirtschaftspolitik kann mit Sanktionen und Exportkontrollen dazu beitragen, kriminelle Organisationen oder Personen von Mitteln abzuschneiden, die sie für kriminelle Zwecke nutzen könnten.

Abwehr und Bewältigung Die Polizei ist das Hauptinstrument zur Bekämpfung von alltäglicher und organisierter Kriminalität; die Polizeihoheit liegt grundsätzlich bei den Kantonen. Die 26 kantonalen Polizeikorps gewährleisten zusammen mit den kommunalen Polizeien nach Massgabe des kantonalen Rechts die öffentliche Sicherheit auf ihrem Territorium, sorgen autonom für eine bürgernahe polizeiliche Grundversorgung und sind für die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben zuständig. Die Palette krimineller Aktivitäten ist sehr breit; deshalb müssen auch die Mittel und Möglichkeit der Polizei vielfältig sein. Alltägliche Kriminalität sind Straftaten gegen das StGB (2014: ca. 530 000 Straftaten), das Betäubungsmittelgesetz (2014: ca. 80 000 Widerhandlungen), das Ausländergesetz vom 16. Dezember 200565 (2015: ca. 40 000 Delikte) und gegen diverse Strafbestimmungen im Nebenstrafrecht (2014: ca.

12 000). Den weitaus grössten Anteil der polizeilich registrierten Delikte (namentlich im Bereich StGB) machen mit 70 Prozent die Vermögensdelikte aus, wovon etwas mehr als die Hälfte Diebstähle sind, gefolgt von Delikten gegen Freiheit, Leib und Leben, Ehre, Geheim- und Privatbereich sowie öffentliche Gewalt und sexuelle Integrität. Die Abwehr und Bewältigung erfolgt in diesen Bereichen durch die 26 kantonalen Polizeikorps, unterstützt von ca. 300 städtischen und kommunalen Polizeikorps unterschiedlicher Grössen und von fedpol.

Die Polizeikorps verstehen sich als Teile eines Gesamtsystems und gewährleisten in enger Zusammenarbeit die innere Sicherheit der Schweiz und ihrer Bevölkerung.

Um kantons- und landesübergreifende
Herausforderungen meistern zu können, bestehen im Rahmen von vier überkantonalen Polizeikonkordaten und weiteren Vereinbarungen verschiedene Formen der Zusammenarbeit. Der Bund ist in einzelnen, begrenzten Polizeibereichen zuständig und ist zentrale Anlaufstelle für die nationale und internationale Polizeizusammenarbeit. Fedpol als Polizeibehörde des Bundes ist insbesondere zuständig für organisierte Kriminalität, Terrorismus, Geldwäscherei und Korruption, da dies typischerweise grenzüberschreitende Phänomene sind. Das EJPD hat den Auftrag zur Früherkennung der pekuniär motivierten Schwerstkriminalität innerhalb der Strafverfolgungszuständigkeit des Bundes und legt gestützt auf eine Beurteilung der Bedrohungslage eine kriminalstrategische Priorisierung fest. Erstmals erfolgte dies für die Legislaturperiode 2007­2011. Diese Priorisierung wie auch jene für die Legislaturperiode von 2012­2015 genehmigte 65

SR 142.20

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der Bundesrat jeweils auf Antrag des EJPD im Einvernehmen mit der Bundesanwaltschaft. Diese Bedrohungslage zur kriminalstrategischen Priorisierung des Bundes zeigte, dass die Tätergruppen vieler Kriminalitätsbereiche in den letzten Jahren noch mobiler geworden sind. Die Schweiz hat deshalb die internationale Polizeikooperation auf allen Ebenen intensiviert.

Einen wichtigen Beitrag zur Abwehr und Bewältigung der Kriminalität leisten die Strafverfolgungsbehörden, zu denen neben der Polizei die kantonalen Staatsanwaltschaften und die Bundesanwaltschaft zählen. Sie führen die Strafverfahren und ordnen die Untersuchungsmassnahmen an. Eine besondere Herausforderung für die Strafverfolgungsbehörden sind neue Kriminalitätsformen, bei denen moderne Informationstechnologien eingesetzt werden. Die Bekämpfung der Cyber-Kriminalität verlangt, dass sich Bund und Kantone technologisch und ausbildungsmässig auf dem neusten Stand halten und strukturiert zusammenarbeiten.

Auf globaler Ebene wurde die Zusammenarbeit mit Interpol verstärkt. Mit der Umsetzung des Schengen-Assoziierungsabkommens wurde die polizeiliche Zusammenarbeit mit der EU intensiviert. Dabei hat sich das Schengen-Informationssystem als effizientes Instrument zur europaweiten Fahndung erwiesen. Seit 2006 ist die Schweiz auch Partner des europäischen Polizeiamts Europol. Schliesslich ermöglichen die bilateralen Polizeiverträge mit den Nachbarstaaten, das Netz der Schweizer Polizeiattachés sowie die beiden Polizei- und Zollkooperationszentren mit Italien und Frankreich eine enge und tägliche Zusammenarbeit auf bilateraler Ebene. Ein weiterer Ausbau und eine lagebedingte Anpassung der internationalen Polizeikooperation sind geplant. Auf EU-Ebene stehen für die Schweiz eine Assoziierung an die Prümer-Beschlüsse sowie der Zugang der Schweizer Strafverfolgungsbehörden zu Eurodac im Vordergrund. Bei der Prümer-Zusammenarbeit geht es in erster Linie um den erleichterten Abgleich von Fingerabdrücken, DNA-Profilen und Fahrzeughalterdaten mit dem Ausland. Der Zugang zu Eurodac würde den Schweizer Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, zu prüfen, ob eine Person bereits einen Asylantrag gestellt hat oder bei der illegalen Einreise aufgegriffen worden ist.

Die Zollverwaltung kann in ihren Kontrollen an der Grenze oder im Grenzraum bei konkreten Hinweise nach
Personen fahnden und diese gegebenenfalls für die zuständigen Strafverfolgungsbehörden vorläufig festnehmen. Findet sie Diebesgut, deliktrelevante Gegenstände oder Barmittel im Rahmen der Kontrollen, beschlagnahmt sie diese und überweist sie den zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Die Kontrollen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs erschweren die organisierte Kriminalität und den gewerbe- und bandenmässigen Warenschmuggel mit Fokus auf Waren, die mit hohen Abgaben belastet sind oder einen hohen Wert haben. Die Zollverwaltung greift dabei aber auch verbotene Waren wie Betäubungsmittel und Waffen auf. Beim Personenverkehr bekämpft sie die organisierte Kriminalität, insbesondere in den Bereichen Menschenschmuggel und Schleusungskriminalität, indem sie mutmassliche Schlepper und geschleppte Personen anhält. In der internationalen Zusammenarbeit leistet die Zollverwaltung in den genannten Bereichen auch Amts- und Rechtshilfe.

Die Armee kann die Polizei und das Grenzwachtkorps vor allem bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität subsidiär unterstützen, beispielsweise mit

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Luftaufklärungsmitteln, bei der Überwachung von Grenzgewässern oder ­ zur personellen Verstärkung ­ mit Angehörigen der Militärpolizei.

3.3.5

Versorgungsstörungen

Prävention Bei der Verhütung von Versorgungsstörungen steht die wirtschaftliche Landesversorgung ­ als Teil der Wirtschaftspolitik ­ im Zentrum. In enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft werden kritische Bereiche identifiziert und wenn nötig gemeinsam mit dem betroffenen Wirtschaftszweig Massnahmen getroffen, um eine Verknappung oder einen Ausfall lebenswichtiger Güter und Dienstleistungen möglichst rasch und auch über längere Dauer bewältigen zu können. Die Vorratshaltung spielt immer noch eine wichtige Rolle, wenn auch nicht mehr im gleichen Mass wie während des Kalten Krieges. In der stark vernetzten Weltwirtschaft werden internationale Vereinbarungen zur Sicherstellung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sowie der Zusammenarbeit national und international tätiger Unternehmen in Versorgungsfragen immer wichtiger.

Die Aussenpolitik kann ihre Kanäle für Verhandlungen nutzen, um Versorgungsstörungen vorzubeugen oder diese abzuwenden. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein Konflikt droht, der auch Konsequenzen für die Versorgung der Schweiz mit kritischen Gütern hätte.

Es gehört zu den Grundaufgaben des Nachrichtendienstes, die sicherheitsrelevante Lage permanent zu verfolgen. Dazu gehört auch das Erkennen von potenziell für die Schweiz relevanten Versorgungsstörungen.

Die Armee kann sich ­ falls ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates vorliegt ­ an Einsätzen zur Beilegung von Konflikten beteiligen, die Unterbrüche und Störungen in Produktionsländern oder entlang der gesamten Transportwege verursachen können. Kritische Infrastrukturen in der Schweiz (z. B. Umladestationen oder Verteilzentren) können mit Sicherungseinsätzen geschützt werden.

Die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz koordinierte Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen berücksichtigt Versorgungsprozesse und -dienstleistungen.

Die Risiken werden durch bauliche, technische oder organisatorische Massnahmen reduziert. Ein wichtiger Teil der kritischen Infrastrukturen ist direkt im Verbundsystem Bevölkerungsschutz integriert, insbesondere die Netzbetreiber in der Energieversorgung, im Verkehr und in der Telekommunikation.

Abwehr und Bewältigung Die wirtschaftliche Landesversorgung konzentriert sich auf sektorielle Versorgungsengpässe kurzer und mittlerer Dauer. Dabei gilt es in erster Linie,
den Markt mit lebenswichtigen Gütern (Energie, Ernährung und Heilmittel) durch Angebotslenkungsmassnahmen so lange wie möglich zu 100 Prozent zu versorgen. Pflichtlagervorräte würden rasch freigegeben, gleichzeitig Importe gezielt gefördert und allenfalls die Produktion gelenkt. Die Marktversorgung zu 100 Prozent soll grundsätzlich 7861

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während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten werden. Normalisieren sich die Marktverhältnisse nicht innerhalb dieser Zeit, lässt sich eine Versorgung auf so hohem Niveau nicht mehr gewährleisten. Setzt sich eine Versorgungskrise trotz Angebotslenkungen fort, kommen Massnahmen der Nachfragelenkung wie Kontingentierung, Rationierung oder ähnliche Massnahmen zum Zuge. Ziel ist es, eine möglichst ausgewogene Versorgung auf einem reduzierten Niveau zu gewährleisten.

Die zentrale Bedeutung des Dienstleistungssektors in der globalisierten Wirtschaft verlangt zudem geeignete Massnahmen zur Sicherstellung lebenswichtiger Transporte sowie von Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen. Damit diese Bereiche auch bei Störungen und Unterbrüchen ihren Versorgungsauftrag erfüllen können, bedarf es Lenkungs- und Sicherungsmassnahmen. Ebenso ist die Aufrechterhaltung von angemessenen Kapazitäten für die Produktion landwirtschaftlicher Güter in der Schweiz sicherzustellen. Dadurch wird auch bei einer schwerwiegenden Störung der internationalen Handelsflüsse die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Nahrungsmitteln auf reduziertem Niveau garantiert. Die starke Vernetzung der eigenen Wirtschaft mit der Weltwirtschaft bewegt die Schweiz vermehrt dazu, auch in Fragen der Versorgung mit dem Ausland zu kooperieren. Bewirtschaftungsmassnahmen im Inland bedürfen auch deshalb einer Abstimmung mit Massnahmen der umliegenden Länder, um ein Abfliessen knapp gewordener Güter ins Ausland zu verhindern. Ein internationaler Informationsaustausch und die Beteiligung an gemeinsamen Vorkehrungen liegen im Versorgungsinteresse der Schweiz.

Mit ihren Logistik- und Transportmitteln kann die Armee im Falle einer Versorgungsstörung die zivilen Behörden bei der Verteilung von Gütern subsidiär unterstützen. Mit der Armeeapotheke verfügt sie überdies über die Fähigkeit zur Produktion von Medizinalprodukten und zur entsprechenden Notversorgung der Bevölkerung im Rahmen des Koordinierten Sanitätsdienstes. Wenn Versorgungsstörungen zu gewalttätigen Ausschreitungen oder Plünderungen Anlass geben, kann die Armee ausserdem die Polizei unterstützen.

Der Bevölkerungsschutz hat mit dem Inventar der kritischen Infrastrukturen eine Grundlage für die Prioritätensetzung bei Versorgungsengpässen, und er trägt mit Personen und Material zur
Bewältigung von Versorgungsstörungen bei. Bei Engpässen in der Energieversorgung oder bei Ausfällen kritischer Infrastrukturen sind vor allem die technischen Betriebe (Energieversorgung, Wasserversorgung und entsorgung, Kommunikation, Verkehr) betroffen. Auch hier kann der Zivilschutz Unterstützung leisten und die Durchhaltefähigkeit erhöhen.

Die Aussenpolitik kann über Verhandlungen oder Vermittlung dazu beitragen, dass Konflikte, die zu Versorgungsstörungen geführt haben, gelöst werden oder dass Lösungen gefunden werden, um trotz Weiterbestehen der Konflikte ihre Auswirkungen auf die Versorgung zu mindern oder zu beseitigen.

Der Polizei hat die Aufgabe, auch bei gravierenden, länger anhaltenden Versorgungsstörungen die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Diese könnte gefährdet sein, wenn es infolge akuter Mangellagen zu gewalttätigen Ausschreitungen oder Plünderungen käme.

Die Zollverwaltung kann wenn nötig eine möglichst hindernisfreie grenzüberschreitende Versorgung erleichtern.

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Der Nachrichtendienst kann auch im Fall einer Versorgungskrise für die Informationsbeschaffung eingesetzt werden.

3.3.6

Katastrophen und Notlagen

Prävention Im Bevölkerungsschutz werden auf der Grundlage des integralen Risikomanagements und einer systematischen Risikoanalyse Massnahmen zur Prävention, inklusive Vorsorge und Einsatzvorbereitung, getroffen. Präventionsmassnahmen im engeren Sinne haben zum Ziel, die Verletzlichkeit und das potenzielle Schadensausmass zu verringern. Sie können raumplanerische und baulich-technische Massnahmen wie etwa Gefahrenkarten und Hochwasserschutzbauten umfassen. Vorsorgemassnahmen dienen der Vorbereitung für die Bewältigung. Systeme für die Warnung und Alarmierung sowie Telematik-Systeme stellen die Information und Kommunikation unter den verantwortlichen Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit auf allen Staatebenen sowie mit der Bevölkerung sicher. Die einzelnen Einsatzformationen bereiten sich personell, ausbildungsmässig und materiell auf den Einsatz vor.

Die Armee unterstützt die zivilen Behörden, vor allem die kantonalen Führungsorgane, aber auch zivile Partner wie die Betreiber von Kernkraftwerken, bei der Sicherstellung der Bereitschaft, indem sie diesen Führungsnetze und Führungsinfrastrukturen zur Verfügung stellt und sich an der Ausbildung des Personals im Krisenmanagement beteiligt.

Via Aussenpolitik engagiert sich die Schweiz international im Kampf gegen den Klimawandel, der als eine der wesentlichen Ursachen für die Zunahme von Naturkatastrophen gilt. Sie nimmt dazu an internationalen Verhandlungen (z. B. zur Reduktion des CO2-Ausstosses) teil und unterstützt via Entwicklungszusammenarbeit Projekte, die auch die Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen zum Ziel haben, zum Beispiel nachhaltige Landwirtschaft. Die Verminderung von Katastrophenrisiken ist ein Schwerpunktthema der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe. Im Fokus stehen sowohl rasch eintretende Katastrophen wie Überschwemmungen als auch «schleichende» Naturkatastrophen wie Dürren.

Zivildienstleistende mit Spezialkenntnissen werden zur Vorbeugung von Katastrophen und Notlagen eingesetzt, beispielsweise zur Erstellung von Notfallplänen und Gefahrenkarten auf Stufe Bund und Kantone.

Bewältigung Der Bevölkerungsschutz ist auf die Bewältigung von Katastrophen und Notlagen ausgerichtet und deshalb das primäre Einsatzinstrument. Geführt und koordiniert werden die Einsätze von den kantonalen, regionalen
und kommunalen Führungsorganen und den Einsatzkräften vor Ort. Diese koordinieren auch die Einsätze der Partnerorganisationen (Polizei, Feuerwehr, Sanitätswesen, technische Betriebe, Zivilschutz). Mit dem Alarmierungssystem (Polyalert und Sirenen) wird die Bevölkerung alarmiert; Informationen und Verhaltensanweisungen werden via Radio 7863

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übermittelt. Künftig soll auch die Alarmierung und Information über Mobiltelefone und weitere Kanäle ermöglicht werden. Zur Erhöhung der Durchhaltefähigkeit der Partnerorganisationen kommt primär der Zivilschutz zum Einsatz. Er unterstützt die Führungsorgane, betreut die betroffene oder evakuierte Bevölkerung, schützt Kulturgüter, führt Ortungen und Rettungen durch, betreibt Schadensbegrenzung und leistet Instandstellungsarbeiten. Einige Kantone sind dazu übergegangen, neben den Blaulichtorganisationen (Feuerwehr, Polizei, Sanität) auch Teile des Zivilschutzes als rasch einsetzbare Elemente zu verwenden. Je nach Ausmass des Ereignisses ist eine enge Zusammenarbeit mit den Organen des Bundes, insbesondere dem Bundesstab ABCN und der Nationalen Alarmzentrale sowie weiteren Organisationen (z.B.

Armee, Schweizerisches Rotes Kreuz) erforderlich. Der Bund stellt den Kantonen zudem spezialisierte Mittel zur Verfügung; im ABC-Bereich beispielsweise die Expertise des Labors Spiez und die Einsatz-Equipe des VBS. Bei Notlagen im Asylbereich soll der Zivilschutz künftig vermehrt Betreuungsaufgaben wahrnehmen.

Die Polizei kommt in der Bewältigung von Katastrophen und Notlagen in zwei Rollen zum Einsatz. Einerseits ist sie selbstständig in ihrer Hauptaufgabe (Sicherstellung von Ruhe und Ordnung) tätig. Anderseits wird sie als Element des Bevölkerungsschutzes im Verbund mit Feuerwehr, Sanität, technischen Betrieben und dem Zivilschutz eingesetzt, wenn es um die Bewältigung einer Katastrophe oder Notlage geht.

Die Armee unterstützt im Falle einer grösseren Katastrophe oder Notlage die zivilen Behörden. Die militärische Katastrophenhilfe umfasst Beratung der zivilen Führungsorgane, Zurverfügungstellung von Material und Einrichtungen und den Einsatz von Truppen für Ortung, Rettung und Evakuation, Brandbekämpfung, die Überwindung von Hindernissen und Gewässern, Wasserwehr, Offenhalten von Verkehrsverbindungen, und Dekontamination. Mit ihren Sensoren (z. B. Luftaufklärung) kann die Armee Beiträge an das Lagebild leisten. Im Sanitätsdienst kann sie das zivile Gesundheitswesen unterstützen, wenn eine grosse Anzahl von Patientinnen und Patienten versorgt werden muss. Zudem kann die Armeeapotheke mithelfen, die Notversorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und weiteren Pharmaprodukten sicherzustellen.66 Die Armee kann
die zivilen Behörden auch mit einem krisenresistenten und sicheren Kommunikationsnetz unterstützen. Von besonderer Bedeutung im Katastrophenfall ist die Alarmierung und Information der Bevölkerung, wozu auch ortsfeste und mobile Rundfunksysteme der Armee herangezogen werden können. Hilfseinsätze können die gleichzeitige Errichtung eines Sicherheitsdispositivs erfordern. Militärische Katastrophenhilfe kann schliesslich auch im grenznahen Ausland oder als Teil der humanitären Hilfe weltweit geleistet werden. Die Armee stellt der Rettungskette vor allem Rettungsspezialisten und bei Bedarf militärische Lufttransportmittel zur Verfügung.

Eine Katastrophe oder Notlage kann auch die Versorgung stören. Die Wirtschaftspolitik hat mit der wirtschaftlichen Landesversorgung ein Instrument, um die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen so weit wie möglich sicherzustellen.

66

Die Armee hat hingegen nicht mehr die Aufgabe, Flüchtlinge zu betreuen. Die dafür notwendigen Betreuungsformationen wurden mit der Armeereform XXI aufgelöst. Diese Aufgabe wird seither durch den Bevölkerungsschutz wahrgenommen.

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Wo Personalressourcen zur Bewältigung von Katastrophen und Notlagen fehlen oder nicht ausreichen, kann der Zivildienst ordentliche oder ausserordentliche Einsätze leisten; Letztere sind bei Vorliegen einer besonderen oder ausserordentlichen Lage durch den Bundesrat anzuordnen. In Notlagen wie Pandemien oder zur Bewältigung von grossen Flüchtlingsbewegungen können Zivildienstpflichtige mit Einsatzerfahrung in den Bereichen Pflege und Betreuung Unterstützung leisten. Für die Bewältigung von Katastrophen besteht kein Bedarf, den Zivildienst zu einer weiteren Partnerorganisation im Bevölkerungsschutz weiterzuentwickeln, doch ist die Zuweisung von Zivildienstpflichtigen an andere im Einsatz stehende zivile Leistungserbringer möglich. Das Angebot des Zivildienstes liesse sich für künftige Einsätze bei der Bewältigung von Katastrophen und Notlagen noch optimieren. In der meist langandauernden Regenerationsphase nach Katastrophen und Notlagen kann der Zivildienst aufgrund seiner hohen Durchhaltefähigkeit (grosse Anzahl von Zivildienstpflichtigen und mögliche lange Einsatzdauer) konstante Unterstützung zur Wiederherstellung der normalen Lage leisten.

Die Aussenpolitik koordiniert im Falle einer grossen Katastrophe oder Notlage in der Schweiz die Kontakte ins Ausland, zur Veranlassung länderübergreifender Massnahmen oder zur Koordination internationaler Hilfeleistungen für die Schweiz. Mit der humanitären Hilfe leistet die Schweiz international einen Beitrag zur Rettung von Leben und Linderung von Leiden, namentlich für von Naturkatastrophen oder bewaffneten Konflikten heimgesuchte Menschen.

Im Katastrophenfall kann die Zollverwaltung den grenzüberschreitenden Personenund Warenverkehr regulieren. Wenn nötig, kann sie den Personenverkehr auf ein Minimum reduzieren oder ihn leiten. Sie kann die Einfuhr von Waren aus Katastrophengebieten verhindern (z. B. aus radioaktivitätsverseuchten Gebieten), aber auch die Einfuhr von unterstützenden Mitteln für die Katastrophenbewältigung erleichtern.

3.3.7

Anpassungsbedarf bei den Instrumenten der Sicherheitspolitik

Die Instrumente der Sicherheitspolitik müssen immer wieder angepasst werden, damit sie auf die aktuellen und sich abzeichnenden Bedrohungen und Gefahren ausgerichtet sind und ihre Aufgaben und Ressourcen in einem nachhaltigen Gleichgewicht stehen. Im Folgenden wird dargelegt, was die geforderten Leistungen für die kurz- und mittelfristige Ausrichtung und den Anpassungsbedarf der einzelnen Instrumente bedeuten. Dabei wird aufgezeigt, welche Massnahmen vorgesehen oder bereits eingeleitet worden sind, um die Wirksamkeit und Effizienz der sicherheitspolitischen Instrumente weiter zu verbessern.

Aussenpolitik Mit der Aussenpolitischen Strategie 2016­1967 legte der Bundesrat die Grundlage für eine weitere Stärkung des aussenpolitischen Profils der Schweiz in der Förde67

www.eda.admin.ch > Dienstleistungen und Publikationen > Publikationen

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rung von Frieden und Sicherheit. Dem grossen internationalen Bedarf entsprechend wird die Schweiz ihre Mediationskapazitäten ausbauen. Auch will der Bundesrat Genf als Standort für Frieden und Sicherheit weiter stärken. Angesichts des aktuellen weltpolitischen Umfelds besonders bedeutsam ist das Engagement der Schweiz für das humanitäre Völkerrecht, für Menschenrechte, für handlungsfähige internationale Organisationen wie die UNO und die OSZE und generell für eine auf Regeln und Normen gegründete internationale Ordnung. Dazu gehören auch wirksame Massnahmen für Rüstungskontrolle und Abrüstung und für einen friedlichen, sicheren und offenen Cyber-Raum. Mehr noch als bisher wird die Schweizer Aussenpolitik den Wechselwirkungen zwischen Sicherheit und Entwicklung Rechnung tragen.

Die Botschaft vom 17. Februar 201668 über die internationale Zusammenarbeit 2017­20 bietet erstmals einen gemeinsamen strategischen Rahmen für die koordinierte Verwendung der Instrumente der zivilen Friedensförderung, der Entwicklungszusammenarbeit, der Ostzusammenarbeit und der humanitären Hilfe. Sie ermöglicht, die Ursachen von Gewaltkonflikten, Extremismus, Armut und erzwungener Migration umfassend und nachhaltig anzugehen und mit Massnahmen etwa im Bereich der Korruptionsbekämpfung oder der Förderung von Bildung und Arbeitsplätzen bessere Perspektiven für die Menschen vor Ort zu schaffen. Zu den Prioritäten zählen ein verstärktes Engagement in fragilen Kontexten sowie die Umsetzung des aussenpolitischen Aktionsplans zur Prävention von gewalttätigem Extremismus und der EDA-Leitlinien im Bereich Wasser und Sicherheit.

Armee Die Weiterentwicklung der Armee dient dazu, sie noch stärker auf die aktuellen und sich abzeichnenden Bedrohungen und Gefahren, wie sie in diesem Bericht beschrieben werden, auszurichten. Im Kern geht es darum, dass in Anbetracht einer diffuser und unberechenbarer gewordenen Bedrohungslage die Einsatzbereitschaft der Armee erhöht, ihre Ausrüstung modernisiert und vervollständigt, die praktische Ausbildung verbessert sowie die regionale Verankerung gestärkt wird. Darüber hinaus werden in den nächsten Jahren auch Entscheide über eine Erneuerung von Hauptwaffensystemen (z. B. Kampfflugzeuge, bodengestützte Luftverteidigung, Artillerie) sowie von Teilen der Telematik zu fällen sein. Wenn die Weiterentwicklung
der Armee wie geplant umgesetzt werden kann, wird die Armee zukunftsfähig und bedrohungsgerecht ausgerichtet sein. Die Globalisierung der Wirtschaft, die zunehmende Konsolidierung der Rüstung, die beschränkten nationalen wehr- und sicherheitstechnologischen Fähigkeiten sowie die knappen Ressourcen machen es unausweichlich, vermehrt Kooperationen mit anderen Staaten oder im multilateralen Rahmen einzugehen. Gleichzeitig wird die Erhaltung einer nationalen und wettbewerbsfähigen sicherheitsrelevanten Technologie- und Industriebasis angestrebt.

Bevölkerungsschutz Im Bevölkerungsschutz steht in den nächsten Jahren die Umsetzung der Strategie Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+ im Vordergrund. Die Weiterentwicklung des Ressourcenmanagements soll im Ereignisfall alle auf nationaler Ebene verfügba68

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ren Ressourcen koordinieren. Durch eine einheitliche Ausbildungsdoktrin und eine Verbesserung der Koordination von Ausbildungen und Übungen soll die Zusammenarbeit der Partner verbessert werden. Die Umsetzung der Strategie 2015+ betrifft jedoch nicht alle Partnerorganisationen in gleichem Masse. Insbesondere der Zivilschutz soll optimiert werden. Sein auf die Bewältigung von Katastrophen und Notlagen ausgerichtetes Leistungsprofil soll in den Bereichen Logistik und ABCSchutz erweitert werden. Auch seine Einsatzbereitschaft, Autonomie und Mobilität sollen erhöht werden. An der aktuellen Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen im Bevölkerungsschutz ändert sich jedoch grundsätzlich nichts; Zuständigkeiten und Kompetenzen sollen jedoch klarer zugewiesen werden.

Nachrichtendienst Der Nachrichtendienst des Bundes erhält mit dem Nachrichtendienstgesetz eine neue Grundlage. Diese ist notwendig, um den Entwicklungen der Bedrohungen der letzten Jahre, vor allem durch Terrorismus und Spionage, wirksam entgegenzutreten.

Zudem haben technische Fortschritte zu neuen Bedrohungen im Cyber-Raum geführt, für deren Abwehr bestehende Gesetze kaum Mittel zur Verfügung stellen. Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz erhält der Nachrichtendienst die Mittel, um auch diese modernen Bedrohungen besser frühzeitig erkennen und abwehren zu können. Zu diesen Mitteln gehören im Inland insbesondere die Überwachung des Fernmeldeverkehrs, der Einsatz von technischen Überwachungsgeräten oder von Ortungsgeräten, das Eindringen in Computersysteme und -netzwerke und ­ bezogen auf das Ausland ­ die Aufklärung von grenzüberschreitendem Kommunikationsverkehr in Kabelnetzen. Das Nachrichtendienstgesetz definiert für den Einsatz dieser neuen nachrichtendienstlichen Mittel strikte Voraussetzungen und Genehmigungsverfahren. Zusätzlich verstärkt es die Aufsicht über den Nachrichtendienst. Im personellen Bereich hat der Bundesrat in den letzten Jahren den Nachrichtendienst in Folge der Entwicklung der Bedrohungen mehrfach verstärkt. Auch für die Umsetzung des Nachrichtendienstgesetzes ist zusätzliches Personal vorgesehen.

Es besteht zurzeit kein Bedarf nach darüber hinausgehenden rechtlichen Reformen.

Polizei Bei der Polizei ist wesentlich, dass eine Beteiligung an den international zur Verfügung stehenden Instrumenten realisiert wird
(z. B. Prümer Zusammenarbeit der EU, allenfalls die Verwendung von Flugpassagierdaten zur Bekämpfung des Terrorismus und anderer schwerer Kriminalität). Geprüft werden zudem polizeiliche Massnahmen zur Eindämmung und Aufklärung von terroristisch motivierten Reisen, zum Beispiel Ausreisesperren oder die verdeckte Ausschreibung in den polizeilichen Fahndungssystemen). Überdies soll die polizeiliche Datenbearbeitung durch die Automatisierung von Eingabe- und Meldeprozessen effizienter und effektiver werden. Mit der Revision des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200069 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs sowie der Strafprozessordnung70 sollten die Mittel der Strafverfolgungsbehörden an die technischen Entwicklungen 69 70

SR 780.1 SR 312.0

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angepasst werden. Durch den Einsatz besonderer Informatikprogramme soll neu auch der verschlüsselte Fernmeldeverkehr überwacht werden können. Mit der Reform der Strafprozessordnung sollen zudem einige Bestimmungen überprüft werden.

In erster Linie geht es um die Teilnahmerechte von Beschuldigten in den Strafverfahren. Die Kooperation unter den Polizeibehörden aller Ebenen soll mit einer neuen Verwaltungsvereinbarung verstärkt werden. Als neues Element ist ein professionell geführter Führungsstab Polizei vorgesehen, der die Polizeiarbeit in interkantonalen Grosslagen koordiniert und als zentrale Anlaufstelle für alle Polizeibehörden zur Verfügung steht.

Wirtschaftspolitik Es besteht aktuell kein sicherheitspolitisch motivierter Bedarf nach einer Anpassung der Wirtschaftspolitik oder ihrer Teilbereiche wie wirtschaftliche Landesversorgung oder Exportkontrollen. Bei der wirtschaftlichen Landesversorgung sind die rechtlichen Grundlagen bereits erneuert worden. Materiell gibt es keine grundsätzlichen Änderungen. Aufgrund der veränderten Bedrohungslage wird aber bei Massnahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung nicht mehr wie bisher zwischen wirtschaftlicher Landesverteidigung und schweren Mangellagen unterschieden, sondern auf mögliche Versorgungsstörungen fokussiert, unabhängig von deren Ursache. Bezüglich der Exportkontrollen wird weiterhin darauf zu achten sein, dass im Sinne von Artikel 1 des Kriegsmaterialgesetzes vom 13. Dezember 199671 die internationalen Verpflichtungen der Schweiz, ihre aussenpolitischen Grundsätze sowie in diesem Rahmen die Bedürfnisse der Landesverteidigung berücksichtigt werden.

Zollverwaltung Die Rolle der Zollverwaltung und insbesondere des Grenzwachtkorps hat angesichts der Herausforderungen durch den Terrorismus und die zunehmende sicherheitspolitische Relevanz der Migration an Bedeutung gewonnen. Das wirkt sich auch auf den Personalbedarf des Grenzwachtkorps aus, wobei gleichzeitig der Mitteleinsatz innerhalb der Zollverwaltung optimiert werden muss, damit der zivile Zoll in seinen Zuständigkeitsbereichen (Handelswarenverkehr und Reiseverkehr auf den Flughäfen) ebenfalls seinen Betrag zur Sicherheit leisten kann.

Für die Zollverwaltung ist es wesentlich, dass die international zur Verfügung stehenden Instrumente umfassend genutzt werden können. Dazu gehört die
Prümer Zusammenarbeit, aber auch die Nutzung von Flugpassagierdaten zur Terrorismusbekämpfung.

Schliesslich ist im Rahmen der aktuellen Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen eine Harmonisierung der Zusammenarbeitsformen der Eidgenössischen Zollverwaltung mit den Kantonen in der Bekämpfung der Kriminalität anzustreben, damit diese Zusammenarbeit möglichst effizient erfolgen kann.

71

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Zivildienst Die Studiengruppe Dienstpflichtsystem befasst sich in ihrem Bericht vom 15. März 2016 auch mit allfälligen Anpassungen des Zivildienstes.72

4

Sicherheitspolitische Führung und Sicherheitsverbund Schweiz

Der Bundesrat und die Kantonsregierungen sind in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen für die politische Führung und das Krisenmanagement zuständig.

4.1

Bund

Allgemeine Aspekte der Führung auf Stufe Bund Der Bundesrat als oberste leitende und vollziehende Behörde der Schweiz ist verantwortlich für die politische Führung in nationalen und internationalen Belangen.

Die Departemente tragen die Linienverantwortung, ihre Vorsteherinnen und Vorsteher zusätzlich die politische Verantwortung. In dringlichen Fällen kann die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident vorsorgliche Massnahmen durch Präsidialentscheide anordnen. Solche Entscheide sind immer provisorisch und so rasch wie möglich durch ordentliche Beschlüsse des Bundesrates beziehungsweise des Parlaments abzulösen. Die Kommunikation auf Stufe Landesregierung wird durch den Bundesratssprecher sichergestellt, der über die Konferenz der Informationsdienste auch die Kommunikation der Departemente koordiniert.

Sicherheitspolitische Führung auf Stufe Bund Die Führung der Sicherheitspolitik auf Stufe Bund liegt, wie bei anderen Politikbereichen, beim Bundesrat. Für die Führung der einzelnen Instrumente der Sicherheitspolitik liegt die Zuständigkeit bei den Vorsteherinnen und Vorstehern der Departemente, in denen diese Instrumente angesiedelt sind: EDA:

Aussenpolitik

VBS:

Armee, Nachrichtendienst, Bevölkerungsschutz

EJPD:

Polizei

WBF:

Wirtschaftspolitik, Zivildienst

EFD:

Zollverwaltung

Der Sicherheitsausschuss des Bundesrates besteht aus den Vorstehern und Vorsteherinnen des VBS (Vorsitz), des EDA und des EJPD. Er beurteilt die sicherheitsrelevante Lage und koordiniert departementsübergreifende sicherheitspolitische Ge-

72

www.vbs.admin.ch > Startseite > Aktuell > Wissenswertes > Die Zukunft der Dienstpflicht: neue Ansätze

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schäfte. Er bereitet solche Geschäfte bei Bedarf auch für Entscheide des Bundesrats vor.

Die Lenkungsgruppe Sicherheit und der Stab des Sicherheitsausschusses des Bundesrates wurden aufgelöst. Neu eingesetzt wurde eine Kerngruppe Sicherheit, die aus dem Staatssekretär EDA, dem Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes und der Direktorin des Bundesamtes für Polizei besteht. Die Kerngruppe verfolgt und beurteilt laufend die Lage und sorgt für die Früherkennung von Herausforderungen im sicherheitspolitischen Bereich, und sie stellt aufgrund der Analyse der sicherheitspolitischen Lage und nach Absprache mit den fachlich zuständigen Stellen den zuständigen Ausschüssen des Bundesrates Anträge, so auch dem Sicherheitsausschuss.

Eine aktuelle sicherheitspolitische Herausforderung ist die Bedrohung durch Terrorismus. Die am 18. September 2015 vom Bundesrat verabschiedete Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung ist eine gemeinsame Basis aller für die Terrorismusbekämpfung zuständigen Stellen von Bund und Kantonen. Gemäss der Strategie wird der Bund für die Verstärkung der Kooperation und Koordination in der Terrorismusbekämpfung unter Einbezug der Kantone ab 2017 ein operatives Koordinationsgremium der Sicherheitsbehörden betreiben. Dieses basiert auf den bestehenden Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten.

Krisenmanagement auf Stufe Bund Politische Führung ist in der Regel planbar, erfolgt ohne besonderen Zeitdruck und basiert auf konsolidierten Grundlagen. Im Gegensatz dazu sind in Krisen73 der Entscheid- und Zeitdruck sowie die Ungewissheit hoch. Das Risiko, dass die Lage sich verschlimmern könnte, wenn zu spät oder falsch entschieden würde, setzt die Führung unter Druck. Sie muss mental und fachlich auf solche Lagen vorbereitet sein, und die Unterstützungsorgane müssen in ihren Strukturen und Abläufen fähig sein, die benötigten Leistungen zur richtigen Zeit zu erbringen. Sie müssen in der Lage sein, ihre Funktionsweise zu straffen und zu beschleunigen. Führungsgrundsätze können die Regelung der Zusammenarbeit und Kompetenzabgrenzungen erleichtern, ersetzen aber nicht die vorgängige inhaltliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und das Üben in den dafür vorgesehenen Führungsstrukturen.

Der Bundesrat kann gemäss Artikel 185 BV Massnahmen zur Wahrung der Sicherheit, der Unabhängigkeit
und der Neutralität der Schweiz treffen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung sowie der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen.

73

Es gibt keine allgemein gültige Definition von Krisen. Sie sind u. a. durch einen eskalierenden Verlauf der Ereignisse und intensive Einwirkungen von aussen geprägt. Ordentliche Prozesse einer Organisation zur Entscheidfindung werden gestört oder verunmöglicht, und es stehen bedeutende Interessen oder gar die Existenz einer Organisation auf dem Spiel. Der Ernst der Lage verlangt, rasch das Richtige zu entscheiden und es auch richtig umzusetzen. Eine zusätzliche Herausforderung besteht darin, dass Krisen zunehmend verschiedene Themen umfassen können und dass sich Krisen mit unterschiedlichen Themen auch gegenseitig auslösen oder verstärken können.

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Die Führung auf Stufe Bund ist in normalen, besonderen und ausserordentlichen Lagen grundsätzlich die gleiche. Das Krisenmanagement auf Stufe Bund muss einerseits dem departementalen Regierungssystem Rechnung tragen, anderseits innerhalb dieses Systems effizient sein. Die Reaktionszeiten müssen aber in einer Krise durch Anpassungen des Führungsverhaltens und der Führungsorganisation verkürzt werden. Gestützt auf die Erfahrungen aus realen Krisen und die Lehren aus der Strategischen Führungsübung 2013 sowie der Sicherheitsverbundsübung 2014 will der Bundesrat eines seiner Mitglieder als für die Bewältigung einer konkret vorliegenden Krise federführend bezeichnen, tendenziell jenes, dessen Departement fachlich am stärksten betroffen ist, allenfalls in Zusammenarbeit mit dem VBS, weil dieses mehrere grosse sicherheitspolitische Instrumente umfasst. Für die Federführung kommt auch das Präsidialdepartement in Frage, wenn der fachliche Bezug zum Ereignis gegeben ist oder eine Krise alle Departemente betrifft.

Das für die Federführung bezeichnete Mitglied des Bundesrates kann einen Ad-hocKrisenstab bilden und diesen den Erfordernissen der Lage anpassen.74 Zusätzlich steht der Bundesstab ABCN (für Krisen, die in erster Linie den Bevölkerungsschutz betreffen, wie Katastrophen und Notlagen) zur Verfügung, um das zuständige Mitglied des Bundesrates und den Ad-hoc-Krisenstab mit Infrastruktur und Kenntnissen über die Stabsarbeit zu unterstützen oder sogar den Kern des Krisenstabs zu bilden.

Der Bundesstab ABCN ist ein interdepartemental zusammengesetztes Gremium, das sich mit bevölkerungsschutzrelevanten Katastrophen und Notlagen befasst. Darunter sind Ereignisse zu verstehen, von denen ein grosser Teil der Bevölkerung oder deren Lebensgrundlagen betroffen oder gefährdet sind, die also mehrere Kantone, die ganze Schweiz oder das benachbarte Ausland betreffen. Der Bundesrat hat im Anschluss an die Sicherheitsverbundsübung 2014 beschlossen, den Bundesstab ABCN bezüglich Mandat, Funktion, Struktur, Zusammensetzung und Bezeichnung grundlegend zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Er soll Entscheidungsgrundlagen erarbeiten, die vom Bundesrat, den Bundesämtern, den Kantonen oder den Betreibern kritischer Infrastrukturen im Ereignisfall benötigt werden. Dazu soll er auf nationaler Ebene die Grundlagen für das
Krisenmanagement bei bevölkerungsschutzrelevanten Ereignissen sicherstellen, bei Bedarf für das federführende Departemente Anträge für den Bundesrat vorbereiten und die Bundesämter, Kantone und Betreiber kritischer Infrastrukturen konzeptionell unterstützen. Zusätzlich soll er die Führungsunterstützung mit dem Lageverbund, der Lagedarstellung und dem Ressourcenmanagement sicherstellen. Der Bundesstab ABCN besteht aus einer Direktorenkonferenz und einer Fachkonferenz, die zusammen mit den Kantonen und weiteren Partnern Vorsorgeplanungen erarbeitet. Die für die Ereignisbewältigung relevanten Bundesämter sind in der Direktorenkonferenz durch ihre Direktoren und in der Fachkonferenz durch ihre Fachspezialisten vertreten, wobei ereignisspezifisch auch weitere Stellen einbezogen werden können. Im Ereignisfall würde die Fach74

In einem solchen Ad-hoc-Stab können zum Beispiel die Generalsekretäre und Generalsekretärinnen als Vertreter ihrer Departemente beigezogen werden. Im Übrigen berät und unterstützt die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler den Bundesrat bei der rechtzeitigen Erkennung und Bewältigung von Krisen, als Teil der neuen Aufgaben im Krisenmanagement, die der Bundeskanzlei bei der Änderung des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (SR 172.010; AS 2013 4549) zugewiesen wurden.

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konferenz zum Planungsstab, und zusätzliche Stabsorgane für Einsatz, Support und Strategie kämen dazu. Der Vorsitz des Bundesstabes wird in der normalen Lage durch den Direktor des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz wahrgenommen. Im Ereignisfall kann der Vorsitz durch das federführende Amt übernommen werden.

Die Modalitäten des Einbezugs der Kantone sind noch festzulegen; der Grundsatz, dass die Kantone substanziell einbezogen werden, steht aber bereits fest.

Der Führungsstab Polizei, der bei der Bewältigung von polizeilichen Grossereignissen eine ähnliche Rolle spielen kann wie der Bundesstab ABCN bei bevölkerungsschutzrelevanten Ereignissen, wird weiter unten beschrieben, weil er seinen Ursprung im Krisenmanagement der Kantone hat. Der Bund ist an diesem Führungsstab beteiligt.

Ein Beispiel für einen themenspezifischen Stab ist der Sonderstab für Geiselnahme und Erpressung, der sich mit erpresserischen Krisensituationen befasst, die in die Bundeszuständigkeit fallen. Als Sonderstab ist er interdepartemental zusammengesetzt und dem Vorsteher oder der Vorsteherin des EJPD unterstellt. Die Kantone sind auch vertreten.75 Das Krisenmanagementzentrum im EDA führt das auslandbezogene Krisenmanagement. Es wird in Krisen und Notlagen, wie zum Beispiel bewaffneten Konflikten, politischen Unruhen, Naturkatastrophen, Grossunfällen, Attentaten und Entführungen aktiv. In der Krise steuert und koordiniert es alle vom Bund eingesetzten Mittel zum Schutz von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern im Ausland. Das Krisenmanagementzentrum EDA kann jederzeit einen Krisenstab oder eine interdepartementale Task-Force aktivieren, der alle an der Lösung einer Krise beteiligten Verwaltungsstellen angehören. Die Vertretungen im Ausland sind für Krisenmanagement und Sicherheit ausgebildet, und sie können rasch verstärkt werden. Für die Betreuung von Schweizern und Schweizerinnen im Ausland und deren Rückführung im Krisenfall bestehen definierte Abläufe. Das Krisenmanagementzentrum war in den vergangenen Jahren in durchschnittlich 12­16 Ereignissen pro Jahr aktiv.

Information und Kommunikation Information und Kommunikation ­ bereits in der normalen Lage sehr wichtig ­ ist in Krisen von überragender Bedeutung zur Herstellung von Geschlossenheit, Ruhe und Vertrauen. Informationen können aber auch verzerrt und missbraucht
werden. In den vergangenen Jahren, vor allem in Folge des Konflikts in und um die Ukraine und der Spannungen zwischen der Russischen Föderation und dem Westen, ist staatlich gelenkte Desinformation und Propaganda zu einem grossen Problem geworden.

Bilder werden gefälscht, Geschichten frei erfunden, offenkundige Tatsachen abgestritten; Schauspieler spielen Zeugen, Personen werden bezahlt, um in Kommentarforen elektronischer Publikationen unter falschen Namen Stimmung zu machen.

Dies widerspricht fundamental der Auffassung, dass Medien zur freien und unverfälschten Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger beitragen sollen. Information ­ oder genauer: Desinformation ­ ist, wenn nicht zu einer Waffe, so doch zu einem herausragenden Instrument der Konfliktaustragung mancher Staaten oder 75

Verordnung vom 25. Nov. 1998 über den Sonderstab Geiselnahme und Erpressung (SR 172.213.80).

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Gruppierungen geworden. Dies wird noch verstärkt durch die Möglichkeiten und die Wirkung der sozialen Medien, die ­ gesteuert oder unkontrolliert ­ zur raschen Verbreitung und Festsetzung von Falschinformationen und Gerüchten beitragen können.

Damit stellt sich die Frage, ob auch die Schweiz Information (und Kommunikation) wieder zu den Instrumenten der Sicherheitspolitik zählen sollte, wie es noch bis und mit dem Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik vom 7. Juni 1999 der Fall war. Ein Dilemma dabei wäre, dass die Glaubwürdigkeit einer Information davon abhängt, dass sie nicht offenkundig interessengesteuert ist. Wenn Information als Instrument deklariert wird, liegt der Verdacht nahe, dass Informationen stärker von Überlegungen des Nutzens, als der Wahrhaftigkeit geprägt seien; damit würde der Zweck verfehlt. Der Bund wird sich mit dem Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin, anderen Mitgliedern des Bundesrates, dem Bundesratssprecher und dessen Stab sowie den Kommunikationsverantwortlichen in den Departementen in jeder Lage gegenüber der Desinformation wehren, die der Schweiz schaden und ihrer Sicherheit abträglich sind. Er will sich aber nicht mit den Urhebern von Desinformation auf die gleiche Stufe stellen. Information ist die Vermittlung von Fakten und von Elementen zur korrekten Einordnung dieser Fakten sowie die Richtigstellung falscher Behauptungen; sie ist nicht Instrument zur Beeinflussung der Öffentlichkeit, selbst in jenen Fällen nicht, wo dies sicherheitspolitisch kurzfristig nützlich erscheinen könnte Strategische Führungsübungen Strategische Führungsübungen sind Stabsrahmenübungen auf strategischer Ebene, die vom Bundesrat angeordnet werden. Thematisch liegt der Fokus auf der Gesamtpolitik, nicht allein nur auf der Sicherheitspolitik (1997: Informationskrieg und Terrorismus, 2005: Influenza-Pandemie, 2009: Strommangellage und grossflächiger Stromausfall, 2013: massiver Cyber-Angriff). Strategische Führungsübungen werden alle vier Jahre durch die Bundeskanzlei organisiert, das Szenario wird jeweils durch den Bundesrat festgelegt. Ziel dieser Übungen ist, sich interdepartemental mit Krisen auseinanderzusetzen und die politischen Massnahmen zu definieren, die in einem Ereignisfall auf Stufe Bund entschieden werden müssen. Damit soll auch die interdepartementale
Zusammenarbeit überprüft werden, einschliesslich der Kommunikationsprozesse in einer Krise. Teilnehmer sind der Bundesrat sowie die Krisenstäbe der Departemente und der Bundeskanzlei. Weitere Akteure und Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung (z. B. Betreiber von kritischen Infrastrukturen, Wirtschaft, Kantone und Medien werden in der Regel von der Übungsregie markiert. Strategische Führungsübungen haben wiederholt Impulse für die Verbesserung der Vorbereitung auf Krisen und die Schliessung diesbezüglicher Lücken gegeben so bei der Planung für Pandemien und bei der Stromversorgungsund Cyber-Sicherheit der Schweiz.

Im Rahmen der laufenden Gesamtplanung der grossen Übungen für den Zeitraum 2016-2023 wird geprüft, wie in Zukunft strategische Führungsübungen und Sicherheitsverbundsübungen miteinander verbunden werden sollen.

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Kein permanenter Krisenstab auf Stufe Bund Ein oft vorgebrachtes Anliegen besteht darin, dass der Bund einen einzigen und permanenten Krisenstab für alle Arten von Krisen, unbesehen ihrer Thematik, bilden sollte, analog zu den kantonalen Führungsstäben oder -organisationen. Obwohl eine solche Lösung einige Vorteile hätte (kein Zweifel über die richtige Ansprechstelle, permanent hohe Bereitschaft des Stabes, Beherrschung der Stabsarbeit), ist sie aus mehreren Gründen nicht machbar oder sinnvoll: ­

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern hat die Schweiz eine kollektive Führung, den Bundesrat. Bei hierarchischen Strukturen, die auf der obersten Stufe eine Person haben, ist die organisatorische Ansiedlung eines obersten Krisenstabes gegeben; bei sieben gleichberechtigten Vorstehern thematisch verschieden gelagerter Departemente ist dies nicht der Fall. Auf kantonaler Ebene ist dies eher möglich, weil die Themenvielfalt dort etwas geringer und die Verwaltung überschaubarer ist. Die permanente Ansiedlung eines thematisch universalen Krisenstabes in einem Departement wäre nur zu dem Preis möglich, dass er sich auf Formales beschränken und die Inhalte den Fachleuten überlassen würde.

­

Dieser formale Aspekt der Stabsarbeit (Strukturierung der Abläufe, Organisation des Stabes, Anwendung standardisierter Verfahren) ist aber weniger wichtig als die inhaltliche Expertise zum konkret vorliegenden Problem.

Diese ist in einer Krise, in der Sorgfalt und Umsicht besonders wichtig sind, von noch grösserer Bedeutung als in der normalen Lage. Ein permanenter Krisenstab könnte zwar hilfreich sein, aber nur zur Unterstützung bezüglich Organisation und Abläufen; Krisenmanagement ist nicht eine Kunst, die ohne Sachkenntnis und unabhängig vom Gegenstand angewandt werden kann.

­

Wenn das in der normalen Lage zuständige Personal in einer Krise das Feld räumen und Krisenmanagern überlassen müsste, würde der Widerstand noch erhöht, eine Krise als solche zu erkennen und zu behandeln, weil dieses auf eine Selbstentmündigung hinausliefe.

­

Wenn der Krisenstab der Bundespräsidentin oder dem Bundespräsidenten zugewiesen wäre, müsste die administrative und organisatorische Eingliederung des Stabs jedes Jahr wechseln; es sei denn, man würde einen eigentlichen Präsidialstab bilden, was möglicherweise der Verwaltung zulasten des Magistraten zu viel Gewicht geben würde. Die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident hat zudem gegenüber den Departementsvorstehenden keine erweiterten Entscheidkompetenzen, jenseits der eng definierten vorsorglichen Massnahmen in dringlichen Fällen. Eine Zuweisung an die Bundeskanzlei erscheint für die Durchschlagskraft eines Krisenstabes auch als ungünstig.

Der Bundesrat nimmt das Anliegen der Kantone nach möglichst einfachen und eindeutigen Ansprechstellen im Bund ernst. Er sieht es aber nicht als realistisch an, diese Ansprechstellen auf eine zu reduzieren.

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4.2

Kantone

Allgemeine Aspekte der Führung auf Stufe Kantone Innerhalb des Kantonsgebiets trägt die Kantonsregierung die politische Verantwortung für die Sicherheit der Bevölkerung. Den einzelnen Direktionen beziehungsweise Departementen ist die Verantwortung für Teilbereiche des politischen Handelns übertragen; ihre Vorstehenden ­ die entsprechenden Regierungsrätinnen und Regierungsräte ­ tragen die diesbezügliche Führungsverantwortung. Die Kommunikation auf Stufe Kantonsregierung wird grundsätzlich durch die Staatskanzleien sichergestellt.

Sicherheitspolitische Führung auf Stufe Kantone Die Führung der Sicherheitspolitik auf Stufe Kantone liegt, wie in anderen Politikbereichen, bei den Kantonsregierungen. Für die Führung der einzelnen Instrumente der Sicherheitspolitik liegen die Zuständigkeiten bei den Regierungsrätinnen und Regierungsräten der Direktionen, in denen diese Instrumente ­ unmittelbar oder mittelbar ­ angesiedelt sind. Dabei handelt es sich insbesondere um diejenigen Direktionen, die für das Militär, den Zivilschutz und die Feuerwehr 76 sowie die Polizei verantwortlich sind.

Die Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF) besteht aus den Vorsteherinnen und Vorstehern der entsprechenden Direktionen.77 Sie behandelt politische, organisatorische, fachliche und finanzielle Fragen, die für die kantonalen Militärbelange, den Zivilschutz und das Feuerwehrwesen der Kantone und des Fürstentums Liechtenstein von gemeinsamem Interesse sind. Sie fördert die interkantonale Zusammenarbeit sowie die Kooperation mit dem Bund in ihren Themenbereichen. Entsprechende Tätigkeiten erfüllt die Konferenz der Kantonalen Justizund Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) in ihrem Bereich.

Krisenmanagement auf Stufe Kanton Wie der Bund arbeiten auch die Kantone im Krisenfall so lange wie möglich in ihren ordentlichen Strukturen. Wenn aber mehrere Partnerorganisationen zusammen über längere Zeit im Grosseinsatz stehen, übernimmt das Kantonale Führungsorgan die Koordination der Mittel und die Verbindung zu den vorgesetzten Regierungsstellen.

Es koordiniert bzw. führt den Einsatz von Polizei, Feuerwehr, Gesundheitswesen, technischen Betrieben, Zivilschutz sowie Dritten (z. B. Armee oder zivile Partner).

Die operative Führung der Einsatzkräfte verbleibt aber bei den Blaulichtorganisatio76

77

Die Verantwortung für das Feuerwehrwesen ist in 19 Kantonen an die öffentlichrechtlichen Gebäudeversicherungen übertragen, welche dieses mitfinanzieren, bei den übrigen Kantonen tragen kantonale Amtsstellen die Verantwortung; die Finanzierung erfolgt durch die öffentliche Hand und die Privatassekuranz.

Zur Unterstützung stehen der RK MZF die Konferenz der Kantonalen Verantwortlichen für Militär, Bevölkerungsschutz und Zivilschutz (KVMBZ) mit der Vereinigung Schweizerischer Kreiskommandanten (VSK) und dem Verein der kantonalen Wehrpflichtersatzverwaltungen (VKWV), die Feuerwehr Koordination Schweiz (FKS) mit der Instanzenkonferenz (IK FKS) und der Schweizerischen Feuerwehrinspektoren Konferenz (SFIK) sowie die Koordinationsplattform ABC der Kantone (KPABC) zur Verfügung.

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nen; so führt beispielsweise kein Polizist die Feuerwehreinsatzkräfte direkt. Das Kantonale Führungsorgan besteht in der Regel aus der Leitung, Vertreterinnen und Vertretern der Verwaltung und den Ressortchefs oder -chefinnen von Polizei, Feuerwehr, Gesundheitswesen, technischen Betrieben, Zivilschutz sowie den kantonalen Territorialverbindungsstäben der Armee. Bei Bedarf werden weitere Spezialisten oder Spezialistinnen aufgeboten.

Im Bereich der Polizei arbeiten die Kantone in Konkordaten zusammen.78 Kann ein Polizeikorps ein Ereignis mit eigenen Mitteln nicht bewältigen, so fordert es in einem ersten Schritt die Unterstützung aus dem eigenen Polizeikonkordat an. Genügt dies nicht, kommt die IKAPOL-Vereinbarung zum Tragen, welche die Grundsätze für die gegenseitige Hilfe und die finanziellen Abgeltungen für interkantonale Polizeieinsätze regelt. Der Kanton richtet ein Unterstützungsgesuch an die Arbeitsgruppe Operationen der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS).

Diese prüft das Gesuch und leitet es mit einem Antrag zum Entscheid an die Arbeitsgruppe Gesamtschweizerische Interkantonale Polizeizusammenarbeit bei besonderen Ereignissen (GIP) weiter.79 Die interkantonale Polizeizusammenarbeit ist etabliert und hat sich bei Ereignissen wie dem jährlich stattfindenden WEF, der EURO 2008 und anderen Grossveranstaltungen bewährt. Die GIP ist weiter auch zuständig, wenn es darum geht, beim Bundesrat subsidiäre Unterstützung durch Bundesmittel oder ausländische Einsatzkräfte zu beantragen und den Nachrichtenverbund Schweiz zu aktivieren.80 Um bei überregionalen und nationalen polizeilichen Ereignissen (z. B. einem Terroranschlag) die Zusammenarbeit zu steuern und zu koordinieren, ist seit Anfang 2015 der Führungsstab Polizei operativ. Es handelt sich dabei derzeit um einen nicht-permanenten Stab der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, der bei Bedarf innerhalb von Stunden aktiv werden kann. Der Führungsstab Polizei unterstützt bei einem Grossereignis die zuständige kantonale Einsatzführung, koordiniert die nationale Zusammenarbeit und arbeitet mit den Krisen- und Führungsorganen von Bund und Kantonen zusammen. Die kantonalen Kompetenzen für die Ereignisbewältigung vor Ort bleiben davon unberührt; der Führungsstab Polizei ergänzt und koordiniert die kantonalen Massnahmen mit dem
Ziel einer einheitlichen Führung der Einsätze, der Lage- und Falldarstellung sowie der Information und Kommunikation. Im Führungsstab sind die Polizeikonkordate der Schweiz sowie die Kantonspolizeikorps Zürich und Tessin vertreten, ebenso wie fedpol, das zuständig ist für die polizeilichen Aufträge des Bundes, namentlich die nationale und internationale Fahndung und die internationale polizeiliche Kooperation. Mit dem Füh78 79

80

Ausnahmen sind die Kantone Zürich und Tessin, die keinem Polizeikonkordat angehören.

Die GIP tagt unter dem Vorsitz des Präsidenten oder der Präsidentin der KKJPD und besteht aus den Polizeidirektorinnen und -direktoren der betroffenen Kantone, dem Präsidenten der KKPKS, dem Direktor oder Direktorin des Bundesamtes für Polizei und dem Direktor oder Direktorin des Nachrichtendienstes des Bundes.

Im Rahmen des Nachrichtenverbunds machen sich mit Sicherheitsfragen befasste Behörden von Bund und Kantonen lagerelevante Informationen gegenseitig zugänglich. Ein solcher durch das Bundeslagezentrum des Nachrichtendienstes des Bundes geführter Nachrichtenverbund besteht bereits in der normalen Lage. Bei einem sicherheitspolitisch bedeutenden Ereignis wird er ausgebaut, und unter Einbezug aller Partner wird ein umfassendes Lagebild erstellt und laufend aktualisiert. Dieses Lagebild ist für alle angeschlossenen Stellen auf einer geschützten elektronischen Plattform abrufbar.

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rungsstab Polizei konnte eine Lücke in der Führung der Polizei bei kantonsübergreifenden Einsätzen geschlossen werden, und es ist vorgesehen, den Stab mittelfristig in eine permanente Struktur zu überführen.

Im Bereich der Katastrophenhilfe und der Hilfe in Notlagen spielt grundsätzlich die Nachbarschaftshilfe; zum Teil gibt es auch regionale Vereinbarungen. Die Bewältigung von Schadenereignissen hat aufgezeigt, dass die Führungs- und Einsatzkräfte der Kantone, insbesondere die Feuerwehr und der Zivilschutz, sich rasch, unbürokratisch, wirksam und über längere Zeit gegenseitig unterstützen können.

4.3

Zusammenarbeit Bund-Kantone

Der Föderalismus hat auch in der Sicherheitspolitik eine grosse Bedeutung; wesentliche Instrumente der Sicherheitspolitik sind primär oder sogar ausschliesslich Sache der Kantone und Gemeinden, insbesondere die Polizei und die Feuerwehr. Aus den verteilten Zuständigkeiten ergibt sich für eine ganzheitliche Sicherheitspolitik die Notwendigkeit einer fast permanenten Konsultation und Koordination zwischen den verschiedenen Staatsebenen und Fachressorts sowie den Betreibern kritischer Infrastrukturen. Dieser föderalistische Aspekt der Schweizer Sicherheitspolitik, und insbesondere ihrer Umsetzung, ist zwar aufwendig, aber er führt zu breit abgestützten Entscheiden und stärkt die Resilienz, weil ein dezentrales System schwieriger auszuschalten wäre als ein zentralisiertes.

Für ein wirksames Krisenmanagement braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen. Mit grösseren Übungen wird diese Zusammenarbeit regelmässig getestet und weiterentwickelt. So ist zum Beispiel für die nächste Strategische Führungsübung auf Stufe Bund 2017 sowie die gemeinsam zwischen Bund und Kantonen organisierte Sicherheitsverbundübung 2019 ein Terrorismus-Szenario vorgesehen. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Einsatz ist aber seit Jahrzehnten geübte Praxis, zum Beispiel in der wiederholten subsidiären Unterstützung der Polizei durch die Armee zur Bewältigung von Belastungsspitzen.

Sicherheitsverbund Schweiz Im Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz von 2010 wurde ein Sicherheitsverbund Schweiz skizziert, der in der Zwischenzeit realisiert, einer Evaluation unterzogen und gemäss den Ergebnissen der Evaluation angepasst wurde.

Der Sicherheitsverbund Schweiz umfasst grundsätzlich alle sicherheitspolitischen Instrumente des Bundes, der Kantone und der Gemeinden, und seine Organe dienen der Konsultation und Koordination von Entscheiden, Mitteln und Massnahmen von Bund und Kantonen bezüglich sicherheitspolitischer Herausforderungen, die sie gemeinsam betreffen. Der Fokus liegt deshalb bei der inneren Sicherheit; dort besteht ein grösserer Koordinationsbedarf als in der äusseren Sicherheit, für welche die Zuständigkeit beim Bund liegt. Die Organe des Sicherheitsverbunds Schweiz dienen vor allem der Vermittlung, wenn die Koordination in der Linie nicht zufriedenstellend funktioniert oder keine geeigneten Gefässe für die Koordination bestehen.

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Der Sicherheitsverbund Schweiz umfasst zwei Organe und einen Delegierten von Bund und Kantonen mit einer Geschäftsstelle.81 Organ

Zusammensetzung

Politische Plattform Bund bereitet Beschlüsse des Chef VBS Bundesrats und der Kantons- Vorsteherin EJPD regierungen bzw. Regierungskonferenzen vor

Operative Plattform bereitet Sitzung der politischen Plattform vor und setzt Arbeitsgruppen ein

Delegierter

Kantone Präsident der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren Präsident der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr

Bund Direktorin fedpol Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes Direktor des Bundesamts für Bevölkerungsschutz Chef des Armeestabes Chef Sicherheitspolitik VBS Oberzolldirektor oder Chef Grenzwachtkorps

Kantone Generalsekretär der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren Generalsekretär der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten Präsident der Konferenz der kantonalen Verantwortlichen für Militär, Bevölkerungs- und Zivilschutz Vertreter der Schweizerischen Vereinigung städtischer Polizeichefs Präsident der Instanzenkonferenz der Feuerwehr-Koordination Schweiz Delegierter von Bund und Kantonen für den Sicherheitsverbund Schweiz mit Geschäftsstelle

Die politische Plattform tritt regulär viermal pro Jahr zusammen, die operative Plattform rund doppelt so oft, um Geschäfte zu besprechen, die Bund und Kantone (und beim Bund oft mehrere Departemente) betreffen, z. B. subsidiäre Sicherungseinsätze der Armee, sowohl konkrete Einsätze als auch generelle Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und der Armee.

Vorläufig wird auf die Schaffung einer formell-gesetzlichen Grundlage für den Sicherheitsverbund Schweiz verzichtet; hingegen soll eine Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Kantonen abgeschlossen werden. Spätestens 2019 soll der Sicherheitsverbund Schweiz wieder überprüft werden, um ihn auf der Grundlage der Ergebnisse weiter zu verbessern.

Der Sicherheitsverbund Schweiz dient primär der Konsultation und Koordination in der normalen Lage oder, anders gesagt, vor und nach der Krise, nicht aber dem 81

Diese Gremien sind paritätisch besetzt, und die Kosten der Geschäftsstelle werden paritätisch aufgeteilt.

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Krisenmanagement; dieses soll grundsätzlich in der Linie erfolgen (die allerdings durch verschiedene permanente oder ad hoc gebildete Stäbe unterstützt wird). Das Profil des Sicherheitsverbundes Schweiz wurde nach der Evaluation in dieser Hinsicht geschärft, um sicherzustellen, dass keine Doppelspurigkeiten geschaffen, sondern bestehende Formen der Zusammenarbeit verstärkt werden.

Für eine enge Zusammenarbeit im Krisenmanagement braucht es den gegenseitigen Einbezug von Bund und Kantonen. Auf der operativen Ebene ist das in Bezug auf den Führungsstab der Polizei geregelt; in Bezug auf den Bundesstab ABCN werden Möglichkeiten zum stärkeren Einbezug der Kantone entwickelt, um insbesondere den nationalen Lageverbund und das nationale Ressourcenmanagement sicherzustellen.

Was die politische Ebene betrifft, gilt zwar, dass die Gremien des Sicherheitsverbundes Schweiz nicht für das Krisenmanagement geschaffen wurden. Wenn die Koordination mangelhaft ist, kann aber die Politische Plattform auch während einer Krise zusammentreten, insbesondere wenn das Krisenmanagement Probleme zwischen dem Bund und den Kantonen aufwirft, die in den normalen und direkt mit der Krisenbewältigung befassten Strukturen nicht gelöst werden können.

Sicherheitsverbundsübungen Im Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz von 2010 wurde festgehalten, dass die Schweiz wieder regelmässig grosse Übungen durchführen soll.

Solche grossangelegten, nationalen Übungen fanden früher ­ im Rahmen der Gesamtverteidigung ­ regelmässig statt, um die Leistungsfähigkeit des sicherheitspolitischen Gesamtsystems zu testen, wurden dann aber nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Verglichen mit anderen Ländern liess die «Übungskultur» in der Schweiz nach; dies soll in Zukunft durch regelmässige und anspruchsvolle Übungen wieder korrigiert werden.

Mit den Sicherheitsverbundsübungen soll aufgrund aktueller und komplexer Szenarien wieder regelmässig das Zusammenspiel des ganzen Sicherheitsverbunds (also der sicherheitspolitischen Instrumente von Bund und Kantonen) bei der Bewältigung einer fiktiven Krise überprüft werden. Es geht darum, die Zusammenarbeit zwischen den Führungsorganen des Bundes und der Kantone, unter Mitwirkung ziviler Partner und der Armee, zu testen und allfällige Schwachstellen zu eruieren. Die Lehren
aus diesen Übungen sollen dazu dienen, den Sicherheitsverbund Schweiz weiter zu optimieren und das bereichs- und regionenübergreifende Krisenmanagement in der Schweiz zu verbessern.

2014 fand eine erste Sicherheitsverbundsübung statt. Das Szenario bestand aus einer lang andauernden Strommangellage mit gleichzeitigem Auftreten einer schweren Grippe-Pandemie. An der Übung nahmen alle Departemente und die Bundeskanzlei, fast alle Kantone sowie Betreiber kritischer Infrastrukturen teil. Die Übung lieferte wichtige Erkenntnisse für das Funktionieren und die Weiterentwicklung des Sicherheitsverbunds Schweiz und das nationale Krisenmanagement. Es zeigte sich, dass das Verbundsystem grundsätzlich richtig aufgestellt ist und funktioniert, dass es aber punktuell Überprüfungs- und Optimierungsbedarf gibt, so z.B. bezüglich der genauen Aufgaben und Zusammensetzung der Organe des Sicherheitsverbunds 7879

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Schweiz oder der Funktion und Zusammensetzung des Bundesstabs ABCN. Weiter zeigte sich insbesondere auch die Wichtigkeit von zuverlässigen, widerstandsfähigen Kommunikationskanälen, um in Krisenfällen die Abstimmung zwischen den verschiedenen Akteuren und Staatsebenen gewährleisten zu können.

Die Umsetzung der Empfehlungen aus der Übung läuft seit Mitte 2015. Was die Sicherheitsverbundsübungen selber anbelangt, so wurde vom Bundesrat beschlossen, solche Übungen künftig regelmässig (mindestens alle acht Jahre) durchzuführen. Zudem wurde das Bundesamt für Bevölkerungsschutz damit beauftragt, die aus den Empfehlungen resultierenden Umsetzungsarbeiten zu begleiten und dem Bundesrat regelmässig darüber Bericht zu erstatten.

4.4

Mittel für die sicherheitspolitische Führung

Die sicherheitspolitische Führung muss auch im Kriegs- und Katastrophenfall funktionieren; dann ist ihre Bedeutung wesentlich grösser als in der normalen Lage.

Damit dies möglich ist, sind Arbeitsräume und Anlagen sowie Kommunikationsmittel nötig, die gegen physische und elektronische Einwirkungen geschützt sind und eine einfache, rasche strom- und abhörsichere Kommunikation ermöglichen.

Sichere Kommunikation Sichere Kommunikation erfordert leistungsfähige Breitbandübermittlungsnetze, die auch dann verfügbar sind, wenn die im Alltag sonst bestimmende, primär auf Wirtschaftlichkeit optimierte Kommunikationsinfrastruktur nicht mehr funktioniert, zum Beispiel wegen länger dauernden Stromausfällen oder Strommangellagen oder einem Cyber-Angriff. Um die Verbindungen zu gewährleisten, müssen die Nutzer redundant erschlossen sein. Priorität hat der Erhalt der Funktionsfähigkeit des Sicherheitsfunksystems Polycom. In den nächsten Jahren sollen zudem verschiedene Stellen des Bundes aus allen Departementen, alle Kantone und die Betreiber kritischer Infrastrukturen über ein sicheres Datenverbundnetz, inklusive eines Datenzugangsystems, miteinander verbunden werden. Darüber hinaus besteht im ganzen Bereich der bevölkerungsschutzrelevanten Kommunikations- und Alarmierungssysteme ein beträchtlicher Modernisierungsbedarf. Besondere Sicherheitsauflagen werden auch die neuen Rechenzentren des Bundes erfüllen, in denen Informationen gespeichert werden, die für die sicherheitspolitische Führung der Schweiz nötig sind.

Die Armee hat für ihre ortsfeste Kommunikationsinfrastruktur noch höhere Anforderungen, weil diese zusätzlich auch bei direkten kriegerischen Ereignissen zur Verfügung stehen muss.

Es soll geprüft werden, ob und wie neben der festen Kommunikationsinfrastruktur auch die mobile Breitbandkommunikation zwischen den Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit neu konzipiert werden soll. Dabei wird Wert auf Synergien mit analogen Vorhaben der Armee gelegt.

Für die Bewältigung von komplexen Krisen und Notlagen besteht ein Bedürfnis nach einem nationalen Lageverbund, der alle Partner des Sicherheitsverbunds 7880

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Schweiz verbindet und neben Textinformationen auch zum Beispiel die Übermittlung von grafischen Darstellungen, Daten und Bildern ermöglicht. Dabei sollten die Informationen so aufbereitet werden können, dass daraus eine für die entsprechende Einsatzführung geeignete Darstellung der Gesamtlage resultiert.

Geschützte Anlagen Die Bundeskanzlei, die Armee, der Nachrichtendienst des Bundes und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz mit der nationalen Alarmzentrale betreiben eine Anzahl von (in der Regel unterirdischen) Anlagen, die gegen äussere Einwirkungen physischer und elektronische Art geschützt sind.82 Diese Anlagen dienen nicht in erster Linie dem Schutz von Personen, sondern der Erhaltung der Führungsfähigkeit des Bundes, teilweise auch der Kantone: ­

Führung: physischer Schutz der Führung und Sicherstellung ihrer Funktionsund Kommunikationsfähigkeit;

­

Bundesrat: politische Führung;

­

Armeeführung: Führung militärischer Verbände;

­

Nationale Alarmzentrale: Kommunikation mit den Kantonen und Notfallmanagement;

­

Kommunikation: Verknüpfung innerhalb und zwischen Kommunikationsnetzen (Knotenpunkte), Rechenzentren;

­

Datenspeicherung.

Der Betrieb und die Aufrechterhaltung einer genügenden Bereitschaft verursachen laufend erhebliche Kosten. Die Anzahl solcher Anlagen wurde in den vergangenen 15­20 Jahren wesentlich verringert, vor allem als Folge der Auflösung von Formationen der Armee; eine weitere Verringerung der von der Armee benützten Anlagen ist geplant.

Die Nützlichkeit solcher Anlagen wird gelegentlich mit dem Argument infrage gestellt, dass Bedrohungen immer weniger physischer Art seien und deshalb gegen physische Einwirkungen geschützte Anlagen immer weniger nötig würden. Diese Argumentation greift aus mehreren Gründen zu kurz:

82

­

Die bestehenden Anlagen bieten nicht nur Schutz gegen physische, sondern auch gegen weitere Einwirkungen, zum Beispiel elektronischer Art. Sie können auch bei einem länger anhaltenden Stromausfall betrieben werden.

­

Kommunikationsknoten und ein Teil der Rechenzentren müssen in jedem Fall geschützt werden. Die Weiterführung bestehender Anlagen ist ­ trotz erheblichen Aufwendungen für deren Unterhalt ­ eine effiziente Lösung.

­

Schliesslich kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Situation eintritt, in der normale Arbeitsplätze und Anlagen gegenüber physischen Einwirkungen (Beschuss, Angriffe aus der Luft) nicht genügen.

Anzahl, Ort und Funktion der Anlagen können hier aus Geheimhaltungsgründen nicht im Detail dargestellt werden.

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Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass bei den bestehenden geschützten Anlagen die Sicherheit wesentlich einfacher zu gewährleisten ist als bei einer oberirdischen Infrastruktur und dass grosse Investitionen in die bestehenden Anlagen getätigt wurden.

In Anbetracht der Bedrohungen und Gefahren und des Beitrags der geschützten Anlagen zur Resilienz der politischen und militärischen Führung erscheint es sinnvoll, die bestehenden Anlagen in einem funktionsfähigen Zustand zu erhalten.

7882

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Abkürzungsverzeichnis ABCN API CEPOL EFD EJPD EU Eurodac Eurojust Europol Fedpol KFOR FKS GIP IKAPOL IKRK KKJPD KKPKS KPABC KVMBZ Melani Nato OSZE PNR RK MZF SFIK UNO UVEK VBS VKWV VSK WBF

Atomar, biologisch, chemisch, nuklear Advance Passenger Information Europäische Polizeiakademie zur Ausbildung von Polizeikadern Eidgenössisches Finanzdepartement Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Europäische Union European dactyloscopy (siehe auch Glossar) European Union's Judicial Cooperation Unit (siehe auch Glossar) European Police Office Bundesamt für Polizei Kosovo Force Feuerwehrkoordination Schweiz Arbeitsgruppe Gesamtschweizerische Interkantonale Polizeizusammenarbeit bei besonderen Ereignissen Vereinbarung über die interkantonalen Polizeieinsätze Internationales Komitee vom Roten Kreuz Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren Konferenz der Kantonalen Polizeidirektorinnen und -direktoren Koordinationsplattform ABC der Kantone Konferenz der kantonalen Verantwortlichen für Militär, Bevölkerungsschutz und Zivilschutz Melde- und Analysestelle Informationssicherung North Atlantic Treaty Organization Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Passenger Name Records Regierungskonferenz für Militär, Zivilschutz und Feuerwehr Schweizerischen Feuerwehrinspektoren-Konferenz United Nations Organization (Vereinte Nationen) Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Verein der kantonalen Wehrpflichtersatzverwaltungen Vereinigung Schweizerischer Kreiskommandanten Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung

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Glossar Air Situation Data Exchange

System für den Austausch von gefilterten Daten aus dem umfassenden Luftlagebild zwischen der Nato und Partnerstaaten (hauptsächlich zu zivilen Flugbewegungen, ohne rein militärische Daten).

Ausserordentliche Lage

Situation, in der in zahlreichen Bereichen die ordentlichen Abläufe nicht genügen, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen, z. B. bei Katastrophen und Notlagen, die das ganze Land schwer in Mitleidenschaft ziehen, oder bei bewaffneten Konflikten.

Besondere Lage

Situation, in der gewisse Staatsaufgaben mit den normalen Verwaltungsabläufen nicht mehr bewältigt werden können und in der die sektoriell betroffene Regierungstätigkeit in der Regel eine rasche Konzentration der Mittel und Straffung der Verfahren verlangt.

Big Data

Datenmengen, die zu gross oder zu komplex sind, um sie manuell und mit klassischen Methoden der Datenverarbeitung auszuwerten.

Cyber-Angriff

Beabsichtigte unerlaubte Handlung einer Person oder einer Gruppierung im Cyber-Raum, um die Integrität, Vertraulichkeit oder Verfügbarkeit von Informationen und Daten zu beeinträchtigen; dies kann je nach Art des Angriffs auch zu physischen Auswirkungen führen.

Cyber-Kriminalität

Gesamtheit aller strafbaren Handlungen und Unterlassungen im Cyber-Raum.

Cyber-Raum

Gesamtheit der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen (Hard- und Software), die untereinander Daten austauschen, diese erfassen, speichern, verarbeiten oder in (physische) Aktionen umwandeln, und der dadurch ermöglichten Interaktionen zwischen Personen, Organisationen und Staaten.

Cyber-Sabotage

Tätigkeit, um im Cyber-Raum das zuverlässige und fehlerfreie Funktionieren von Informationsund Kommunikationsinfrastrukturen zu stören oder zu zerstören; dies kann je nach Art der Sabotage auch zu physischen Auswirkungen führen.

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Cyber-Spionage

Tätigkeit, um im Cyber-Raum für politische, militärische oder wirtschaftliche Zwecke unerlaubt an geschützte Informationen zu gelangen.

Cyber-Verteidigung

Alle passiven und aktiven Massnahmen im Cyber-Raum, die dazu dienen, nicht ursprünglich vorgesehene Vorgänge in Informations- und Kommunikationskomponenten zu unterbinden.

Cyber-Vorfall

Beabsichtigtes oder unbeabsichtigtes Ereignis, das im Cyber-Raum zu einem Vorgang führt, der die Integrität, Vertraulichkeit oder Verfügbarkeit von Daten und Informationen beeinträchtigt und zu Fehlfunktionen führen kann.

Dual-use-Güter

Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können.

Enhanced Opportunity Program

Initiative der Nato für einen privilegierten Zugang von Partnern zu Informationen und Austauschmöglichkeiten; derzeit nehmen fünf Staaten daran teil.

Europäische Verteidigungsagentur Institution der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, um die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von militärischen Fähigkeiten sowie bei der Rüstung und Forschung zu verstärken.

Eurodac

Fingerabdruck-Datenbank der EU zur Prüfung, ob eine Person bereits einen Asylantrag gestellt hat oder bei der illegalen Einreise aufgegriffen worden ist.

Eurojust

EU-Agentur, welche die nationalen Justizbehörden unterstützt, wenn Untersuchungen und Strafverfahren mehrere Staaten betreffen.

Europol

EU-Agentur (ohne eigene Ermittlungskompetenzen) mit der Hauptaufgabe, Informationen zu sammeln und auszutauschen sowie die Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden zu fördern.

Fragile Staaten

Staaten, die gekennzeichnet sind durch schwache organisatorische, institutionelle und finanzielle Kapazitäten für die Deckung grundlegender Bedürfnisse der Bevölkerung und der Erfüllung staatlicher Funktionen.

Framework Nations Concept

Konzept zur internationalen Zusammenarbeit, bei dem mehrere Länder von einem Staat angeführt ihre militärischen Fähigkeiten in bestimm7885

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ten Bereichen aufeinander abstimmen und bündeln.

Internet der Dinge

Das Internet der Dinge steht für die zunehmende Computerisierung und Vernetzung von (Alltags-) Gegenständen.

Interoperabilität

Im internationalen Kontext die Fähigkeit, militärisch mit den Streitkräften anderer Staaten zusammenzuarbeiten; im nationalen Kontext die Fähigkeit, mit anderen sicherheitspolitischen Instrumenten und Einsatzorganisationen zusammenzuarbeiten.

Interoperability Platform

Initiative der Nato für die Beibehaltung und Stärkung der Interoperabilität mit Partnerstaaten (z. B. gemeinsame Übungen, Ausbildung); derzeit nehmen 24 Staaten daran teil, darunter auch die Schweiz.

Katastrophe

Plötzliches Ereignis, das viele Schäden und Ausfälle verursacht, sodass die personellen und materiellen Mittel der betroffenen Gemeinschaft überfordert sind und Unterstützung benötigt wird.

Kritische Infrastrukturen

Infrastrukturen, deren Störung, Ausfall oder Zerstörung gravierende Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und den Staat haben.

Notlage

Länger anhaltende Situation, die aus einer Entwicklung oder einem Ereignis entsteht und mit den ordentlichen Abläufen nicht bewältigt werden kann, weil sie die personellen und materiellen Mittel der betroffenen Gemeinschaft überfordert.

Operational Capabilities Concept Zusammenarbeitsinstrument der Nato für Partnerstaaten, mit dem diese freiwillig militärische Fähigkeiten und Mittel in einen Pool einmelden und nach gemeinsamen Standards evaluieren lassen können.

Partnership Interoperability Initiative

Initiative der Nato zur Verstärkung der Zusammenarbeit mit Partnerstaaten; bestehend aus den zwei Elementen Interoperability Platform und Enhanced Opportunity Program.

Phishing

Unrechtmässiges Beschaffen von persönlichen Zugangsdaten für Internetdienste (z. B. für das Internet-Banking) unter Verwendung von gefälschten Webseiten, E-Mails oder Kurznachrichten.

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Pooling and Sharing

Gemeinsamer Betrieb und Unterhalt militärischer Kapazitäten.

Prümer Zusammenarbeit

Instrument für EU-weiten, verbesserten Abgleich von Fingerabdrücken, DNA-Profilen und Fahrzeughalterdaten.

Resilienz

Die Fähigkeit eines Systems, einer Organisation oder einer Gesellschaft, Störungen zu widerstehen und die Funktionsfähigkeit möglichst zu erhalten respektive rasch wieder zu erlangen.

Schengener Informationssystem

EU-Datenbank für die automatisierte Personenund Sachfahndung im Schengen-Raum.

Smart Defence

Initiative der Nato, um bei Streitkräften die finanziellen Mittel durch Spezialisierung (und Verzicht in anderen Bereichen) sowie die Nutzung von Synergien in der Ausbildung, Beschaffung und im Einsatz effizienter einzusetzen.

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