15.085 Botschaft zur Genehmigung des Fakultativprotokolls vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 betreffend ein Mitteilungsverfahren vom 11. Dezember 2015

Sehr geehrter Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Fakultativprotokolls vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 betreffend ein Mitteilungsverfahren.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2014

M

12.3623

Ratifizierung des dritten Fakultativprotokolls zur Uno-Kinderrechtskonvention (N 19.9.13, Amherd; S 17.3.14)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. Dezember 2015

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2015-2723

217

Übersicht Mit dem dritten Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes werden dieses Übereinkommen und seine beiden Fakultativprotokolle um ein Mitteilungsverfahren ergänzt.

Das Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) ist mit zurzeit 196 Vertragsstaaten (Stand 26. Okt. 2015) das meistratifizierte UNO-Menschenrechtsabkommen. Die Schweiz hat sowohl die Kinderrechtskonvention als auch die ersten beiden Fakultativprotokolle, einerseits betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, andererseits betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie, ratifiziert. Am 19. Dezember 2011 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen das dritte Fakultativprotokoll zur Kinderrechtskonvention; dieses betrifft u.a. ein Mitteilungsverfahren. Das jüngste Fakultativprotokoll ist am 14. April 2014 in Kraft getreten. Mit der am 15. Juni 2012 im Nationalrat eingereichten Motion 12.3623 Amherd wurde der Bundesrat aufgefordert, das Fakultativprotokoll zu ratifizieren. Die Motion wurde am 19. September 2013 durch den Nationalrat und am 17. März 2014 durch den Ständerat angenommen.

Das Fakultativprotokoll ist ausschliesslich prozeduraler Natur und enthält keine materiellen Rechtsbestimmungen. Es beinhaltet im Wesentlichen folgende neuen Kontrollelemente: ein individuelles Mitteilungsverfahren, ein zwischenstaatliches Mitteilungsverfahren und ein Untersuchungsverfahren.

Einzelpersonen oder Personengruppen, die behaupten, in einem Recht aus der Kinderrechtskonvention oder den ersten beiden Fakultativprotokollen zur Kinderrechtskonvention verletzt worden zu sein, können sich nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges mit einer schriftlichen Mitteilung an den UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden.

Bei einer entsprechenden Anerkennung des Instrumentes der zwischenstaatlichen Mitteilungen kann ein Vertragsstaat beim Ausschuss geltend machen, dass ein anderer Vertragsstaat seinen Verpflichtungen aus der Kinderrechtskonvention bzw.

den Fakultativprotokollen nicht nachkommt.

Der Ausschuss kann ein Untersuchungsverfahren durchführen, wenn zuverlässige Angaben vorliegen, dass ein Vertragsstaat schwerwiegend oder systematisch die Konventionsrechte bzw. die
Rechte der Fakultativprotokolle verletzt.

Die Auffassungen und Empfehlungen des Ausschusses sind für die Regierung des betroffenen Vertragsstaates juristisch nicht bindend.

218

BBl 2016

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Mit der Verabschiedung des Übereinkommens vom 20. November 19891 über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention oder Übereinkommen) durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen wurden erstmals in einer umfassenden Art und Weise auf internationaler Ebene die Rechte des Kindes verankert. Das Übereinkommen beruht auf dem Grundsatz, dass Kinder nicht Objekte, sondern Subjekte mit eigenen Rechten sind. Es zählt gegenwärtig 196 Vertragsstaaten2, was es zum meist ratifizierten UNO-Menschenrechtsübereinkommen macht. Dadurch hat es wesentlich zu einer Anerkennung der Rechte der Kinder als unveräusserlicher und integraler Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte beigetragen. Die Fakultativprotokolle zur Kinderrechtskonvention vom 25. Mai 2000 ­ das eine betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie3 und das andere betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten4 ­ ergänzen die Kinderrechtskonvention. Die Schweiz hat sowohl die Kinderrechtskonvention als auch diese beiden Fakultativprotokolle ratifiziert.

Die Kinderrechtskonvention und die beiden Fakultativprotokolle sahen lange als einziges Kontrollinstrument ein Berichtsverfahren vor, bei welchem der Ausschuss für die Rechte des Kindes (Ausschuss) periodische Berichte der Vertragsstaaten zur Umsetzung des Übereinkommens bzw. der Protokolle prüft. Im Unterschied zu den meisten anderen Menschenrechtsübereinkommen der UNO verfügte die Kinderrechtskonvention zunächst über keine weiteren Kontrollinstrumente. Um die Kinderrechtskonvention wirksamer umsetzen zu können, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 19. Dezember 2011 das Fakultativprotokoll zur Kinderrechtskonvention betreffend ein Mitteilungsverfahren (Fakultativprotokoll oder Protokoll) verabschiedet. Es ergänzt die Kinderrechtskonvention um drei weitere Kontrollverfahren: ein individuelles Mitteilungsverfahren, ein zwischenstaatliches Mitteilungsverfahren und ein Untersuchungsverfahren. Im Vordergrund steht dabei die Möglichkeit für Einzelpersonen, im Falle einer behaupteten Verletzung ihrer Rechte durch einen Vertragsstaat mit einer schriftlichen Mitteilung an den Ausschuss zu gelangen.

1 2 3 4

SR 0.107 Stand 26. Oktober 2015.

SR 0.107.2 SR 0.107.1

219

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1.2

Die Entstehungsgeschichte des Fakultativprotokolls

Am 17. Juni 2009 beauftragte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Arbeitsgruppe, die Möglichkeit der Ausarbeitung eines Mitteilungsverfahrens zur Kinderrechtskonvention zu prüfen. Die Arbeitsgruppe verabschiedete ihren Bericht am 21. Januar 2010. Daraufhin verlängerte der Menschenrechtsrat am 24. März 2010 das Mandat der Arbeitsgruppe und erweiterte es dahingehend, dass sie einen Entwurf für ein Fakultativprotokoll erarbeiten sollte.

An den weiteren Treffen der Arbeitsgruppe nahmen Delegationen von 74 Staaten teil. Die Schweiz war an diesen Verhandlungen aktiv beteiligt und hat an deren erfolgreichem Abschluss mitgewirkt. Verschiedenen Themenkomplexen wurde während der Verhandlungen besondere Bedeutung zugemessen. Dies betraf unter anderem die Frage, ob vor dem Ausschuss auch Verletzungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (WSK-Rechte) geltend gemacht werden können (vgl. Ziff. 2.1).

Weiter sorgte auch die Frage der Zugänglichkeit des Verfahrens für Kinder sowie kindgerechter Formvorschriften für vertiefte Diskussionen. Ferner wurde die Möglichkeit eines kollektiven Mitteilungsverfahrens erwogen, jedoch von der Mehrheit der Staaten nicht gutgeheissen. Auch die Aufnahme einer «Opt in»- bzw. «Opt out»Klausel für das zwischenstaatliche Mitteilungs- und das Untersuchungsverfahren war während der Verhandlungen umstritten.

Der Entwurf wurde am 14. Juli 2011 vom Menschenrechtsrat und am 19. Dezember 2011 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen. Das Fakultativprotokoll wurde sodann anlässlich der 19. Session des Menschenrechtsrates am 28. Februar 2012 zur Unterzeichnung und Ratifikation aufgelegt und bei dieser Gelegenheit von zwanzig Staaten unterzeichnet.

Das Fakultativprotokoll ist am 14. April 2014, drei Monate nach Hinterlegung der zehnten Ratifikations- bzw. Beitrittsurkunde, in Kraft getreten. Es zählt gegenwärtig neunzehn Vertragsstaaten, nämlich Albanien, Andorra, Argentinien, Belgien, Bolivien, Chile, Costa Rica, Dänemark, El Salvador, Gabun, Deutschland, Irland, Monaco, Montenegro, Portugal, die Slowakei, Spanien, Thailand und Uruguay.5

1.3

Überblick über den Inhalt des Fakultativprotokolls

Das Fakultativprotokoll ergänzt das Berichtsverfahren der Kinderrechtskonvention um die folgenden neuen Kontrollmechanismen: ein individuelles Mitteilungsverfahren, ein zwischenstaatliches Mitteilungsverfahren und ein Untersuchungsverfahren.

Das Protokoll ist rein verfahrensrechtlicher Natur und enthält keine materiellrechtlichen Regelungen. Die neuen Mechanismen sind bereits existierenden Regelungen anderer UNO-Menschenrechtsübereinkommen und Zusatzprotokolle nachgebildet.

5

220

Stand 26. Oktober 2015.

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In erster Linie wird der nach Artikel 43 der Kinderrechtskonvention eingerichtete Ausschuss ermächtigt, Mitteilungen von Einzelpersonen oder Personengruppen zu prüfen, die behaupten, Opfer einer Verletzung der im Übereinkommen oder in den ersten beiden dazugehörigen Fakultativprotokollen verankerten Rechte zu sein (Art. 5 ff. Fakultativprotokoll). Voraussetzung für diese Prüfung ist unter anderem die Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel. Das Verfahren ist unentgeltlich.

Die individuellen Mitteilungsverfahren der UNO sind nach ihrer Konzeption wie zum Teil auch in ihrer Handhabung durch die einzelnen Ausschüsse eine Mischung aus quasi-gerichtlichem Rechtsschutz- und diplomatischem Vermittlungsverfahren.

Dass es sich nicht um Rechtsmittel im eigentlichen Sinne handelt, wird schon dadurch erkennbar, dass die Betroffenen nicht etwa eine Klage oder Beschwerde erheben, sondern dem jeweiligen Kontrollorgan eine Mitteilung («Communication») unterbreiten. Allerdings überprüfen die Ausschüsse, wie in einem rechtsförmigen Verfahren, die Zulässigkeit («admissibility») und die Begründetheit («merits») der Mitteilung am Massstab des Übereinkommens oder Fakultativprotokolls. Das Verfahren mündet nicht in ein Urteil, sondern in Auffassungen ohne rechtliche Verbindlichkeit, welche durch Empfehlungen ergänzt werden können.

Der zweite Kontrollmechanismus sieht vor, dass ein Vertragsstaat vor dem Ausschuss geltend machen kann, ein anderer Vertragsstaat komme seinen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen bzw. den ersten beiden dazugehörigen Fakultativprotokollen nicht nach (Art. 12 des Fakultativprotokolls). Voraussetzung ist, dass beide Staaten eine Erklärung gestützt auf Artikel 12 Absatz 1 abgegeben haben («Opt in»Klausel).

Der Ausschuss erhält zusätzlich die Kompetenz, Fälle schwerwiegender oder systematischer Verletzungen der Rechte des Übereinkommens bzw. der ersten beiden dazugehörigen Fakultativprotokolle von sich aus zu untersuchen (Art. 13 ff. des Fakultativprotokolls). Die Vertragsstaaten können dieses Verfahren mit einer entsprechenden Erklärung ausschliessen (Art. 13 Abs. 7 des Fakultativprotokolls, «Opt out»-Klausel).

1.4

Die Schweiz und das Fakultativprotokoll

Die Schweiz zählte am 28. Februar 2012 nicht zu den Erstunterzeichnenden des Fakultativprotokolls. Dies ist auf die ständige Praxis der Schweiz zurückzuführen, keine Schritte zur Unterzeichnung eines internationalen Übereinkommens zu unternehmen, solange nicht sicher ist, dass sie dieses in der Folge auch tatsächlich ratifizieren kann. Da die Tragweite und die Folgen der Umsetzung des Fakultativprotokolls für die schweizerische Rechtsordnung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht hinreichend abgeschätzt werden konnten, waren weitere Abklärungen vorzunehmen.

Dies bekräftigte der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 22. August 2012 zu der am 15. Juni 2012 im Nationalrat eingereichten Motion 12.3623 Amherd, die den Bundesrat dazu aufforderte, das Fakultativprotokoll zu ratifizieren. In seiner Stellungnahme betonte der Bundesrat, dass eine Unterzeichnung und spätere Ratifizierung des Fakultativprotokolls aus aussenpolitischen Gründen wünschenswert wäre und ein wichtiges politisches Signal senden würde. Er beantragte damals jedoch die

221

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Ablehnung der Motion, mit der Begründung, vorerst weitere Abklärungen über die Tragweite des Fakultativprotokolls und die Folgen seiner Umsetzung für die schweizerische Rechtsordnung vornehmen zu wollen.

Zu diesem Zweck beauftragte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) mit der Durchführung einer Expertentagung, um die Auswirkungen einer Ratifizierung des Fakultativprotokolls auf Bund, Kantone und Gemeinden zu eruieren. Das Treffen, an dem Vertreterinnen und Vertreter der Bundesversammlung, des Bundesgerichts und kantonaler Gerichte, der Universitäten, der Bundes- und Kantonsverwaltungen, der eidgenössischen und kantonalen Kinder- und Jugendkommissionen sowie von Nichtregierungsorganisationen teilnahmen, fand am 10. Oktober 2013 statt. Eine Mehrheit der Expertinnen und Experten befürwortete eine Ratifizierung des Fakultativprotokolls.6 Die Motion Amherd wurde am 19. September 2013 durch den Nationalrat und am 17. März 2014 durch den Ständerat angenommen.

Der Beitritt zum Fakultativprotokoll erfordert keine Umsetzungsbestimmungen im nationalen Recht. Da Kinder regelmässig nicht in der Lage sind, selbstständig ihre Rechte geltend zu machen, kommt der Frage der Vertretung vor dem Ausschuss eine besondere Bedeutung zu. In der Schweiz ist die Rechtsstellung des Kindes in den Artikeln 304 ff. des Zivilgesetzbuchs7 (ZGB) geregelt. Die Vertretung des Kindes obliegt in erster Linie den Eltern (Art. 304 ZGB). Sofern sie von den Eltern nicht wahrgenommen werden kann oder die Eltern in einer Angelegenheit Interessen haben, die denen des Kindes widersprechen, ernennt die Kindesschutzbehörde einen Vertretungsbeistand (Art. 306 Abs. 2 ZGB). Diese Regelung ist für alle Verfahren anwendbar, für die keine Spezialbestimmungen gelten; sie bietet somit eine genügende Grundlage für die Anordnung einer Vertretung für die Verfahren nach dem Protokoll. Die Anwendung einheitlicher Regeln rechtfertigt sich umso mehr, als vor der Einreichung einer Individualmitteilung der innerstaatliche Instanzenzug erschöpft werden muss.

1.5

Vernehmlassungsverfahren

Am 25. März 2015 beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), ein Vernehmlassungsverfahren über einen Beitritt zum Fakultativprotokoll durchzuführen. Das Vernehmlassungsverfahren dauerte bis zum 2. Juli 2015.8 6

7 8

222

Die Ratifizierung des dritten Fakultativprotokolls der UNO Kinderrechtskonvention durch die Schweiz: Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden ­ Tagungsbericht der Expertentagung vom 10. Oktober 2013 in Bern, online verfügbar unter www.skmr.ch > Kinder und Jugend > Artikel SR 210 Die Vernehmlassungsunterlagen sowie der Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens sind zu finden unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2015 > EDA

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Das EDA und das EJPD erhielten insgesamt 52 Stellungnahmen. Es äusserten sich 25 Kantone, 4 politische Parteien (CVP, FDP.Die Liberalen, SP und SVP), 1 gesamtschweizerischer Dachverband (Schweizerischer Gewerbeverband) und 15 Organisationen und andere interessierte Kreise. 7 Vernehmlassungsteilnehmende verzichteten ausdrücklich auf eine inhaltliche Stellungnahme (SZ, Bundesgericht, Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Schweizerischer Gemeindeverband, Schweizerischer Städteverband, Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz).

Die überwiegende Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden (40 von insgesamt 45 inhaltlichen Stellungnahmen) begrüsst die Absicht des Bundesrats, dem Fakultativprotokoll beizutreten. Von den Kantonen, die sich ­ ausser dem Kanton SZ ­ alle inhaltlich haben vernehmen lassen, hat sich einzig der Kanton TG gegen einen Beitritt geäussert. Bei den in der Bundesversammlung vertretenen Parteien haben sich die CVP und die SP für, die FDP.Die Liberalen und die SVP gegen einen Beitritt ausgesprochen. Von den Dachverbänden, Organisationen und weiteren interessierten Kreisen, die sich geäussert haben, wurde der Beitritt mehrheitlich begrüsst. Einzig der Schweizerische Gewerbeverband und das Centre Patronal lehnten die Genehmigung ab. Alle Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich für einen Beitritt ausgesprochen haben, stimmten der vorgeschlagenen Anerkennung des zwischenstaatlichen Mitteilungsverfahrens und des Untersuchungsverfahrens zu.

Von den Befürwortern wurde im Wesentlichen angeführt, das individuelle Mitteilungsverfahren stärke die Rechte des Kindes, und die neuen Kontrollmechanismen stellten eine sinnvolle Ergänzung des Staatenberichtsverfahrens dar. Hervorgehoben wurde weiter, dass der Beitritt ein wichtiges politisches Signal sende. Nur so könne sich die Schweiz auch auf internationaler Ebene glaubwürdig für die Rechte des Kindes einsetzen. Zudem sei der Beitritt vom Kinderrechtsausschuss im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens und vom Menschenrechtsausschuss im Rahmen der sogenannten Universellen Periodischen Überprüfung (UPR) empfohlen worden.

Die fünf Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich gegen einen Beitritt aussprachen, machten insbesondere geltend, dieser bringe keine Vorteile. Die Erheblichkeit des Protokolls wurde in Frage gestellt, da mit wenigen Verfahren
zu rechnen sei (FDP.

Die Liberalen, TG) und bisher nur wenige Staaten dem Protokoll beigetreten seien (FDP. Die Liberalen). Die SVP und der Kanton Thurgau machten geltend, die Rechte des Kindes seien ausreichend geschützt und ergänzende verfahrensrechtliche Bestimmungen seien nicht angezeigt. Insbesondere sei die Schweizer Justiz eigenständig in der Lage, das Übereinkommen verfahrensrechtlich zu garantieren. Andere Teilnehmer hoben hervor, die Empfehlungen des Ausschusses könnten schwierig umzusetzen sein, weil sie nicht verbindlich seien (FDP. Die Liberalen, Schweizerischer Gewerbeverband) und es sich um politische Forderungen im Bereich nicht justiziabler Leistungsansprüche handeln könne (TG, Schweizerischer Gewerbeverband). Weiter könnten sie mit erheblichen Kostenfolgen verbunden sein (TG, Schweizerischer Gewerbeverband). Für den Kanton Thurgau würden die im Protokoll vorgesehenen Verfahren im jeweiligen Einzelfall einen unverhältnismässigen Aufwand verursachen. Der Schweizerische Gewerbeverband hat zudem hervorgehoben, dass Auswirkungen des Beitritts auf das Schweizer Recht nicht ausgeschlossen werden können, und die Auffassung vertreten, weitere regulatorische Eingriffe seien zu verhindern. Schliesslich äusserte sich das Centre Patronal gegen 223

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weitere Befugnisse des Kinderrechtsausschusses, weil diese eine externe Einmischung darstellten.

Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende äusserten sich sodann zu praktischen Aspekten und zu Fragen der Umsetzung des Protokolls. Dabei wurde insbesondere hervorgehoben, die Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs könne sich als problematisch erweisen, wenn ein Anspruch im innerstaatlichen Recht als nicht justiziabel erachtet werde, und es müssten Lösungen gefunden werden, um den Instanzenzug in allen Fällen zu ermöglichen (International Commission of Jurists ­ Schweizer Sektion [ICJ-CH], Juristinnen Schweiz [JuCH]). Auch die Stärkung der innerstaatlichen prozessualen Rechte der Kinder wurde thematisiert (FR), ebenso wie die Finanzierung einer Vertretung für das innerstaatliche Verfahren und vor dem Kinderrechtsausschuss und die Errichtung einer Ombudsstelle (ICJ-CH, JuCH, Kinderanwaltschaft Schweiz). Auch sei ein Dispositiv einzurichten, um den Parteien im Mitteilungsverfahren bei Bedarf Schutz zu gewähren (ICJ-CH und JuCH).

1.6

Würdigung

Der Bundesrat hat dem Beitritt zu universellen Instrumenten der Vereinten Nationen zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte in den letzten Jahren eine grosse Bedeutung beigemessen. Er erachtet die Einrichtung wirksamer Kontrollinstrumente als unverzichtbares Mittel zur Förderung der Durchsetzung der Menschenrechte. Die Schweiz hat daher die individuellen Mitteilungsverfahren von drei Menschenrechtsübereinkommen der UNO anerkannt, diejenigen des Übereinkommens vom 10. Dezember 19849 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT), des Internationalen Übereinkommens vom 21. Dezember 196510 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) und des Fakultativprotokolls vom 6. Oktober 199911 zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (OP CEDAW). Ferner ist die Anerkennung des individuellen Mitteilungsverfahrens des Übereinkommens vom 20. Dezember 2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, welches von der Schweiz bislang noch nicht ratifiziert wurde, beim gegenwärtigen Prüfungsstand vorgesehen.12 Die Schweiz beteiligt sich zudem aktiv an den Bemühungen, diese Kontrollmechanismen zur Einhaltung der Menschenrechte zu stärken und deren Ausbau zu fördern.

Weiter hat sich der Bundesrat für das Jahr 2015 zum Ziel gesetzt, sein Engagement im Bereich Menschenrechte, Friedenspolitik, Mediation und gute Dienste zu verstärken, im Rahmen dieser Zielsetzung einen besonderen Fokus auf die Rechte der Kinder zu legen und die Botschaft zum Fakultativprotokoll zu verabschieden. Der Bundesrat ist überzeugt, dass die neuen Kontrollmechanismen die Bedeutung der Kinderrechtskonvention in der Praxis stärken werden und damit eine wichtige Ergänzung des Staatenberichtsverfahrens darstellen.

9 10 11 12

224

SR 0.105 SR 0.104 SR 0.108.1 Vgl. die Botschaft vom 29. Nov. 2013, BBl 2014 453.

BBl 2016

Gemäss Fakultativprotokoll können vor dem Ausschuss auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geltend gemacht werden. Der Spielraum der Vertragsstaaten bei der Umsetzung dieser Rechte wird jedoch gewahrt (vgl. hiernach Ziff. 2.1).

Ein Beitritt würde darüber hinaus ein wichtiges zusätzliches politisches Signal senden, dass die Schweiz die Anliegen der Kinder ernst nimmt. Auf internationaler Ebene stärkt dies nicht zuletzt die Position der Schweiz und deren Glaubwürdigkeit, wenn es darum geht, sich für die Rechte der Kinder einzusetzen.

2

Erläuterungen zum Inhalt und zu einzelnen Artikeln des Fakultativprotokolls

2.1

Kompetenzen des Ausschusses für die Rechte des Kindes und Justiziabilität der Garantien der Kinderrechtskonvention

2.1.1

Regelung des Fakultativprotokolls

Die Kinderrechtskonvention übernimmt zu einem grossen Teil die Garantien des Internationalen Paktes vom 16. Dezember 196613 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) sowie des Internationalen Paktes vom 16. Dezember 196614 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) und verdeutlicht ihre Tragweite für die besondere Situation von Kindern. Sie enthält somit Rechte, die nach traditionellem Verständnis den zivilen und politischen Rechten zugeordnet werden, und solche wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Natur.15 Gemäss Artikel 5 des Fakultativprotokolls ist das Mitteilungsverfahren auf alle Rechte des Übereinkommens und seiner Fakultativprotokolle 1 und 2 anwendbar.

Nach einem Beitritt können vor dem Ausschuss somit Verletzungen aller Rechte des Übereinkommens, auch der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, geltend gemacht werden.

Dieser Aspekt spielte während der Verhandlungen eine wichtige Rolle, denn die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (WSK-Rechte) werden in den Rechtsordnungen zahlreicher Staaten als nicht justiziabel betrachtet, d. h. sie begründen in der Regel keine gerichtlich durchsetzbaren rechtlichen Ansprüche, da 13 14 15

SR 0.103.1 SR 0.103.2 Die Zuteilung der Rechte in die eine oder andere Kategorie ist nicht immer eindeutig; in einer Bestimmung des Übereinkommens finden sich regelmässig mehrere Schutzgehalte, die eine differenzierte Zuordnung erfordern. Zu den bürgerlichen und politischen Rechten der Konvention zählen namentlich das Recht auf Leben (Art. 6), das Recht auf eine Identität und Staatsangehörigkeit (Art. 7 und 8), Ansprüche im Zusammenhang mit dem Familienleben (Art. 7 ff. und 16), das Recht des Kindes, sich in Verfahren, die seine Angelegenheiten berühren, zu äussern (Art. 12), die Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 13), die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 14), die Versammlungsfreiheit (Art. 15) und das Recht auf Zugang zu Informationen (Teilgehalt von Art. 17).

Den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten gehören etwa das Recht auf das erreichbare Höchstmass an Gesundheit (Art. 24), das Recht auf Leistungen der sozialen Sicherheit (Art. 26), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Art. 27) und das Recht auf Bildung (Art. 28 f.) sowie das Recht auf Freizeit (Art. 31) an.

225

BBl 2016

sie der Konkretisierung durch staatliche Regelungen bedürfen und ihre Verwirklichung in besonderem Mass von den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Staates abhängt.

Nach der Ansicht anderer Staaten, der Zivilgesellschaft sowie wohl teilweise der UNO-Ausschüsse gilt die Unterscheidung zwischen den zivilen und politischen Rechten einerseits und den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten andererseits als überholt. Nach dieser Auffassung weisen alle Menschenrechte verschiedene Verpflichtungsgehalte auf, von denen einzelne stets justiziabel sind.

Der Möglichkeit des Ausschusses, auch Mitteilungen betreffend die Verletzung von WSK-Rechten entgegenzunehmen, wurde im vorliegenden Fakultativprotokoll mit einer Bestimmung Rechnung getragen, in der explizit hervorgehoben wird, dass dem zuständigen Ausschuss bei der Prüfung von Mitteilungen betreffend diese Rechte eine gewisse Zurückhaltung auferlegt wird (Art. 10 Abs. 4 des Fakultativprotokolls; siehe unten Ziff. 2.1.3 und 2.2).16 Mit dieser Bestimmung wird anerkannt, dass den Staaten bei der Umsetzung der WSK-Rechte ein gewisser Ermessensspielraum zukommt. Dabei ist ferner daran zu erinnern, dass es sich bei den Auffassungen des Ausschusses nicht um rechtlich verbindliche Urteile handelt.

2.1.2

Haltung der Schweiz zur Justiziabilität der Garantien der Kinderrechtskonvention

a. Grundsätze für die unmittelbare Anwendbarkeit des Völkerrechts Die Frage, ob Bestimmungen des Völkerrechts unmittelbar anwendbar sind und ob sich Einzelpersonen wegen einer Verletzung des Übereinkommens an die Verwaltungs- bzw. Gerichtsbehörden wenden können, wird grundsätzlich nicht vom Völkerrecht, sondern vom Verfassungsrecht der Vertragsstaaten geregelt.17 In der Schweiz werden dazu folgende Kriterien angewendet: ­

Die Bestimmung hat Rechte und Pflichten der Einzelnen zum Gegenstand.

­

Die anwendbare Norm ist inhaltlich genügend bestimmt und klar, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheids zu bilden, und mithin justiziabel.

­

Adressat der Norm sind die rechtsanwendenden Behörden.

Das Bundesgericht anerkennt in ständiger Rechtsprechung die Justiziabilität der bürgerlichen und politischen Menschenrechte, d. h. etwa der Garantien des UNOPaktes II oder der Europäischen Konvention vom 4. November 195018 zum Schutze 16 17

18

226

Diese Bestimmung wurde von Art. 8 Abs. 4 des Fakultativprotokolls vom 10. Dezember 2008 zum UNO-Pakt I übernommen (von der Schweiz nicht ratifiziert).

Die Unterscheidung zwischen justiziablen Ansprüchen und programmatischen Bestimmungen findet sich auch im Grundrechtskatalog der Bundesverfassung wieder. Dieser enthält eine Reihe von Rechten, die inhaltlich weitgehend den bürgerlichen und politischen Rechten entsprechen und grundsätzlich vor Gericht geltend gemacht werden können. Daneben werden in Art. 41 BV (SR 101) verschiedene Sozialziele formuliert, die sich an die Behörden von Bund und Kantonen richten und keine durchsetzbaren Ansprüche begründen.

SR 0.101

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der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Im Unterschied dazu bejaht es die Möglichkeit einer direkten Berufung auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte und damit deren subjektiv-rechtlichen Gehalt nur mit Zurückhaltung. In Bezug auf die Garantien des UNO-Paktes I und die Sozialrechte der Kinderrechtskonvention hat es wiederholt ausgeführt, sie richteten sich abgesehen von wenigen Ausnahmen nicht an Einzelpersonen, sondern infolge ihrer rein programmatischen Natur an den Gesetzgeber; es handle sich um Leitlinien, die keine subjektiven, einklagbaren Rechte begründen.

Trotz der Kritik eines Teils der Lehre hält das Bundesgericht auch in seiner neueren Rechtsprechung grundsätzlich an dieser Auffassung fest. In den letzten Jahren hat die Bedeutung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte jedoch insofern zugenommen, als sie im Rahmen der Auslegung von Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen oder bei der Vornahme von Interessenabwägungen vermehrt berücksichtigt werden.19 Zudem wurde der Grundsatz, wonach diese Rechte nicht direkt anwendbar sind, in der Rechtsprechung wiederholt relativiert. Ohne in den betreffenden Fällen einen justiziablen Anspruch anzuerkennen, hat das Bundesgericht in mehreren Urteilen die Möglichkeit erwogen, dass gewisse Teilgehalte von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten vor Gericht geltend gemacht werden könnten.20 Gestützt auf diese Praxis hat der Bundesrat in den letzten Jahren mehrmals vor internationalen Organen bestätigt, dass die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in der Schweiz, von Ausnahmen abgesehen, nicht justiziabel sind.21 b. Justiziabilität der Garantien der Kinderrechtskonvention im Besonderen In seiner Botschaft vom 29. Juni 1994 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen von 1989 über die Rechte des Kindes ging der Bundesrat davon aus, dass nicht alle Bestimmungen, die dem Kind «Rechte» einräumen, direkt anwendbar sind.22 Das Bundesgericht hat in der Folge die Justiziabilität von einzelnen Garantien des Übereinkommens anerkannt. Dies ist der Fall für Artikel 12 (Recht des Kindes, sofern es sich eine eigene Meinung bilden kann, diese Meinung in allen Angelegenheiten, die es berühren, frei zu äussern)23 und Artikel 7 Absatz 1 (Recht auf Erwerb eines Namens und einer Staatsangehörigkeit und
Recht, soweit als möglich seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden)24.

Verneint wurde namentlich die unmittelbare Anwendbarkeit von Artikel 23 (Recht behinderter Kinder auf besondere Betreuung und Sicherstellung der Kosten für diese 19 20 21

22 23 24

Vgl. BGE 130 I 113, E. 3.3; 135 I 153, E. 2.2.2.

Vgl. BGE 120 Ia 1, E. 5, und 130 I 113, E. 3.3, betreffend Erhöhung von Studiengebühren.

Vgl. den Staatenbericht betreffend die Umsetzung des UNO-Pakt I vom April 2008, S. 16 ff., und die Antwort des Bundesrates auf die diesbezüglichen Empfehlungen im Rahmen der Universellen Periodischen Prüfung vor dem UNO-Menschenrechtsrat (Oktober 2012).

BBl 1994 V 1, hier 20 BGE 124 III 90, E. 3.a.

BGE 125 I 257, E. 3.c.bb; 128 I 71, E. 3.2.2.

227

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Betreuung)25 und Artikel 26 (Recht auf soziale Sicherheit)26. In Bezug auf die Erteilung von ausländerrechtlichen Bewilligungen lassen sich dem Übereinkommen regelmässig keine gerichtlich durchsetzbaren Ansprüche entnehmen.27 Seit 2009 werden die Garantien der Kinderrechtskonvention bei der Prüfung solcher Fälle jedoch stärker gewichtet. Ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, sind die Garantien zu berücksichtigen.28

2.1.3

Konsequenzen eines Beitritts der Schweiz zum Fakultativprotokoll

Wie weit der Ausschuss geltend gemachte Verletzungen von WSK-Rechten überprüfen wird, lässt sich derzeit kaum einschätzen, da das Fakultativprotokoll erst am 14. April 2014 in Kraft getreten ist und noch keine einschlägige Praxis des Kinderrechtsausschusses vorliegt. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass es sich beim Mitteilungsverfahren nicht um ein eigentliches Gerichtsverfahren handelt und die Auffassungen des Ausschusses rechtlich nicht verbindlich sind.

Zudem gewährleistet Artikel 10 Absatz 4 des Protokolls, dass der Gestaltungsspielraum der Vertragsstaaten bei der Umsetzung dieser Rechte im Mitteilungsverfahren gebührend berücksichtigt wird. Der Bundesrat geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass der Spielraum bei der Umsetzung der Auffassungen und Empfehlungen des Ausschusses umso grösser sein wird, je offener die zugrunde liegende Garantie formuliert ist.

Das Verständnis der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte befindet sich derzeit ­ im internationalen Rahmen, aber auch in der Lehre und teilweise in den staatlichen Rechtsordnungen ­ in einer Entwicklung. Es wird in erster Linie Sache der rechtsanwendenden Behörden sein zu prüfen, wie die Schweiz diese Entwicklung aufnehmen wird. Mit einem Beitritt zum dritten Fakultativprotokoll erhält die Schweiz die Möglichkeit, sich weiterhin aktiv daran zu beteiligen und ihren Standpunkt einzubringen.

Die Anerkennung des neuen Mitteilungsverfahrens fügt sich ein in die lange Tradition der Schweiz, sich auf internationaler Ebene für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte einzusetzen. Sie entspricht auch der Zielsetzung des Bundesrates für das Jahr 2015.29

25 26 27 28 29

228

BGE 137 V 175, E.4.8.

Unveröffentlichtes Urteil I 267/04 vom 18. März 2005, E. 2.5.

BGE 126 II 377, E. 5.d mit Hinweisen.

BGE 135 I 153, E. 2.2.2; BGE 136 I 285, E. 5.2; BGE 137 I 247, E.4.2.1; 139 I 315, E. 2.4.

Vgl. hiervor Ziff. 1.5.

BBl 2016

2.2

Erläuterung zu einzelnen Bestimmungen des Fakultativprotokolls

Art. 1

Zuständigkeit des Ausschusses

Gemäss Artikel 1 Absatz 1 erkennen die Vertragsstaaten die im Fakultativprotokoll vorgesehene Zuständigkeit des Ausschusses an. Die Vorschrift entspricht der Regelung anderer Mitteilungsverfahren vor UNO-Menschenrechtsausschüssen. Sie soll die Kontinuität der Zuständigkeit des Ausschusses für die Prüfung der Umsetzung des Übereinkommens sicherstellen.

In den Absätzen 2 und 3 wird präzisiert, dass der Ausschuss nur Verletzungen von Rechten aus einer Übereinkunft prüfen kann, der der Staat beigetreten ist. Weiter ist er nicht berechtigt, Mitteilungen entgegenzunehmen, die einen Staat betreffen, der nicht Vertragspartei des Fakultativprotokolls ist. Diese Bestimmungen ergeben sich bereits aus der allgemeinen Systematik völkerrechtlicher Verträge, insbesondere aus dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 196930 über das Recht der Verträge. Im Rahmen der Verhandlungen war es für viele Staaten jedoch wichtig, sie in das Fakultativprotokoll aufzunehmen, um eventuellen Unklarheiten vorzubeugen.

Art. 2

Grundsätze für die Wahrnehmung der Aufgaben des Ausschusses

Artikel 2 bestimmt die allgemeinen Grundsätze, von denen sich der Ausschuss leiten lassen soll. Dazu gehört in erster Linie der Grundsatz des Wohls des Kindes, der bereits in Artikel 3 der Kinderrechtskonvention verankert ist und daher als Massstab sowohl für die Kinderrechtskonvention als auch für das Fakultativprotokoll gilt.

Darüber hinaus ist der Ausschuss dazu verpflichtet, den Rechten sowie der Meinung des Kindes Rechnung zu tragen, wobei dessen Meinung angemessen und entsprechend seines Alters und seiner Reife zu berücksichtigen ist.

Art. 3

Verfahrensordnung

Die Bestimmung beauftragt den Ausschuss, sich für die Erfüllung der ihm übertragenen Arbeiten eine Verfahrensordnung zu geben. Bei der Ausarbeitung dieser Verfahrensordnung sollen insbesondere die in Artikel 2 des Fakultativprotokolls vorgesehenen allgemeinen Grundsätze berücksichtigt werden, um ein kindgerechtes Verfahren zu gewährleisten. Die Verfahrensordnung wurde im April 2013 veröffentlicht.31 Gemäss Absatz 2 der Bestimmung sollen in der Verfahrensordnung Schutzbestimmungen aufgenommen werden, die der Manipulation des Kindes durch diejenigen, die in seinem Namen handeln, vorbeugen. Falls der Ausschuss der Ansicht ist, dass eine Mitteilung nicht dem Wohl des Kindes entspricht, kann er deren Prüfung ablehnen.

30 31

SR 0.111 Règlement intérieur au titre du Protocole facultatif à la Convention relative aux droits de l'enfant établissant une procédure de présentation de communications (Verfahrensordnung), 16. April 2013, CRC/C/62/3.

229

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Während der Verhandlungen war umstritten, ob besondere Schutzvorschriften zur Verhinderung einer Manipulation durch die Vertreter der betroffenen Kinder in das Fakultativprotokoll aufgenommen werden sollten. Ein Konsens wurde gefunden, indem auf die Verfahrensordnung verwiesen wurde. Diese sieht in Artikel 4 einschlägige Regeln vor.

Art. 4

Schutzmassnahmen

Artikel 4 des Fakultativprotokolls begründet eine Schutzpflicht des Staates für Personen, die sich mit einer Mitteilung an den Ausschuss gewandt oder im Rahmen eines Untersuchungsverfahrens Auskunft erteilt haben. Diese Personen sind vor Menschenrechtsverletzungen, Misshandlungen oder Einschüchterungen im Zusammenhang mit dem Verfahren zu schützen. Der Staat wird verpflichtet, solche Handlungen selbst zu unterlassen und auch seitens von Dritten nicht zuzulassen. Der geschützte Personenkreis wird weit verstanden und umfasst alle von einem Verfahren betroffenen Kinder sowie deren Angehörige und Vertreter, auch wenn es sich um Organisationen handelt. Eine analoge Schutzpflicht enthalten Artikel 11 OP CEDAW und Artikel 34 EMRK.

Der zweite Absatz der Bestimmung schützt die Identität der betroffenen Personen.

Ohne ihre ausdrückliche Zustimmung darf ihre Identität nicht öffentlich bekannt gemacht werden. Neben den betroffenen Kindern schützt diese Regelung auch deren Vertreter.

Art. 5

Mitteilungen von Einzelpersonen

Artikel 5 Absatz 1 legt zunächst fest, welche Personen mit einer Mitteilung an den Ausschuss gelangen können. Die Aktivlegitimation zur Einreichung von Mitteilungen steht Einzelpersonen oder Personengruppen zu. Die Mitteilungen können von den Betroffenen selbst oder von Vertreterinnen oder Vertretern eingereicht werden.

Kinder können auch dann selbstständig an den Ausschuss gelangen, wenn ihre Handlungsfähigkeit vom innerstaatlichen Recht nicht anerkannt wird.32 Eine Voraussetzung des Verfahrens ist die Opfereigenschaft: Der oder die Mitteilende muss nachweisen, dass er oder sie persönlich und unmittelbar von einer Handlung oder Unterlassung, eventuell auch von einer gesetzlichen Regelung des Vertragsstaates betroffen ist. Der Ausschuss tritt auf eine abstrakte Beschwerde, die im Namen einer unbestimmten Vielzahl von Drittpersonen gegen ein Gesetz als solches oder eine staatliche Politik oder Praxis erhoben wird, nicht ein (keine actio popularis).

Die Bestimmung präzisiert weiter, dass das Mitteilungsverfahren sowohl für die Rechte der Kinderrechtskonvention als auch für diejenigen der ersten beiden Fakultativprotokolle anwendbar ist, sofern der Staat diesen beigetreten ist.

Der Begriff der Rechte macht deutlich, dass nur die Bestimmungen Gegenstand einer Mitteilung sein können, die für die betroffenen Personen einen Anspruch auf ein Tun oder Unterlassen seitens des Staates begründen. Nicht erfasst werden die 32

230

Vgl. Art. 13 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Ausschusses.

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Bestimmungen, die als Zielvorgaben für den Staat formuliert und somit rein programmatischer Natur sind.33 Absatz 2 der Bestimmung regelt die Frage der Vertretung der Kinder vor dem Ausschuss. Im Fall von Kindern kommt diesem Aspekt eine besondere Bedeutung zu, da sie aufgrund ihres Alters und Entwicklungsstandes oft nicht in der Lage sind, selbstständig eine Mitteilung einzureichen. Zudem sind Kinder regelmässig von ihren Eltern oder anderen Verantwortlichen abhängig und verfügen kaum über eigene finanzielle Mittel. Die Vertretungsregelung ist so formuliert, dass auch Nichtregierungsorganisationen oder Menschenrechtsgruppen Mitteilungen beim Ausschuss vorbringen können.

Die Kinder werden im Fakultativprotokoll soweit möglich als selbstständige Rechtssubjekte behandelt. Zudem ist bei Kindern angesichts ihrer besonderen Situation verstärkt darauf zu achten, dass ihre Rechte nicht zur Verfolgung anderer als ihrer eigenen Interessen missbraucht werden. Grundsätzlich kann ein Vertreter deshalb nur dann eine Mitteilung im Namen der Betroffenen einreichen, wenn diese dem Vorgehen zugestimmt haben. Wenn Hinweise dafür vorliegen, dass die Zustimmung nicht freiwillig erfolgt ist, kann der Ausschuss diesbezüglich weitere Informationen einholen lassen.34 Die Bestimmung steht im Zusammenhang mit Artikel 3 Absatz 2 des Protokolls, wonach der Ausschuss die Prüfung einer Mitteilung ablehnen kann, wenn diese seiner Auffassung nach nicht dem Wohl des Kindes entspricht.

Ausnahmen vom Grundsatz der Zustimmung sind nur möglich, wenn der Verfasser der Mitteilung sein Vorgehen rechtfertigen kann. Ein solches Vorgehen ist zum Beispiel denkbar, wenn die mutmasslichen Opfer die Tragweite des Verfahrens nicht erkennen können oder mangels Kontakt zu Aussenstehenden oder aus Furcht vor Repressalien ihre Zustimmung nicht erteilen können. Die Verfahrensordnung des Ausschusses sieht vor, dass die Betroffenen soweit möglich über das Verfahren informiert werden. Ihren Auffassungen wird unter Berücksichtigung ihres Alters und ihrer Reife gebührend Rechnung getragen.35 Art. 6

Vorläufige Massnahmen

Den Mitteilungen kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Gemäss Artikel 6 des Fakultativprotokolls kann der Ausschuss den Mitgliedstaat jedoch ersuchen, vorläufige Massnahmen zu treffen. Die Massnahmen müssen notwendig sein, um einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für das oder die Opfer der behaupteten Verletzung abzuwenden. Der Ausschuss kann dem Vertragsstaat ab dem Zeitpunkt der Mitteilung bis zum Entscheid in der Sache jederzeit ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen übermitteln.

Bei der Beurteilung, was ein «nicht wiedergutzumachender Schaden» ist, steht dem Ausschuss ein gewisser Ermessensspielraum zu. Für die Ausübung dieses Ermessens wird er sich voraussichtlich an der Praxis zu anderen Menschenrechtsüberein33 34 35

Vgl. hiervor Ziff. 2.1.

Vgl. Art. 13 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Ausschusses.

Dieser Grundsatz ist auch in Art. 2 des Fakultativprotokolls verankert. Siehe hierzu Erläuterung zu Art. 2.

231

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kommen orientieren.36 Wesentliches Kriterium für die Annahme eines «nicht wiedergutzumachenden Schadens» sind demnach die Schwere und die Irreversibilität der Folgen für das oder die Opfer, die eine spätere Entscheidung des Ausschusses in der Sache obsolet machen könnten.37 Die Verbindlichkeit der vorläufigen Massnahmen war in den Verhandlungen umstritten. Nach Auffassung des Bundesrates kommt ihnen keine rechtliche Verbindlichkeit zu.38 Der Wortlaut der Bestimmung bestätigt diese Auffassung, indem von einem Gesuch und nicht von einer Anordnung die Rede ist. Mit der Anerkennung der Zuständigkeit des Ausschusses zur Prüfung von Mitteilungen verpflichten sich die Vertragsstaaten jedoch, Gesuchen des Ausschusses im Rahmen des Verfahrens in guten Treuen Folge zu geben. Damit sind sie grundsätzlich gehalten, die vorläufigen Massnahmen umzusetzen.

Die Verfahrensordnung des Ausschusses sieht vor, dass dieser die Umsetzung der Massnahmen kontrolliert. Der Staat kann beim Ausschuss jederzeit die Aufhebung der Massnahmen beantragen, wenn sie nicht mehr gerechtfertigt sind.

Absatz 2 der Bestimmung präzisiert, dass eine Aufforderung des Ausschusses, vorläufige Massnahmen zu treffen, den Entscheid über die Zulässigkeit und die Begründetheit der Mitteilung nicht präjudiziert.

Art. 7

Zulässigkeit

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Mitteilung sind den analogen Bestimmungen für andere Mitteilungsverfahren nachgebildet.

Bst. a und b: keine anonymen Mitteilungen; Schriftlichkeit Die Mitteilungen dürfen zunächst nicht anonym sein und müssen schriftlich eingereicht werden. Die Voraussetzung der Schriftlichkeit war bei der Ausarbeitung des Protokolls umstritten, weil sie für Kinder eine besondere Hürde darstellen kann.

Dennoch wurde aus Praktikabilitätsgründen daran festgehalten. Beweismittel können auch in einer anderen Form, also zum Beispiel als Video- oder Tonbandaufnahmen, eingereicht werden (vgl. Art. 10 Abs. 1 des Protokolls).

Bst. c: kein Rechtsmissbrauch; Anwendungsbereich ratione materiae Gemäss Buchstabe c der Bestimmung dürfen Mitteilungen nicht rechtsmissbräuchlich sein. Ein Missbrauch des Rechts auf Einreichung einer Mitteilung liegt zum Beispiel vor, wenn offensichtlich querulatorische Absichten verfolgt werden (etwa die mehrfache, erfolglose Geltendmachung des gleichen Falls) oder der Mitteilung bewusst falsche Angaben zugrunde gelegt werden, die eine Irreführung des Ausschusses bezwecken.

36

37 38

232

Die vorläufigen Massnahmen werden namentlich in Art. 108 Abs. 1 der Verfahrensordnung des CAT, Art. 94 Abs. 3 der Verfahrensordnung des CERD und in Art. 5 OP CEDAW geregelt.

Vgl. etwa den Entscheid Nr. 2/2003 vom 26. Jan. 2005 des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, A.T. gegen Ungarn.

Vgl. Botschaft vom 29. Nov. 2006 über die Genehmigung des Fakultativprotokolls vom 6. Okt. 1999 zum Übereinkommen vom 18. Dez. 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (OP-CEDAW), BBl 2006 9787 9806.

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Die Bestimmung präzisiert weiter, dass Mitteilungen unzulässig sind, wenn damit die Verletzung anderer Rechte als der Garantien der Kinderrechtskonvention oder der Fakultativprotokolle geltend gemacht wird (Unvereinbarkeit ratione materiae mit den Bestimmungen des Übereinkommens).

Bst. d: Kumulationsverbot Buchstabe d bestimmt, dass eine Mitteilung unzulässig ist, wenn dieselbe Sache in einem anderen internationalen Untersuchungs- oder Streitbeilegungsverfahren geprüft worden ist oder geprüft wird. Diese Bestimmung verhindert Überschneidungen mit Beschwerderechten nach anderen Menschenrechtsübereinkommen.39 Der Begriff «international» umfasst neben Verfahren der Vereinten Nationen auch Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Bst. e: Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe Eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ist die Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe (Bst. e). Welche Rechtsbehelfe ergriffen werden müssen, wird im Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweiligen nationalen Rechtssystems und der konkreten Umstände geprüft. Dabei sind grundsätzlich alle administrativen und gerichtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, die eine begründete Chance auf Abhilfe bieten.

Ausnahmen vom Grundsatz der Ausschöpfung der internen Rechtsmittel werden gewährt, wenn das Verfahren bei Anwendung der Rechtsbehelfe unangemessen lange dauern oder keine wirksame Abhilfe erwarten lassen würde. Die diesbezügliche Praxis der UNO-Ausschüsse ist relativ streng. Insbesondere machen Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit innerstaatlicher Rechtsbehelfe die Pflicht zu deren Ausschöpfung nicht hinfällig.40 Die Dauer des Verfahrens gilt nicht als unangemessen lang, wenn ein Rechtsweg mit mehreren Instanzen vorgesehen ist, der sich allein aus diesem Grund über eine längere Zeitspanne erstreckt.41 Bst. f: Substantiierungspflicht Nach Buchstabe f sind Mitteilungen unzulässig, wenn sie offensichtlich unbegründet oder nicht hinreichend begründet sind. Damit sind einerseits Mitteilungen gemeint, in denen die behauptete Rechtsverletzung oder die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht genügend dargelegt werden. Andererseits deckt die Formulierung auch Mitteilungen ab, die offensichtlich keine Hinweise auf eine Verletzung der Konvention erkennen lassen.

Diese Zulässigkeitsvoraussetzung
wird insofern relativiert, als die Verfahrensordnung des Ausschusses die Möglichkeit vorsieht, bei den Urhebern einer Mitteilung oder ihren Vertretern ergänzende Angaben und Unterlagen einzuholen. Der Ausschuss kann dabei eine kindergerechte Sprache oder Kommunikationsform wählen, 39 40

41

Vgl. Art. 4 Abs. 2 Bst. a OP CEDAW, Art. 22 Abs. 5 Bst. a CAT.

Entscheidung des UNO-Ausschusses gegen Folter vom 2. Mai 1995, A.E. gegen die Schweiz, Nr. 24/1995, Erw. 3 f.; Manfred Nowak/Elisabeth McArthur, The United Nations Convention Against Torture, A Commentary, Oxford 2008, Rz. 99 zu Art. 22.

Entscheidung des UNO-Menschenrechtsausschusses vom 24. März 1987, S.H.B. gegen Kanada, Nr. 192/1985, Erw. 7.2.

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die dem Alter und der Reife des mutmasslichen Opfers einer Konventionsverletzung angemessen ist (Art. 15 der Verfahrensordnung).

Bst. g: Anwendbarkeit ratione temporis Buchstabe g regelt den zeitlichen Geltungsbereich des Protokolls. Mitteilungen sind nur dann zulässig, wenn sie sich auf Tatsachen beziehen, die nach dem Inkrafttreten des Protokolls für den betreffenden Vertragsstaat eingetreten sind oder nach diesem Zeitpunkt weiterbestehen. In der Praxis der UNO-Ausschüsse können jedoch ausnahmsweise die gesamten Umstände eines Falles geprüft werden, wenn sich die Auswirkungen des fraglichen Ereignisses bis in den Zeitraum erstrecken, in dem der Mitteilungsmechanismus Geltung erlangt hat.

Bst. h: Frist Buchstabe h sieht schliesslich vor, dass die Mitteilungen innerhalb eines Jahres nach der Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe eingereicht werden müssen.

Ausnahmen von diesem Grundsatz können gewährt werden, wenn der Verfasser nachweist, dass eine Einreichung innerhalb dieser Frist nicht möglich war. Nicht alle Mitteilungsverfahren vor UNO-Ausschüssen sind an eine Frist gebunden; analoge Regelungen finden sich jedoch in Artikel 14 des Internationalen Übereinkommens vom 21. Dezember 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, der eine Frist von 6 Monaten vorsieht, oder im Fakultativprotokoll zum UNO-Pakt I.

Die Ausnahmeregelung ist im Falle von Kindern von besonderer Bedeutung, da diese in jüngerem Alter teilweise nicht realisieren, dass ihre Rechte verletzt werden, und keine rechtlichen Schritte einlegen können.

Art. 8

Übermittlung der Mitteilung

Der Ausschuss kann eine Mitteilung von sich aus für unzulässig erklären, ohne sie dem Mitgliedstaat zu unterbreiten. Ist dies nicht der Fall, bringt er die Mitteilung dem Vertragsstaat so rasch als möglich zur Kenntnis. Die Identität des Verfassers der Mitteilung wird dem Vertragsstaat offengelegt. Ohne Zustimmung des Verfassers darf seine Identität jedoch weder Dritten mitgeteilt noch öffentlich bekannt gemacht werden (vgl. Art. 4 Abs. 2 des Protokolls).

Absatz 2 der Bestimmung sieht vor, dass der Vertragsstaat zur Zulässigkeit und zur Begründetheit der Mitteilung Stellung nimmt. Angesichts der besonderen Situation von Kindern, deren Entwicklung unter Umständen ein rasches Einschreiten verlangt und für die der Zeitablauf während des Verfahrens schwer fassbar sein kann, wurde in den Verhandlungen Wert darauf gelegt, dass die Stellungnahme der Staaten so rasch als möglich erfolgt. Gleichzeitig haben insbesondere Staaten mit einer föderalistischen Struktur darauf hingewiesen, dass die Ausarbeitung einer fundierten Stellungnahme, bei der regelmässig verschiedene Behörden und Instanzen beigezogen werden, einige Zeit in Anspruch nimmt. Als Kompromiss wurde festgehalten, dass die Staaten ihre Antwort «so bald wie möglich innerhalb von sechs Monaten» übermitteln. Sind die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllt, ist dies vom Staat innerhalb von zwei Monaten geltend zu machen.42 42

234

Art. 18 Abs. 5 der Verfahrensordnung des Ausschusses.

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Art. 9

Gütliche Einigung

Gemäss Artikel 9 des Fakultativprotokolls stellt der Ausschuss den Parteien seine guten Dienste zur Verfügung, um in der Sache eine gütliche Einigung herbeizuführen. Die Einigung muss auf der Grundlage der Bestimmungen des Übereinkommens und der beiden Fakultativprotokolle erfolgen. Verhandlungen im Hinblick auf eine gütliche Einigung werden nur mit der Zustimmung der Parteien geführt.43 Angaben und Eingeständnisse, die im Zusammenhang mit einer gütlichen Einigung gemacht werden, dürfen im Verfahren betreffend die Zulässigkeit und die Begründetheit der Mitteilung nicht gegen die andere Partei verwendet werden.44 Gemäss Absatz 2 der Bestimmung wird die Prüfung der Mitteilung bei Zustandekommen einer gütlichen Einigung eingestellt. Der Ausschuss kann den Vertragsstaat auffordern, ihm über die Anwendung der Vereinbarung Auskunft zu erteilen (Art. 11 Abs. 2 des Protokolls).

Art. 10

Prüfung der Mitteilungen

Abs. 1: Verfahren Angesichts der besonderen Bedeutung des Beschleunigungsgebots bei Verfahren, welche Kinder betreffen, sieht Artikel 10 Absatz 1 vor, dass die Prüfung der Mitteilungen so schnell wie möglich erfolgt.

Bei der Prüfung berücksichtigt der Ausschuss alle Unterlagen, die ihm unterbreitet werden. Er kann von sich aus bei den Parteien, bei anderen Stellen der UNO sowie bei weiteren Organisationen zusätzliche Informationen einholen.45 Auf Veranlassung des Ausschusses oder auf Antrag einer Partei können unabhängige Expertinnen und Experten beigezogen werden.46 Damit wird gewährleistet, dass die Entscheidungsfindung auf einer möglichst breiten Grundlage erfolgt. Zur Wahrung der Waffengleichheit als Teilgehalt eines fairen Verfahrens werden sämtliche Prüfungsgrundlagen den beteiligten Parteien zugeleitet.

Sofern es der Wahrung des Kindeswohls dient, kann der Ausschuss die mutmasslichen Opfer einer Verletzung oder ihre Vertreter mündlich oder per Videoübertragung anhören. In der Regel ist der Staat bei der Anhörung nicht vertreten.47 Abs. 2: Beratungen Die Beratungen des Ausschusses sind nicht öffentlich.

Abs. 3: Beschleunigungsgebot bei vorsorglichen Massnahmen Hat der Ausschuss um vorsorgliche Massnahmen ersucht, wird das Verfahren beschleunigt durchgeführt.

43 44 45 46 47

Art. 25 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Ausschusses.

Art. 25 Abs. 4 der Verfahrensordnung des Ausschusses.

Art. 18 Abs. 9 und 23 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Ausschusses.

Art. 10 der Verfahrensordnung des Ausschusses.

Art. 19 der Verfahrensordnung des Ausschusses.

235

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Abs. 4: Prüfung von Mitteilungen betreffend wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Absatz 4 behandelt die Prüfung von Mitteilungen betreffend wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Mit dieser Regelung soll der Gestaltungsspielraum der Vertragsstaaten bei der Umsetzung der WSK-Rechte des Übereinkommens gewahrt werden.48 Abs. 5: Auffassungen des Ausschusses Gemäss Absatz 5 übermittelt der Ausschuss nach der Prüfung einer Mitteilung dem Vertragsstaat umgehend seine Auffassungen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob eine Verletzung des Übereinkommens oder der Fakultativprotokolle vorliegt oder nicht. Mit seinen Auffassungen kann der Ausschuss dem Staat Empfehlungen abgeben.

Entsprechend der Praxis anderer UNO-Ausschüsse können die Empfehlungen individuelle Massnahmen zur Wiedergutmachung der festgestellten Rechtsverletzung beinhalten, etwa die Ausrichtung einer Entschädigung. Der Ausschuss kann aber auch allgemeine Empfehlungen abgeben, damit sich die festgestellte Rechtsverletzung nicht widerholt. Diese können neben der Änderung von Gesetzesbestimmungen auch Massnahmen wie zum Beispiel die Ausbildung der ausführenden Organe oder Öffentlichkeitsarbeit betreffen.

Im Gegensatz zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind die Auffassungen der UNO-Ausschüsse betreffend Verletzungen der Menschenrechtsübereinkommen rechtlich nicht verbindlich. Da es sich um Feststellungen handelt, die von einem für den Zweck der Vertragsauslegung in Einzelfällen eingesetzten unabhängigen Organ getroffen wurden, kommt ihnen jedoch grosses Gewicht zu.49 Den Auffassungen des Ausschusses können Minderheitsmeinungen einzelner Mitglieder hinzugefügt werden.

Art. 11

Folgemassnahmen

Artikel 11 Absatz 1 des Fakultativprotokolls bestimmt, dass der Vertragsstaat die Auffassungen und Empfehlungen des Ausschusses gebührend in Erwägung ziehen und dem Ausschuss so rasch als möglich, spätestens jedoch nach sechs Monaten eine schriftliche Antwort übermitteln soll. In dieser Antwort werden alle Massnahmen beschrieben, die infolge der Auffassungen und Empfehlungen getroffen oder vorgesehen wurden. Kommt der Staat nicht allen Empfehlungen nach, sind die Gründe dafür anzugeben.

Die Umsetzung von Massnahmen dauert regelmässig länger als 6 Monate, insbesondere wenn es sich um allgemeine Massnahmen wie Gesetzesänderungen handelt.

Artikel 11 Absatz 2 des Protokolls ermöglicht deshalb die Fortsetzung des Dialogs zwischen dem Ausschuss und dem Vertragsstaat. Der Ausschuss kann den Staat 48 49

236

Vgl. hiervor Ziff. 2.1.

Vgl. Allgemeine Bemerkung Nr. 33 des Menschenrechtsausschusses zu den Verpflichtungen der Vertragsstaaten des Fakultativprotokolls zum UNO-Pakt II, Ziff. 11 und 13.

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insbesondere auffordern, weitere Angaben über die Umsetzung der Auffassungen und Empfehlungen zu machen. Wenn es der Ausschuss als geeignet erachtet, kann der Dialog auch im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens weitergeführt werden.

Art. 12

Zwischenstaatliche Mitteilungen

Gemäss Artikel 12 des Protokolls kann ein Vertragsstaat beim Ausschuss geltend machen, ein anderer Vertragsstaat komme seinen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen oder seinen Fakultativprotokollen nicht nach. Diese Bestimmung ist nur anwendbar, sofern die beteiligten Staaten die Zuständigkeit des Ausschusses zur Prüfung zwischenstaatlicher Mitteilungen in einer ausdrücklichen Erklärung anerkannt haben (sog. «Opt in»-Mechanismus). In den Verhandlungen war der Nutzen der Bestimmung umstritten, weil das Verfahren, das auch in Bezug auf andere UNO-Menschenrechtsübereinkommen vorgesehen ist, bislang noch nie genutzt wurde.

Absatz 3 der Bestimmung sieht vor, dass der Ausschuss den beteiligten Staaten seine guten Dienste zur Verfügung stellt, um eine gütliche Einigung herbeizuführen.

Gemäss Artikel 12 Absatz 4 des Protokolls kann die Anerkennung des zwischenstaatlichen Mitteilungsverfahrens jederzeit zurückgezogen werden. Auf hängige Verfahren wirkt sich der Rückzug nicht aus.

Es erscheint opportun, dass die Schweiz das zwischenstaatliche Mitteilungsverfahren anlässlich des Beitritts anerkennt. Bislang haben Albanien, Belgien, Chile, Deutschland, Portugal, und die Slowakei eine Erklärung in diesem Sinn abgegeben.50 Mit einer solchen Erklärung kann die Schweiz ihr Engagement im Sinn des Fakultativprotokolls verstärken. Zudem ist nicht zu erwarten, dass damit praktische Konsequenzen verbunden wären. In Artikel 1 Absatz 3 des mit dieser Botschaft beantragten Bundesbeschlusses ist deshalb vorgesehen, dass der Bundesrat beauftragt wird, anlässlich des Beitritts zum Protokoll diese Erklärung abzugeben.

Art. 13 und 14

Untersuchungsverfahren

Der Ausschuss kann in Anwendung von Artikel 13 des Protokolls Fälle von schwerwiegenden oder systematischen Verletzungen der Garantien des Übereinkommens oder der dazugehörigen Fakultativprotokolle von sich aus prüfen, ohne dass ihm eine Mitteilung unterbreitet wird. Als schwerwiegende Verletzungen gelten in erster Linie die Bedrohung des Lebens, der körperlichen oder geistigen Integrität oder der Sicherheit einer Person. Bei systematischen Verletzungen, die auch unter dieser Schwelle liegen können, wird es sich insbesondere um weit verbreitete oder zielgerichtete Praktiken handeln.

Liegen glaubhafte Hinweise auf schwerwiegende oder systematische Verletzungen vor, wird der Vertragsstaat zunächst eingeladen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Aufgrund dieser Stellungnahme entscheidet der Ausschuss, ob eine vertief50

Die folgenden Staaten haben das Protokoll ratifiziert, ohne das zwischenstaatliche Mitteilungsverfahren anzuerkennen: Andorra, Argentinien Bolivien, Costa Rica, Dänemark El Salvador, Gabun, Irland, Monaco, Montenegro, Spanien, Thailand und Uruguay (Stand 26. Okt. 2015).

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te Untersuchung durchgeführt wird. Im Rahmen der Untersuchung kann der Ausschuss beim Vertragsstaat, bei relevanten Organisationen und bei Einzelpersonen weitere Informationen einholen. Das Untersuchungsverfahren wird vertraulich durchgeführt. Mit der Zustimmung des Vertragsstaats kann ein Besuch vor Ort durchgeführt werden. Die Mitwirkung des Vertragsstaates wird während des gesamten Verfahrens angestrebt (Art. 13 Abs. 1­3).

Nach dem Abschluss des Verfahrens übermittelt der Ausschuss dem Vertragsstaat die Ergebnisse der Untersuchung zusammen mit seinen Bemerkungen und Empfehlungen. Der Vertragsstaat nimmt so rasch als möglich zu den Ergebnissen und Empfehlungen Stellung; die Stellungnahme hat innerhalb von sechs Monaten zu erfolgen. Der Ausschuss kann eine Zusammenfassung der Ergebnisse in seinen zweijährigen Bericht an die Generalversammlung aufnehmen.51 Der betroffene Vertragsstaat wird dazu vorgängig konsultiert (Art. 13 Abs. 4­6).

Wie beim Mitteilungsverfahren hat der Ausschuss auch beim Untersuchungsverfahren die Möglichkeit, den Dialog mit dem Vertragsstaat nach dessen Stellungnahme zu den Ergebnissen der Untersuchung fortzuführen. Der Ausschuss kann beim Vertragsstaat zusätzliche Angaben über die Massnahmen, die der Staat im Anschluss an die Untersuchung getroffen hat, einholen. Soweit er es als geeignet erachtet, können diese zusätzlichen Angaben auch im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens gemacht werden (Art. 14).

Für das Untersuchungsverfahren sieht das Protokoll einen «Opt out»-Mechanismus vor: Im Zeitpunkt der Unterzeichnung oder der Ratifikation bzw. des Beitritts zum Fakultativprotokoll kann der Vertragsstaat erklären, dass er die entsprechende Zuständigkeit des Ausschusses nicht anerkennt. Diese Erklärung kann für die Rechte des Übereinkommens und der beiden ersten Fakultativprotokolle abgegeben werden oder nur für einzelne dieser Instrumente. Der Vertragsstaat kann die Erklärung jederzeit zurückziehen (Art. 13 Abs. 7 und 8).

Das Untersuchungsverfahren stellt eine wichtige Ergänzung des Mitteilungsverfahrens dar. Es ermöglicht es dem Ausschuss, auch ohne Vorliegen einer Mitteilung gegen schwerwiegende und systematische Verletzungen der Garantien des Übereinkommens vorzugehen. Gerade in solchen Fällen kann es schwierig sein, eine Mitteilung einzubringen. Dies ist bei Kindern in
besonderem Masse der Fall, da sie ohnehin oft nicht in der Lage sind, ihre Rechte selbstständig geltend zu machen. Dem Untersuchungsverfahren kommt zudem eine gewisse Präventionsfunktion zu. Allein die Möglichkeit einer unabhängigen Untersuchung kann den Staat womöglich dazu anhalten, die Garantien des Übereinkommens verstärkt zu beachten.

Es erscheint nicht opportun, anlässlich des Beitritts zum Protokoll zu erklären, dass die Schweiz das Verfahren nicht anerkennt. Das Protokoll wurde bisher von neunzehn Staaten ratifiziert; lediglich einer dieser Staaten (Monaco) hat eine entsprechende Erklärung abgegeben.52 Die Anerkennung des Verfahrens entspricht zudem der Haltung der Schweiz in Bezug auf andere Untersuchungsverfahren.

51 52

238

Vgl. Art. 16 des Protokolls, der auf Art. 44 Abs. 5 des Übereinkommens verweist.

Stand 26. Okt. 2015.

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Art. 15

Internationale Unterstützung und Zusammenarbeit

Der Ausschuss kann seine Auffassungen, Empfehlungen und weitere zweckdienliche Informationen aus den Verfahren nach dem vorliegenden Protokoll mit Zustimmung des betreffenden Vertragsstaats Sonderorganisationen, Fonds und Programmen der Vereinten Nationen sowie anderen zuständigen Stellen übermitteln.

Diese Bestimmung ist Artikel 14 des Fakultativprotokolls zum UNO-Pakt I nachgebildet.

Art. 16

Bericht an die Generalversammlung

Artikel 16 betrifft die Berichtspflichten des Ausschusses. Nach Artikel 44 Absatz 5 der Kinderrechtskonvention legt der Ausschuss der UNO-Generalversammlung über den Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) alle zwei Jahre einen Bericht über seine Tätigkeiten vor. Gemäss Artikel 16 des Fakultativprotokolls soll dieser Bericht auch eine Zusammenfassung der Tätigkeiten des Ausschusses nach diesem Protokoll enthalten.

Art. 17

Verbreitung des Fakultativprotokolls und Informationen über das Fakultativprotokoll

Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragsstaaten, Informationen über das Fakultativprotokoll und die Praxis des Ausschusses bekannt zu machen und zu verbreiten.

Die Informationen sollen auch Kindern, einschliesslich solchen mit Behinderungen, zugänglich gemacht werden. Artikel 17 des Fakultativprotokolls ist Artikel 42 der Kinderrechtskonvention nachgebildet.

In der Schweiz sind alle Ebenen des föderalen Staats an der Bekanntmachung der Kinderrechtskonvention und der dazugehörigen Fakultativprotokolle beteiligt. Der Internetauftritt des Bundes53 informiert über sämtliche für die Schweiz geltenden Menschenrechtsübereinkommen in den drei Amtssprachen des Bundes, und die Website des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten54 enthält die jeweils jüngsten Staatenberichte der Schweiz und die dazugehörigen abschliessenden Bemerkungen und Empfehlungen der Ausschüsse sowie weiterführende Links. Weiter verfügt das Bundesamt für Sozialversicherungen über einen Kredit Kinderrechte (ca. 190 000 CHF / Jahr), mit dem Projekte und regelmässige Aktivitäten von Partnerorganisationen zur Koordination der Umsetzung der Konvention oder zur Bekanntmachung ihrer Grundsätze unterstützt werden. Dieser Kredit wurde bislang zur Hälfte im Sinne von Artikel 42 des Übereinkommens verwendet, und er kann zukünftig ebenfalls für die Umsetzung von Artikel 17 des Fakultativprotokolls eingesetzt werden. Auf der Ebene der Kantone und der Gemeinden sind primär die Schulen mit der Bekanntmachung der Rechte der Kinder und der dazugehörigen Verfahren betraut.

53 54

www.admin.ch > Bundesrecht www.eda.admin.ch > Aussenpolitik > Internationale Organisationen > Vereinte Nationen > Die Uno und die Menschenrechte > Staatenberichte

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Art. 18­24

Vertragstechnische Bestimmungen

Die Artikel 18­24 weisen vertragstechnischen Charakter auf. Unterzeichnung, Ratifikation und Betritt (Art. 18), Inkrafttreten (Art. 19), zeitlicher Geltungsbereich (Art. 20), Änderungen (Art. 21) und Kündigung (Art. 22) des Protokolls sind nach dem Vorbild anderer Übereinkommen geregelt. Für die Schweiz würde das Fakultativprotokoll drei Monate nach der Hinterlegung der Beitrittsurkunde in Kraft treten. Artikel 23 betrifft die Unterrichtungspflichten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in seiner Rolle als Depositar des Protokolls. Artikel 24 regelt die Hinterlegung des Fakultativprotokolls im Archiv der Vereinten Nationen sowie die Übermittlung von beglaubigten Abschriften des Fakultativprotokolls an die Vertragsstaaten.

Während der Verhandlungen war umstritten, ob das Protokoll eine Klausel zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Vorbehalten beinhalten sollte. Auf eine solche Regelung wurde schliesslich verzichtet. Damit gilt Artikel 19 Buchstabe c des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge, wonach Vorbehalte angebracht werden dürfen, wenn sie mit dem Ziel und Zweck des Vertrags vereinbar sind. Vorbehalte, mit denen einzelne Garantien vom Anwendungsbereich des Protokolls ausgenommen werden, sind nicht zulässig.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Das Fakultativprotokoll ist ausschliesslich prozeduraler Natur und enthält keine materiellen Rechtsbestimmungen. Es ist davon auszugehen, dass ein Beitritt keine direkten finanziellen Auswirkungen haben wird. Inwiefern mit der Umsetzung der Auffassungen und Empfehlungen des Ausschusses finanzielle Auswirkungen verbunden sein können, lässt sich nicht im Voraus abschätzen. In diesem Zusammenhang ist jedoch daran zu erinnern, dass der Spielraum der Vertragsstaaten bei der Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des Übereinkommens gewahrt bleibt (vgl. Ziff. 2.1.3).

3.1.2

Personelle Auswirkungen

Das Bundesamt für Justiz (BJ) vertritt die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie in allen Mitteilungsverfahren vor UNO-Ausschüssen, denen die Schweiz bisher beigetreten ist (CAT, CERD, CEDAW). Es ist somit naheliegend, das BJ auch mit der Vertretung vor dem Ausschuss für die Rechte des Kindes zu beauftragen. Diese Lösung dient einerseits der Effizienz, und andererseits kann damit eine kohärente Haltung der Schweiz in diesen Verfahren gewährleistet werden. Zudem können Fälle, in denen sich der Verfasser einer Mitteilung gleichzeitig an mehrere internationale Kontrollorgane wendet, mit einer einheitlichen Vertretung einfacher erkannt werden.

240

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Prognosen über die zu erwartende Anzahl Mitteilungen sind kaum möglich. Während der Schweiz vom Ausschuss gegen Folter seit dem Beitritt zum CAT am 2. Dezember 1986 172 Mitteilungen zugestellt wurden, fällt die Zahl der vom Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und vom Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau zugestellten Mitteilungen bislang kaum ins Gewicht (2 bzw. 1 Mitteilung)55. Sollte sich die Zahl der Mitteilungen nach dem vorliegenden Protokoll in vergleichbar kleinem Rahmen bewegen, könnte die Vertretung der Schweiz im Rahmen der bestehenden personellen Ressourcen gewährleistet werden.

3.1.3

Andere Auswirkungen

Beim individuellen Mitteilungsverfahren handelt es sich nicht um ein Gerichtsverfahren, und die Auffassungen des Ausschusses sind rechtlich nicht verbindlich.

Erkennt der Ausschuss eine Verletzung des Übereinkommens und formuliert er in diesem Zusammenhang Empfehlungen an die Schweiz, ist diese somit nicht verpflichtet, entsprechende Massnahmen zu ergreifen.

In seiner bisherigen Praxis hat der Bundesrat allerdings die Auffassungen von UNOVertragsorganen stets umgesetzt. Dabei handelte es sich ausschliesslich um Auffassungen des Ausschusses zur Verhütung von Folter betreffend die Ausweisung von ausländischen Staatsangehörigen, die im Zielstaat einem konkreten Risiko von Misshandlungen ausgesetzt gewesen wären. Den Verfassern der Mitteilungen wurde ein Aufenthaltstitel gewährt, und die Erwägungen des Ausschusses wurden in der späteren Praxis der schweizerischen Behörden berücksichtigt.

Anders verhält es sich mit den Empfehlungen, die im Rahmen der Mitteilungsverfahren formuliert werden können. Solche Empfehlungen hat die Schweiz bislang erst einmal vom Ausschuss gegen Rassendiskriminierung erhalten.56 Ihre Verbindlichkeit wird gleich eingeschätzt wie diejenige der Empfehlungen im Staatenberichtsverfahren. Dies bedeutet, dass sie nicht umgesetzt werden, wenn sie nicht sachgerecht oder praktikabel erscheinen oder wenn ihr Ziel nach Auffassung der Schweiz durch andere Massnahmen besser erreicht werden kann. Die Gründe dafür werden dem Ausschuss erläutert.

Nach dem Gesagten ist es nicht ausgeschlossen, dass sich Auffassungen und Empfehlungen des Ausschusses auf die schweizerische Rechtsordnung und Behördenpraxis auswirken könnten. Der Bundesrat geht jedoch davon aus, dass die Anzahl

55 56

Stand jeweils 26. Okt. 2015; siehe auch Anmerkung zu Ziff. 3.1.3.

Vgl. Auffassungen vom 18. Febr. 2014 in der Sache 50/2012, A.M.M. gegen die Schweiz.

In diesem Verfahren hat der Ausschuss verschiedene Empfehlungen formuliert, obwohl er auf die Mitteilung wegen Unvereinbarkeit ratione materiae mit den Bestimmungen des Übereinkommens nicht eingetreten ist.

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solcher Fälle gering sein wird. Diese Einschätzung wird durch die Erfahrungen der Schweiz mit anderen Mitteilungsverfahren bestätigt.57

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf die Volkswirtschaft

Für die Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf die Volkswirtschaft gelten sinngemäss die Ausführungen unter den Ziffern 3.1.1 und 3.1.3.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 25. Januar 201258 zur Legislaturplanung 2011­2015 noch im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201259 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt.

Mit der Unterbreitung der Vorlage wird der Annahme der Motion 12.3623 Amherd «Ratifizierung des dritten Fakultativprotokolls zur UNO-Kinderrechtskonvention» Folge gegeben.

In den Zielen des Bundesrates für 2015 wurde festgehalten, dass der Bund sein Engagement im Bereich Menschenrechte, Friedenspolitik und gute Dienste verstärkt und im Rahmen dieser Zielsetzung einen besonderen Fokus auf die Rechte der Kinder legt und die Botschaft zum Fakultativprotokoll verabschiedet.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung60 (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für 57

58 59 60

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Seit dem Beitritt zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung im Jahr 1994 wurden bislang zwei Mitteilungen betreffend dieses Übereinkommen gegen die Schweiz eingereicht. Das Mitteilungsverfahren zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau, welches die Schweiz im Jahr 2008 anerkannt hat, wurde bislang ein Mal gegen die Schweiz angewendet. Anders verhält es sich einzig mit dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, das im Rahmen des Asylrechts eine gewisse Bedeutung erlangt hat. Dieses Übereinkommen ist für die Schweiz im Jahr 1987 in Kraft getreten. Seit diesem Zeitpunkt wurden insgesamt 172 Mitteilungen gegen die Schweiz eingereicht. Von diesen Fällen gaben jedoch nur 17 Anlass zur Feststellung einer Konventionsverletzung (Stand 26. Okt. 2015).

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die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dez. 200261, ParlG; Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199762).

5.2

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Das Fakultativprotokoll verleiht Einzelpersonen das Recht, gegen die Schweiz beim Ausschuss für die Rechte des Kindes eine Mitteilung betreffend die Verletzung der Garantien dieses Übereinkommens einzureichen. Die Schweiz ist zwar nicht an die Auffassungen und Empfehlungen des Ausschusses gebunden, die Behörden haben jedoch im individuellen und im zwischenstaatlichen Mitteilungsverfahren sowie im Untersuchungsverfahren gewisse verbindliche Mitwirkungspflichten. Das Fakultativprotokoll enthält somit wichtige rechtsetzende Bestimmungen.

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

61 62

SR 171.10 SR 172.010

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