11.449 Parlamentarische Initiative Publikation von Erwachsenenschutzmassnahmen Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 26. Februar 2016

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Zivilgesetzbuches. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

26. Februar 2016

Im Namen der Kommission Der Präsident: Jean Christophe Schwaab

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Übersicht Seit Inkrafttreten des neuen Erwachsenenschutzrechts am 1. Januar 2013 werden die Schutzmassnahmen, welche die Handlungsfähigkeit der betroffenen Personen einschränken, nicht mehr in den kantonalen Amtsblättern veröffentlicht. Um Auskunft über das Bestehen einer Massnahme zu erhalten, müssen sich Dritte fortan im Einzelfall und unter Glaubhaftmachung eines Interesses an die zuständige Erwachsenenschutzbehörde wenden. Vor dem Hintergrund einer mit der Publikation drohenden Gefahr der Stigmatisierung der betroffenen Person ist dieser Systemwechsel zu begrüssen. Allerdings erachtet die Kommission den Zugang Dritter zu den für einen Vertragsschluss relevanten Angaben über die Handlungsfähigkeit einer Person unter geltendem Recht als übermässig restriktiv. Sie schlägt daher vor, das geltende Recht, wonach Auskünfte über Erwachsenenschutzmassnahmen von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zu verlangen sind, zu ergänzen und in Artikel 451 des Zivilgesetzbuchs zu präzisieren, dass der Bundesrat für eine einfache, rasche und einheitliche Erteilung der entsprechenden Auskünfte sorgt und dafür eine Verordnung erlässt. Damit wird verbindlich geregelt, wer unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Frist Auskünfte erhalten kann. Eine Minderheit der Kommission beantragt, die Anordnung einer Massnahme dem Betreibungsamt mitzuteilen, damit dieses Dritte auf Gesuch hin über die Massnahme informieren kann.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Parlamentarische Initiative

Am 16. Juni 2011 reichte Nationalrat Rudolf Joder eine parlamentarische Initiative ein, mit der er verlangte, dass Erwachsenenschutzmassnahmen im Betreibungsregister einzutragen seien; das Betreibungsamt habe Dritte bei der Einholung eines Betreibungsregisterauszuges über eine allfällige Massnahme informieren.

Am 31. August 2012 prüfte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (hiernach: die Kommission) die Initiative vor und beschloss mit 18 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen, ihr gemäss Artikel 109 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes1 Folge zu geben. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates stimmte diesem Beschluss am 22. Oktober 2012 mit 10 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu (Art. 109 Abs. 3 ParlG).

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission befasste sich an zwei Sitzungen im Jahr 2013 mit der Umsetzung der parlamentarischen Initiative. Am 25. Oktober 2013 verabschiedete sie mit 17 zu 0 Stimmen bei 7 Enthaltungen einen Vorentwurf. Dieser wurde vom 13. Dezember 2013 bis zum 31. März 2014 in die Vernehmlassung gegeben, von deren Ergebnissen die Kommission am 14. November 2014 Kenntnis nahm. Angesichts dieser Ergebnisse2 beantragte sie ihrem Rat mit 13 zu 10 Stimmen, die parlamentarische Initiative abzuschreiben; eine Minderheit beantragte, sie nicht abzuschreiben. Am 20. März 2015 sprach sich der Nationalrat mit 108 zu 84 Stimmen gegen die Abschreibung der Initiative aus und verlängerte die Frist der Kommission für die Ausarbeitung einer Vorlage bis zur Wintersession 2015. Die Kommission nahm ihre Arbeit wieder auf und verabschiedete am 12. November 2015 den beiliegenden Erlassentwurf mit 17 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung. Am 26. Februar 2016 verabschiedete sie den vorliegenden erläuternden Bericht und überwies ihren Entwurf dem Bundesrat zur Stellungnahme (Art. 112 Abs. 3 ParlG).

Die Kommission wurde bei ihrer Arbeit gemäss Artikel 112 Absatz 1 ParlG vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

1 2

Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13. Dezember 2002 (ParlG); SR 171.10.

Der Bericht kann unter folgendem Link abgerufen werden: www.parlament.ch/d/ dokumentation/berichte/vernehmlassungen/11-449/Seiten/default.aspx.

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2

Allgemeine Erwägungen

2.1

Ausgangslage

Eine Massnahme des Erwachsenenschutzes, mit welcher die Handlungsfähigkeit einer Person beschränkt wird, kann Dritten entgegengehalten werden, auch wenn diese gutgläubig sind (Art. 452 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches3). Aus diesem Grund sah das alte Vormundschaftsrecht vor, dass Bevormundungen in den kantonalen Amtsblättern am Wohnsitz und am Heimatort der betroffenen Person zu publizieren sind (Art. 375 ZGB in der Fassung vor dem 1. Januar 2013). Das neue Erwachsenenschutzrecht, welches am 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist4, statuiert dagegen eine Verschwiegenheitspflicht der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) und verbietet somit eine solche Veröffentlichung (Art. 451 Abs. 1 ZGB).

Gemäss Artikel 451 Absatz 2 ZGB erteilt die KESB Auskunft über das Vorliegen und die Wirkungen einer Massnahme, sofern der Gesuchsteller ein entsprechendes Interesse glaubhaft macht. Der Arbeitsausschuss der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) hat im Mai 2012 Empfehlungen zur «Auskunft über das Vorliegen und die Wirkungen einer Massnahme des Erwachsenenschutzes (nArt. 451 Abs. 1 ZGB)» verabschiedet5. Darin werden ­ allerdings unverbindlich ­ Empfehlungen an die kantonalen KESB erteilt, wie mit Auskunftsgesuchen nach Artikel 451 Absatz 2 ZGB umzugehen ist. Es werden die Anforderungen an das Gesuch sowie die Art und Weise der Auskunftserteilung durch die KESB umschrieben. Empfohlen wird, die Auskunft spätestens innert zwei Arbeitstagen schriftlich zu erteilen. Keine Empfehlung besteht in Bezug auf die Höhe der für die Auskunft zu entrichtenden Gebühren.

2.2

Problematik des geltenden Rechts

Bei der Frage, ob und inwiefern Massnahmen des Erwachsenenschutzes Dritten bekanntgegeben werden, muss zwischen dem Interesse der von erwachsenenschutzrechtlichen Massnahmen betroffenen Personen am Schutz ihrer persönlichkeitsrelevanten Daten (Art. 13 Abs. 2 der Bundesverfassung6) und dem Interesse Dritter an Kenntnis dieser Daten abgewogen werden. Dritte haben insbesondere deshalb ein Interesse daran, sich über solche Massnahmen informieren zu können, weil Rechtsgeschäfte, die durch eine handlungsunfähige Person abgeschlossen werden, uneingeschränkt nichtig sind und auch der gute Glaube der Vertragsgegenseite in die Handlungsfähigkeit ihrer Vertragspartnerin nicht geschützt wird (Art. 452 Abs. 1 ZGB).

Mit der Publikation der erwachsenenschutzrechtlichen Massnahmen in den Amtsblättern wurde dieses Interesse Dritter unter dem alten Recht stärker gewichtet als jenes der betroffenen Person. Das neue Erwachsenenschutzrecht stellt demgegenüber den Schutz der betroffenen Person und die Vermeidung ihrer Stigmatisierung ins Zentrum. Aus diesem Grund wurde auf die aktive Veröffentlichung der Mass3 4 5 6

Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB); SR 210.

AS 2011 725 Die Empfehlungen sind publiziert in ZKE 4/2012, 278 ff.

Bundesverfassung (BV); SR 101.

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nahmen verzichtet7. Zu beachten ist dabei insbesondere, dass unter dem alten Recht die in den Amtsblättern publizierten Massnahmen von privaten Auskunfteien und der Informationsstelle für Konsumkredit (IKO) systematisch in Datenbanken aufgenommen wurden. Auf diese Weise konnten diese Daten anlässlich eines bevorstehenden Vertragsschlusses von den potenziellen Vertragspartnern zusammen mit anderen Informationen über die Bonität einer Vertragspartei ohne grossen Aufwand abgerufen werden. Insofern bestand in der Praxis die Möglichkeit, sich auf relativ einfache Weise Kenntnis über das Vorliegen einer Massnahme zu verschaffen. Unter geltendem Recht muss man im konkreten Einzelfall unter Glaubhaftmachung eines Interesses bei der zuständigen KESB Auskunft über das Vorliegen einer Massnahme verlangen. Dies ist mit administrativem Aufwand, Zeitverlust und allenfalls auch Gebühren zu Lasten der anfragenden Person verbunden, was dazu führt, dass in der Praxis in der Regel auf eine solche Anfrage verzichtet wird. Damit ist die Gefahr, dass ungültige Verträge abgeschlossen werden, seit dem Inkrafttreten des neuen Rechts gestiegen.

2.3

Vorentwurf vom 25. Oktober 2013

2.3.1

Grundzüge der Vorlage

In ihrem Vorentwurf vom 25. Oktober 20138 arbeitete die Kommission die vom Initianten skizzierte Lösung aus. Sie schlug vor, dass die Information über das Bestehen einer Massnahme dem Betreibungsamt mitgeteilt und so für Dritte aus dem Betreibungsregisterauszug ersichtlich gemacht werden sollten. Artikel 449c VE-ZGB konkretisierte den Grundsatz, nach dem überwiegende Interessen die Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht rechtfertigen können (Art. 451 Abs. 1 ZGB). Der Artikel enthielt eine Auflistung der Behörden, die die KESB über die Anordnung einer bestimmten Massnahme informieren muss. Dies erfolgt in Erweiterung des geltenden Rechts, das in Artikel 449c ZGB lediglich eine Bekanntgabe an die Zivilstandsämter vorsieht. Damit die betroffene Behörde stets über aktuelle Daten verfügt, ist es unentbehrlich, dass die KESB ihr neben der Errichtung so schnell wie möglich auch allfällige Änderungen und Aufhebungen der Massnahme mitteilt.

Die Kommission hatte betont, dass der Betreibungsregisterauszug nur die Information enthalten sollte, ob die betroffene Person handlungsfähig oder ob ihr die Handlungsfähigkeit vollständig oder teilweise entzogen worden sei. Aus Datenschutzgründen sollte der Auszug keine weiteren Auskünfte enthalten (Art. 8a Abs. 3bis VE-SchKG).

7

8

Vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht), BBl 2006 7001, 7018 f. (Botschaft Erwachsenenschutz).

Kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.parlament.ch/d/ dokumentation/berichte/vernehmlassungen/11-449/Seiten/default.aspx.

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2.3.2

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

In der Vernehmlassung haben 25 Kantone, vier politische Parteien und 22 Organisationen Stellung zum Vorentwurf genommen.

Die Möglichkeit, auf dem Weg der Betreibungsauskunft gleichzeitig auch Auskunft über das Vorliegen einer Massnahme des Erwachsenenschutzrechts zu erhalten, wurde dabei mehrheitlich abgelehnt. So befürworten diese Vorlage nur gerade fünf Kantone9, während 18 Kantone10 sie als unnötig, untauglich, zu aufwendig oder zu kompliziert erachten. Drei politische Parteien (CVP, FDP und SVP) befanden sie hingegen für gut, während sie nur eine (SP) ablehnte. Von den befragten Organisationen sprachen sich elf für und sechs gegen die Vorlage aus.

Die Gegner der Vorlage brachten insbesondere folgende Einwände vor: 1.

Die Weitergabe von Informationen über Massnahmen des Erwachsenenschutzrechts sei für die Betreibungsämter eine sachfremde Aufgabe.

2.

Private Auskunfteien könnten so zu sensiblen Informationen über Privatpersonen kommen, und es sei nicht gewährleistet, dass auch spätere Änderungen nachvollzogen würden. Dadurch würden die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen erheblich beeinträchtigt. Dieser Eingriff sei durch die auf dem Spiel stehenden Interessen nicht gerechtfertigt. Auch stehe die Vorlage im Widerspruch zum Ziel der Revision des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts, die Stigmatisierung zu verhindern.

3.

Die heutige Möglichkeit, Auskunft über bestehende Massnahmen zu verlangen (Art. 451 Abs. 2 ZGB), reiche aus.

4.

Bei einem Umzug der betroffenen Person bestehe die Gefahr, dass unrichtige Auskünfte erteilt würden.

5.

Die Umsetzung der Revision hätte einen erheblichen Mehraufwand für die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden und die Betreibungsämter zur Folge.

Die übrige Ergänzung von Artikel 449c ZGB wurde grundsätzlich begrüsst, wobei aber diverse kleinere Verbesserungsvorschläge vor allem technischer Natur angebracht wurden.

2.3.3

Überarbeitung des Vorentwurfs

Aufgrund der Rückweisung der Abschreibung durch den Nationalrat kam eine Abschreibung der Initiative für die Kommission nicht mehr in Betracht. Aber auch die vom Vorentwurf vorgeschlagene Aufnahme der Massnahmen in die Betreibungsauskunft stellt für die Mehrheit der Kommission aufgrund der negativen Rückmeldungen in der Vernehmlassung keine angemessene Lösung dar.

9 10

AI, AR, TG, UR, VS.

AG, BE, BL, BS, FR, GE, GL, GR, LU, NE, NW, SG, SH, SZ, TI, VD, ZG, ZH.

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In der Vernehmlassung hatten verschiedene Teilnehmer festgehalten, es brauche keine weitere Regelung über die Auskunft. Teilweise wurde allerdings vorgebracht, das in Artikel 451 Absatz 2 ZGB vorgesehene Auskunftsrecht sei für die Praxis nicht von Nutzen, weil es von den Behörden teilweise sehr unterschiedlich gehandhabt würde. So würde es manchmal Wochen oder Monate dauern, bis eine Auskunft erteilt werde, die Kosten seien unterschiedlich hoch oder es würde mit Berufung auf das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person gar keine Auskunft erteilt.

Trotz dieser Kritik ist nach Ansicht der Kommission die KESB die am besten geeignete Stelle für die Erteilung der Auskunft über bestehende Massnahmen des Erwachsenenschutzrechts. Sie ist deshalb zum Ergebnis gelangt, dass im Grundsatz an der bestehenden Lösung festgehalten werden soll, wobei der Vollzug der Auskunftserteilung durch die KESB zu verbessern ist. Es wird so eine Lösung beibehalten, wie sie der Gesetzgeber bei der Revision des Erwachsenenschutzrechts ursprünglich vor Augen hatte. Auch die Interessen der betroffenen Personen werden bestmöglich gewahrt. Im Vergleich zu den anderen Lösungsansätzen entsteht ein viel geringeres Datenschutzproblem und auch keine Stigmatisierung der betroffenen Person durch die Publikation der Massnahme. Der auskunftserteilenden KESB liegen alle notwendigen Informationen vor, sie kennt das Dossier und kann so korrekte Auskünfte erteilen und diese bei Bedarf gegenüber dem Gesuchsteller auch erläutern. Dies alles wäre bei einer Auskunft durch das Betreibungsamt nicht gewährleistet.

Hinzu kommt, dass die Schwierigkeiten, die sich bei einem Umzug der betroffenen Person stellen können, bei dieser Lösung nicht bestehen, weil die KESB jederzeit weiss, ob sie für eine bestimmte Person zuständig ist oder nicht. Das Betreibungsamt ist dagegen auf eine Meldung der KESB angewiesen, die unter Umständen gar nicht oder zu spät erfolgt. Von Bedeutung ist auch, dass durch diese Lösung weder bei den KESB noch bei den Betreibungsämtern ein zusätzlicher Aufwand entsteht und dass sich das Problem einer rückwirkenden Erfassung aller Massnahmen, die seit dem 1. Januar 2013 angeordnet worden sind, sich ­ anders als bei einer Auskunftserteilung durch das Betreibungsamt ­ hier nicht stellt.

Die Kommission hat deshalb entschieden, am
bestehenden Auskunftsrecht der KESB festzuhalten und dieses lediglich zu vereinfachen und zu vereinheitlichen.

Dies soll auf dem Weg einer bundesrätlichen Verordnung erfolgen, in der die entsprechenden Vorgaben an das Verfahren festgehalten werden. Auf diese Weise können die bestehenden Mängel des geltenden Rechts weitgehend beseitigt werden.

Eine Minderheit der Kommission (6 Stimmen) beantragt, den Vorentwurf vom 25. Oktober 2013, welcher vorsieht, dass die Auskunft durch das Betreibungsamt erteilt wird, beizubehalten und daran lediglich ein paar redaktionelle und inhaltliche Änderungen vorzunehmen. Es gehe darum, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, vor allem bei Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Sie ist nach wie vor der Ansicht, dass diese Lösung für einen potenziellen Vertragspartner vorteilhaft sei, da er mit vertretbarem Aufwand Kenntnis darüber erlangen könne, ob eine Person von einer Massnahme betroffen sei, welche ihre Handlungsfähigkeit tangiert. Das System der Betreibungsregisterauszüge werde in der Schweiz sehr oft genutzt und sei eingespielt. Gläubiger und private Auskunfteien, welche die Daten über die Bonität und die Handlungsfähigkeit des potenziellen Vertragspartners suchen oder sammeln, 5167

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würden in vielen Fällen ohnehin einen Betreibungsregisterauszug einholen; mit einem solchen System würden sie ohne Zusatzaufwand auch die Information über eine allfällige Massnahme des Erwachsenenschutzrechts erhalten. Da die Betreibungsämter bereits über eine Infrastruktur verfügen, mit der die Informationen über bestehende Massnahmen verwaltet werden können, würde sich der für die Betreibungsämter durch die Revision entstehende zusätzliche Verwaltungsaufwand in einem zumutbaren Rahmen halten. Gleichzeitig sei der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person deutlich geringer als unter altem Recht. Zu beachten sei in diesem Zusammenhang insbesondere, dass nur Personen, die ein Interesse glaubhaft machen können, Einsicht ins Betreibungsregister erhalten (Art. 8a Abs. 1 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs [SchKG]11).

2.4

Ausländische Regelungen

In Frankreich werden Entscheide über die Anordnung oder die Abänderung einer Beistandschaft oder Vormundschaft für eine erwachsene Person im Personenstandsregister («répertoire civil») publiziert. Jede Person, die ein Interesse geltend macht, kann einen Auszug aus dem Personenstandsregister verlangen (Art. 1061 Abs. 1 der französischen Zivilprozessordnung [«code de procédure civile»]). Auf diese Weise werden Dritte über das Vorliegen einer Beschränkung der Handlungsfähigkeit informiert. Gewisse Massnahmen sind allerdings nur beschränkt öffentlich und werden in einem speziellen Register eingetragen, welches lediglich einem engen Kreis von Personen zugänglich ist (etwa Gerichtsbehörden, Familienangehörige und Nahestehende, Anwälte und Notare). Der Dritte ist in seinem guten Glauben im Geschäftsverkehr geschützt, wenn die Handlung in den zwei Jahren vor der Publikation der Massnahme vorgenommen wurde, ausser wenn die Handlungsunfähigkeit der betroffenen Person offensichtlich oder notorisch war (Art. 464 des französischen Zivilgesetzbuches [«code civil»; CC]). Nachdem die Publikation stattgefunden hat, ist der Dritte nicht mehr geschützt, und die Verpflichtungen, die eine handlungsunfähige Person eingegangen ist, können angefochten werden. Die Wirkungen dieser Verpflichtungen können je nach Inhalt der Beistandschaft gerichtlich herabgesetzt oder für nichtig erklärt werden (Art. 465 CC). Vorbehalten bleibt die Nichtigkeit der Handlungen aufgrund von Urteilsunfähigkeit («insanité d`esprit») (Art. 414 CC).

Beschliesst in Deutschland ein Betreuungsgericht nach § 1903 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches einen Vorbehalt der Einwilligung durch den Betreuer, wird die Geschäftsfähigkeit des Betreuten mit Wirksamwerden des Beschlusses beschränkt. Der Beschluss wird nach § 287 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit der Bekanntgabe an den Betreuer wirksam. Ein Beschluss, durch den ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wird, ist weder öffentlich bekanntzumachen noch in ein Register einzutragen. Auch im deutschen Recht gibt es keinen Gutglaubensschutz hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit. Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen sind nichtig, unabhängig davon, gegenüber wem sie abgegeben werden. Auch wenn für einen geschäftsfähigen Betreuten ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wurde, 11

SR 281.1

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sind Willenserklärungen, die der Betreute ohne die erforderliche Einwilligung des Betreuers abgibt, nicht wirksam. Dabei ist es unerheblich, ob der Erklärungsempfänger Kenntnis von der Geschäftsunfähigkeit oder dem Einwilligungsvorbehalt hatte oder hätte haben müssen. Der Schutz des Geschäftsunfähigen bzw. des Betreuten, für den ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wurde, geht dem Schutz des Rechtsverkehrs vor.

In Österreich ist die Information über das Bestehen einer sogenannten «Sachwalterschaft», in deren Wirkungsbereich die betroffene Person keine Geschäftsfähigkeit hat, seit 1984 geheim. Das anordnende Gericht verständigt nur noch die Personen und Stellen über die Sachwalterschaft, die nach den Ergebnissen des Verfahrens ein begründetes Interesse daran haben, von dieser zu erfahren. Dies ist beispielsweise der Fall für Banken oder für Gerichte, bei denen die betroffene Person ein oder mehrere Verfahren führt. Da die Sachwalterschaft meistens Senioren betrifft, wird häufig das Pflegeheim verständigt, in dem die betroffene Person untergebracht ist.

Ist die Person als Berechtigte in ein öffentliches Buch (Grundbuch oder Firmenbuch) eingetragen, so erfolgt die Notifikation durch das Gericht an diese Stelle; anschliessend findet eine entsprechende Eintragung in das Buch statt. Wenn jemand «ein rechtliches Interesse glaubhaft macht», hat ihm das Gericht über Person und Wirkungsbereich des Sachwalters Auskunft zu erteilen (§ 126 des Ausserstreitgesetzes).

Das österreichische Recht kennt keinen Gutglaubensschutz. Die Verträge, die mit einer geschäftsunfähigen Person abgeschlossen wurden, sind nichtig. Eine Ausnahme besteht bei geringfügigen Angelegenheiten (§ 280 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches). Der Schutz des Geschäftsunfähigen geht dem Schutz des Rechtsverkehrs vor.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Zivilgesetzbuch

Art. 451 Abs. 2 Mit der Revision wird der Bundesrat verpflichtet, mit einer Verordnung dafür zu sorgen, dass die KESB Auskünfte über bestehende Massnahmen «einfach, rasch und einheitlich» erteilt. Als Vorbild für eine solche Verordnung könnten insbesondere die Empfehlungen der KOKES zur «Auskunft über das Vorliegen und die Wirkungen einer Massnahme des Erwachsenenschutzes (nArt. 451 Abs. 1 ZGB)» dienen.

Auf diese Weise kann verbindlich festgelegt werden, wer unter welchen Voraussetzungen eine Auskunft erhält und wie schnell diese erteilt werden muss.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagene Anpassung von Artikel 451 ZGB wird voraussichtlich keine nennenswerten finanziellen oder personallen Auswirkungen haben.

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In der Fassung der Kommissionsminderheit würden die Betreibungsämter die neue Aufgabe übernehmen, die Daten betreffend das Vorliegen einer Massnahme des Erwachsenenschutzes in einem Register einzutragen und bei Meldungen entsprechend anzupassen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe wäre eine Anpassung ihrer Informatikprogramme erforderlich. Dieser Zusatzaufwand würde zu Mehrkosten bei den Betreibungsämtern führen, die durch eine Anpassung von Artikel 12a der Gebührenverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs12 entsprechend aufgefangen werden könnten. Es sei im Übrigen davon auszugehen, dass die Aufnahme der angeordneten Massnahmen ins Betreibungsregister zu keiner erheblichen Zunahme der Auskunftsgesuche bei den Betreibungsämtern führen würde.

4.1.1

Auswirkungen auf den Bund

Die vorgeschlagene Neuregelung hat keine Auswirkungen auf den Bund.

4.1.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die vorgeschlagene Neuregelung hat keine Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden.

4.1.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die Revision soll es sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen erleichtern, Abklärungen bezüglich Handlungsfähigkeit einer potentiellen Vertragspartei zu treffen, sofern dies im Einzelfall erforderlich ist. Damit wird einem Bedürfnis der Wirtschaft entsprochen und die Situation im Vergleich zum geltenden Recht verbessert.

5

Rechtliche Grundlagen

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die neue Regelung stützt sich auf die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Zivilrechts (Art. 122 Abs. 1 BV).

5.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die neue Regelung enthält eine Delegation an den Bundesrat zum Erlass von vollziehendem Verordnungsrecht.

12

Gebührenverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 23. September 1996 (GebV SchKG); SR 281.35.

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