16.071 Botschaft zur Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)» vom 19. Oktober 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. Oktober 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2016-1665

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Übersicht Die eidgenössische Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)» wurde am 11. Dezember 2015 mit 112 191 gültigen Unterschriften eingereicht. Sie will die Empfangsgebühren für konzessionierte Radio- und Fernsehveranstalter mit Leistungsauftrag abschaffen.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Schweiz einen umfassenden Service public im Medienbereich braucht und sich dieser nicht ausschliesslich kommerziell finanzieren lässt. Er lehnt die Initiative daher ab.

Inhalt der Initiative Die Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)» will erreichen, dass die heute konzessionierten gebührenfinanzierten Radio- und Fernsehveranstalter künftig keine Empfangsgebühren mehr erhalten. Ausserdem sollen auch weitere direkte Subventionszahlungen an Radio- und Fernsehveranstalter in Zukunft unterbleiben. Gemäss den Ausführungen der Initiantinnen und Initianten hat die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) ein «Quasi-Monopol», das aufzuheben und durch einen fairen Medienwettbewerb zu ersetzen sei.

Vorzüge und Mängel der Initiative Die Initiative strebt eine Medienlandschaft an, die auch im Bereich von Radio und Fernsehen einer rein marktwirtschaftlichen Logik folgt. Wettbewerbsverzerrungen, die heute durch die Gebührenfinanzierung entstehen, würden beseitigt. Ferner würden die Haushalte sowie die Unternehmen von der Pflicht zur Bezahlung der Empfangsgebühren entlastet und könnten diesen Betrag anderweitig aufwenden.

Der Bundesrat kommt aber zum Schluss, dass der Medienplatz Schweiz mit der Umsetzung der Initiative fundamental umgestaltet würde. Es würden nicht mehr in allen Sprachregionen gleichwertige Radio- und Fernsehangebote zur Verfügung stehen. Deshalb teilt er das Anliegen der Initiantinnen und Initianten nicht. Der Service public bei den elektronischen Medien würde verschwinden. Die Existenz zahlreicher heutiger Veranstalter wäre in Frage gestellt. Ferner würde die Meinungs- und Angebotsvielfalt in Radio und Fernsehen reduziert. Tangiert würde damit auch der Qualitätsjournalismus.

Das heutige Gebührensystem bzw. die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung von Service-public-Anbietern garantiert elektronische Medien, die zum Funktionieren der demokratischen Meinungs-
und Willensbildung und zur kulturellen Entfaltung beitragen. Die SRG als ein von politischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängiger Verein ist verpflichtet, ein vielfältiges Angebot zu garantieren, das auch die Interessen der Minderheiten berücksichtigt.

Mit Blick auf den Fernsehbereich hätte die Annahme der Initiative überdies zur Folge, dass ein mit den Veranstaltern des benachbarten Auslands konkurrenzfähiges

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schweizerisches Angebot kaum mehr möglich wäre. Damit verbunden würden wohl Werbegelder vermehrt ins Ausland abfliessen.

Antrag des Bundesrates Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten, die eidgenössische Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der BillagGebühren)» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

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2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative 2.1 Überblick 2.2 Demokratie- und gesellschaftspolitische Bedeutung des Service public 2.3 Auftrag und Angebot der Radio- und Fernsehveranstalter 2.3.1 Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) 2.3.2 Lokale und regionale Veranstalter 2.3.3 Weitere Leistungen der Radio- und Fernsehveranstalter 2.4 Nutzung von Radio und Fernsehen 2.5 Verwendung der Empfangsgebühren 2.5.1 Allgemein 2.5.2 Verwendung der Gebühren bei der SRG 2.5.3 SRG-interner Finanzausgleich 2.5.4 Lokale und regionale Veranstalter 2.6 Service-public-Veranstalter im Ausland

8252 8252

3

Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

8267 8267 8267 8268

4

Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 4.1.1 Aus systematischer Sicht 4.1.2 Aus ökonomischer Sicht 4.2 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme 4.2.1 Auswirkungen auf das Radio- und Fernsehangebot und die Anbieter 4.2.2 Auswirkungen auf die Verbreitung von Radio und Fernsehen 4.2.3 Auswirkungen auf die Demokratie 4.2.4 Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft 4.2.5 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 4.2.6 Auswirkungen auf den Bund 4.3 Vorzüge und Mängel der Initiative 4.4 Frage eines Alternativvorschlags

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8272 8273 8274 8274 8276 8277 8278 8279

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4.5

5

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 4.5.1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 4.5.2 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) 4.5.3 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) 4.5.4 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-Behindertenrechtskonvention)

Schlussfolgerungen

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)» (Entwurf)

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8283

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 93 Abs. 2­6 2

Bisheriger Absatz 3

3

Der Bund versteigert regelmässig Konzessionen für Radio und Fernsehen.

Er subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen. Er kann Zahlungen zur Ausstrahlung von dringlichen amtlichen Mitteilungen tätigen.

4

Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.

5

6

Der Bund betreibt in Friedenszeiten keine eigenen Radio- und Fernsehstationen.

Art. 197 Ziff. 122 12. Übergangsbestimmung zu Art. 93 Abs. 3­6 Werden die gesetzlichen Bestimmungen nach dem 1. Januar 2018 in Kraft gesetzt, so erlässt der Bundesrat bis zum 1.Januar 2018 die erforderlichen Ausführungsbestimmungen.

1

Erfolgt die Annahme von Artikel 93 Absätze 3­6 nach dem 1. Januar 2018, so treten die erforderlichen Ausführungsbestimmungen auf den nächstfolgenden 1. Januar in Kraft.

2

Mit Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen werden die Konzessionen mit Gebührenanteil entschädigungslos aufgehoben. Vorbehalten bleiben Entschädigungsansprüche für wohlerworbene Rechte, die den Charakter von Eigentum haben.

3

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)» wurde am 27. Mai 2014 von der Bundeskanzlei vorgeprüft3 und am 11. Dezember 2015 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

1 2 3

SR 101 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

BBl 2014 3989

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Mit Verfügung vom 13. Januar 2016 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 112 191 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.4 Die Initiative hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 (ParlG) hat der Bundesrat der Bundesversammlung spätestens bis am 11. Dezember 2016 eine Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses für eine Stellungnahme zu unterbreiten. Die Bundesversammlung muss nach Artikel 100 ParlG bis zum 11. Juni 2018 über die Abstimmungsempfehlung beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung6 (BV):

4 5 6

a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem zwingenden Völkerrecht.

d.

Die Initiative ist auch faktisch durchführbar. Zwar sehen die Übergangsbestimmungen zu Artikel 93 Absätze 3­6 kurze Umsetzungsfristen vor, sodass mit erheblichen Schwierigkeiten im Rechtsetzungsprozess zu rechnen wäre. Sehr wahrscheinlich würden die in Absatz 1 erwähnten gesetzlichen Bestimmungen nach dem 1. Januar 2018 in Kraft treten, da die Volksabstimmung frühestens im Herbst 2017 stattfinden könnte. Entsprechend würde Absatz 2 zur Anwendung kommen, und der Bundesrat müsste bis zum 1. Januar, der auf die Abstimmung folgt, Ausführungsbestimmungen erlassen. Zwischen dem Abstimmungsdatum und dem Zeitpunkt der Inkraftsetzung der Ausführungsbestimmungen würden nur wenige Monate liegen.

Selbst wenn die Verwaltung die Vorarbeiten für die Ausführungsbestimmungen noch vor der Volksabstimmung an die Hand nähme, liessen sich die üblichen rechtlichen Vorgaben für die Ausarbeitung bundesrätlicher Ausführungsvorschriften kaum einhalten. Einzig mit einer Abstimmung zu Beginn eines Kalenderjahres könnte sichergestellt werden, dass dem Bundesrat ausreichend Zeit für den fristgerechten Erlass der Ausführungsbestimmungen zur Verfügung stehen würde. (Vgl. dazu exemplarisch die Blanko-Abstimmungstermine im zweiten Halbjahr 2017 und ersten Halbjahr 2018: 24. September 2017, 26. November 2017, 4. März 2018 und 10. Juni 2018.)

BBl 2016 378 SR 171.10 SR 101

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Voraussichtlich müsste die nach der Vernehmlassungsgesetzgebung7 vorgesehene Konsultationsfrist von 3 Monaten gestützt auf die Ausnahmeregelung von Artikel 7 Absatz 4 des Vernehmlassungsgesetzes (VlG) gekürzt werden.

Eine Verkürzung der Frist ist ausnahmsweise möglich, falls das Vorhaben keinen Aufschub duldet. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die kurzen Fristen für die Umsetzung der Initiative zwar eine besondere Herausforderung für die Regierung und Verwaltung darstellen würden. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtspraxis lässt sich aber nicht sagen, dass die Initiative aufgrund der knappen Fristen nicht umgesetzt werden könnte.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

Überblick

Die Initiantinnen und Initianten stossen sich daran, dass auch jene Haushalte Empfangsgebühren bezahlen müssen, welche «die staatlichen Fernseh- und Radioprogramme nicht in Anspruch nehmen wollen oder können»8. Sie verlangen die Abschaffung der Empfangsgebühren und den Verzicht auf Subventionen für Radiound Fernsehveranstalter. Bereits im Vorfeld der Initiative hatten sich Kritikerinnen und Kritiker der Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen in der «Organisation für eine Solidarische Schweiz» formiert und ab dem 12. November 2013 Unterschriften für die Initiative «Radio und Fernsehen ­ ohne Billag» gesammelt. Diese Initiative ist aber mangels genügender Unterschriftenzahl nicht zustande gekommen.9 Ebenfalls nicht zustande gekommen ist die im Jahr 2011 initiierte Volksinitiative «Radio und TV ­ der Bund erhebt keine Empfangsgebühren»10 zum selben Thema.

Artikel 93 BV ist die massgebliche Verfassungsbestimmung für die heutige Regulierung von Radio und Fernsehen. Gemäss der geltenden Bestimmung ist der Bund zuständig für die Gesetzgebung im Bereich der elektronischen Medien (Abs. 1), und er legt die Rahmenbedingungen fest. Im Zentrum steht dabei der Leistungsauftrag für Radio und Fernsehen (Abs. 2). Dieser umfasst die Bereiche Bildung, kulturelle Entfaltung, freie Meinungsbildung und Unterhaltung. Radio und Fernsehen haben sachgerecht zu berichten und die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck zu bringen (Abs. 2). Die Verfassungsbestimmung garantiert ausserdem die Programmautonomie und die Staatsunabhängigkeit (Abs. 3). Artikel 93 Absatz 4 BV verlangt, dass auf die Stellung und die Aufgabe anderer Medien, vor allem der Presse, Rücksicht zu nehmen ist. Zum Schutz des Publikums und der Veranstalter ist schliesslich für die Behandlung von Programmbeschwerden eine unabhängige Beschwerdeinstanz vorgesehen (Abs. 5).

7 8 9 10

Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 2005 (VlG, SR 172.061) und Vernehmlassungsverordnung vom 17. August 2005 (VlV, SR 172.061.1).

www.nobillag.ch > Die Initiative > Argumente Ziff. 8 BBl 2015 3567, www.solidarische.ch/billag/initiative.php BBl 2013 942

8252

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Gestützt auf diese Verfassungsbestimmung regelt das Bundesgesetz vom 24. März 200611 über Radio und Fernsehen (RTVG) den Service public und weitere Fragen im Bereich von Radio und Fernsehen. In Ausführung des RTVG gibt es aktuell verbindliche Leistungsaufträge an die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) sowie an weitere konzessionierte Programmveranstalter. Das RTVG garantiert und konkretisiert die Staatsunabhängigkeit und Programmautonomie der Veranstalter. Diese sind bezüglich der Gestaltung ihrer redaktionellen Publikationen frei. Bei der Aufsicht sind der Behörde diesbezüglich enge Grenzen gesetzt. Heute behandelt die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) Beschwerden gegen redaktionelle Sendungen von schweizerischen Veranstaltern und gegen das übrige publizistische Angebot der SRG. Sie prüft u. a. die Sachgerechtigkeit von Sendungen, die Einhaltung der Grundsätze für Wahl- und Abstimmungssendungen, die Beachtung von Grundrechten (z.B. Menschenwürde), Gewaltdarstellungen, die Sittlichkeit und den Schutz Minderjähriger.

Die SRG und 34 konzessionierte private Radio- und Fernsehveranstalter sind durch Empfangsgebühren12 sowie Werbung und/oder Sponsoring finanziert. Bei der SRG kommen Subventionen aus den allgemeinen Bundesmitteln für die Auslandangebote sowie übrige Einnahmen hinzu. Private Radioveranstalter erhalten nebst den Gebühren weitere finanzielle Unterstützung für die Verbreitung ihrer Radioprogramme in den Bergregionen sowie die digitale Verbreitung über DAB+.

In der Volksabstimmung vom 14. Juni 2015 über die Änderung des RTVG sprachen sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für einen Systemwechsel bei der Finanzierung des Service public von Radio und Fernsehen aus.13 Die heute an ein betriebsbereites Gerät für Radio und Fernsehen geknüpfte Empfangsgebühr wird künftig durch eine geräteunabhängige Haushalts- und Unternehmensabgabe ersetzt.

Die Umsetzung des neuen Finanzierungsmodells ist für 2019 geplant. Mitglieder von Privathaushalten, in denen kein zum Empfang von Radio- oder Fernsehprogrammen geeignetes Gerät bereitsteht, können sich während der ersten fünf Jahre von der Bezahlung der Abgabe befreien lassen. Bei einer Annahme der Initiative würde der Systemwechsel entfallen.

2.2

Demokratie- und gesellschaftspolitische Bedeutung des Service public

Der Service public im Bereich der elektronischen Medien ist ein politisch definiertes Angebot im Sinne eines Dienstes an der Gesellschaft, das allen Bevölkerungsschichten und Regionen des Landes nach gleichen Grundsätzen in guter Qualität und zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen soll. Dies hat der Bundesrat in seinem 11 12

13

SR 784.40 Mit dem Inkrafttreten des teilrevidierten Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) am 1. Juli 2016 wurde der Ausdruck «Empfangsgebühr» oder «Empfangsgebühren» durch «Abgabe für Radio und Fernsehen» ersetzt (vgl. AS 2016 2131). Aufgrund des Titels der Volksinitiative und des Initiativtexts wird in diesem Dokument weiterhin der Ausdruck «Empfangsgebühren» verwendet.

BBl 2015 6313

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Bericht zum Service public im Juni 2016 ausführlich dargelegt. 14 Darin hält er fest, dass die Schweiz auch im Zeitalter des Internet und der Digitalisierung auf einen unabhängigen und umfassenden Service public im Medienbereich angewiesen ist.

Um diesem Anspruch weiterhin gerecht zu werden, will er die Rahmenbedingungen für die konzessionierten Radio- und Fernsehveranstalter auf nationaler und regionaler Ebene anpassen. Weiter kommt er zum Schluss, dass sich für die schweizerische Demokratie das bestehende Modell mit der SRG als grosser, in allen Sprachregionen verankerter Anbieterin bewährt hat und dieses den Service public in hoher Qualität gewährleistet. Das Modell eignet sich seiner Meinung nach auch für die Zukunft.

Die Anforderungen an die SRG sollen ­ bei gleichem Budget ­ jedoch erhöht werden. Der Service public muss auch das junge Publikum erreichen. In der vorliegenden Botschaft stützt sich der Bundesrat im Kern auf seine Aussagen im erwähnten Bericht.

Service-public-Medien geniessen das Privileg der öffentlichen (Mit-)Finanzierung oder technische Vorteile (Frequenzen, Zugangsrechte). Im Gegenzug haben diese Medien einen im RTVG und in den Konzessionen umschriebenen publizistischen Auftrag, der die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an Radio und Fernsehen garantieren soll. Die Vermittlung von Information gehört mit Blick auf die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu deren Kernaufgaben. Mit seinen allgemein zugänglichen Angeboten hat der Service public auch wichtige Aufgaben in den Bereichen Bildung, Kultur und Unterhaltung zu erfüllen. Die Verfassung verlangt zudem Leistungen in Bezug auf die Förderung der schweizerischen Integration und der Identität. Angesichts der starken Präsenz ausländischer Medien in der Schweiz braucht es zur Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einen attraktiven nationalen Anbieter und zusätzlich auch regionale und lokale Medien, die das einheimische Publikum erreichen.

2.3

Auftrag und Angebot der Radio- und Fernsehveranstalter

2.3.1

Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG)

Allgemein Der Service public wird auf nationaler bzw. sprachregionaler Ebene von der SRG erbracht. Das RTVG und die Konzession der SRG vom 28. November 200715 präzisieren ihren Auftrag und umschreiben ihre besondere staats- und medienpolitische Bedeutung. Sie hat nicht nur umfassende publizistische Leistungen in den Bereichen 14

15

Vgl. Bericht des Bundesrates vom 17. Juni 2016 zur Überprüfung der Definition und der Leistungen des Service public der SRG unter Berücksichtigung der privaten elektronischen Medien, Geschäftsnummer 16.043 (zitiert als Service-public-Bericht). ­ Der Bericht ist abrufbar unter: www.bakom.admin.ch > Das BAKOM > Organisation > Rechtliche Grundlagen > Geschäfte des Bundesrates.

Die Konzession der SRG ist abrufbar unter: www.bakom.admin.ch > Elektronische Medien > Infos über Programmveranstalter > SRG SSR > Konzessionierung und Technik SRG SSR.

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Bildung, Kultur, Information und Unterhaltung zu erbringen, sondern auch eine integrierende und identitätsstiftende Funktion wahrzunehmen: Sie muss das Verständnis, den Zusammenhalt und den Austausch unter den Landesteilen, Sprachgemeinschaften, Kulturen, Religionen und den gesellschaftlichen Gruppierungen fördern und auch die Eigenheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone berücksichtigen.

Die SRG setzt ihren Auftrag in den Programmen ihrer Unternehmenseinheiten mit je mindestens zwei TV- und drei Radioprogrammen um: ­

in der deutschsprachigen Schweiz: Schweizer Radio und Fernsehen (SRF);

­

in der französischsprachigen Schweiz: Radio Télévision Suisse (RTS);

­

in der italienischsprachigen Schweiz: Radiotelevisione Svizzera (RSI).

Für die rätoromanische Schweiz produziert Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR) ein Radioprogramm und verschiedene TV-Sendungen. Ferner stellt die SRG in jeder Sprachregion ein Online-Angebot bereit.

Information Die Information ist das zentrale Element des SRG-Leistungsauftrags. Dazu zählen Nachrichtensendungen, Magazine, Reportagen, Dokumentationen und Diskussionsformate. 2015 hat die SRG insgesamt 627 Millionen Franken oder rund 38 Prozent der Kosten für Informationsleistungen aufgewendet.

Bei den Radios variiert der Informationsanteil je nach Unternehmenseinheit: Radio SRF 1, das Programm mit der grössten Reichweite in der deutschsprachigen Schweiz, sendet während einem Viertel der Sendezeit zwischen 5 und 24 Uhr Informationen. Bei La Première in der französischsprachigen Schweiz sind es über 66 Prozent und beim italienischsprachigen Sender Rete Uno 40 Prozent. Bei den tagesaktuellen Informationen stehen das nationale und internationale Geschehen klar im Vordergrund. Das Angebot zeichnet sich durch eine Vielfalt an journalistischen Formen und Sendungsformaten aus.

Auch beim Fernsehen hat der Informationsauftrag eine zentrale Bedeutung, wie die nachfolgende Darstellung zeigt:

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Programmstrukturen der SRG-TV 2015 in Prozent

Abbildung 1

Quelle: Göfak 2016. ­ Der Begriff Fernsehpublizistik schliesst alle Nachrichtensendungen sowie Magazine, Reportagen, Dokumentationen und Diskussionsformate mit ein.

100 %=Gesamtsendezeit.16

Kultur und Bildung Die SRG spielt auch eine bedeutende Rolle für das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Schweiz. Ihr Kulturauftrag umfasst die Kulturberichterstattung ebenso wie die Bildung im kulturellen Bereich und die Kulturförderung. Dazu dient ein breites Spektrum an Sendungen und Beiträgen in Radio und Fernsehen: Kulturmagazine, die Übertragung von Konzerten, Kultur-, Musik-, Literatur-, Kunst- und Philosophiesendungen, Dokumentarfilme, die Aufzeichnung von VolkstheaterAufführungen, aber auch satirische Sendungen und Comedy-Shows.

Zur Förderung des Schweizer Musikschaffens in den Radio-Programmen hat die SRG mit der Branche in der Charta der Schweizer Musik Richtwerte vereinbart. In den SRG-Radios der Deutschschweiz stammt beispielsweise mindestens jeder vierte Titel von einer Schweizer Interpretin oder einem Schweizer Interpreten. Allein im Bereich Musik gibt die SRG jährlich rund 8,5 Millionen Franken für Honorare und Rechteabgeltungen sowie als Abgeltung für lokale Musikaufträge aus.

Der finanziell bedeutendste Pfeiler der Kulturförderung im Fernsehen ist die Filmförderung. Das RTVG und die Konzession verpflichten die SRG zur Zusammenarbeit mit der schweizerischen Filmbranche. 2015 hat die SRG diese im Rahmen des Film-Abkommens «Pacte de l'audiovisuel» mit 22,3 Millionen Franken unterstützt.17 Von 2016­2019 werden es aufgrund der neuen Vereinbarung mit der Filmbranche jährlich 27,5 Millionen Franken sein. 2015 sind in Anwendung des Abkommens zwischen der SRG und der schweizerischen Filmbranche schweizweit 148 16

17

Trebbe, Joachim/Wagner, Matthias/Fehr, Ada/Spittka, Eva/Beier, Anne (2016): Kontinuierliche Fernsehprogrammforschung in der Schweiz. Die Programme der SRG SSR im Jahr 2015. Berlin (D).

Das Abkommen ist abrufbar unter: www.srgssr.ch > Service public > Kultur > Pacte de l'audiovisuel.

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Kino-, Fernseh-, Dokumentar-, Kurz- oder Trickfilme entstanden.18 Darüber hinaus unterstützt die SRG mehrere Filmfestivals in allen Landesregionen mit einem jährlichen Gesamtbetrag von 2,9 Millionen Franken wie beispielsweise das Festival del Film in Locarno, Visions du Réel in Nyon oder die Solothurner Filmtage. Mit der Filmförderung eng verknüpft ist auch die konzessionsrechtlich geforderte Zusammenarbeit der SRG mit der veranstalterunabhängigen audiovisuellen Industrie der Schweiz. Jährlich lagert die SRG Produktionen für rund 100 Millionen Franken an die audiovisuelle Branche aus.

Nebst vielen bildungsspezifischen Sendungen engagiert sich die SRG auch in der Bildungsförderung und bietet multimediale Wissensplattformen (massgeschneidertes Unterrichtsmaterial in Form von Zusammenfassungen und Lektionsskizzen) speziell für Schulen an.19 Sport Die SRG ist eine der grössten Sport-Promotorinnen der Schweiz. Sie berichtet über Schweizer Athletinnen und Athleten, Schweizer Teams (Eishockey- und FussballNationalmannschaften, das Schweizer Davis Cup-Team usw.) und Sportveranstaltungen in der Schweiz sowie über internationale Top-Events wie Olympische Sommer- und Winterspiele, Welt- und Europameisterschaften im Fussball, SkiWeltmeisterschaften usw. mit speziellem Schweizer Fokus. Im SRG-Fernsehen macht der Sport (inkl. Sportmagazine und Sportübertragungen) bei SRF 11, bei RTS 8 und bei RSI rund 12 Prozent der Sendezeit aus. Insgesamt berichtete die SRG im Jahr 2015 über mehr als 60 Sportarten. Sie hat im Jahr 2014 live insgesamt 192 nationale und internationale Fussball-Spiele, 51 Eishockey-Spiele, 139 TennisSpiele, 69 Ski-alpin-Rennen, 15 Ski-nordisch-Rennen, 19 Formel-1-Rennen, 18 Moto-2-Rennen und 42 Radrennen live übertragen. Live-Berichterstattungen wie die Lauberhornabfahrt finden international Beachtung.

Auslandauftrag Eine weitere gesetzliche Verpflichtung der SRG betrifft das publizistische Mandat für das Ausland. Mit dem Internet-Angebot SWI (swissinfo.ch), den Kooperationen mit dem internationalen französischsprachigen TV5MONDE, dem internationalen deutschsprachigen 3Sat und der internationalen italienischsprachigen Plattform tvsvizzera.it kommt die SRG diesem Auftrag nach, der jährlich 40 Millionen Franken kostet. Dieses Auslandangebot wird zur Hälfte mit Empfangsgebühren finanziert. Somit
fördert die SRG einerseits die Verbindung der Auslandschweizerinnen und -schweizer mit ihrem Herkunftsland und gewährleistet anderseits eine mediale Präsenz der Schweiz, die mithilft, das Verständnis für deren Anliegen im Ausland zu fördern.

18 19

Vgl. Geschäftsbericht SRG SSR 2015, abrufbar unter http://gb.srgssr.ch/de/2015/ Vgl. Service-public-Bericht, S. 50 ff.

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2.3.2

Lokale und regionale Veranstalter

Auf lokaler und regionaler Ebene wird der Service public von privaten Veranstaltern erbracht. 2008 hat das UVEK 43 kommerzielle UKW-Radios und 13 Regionalfernsehveranstalter konzessioniert. Von ihnen erhalten die 12 Berg- und Randregionenradios sowie die 9 komplementären Radios jährlich insgesamt 25,6 Millionen Franken Gebührengelder, die 13 Regionalfernsehveranstalter zusammen 41,9 Millionen Franken.

Der Programmauftrag des regionalen Service public ist viel enger gefasst als jener der SRG. Er wird in den entsprechenden Konzessionen definiert (Art. 38 RTVG, Art. 36 der Radio- und Fernsehverordnung vom 9. März 200720). Er beschränkt sich bei den Berg- und Randregionenradios und den Regionalfernsehen auf Informationen während der Hauptsendezeiten zum lokalen und regionalen Geschehen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Sport. Die Regionalfernsehen strahlen ihre Regionalinformationen während ihren Nachrichtensendungen aus, die in der Regel 15­20 Minuten dauern.

Die 9 komplementären Radios, die in grösseren Agglomerationen konzessioniert sind, unterscheiden sich inhaltlich und in Bezug auf das Musikprofil von jenen der kommerziellen Sender. Im Zentrum ihres Programms stehen der Einbezug des Publikums sowie die Ansprache gesellschaftlicher und kultureller Minderheiten.

Gebührenfinanzierte lokale und regionale Veranstalter unterscheiden sich in Bezug auf die durchschnittliche tägliche Informationsdauer von den rein kommerziellen Sendern. Die nachfolgende Abbildung zeigt am Beispiel der Radios, dass die gebührenfinanzierten Berg- und Randregionenradios während der sechs Stunden Hauptsendezeit (morgens, mittags, abends) mehr Regionalinformationen senden als die kommerziellen Stadt- und Mittellandradios.21

20 21

SR 784.401 Vgl. Service-public-Bericht, S. 63 ff. und S. 96 f.

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Abbildung 2 Durchschnittliche tägliche Informationsdauer der kommerziellen Privatradios zum Geschehen im Ausland, Inland und der Region (in Minuten)

Quelle: Publicom 2016, Sonderauswertung der Radioprogrammanalysen im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation (BAKOM). ­ Die Angaben beziehen sich auf die Hauptsendezeiten morgens, mittags und abends an durchschnittlichen Werktagen. 22

2.3.3

Weitere Leistungen der Radio- und Fernsehveranstalter

Zugang für Sinnesbehinderte Im Sinne der gesellschaftlichen Integration sind die SRG und die regionalen Fernsehveranstalter mit Konzession dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Programme auch sinnesbehinderten Menschen zugänglich zu machen. Dieser Anforderung kommt die SRG nach, indem sie von 19­22 Uhr alle Sendungen auf den ersten Kanälen und Live-Sendungen am Wochenende untertitelt. 2015 waren es durchschnittlich 50,1 Prozent oder insgesamt 28 371 Stunden. Zudem werden die Hauptausgaben der Nachrichten im Fernsehen in Gebärdensprache angeboten. Für Sehbehinderte sind in der deutschsprachigen Schweiz im Jahr 2015 insgesamt 136 Sendungen mit Audiodeskription (eine laufende akustische Beschreibung des Filmablaufs) begleitet worden, in der französischsprachigen Schweiz waren es 196 Sendungen und in der italienischsprachigen Schweiz 80 Sendungen.

Ab dem 1. Januar 2017 werden auch die konzessionierten Regionalfernsehen ihre Nachrichtensendungen Sinnesbehinderten zugänglich machen. Die Kosten hierfür belaufen sich auf jährlich insgesamt 2,5 Millionen Franken. Der Betrag wird aus den Empfangsgebühren bezahlt.

22

Vgl. dazu Fussnote 152 des Service-public-Berichts.

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Information in ausserordentlichen Lagen und Krisensituationen Die Information in ausserordentlichen Lagen und in Krisensituationen setzt eine landesweite und flächendeckende Erreichbarkeit der gesamten Bevölkerung voraus.

Diese wird derzeit über das terrestrische Radio (analog über UKW und digital über DAB+) sichergestellt. Dafür wird auch die gebührenfinanzierte Radioinfrastruktur der SRG und teilweise auch der konzessionierten Lokalradios verwendet.

Die Radios sind verpflichtet, dringliche polizeiliche Bekanntmachungen, behördliche Alarmmeldungen und Verhaltensanweisungen in Katastrophenfällen (Erdbeben, Unwetter, Chemieunfälle usw.) zu verbreiten. In Krisensituationen arbeitet die SRG auf der Basis von Leistungsvereinbarungen mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz, der Bundeskanzlei und der Armee zusammen. Wenn die normale Sendeinfrastruktur der Radioveranstalter nicht mehr zur Verfügung steht, werden diese Informationen über das Notsendernetz «Information der Bevölkerung durch den Bund in Krisenlagen mit Radio (IBBK-Radio)» verbreitet.

2.4

Nutzung von Radio und Fernsehen

Zwischen der Radio- und Fernsehnutzung bestehen deutliche Unterschiede: So nutzt das Schweizer Publikum nur teilweise einheimische Fernsehprogramme. Ausländische private (50 %) und ausländische öffentlich-rechtliche (15 %) Fernsehsender weisen zusammen einen Marktanteil von gut 65 Prozent auf. Die Fernsehprogramme der SRG erzielen insgesamt einen Marktanteil von rund 30 Prozent. Die Schweizer Privatsender (gebührenfinanzierte Regionalfernsehen sowie rein kommerzielle Sender) haben mit insgesamt rund 5 Prozent einen vergleichsweise geringeren Marktanteil. Die SRG-Fernsehsender der RSI in der italienischsprachigen Schweiz erreichen täglich im Durchschnitt 187 090 Zuschauerinnen und Zuschauer, RTS in der Romandie 862 337 und SRF in der Deutschschweiz 2,397 Millionen. Bei den SRG-Fernsehprogrammen sind die Reichweiten in allen Sprachregionen während der Ausstrahlung der Hauptnachrichtensendung am höchsten.

Nebst diesen Informationsangeboten weisen Sportsendungen ­ vor allem LiveÜbertragungen wie Fussball, Skisport oder Tennis ­ sowie Unterhaltungssendungen hohe Reichweiten und Marktanteile auf. Sie sind sowohl beim jungen wie auch beim älteren Publikum sehr beliebt.

Das Schweizer Publikum nutzt überwiegend einheimische Radioprogramme. In der deutschsprachigen Schweiz hören 65 Prozent des gesamten Radiopublikums Programme der SRG, in der französischsprachigen Schweiz 67 und in der italienischsprachigen Schweiz rund 78 Prozent. Insgesamt erreichen die SRF-Radios im Durchschnitt täglich 2,743 Millionen Hörerinnen und Hörer, RTS 779 000 und RSI 189 000. Ihre Hörerschaft ist während der Ausstrahlung der Informationssendungen am grössten. Schweizweit hört das Radiopublikum zu rund 30 Prozent private Schweizer Programme; ausländische Sender sind im Unterschied zum TV-Konsum von untergeordneter Bedeutung.23 23

Service-public-Bericht, S. 68 ff.

8260

BBl 2016

In repräsentativen Publikumsbefragungen zur Qualität der Radio- und Fernsehprogramme schneiden die Radio-Programme der SRG regelmässig am besten ab. Die Fernsehprogramme der SRG und die privaten Lokalradios werden etwa gleich gut bewertet. Bei den SRG-Radios überzeugen vor allem die Professionalität, die Glaubwürdigkeit und der Informationsgehalt der Politikbeiträge. Bei den Lokalradios und Regionalfernsehen schätzt das Publikum ihre Ausrichtung auf den lokalen Raum.24

2.5

Verwendung der Empfangsgebühren

2.5.1

Allgemein

Die privaten Haushalte bezahlen heute eine jährliche Empfangsgebühr von 451 Franken für Radio und Fernsehen. Im Zusammenhang mit dem in der Abstimmung vom 14. Juni 2015 beschlossenen Systemwechsel von einer Gerätegebühr zu einer Haushaltsabgabe hat der Bundesrat eine Senkung der Gebühren in der Schweiz auf unter 400 Franken pro Haushalt in Aussicht gestellt. Betriebe bezahlen derzeit je nach Art und Anzahl der Empfangsgeräte Gebühren zwischen 218 und 1374 Franken jährlich. Nach dem Systemwechsel bezahlen sie umsatzabhängig zwischen 400 Franken und 39 000 Franken jährlich. Im Jahr 2015 beliefen sich die Gebühren auf insgesamt 1,35 Milliarden Franken (ohne MWST). Sie wurden wie folgt verteilt: Gebührenverteilung 2015

Abbildung 3

Verteilung 2015 (ohne MWST)

Mio. CHF

Anteil an die SRG

1235

Anteil für das Gebührensplitting (lokale und regionale Radio- und Fernsehveranstalter)

54*

Anteil für neue Technologien

0,5

BAKOM25

Anteil an das (Billag-Aufsicht, Rechtsverfahren, Schwarzseher/-hörerinnen)

4

Anteil an die Nutzungsforschung

2,5

Anteil an die Gebührenerhebungsstelle (Billag AG) für die Gebührenerhebung Total

54 1350

Quelle: www.bakom.admin.ch > Elektronische Medien > Empfangsgebühren > Höhe und Verwendung der Empfangsgebühren. * seit dem 1.7.2016 beträgt dieser Anteil 67,5 Millionen Franken bzw. 5 % der Empfangsgebühren.

24

25

Fretwurst, Benjamin/Fischer, Siri/Frey, Tobias/Friemel, Thomas/Bonfadelli, Heinz (2016): Nutzung und Bewertung der Schweizer Radio- und TV-Programme 2015.

Studie im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation. Zürich.

Bundesamt für Kommunikation

8261

BBl 2016

Durch die Gebührenunterstützung von jährlich 1,235 Milliarden Franken nimmt die SRG in der Schweiz eine dominante Stellung innerhalb der elektronischen Medien ein. Diese führt zu Wettbewerbsverzerrungen, ist aber medienpolitisch gewollt und auf medienökonomische Faktoren zurückzuführen, die in der Schweiz besonders ausgeprägt sind: Insbesondere das Medium Fernsehen ist gekennzeichnet durch einen hohen Fixkostenanteil. Ist ein Programm einmal produziert, fallen in Abhängigkeit der Zuschauerzahl kaum mehr zusätzliche Kosten an. Ob eine Sendung wie das Telegiornale von RSI produziert wird, die durchschnittlich 54 000 Personen erreicht, oder ob eine Sendung wie die Tagesschau von SRF hergestellt wird, welche mit 1,658 Millionen ein Vielfaches des Telegiornale-Publikums erreicht, ist aus Kostenoptik nicht entscheidend. Auf der Einnahmenseite macht dies hingegen einen grossen Unterschied, weil die Erträge aus Werbung und Sponsoring mehr oder weniger linear mit jedem zusätzlichen Zuschauenden wachsen. Den hohen Fixkosten stehen in den kleinen Schweizer Märkten nur relativ geringe Erträge gegenüber.

Dies zeigt sich in den folgenden Zahlen: Das deutschsprachige Fernsehen SRF konnte 2014 gut 45 Prozent der Ausgaben für Sendungen zur Aktualität mit Werbung wieder einspielen. Die italienischsprachige RSI, die in einem bedeutend kleineren Markt operiert, nahm 2014 nur rund 10 Prozent der Ausgaben für Sendungen zur Aktualität wieder mit Werbung im Umfeld dieser Sendungen ein. Anders die Ertragsseite: Die Höhe des Ertrags aus Werbung und Sponsoring ist abhängig von der Grösse des Publikums, da die Werbewirtschaft einen bestimmten Preis für jeden einzelnen Personenkontakt bezahlt. In kleinen Märkten, wie sie für die Schweiz charakteristisch sind, bedeutet das Folgendes: Den hohen Fixkosten für Sendungen stehen aufgrund der kleinen Marktgrösse bzw. des beschränkten Publikumspotentials relativ geringe Erträge gegenüber.

Der Radio- und Fernsehmarkt in der Schweiz ist deshalb geprägt von strukturellen Defiziten. Heute werden diese durch Gebühren gedeckt, die auch den grössten Teil der Einnahmen ausmachen. Radio und Fernsehen setzen in der Schweiz jährlich ­ ohne Gerätekäufe ­ etwa 2,4 Milliarden Franken um. Etwa 1,35 Milliarden Franken stammen aus den Empfangsgebühren, rund 750 Millionen Franken sind TV- und knapp
150 Millionen Franken Radio-Werbeeinnahmen.26 Im Jahr 2015 betrugen die Einnahmen aus Pay-TV-Angeboten zusätzlich knapp 100 Millionen Franken.27 Anders gesagt: Ohne Gebührenunterstützung würde im Schweizer Radio- und TVMarkt nicht einmal mehr die Hälfte der aktuellen Einnahmen zur Verfügung stehen.

Ein einheimisches Angebot im aktuellen Umfang ist in der Schweiz nur möglich, weil die strukturellen Defizite mit öffentlichen Mitteln gedeckt werden. Diese Konstellation ist auch der Grund dafür, dass in der Schweiz das wirtschaftliche Potenzial für die Etablierung eines funktionierenden Wettbewerbs zwischen verschiedenen Vollprogrammen mit teils aufwendig produzierten Programmen fehlt. Solche Angebote sind nur möglich, wenn die vorhandenen Ressourcen konzentriert eingesetzt werden.

26 27

Vgl. Service-public-Bericht, S. 22.

Vgl. Trappel, Josef/Delpho, Holger/Hürst, Daniel/Todt, Jan/Evers-Wölk, Michaela (2015): Fernsehen 2019. Neuer Schwung für DVB-T2. Deutschland ­ Österreich ­ Schweiz. Freiburg (D).

8262

BBl 2016

2.5.2

Verwendung der Gebühren bei der SRG

Von den insgesamt 1,35 Milliarden Franken Gebührengelder kommen der SRG 1,235 Milliarden Franken zu. Sie hat ein Budget von rund 1,7 Milliarden Franken bei einem Gebührenanteil der je nach Höhe der kommerziellen Einnahmen zwischen 70 und 73 Prozent liegt. Die kommerziellen Einnahmen der SRG stammen grösstenteils aus dem Fernsehen, da die SRG-Radios keine Werbung schalten dürfen. Beim Fernsehen wies die SRG 2015 kommerzielle Einnahmen von rund 362 Millionen aus, beim Radio beliefen sich die kommerziellen Erträge aus dem Sponsoring auf gut 10 Millionen Franken. Für Werbetreibende ist vor allem die FernsehHauptsendezeit attraktiv.

Die folgende Übersicht zeigt, dass die SRG den grössten Anteil an finanziellen Mitteln in den Informationsbereich investiert. 2015 waren dies 627 Millionen Franken oder 39 Prozent der Kosten. Rund 22 Prozent der Kosten kommen der Unterhaltung und dem Film bzw. 19 Prozent den Bereichen der Kultur, Gesellschaft und Bildung zu. Der Sport kostet etwa 180 Millionen Franken (11 Prozent der Kosten), der Bereich Musik und Jugend 120 Millionen Franken (7 Prozent).

Abbildung 4 Kostenübersicht SRG nach Programminhalten 2015 (in Mio. CHF) Programminhalte

2015

in %

Information

626,7

39

Unterhaltung, Film

355,2

22

Kultur, Gesellschaft, Bildung

309,7

19

Sport

180,4

11

Musik, Jugend

118,6

7

20,3

2

1610,9

100

Drittgeschäft Total Betriebsaufwand Quelle: Angaben der SRG.

Gut 85 Prozent der Produktionskosten oder insgesamt 1,36 Milliarden Franken verwendet die SRG für Eigenproduktionen. Der Eigenproduktionsanteil im Fernsehen beträgt 15 Prozent der gesamten Sendezeit.

Kein Programmbereich lässt sich durch den Markt finanzieren: Die Information, d. h. tagesaktuelle Nachrichtensendungen, Informationsmagazine, Ratgeber oder Wissenschaftssendungen, hat einen Finanzierungsgrad von lediglich 22 Prozent.

Gerade im Bereich Information ist der Anteil an kostenintensiven Eigenproduktionen sehr hoch.

Den höchsten Finanzierungsgrad weisen Serien und Filme auf (44 %). Dies ist wenig erstaunlich, da die Fremdbeschaffungskosten im Vergleich zu Eigenproduktionen deutlich tiefer sind. Umgekehrt sind Kinder- und Jugend- sowie Musiksen8263

BBl 2016

dungen fast gänzlich auf Gebührenfinanzierung angewiesen. Eine Übersicht zum Finanzierungsgrad der Sendesparten gibt die folgende Tabelle: TV-Sendungsfinanzierung nach Programminhalten 2015 Programminhalt

Vollkosten (in Tsd. CHF)

Werbeeinnahmen (in Tsd. CHF)

Abbildung 5 Finanzierungsgrad (in %)

Serien und Filme

135 661

60 153

44,3

Aktualität/Magazine/Information/ Ratgeber/Wissenschaft

624 840

137 669

22,0

Sport

145 422

19 071

13,1

Unterhaltung, Shows

173 756

22 596

13,0

Musik

21 860

1 090

5,0

Kinder und Jugend

26 776

468

1,7

1 128 316

241 046

21,4

Total Betriebsaufwand (nur TV)

Quelle: Angaben der SRG. Im Vergleich zu Abbildung 4 ist der Bereich Aktualität, der auch Information umfasst, breiter definiert. Auch deshalb unterscheiden sich die entsprechenden Beträge.

Grosse Sportereignisse (z. B. Olympische Spiele oder Spiele der Fussball-Europaoder -Weltmeisterschaften) sind zwar Publikumsmagnete. Doch selbst sie lassen sich nicht allein mit Hilfe von Werbung finanzieren. Die Übertragung der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 konnte beispielsweise nur zu 17 Prozent kommerziell finanziert werden.

Je kleiner die Sprachregion, desto mehr ist die Produktion von Radio- und Fernsehprogrammen auf Gebührenfinanzierung angewiesen: Tagesaktuelle Nachrichtensendungen konnten im Jahr 2014 von SRF zu gut 45 Prozent, von RTS zu rund 25 Prozent und von RSI zu rund 10 Prozent kommerziell finanziert werden. Die höchste kommerzielle Finanzierungsquote erzielte die SRG im gleichen Jahr mit Spiel-Shows wie Black Jack bei RSI, das sich zu 42 Prozent refinanzieren liess, oder mit der damaligen Millionen-Falle bei SRF, die zu 78 Prozent aus dem Markt finanziert werden konnte.

2.5.3

SRG-interner Finanzausgleich

Das RTVG verlangt von der SRG, die gesamte Bevölkerung inhaltlich umfassend und mit gleichwertigen Radio- und Fernsehprogrammen in den drei Amtssprachen zu versorgen. Aufgrund der grösseren Bevölkerungszahl stammen 71,3 Prozent der Gebühreneinnahmen aus der deutschsprachigen, jedoch beispielsweise nur 4,5 Prozent aus der italienischsprachigen Schweiz. Mit einem SRG-internen Finanzausgleich wird in allen Sprachregionen ein gleichwertiges Angebot ermöglicht. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl erhalten daher RTS, RSI und RTR einen überpro8264

BBl 2016

portionalen Anteil an Empfangsgebühren und Werbeeinnahmen: So werden der italienischsprachigen Schweiz beispielsweise über 21 Prozent der Mittel zugewiesen; dies ist über viermal mehr als die italienischsprachige Schweiz aufgrund ihrer Bevölkerungszahl einnimmt. Diese Verhältnisse verdeutlicht die folgende Abbildung.

SRG-interner Finanzausgleich 2015

Abbildung 6

Quelle: SRG 2015, Darstellung BAKOM

2.5.4

Lokale und regionale Veranstalter

Für die konzessionierten Lokalradios und Regionalfernsehen stehen seit dem 1. Juli 2016 jährlich 67,5 Millionen Franken zur Verfügung, vorher waren es 54 Millionen Franken. Die Werbe- und Sponsoringerträge der 12 privaten kommerziellen Lokalradios mit Gebührenanteil betrugen 2015 insgesamt rund 41 Millionen Franken. Je nach Veranstalter machen die Gebührenanteile zwischen minimal 13 und maximal 46 Prozent der Gesamterträge aus. Die 13 Regionalfernsehveranstalter erzielen zusammen 38 Millionen Franken Werbe- und Sponsoringerträge. Die Gebührenanteile machen je nach Veranstalter zwischen 28 und 66 Prozent der Gesamterträge aus.28 Die 9 komplementären Radios, für die ein Werbeverbot gilt, sind entsprechend mehr auf die Gebührenfinanzierung angewiesen als die kommerziellen Veranstalter. Sie akquirieren Sponsoring im Umfang von insgesamt rund 880 000 Fran28

BAKOM, Jahresrechnungen der Veranstalter 2015.

8265

BBl 2016

ken. Die Gebührenanteile an den Gesamterträgen betragen zwischen 31 und 66 Prozent.

Nebst den Gebührenanteilen kommt den privaten Radioveranstaltern weitere finanzielle Unterstützung für die digitale Verbreitung ihrer Programme über DAB+ zu, die teils ebenfalls aus den Gebühren finanziert wird. Im Jahr 2015 wurde die Radioverbreitung in Bergregionen ausserdem mit knapp 860 000 Franken aus Bundesmitteln subventioniert.

In finanzieller Hinsicht ist bei den Lokalradios und Regionalfernsehen die Grösse prägend: Kommerzielle private Radios lassen sich in den grösseren Agglomerationen ohne Gebührenunterstützung betreiben, während Radiostationen in Berg- und Randregionen auf Gebührenunterstützung angewiesen sind. Mehrere Regionalfernsehveranstalter stecken selbst mit Gebührenunterstützung in finanziellen Schwierigkeiten. Gründe dafür sind die hohen Fixkosten beim Fernsehen und die Tatsache, dass die regional ausgerichteten Veranstalter zu klein sind, um diese Fixkosten auf eine ausreichend grosse Anzahl Zuschauerinnen und Zuschauer zu verteilen. Zudem bieten die meisten Regionalfernsehen keine Vollprogramme an, was ihre Position auf dem Publikumsmarkt und damit auch auf dem Werbemarkt erschwert.

2.6

Service-public-Veranstalter im Ausland

In den meisten europäischen Staaten gibt es einen Service public der elektronischen Medien.29 Meist wird er von einer einzigen Organisation erbracht, deren Lizenz periodisch erneuert wird. Inhaltlich arbeiten die Service-public-Veranstalter auf der Grundlage von Leistungsaufträgen, die vergleichbare Vorgaben enthalten. So sind die Service-public-Medien in den meisten europäischen Staaten zu Vielfalt und Ausgewogenheit verpflichtet und müssen zum Zusammenhalt des Landes beitragen.

Finanziert werden die Service-public-Medien durch öffentliche Gelder und durch Werbeeinnahmen. Nur in den nordischen Ländern und in Grossbritannien wird ganz auf Werbung verzichtet.30 In den meisten europäischen Ländern gibt es asymmetrische Werberegeln zugunsten der privaten Medien. In allen Ländern können die Service-public-Medien, mit unterschiedlichen Einschränkungen zugunsten der privaten Medien, auch im Online-Bereich aktiv sein. Auch Werbung im OnlineBereich ist den meisten europäischen Service-public-Veranstaltern erlaubt. Nur in Deutschland und der Schweiz dürfen die Service-public-Medien keine Werbung im Online-Bereich schalten. In allen europäischen Staaten müssen die Service-publicMedien in Jahres- und Finanzberichten aufzeigen, wie sie ihren öffentlichen Auftrag erfüllen und wie sie das öffentliche Geld verwenden. Neben weiteren Instrumenten der Rechenschaftsablegung kennen einige Staaten vor der Einführung neuer Ange-

29

30

Vgl. Studer, Samuel/Schweizer, Corinne/Puppis, Manuel/Künzler, Matthias (2014): Darstellung der Schweizer Medienlandschaft. Bericht zuhanden des Bundesamts für Kommunikation. Freiburg i. Ü. Ziffer 3.2.

Vgl. Puppis, Manuel/Schweizer, Corinne (2015): Service public im internationalen Vergleich. Bericht zuhanden des Bundesamts für Kommunikation. Freiburg i. Ü. Ziffer 5.2.

8266

BBl 2016

bote des Service public aufwendige Ex-Ante-Testverfahren (sog. Public Value Tests oder Dreistufentests).

Im Gegensatz zu Europa beruht die Rundfunkpolitik der USA auf einer marktwirtschaftlichen Konzeption mit zurückhaltender staatlicher Regulierung. Öffentliches Radio und Fernsehen existieren zwar in den USA auch. Sie sind aber im Gegensatz zu den europäischen öffentlichen Veranstaltern nicht durch namhafte Gebührenbeträge finanziert, sondern hängen stark von freiwilligen Spenden ab und erhalten vergleichsweise geringe staatliche Zuschüsse. Der Service public in den USA spielt aber im gesamten Mediensystem des Landes nur eine marginale Rolle.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Das Hauptziel der Initiative ist die Abschaffung der Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen (Art. 93 Abs. 4 BV gemäss Initiativtext). Damit würde auch das nach Ansicht der Initiantinnen und Initianten mit erheblichem bürokratischen Aufwand und Eingriffen in die Privatsphäre verbundene Inkasso der Gebühren durch die heutige Erhebungsstelle Billag AG entfallen.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die Initiantinnen und Initianten sprechen sich für eine Medienlandschaft aus, die auch im Bereich von Radio und Fernsehen ausschliesslich von den Mechanismen der Marktwirtschaft geprägt würde. Sie kritisieren die heutige Marktverzerrung durch die überwiegende Gebührenausschüttung an die SRG und stellen sich weiter auf den Standpunkt, dass in einer freien Gesellschaft Staatsmedien, wie das Initiativkomitee gebührenfinanzierte Radio- und Fernsehangebote nennt, unnötig seien, was sich auch in ihrem Vorschlag für einen neuen Artikel 93 Absatz 6 niederschlägt.

Demzufolge betreibt der Bund in Friedenszeiten keine eigenen Radio- und Fernsehstationen.

Laut den Initiantinnen und Initianten würde der Wegfall der Empfangsgebühren einen «fairen Medien-Wettbewerb»31 ermöglichen. Entsprechend werden im vorgeschlagenen Artikel 93 Absatz 4 BV Subventionen an Radio- und Fernsehveranstalter ganz ausgeschlossen. So könnten «alle Medien wieder gleichberechtigt um die Gunst der Kundinnen und Kunden werben und nachfrageorientiert Programme anbieten, die beim Publikum Anklang finden»32. Die Konsumentinnen und Konsumenten könnten werbefinanzierte Angebote künftig gratis nutzen oder die von ihnen nachgefragten Angebote mittels Abonnementsgebühren finanzieren. Laut dem neuen Artikel 93 Absatz 3 BV soll der Bund regelmässig Konzessionen für Radio und Fernsehen versteigern.

31 32

www.nobillag.ch > Die Initiative > Argumente Ziff. 3 www.nobillag.ch > Die Initiative > Argumente Ziff. 9

8267

BBl 2016

Obschon die Initiative die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Radio und Fernsehen unangetastet lässt (Art. 93 Abs. 1 BV), strebt sie auch über die Frage der Finanzierung hinaus eine Deregulierung von Radio und Fernsehen an. So sieht sie eine Änderung von Artikel 93 Absatz 2 BV (Leistungsauftrag an Radio und Fernsehen) vor, was einem Verzicht auf den bestehenden Service public in Radio und Fernsehen gleichkommt. Entsprechend wird auch der geltende Absatz 4 (Rücksichtnahme auf andere Medien) entfallen. Weiter soll auch Artikel 93 Absatz 5 BV geändert werden, womit die Verfassungsgrundlage für eine unabhängige Beschwerdeinstanz aufgehoben würde.

3.3

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

Der geltende Artikel 93 Absätze 1 und 3 BV bleibt inhaltlich unverändert; Absatz 3 wird lediglich umnummeriert und neu zu Absatz 2. Damit bleibt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich von Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen bestehen. Die Initiative befasst sich ausschliesslich mit Radio und Fernsehen.

Bezüglich einer allfälligen künftigen Regulierung und Finanzierung im Bereich der «neuen Medien» (andere Formen öffentlicher fernmeldetechnischer Verbreitung) enthält sie keine neuen Vorgaben oder Einschränkungen zuhanden des Gesetzgebers. Die Unabhängigkeit und die Programmautonomie von Radio und Fernsehen werden von der Verfassung weiterhin garantiert (Abs. 3 geltendes Recht, bzw.

Abs. 2 gemäss Initiativtext).

Der geltende Artikel 93 Absätze 2, 4 und 5 BV soll geändert und somit inhaltlich aufgehoben werden. Begründungen hierzu finden sich in den öffentlich zugänglichen Materialien der Initiative nicht. Der geltende Absatz 2 regelt den Leistungsauftrag für das schweizerische Rundfunksystem. Radio und Fernsehen sollen zur Bildung, kulturellen Entfaltung, Meinungsbildung und Unterhaltung beitragen, die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone berücksichtigen, die Ereignisse sachgerecht darstellen und die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck bringen. Durch die Änderung bzw. Aufhebung von Absatz 2 würde die bisherige verfassungsrechtliche Pflicht des Staates entfallen, geeignete Rahmenbedingungen zum Erreichen dieser Ziele zu schaffen und die Finanzierung der Leistungen zu sichern. Die Steuerung der Radio- und Fernsehlandschaft würde ausschliesslich den Marktkräften überlassen.

Der geltende Artikel 93 Absatz 4 BV schreibt dem Gesetzgeber vor, bei der Regulierung der elektronischen Medien auf die Stellung und Aufgabe anderer Medien, vor allem der Presse, Rücksicht zu nehmen. Dessen Änderung bzw. Aufhebung kann so interpretiert werden, dass die Initiative von einem künftig nur noch schwach regulierten Rundfunksystem ausgeht, in dem es zu keinen Marktverzerrungen aufgrund öffentlicher Finanzierungshilfen kommen soll.

Die inhaltliche Aufhebung der Verfassungsnorm über eine unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (Art. 93 Abs. 5 BV) würde dazu führen, dass der verfassungsrechtliche Anspruch entfällt, Programmbeschwerden einer unabhängigen Instanz unterbreiten zu können. Der Staat wäre gestützt auf die Verfassung jeden8268

BBl 2016

falls nicht mehr verpflichtet, dem Publikum eine Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung zu stellen. Eine solche wäre jedoch aufgrund der inhaltlichen Anforderungen an Fernsehprogramme, die das für die Schweiz anwendbare Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5. Mai 198933 (EÜGF, Art. 7) stellt, angezeigt. Die Motivation des Initiativkomitees für diese Streichung ist unklar, da zwischen der Tätigkeit der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) und der Gebührenfinanzierung der SRG und anderer konzessionierter Veranstalter kein zwingender sachlicher Zusammenhang besteht. Auch das von den Initianten angestrebte, rein marktorientierte System schliesst nicht aus, dass der mit der Schaffung der UBI primär verfolgte Zweck, das Publikum vor Manipulationen und unzulässigen Sendungen bzw. anderen Publikationen zu schützen, gewährleistet ist.

Zum neuen Absatz 3 befinden sich in den öffentlich zugänglichen Materialien der Initiantinnen und Initianten keine Angaben. Heute kennt das RTVG Veranstalterkonzessionen, die einerseits Leistungsaufträge an die SRG und an private Veranstalter festlegen und andererseits Privilegien wie Gebührenanteile und Zugang zur Verbreitung garantieren. Mit der künftigen Versteigerung von Konzessionen gemäss Initiative dürfte nach Würdigung aller Umstände wohl die Versteigerung von Konzessionen gemeint sein, die sich einzig auf die Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen bezieht. Es ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund des technischen Wandels (Digitalisierung) die Bedeutung solcher Konzessionen für die Zukunft zu relativieren ist.

Die vorgeschlagenen Absätze 4 und 5 befassen sich mit der künftigen Finanzierung von Radio und Fernsehen. Die elektronischen Medien haben im Grundsatz ohne Subventionen des Bundes auszukommen. Damit wäre nicht nur eine Unterstützung der SRG und der weiteren konzessionierten Programmveranstalter mit Gebührenanteil ausgeschlossen. Auch weitere an Programmveranstalter ausgerichtete Subventionen wie z.B. die zusätzliche Finanzierung des Auslandangebots der SRG, die Unterstützung neuer Verbreitungstechnologien (Umstellung von UKW auf DAB+), Beiträge zur Verbreitung von Programmen in Bergregionen oder Beiträge an die Untertitelung von Informationssendungen wären nicht mehr zulässig.

Einzig für das Ausstrahlen
von dringlichen amtlichen Mitteilungen dürfte der Bund Zahlungen an die Veranstalter ausrichten. Offen bleibt, wie es sich mit der bisher praktizierten finanziellen Unterstützung der Aus- und Weiterbildung von Programmschaffenden elektronischer Medien, der Medienforschung, der Unterstützung von Archivierungsprojekten sowie der Stiftung für Nutzungsforschung und weiterer Förderungsprojekte verhält, deren Destinatäre nicht zwingend Radio- und Fernsehveranstalter sind. Solche nicht direkt an die Radio- und Fernsehveranstalter auszurichtenden Subventionen, werden vom Initiativtext jedenfalls nicht zwingend ausgeschlossen.

Das «Verbot» eines vom Bund selber betriebenen Fernsehens bzw. Radios ergibt sich bereits aus dem heutigen Artikel 93 Absatz 3 BV. Gemäss Initiativtext will der neue Absatz 6 für Kriegssituationen explizit eine Ausnahmeregelung schaffen. Nur bei dieser Auslegung kommt Absatz 6 eine eigenständige Bedeutung zu.

33

SR 0.784.405

8269

BBl 2016

Was die Umsetzung der Initiative angeht, verwendet diese in ihren Übergangsbestimmungen die rechtlichen Begriffe «Ausführungsbestimmungen» und «gesetzliche Bestimmungen». Ein Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen vor dem 1. Januar 2018 (vgl. Art. 197 Ziff. 12 Abs. 1 BV) ist aufgrund des voraussichtlichen Abstimmungstermins als nicht realisierbar einzustufen. Würde die Initiative angenommen, müsste der Bundesrat daher in einer Verordnung die Ausführungsbestimmungen erlassen.

Absatz 3 der Übergangsbestimmungen verknüpft die endgültige, entschädigungslose Aufhebung der Konzessionen mit Gebührenanteil mit dem Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen zur Umsetzung der Initiative. Damit will die Initiative offenbar einen geordneten Ausstieg aus dem bisherigen System der elektronischen Medien ermöglichen. Das Gebührensystem soll während der Übergangsphase bis zur Umsetzung der Initiative durch den Gesetzgeber weitergeführt werden können.

Die Regelung in Artikel 197 Ziffer 12 Absatz 3 BV legt den Schluss nahe, dass das Initiativkomitee nicht von einer direkten Anwendbarkeit der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung ausgeht. Der Bundesrat teilt diese Auffassung. Einzelne Aspekte des Initiativvorschlags wie das Subventionsverbot (Abs. 4) und das Verbot der Gebührenerhebung (Abs. 5) mögen zwar hinreichend bestimmt formuliert sein und würden sich grundsätzlich für eine direkte Anwendbarkeit eignen, doch bilden sie Teil eines noch zu konkretisierenden Gesamtsystems und könnten deshalb gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht isoliert umgesetzt werden (vgl.

BGE 139 I 16 E. 4.3). Insbesondere die Bestimmung über die Versteigerung der Konzessionen (Art. 93 Abs. 3 BV gemäss Initiativtext) ist offen formuliert und somit nicht präzis genug für eine direkte Anwendung. Eine Versteigerung von Konzessionen setzt verschiedene gesetzgeberische Entscheide voraus. Zu diesen zählen unter anderem formelle und inhaltliche Anforderungen an die Konzession sowie die Festlegung der Versteigerungsmodalitäten. Diese Aspekte bedürfen der Umsetzung durch den Gesetzgeber und könnten nicht direkt gestützt auf die Verfassung erfolgen.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

4.1.1

Aus systematischer Sicht

Die Initiative verbietet die Erhebung von Empfangsgebühren und untersagt zugleich jegliche Subventionierung von «Radio- und Fernsehstationen». Sie stellt sich damit grundsätzlich gegen das heutige System von Radio und Fernsehen in der Schweiz.

Aus systematischer Sicht lässt der Initiativtext viele Fragen offen und wirkt teilweise wenig durchdacht.

Im Gegensatz zur Initiative will der Bundesrat am heutigen Rundfunksystem grundsätzlich festhalten, dieses aber weiterentwickeln. Damit folgt er seiner Haltung, wie er sie im Bericht zum Service public dargelegt hat. Darin ist er zum Schluss gekommen, dass die Schweiz auch in Zukunft eigenständige, in allen Sprachregionen vergleichbare, qualitativ gute, unabhängige und einforderbare Radio- und Fernseh8270

BBl 2016

angebote braucht und dafür die entsprechenden finanziellen Mittel bereitgestellt werden müssen. Darüber hinaus wird in Zukunft der Verbreitung solcher Angebote über das Internet ein noch grösserer Stellenwert zukommen.

4.1.2

Aus ökonomischer Sicht

Bei einer Annahme der Initiative wäre die öffentliche Finanzierung von Medienangeboten nicht mehr möglich. Zwar bieten auch gewinnorientierte, privatwirtschaftlich finanzierte Medienangebote Qualität und Vielfalt. Aber in der Schweiz würde eine rein marktwirtschaftliche Organisation von Radio und Fernsehen keine ausreichenden, in allen Sprachregionen vergleichbare und qualitativ gute Angebote garantieren, dies einerseits wegen der Mehrsprachigkeit, andererseits wegen der Kleinräumigkeit der Schweiz. Denn im marktwirtschaftlichen Wettbewerb bestimmt die Grösse des Sprach- und Kulturraums die Qualität und Vielfalt der Medienangebote in entscheidendem Masse. Die entsprechende ökonomische Logik dahinter ist die Folgende: Die erstmalige Herstellung eines Medienproduktes ist aufgrund hoher Fixkosten und infolge der unsicheren Nachfrage mit einem hohen finanziellen Risiko verbunden (sog. first copy cost). Rein gewinnorientierte Medienunternehmen minimieren dieses Risiko, indem sie Angebote produzieren, die die Erwartungen des Publikums möglichst gut erfüllen und von einem möglichst grossen Publikum nachgefragt werden. Wie unterschiedlich diese Angebote sind, hängt grundsätzlich davon ab, wie vielfältig die Interessen des Publikums sind. Je unterschiedlicher die Publikumsinteressen sind, desto unterschiedlicher müsste das Medienangebot sein. Eine solche Vielfalt setzt aber voraus, dass die einzelnen Minderheiten gross genug sind, um die entsprechenden Fixkosten auch zu bezahlen. Es braucht also genügend Abonnentinnen und Abonnenten und/oder Werbekontakte. Weil dies oft nicht gegeben ist, setzen gewinnorientierte Medienunternehmen bei der Produktion vor allem auf mehrheitsfähige Programme, bzw. auf sogenannte General-Interest-Themen. Sie richten also einen grossen Teil ihres Angebotes auf mehrheitsfähige Mainstreaminteressen. In der Konsequenz führt dies nicht zu Angebotsvielfalt. Würde das Radiound Fernsehangebot in der Schweiz also nach reiner Marktlogik existieren, wäre die beschriebene Vereinheitlichung des Angebots aufgrund der Kleinräumigkeit der regionalen Märkte und der Mehrsprachigkeit besonders ausgeprägt. Die Angebotsvielfalt und die Berücksichtigung von Minderheiteninteressen ausserhalb der Marktlogik werden daher via Gebührenfinanzierung ermöglicht. Vergleichbares gilt für den
Qualitätsjournalismus. Qualitativ hochwertige Medieninhalte werden nach reiner Marktlogik dann hergestellt, wenn sie rentabel sind, d. h. wenn die Bereitschaft eines ausreichend grossen Publikums vorhanden ist, für diese Qualität auch tatsächlich zu bezahlen, oder wenn sich diese Inhalte via Werbung kommerzialisieren lassen. Ist dies nicht gegeben, wird ein Medienunternehmen aus finanziellen Gründen das Angebot entsprechend anpassen und damit auch Qualitätseinbussen in Kauf nehmen.

Kritikerinnen und Kritiker des aktuellen medialen Service public argumentieren, öffentlich finanzierte Medienangebote würden mit der Digitalisierung und dem damit praktisch vollständigen Wegfall von Kapazitätsengpässen bei der Verbreitung überflüssig. Sie sehen ein erhebliches Wachstumspotenzial bei der Anzahl und 8271

BBl 2016

Breite an Online-Angeboten. Auf der Einnahmenseite ist aber zu berücksichtigen, dass bekanntlich die Bereitschaft der Nutzerinnen und Nutzer, für Online-Inhalte zu bezahlen, sehr gering ist. Die Werbewirtschaft favorisiert Webseiten mit den höchsten Nutzerzahlen, d. h. Suchmaschinen, soziale Netzwerke und Plattformen, die Medieninhalte bündeln. Die Webseiten der Medienhäuser haben im Vergleich dazu das Nachsehen. Deshalb ist ein grosser Teil der von Medienunternehmen produzierten Inhalte im Internet auf Quersubventionierung aus dem traditionellen Geschäft angewiesen, was wiederum deren Refinanzierungsmöglichkeiten schmälert. 34 Wohl sind, wie oben erwähnt, Produktions-/Distributionskosten unter digitalen Bedingungen tiefer, hingegen erfordern die kürzeren Technologielaufzeiten und Investitionszyklen mehr finanzielle Mittel. Für die Herstellung des Qualitätsjournalismus gilt in der digitalen Welt das Gleiche wie in der analogen: Er ist ressourcenintensiv.

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.2.1

Auswirkungen auf das Radio- und Fernsehangebot und die Anbieter

Bei Annahme der Initiative würde die bisherige öffentliche Finanzierung des Service public im Radio- und Fernsehbereich wegfallen. Das heutige qualitativ gute Angebot an Informations-, Bildungs- und Kultursendungen wäre mit Werbeeinnahmen nicht mehr im bisherigen Ausmass finanzierbar. Die Radioprogramme und Onlineangebote der SRG sind heute werbefrei, einzig in den Radioprogrammen ist Sponsoring erlaubt. Sie erzielen deshalb ausserhalb des Sponsorings im Radio keine kommerziellen Einnahmen. SRG-TV-Programme, welche Werbung schalten, spielen nur 23 Prozent ihrer Ausgaben mit Werbeeinnahmen wieder ein. Bei Annahme der Initiative müssten die heute gebührenfinanzierten Programme aus wirtschaftlichen Gründen reduziert oder eingestellt werden, sofern sie keine neuen Finanzquellen erschliessen können. Allenfalls in der Deutschschweiz wäre das wirtschaftliche Potenzial für ein werbefinanziertes sprachregionales Vollprogramm vorhanden. Dies könnte auch auf die französischsprachige, nicht aber auf die italienisch- oder rätoromanischsprachige Schweiz zutreffen. Rein kommerzielle Radio- und Fernsehangebote sind aus wirtschaftlichen Gründen in der Regel unterhaltungsorientiert. Dies zeigen entsprechende schweizerische und ausländische Angebote. Ob und in welchem Umfang ein werbefinanziertes sprachregionales Programm noch Informationsangebote umfassen würde, lässt sich nicht genau abschätzen. Die Produktionskosten für Informationssendungen sind hoch. Heute lassen sich beispielsweise die tagesaktuellen Nachrichten- und Informationssendungen von SRF zu gut 45 Prozent, von RTS zu rund 25 Prozent und von RSI zu rund 10 Prozent über Werbung finanzieren, d. h. sie sind zu bedeutenden Teilen gebührenfinanziert. Entsprechend geringer würde wohl das Informationsangebot ohne Gebührenfinanzierung ausfallen. 35 34

35

Vgl. dazu: Seufert, Wolfgang (2012): Auswirkungen des Medienwandels auf die Struktur des marktfinanzierten Medienangebotes. In: Medienwandel oder Medienkrise? Folgen für Medienstrukturen und ihre Erforschung. Jarren, Ottfried/Künzler, Matthias/Puppis, Manuel (Hrsg.). Baden-Baden. S. 145 ff.

Service-public-Bericht, S. 31.

8272

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Eine Annahme der Initiative hätte folglich einen Abbau des SRG-Angebots, der Radiostationen in Berg- und Randregionen und des Regionalfernsehens zur Folge.

Die Meinungs- und Angebotsvielfalt in Radio und Fernsehen würde sehr wahrscheinlich abnehmen. Die kleinen Sprachregionen würden am meisten getroffen.

Dies vor allem auch, weil der heute wirksame SRG-interne Finanzausgleich wegfallen würde, der die Finanzierung von umfassenden Radio- und Fernsehangeboten in der französisch- und in der italienischsprachigen Schweiz heute überhaupt ermöglicht. Denkbar ist, dass als Folge des Wegfalls der gebührenfinanzierten Programmangebote auch neue Sender entstehen, die sich ausschliesslich am Markt orientieren. Inwiefern dies so wäre, lässt sich nicht voraussagen.

Das heutige Schweizer Fernsehpublikum schaut zu zwei Dritteln ausländische Programme. Diese Angebote können sich aus grösseren Heimmärkten mit höheren Werbe- und Gebühreneinnahmen finanzieren. Bestehende und neue Schweizer Anbieter hätten ohne Gebührenunterstützung einen entscheidenden Nachteil: Im kleinräumigen Schweizer Markt stehen ihren Fixkosten relativ kleine Erträge gegenüber. In erster Linie dürften also die Angebote aus den grossen, gleichsprachigen Nachbarländern von einer Annahme der Initiative profitieren.

4.2.2

Auswirkungen auf die Verbreitung von Radio und Fernsehen

Bei einem Verzicht auf die Erhebung von Radio- und Fernsehempfangsgebühren und einem Subventionsverbot für Radio und Fernsehveranstalter müssten auch Einbussen im Bereich der Verbreitung der Rundfunkprogramme in Kauf genommen werden. Die Umstellung der Radioverbreitung auf digitale Technologien wäre gefährdet, und eine flächendeckende Versorgung mit Rundfunkprogrammen namentlich in den Rand- und Berggebieten könnte nicht mehr garantiert werden.

Die SRG bezahlt derzeit jährlich insgesamt gut 100 Millionen Franken für die Verbreitung ihrer elektronischen Angebote. Ihre Radio- und TV-Programme sind in der ganzen Schweiz über verschiedene Verbreitungswege flächendeckend empfangbar.

Bei den privaten Radiostationen mit Gebührenunterstützung fallen jährlich rund 3,5 Millionen Franken für die drahtlos-terrestrische Verbreitung ihrer Programme an.

Davon sind 50­70 Prozent durch Gebühren gedeckt. Den privaten Fernsehveranstaltern entstehen Kosten für die Zuführung der Programme zu den Kabel- und Telefonnetzen in der Höhe von knapp zwei Millionen Franken. Diese sind heute ebenfalls teilweise durch Gebühren gedeckt.

Die Initiative sieht vor, dass der Bund Zahlungen zur Ausstrahlung von dringlichen amtlichen Mitteilungen leisten kann. Eine effiziente Warnung und Alarmierung mit Verhaltensanweisungen setzt im heutigen Zeitpunkt jedoch ein ständig sendebereites flächendeckendes Radiosendernetz (UKW/DAB+) voraus, das bei Annahme der Initiative nicht mehr garantiert wäre. Allein die SRG zahlt jährlich rund 45 Millionen Franken für den Betrieb eines solchen Netzes. Bei einer Annahme der Initiative wäre deshalb auch die aktuelle Organisation des Notsendernetzes «Information der Bevölkerung durch den Bund in Krisenlagen mit Radio (IBBK-Radio, vgl. Ziff.

2.3.3) in Frage gestellt.

8273

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4.2.3

Auswirkungen auf die Demokratie

Der Initiativvorschlag stellt das heutige System von Radio und Fernsehen grundsätzlich in Frage. Er strebt ein anderes Mediensystem an, indem er die Erhebung von Empfangsgebühren verbieten will. Zugleich untersagt er jegliche Subventionierung von «Radio- und Fernsehstationen» und streicht den heutigen verfassungsrechtlichen Leistungsauftrag (vgl. Ziff. 2.1), der auch das Gebot der Sachgerechtigkeit und der Vielfalt umfasst. Mit dem Wegfall des Sachgerechtigkeitsgebots bei Informationssendungen ginge ein wirksames Instrument verloren, das eine unsachgemässe Beeinflussung der Meinungsbildung des Publikums verhindern soll.

Das heutige Gebührensystem bzw. die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung von Service-public-Anbietern garantiert elektronische Medien, die zum Funktionieren der demokratischen Meinungs- und Willensbildung und zur kulturellen Entfaltung beitragen. Die SRG als ein von politischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängiger Verein ist verpflichtet, ein vielfältiges Angebot zu garantieren, das auch die Interessen der Minderheiten berücksichtigt.

Eine Annahme der Initiative hätte zur Folge, dass die Schweiz keine wirksame und umfassende Medienpolitik mehr betreiben könnte. Die dem Bund verbleibende Gesetzgebungskompetenz würde sich auf die Festlegung ordnungspolitischer Rahmenbedingungen für die öffentliche Kommunikation beschränken. Mit der Aufhebung des allgemeinen Leistungsauftrags und dem Verbot, Radio und Fernsehen finanziell zu unterstützen, ginge aber das zentrale medienpolitische Gestaltungsinstrument des Bundesrates verloren, nämlich von konzessionierten Veranstaltern publizistische Leistungen einzufordern und sie im Gegenzug finanziell zu unterstützen. Den Service public bei den elektronischen Medien gäbe es in der heutigen Form nicht mehr. Dadurch ginge ein politisch definiertes Angebot im Sinne eines Dienstes an der Gesellschaft verloren, der zum demokratiepolitischen Prozess beiträgt, sich um die Einheit der Gesellschaft bemüht, kulturelle Impulse setzt sowie ethische Minimalstandards und besondere Leistungen zugunsten von sinnesbehinderten Menschen garantiert. Vor diesem Hintergrund erachtet der Bundesrat die Forderungen der Initiative als unverhältnismässig.

4.2.4

Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft

Eine Analyse der heutigen Mittelverwendung der SRG und der privaten gebührenfinanzierten Radio- und Fernsehveranstalter macht deutlich, dass eine Annahme der Initiative erhebliche Auswirkungen auf das kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Schweiz haben könnte. Der Leistungsauftrag der SRG ist breit und umfasst die Bereiche Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung. Teil des Auftrags sind ferner auch Leistungen zugunsten der gesellschaftlichen und kulturellen Integration.

Aufgrund dieser umfassenden Verpflichtungen sind die Folgen bei einer Annahme der Volksinitiative ebenfalls umfassend. Der Programmauftrag der gebührenfinanzierten privaten Lokalradios und Regionalfernsehen beschränkt sich hingegen auf den Informationsbereich während der Hauptsendezeiten. Bei Annahme der Volksinitiative wäre mit einer Reduktion in diesem Bereich zu rechnen. Die SRG investiert 8274

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den grössten Anteil an finanziellen Mitteln in den Informationsbereich. Der Wegfall der Gebühren hätte eine bedeutende Reduktion an Umfang und Inhalt der Informationsleistung der SRG zur Folge. Der Bevölkerung ginge damit ein Medienangebot zur demokratischen Meinungs- und Willensbildung verloren, das heute in bedeutendem Masse genutzt wird (vgl. Ziff. 2.4). Unter Druck kämen auch die massgeblich via Empfangsgebühren mitfinanzierten Radios in Berg- und Randregionen sowie die Regionalfernsehen. Folglich könnten auch die Informationsleistungen in den entsprechenden Räumen nicht mehr im bisherigen Umfang erbracht werden. Auf rein kommerzieller Basis liessen sich diese Angebote kaum mehr finanzieren.

Tangiert würden auch die heutigen Leistungen der SRG im Bereich der Integration und Identifikation. Die Verpflichtung zur Förderung des Austauschs unter den schweizerischen Kulturen, bzw. die Stärkung der gegenseitigen Verständigung und des nationalen Zusammenhalts würde ebenso wegfallen wie die publizistischen Angebote für sinnesbehinderte Menschen. Ebenfalls wegfallen würde die Vorgabe, für eine Vielzahl an Bevölkerungsgruppen Sendungen zu produzieren. Angebote für gesellschaftliche und kulturelle Minderheiten hätten gegenüber mehrheitsfähigen Sendungen einen schweren Stand.

Wäre die SRG nicht mehr gebührenunterstützt und hätte sie keinen Leistungsauftrag mehr zu erfüllen, entfiele ebenfalls ihre heutige Verpflichtung, bei der journalistischen Arbeit eine Leitbildfunktion einzunehmen. Die Annahme der Initiative könnte daher auch Auswirkungen auf den Qualitätsjournalismus haben.

Weil die SRG heute verpflichtet ist, konkrete Förderleistungen in diversen Bereichen zu erfüllen, würden folgende gesellschaftliche und kulturelle Leistungen teilweise wegfallen oder reduziert: ­

Information: Rund ein Drittel der gesamten SRG-Kosten, nämlich 627 Millionen Franken, wird in Leistungen im Bereich Information investiert. Dieser Betrag macht die Hälfte der Gebühreneinnahmen der SRG aus.

­

Kultur und Bildung: Die SRG investiert hier jährlich mehr als 300 Millionen Franken, davon über 40 Millionen in den Film. Zudem unterstützt sie mehrere Filmfestivals mit 2,9 Millionen Franken. Rund 8,5 Millionen Franken bezahlt sie für Honorare und Rechteabgeltungen für Musik sowie als Abgeltung für lokale Musikaufträge. Sie wendet zudem jährlich mehrere Millionen Franken für klassische Orchester auf. Die SRG fördert und unterstützt auch Literaturveranstaltungen wie die Solothurner Literaturtage und den Salon du livre in Genf.

­

Integration und Identifikation: Die SRG fördert den Austausch unter den schweizerischen Kulturen bzw. die Stärkung der gegenseitigen Verständigung und des nationalen Zusammenhalts, und sie berücksichtigt die kommunikativen Bedürfnisse aller Generationen und gesellschaftlichen Gruppierungen. So gibt die SRG derzeit jährlich 11 Millionen Franken zugunsten der sinnesbehinderten Menschen aus.

­

Sport: Die SRG hat 2015 insgesamt 180 Millionen Franken für den Sport ausgegeben; in «Sportjahren» wie 2014 können die Ausgaben um bis zu einem Drittel ansteigen. Diese Gelder fliessen von den Verbänden zum Teil zurück zu den einzelnen Sportvereinen und werden dort für die Jugend- und 8275

BBl 2016

Nachwuchsförderung eingesetzt. Die SRG berichtet regelmässig über mehr als 60 Sportarten und trägt zur Förderung des Breitensports und von Minderheitensportarten bei.

4.2.5

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die Daseinsberechtigung des medialen Service public ist in erster Linie demokratieund gesellschaftspolitischer Natur. Er stellt aber auch einen Wirtschaftsfaktor dar.36 Auf den ersten Blick hätte die von der Initiative geforderte Abschaffung der Empfangsgebühren positive volkswirtschaftliche Effekte. Haushalte und Unternehmen könnten über den Betrag, den sie heute für die Empfangsgebühren aufwenden müssen, frei verfügen. Insgesamt würden rund 1,35 Milliarden Franken Kaufkraft frei.

Ob diese zusätzlichen frei verfügbaren Mittel für andere Medienangebote aufgewendet oder für andere Zwecke eingesetzt würden, ist aber offen.

Mit dem gebührenfinanzierten Service public sind auch Arbeitsplätze und ist Wertschöpfung in- und ausserhalb der Medienbranche verbunden, die bei Annahme der Initiative ganz oder teilweise wegfallen oder verlagert würden:

36

­

Arbeitsplätze: Pro Arbeitsplatz bei der SRG und anderen konzessionierten Veranstaltern entsteht nochmals ein weiterer Arbeitsplatz bei schweizerischen Unternehmen anderer Branchen. Die SRG bietet insgesamt rund 5900 Vollzeitstellen an, die konzessionierten Lokalradio- und Regionalfernsehveranstalter mit Gebührenanteil knapp 900 Vollzeitstellen. Über diese direkten Arbeitsplätze hinaus generiert der Service public in anderen Branchen rund 6700 Vollzeitstellen.

­

Mit der Textilindustrie vergleichbare Bruttowertschöpfung: Der gebührenfinanzierte Service public erwirtschaftet direkt eine Bruttowertschöpfung von fast 1 Milliarde Franken. Dies entspricht in etwa der Wertschöpfung der Textil- und Bekleidungsindustrie. Von der wirtschaftlichen Tätigkeit des Service public profitieren auch Unternehmen anderer Branchen, beispielsweise die Unternehmen der audiovisuellen Industrie. Insgesamt entstehen bei anderen Branchen 840 Millionen Franken zusätzliche Wertschöpfung.

Inwiefern sich diese Wertschöpfung bei Annahme der Initiative verlagert, ist offen.

­

Pro Gebührenfranken, der in den Service public fliesst, entsteht in der Schweiz insgesamt eine Bruttowertschöpfung von Fr. 1.40.

­

Pro Franken Wertschöpfung, der von der SRG und den gebührenfinanzierten Lokalradios und Regionalfernsehen erwirtschaftet wird, entstehen nochmals 90 Rappen Wertschöpfung bei schweizerischen Unternehmen anderer Branchen.

Die folgenden Daten (Erhebungsjahr 2015) basieren auf einer Studie des BAK Basel unter dem Titel «Volkswirtschaftliche Effekte des gebührenfinanzierten medialen Service public. Eine makroökonomische Wirkungsanalyse», im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation.

8276

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Volkswirtschaftliche Effekte lassen sich auch auf sprachregionaler und lokaler Ebene nachweisen. Was die SRG anbelangt, so sind diese im französisch- und italienischsprachigen Landesteil im Vergleich zu den entsprechenden Bevölkerungsanteilen überproportional stark. Insbesondere im Kanton Tessin ist die SRG ein bedeutender Arbeitgeber.

Neben diesen direkten und indirekten Effekten auf die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze haben die gebührenunterstützten Programmveranstalter zum Teil auch eine wichtige Funktion als Anbieter von Werbeplattformen: Mit keinem anderen Schweizer Medium erreichen Werbespots ein so grosses Publikum wie mit der Ausstrahlung über die SRG-Fernsehkanäle. Entsprechend geschätzt werden diese Programme von der Werbewirtschaft. Ohne Gebührenunterstützung würden weniger Mittel zur Verfügung stehen, um publikumsattraktive Programme zu produzieren.

Damit würde vermutlich die Reichweite sinken und der Werbeumfang reduziert.

Dies hätte negative Folgen auf die werbetreibende Wirtschaft.

Die Schweizerische Erhebungsstelle für Radio- und Fernsehgebühren (Billag AG) verfügt über 190 Arbeitsplätze. Diese sind ­ unabhängig vom Verlauf der Volksinitiative ­ derzeit nicht gesichert, denn das Inkassomandat der Billag AG endet voraussichtlich am 31. Dezember 2018. Das Mandat wurde am 16. August 2016 öffentlich ausgeschrieben. Im Falle der Annahme der Initiative würde kein Inkassomandat mehr vergeben.

4.2.6

Auswirkungen auf den Bund

Die finanzielle Unterstützung der SRG und der weiteren konzessionierten Radiound Fernsehveranstalter mit Empfangsgebühren wird in der Bundesrechnung nicht ausgewiesen (vgl. Art. 68 Abs. 3 RTVG). Der mit einer Annahme der Initiative verbundene Wegfall der Empfangsgebühren würde sich einnahme- und ausgabeseitig nicht auf die Bundesrechnung auswirken. Wie in Ziffer 3.3 dargelegt wurde, ist unklar, ob das Subventionsverbot gemäss Artikel 93 Absatz 4 BV des Initiativtextes auch auf Subventionen anwendbar wäre, die sich nicht direkt an Radio- und Fernsehveranstalter richten. Einige dieser Subventionen werden ebenfalls aus den Empfangsgebühren finanziert (z.B. die Beiträge an die Nutzungsforschung gemäss Art.

81 RTVG). Künftig müssten derartige Subventionen ­ falls sie weitergeführt werden sollten ­ wie auch die von der Initiative vorgeschlagene Ausstrahlung von dringlichen amtlichen Mitteilungen aus den allgemeinen Bundesmitteln finanziert werden.

Der Wegfall von Subventionen, die heute aus dem allgemeinen Bundeshaushalt finanziert werden (z.B. das Auslandangebot der SRG), würde den Bund hingegen entlasten.

Es ist ferner denkbar, dass nach Annahme der Initiative der Ruf nach neuen Bundessubventionen folgt. Zu denken ist beispielsweise an die Filmbranche, die Sportverbände oder auch die sinnesbehinderten Menschen37, die heute einen direkten oder indirekten Nutzen aus dem gebührenfinanzierten Service public ziehen. Ausserdem

37

Vgl. Ziffer 4.5.4

8277

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könnten sich im Zusammenhang mit der aktuellen Ausschreibung des neuen Inkassomandats Haftungsfragen für den Bund stellen.

Die Annahme der Volksinitiative würde zu einer Reduktion des Personalbestands beim BAKOM führen. Alle Aufgaben der Abteilung Medien im Zusammenhang mit der Erhebung der Empfangsgebühr sowie der Begleitung und Aufsicht der konzessionierten Veranstalter würden wegfallen. Es wäre mit einer Reduktion von 41 Vollzeitstellen auf rund 10 Vollzeitstellen zu rechnen. Der Personalaufwand des BAKOM für den Bereich elektronische Medien würde damit von rund 7 Millionen Franken pro Jahr auf rund 1,75 Millionen Franken sinken (Stand Juni 2016). Ebenfalls von einer Annahme der Initiative betroffen wäre die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV). Sie wird ab der Umstellung auf das Abgabesystem für die Erhebung der Unternehmensabgabe zuständig sein. Dafür werden in der ESTV maximal 20 Vollzeitstellen aufgebaut.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Durch den Wegfall von Empfangsgebühren und Subventionen für Radio- und Fernsehveranstalter würden die vom Gesetzgeber heute bewusst in Kauf genommenen Wettbewerbsverzerrungen entfallen. Der Einfluss des Staats im Bereich der elektronischen Medien würde kleiner. Ein weiterer Vorteil wäre die frei werdende Kaufkraft von rund 1,35 Milliarden Franken, die in anderen Wirtschaftssektoren für Beschäftigung und Wachstum sorgen könnten (vgl. Ziff. 4.2.5). Diese aus rein ordnungspolitischer Sicht als vorteilhaft erscheinenden Auswirkungen vermögen die medienpolitischen Nachteile aber nicht zu kompensieren.

Die Annahme der Volksinitiative hätte einschneidende Auswirkungen auf das derzeit verfügbare schweizerische elektronische Medienangebot. Sie könnte eine drastische Reduktion des Leistungsangebots der konzessionierten, bislang gebührenfinanzierten Radio- und Fernsehveranstalter zur Folge haben. Derzeit werden nebst der SRG 13 Regionalfernsehen und 21 Lokalradios über Empfangsgebühren finanziert.

Fiele die öffentliche Finanzierung weg, wäre die Produktion von qualitativ hochstehenden Programmen in der Schweiz ausserordentlich schwierig. Dies dürfte zu einer weiter fortschreitenden Medienkonzentration und voraussichtlich auch zu einer Einbusse an Medienvielfalt bei Radio und Fernsehen führen. Besonders betroffen wären die französisch- und italienischsprachige sowie die rätoromanische Schweiz.

Ausbleiben würden ferner die besonderen Leistungen zugunsten der sinnesbehinderten Menschen, welche die gebührenfinanzierten Veranstalter heute zu erbringen haben.

Als Folge davon ist weiter zu vermuten, dass sich das Schweizer Fernsehpublikum vermehrt Programmen aus den grossen gleichsprachigen Nachbarmärkten zuwenden würde. Schon heute nutzt das Schweizer Publikum zu etwa zwei Dritteln ausländische Fernsehprogramme. Es wäre kaum mehr möglich, dieser starken in die Schweiz einstrahlenden ausländischen Konkurrenz ein gleichwertiges schweizerisches Angebot gegenüberzustellen.

Heute werden für jährlich 451 Franken pro Haushalt zahlreiche Vollprogramme angeboten. Die Zuschauer und Zuhörerinnen müssten in Zukunft entscheiden, wel8278

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che elektronischen Medienangebote sie finanzieren wollen. Es ist fraglich, ob der Medienkonsum ohne Empfangsgebühr für die Haushalte kostengünstiger ausfallen würde. Beim Wegfall des gebührenfinanzierten «Free TV» könnten nämlich bestimmte Inhalte (z. B. Sportübertragungen, Filme und Serien) wohl nur noch über das kostenpflichtige «Pay-TV» empfangen werden. Die Preise hierfür könnte je nach nachgefragtem Angebot die heutige Empfangsgebühr übersteigen.

4.4

Frage eines Alternativvorschlags

Der Bundesrat hat sich am 17. August 2016 dafür ausgesprochen, die Initiative abzulehnen und ihr weder einen direkten Gegenentwurf auf Verfassungsstufe noch einen indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe gegenüberzustellen. 38 Der Bundesrat hat zwar mögliche Gegenvorschläge geprüft, ist aber der Ansicht, dass es aus medienpolitischer Sicht keinen Alternativvorschlag gibt, der seiner Haltung zum Service public entspricht. Er hat in seinem Bericht zum Service public39 bereits vorgeschlagen, die finanziellen Mittel für die SRG nicht mehr zu erhöhen. Ein solcher Beschluss kann gestützt auf das geltende Recht gefasst werden. Eine neue gesetzliche Regelung, die die aktuelle Höhe der Gebühreneinnahmen als Betragsobergrenze festlegen würde, würde gegenüber heute keinen Mehrwert schaffen. Am 28. November 2014 hat der Bundesrat zudem beschlossen, die Höhe der Empfangsgebühren bis zum Inkrafttreten des neuen Abgabesystems unverändert zu lassen.

Weiter hat er eine Umverteilung von Gebührengeldern in den Online-Bereich geprüft. Die Schaffung von neuen gesetzlichen Bestimmungen für die Online-Medien ist jedoch komplex. Unter anderem müssten tragfähige gesetzliche Abgrenzungen zwischen förderungswürdigen und nicht förderungswürdigen Online-Medien gefunden werden. Diese schwierige Aufgabe liesse sich nicht innerhalb der gesetzlich vorgegebenen kurzen Fristen zur Bearbeitung einer Volksinitiative umsetzen. Der Bundesrat hat in seinem Bericht zum Service public aber bereits Überlegungen dazu angestellt und strebt mittelfristig die Erarbeitung eines Gesetzes über elektronische Medien an, welches entsprechende Mechanismen bereitstellen soll.

Ebenfalls verworfen hat der Bundesrat den Vorschlag, das Gebührenvolumen substanziell zu senken. Eine Senkung der Gebühren würde sich nicht nur auf die SRG, sondern auch auf die privaten Radio- und Fernsehveranstalter und weitere mit dem Service public direkt oder indirekt verbundene Unternehmen auswirken. Dies widerspricht seiner Haltung zum Service public. Durch eine substanzielle Senkung der Gebühren könnte das heutige Service-public-Angebot nicht mehr aufrechterhalten werden, und dementsprechend könnten auch nicht mehr in allen Sprachregionen vergleichbare, unabhängige und einforderbare Radio- und Fernsehangebote zur Verfügung gestellt werden. Der Bundesrat ist überzeugt,
dass es dazu weiterhin finanzielle Mittel im gegenwärtigen Umfang braucht. Dennoch wird die Höhe der Abgabe des einzelnen Haushalts von heute 451 Franken mit dem Wechsel zur Haus38

39

Vgl. www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Medienmitteilung vom 17. August 2016 «Bundesrat lehnt Volksinitiative ab».

Service-public-Bericht, S. 106 ff.

8279

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halts- und Unternehmensabgabe gesenkt werden können, da mit dem Wechsel von der Gebührenpflicht zur neuen Abgabe der Kreis der Abgabepflichtigen erweitert wird. Die Haushaltsabgabe wird weniger als 400 Franken betragen.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die geltende Verfassungsbestimmung auch in Zukunft eine tragfähige Grundlage bildet. Artikel 93 BV wurde bewusst offen formuliert, damit der Gesetzgeber sach- und zeitgerecht auf Entwicklungen im Bereich der elektronischen Medien reagieren kann. Angesichts der Entwicklungsdynamik des Medienbereichs wäre es nicht sinnvoll, nun einen Gegenentwurf vorzuschlagen, der den Spielraum des Gesetzgebers auf Verfassungsstufe einschränkt.

4.5

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

4.5.1

Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

Die Initiative steht in einem Spannungsverhältnis zu internationalen Verpflichtungen, die die Schweiz eingegangen ist. Zwar gibt es im internationalen Recht keine eigentliche Pflicht des Staates, ein System mit Service-public-Veranstaltern einzurichten oder weiterzuführen. Vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber festgehalten, dass die Mitgliedstaaten eine positive Verpflichtung zur Gewährleistung der Vielfalt im Bereich der audiovisuellen Medien haben. Durch die Abschaffung von Subventionen (Art. 93 Abs. 4 gemäss Initiativtext) entfiele ein wirksames Instrument zur Sicherung dieser Vielfalt. Die Zuteilung von Konzessionen durch Versteigerung (Art. 93 Abs. 3 gemäss Initiativtext) ist demgegenüber kein geeignetes Instrument zur Pluralismus-Sicherung, zumal die Zuteilung einzig nach finanziellen Gesichtspunkten erfolgt.

Mit der Umsetzung der Initiative bestünde im schweizerischen Rundfunkrecht kaum mehr ein wirksames Instrument zur Gewährleistung der Vielfalt. Mit anderen regulierenden Massnahmen (z. B. einem verschärften Wettbewerbsrecht für Medienunternehmen) lassen sich höchstens eigentliche Auswüchse bekämpfen, nicht aber eine pluralistische, auch Minderheiten berücksichtigende Gestaltung der Medienlandschaft erreichen.

4.5.2

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I)

Das Vorhaben steht auch in einem Spannungsverhältnis zum Internationalen Pakt vom 16. Dezember 196640 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I). Gemäss Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a des Paktes muss die Schweiz als Vertragsstaat das Recht jeder Person anerkennen, «am kulturellen Leben teilzunehmen». Dazu gehört u. a. der Genuss von Kultur durch die Vermittlung von Medien wie Film und Fernsehen (sog. passive Kunstfreiheit). Im Rahmen 40

SR 0.103.1

8280

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verfügbarer Mittel hat der Staat eine Förderung der Kultur zu gewährleisten und damit ein Fundament für Pluralismus, Toleranz und lebhafte demokratische Partizipation zu legen. Die Initiative beabsichtigt den Entzug der finanziellen Mittel für die am Gemeinwohl orientierten Veranstalter, was der gemäss UNO-Pakt I gebotenen Kulturförderung (auch) in den elektronischen Medien entgegensteht.

4.5.3

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II)

Bestimmte Aspekte der Initiative stehen auch in einem Spannungsverhältnis zum Internationalen Pakt vom 16. Dezember 196641 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II): Die Staaten haben unter anderem die Aufgabe, den Pluralismus moderner Massenmedien zu fördern und eine Dominanz privater Mediengruppen zu verhindern. Beim Zugang zu knappen Verbreitungsressourcen (wie etwa zu Frequenzen für die drahtlos-terrestrische Verbreitung) sollte das staatliche Konzessionierungsregime eine gerechte Verteilung der Ressourcen zwischen öffentlichen, kommerziellen und gemeinschaftlich organisierten Programmveranstaltern ermöglichen. Eine derartige ausgewogene Verteilung ist mit einem reinen Versteigerungssystem schwierig zu realisieren. Dort dürfte kaum zu verhindern sein, dass ökonomisch potente Veranstalter andere, weniger kommerziell ausgerichtete Interessenten vom Zugang zu den knappen Verbreitungsfrequenzen ausschliessen.

4.5.4

Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-Behindertenrechtskonvention)

Seit dem 15. Mai 2014 gilt das Übereinkommen vom 13. Dezember 200642 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-Behindertenrechtskonvention) auch für die Schweiz. Gemäss Artikel 21 Buchstabe d müssen die Vertragsstaaten die Massenmedien dazu auffordern, ihre Angebote für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu gestalten. Entsprechend verpflichtet das RTVG die SRG und ab dem 1. Januar 2017 auch die konzessionierten Regionalfernsehen dazu, Leistungen zugunsten von sinnesbehinderten Menschen zu erbringen (vgl. Ziff. 2.3.3). Bei einer Annahme der Initiative müsste diese Verpflichtung ohne Gebührenunterstützung erfüllt werden. Dies ist aus wirtschaftlicher Sicht unrealistisch.

41

42

SR 0.103.2; vgl. Artikel 19, der die Meinungsäusserungsfreiheit garantiert und durch die Allgemeine Bemerkung Nr. 34 des UNO-Menschenrechtsausschusses vom 12. September 2011 präzisiert wird (UN Doc. CCPR/C/GC/34). Sie unterstreicht die Aufgabe des Staates, den Pluralismus moderner Massenmedien zu fördern und eine Dominanz privater Mediengruppen zu verhindern (Ziff. 40).

SR 0.109

8281

BBl 2016

5

Schlussfolgerungen

Das heutige Gebührensystem bzw. die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung von Service-public-Anbietern garantiert elektronische Medien, die zum Funktionieren der demokratischen Meinungs- und Willensbildung und zur kulturellen Entfaltung beitragen. Die SRG als ein von politischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängiger Verein garantiert dabei ein vielfältiges Angebot, das auch die Interessen der Minderheiten berücksichtigt.

Eine Annahme der Initiative hätte erhebliche Auswirkungen auf die Schweizer Medienlandschaft und würde zu einem neuen, aus der Sicht des Bundesrates nicht durchdachten Mediensystem ohne Service public führen. In seinem Bericht vom 17. Juni 2016 zum Service public hat der Bundesrat dargelegt, dass die Schweiz auch in Zukunft eigenständige, in allen Sprachregionen vergleichbare, qualitativ gute, unabhängige und einforderbare Radio- und Fernsehangebote braucht, die dem Publikum eine Orientierungshilfe zum besseren Verständnis der politischen und sozialen Umgebung bieten. Mit der Abschaffung der Empfangsgebühren würde die Schweiz ein zentrales medienpolitisches Gestaltungsinstrument, das der Erreichung dieses Ziels dient, verlieren.

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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