16.073 Botschaft zur Volksinitiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel (Fair-Food-Initiative)» vom 26. Oktober 2016

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel (Fair-Food-Initiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. Oktober 2016

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Johann N. Schneider-Ammann Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2016-1701

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Übersicht Die Volksinitiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel (Fair-Food-Initiative)» fordert einen fairen Wettbewerb im Lebensmittelbereich und eine gerechtere Globalisierung. Der Bundesrat lehnt sie ab, weil die geltende Verfassung deren Anliegen bereits abdeckt, sie internationalen Verpflichtungen der Schweiz zuwiderläuft und weil sie kaum vollziehbar wäre.

Inhalt der Initiative Am 26. November 2015 wurde die Fair-Food-Initiative eingereicht. Diese verlangt, dass der Bund das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität und sicher sind und die umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden, stärkt. Dies soll auch für Importe gelten. Die Auswirkungen von Transport und Lagerung auf die Umwelt und die Verschwendung von Lebensmitteln sollen reduziert werden.

Vorzüge und Mängel der Initiative Der Bundesrat hat Verständnis für die Stossrichtung der Initiative. Entsprechend verfolgt er gestützt auf die in den betroffenen Bereichen bereits bestehende oder sich in Ausarbeitung befindliche Gesetzgebung, was die Inlandproduktion von Lebensmitteln anbelangt, analoge Ziele. Zusätzliche Verfassungsgrundlagen sind hierfür nicht erforderlich. In Bezug auf die Inlandproduktion ist deshalb der überwiegende Teil der mit der Initiative verfolgten Anliegen bereits erfüllt oder es laufen Bestrebungen, die in die von der Initiative geforderte Richtung gehen.

Problematisch ist dagegen die Forderung, wonach die eingeführten landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden, grundsätzlich den Anforderungen der Initiative genügen müssen. Zwar besteht grundsätzlich auch bei importierten Lebensmitteln Handlungsbedarf. Ein wesentlicher Teil der durch die Schweizer Ernährung verursachten Umweltbelastung geschieht im Ausland. Die Schweiz ist deshalb bestrebt, entsprechende Anstrengungen zur Reduktion der durch importierte Lebensmittel verursachten Umweltbelastung zu unternehmen.

So wie die Initiative diese Problematik angeht, führt dies aber zu Konflikten mit der nationalen und internationalen Handelspolitik sowie mit den Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der Welthandelsorganisation (WTO), der EU und Staaten, mit denen sie Freihandelsabkommen abgeschlossen hat. Es würden neue Handelshemmnisse geschaffen
und die Vorteile, welche die Schweiz heute aufgrund ihrer internationalen Abkommen hat, würden aufs Spiel gesetzt. Äusserst problematisch gestaltete sich auch der Vollzug entsprechender Vorgaben. Hierfür müssten völlig neue, aufwendige und kostenintensive Kontrollsysteme entwickelt und aufgebaut werden. Dies und der Umstand, dass nur noch Lebensmittel eingeführt werden dürften, die den vom Initiativkomitee geforderten Standards entsprechen, würde sich auf die ohnehin schon hohen Preise niederschlagen. Insofern ist die Initiative auch vor dem Hintergrund der Hochpreisinsel Schweiz problematisch.

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Antrag des Bundesrates Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel (Fair-Food-Initiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

8395 8395 8396 8396

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

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Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

8397 8397 8398 8398

4

Das rechtliche Umfeld in den von der Initiative betroffenen Bereichen 4.1 Lebensmittelbereich 4.2 Tierschutzbereich 4.3 Landwirtschaftsbereich 4.4 Gewässerschutz und Umweltschutz, CO2-Gesetz

8403 8403 8404 8405 8406

5

6

7

Politischer Kontext der Initiative 5.1 Volksinitiative «Für Ernährungssicherheit» 5.2 Volksinitiative «Für Ernährungssouveränität.

Die Landwirtschaft betrifft uns alle»

8408 8408

Würdigung der Initiative 6.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 6.1.1 Anliegen, die umgesetzt sind oder umgesetzt werden 6.1.2 Nicht oder nur teilweise umgesetzte Anliegen 6.1.3 Notwendigkeit zusätzlicher Verfassungsbestimmungen 6.2 Verhältnis der Initiative zu den internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.2.1 WTO-Recht 6.2.2 Bilaterale Verträge mit der EU 6.2.3 Verträge mit andern Vertragspartnern 6.3 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme 6.4 Vorzüge und Mängel der Initiative

8409 8409 8409 8413 8416

Schlussfolgerungen

8424

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel (Fair-Food-Initiative)» (Entwurf) 8394

8408

8417 8417 8420 8422 8422 8423

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Fair-Food-Initiative hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 104a

Lebensmittel

Der Bund stärkt das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität und sicher sind und die umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Er legt die Anforderungen an die Produktion und die Verarbeitung fest.

1

Er stellt sicher, dass eingeführte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden, grundsätzlich mindestens den Anforderungen nach Absatz 1 genügen; für stärker verarbeitete und zusammengesetzte Lebensmittel sowie für Futtermittel strebt er dieses Ziel an. Er begünstigt eingeführte Erzeugnisse aus fairem Handel und bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betrieben.

2

Er sorgt dafür, dass die negativen Auswirkungen des Transports und der Lagerung von Lebens- und Futtermitteln auf Umwelt und Klima reduziert werden.

3

4

Er hat insbesondere folgende Befugnisse und Aufgaben: a.

Er erlässt Vorschriften zur Zulassung von Lebens- und Futtermitteln und zur Deklaration von deren Produktions- und Verarbeitungsweise.

b.

Er kann die Vergabe von Zollkontingenten regeln und Einfuhrzölle abstufen.

c.

Er kann verbindliche Zielvereinbarungen mit der Lebensmittelbranche, insbesondere mit Importeuren und dem Detailhandel, abschliessen.

d.

Er fördert die Verarbeitung und die Vermarktung regional und saisonal produzierter Lebensmittel.

e.

Er trifft Massnahmen zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung.

Der Bundesrat legt mittel- und langfristige Ziele fest und erstattet regelmässig Bericht über den Stand der Zielerreichung. Werden diese Ziele nicht erreicht, so trifft er zusätzliche Massnahmen oder verstärkt die bestehenden.

5

1

SR 101

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Art. 197 Ziff. 122 12. Übergangsbestimmung zu Artikel 104a (Lebensmittel) Tritt innert drei Jahren nach Annahme von Artikel 104a durch Volk und Stände kein Ausführungsgesetz in Kraft, so erlässt der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Fair-Food-Initiative wurde am 27. Mai 2014 von der Bundeskanzlei vorgeprüft3 und am 26. November 2015 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 8. Dezember 2015 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 105 540 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.4 Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 26. November 2016 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 26. Mai 2019 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung6 (BV):

2 3 4 5 6

a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

BBl 2014 3693 BBl 2015 9333 SR 171.10 SR 101

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Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

Die Fair-Food-Initiative wurde von einem von der Grünen Partei der Schweiz getragenen Initiativkomitee lanciert. Gemäss dem Argumentarium des Initiativkomitees 7 führt der Freihandel zu Umwelt- und Sozialdumping. Die Schweiz importiere rund die Hälfte ihrer Nahrungsmittel. Dadurch gelangten auch Lebensmittel aus industrieller Massenproduktion auf den Markt, welche auf eine Art und Weise hergestellt worden seien, die in der Schweiz nicht zulässig sei oder zu starken Umweltproblemen führe. Solche Nahrungsmittel seien auf den Weltmärkten billig erhältlich, weil sie auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt produziert würden. Durch die industriellen Produktionspraktiken, die auf grossflächige Monokulturen, Massentierhaltung und chemische Stoffe setze, nähmen die Fruchtbarkeit der Böden und die Biodiversität weltweit ab. Auch die Arbeits- und Lebensbedingungen der Angestellten seien teilweise äusserst prekär. Die Billigkonkurrenz der Agroindustrie führe zu einem Öko- und Sozialdumping und setze die bisherigen Errungenschaften bei der Lebensmittelqualität unter Druck. Das Nachsehen hätten Bäuerinnen und Bauern wie auch die Konsumentinnen und Konsumenten. Durch das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) drohe sich diese Ausgangslage zusätzlich zu verschärfen.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Das Initiativkomitee ist der Auffassung, dass der globale Handel mit Nahrungsmitteln klare ökologische und soziale Leitplanken braucht8. Die Fair-Food-Initiative setze auf einen fairen Wettbewerb und eine gerechtere Globalisierung, indem sie gleiche Standards für importierte wie auch für in der Schweiz hergestellte Lebensmittel verlange:

7 8

1.

In der Schweiz sollten grundsätzlich nur Lebensmittel in den Verkauf gelangen, die mindestens nach den hier geltenden Umwelt- und Tierschutznormen sowie unter Einhaltung von fairen Arbeitsbedingungen produziert wurden.

Kein Import von Fleisch aus Massentierhaltung, keine Batterieeier und auch kein Gemüse, das von Angestellten geerntet wurde, die kaum etwas verdienten oder sich bei der Arbeit mit Pestiziden vergifteten.

2.

Produkte aus naturnaher, bäuerlicher Landwirtschaft, fairem Handel sowie aus regionaler und saisonaler Produktion und Verarbeitung sollten einen Marktvorteil erhalten. Die Auswirkungen von Transport und Lagerung auf die Umwelt wie auch die Verschwendung von Lebensmitteln seien zu reduzieren. Ebenso solle die Transparenz für die Konsumentinnen und Konsumenten verbessert werden.

Das Argumentarium ist einsehbar unter: www.gruene.ch > Kampagnen > Fair-FoodInitiative > Downloads > Argumentarium (Stand: 27. Mai 2014).

Quelle: S. Fussnote 7.

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Durch die Fair-Food-Initiative entstehe ein fairer Markt für nachhaltig hergestellte Lebensmittel. Daraus resultiere ein Plus für die Produzentinnen und Produzenten, die Konsumentinnen und Konsumenten, die Umwelt und die Gesellschaft, und zwar sowohl in der Schweiz als auch dort, wo anderswo für uns Essen produziert werde.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die Initiative soll gemäss den Erläuterungen des Initiativkomitees zum Initiativtext9 einen umfassenden Artikel zu den Lebensmitteln schaffen. Diese fänden derzeit in der BV bloss in den Artikeln 104 (Landwirtschaft) und 118 (Schutz der Gesundheit) Erwähnung. Beide Artikel deckten ausschliesslich spezifische Aspekte von Lebensmitteln ab: ihre Herstellung in der Landwirtschaft und den Schutz der Gesundheit.

Der neue Verfassungsartikel bezieht sich im Sinne eines gesamtheitlichen Ansatzes auch noch auf weitere Rechtsgebiete, die auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und verarbeiteter Lebensmittel Anwendung finden, namentlich das Tierschutzrecht, das Zollrecht, das Umweltrecht, das Gewässerschutzrecht, die Vorschriften über den Natur- und Heimatschutz und das Arbeitsrecht. In diesen Bereichen gibt es gegenwärtig bereits Bestrebungen, die in die vom Initiativkomitee angepeilte Richtung gehen (vgl. Ziff. 6).

3.3

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

Sowohl die Fair-Food-Initiative als auch die Initiative «Für Ernährungssicherheit» sehen die Einführung eines neuen Artikel 104a in die Bundesverfassung vor. Die Artikelnummern sind im Falle der Annahme beider Volksinitiativen durch Volk und Stände durch die Bundeskanzlei anzupassen, sodass die neuen Verfassungsbestimmungen die Artikelnummern 104a und 104b tragen würden.

Art. 104a Abs. 1 Absatz 1 des Initiativtexts ist als allgemeiner Auftrag an den Bund zu verstehen, das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität und sicher sind und die umweltund ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden, zu stärken. Dazu soll er Anforderungen an Produktion und Verarbeitung festlegen.

Der Begriff «stärken» ist auslegungsbedürftig. Ob damit gemeint ist, dass die Anforderungen im Laufe der Zeit stetig zu erhöhen sind, geht aus den Erläuterungen des Initiativkomitees nicht schlüssig hervor. In diese Richtung weist jedoch der Hinweis in den Erläuterungen zu Artikel 104a Absatz 1 des Initiativtextes, wonach die Standards für die integrierte Produktion (IP) kurz- und mittelfristig als Referenz

9

Die Erläuterungen sind einsehbar unter: www.gruene.ch > Kampagnen > Fair-FoodInitiative > Downloads > Erläuterungen (Stand: 27. Mai 2014)

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zur Festlegung von Anforderungen dienen könnten, langfristig aber der Bio-Standard anzustreben sei.10 Bezüglich des Wortes «Angebot» ist davon auszugehen, dass sich dieses auf sämtliche Lebensmittel bezieht, die in der Schweiz den Konsumentinnen und Konsumenten zum Erwerb zur Verfügung stehen. Ob diese importiert wurden oder nicht, ist unerheblich.

Der Begriff «Qualität» findet sich weder im momentan noch geltenden Lebensmittelgesetz vom 9. Oktober 199211 (LMG) noch im verabschiedeten, aber noch nicht in Kraft getreteten Lebensmittelgesetz vom 20. Juni 201412. Er wird jedoch in Artikel 104 Absatz 3 Buchstabe c BV verwendet und ist Grundlage für die Qualitätsstrategie im Landwirtschaftsbereich.13 Nach Ziffer 2.2.1 der Botschaft des Bundesrates vom 1. Februar 201214 zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik in den Jahren 2014­ 2017 (Agrarpolitik 2014­2017) umfasst der Begriff «Qualität» die Produktequalität im weitesten Sinne, aber auch die Aspekte der Produktionsmethode (z.B. Integrierte Produktion [IP], Bio, Tierwohl) und die Prozessqualität. Während unter der Produktionsmethode vor allem die Qualität der Produktion auf dem landwirtschaftlichen Betrieb zu verstehen ist, bezeichnet die Prozessqualität die Qualität der Herstellungs- und Distributionsprozesse entlang der ganzen Wertschöpfungskette, einschliesslich deren Qualitätssicherung und Kontrolle. Für die nachhaltige Produktion und auch für die Prozesse stehen die effiziente Nutzung natürlicher Ressourcen wie Energie oder Wasser im Vordergrund. Für die Qualität der Lebensmittel ist die Lebensmittelsicherheit von zentraler Bedeutung.

Bezüglich der Begriffe «umwelt- und ressourcenschonend», «tierfreundlich» und «unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt» verweist das Initiativkomitee in seinen Erläuterungen auf die Umweltziele Landwirtschaft des Bundes aus dem Jahr 200815, die gleich mehrere Gesetze betreffen (Landwirtschaftsgesetz vom 29. April 199816 [LwG], Gewässerschutzgesetz vom 24. Jan. 199117, Umweltschutzgesetz vom 7. Okt. 198318 [USG], Natur- und Heimatschutzgesetz vom 1. Juli 196619, CO2-Gesetz vom 23. Dez. 201120), die Standards des geltenden Tierschutzrechts sowie die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), die in acht Abkommen die fundamentalen Arbeitsnormen definiert hat. Diese umfassen etwa das Verbot der Zwangs-
und Kinderarbeit, die Lohngleichheit für Mann und Frau, und das Recht auf Vereinigung der Angestellten in der Landwirtschaft. Für das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern dient gemäss dem Initiativkomitee Arti10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Quelle: S. Fussnote 9.

SR 817.0 BBl 2014 5079 Einzelheiten zur Qualitätsstrategie im Landwirtschaftsbereich sind einsehbar unter: www.blw.admin.ch > Qualitätsstrategie.

BBl 2012 2075 Die Umweltziele Landwirtschaft sind einsehbar unter: www.bafu.admin.ch > Publikationen, Medien > Publikationen > Biodiversität > Umweltziele Landwirtschaft.

SR 910.1 SR 814.20 SR 814.01 SR 451 SR 641.71

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kel 5 LwG als Referenz: die Löhne sollen mit denjenigen der übrigen erwerbstätigen Bevölkerung in der Region vergleichbar sein.21 Nach dem Absatz 1 zweiter Satz soll der Bund Anforderungen an die Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln festlegen. Gemäss den Erläuterungen des Initiativkomitees sollen diese Anforderungen Qualität, Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz, Tierschutz und Arbeitsbedingungen betreffen und sowohl für die Herstellung im Inland als auch für importierte Produkte gelten.22 Weiter sollen sie mindestens den heute geltenden gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Aus dem Initiativtext geht dies jedoch nicht hervor.

Art. 104a Abs. 2 Der Text unterscheidet zwischen eingeführten landwirtschaftlichen Erzeugnissen einerseits und stärker verarbeiteten und zusammengesetzten Lebensmitteln sowie Futtermitteln anderseits.

Der Begriff «landwirtschaftliche Erzeugnisse» entstammt dem LwG. Gemeint sind damit verwertbare landwirtschaftliche Produkte aus Pflanzenbau und Nutztierhaltung. Aus der Abgrenzung zu stärker verarbeiteten und zusammengesetzten Lebensmitteln, die der Initiativtext vorsieht, lässt sich schliessen, dass unter den Begriff der «landwirtschaftlichen Erzeugnisse» unverarbeitete und leicht verarbeitete Lebensmittel fallen.

Für importierte landwirtschaftliche Erzeugnisse (d.h. unverarbeitete und nur leicht verarbeitete Lebensmittel wie Getreide, Obst oder Gemüse und leicht verarbeitete Rohstoffe wie Mehl, Milch oder Wein) soll der Bund sicherstellen, dass diese grundsätzlich mindestens den Anforderungen von Absatz 1 genügen. Diese Formulierung lässt somit Ausnahmen zu. Das Initiativkomitee will damit, laut seinen Erläuterungen zum Initiativtext, weiterhin Spezialfälle wie koscheres oder HalalFleisch ermöglichen, die schon heute gesetzlich vorgesehen sind.

Für verarbeitete und zusammengesetzte Lebensmittel sowie für Futtermittel ist das Einhalten der Anforderungen nach Absatz 1 sowie die diesbezügliche Kontrolle komplexer und aufwendiger. Deshalb soll mit der Verwendung des Verbs «anstreben» für diese Produkte eine weniger verbindliche Umsetzung erfolgen.

Schliesslich soll der Bund beim Import Erzeugnisse aus fairem Handel und aus bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betrieben begünstigen. Diese Bestimmung richtet sich gemäss dem Initiativkomitee gegen Importe von Erzeugnissen
aus industrieller Landwirtschaft mit Monokulturen und Massentierhaltung.

Art. 104a Abs. 3 Der Bund hat dafür zu sorgen, dass die negativen Auswirkungen des Transports und der Lagerung von Lebens- und Futtermitteln auf Umwelt und Klima reduziert werden. Gemäss den Erläuterungen des Initiativkomitees leistet die saisonale und regionale Lebensmittelproduktion diesbezüglich einen wesentlichen Beitrag.

21 22

Quelle: S. Fussnote 9.

Quelle: S. Fussnote 9.

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Art. 104a Abs. 4 Absatz 4 nennt verschiedene Befugnisse und Aufgaben, die dem Bund eingeräumt werden. Weil die Aufzählung nicht abschliessend ist, gibt sie dem Bund einen grossen Handlungsspielraum.

Bst. a Unter dem Erlass von Vorschriften zur Zulassung von Produkten können sowohl auf dem Weg der Rechtsetzung geschaffene Vorschriften verstanden werden als auch Vorschriften, die ein Zulassungsverfahren im Sinne einer Bewilligung vorsehen.

Nach den Erläuterungen des Initiativkomitees zum Initiativtext ist davon auszugehen, dass in erster Linie Zulassungen im Sinne von Bewilligungen gemeint sind, wird dort doch ausgeführt, dass Zulassungsvorschriften ein gängiges Instrument seien, mit dem sichergestellt werde, dass die geltenden Vorschriften beim Inverkehrbringen eines Produktes eingehalten würden.

Bezüglich der Kennzeichnung der Lebens- und Futtermittel verlangt der Initiativtext die Deklaration von deren Produktions- und Verarbeitungsweise. Ist der Begriff «Produktion» analog der Verwendung dieses Begriffs in Absatz 1 zweiter Satz zu verstehen, wovon auszugehen ist, fallen darunter auch Hinweise zur Qualität, zur Sicherheit, zum Umweltschutz, zum Tierschutz und zu den Arbeitsbedingungen.

Bst. b Mit dieser Kompetenz soll dem Bund die Möglichkeit eingeräumt werden, zur Steuerung von Importen Zollabstufungen und Einfuhrkontingente zu beschliessen, mit dem Ziel, die Vorgaben der Absätze 1­3 umzusetzen. Nach den Erläuterungen des Initiativkomitees zum Initiativtext geht es nicht um das Einführen zusätzlicher Zölle, sondern um die zollmässige Begünstigung von Lebensmitteln, die im Sinne der Initiative fair produziert worden sind.

Bst. c Der Bund soll die Kompetenz erhalten, beispielsweise Importeure oder den Detailhandel zu verpflichten, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Anteil ihres Lebensmittelangebotes auf die vereinbarten Anforderungen umzustellen. Die gewählte Formulierung lässt dem Bund einen breiten Spielraum für solche Vereinbarungen offen. Offen gelassen wird ebenfalls, welche Massnahmen getroffen werden sollen, wenn die vereinbarten Ziele nicht erreicht werden. Es ist davon auszugehen, dass in solchen Fällen der Gesetzgeber aktiv werden soll.23 Weil nur die Lebensmittelbranche erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass sich diese Kompetenz nicht auf die Futtermittelbranche erstreckt. Da die Aufzählung der möglichen Massnahmen unter Absatz 4 nicht abschliessend ist, ist auch dies allerdings unklar.

23

Quelle: S. Fussnote 9.

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Bst. d Das Initiativkomitee zielt mit dieser Bestimmung auf die Förderung saisonaler und regionaler Lebensmittel ab, da diese die beste Öko-Bilanz hätten. Als denkbare Massnahmen betrachtet es eine CO2-Lenkungsabgabe oder eine Energieetikette.24 Nach den Erläuterungen des Initiativkomitees zum Initiativtext sollen insbesondere regionale Betriebe wie Metzgereien, Milchverarbeiter oder Öl- und Getreidemühlen gefördert werden können. Die Förderung soll nicht in erster Linie monetär erfolgen, sondern beispielsweise durch Unterstützung bei der Liegenschaftssuche, günstiges Zur-Verfügung-Stellen von Liegenschaften oder Kredite.

Der Initiativtext beschränkt die Förderung der regionalen sowie saisonalen Lebensmittel auf die Verarbeitung und die Vermarktung. Die Produktion regionaler und saisonaler Lebensmittel wird von dieser Förderbestimmung nicht erfasst. Auch diesbezüglich ist jedoch davon auszugehen, dass die nicht abschliessende Aufzählung der Massnahmen unter Absatz 4 ermöglichen würde, auch die Produktion regionaler und saisonaler Lebensmittel zu fördern.

Bst. e Mit dieser Bestimmung erhält der Bund die Kompetenz, Massnahmen jeglicher Art zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung zu erlassen. Diese können sich beispielsweise an die landwirtschaftliche Produktion richten, den Handel, die Konsumentinnen und Konsumenten oder auch die Lebensmittelindustrie. Denkbar sind beispielsweise Vorschriften über die Packungsgrösse von Lebensmitteln, die Haltbarkeit oder das Verwerten von Lebensmitteln, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.

Art. 104a Abs. 5 Es ist nicht klar, worauf sich die vom Bundesrat festzulegenden Ziele beziehen sollen. Nach den Erläuterungen des Initiativkomitees zum Initiativtext soll der Bundesrat für das Erreichen der Ziele nach Artikel 104a Absatz 1 bei verarbeiteten und zusammengesetzten Lebensmitteln einen Zeithorizont festlegen und für die fristgerechte Umsetzung sorgen. Dabei soll er für die unterschiedlichen Verarbeitungsstufen oder je nach Zusammensetzung unterschiedliche Gangarten wählen können. Landwirtschaftliche Erzeugnisse seien von diesem Artikel grundsätzlich nicht betroffen, da die Ziele der Initiative für sie ab Inkrafttreten der neuen Verfassungsbestimmung verbindlich umzusetzen seien.

Dem Wortlaut von Absatz 5 sind diese Einschränkungen nicht zu entnehmen. Dieser räumt dem Bundesrat für das Festlegen von Zielen einen uneingeschränkten Handlungsspielraum ein.

24

Quelle: S. Fussnote 9.

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Art. 197 Ziff. 12 Mit dieser Bestimmung soll einer Verzögerung der Umsetzung der Initiative entgegengewirkt werden. Die Gesetzgebung zur Umsetzung des Verfassungsartikels soll spätestens drei Jahre nach dessen Annahme in Kraft treten. Andernfalls hätte der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg zu erlassen.

Bestimmungen dieser Art wurden in letzter Zeit wiederholt in Volksinitiativen verwendet (z.B. in der angenommenen Initiative «Gegen die Abzockerei»25 oder in der Initiative «Gegen Masseneinwanderung»26).

4

Das rechtliche Umfeld in den von der Initiative betroffenen Bereichen

Die Initiative will den Bund zu Aktivitäten in den von der Initiative angesprochenen Bereichen verpflichten. Um abschätzen zu können, in welchem Ausmass im Falle der Annahme der Initiative Handlungsbedarf bestünde, wird im Folgenden das rechtliche Umfeld ausgeleuchtet. Es wird dargelegt, welche Verfassungsgrundlagen in den betroffenen Bereichen bereits bestehen und welche konkreten Bestrebungen im Sinne der Initiative gestützt auf diese Verfassungsgrundlagen bereits laufen oder geplant sind.

4.1

Lebensmittelbereich

Bestehende Verfassungsgrundlagen Für die Lebensmittelgesetzgebung massgebliche Verfassungsbestimmungen sind die Artikel 97 BV (Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten) und 118 BV (Schutz der Gesundheit). Artikel 97 BV erlaubt dem Bund, Vorschriften über die Information der Konsumentinnen und Konsumenten zu erlassen sowie den Schutz vor Täuschung zu regeln. Artikel 118 BV gibt ihm die Kompetenz, auf gesetzgeberischem Weg für die Sicherheit der Lebensmittel zu sorgen.

Geltendes Recht, laufende und geplante Bestrebungen Das Lebensmittelrecht enthält Bestimmungen zum Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten vor gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen. Es regelt weiter den hygienischen Umgang mit Lebensmitteln sowie den Schutz vor Täuschung. Dazu gehören auch Kennzeichnungsvorschriften.

Das Parlament hat am 20. Juni 2014 das neue Lebensmittelgesetz verabschiedet.

Dieses enthält neu explizit das Vorsorgeprinzip. Das Verordnungsrecht zum neuen Lebensmittelgesetz ist gegenwärtig in Revision. Es soll die Sicherheitsstandards auf den aktuellsten Stand von Wissenschaft und Technik bringen und die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Schweiz am System der Lebensmittelsicherheit der EU 25 26

AS 2013 1303 AS 2014 1391

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teilnehmen kann. Weiter ist vorgesehen, transparentere Kennzeichnungsbestimmungen einzuführen. Diese betreffen beispielsweise die Pflicht zur Angabe des Nährwertes von Lebensmitteln oder zur Angabe von deren Herkunft.

Ebenfalls auf Lebensmittel anwendbar ist das Konsumenteninformationsgesetz vom 5. Oktober 199027 (KIG). Dieses ermöglicht zusätzlich privatrechtliche Vereinbarungen zu Deklarationen bezüglich der Produktions- und Verarbeitungsweisen. Die betroffenen Organisationen der Wirtschaft und der Konsumentinnen und Konsumenten können vereinbaren, welche Waren auf welche Weise deklariert werden sollen.

Kommt innert angemessener Frist keine Vereinbarung zustande oder wird eine Vereinbarung unzureichend erfüllt, kann der Bundesrat die Deklaration durch Verordnung regeln.

Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass am 1. Januar 2017 die Änderung vom 21. Juni 201328 des Bundesgesetzes vom 28. August 199229 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (MSchG) und die Verordnung vom 2. September 201530 über die Verwendung von schweizerischen Herkunftsangaben für Lebensmittel (HasLV) in Kraft treten werden (Swissness-Vorlage). Diese neuen Bestimmungen werden den Schutz der Schweizer Herkunftsbezeichnungen verstärken und für die Konsumentinnen und Konsumenten nachvollziehbar machen, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, wenn die schweizerische Herkunft von Lebensmitteln ausgelobt wird.

4.2

Tierschutzbereich

Bestehende Verfassungsgrundlagen Für die Tierschutzgesetzgebung massgebliche Verfassungsbestimmungen sind die Artikel 80 BV (Tierschutz) und 120 BV (Gentechnologie im Ausserhumanbereich).

Artikel 80 Absatz 1 BV beauftragt den Bund, Vorschriften zum Schutz der Tiere zu erlassen. Er wird beauftragt, insbesondere die Einfuhr von Tieren und von tierischen Erzeugnissen zu regeln (Art. 80 Abs. 2 Bst. d BV).

Geltendes Recht, laufende und geplante Bestrebungen Die schweizerische Tierschutzgesetzgebung bezweckt in umfassender Weise, die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen. Wer mit Tieren umgeht, hat ihren Bedürfnissen bestmöglich Rechnung zu tragen und, soweit es der Verwendungszweck zulässt, für ihr Wohlergehen zu sorgen. Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten. Das Misshandeln, Vernachlässigen oder unnötige Überanstrengen von Tieren ist nach den Artikeln 1 und 4 des Tierschutzgesetzes vom 16. Dezember 200531 (TSchG) verboten.

27 28 29 30 31

SR 944.0 AS 2015 3631 SR 232.11 AS 2015 3659 [noch nicht in Kraft, SR-Nr. noch nicht vergeben] SR 455

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Gestützt auf Artikel 14 Absatz 1 TSchG kann der Bundesrat heute schon aus Gründen des Tierschutzes die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren und Tierprodukten an Bedingungen knüpfen, einschränken oder verbieten.

Bisher hat sich der Bundesrat stets gegen Importverbote für tierische Produkte aus Gründen des Tierschutzes gestellt, zum einen aufgrund der internationalen Verpflichtungen der Schweiz (im Rahmen der Welthandelsorganisation [WTO] und der Freihandelsabkommen) und zum andern, weil er der Ansicht ist, dass Importverbote weniger Wirkung erzielen als der Einsatz in den relevanten internationalen Gremien zur längerfristigen Behebung von tierschutzwidrigen Umständen in den Ursprungsländern. Darüber hinaus baut er auf die verstärkte Wahrnehmung der Selbstverantwortung der Marktteilnehmer.

4.3

Landwirtschaftsbereich

Bestehende Verfassungsgrundlagen Artikel 104 BV enthält die zentralen Verfassungsbestimmungen für die Landwirtschaftspolitik. Absatz 1 gibt die Ziele vor: Der Bund sorgt unter anderem dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft. Das zentrale Element der Landwirtschaftspolitik sind die Direktzahlungen. Diese sind gemäss Artikel 104 Absatz 3 Buchstabe a an den ökologischen Leistungsnachweis gebunden. Buchstabe b beauftragt den Bund mit der Förderung von besonders naturnahen, umwelt- und tierfreundlichen Produktionsformen. Gemäss Buchstabe c erlässt er Vorschriften zur Deklaration von Herkunft, Qualität, Produktionsmethoden und Verarbeitungsverfahren für Lebensmittel und Buchstabe d beauftragt ihn mit dem Schutz der Umwelt vor Beeinträchtigungen durch überhöhten Einsatz von Düngstoffen, Chemikalien und anderen Hilfsstoffen. Buchstabe e gibt dem Bund die Kompetenz zur Förderung von Forschung, Bildung und Beratung und zur Gewährung von Investitionshilfen. Relevant im Kontext der Fair-Food-Initiative ist auch Artikel 104 Absatz 2. Dieser beschränkt die Förderung des Bundes auf die bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betriebe. Für das Erheben von Zöllen enthält Artikel 133 BV eine Verfassungsgrundlage, die dem Bundesgesetzgeber einen sehr weiten Spielraum einräumt.

Geltendes Recht, laufende und geplante Bestrebungen Die Verfassung stellt dem Bund ein breites Instrumentarium zur Durchsetzung von Mindeststandards und zur Förderung einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktion von hoher Qualität zur Verfügung. Gestützt auf Artikel 14 LwG hat der Bundesrat Vorschriften über die Kennzeichnung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und von deren Verarbeitungsprodukten erlassen. Diese betreffen beispielsweise Erzeugnisse, die nach bestimmten Verfahren hergestellt werden (z.B. Bio-Produkte) oder sich aufgrund ihrer Herkunft auszeichnen (z.B. Erzeugnisse aus dem Berggebiet).

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Weiter hat der Bundesrat zum Schutz der Herkunft von Landwirtschaftsprodukten ein Register für Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben geschaffen (Art. 16 und 16b LwG).

Zudem dürfen landwirtschaftliche Erzeugnisse und deren Verarbeitungsprodukte mit Hinweisen auf Eigenschaften oder Produktionsmethoden, welche sich aus Vorschriften ergeben (z.B. umweltgerechte Produktion), versehen werden (Art. 16a LwG).

Zu erwähnen ist ebenfalls, dass der Bundesrat gestützt auf Artikel 18 LwG für Erzeugnisse, die nach Methoden produziert werden, die in der Schweiz verboten sind, Vorschriften über die Deklaration erlassen hat. Nach dieser Bestimmung hat er die Möglichkeit, Einfuhrzölle zu erhöhen oder den Import bestimmter Erzeugnisse zu verbieten. Aufgrund seiner internationalen Verpflichtungen nutzt der Bund diese Kompetenz jedoch nur mit Zurückhaltung (Deklarationspflicht für Fleisch, das unter Verwendung von Leistungsförderern produziert wurde, für Fleisch von Hauskaninchen sowie für Eier, bei deren Produktion die Anforderungen an die Tierhaltung gemäss Tierschutzgesetzgebung nicht eingehalten wurden).

4.4

Gewässerschutz und Umweltschutz, CO2-Gesetz

Bestehende Verfassungsgrundlagen Die für den Umwelt- und den Gewässerschutz massgeblichen Verfassungsbestimmungen sind in den Artikeln 74 und 76 BV verankert.

Artikel 74 Absätze 1 und 2 BV ermächtigt und verpflichtet den Bundesgesetzgeber, Vorschriften über den Schutz der Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen zu erlassen beziehungsweise dafür zu sorgen, dass solche Einwirkungen vermieden werden. Der Begriff der Einwirkung ist dabei in einem weiteren Sinn zu verstehen. Er umfasst nicht nur Immissionen im eigentlichen Sinn, sondern auch weitere nachteilige Veränderungen beispielsweise des Klimas. Die Zuständigkeit bezieht sich grundsätzlich auf alle Massnahmen, die zur Zielerreichung des Umweltschutzes notwendig sind. Dies gilt somit auch für Massnahmen zur Reduktion der negativen Auswirkungen des Transports und der Lagerung von Lebensmitteln- und Futtermitteln auf Umwelt und Klima.

Der Gesetzgeber kann wählen, mit welchem gesetzgeberischen Instrumentarium er diesem Auftrag nachkommt. So kann er neben den klassischen polizeirechtlichen Verbots- und Gebotsnormen auch marktwirtschaftliche Instrumente oder Subventionen einführen oder mit Unternehmen und Organisationen der Wirtschaft Ziele und entsprechende Fristen vereinbaren.

Artikel 74 BV dient aber auch als Kompetenzgrundlage, um an den Import von Produkten, die im Ausland angebaut und hergestellt werden, gewisse Anforderungen stellen zu können, dies in Verbindung mit Artikel 54 Absatz 2 BV, der die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen als ausdrückliches Ziel der schweizerischen Aussenpolitik nennt.

Artikel 76 Absätze 1 und 3 BV schreibt vor, dass der Bund im Rahmen seiner Zuständigkeit für den Schutz der Wasservorkommen sorgt und Vorschriften über den 8406

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Gewässerschutz erlässt. Der Schutz der Wasservorkommen als Regelungsziel richtet sich gegen jede Art von Beeinträchtigung der Gewässer durch menschliche Aktivitäten. Von diesem qualitativen Gewässerschutz werden neben Verunreinigungen auch alle anderen schädlichen physikalischen, chemischen oder biologischen Veränderungen des Wassers erfasst.

Geltendes Recht, laufende und geplante Bestrebungen Der Bundesrat hat am 8. März 2013 den Aktionsplan Grüne Wirtschaft mit insgesamt 27 Massnahmen verabschiedet32. Ein Schwerpunkt des Aktionsplans ist die Senkung des Ressourcenverbrauchs durch Konsum und Produktion. Weil mehr als die Hälfte der auf den Konsum in der Schweiz zurückzuführenden schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt im Ausland verursacht werden (z.B. bei der Produktion von Rohstoffen wie Soja, Palmöl oder Kaffee), zielt der Aktionsplan auf eine nachhaltige und respektvolle Nutzung der natürlichen Ressourcen sowohl in der Schweiz als auch im Ausland ab.

Am 20. April 2016 hat der Bundesrat den Bericht «Grüne Wirtschaft ­ Massnahmen des Bundes für eine ressourcenschonende, zukunftsfähige Schweiz» zur Kenntnis genommen. Dieser zieht eine Bilanz der Umsetzung des Aktionsplans Grüne Wirtschaft und beinhaltet Massnahmen zur Stärkung und Weiterentwicklung freiwilliger Bestrebungen zur Ressourcenschonung.

Um abzuklären, bei welchen Rohstoffen prioritär freiwillige Massnahmen anzustreben sind, erarbeitete und diskutierte der Bund mit den betroffenen Akteuren Analysen (Marktanalyse, Marktabdeckung durch Nachhaltigkeitsstandards, Relevanzanalyse) zu in der Schweiz verarbeiteten Rohstoffen. Als Rohstoffe, bei denen ein grosser ökologischer Handlungsbedarf besteht, wurden Soja, Palmöl, Kakao, Kaffee, Fisch, Torf und Baumwolle identifiziert. Im Oktober 2015 wurde mit betroffenen Akteuren (Unternehmen, Verbände, Nichtregierungsorganisationen, Verwaltung) ein Workshop zu möglichen weiteren Schritten zur Umsetzung freiwilliger Massnahmen bei diesen Rohstoffen durchgeführt. Der Dialog dazu wird weitergeführt.

Im mit der Botschaft vom 12. Februar 201433 unterbreiteten Gesetzesentwurf zu einem indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft (Grüne Wirtschaft)»34 hätte der Bund in Artikel 41a Absatz 2 Buchstabe b USG die Kompetenz erhalten, mit Unternehmen
und Organisationen der Wirtschaft mengenmässige Ziele und entsprechende Fristen direkt zu vereinbaren. Dabei war unbestritten, dass ein solches Instrument gestützt auf die bestehenden Verfassungsgrundlagen erlassen werden kann. Das Parlament sprach sich in der Wintersession 2015 aber gegen einen indirekten Gegenvorschlag aus. Der Bund kann gestützt auf Artikel 41a USG somit weiterhin Branchenvereinbarungen nur dadurch fördern, dass er mengenmässiger Ziele und Fristen vorgibt. Die gesetzliche Grundlage, dass der Bund selber als Verhandlungspartner auftreten könnte, müsste noch geschaffen werden.

32 33 34

Der Aktionsplan ist einsehbar unter: www.bafu.admin.ch > Wirtschaft und Konsum > Fachinformationen > Grüne Wirtschaft.

BBl 2014 1817 BBl 2011 2149

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5

Politischer Kontext der Initiative

Gegenwärtig sind noch zwei weitere Volksinitiativen hängig, welche die Lebensmittelproduktion zum Gegenstand haben. Diese gehen mit ihren Anliegen teilweise über die Fair-Food-Initiative hinaus und teilweise decken sich die Anliegen. Allen drei Initiativen ist gemeinsam, dass sie zum Thema der ausreichenden und nachhaltigen Lebensmittelproduktion einen bereichsübergreifenden neuen Artikel in der Bundesverfassung verankern zu wollen.

5.1

Volksinitiative «Für Ernährungssicherheit»

Die vom Schweizerischen Bauernverband lancierte Initiative «Für Ernährungssicherheit»35 will die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion stärken. Sie schlägt dazu unter anderem Massnahmen zur Reduktion des Verlusts von Kulturland und zur Umsetzung einer Qualitätsstrategie vor. Begründet wird sie mit dem Bevölkerungswachstum, der Abnahme fruchtbarer Böden und der Befürchtung, dass mit der heutigen Agrarpolitik die landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz geschwächt wird.

Wie die Fair-Food-Initiative will auch die Initiative «Für Ernährungssicherheit» die Produktion von Lebensmitteln von hoher Qualität und die nachhaltige Produktion fördern.

Der Bundesrat empfiehlt in seiner Botschaft vom 24. Juni 201536 die Ablehnung der Initiative ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag. Er sieht keinen Handlungsbedarf auf Verfassungsstufe. Zudem bemängelt er die einseitige Fokussierung auf den Aspekt der Stärkung der inländischen Produktion statt einer gesamtheitlichen Betrachtung unter Einbezug auch des Zugangs zu den internationalen Agrarmärkten.

5.2

Volksinitiative «Für Ernährungssouveränität.

Die Landwirtschaft betrifft uns alle»

Die Volksinitiative «Für Ernährungssouveränität. Die Landwirtschaft betrifft uns alle»37 der Bauerngewerkschaft Uniterre fordert eine Versorgung mit überwiegend einheimischen Lebens- und Futtermitteln, bei deren Produktion die natürlichen Ressourcen geschont werden. Zum Erreichen dieser Ziele sollen Massnahmen zur Erhöhung der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen und zur Stärkung der regionalen Verarbeitungs-, Lagerungs- und Vermarktungsstrukturen ergriffen werden. Überdies hat der Bund Zölle auf die Einfuhr von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu erheben sowie deren Einfuhrmenge zu regulieren. Für

35 36 37

BBl 2014 963 BBl 2015 5753 BBl 2014 6845

8408

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die Ausfuhr solcher Erzeugnisse soll der Bund keinerlei Subventionen ausrichten dürfen.

Gemeinsam ist der Initiative «Ernährungssouveränität. Die Landwirtschaft betrifft uns alle» und der Fair-Food-Initiative, dass sie beide eine umwelt- und ressourcenschonende Produktion anstreben. Dazu gehören auch der Respekt gegenüber Tieren, der Grenzschutz gegen von den schweizerischen Bestimmungen abweichende Importe sowie faire Arbeitsbedingungen.

Die gesammelten Unterschriften wurden am 30. März 2016 bei der Bundeskanzlei eingereicht. Die Initiative ist mit 108 680 gültigen Unterschriften zustande gekommen.38

6

Würdigung der Initiative

6.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Im Folgenden werden die Anliegen der Initiative kommentiert und es wird aufgezeigt, inwieweit diese über die laufenden Bestrebungen des Bundesrates hinausgehen. Weiter wird dargelegt, wo allenfalls Handlungsbedarf besteht. Schliesslich wird untersucht, in welchen Bereichen sich die Anliegen des Initiativkomitees mit dem bereits bestehenden Verfassungsrecht umsetzen lassen und in welchen Bereichen hierfür zusätzliche Verfassungsgrundlagen erforderlich sind.

6.1.1

Anliegen, die umgesetzt sind oder umgesetzt werden

Art. 104a Abs. 1 Der Bundesrat verfolgt auf der Basis der geltenden Gesetzgebung analoge Anliegen wie das Initiativkomitee. Im Hinblick auf die Stärkung des Angebots an Lebensmitteln, die von guter Qualität und sicher sind und die umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden, hat er bisher in folgenden Bereichen Massnahmen getroffen: Lebensmittelbereich Der Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit messen Bundesrat und Parlament heute schon eine grosse Bedeutung zu, und zwar unabhängig davon, ob die Lebensmittel in der Schweiz hergestellt oder importiert werden. Ausdruck davon ist das noch geltende Lebensmittelrecht sowie das neue Lebensmittelrecht, das sich auf das noch nicht in Kraft getretene Lebensmittelgesetz vom 20. Juni 2014 39 abstützt. Wie die Diskussionen rund um die Ausarbeitung des neuen Lebensmittelrechts gezeigt haben, sind über das geltende Recht hinausgehende neue Regelungen politisch aber kaum konsensfähig. Auch im Falle der Annahme der Initiative wären in diesem Bereich kontroverse Diskussionen absehbar.

38 39

BBl 2016 3725 BBl 2014 5079

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Dem Anliegen des Initiativkomitees nach einer strengeren Regelung der Anforderungen an die Qualität der Lebensmittel wird heute schon dadurch entsprochen, dass das Lebensmittelrecht regelmässig an den aktuellsten Stand von Wissenschaft und Technik angepasst wird.

Tierschutzbereich In diesem Bereich hat der Bundesrat unabhängig von internationalen Normen eigene Qualitätsnormen festgelegt. Ausdruck davon ist das geltende Tierschutzrecht.

Landwirtschaftsbereich Mit Bezug auf faire Arbeitsbedingungen legt Artikel 5 LwG als Ziel fest, dass nachhaltig wirtschaftende und ökonomisch leistungsfähige Betriebe im Durchschnitt mehrerer Jahre Einkommen erzielen können, die mit den Einkommen der übrigen erwerbstätigen Bevölkerung in der Region vergleichbar sind. Sinken die Einkommen wesentlich unter dieses Niveau, muss der Bundesrat befristete Massnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation ergreifen.

Der Bund unterstützt nach Artikel 11 LwG bereits gemeinschaftliche Massnahmen zwischen Produzentinnen und Produzenten einerseits und Verarbeitern oder Händlern sowie gegebenenfalls Konsumentinnen und Konsumenten andererseits, die zur Wertschöpfung oder zur Verbesserung oder Sicherung der Qualität und der Nachhaltigkeit beitragen. In diesem Kontext werden schon heute gemeinsame regionale Vermarktungsinitiativen («agriculture de proximité») von Landwirtinnen und Landwirten und Konsumentinnen und Konsumenten gefördert. Nach Artikel 12 LwG unterstützt der Bund auch subsidiär die Absatzförderung von Landwirtschaftsprodukten.

Umwelt- und Gewässerschutzbereich In diesem Zusammenhang zu erwähnen ist namentlich der vom Bundesrat beschlossene Aktionsplan Grüne Wirtschaft sowie der Bericht «Grüne Wirtschaft ­ Massnahmen des Bundes für eine ressourcenschonende, zukunftsfähige Schweiz»40 (vgl.

Ziff. 4.4). Der Bund hat mit gezielten Massnahmen die Grundlagen für eine grüne Wirtschaft verbessert und das Engagement von Unternehmen und der Gesellschaft unterstützt. Unter anderem hat er auch ein nationales Netzwerk zur Förderung der Ressourceneffizienz bei Unternehmen geschaffen (Reffnet.ch).

Weiter hat er das Thema der Verschwendung von Nahrungsmitteln (Food Waste) aufgenommen und eine breite Öffentlichkeit sensibilisiert. In Zusammenarbeit mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft will der Bundesrat die freiwilligen
Bestrebungen zur Ressourcenschonung stärken und weiterentwickeln. Bestehende Initiativen sollen gefördert sowie Informationen und Grundlagen besser nutzbar gemacht werden.

Die Massnahmen im Bericht Grüne Wirtschaft dienen dem Bund für die nächsten vier Jahre als Wegweiser hin zu einer ressourcenschonenden, zukunftsfähigen Schweiz. Das Engagement der angesprochenen Akteure wird dabei ohne zusätzliche 40

Der Bericht ist abrufbar unter www.bafu.admin.ch > Themen A-Z > Grüne Wirtschaft > Politischer Auftrag> Bericht an den Bundesrat: Grüne Wirtschaft.

8410

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Regulierung unterstützt. Zentral für den Erfolg ist der Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und öffentlicher Hand.

Weiter von Bedeutung sind die 2008 vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) und vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) veröffentlichten Umweltziele Landwirtschaft.

Die Ziele wurden aus den bestehenden rechtlichen Grundlagen erarbeitet. Das Monitoring betreffend die erzielte Wirkung obliegt dem Bund. Dieser legt in den jährlichen Agrarberichten Rechenschaft über die Massnahmen des Bundes ab.

Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) beauftragt hat, in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement des Inneren (EDI) und dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) einen Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu erarbeiten41. Damit sollen Ziele und Massnahmen für die weitergehende Risikoreduktion und nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln definiert werden.

Art. 104a Abs. 2 Die Forderung, wonach eingeführte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden, grundsätzlich mindestens den schweizerischen Anforderungen genügen müssen und für stärker verarbeitete und zusammengesetzte Lebensmittel sowie für Futtermittel dieses Ziel angestrebt wird, ist aufgrund der von der Schweiz in diesem Bereich abgeschlossenen internationalen Abkommen rechtlich problematisch (vgl. auch Ziff. 6.2). Anderseits steht die Schweiz aufgrund der Tatsache, dass ein wesentlicher Teil der durch die Schweizer Ernährung verursachten Umweltbelastung im Ausland verursacht wird, in der Verantwortung, entsprechende Anstrengungen zur Reduktion der durch importierte Lebensmittel verursachten Umweltbelastung zu unternehmen. Der Bund hat deshalb schon einiges unternommen, was der Stossrichtung der mit der Initiative verfolgten Anliegen entspricht. Dies gilt auch mit Bezug auf die Begünstigung eingeführter Erzeugnisse aus fairem Handel und bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betrieben.

Lebensmittelbereich Artikel 2 Absatz 3 LMG sieht vor, dass für importierte Nahrungsmittel die gleichen Bestimmungen gelten wie für in der Schweiz hergestellte, soweit nicht internationale Abkommen dem entgegenstehen.
Tierschutzbereich Gestützt auf Artikel 14 Absatz 1 TSchG kann der Bundesrat heute schon aus Gründen des Tierschutzes die Ein-, Durch- und Ausfuhr von Tieren und Tierprodukten an Bedingungen knüpfen, einschränken oder verbieten (vgl. Ziff. 4.2).

41

Der Entwurf für einen Aktionsplan ist einsehbar unter: www.blw.admin.ch > Themen A-Z > Produktionsmittel > Pflanzenschutzmittel > Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln.

8411

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Landwirtschaftsbereich Nach Artikel 18 LwG hat der Bundesrat die Möglichkeit, für Erzeugnisse, die nach Methoden produziert werden, welche in der Schweiz verboten sind, Einfuhrzölle zu erhöhen oder den Import bestimmter Erzeugnisse zu verbieten (vgl. Ziff. 4.3).

Bereich der Steuern Der Bund trifft heute schon Massnahmen an der Grenze, um das präferenzielle Inverkehrbringen nachhaltig produzierter Erzeugnisse zu ermöglichen (z.B. präferenzielle Besteuerung von Biotreibstoffen).

Bereichsübergreifend Der Bund unternimmt auch im Ausland bereits heute Anstrengungen, um die Ziele der Initiative zu erreichen; zum einen tut er dies durch den Abschluss multilateraler Umweltabkommen (z.B. Klima, Wasser, Wald) und von Abkommen im Rahmen der IAO, zum anderen fördert er nachhaltige Prozesse und Produktionsmethoden im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit. Auch in der Diskussion im Kontext internationaler Handelsabkommen setzt sich der Bund im Sinne der Initiantinnen und Initianten ein, beispielsweise bei der Aushandlung von internationalen Bioäquivalenzabkommen, der Verankerung von Nachhaltigkeitskapiteln in Freihandelsabkommen oder der Verankerung des Schutzes geografischer Herkunftsangaben in Freihandelsabkommen.

Weiter engagiert sich die Schweiz im Rahmen der WTO für eine bessere Berücksichtigung von Umwelt- und Sozialfragen im internationalen Handelssystem. In diesem Zusammenhang ist sie denn auch daran interessiert, die heutigen WTOrechtlichen Kriterien zum Erlass von Vorschriften, die diese Fragen betreffen, zur Diskussion zu stellen.42 Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass sich der Bundesrat auf internationaler Ebene auch für nachhaltige Ernährungssysteme einsetzt. So hat die Schweiz beispielsweise beim 10YFP-Programm für nachhaltige Ernährungssysteme zusammen mit Südafrika, dem WWF und der niederländischen Entwicklungs-NGO Hivos die Co-Leitung inne.43 Art. 104a Abs. 3 Nach Artikel 104a Absatz 3 hat der Bund dafür zu sorgen, dass die negativen Auswirkungen des Transports und der Lagerung von Lebens- und Futtermitteln auf Umwelt und Klima reduziert werden.

Einen konkreten Beitrag zur Reduktion der negativen Auswirkungen des Transports leisten heute das USG und die Luftreinhalteverordnung vom 16. Dezember 1985 44 (LRV) sowie die Gesetzgebungen in den Bereichen Strassenverkehr, Luftfahrt, 42 43 44

S. dazu die Ausführungen unter Ziff. 6.2.1 zur Berücksichtigung von Prozessen und Produktionsmethoden unter dem Aspekt der Nichtdiskriminierung von Waren.

Für Einzelheiten vgl. www.blw.admin.ch > Themen > International > FAO > Von der Schweiz unterstützte Projekte.

SR 814.318.142.1

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Schifffahrt und Eisenbahnen. Dieser Beitrag beschränkt sich allerdings auf den Verkehr in der Schweiz.

Nach der LRV sind die Emissionen in diesen Gesetzgebungen vorsorglich so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist (Minimierungsgebot). Anhang 1 LRV konkretisiert dieses Minimierungsgebot für Dieselruss.

Mit Bezug auf Treib- und Lagerhäuser ist auf die 2008 eingeführte CO2-Abgabe auf fossilen Brennstoffen hinzuweisen. Diese wird bei Nichterreichen der vom Bundesrat vorgegebenen CO2-Ziele erhöht45.

Zu erwähnen ist schliesslich auch noch der im Rahmen der Agrarpolitik 2014­2017 ins LwG aufgenommene Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe f LwG, der eine Kennzeichnung für nachhaltig hergestellte Produkte ermöglicht, welche die gesetzlichen Standards übertreffen. Konkret müssen als «nachhaltig» gekennzeichnete Produkte Anforderungen in allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökonomie, Soziales, Ökologie) erfüllen. Damit soll für die Wirtschaftsakteure einerseits ein Anreiz geschaffen werden, Initiativen in diesem Bereich zu entwickeln. Anderseits soll der Missbrauch von Kennzeichnungen, die auf die Nachhaltigkeit von Agrarprodukten hindeuten, bekämpft werden.

Art. 104a Abs. 4 Für das Problem der Lebensmittelverschwendung hat eine Projektgruppe, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern des BLW, des BAFU, des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), im Dialog mit der Branche und Organisationen der Zivilgesellschaft im Rahmen des Aktionsplans Grüne Wirtschaft konkrete Lösungen erarbeitet. Beim Projekt ressourcenschonende Ernährung, ebenfalls Teil des Aktionsplans Grüne Wirtschaft, sind auch alle Akteure der Wertschöpfungskette in die Verantwortung einbezogen.

6.1.2

Nicht oder nur teilweise umgesetzte Anliegen

Art. 104a Abs. 1 Lebensmittelbereich Eine generelle Zulassungspflicht für importierte Lebensmittel sieht das Lebensmittelrecht nicht vor. Eine solche ist aber auch nicht nötig, legt das LMG doch heute schon fest, dass importierte Lebensmittel den schweizerischen lebensmittelrechtlichen Bestimmungen entsprechen müssen (Art. 2 Abs. 3 LMG). Dies würde auch dann gelten, wenn das TTIP zwischen der EU und den USA zustande käme. Ein Abrücken von diesem Grundsatz stünde nur dann zur Diskussion, wenn die Schweiz

45

Hintergrundinformationen sind abrufbar unter www.bafu.admin.ch > Themen A-Z > Klima > Fachinformationen > Klimapolitik > CO2-Abgabe > Erhebung.

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mit den Vertragsparteien ein entsprechendes Abkommen abschliessen würde. Ein solches Abkommen müsste jedoch vom Parlament genehmigt werden.

Landwirtschaftsbereich Trotz Artikel 5 LwG besteht zwischen den bäuerlichen und den nichtbäuerlichen Einkommen nach wie vor eine Differenz. Diese hat sich jedoch verringert. Während 1995/97 der Arbeitsverdienst pro Familienarbeitskraft rund 50 Prozent unter dem Vergleichslohn lag, betrug die Differenz 2011/13 noch 35 Prozent.46 Umwelt- und Gewässerschutzbereich Sowohl der Aktionsplan Grüne Wirtschaft als auch die Umweltziele Landwirtschaft sind noch nicht umgesetzt. Entsprechende Bestrebungen sind aber am Laufen. Nach der Ablehnung der USG-Revision als indirekten Gegenvorschlage zur Volksinitiative Grüne Wirtschaft ist insbesondere die Umsetzung freiwilliger Massnahmen erforderlich, um wirksame Fortschritte im Sinne der Grünen Wirtschaft zu erzielen.

Art. 104a Abs. 2 Lebensmittelbereich Die Forderung des Initiativkomitees, wonach eingeführte Lebensmittel grundsätzlich mindestens den schweizerischen Anforderungen genügen müssen oder dieses Ziel anzustreben ist, wird durch das LMG nur teilweise umgesetzt. Denn Artikel 2 Absatz 3 LMG stellt klar, dass internationale Abkommen diesem vorgehen. Das Lebensmittelrecht ist deshalb so konzipiert, dass es mit solchen Abkommen kompatibel ist. So ist die Produktion von Fleisch unter Verwendung bestimmter Leistungsförderer in der Schweiz zwar verboten. Sieht der Codex Alimentarius für einen Leistungsförderer jedoch einen Rückstandshöchstwert vor, werden Rückstände davon bei für den Schweizer Markt bestimmtem importiertem Fleisch toleriert, wenn sie den betreffenden Codex-Wert nicht überschreiten. Die Verwendung von nach schweizerischem Recht verbotenen Leistungsförderern ist aber in jedem Fall zu deklarieren (Art. 2 Abs. 1 der Landwirtschaftlichen Deklarationsverordnung vom 26. Nov.

200347).

Das Cassis-de-Dijon-Prinzip sieht vor, dass Lebensmittel in der Schweiz verkehrsfähig sind, wenn sie dem EU/EWR-Recht oder bei unvollständiger oder fehlender Harmonisierung in der EU/EWR dem Recht eines EU/EWR-Mitgliedstaates entsprechen und dort rechtmässig in Verkehr gebracht worden sind. Wenn sie den schweizerischen technischen Vorschriften nicht entsprechen, bedürfen sie einer Bewilligung des BLV. Nach Auffassung des Initiativkomitees
ist dieses Prinzip mit der Stossrichtung der Initiative nicht vereinbar und muss ­ was Lebensmittel anbelangt ­ aufgehoben werden. Das Parlament hat es im Rahmen der Behandlung der parlamentarischen Initiative Bourgeois 10.538 «Bundesgesetz über die technischen

46

47

Vgl. Ziff. 1.1 der Botschaft des Bundesrates vom 18. Mai 2016 zu einem Bundesbeschluss über die finanziellen Mittel für die Landwirtschaft in den Jahren 2018­2021, BBl 2016 4503.

SR 916.51

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Handelshemmnisse. Lebensmittel vom Cassis-de-Dijon-Prinzip ausnehmen» Ende 2015 jedoch abgelehnt, Lebensmittel davon auszunehmen.

Einfuhrverbot für Erzeugnisse, die nicht Schweizer Standards entsprechen Wie bereits mehrfach erwähnt, hat der Bundesrat gestützt auf Artikel 18 Absatz 1 LwG für Erzeugnisse, die nach Methoden produziert werden, die in der Schweiz verboten sind, Vorschriften über die Deklaration erlassen. Er kann auf dieser Gesetzesgrundlage auch die Einfuhrzölle für solche Erzeugnisse erhöhen oder deren Import verbieten. Voraussetzung dafür ist, dass internationale Verpflichtungen nicht verletzt werden. Als verboten für den Import gelten Erzeugnisse, deren Produktionsmethoden aus Gründen des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit von Personen, Tieren, Pflanzen oder der Umwelt nicht zulässig sind (Art. 18 Abs. 2 LwG). Die Differenz der geltenden Rechtslage zur Forderung der Initiantinnen und Initianten besteht darin, dass nicht nur in der Schweiz verbotene, sondern auch von schweizerischen Normen abweichende Produktionsmethoden als gesetzliche Legitimation für ein Importverbot gelten sollen, und dies unabhängig vom Ausmass der Abweichung.

Damit ergibt sich ein Konflikt mit den von der Schweiz im Zusammenhang mit der WTO eingegangenen Verpflichtungen. Diesbezüglich ist zu beachten, dass das von der Schweiz angewandte Importregime in jedem Fall für alle WTO-Mitgliedstaaten gleich nutzbar sein muss. Das Abstellen auf die spezifisch schweizerischen Normen widerspricht der handelsvölkerrechtlichen Verpflichtung, wonach gleichartige im Wettbewerb stehende Produkte bei der Einfuhr nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. Wie unter Ziffer 6.2.1 erwähnt, sind nach bestehendem WTO-Recht Vorgaben an die Prozesse oder Produktionsmethoden, die sich nicht in den physischen Eigenschaften des Produktes niederschlagen, kein gültiges Unterscheidungskriterium von Produkten. Weiter ist die Schweiz auch in Bezug auf die Anwendung von «Qualitätsnormen» an die Einhaltung von WTO-Recht (u.a. Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Massnahmen48, Übereinkommen über technische Handelshemmnisse49) gebunden. Abweichungen von internationalen Normen müssen entsprechend begründbar sein. Die Zulässigkeit von handelsbeschränkenden Massnahmen ist strengen Anforderungen
unterworfen.

Art. 104a Abs. 3 Eine signifikante Reduktion der Auswirkungen des Transports und der Lagerung von Lebens- und Futtermitteln auf Umwelt und Klima kann namentlich dann erreicht werden, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten Lebensmittel oder Futtermittel mit einer negativen Umweltbilanz gar nicht erst kaufen. Im Rahmen der Arbeiten zur Grünen Wirtschaft sollen die Grundlagen für die ökologische Bewertung und Informationen über die ökologischen Aspekte der Produkte und des Produktangebots von Unternehmen verbessert und Innovationen gestärkt werden.

48 49

Anhang 1A.4 des Abkommens vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation, SR 0.632.20 Anhang 1A.6 des Abkommens vom zur Errichtung der Welthandelsorganisation, SR 0.632.20

8415

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Damit die Umgestaltung hin zu einer grünen Wirtschaft gelingen kann, sind neben einer Verbesserung der Rahmenbedingungen auch freiwillige Massnahmen der Unternehmen zentral. Gemäss dem Aktionsplan Grüne Wirtschaft besteht das Ziel darin, dass die Wirtschaft mit freiwilligen Massnahmen dazu beiträgt, die Umweltbelastung von Produkten über den ganzen Lebenszyklus substanziell zu senken. Mit freiwilligen Massnahmen kann die Wirtschaft ausserdem ihr Engagement für die Schonung der natürlichen Ressourcen und ihre Fortschritte gegenüber Bevölkerung und Politik transparent machen.

6.1.3

Notwendigkeit zusätzlicher Verfassungsbestimmungen

Art. 104a Abs. 1 Die Verfassungsgrundlagen im Lebensmittelbereich, im Landwirtschaftsbereich, im Umweltbereich, im Tierschutzbereich und im Arbeitnehmerschutzbereich reichen heute bereits aus, um die Anliegen nach Artikel 104a Absatz 1 der Initiative umzusetzen. Diesbezüglich besteht kein Handlungsbedarf auf Verfassungsebene. Dass den Anliegen nicht bisher schon entsprochen wurde, hängt einerseits damit zusammen, dass die Umsetzung entsprechender Massnahmen ausreichend Zeit benötigt und anderseits damit, dass die Politik diesbezüglichen Bemühungen entgegengestanden hat. Ausdruck davon ist beispielsweise, dass das Parlament den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Volksinitiative «Für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft (Grüne Wirtschaft)» im Dezember 2015 abgelehnt hat.

Art. 104a Abs. 2 Die mit Artikel 104a Absatz 2 verfolgten Anliegen werden heute nicht mangels bestehender Verfassungsgrundlagen nicht umgesetzt, sondern weil das Parlament und der Bundesrat eine andere Politik verfolgen oder weil die internationalen Verpflichtungen der Schweiz dem entgegenstehen. Handlungsbedarf auf Verfassungsebene ist deshalb auch diesbezüglich nicht ersichtlich.

Art. 104a Abs. 3 Auf Verfassungsstufe sind die notwendigen Bestimmungen vorhanden, um die Anliegen des Initiativkomitees umzusetzen. Diesbezüglich besteht kein Handlungsbedarf. Was noch fehlt, sind entsprechende Rechtsgrundlagen auf Gesetzesstufe.

Dass diese bisher nicht geschaffen worden sind, hängt auch damit zusammen, dass ein Teil der in diesem Zusammenhang eingereichten Vorlagen politisch nicht mehrheitsfähig war (s. auch Ziff. 6.1.1).

Art. 104a Abs. 4 Absatz 4 führt eine Reihe von Befugnissen und Aufgaben auf, die der Bund zur Umsetzung der Anliegen nach den Absätzen 1­3 von Artikel 104a ergreifen kann.

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Auf die vom Bund in diesen Bereichen unternommenen Anstrengungen wurde oben bereits ausführlich eingetreten (Ziff. 6.1.1). Die geltenden Verfassungsbestimmungen würden heute schon ausreichen, damit der Gesetzgeber umfassend im Sinne des Initiativkomitees legiferieren könnte, er hat dies aber nicht immer so gewollt (Bsp.: Regelung der Angabe der Herkunft von Lebensmittelzutaten im neuen Lebensmittelgesetz50, indirekter Gegenvorschlag des Bundesrates zur Volksinitiative «Für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft (Grüne Wirtschaft)»51, Einführung einer ökologischen Steuerreform52, Einführung einer CO2-Etikette für Lebensmittel53). Die in Artikel 104a Absatz 4 aufgeführten Aufgaben und Kompetenzen gehen somit nur insofern über das geltende Recht hinaus, als sie dem Bund nicht im Rahmen einer «Kann-Vorschrift» die Kompetenz geben, etwas zu regeln, sondern ganz spezifische Aufträge zum Ergreifen von Massnahmen erteilen. Dies ist bezüglich des Auftrags zum Erlass von Vorschriften zur Zulassung von Lebens- und Futtermitteln und zur Deklaration von deren Produktions- und Verarbeitungsweise der Fall (Bst. a), bezüglich der Förderung der Verarbeitung und der Vermarktung regional und saisonal produzierter Lebensmittel (Bst. d) und bezüglich des Treffens von Massnahmen zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung (Bst. e). In all diesen Bereichen ist der Bund jedoch ohnehin bereits aktiv (vgl. Ziff. 6.1.1). Auch mit Bezug auf Artikel 104a Absatz 4 ergibt sich auf Verfassungsebene somit kein Handlungsbedarf.

Art. 104a Abs. 5 Die BV beauftragt den Bundesrat heute schon, seine Ziele zu bestimmen und die Mittel seiner Regierungspolitik festzulegen. Zudem hat der Bundesrat auch den Auftrag, die staatlichen Tätigkeiten zu planen und zu koordinieren (Art. 180 BV).

Dazu gehört auch das Treffen von Massnahmen, wenn eines dieser Ziele nicht erreicht werden kann. Eine zusätzliche Verfassungsgrundlage ist hierfür nicht erforderlich.

6.2

Verhältnis der Initiative zu den internationalen Verpflichtungen der Schweiz

6.2.1

WTO-Recht

Das Welthandelsrecht (WTO-Recht, insbesondere das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen vom 30. Oktober 194754 [GATT]) basiert auf dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung (Meistbegünstigung und Inländerbehandlung). Dieser Grundsatz verlangt von den 164 WTO-Mitgliedern, dass sie ausländische Waren nicht ungünstiger behandeln als gleichartige inländische.

50 51 52 53 54

Einzelheiten zu den Beratungen sind einsehbar unter: www.parlament.ch > Ratsbetrieb > 11.034.

S. Fussnote 34.

06.3190 Motion Studer Heiner. Ökologische Steuerreform 07.431 n Pa.Iv. Kohler. CO2-Etikette für Lebensmittel SR 0.632.21

8417

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Die Gleichartigkeit einer Ware bestimmt sich im WTO-Recht nach folgenden Merkmalen des Produktes: a) physische Eigenschaften, b) Endverwendungsmöglichkeit, c) Neigungen und Gewohnheiten der Verbraucherinnen und Verbraucher und d) Zolltarifklassifikation.

Die Anwendung der Kriterien auf den konkreten Fall bedeutet beispielsweise, dass ein WTO-Mitglied in- und ausländisches Obst unterscheiden darf, je nachdem ob es unter Verwendung von Pflanzenschutzmitteln angebaut wurde oder nicht, wenn sich die Beschaffenheit des Obstes selbst in Form von Pflanzenschutzmittelrückständen, also einer Produkteeigenschaft, auswirkt. Nach bestehendem WTO-Recht sind jedoch Vorgaben an die Prozesse oder Produktionsmethoden (non product-related Production and Process Methods, npr PPM), die sich im Gegensatz zum oben genannten Beispiel von Obst nicht in den physischen Eigenschaften des Produktes niederschlagen (z.B. der Lohn des Pflückers), kein gültiges Vergleichskriterium von Produkten. PPM-Massnahmen, die lediglich den Import von Produkten betreffen oder die Wettbewerbsbedingungen importierter Produkte im Vergleich zu einheimischen Lebensmitteln im Ergebnis verschlechtern, verstossen gegen das Welthandelsrecht (s. dazu Art. I, III und XI GATT, Art. 2.1 und 2.2 TBT 55 sowie Art. 4.2 WTOAgrarabkommen56).

Die Initiative verlangt nun eine systematische Differenzierung von Lebensmitteln aufgrund der Produktionsmethoden (umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen), welche sich nicht in Produktemerkmalen niederschlagen.

Im Einzelfall liessen sich gestützt auf die Ausnahmeklauseln zum Schutz der Gesundheit von Personen und Tieren oder der Erhaltung des Pflanzenwuchses oder natürlicher erschöpflicher Produkte (Art. XX Bst. b und g GATT) Differenzierungen zulasten importierter Produkte anknüpfend an npr-PPM-Kriterien zwar allenfalls rechtfertigen. Die Anforderungen an solche Ausnahmen sind jedoch hoch. Zum einen, weil ein Staat ­ je nach Massnahme ­ nachweisen müsste, dass diese Massnahme tatsächlich erforderlich ist, bzw. zum Erreichen des angestrebten Politikziels keine mildere Massnahme möglich wäre, und zum andern weil es vorliegend auch um Massnahmen in Bereichen geht, in denen bisher keine international anerkannten Standards bestehen. Zu Begriffen wie «umwelt- und ressourcenschonend»,
«tierfreundlich» und «unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt» besteht kein internationaler Konsens. So dürfen Massnahmen zur Durchsetzung solcher Anforderungen an importierte Produkte auch bei Berufung auf die Ausnahmebestimmung weder eine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung zwischen Ländern mit gleichen Bedingungen herbeiführen noch auf eine verschleierte Behinderung des Welthandels hinauslaufen. Aufgrund des deklarierten Zieles des Initiativkomitees, auch die bäuerliche Landwirtschaft zu schützen, dürfte die Schweiz grosse Mühe haben, im Streitfall den Verdacht des Protektionismus zu entkräften.

Um die Verletzung von WTO-Recht zu rechtfertigen, müsste die Schweiz vor dem Ergreifen unilateraler Massnahmen mit allen betroffenen Herkunftsstaaten entspre-

55 56

S. Fussnote 49 SR 0.632.20

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chende Gespräche führen57. Sie müsste im Streitfall beweisen, dass den Herkunftsstaaten, beispielsweise wenn es um importiertes Obst geht, Verhandlungen für einen Vertrag über vorzunehmende Kontrollen oder über die Zulassung von Kontrollen durch schweizerische Behörden angeboten wurden bzw. erklären, weshalb dies nicht möglich war. Auch müsste begründet werden können, weshalb solche Gespräche nur mit gewissen Staaten geführt wurden. Der Abschluss entsprechender Verträge dürfte sich mangels Kooperationsbereitschaft der betroffenen Staaten als schwierig erweisen.

Die Initiative könnte dann WTO-konform umgesetzt werden, wenn bei deren Umsetzung durchwegs auf nach dem WTO-Recht anerkannte internationale Standards abgestützt würde, wie dies für gesundheitspolizeiliche Massnahmen denjenigen des Codex Alimentarius oder des Internationalen Tierseuchenamts sind58. Die zur Initiative vorhandenen Materialien des Initiativkomitees, das Argumentarium und die Erläuterungen zur Initiative, lassen jedoch nicht darauf schliessen, dass auf diese Weise die Anliegen der Initiative umgesetzt werden könnten, wird dort doch explizit erwähnt, dass in der Schweiz grundsätzlich nur noch Lebensmittel verkauft werden sollen, die mindestens nach den hier geltenden ökologischen und sozialen Standards hergestellt wurden59 sowie dass beispielsweise im Lebensmittel-, im Markenschutz, im Umwelt- und im Tierschutzbereich die bestehenden bzw. anzustrebenden spezifisch schweizerischen Standards die Referenz auch für Importe sein sollen60.

Generell müsste davon ausgegangen werden, dass bei einer Abkehr von internationalen Standards sich vermehrt partikuläre Handelsinteressen unter dem Deckmantel absolut unterstützenswerter Ziele durchsetzen. Nicht von ungefähr wehren sich gerade Entwicklungsländer mit Exportinteressen im Agrarbereich gegen Vorgaben an PPM, die sich nicht in den physischen Eigenschaften des Produktes äussern. Die Anpassung von Produktionsmethoden an die Vorgaben des Zielstaates eines Exportes ist oft mit Zusatzaufwand und Mehrkosten verbunden, erst recht, wenn unterschiedliche Zielmärkte unterschiedliche Vorgaben machen. Gerade deshalb ist die Wahrnehmung, was fairer Handel mit Agrarprodukten ist, sehr unterschiedlich.

Problematisch an der Initiative ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Verbot oder die Erschwerung
der Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die nicht den schweizerischen Standards entsprechen, faktisch extraterritoriale Wirkung erzielt.

Solche Vorgaben können leicht als übermässig handelsbeschränkend und diskriminierend beurteilt werden. Mit gutem Grund stehen die multilateralen Handelsregeln unilateralem handelsbeschränkendem Vorgehen grundsätzlich im Weg, weil sonst wirtschaftliche Grossmächte ihre eigenen politischen Präferenzen dem Rest der Welt faktisch aufzwingen könnten. Dies würde auch die Souveränität der Schweiz in umwelt- und sozialpolitischen Belangen in Frage stellen. Auch bestehen Zweifel, ob die mit der Umsetzung der Initiative einhergehende Überprüfung von Sachverhalten, die sich im Ausland abspielen, mit vernünftigem Aufwand überhaupt umsetzbar 57 58 59 60

Appellate Body Report, United States ­ Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, WT/DS58/AB/R.

S. die Fussnoten 48 und 49. Anerkennung eines solchen Standards vgl. Appellate Body Report, European Communities -- Trade Description of Sardines, WT/DS 231.

S. 1 des Argumentariums (Fn. 7).

S. 3 der Erläuterungen (Fn. 9).

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wäre (s. die Ziff. 6.3 und 6.4 unten). Die Schweiz befürwortet und unterstützt deshalb auch alle Bestrebungen zur Schaffung «internationaler Nachhaltigkeitsstandards».

Aus obengenannten Gründen und angesichts der Exportinteressen anderer Staaten (die Schweiz ist ein Nettoimporteur von Nahrungsmitteln) ist die Wahrscheinlichkeit von Handelsstreitigkeiten im Fall der Annahme der Initiative hoch. Wegen der systemischen Implikationen der Initiative für das WTO-Recht kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Staaten mit unbedeutenden Agrarexportinteressen die Schweiz einklagen würden. Im wahrscheinlichen Fall, dass die Schweiz einen solchen Fall verlieren würde, müsste sie die Umsetzungsmassnahmen rückgängig machen. Ansonsten wären die Kläger berechtigt, Kompensationen einzuführen, was negative Folgen für die schweizerische Wirtschaft hätte.

6.2.2

Bilaterale Verträge mit der EU

Freihandelsabkommen Einfuhrbestimmungen für landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte, welche von Protokoll Nr. 2 des Abkommen vom 22. Juli 197261 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Freihandelsabkommen, FHA) abgedeckt sind, fallen unter den Bestimmungen des FHA. Dieses verbietet in seinem Anwendungsbereich neben der Einführung neuer mengenmässiger Einfuhrbeschränkungen und Massnahmen gleicher Wirkung (Art. 13 Abs. 1 FHA) auch die Einführung neuer Ein- und Ausfuhrzölle und Massnahmen zollgleicher Wirkung (Art. 3, 6 und 7 FHA). Darüber hinaus verbietet das Diskriminierungsverbot (Art. 18 FHA) Massnahmen oder Praktiken interner steuerlicher Art, die unmittelbar oder mittelbar gegenüber Freihandelsprodukten diskriminierend wirken.

Namentlich bezüglich der in Artikel 104a Absatz 4 Buchstabe b vorgesehenen Möglichkeit der Vergabe von Zollkontingenten sowie der Abstufung von Einfuhrzöllen stellt sich somit die Frage, ob diese mit den oben erwähnten Grundprinzipien des FHA vereinbar wären. Indem bei Importen eine Produktion gemäss inländischen Produktionsmethoden, Tierschutz-, Umwelt- und Sozialstandards vorausgesetzt wird, besteht die Möglichkeit, dass diese Massnahmen von der EU mit Bezug auf ihre Produzenten als diskriminierend betrachtet werden könnten. Zwar steht Artikel 20 FHA Massnahmen nicht entgegen, die beispielsweise «aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren oder von Pflanzen» ergriffen werden. Selbst wenn die zwingende Vorgabe eines gewichtigen öffentlichen Interesses erfüllt werden könnte, müsste zur Rechtfertigung der auf Artikel 104a gestützten Massnahmen aber zusätzlich nachgewiesen werden, dass sie verhältnismässig (d.h. sowohl geeignet als auch erforderlich) sind, um das angestrebte öffentliche Interesse zu erreichen. Zudem dürften sie nicht zu einer willkürlichen Diskriminierung oder einer verschleierten Beschränkung des Handels führen. Artikel 20 FHA ist diesbe-

61

SR 0.632.401

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züglich analog Artikel XX GATT formuliert. Die Ausführungen unter Ziff. 6.2.1 gelten somit auch für das FHA. 62 Bilaterales Agrarabkommen Das Abkommen vom 21. Juni 199963 zwischen der Europäischen Union und der Schweiz über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Agrarabkommen) deckt gewisse Lebensmittel und Produktionsmittel ab (u.a. Produkte aus biologischer Landwirtschaft, Futtermittel, Saatgut, tierische Produkte) und garantiert basierend auf der Gleichwertigkeit der Produktestandards den vereinfachten gegenseitigen Marktzugang für diese landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Sollten die angestrebten Tierschutznormen und Anforderungen an die Produktionsmethoden und die Lebensmittelqualität, die sich auf Artikel 104a stützen, von den europäischen Vorschriften signifikant abweichen, würden diese mit der im Agrarabkommen in den Anhängen 5, 7, 9 und 11 festgelegten Gleichwertigkeit in Konflikt stehen.

Dies würde dem gegenseitig gewährten erleichterten Marktzugang in den vom Abkommen abgedeckten Produktbereichen zuwiderlaufen. Gemäss Artikel 14 Absatz 2 des Agrarabkommens sind die Vertragsparteien dazu verpflichtet, sich aller Massnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Abkommens gefährden könnten, zu enthalten. Die Umsetzung der Fair-Food-Initiative müsste deshalb unter Berücksichtigung des von diesem Abkommen vorgegebenen Rahmens erfolgen. Der Spielraum für zusätzliche Anforderungen wäre somit gering. Würde die Initiative im Sinne der vom Initiativkomitee in seinem Argumentarium64 und in den Erläuterungen zur Initiative65 formulierten Anliegen umgesetzt, könnte dies zur Kündigung des Agrarabkommens führen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Bilateralen I (einschliesslich Agrarabkommen) untereinander mit der GuillotineKlausel verbunden sind. Wird eines der Abkommen gekündigt, werden auch die anderen automatisch ausser Kraft gesetzt.

Künftige Abkommen Sowohl der Bundesrat als auch die EU-Kommission haben ein Verhandlungsmandat verabschiedet, um im Bereich der Lebensmittelsicherheit miteinander zu verhandeln.

Ein entsprechendes Abkommen setzt jedoch voraus, dass für Lebensmittel sowohl in der Schweiz als auch in der EU analoge Anforderungen gelten. Weichen diese voneinander ab, ist der Abschluss eines Lebensmittelsicherheitsabkommens unrealistisch. Damit würden
die Vorteile, die sich aus einem solchen Abkommen für den Schutz der Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz ergeben würden, aufs Spiel gesetzt.

62

63 64 65

S. Botschaft des Bundesrates vom 16. August 1972 an die Bundesversammlung über die Genehmigung der Abkommen zwischen der Schweiz und den Europäischen Gemeinschaften, BBl 1972 II 653, 697.

SR 0.916.026.81 S. Fussnote 7.

S. Fussnote 9.

8421

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6.2.3

Verträge mit andern Vertragspartnern

Die Schweiz verfügt momentan über 28 Freihandelsabkommen mit 38 Partnern ausserhalb der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Die Abkommen mit Guatemala, Georgien und den Philippinen sind abgeschlossen und durchlaufen momentan die internen Genehmigungsverfahren. Weitere neun Freihandelsabkommen stehen zurzeit in Verhandlung.

All diese Freihandelsabkommen beinhalten Markzugangsverpflichtungen betreffend verarbeitete und nicht verarbeitete Landwirtschaftsprodukte. Ausserdem basieren diese Abkommen auf den relevanten Bestimmungen des WTO-Rechts, weshalb die Ausführungen unter Ziffer 6.2.1 grundsätzlich auch für diese Abkommen zu beachten sind. Insbesondere das Gebot zur Inländerbehandlung, welches in die Freihandelsabkommen aufgenommen wird, ist im Rahmen dieser Initiative von Bedeutung.

Auch in diesem Zusammenhang wären Massnahmen, wie sie die Initiative vorschlägt, problematisch. Es bestünde auch in den verschiedenen Freihandelsabkommen die Gefahr, dass die Schweiz im Rahmen der darin vorgesehenen Streitbeilegungsverfahren von einem Abkommenspartner eingeklagt werden könnte.

6.3

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Die Annahme der Initiative hätte namentlich in folgenden Bereichen konkrete Auswirkungen: ­

Spätestens drei Jahre nach Annahme der Initiative dürften in der Schweiz nur noch «fair» produzierte Lebensmittel auf den Markt gelangen.

­

Ab Inkrafttreten der Bestimmungen zur Umsetzung der Initiative müsste der Handel gewährleisten können, dass die in die Schweiz importierten Lebensund Futtermittel den ­ gegebenenfalls neuen ­ schweizerischen Vorschriften entsprechen. Im Ausland müssten entsprechende Kontrollsysteme aufgebaut werden.

­

Der amtliche Vollzug müsste überprüfen können, unter welchen Bedingungen für den Import in die Schweiz bestimmte Lebens- und Futtermittel im Ausland tatsächlich hergestellt wurden und ob diese den schweizerischen Vorschriften entsprechen. Dies würde sich äusserst schwierig bis unmöglich gestalten. Der Aufbau eines entsprechenden Kontrollapparats wäre sehr aufwendig und ressourcenintensiv. Es müssten Zertifizierungssysteme geschaffen werden, was wiederum bedingte, dass akkreditierte Stellen vorhanden wären, die einen Betrieb nach von der Schweiz vorgegebenen Standards zertifizieren könnten. Beschränkte man sich auf Dokumentenkontrollen, führte dies einerseits zu einem riesigen administrativen Aufwand, anderseits wäre nicht gewährleistet, dass die Angaben in den Dokumenten in jedem Fall mit der Realität übereinstimmen würden. Die Einhaltung der Bedingungen müsste durch Kontrollen im Herkunftsland gewährleistet werden. Dazu müssten internationale Verträge über vorzunehmende Kontrollen bzw. über die Zulassung von Kontrollen durch schweizerische Behörden abgeschlossen werden.

8422

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­

Zollbegünstigungen müssten neu an Produktionsstandards gekoppelt werden und Lebensmittel aus nachhaltiger Produktion, zum Beispiel aus bäuerlicher Landwirtschaft oder Fair Trade, müssten über tiefere Zölle gefördert werden.

­

Zu fördern wäre ebenfalls die Verarbeitung und Vermarktung regional und saisonal produzierter Lebensmittel.

­

Das Cassis-de-Dijon-Prinzip müsste aufgehoben werden (vgl. Ziff. 6.1.2).

­

Der Aufbau eines Zertifizierungsapparates, der höhere Kontrollaufwand der Unternehmen bei der Einfuhr sowie der Umstand, dass nur noch im Sinne der Initiative «fair» produzierte Lebensmittel eingeführt werden dürften, würden sich auf die Preise niederschlagen. Weil dadurch die Nachfrage nach Schweizer Produkten steigen würde, könnten auch deren Preise steigen.

­

Aus finanzpolitischer Sicht ist davon auszugehen, dass zusätzliche Bundessubventionen zur Diskussion stehen würden. Dies gilt vor allem bezüglich der Förderung der Verarbeitung und der Vermarktung regional und saisonal produzierter Lebensmittel nach Artikel 104a Absatz 4 Buchstabe d und wohl auch zur Erreichung fairer Arbeitsbedingungen (Löhne) nach Absatz 1. Zudem ist gestützt auf Absatz 4 Buchstabe b davon auszugehen, dass dem Bund aus der Abstufung von Einfuhrzöllen Einnahmenausfälle erwachsen würden.

Würde die Initiative angenommen, müsste das Parlament innert drei Jahren Bestimmungen erlassen, die verhindern, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden und nicht Schweizer Standards entsprechen, importiert werden. Täte es dies nicht, müsste der Bundesrat diese Bestimmungen erlassen (vgl. Übergangsbestimmungen in Art. 197 Ziff. 12 BV). Diese Frist von drei Jahren ist angesichts der Komplexität und Breite der Regelungen sehr knapp bemessen, sodass es nicht unwahrscheinlich erscheint, dass der Bundesrat übergangsweise Verordnungsrecht erlassen müsste. Angesichts des Umsetzungsspielraumes müsste der Bundesrat grundlegende Weichenstellungen vornehmen, die nur provisorischen Charakter hätten. Die Regelung auf Verordnungsstufe könnte eine Phase von Rechtsunsicherheit zur Folge haben, wenn der Gesetzgeber länger untätig bleiben würde. Diese Rechtsunsicherheit könnte nicht nur die betroffenen Wirtschaftskreise belasten, sie könnte auch die Position der Schweiz auf internationaler Ebene, d.h. bei allfälligen Vertragsverhandlungen, erschweren.

6.4

Vorzüge und Mängel der Initiative

Der Bundesrat teilt die mit der Fair-Food-Initiative vorgebrachten Anliegen von ihrer Stossrichtung her. Es besteht in der Schweiz ein breiter Konsens, dass auf den Markt gebrachte Lebens- und Futtermittel möglichst fair produziert sein sollen, unter Beachtung aller in der Initiative erwähnten Aspekte. Dass dem so ist, zeigt sich auch daran, dass die geltende BV alle mit der Initiative verfolgten Anliegen bereits abdeckt. Die Frage ist jedoch, wie konsequent und wie rasch sich diese Anliegen realisieren lassen. Wie den bisherigen Ausführungen zu entnehmen ist, gibt es diesbezüglich Grenzen. Die Schweiz hat sich auf internationaler Ebene bisher stets 8423

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für harmonisierte und transparente Standards im Lebensmittelbereich eingesetzt, die international akzeptiert und angewendet werden.

Die in der Bundesverfassung verankerten Ziele beziehen sich aber nicht nur auf Aspekte, die im Zusammenhang mit der fairen Produktion von Lebensmitteln von Bedeutung sind. Für unser Land ist es beispielsweise ebenso wichtig, dass es der weniger begüterten Bevölkerung auch in Zukunft möglich ist, ihren Lebensunterhalt mit den vorhandenen Mitteln zu bestreiten. Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist, dass die Wirtschaft Rahmenbedingungen vorfindet, die es ihr erlauben, im nationalen und im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Sollen in einzelnen dieser Bereiche Fortschritte erzielt werden, ist ein sorgfältiges und austariertes Vorgehen erforderlich. Mit der kurzfristigen und überproportionalen Förderung nur eines Teils der in der BV verankerten Ziele bestünde die Gefahr, dass das bestehende System aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass mehrere der mit der Initiative verfolgten Anliegen in den letzten Jahren bereits im Parlament diskutiert worden sind und keine Mehrheit gefunden haben (s. Ziff.

6.1.3).

Auch vor dem Hintergrund der Hochpreisinsel Schweiz ist die Initiative kritisch zu beurteilen. Sie würde neue, Handelshemmnisse einführen, da nur noch im Sinne der Initiative «fair» produzierte Lebensmittel eingeführt werden dürften. Dies würde sich in den in der Schweiz ohnehin schon hohen Lebensmittelpreisen niederschlagen und die Wahlfreiheit der Konsumentinnen und Konsumenten beschränken.

Als grosser Mangel der Initiative zu betrachten ist deren schwierige Vollziehbarkeit.

Die Einführung eines Zertifizierungssystems ist kaum ein gangbarer Weg (vgl. Ziff.

6.3). Das Initiativkomitee seinerseits deutet in den Erläuterungen zur Initiative die Einführung einer Zulassungspflicht an. Wenn damit gemeint ist, dass es für sämtliche Lebensmittelimporte einer vorgängig einzuholenden Bewilligung bedürfte, bei der die Schweizer Behörden das Einhalten der Schweizer Standards in den Bereichen Lebensmittelsicherheit, Tierschutz, Landwirtschaft, Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz usw. überprüfen müssten, erscheint offensichtlich, dass die Wareneinfuhren der Schweiz aus dem Ausland praktisch zum Erliegen kämen. Das Ausstellen solcher Bewilligungen
bräuchte Zeit und bedingte, dass es den Schweizer Behörden möglich ist, zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für das Erteilen der Bewilligungen vorliegen. Dies ist aber nahezu unmöglich. Hinzu kommt, dass auch die Einführung eines solchen Zulassungssystems mit einem immensen Aufwand verbunden wäre, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht.

Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass sich allfällige Retorsionsmassnahmen der Schweizer Handelspartner im Rahmen des WTO-Rechts auch auf die Warenausfuhren aus der Schweiz auswirken könnten.

7

Schlussfolgerungen

Gestützt auf die oben stehenden Ausführungen ergibt sich: ­

8424

Eine Verfassungsänderung ist für das Realisieren der Ziele der Initiative nicht erforderlich.

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­

Die Entwicklung der Gesetzgebungen, Massnahmen und Initiativen in den einzelnen Bereichen (Agrarpolitik, internationale Umweltpolitik, Unterstützung von privaten Ökolabels, wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit, Aktionsplan und weiterführender Bericht Grüne Wirtschaft) geht heute schon in die von der Initiative verfolgte Richtung. Sie erfolgt jedoch Schritt für Schritt und in Übereinstimmung mit dem, was politisch und wirtschaftlich möglich ist.

­

Dem Bund stehen bereits heute wirksame Instrumente (internationale Zusammenarbeit, Produktedeklaration usw.) zur Verfügung, um eine sozialverträgliche und ökologische Landwirtschaftsproduktion national und international zu fördern. Zudem bieten verschiedene Marktteilnehmer heute schon Produkte an, die mit privatwirtschaftlichen Labels gekennzeichnet sind, welche die Einhaltung von Schweizer Normen ausweisen. Die Grösse des Angebots an solchen Produkten hängt vom Kaufverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten ab. Der Vorteil solcher privatrechtlichen Labels besteht darin, dass sowohl die Wahlfreiheit als auch die Berücksichtigung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz gewährleistet bleibt.

­

Die Forderung, dass eingeführte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden, den vom Initiativkomitee formulierten Anliegen66 genügen müssen, steht im Konflikt zur nationalen und internationalen Handelspolitik sowie zu den Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der WTO, der EU und Staaten, mit denen sie Freihandelsabkommen abgeschlossen hat. Die Vorteile, welche die Schweiz heute aufgrund der von ihr abgeschlossenen internationalen Abkommen hat, würden aufs Spiel gesetzt.

­

Es wäre für den Vollzug äusserst schwierig, zu überprüfen, ob die eingeführten landwirtschaftlichen Erzeugnisse tatsächlich sämtlichen Anforderungen der Initiative entsprechen.

­

Die Umsetzung der Initiative könnte den Bundeshaushalt belasten (zusätzliche Subventionen, Einnahmeausfälle bei den Zöllen).

­

Die Annahme der Initiative würde im Segment der heute nicht nach den Forderungen der Initiative hergestellten landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel zu einer Verteuerung führen. Dies würde nicht nur die Wirtschaft treffen, sondern auch die Konsumentinnen und Konsumenten.

­

Es ist fraglich, ob die Schmälerung des Angebots bei den Importen durch ein inländisches Angebot zu vertretbaren Preisen kompensiert werden könnte.

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten deshalb, die Volksinitiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair hergestellte Lebensmittel (Fair-FoodInitiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

66

S. die Fussnoten 7 und 9.

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