14.417 Parlamentarische Initiative Nachbesserung der Pflegefinanzierung Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 21. März 2016

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes vom 18. März 19941 über die Krankenversicherung (KVG). Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

21. März 2016

Im Namen der Kommission Der Präsident: Konrad Graber

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SR 832.10

2016-0946

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Übersicht Am 13. Juni 2008 hat das Parlament das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung verabschiedet. Die Finanzierung der Pflegeleistungen wurde im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) so geregelt, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) abhängig vom Pflegebedarf einen Beitrag in Franken ausrichtet; die nicht von den Sozialversicherungen gedeckten Pflegekosten werden von den Versicherten bis zu einem Betrag von höchstens 20 Prozent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Pflegebeitrages finanziert und die Kantone regeln die Restfinanzierung.

Am 21. März 2014 reichte Ständerätin Christine Egerszegi-Obrist (FDP, AG) die parlamentarische Initiative «Nachbesserung der Pflegefinanzierung» ein. In ihrer Begründung hielt die Initiantin fest, seit die Neuordnung der Pflegefinanzierung am 1. Januar 2011 in Kraft getreten sei, habe sich gezeigt, dass der Gesetzgeber verschiedene Bereiche nicht klar geregelt habe. Die ungeregelte Zuständigkeit für die Restfinanzierung der Pflegekosten wurde von der Initiantin als grössten Mangel bei der Neuordnung der Pflegefinanzierung bezeichnet.

Im Rahmen der Restfinanzierung haben die unterschiedlichen kantonalen Regelungen vor allem für Patientinnen und Patienten, die ausserkantonal erbrachte Pflegeleistungen in Anspruch genommen haben, zu Finanzierungs- und Zuständigkeitsdiskussionen geführt. Die Problematik im Fall eines ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalts oder der ausserkantonal ambulant erbrachten Krankenpflege liegt insbesondere bei der Bestimmung, welcher Kanton für die Festsetzung der Höhe des Beitrags der versicherten Person an die Pflegekosten sowie für die Restfinanzierung zuständig ist.

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung soll daher sicherstellen, dass in jedem Fall klar ist, welcher Kanton für die Restfinanzierung von Pflegeleistungen zuständig ist, die ambulant oder in einem Pflegeheim erbracht werden. Artikel 25a Absatz 5 KVG soll deshalb wie folgt ergänzt werden: «Für die Festsetzung und Auszahlung der Restfinanzierung zuständig ist der Kanton, in dem die versicherte Person ihren Wohnsitz hat. Der Aufenthalt in einem Pflegeheim begründet keine neue Zuständigkeit.» Diese Regelung orientiert sich an Artikel 21 Absatz 1 des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung (ELG). Die Erfahrungen mit dieser seit 1. Januar 2012 geltenden ELG-Bestimmung haben gezeigt, dass die Zuständigkeitsstreitigkeiten stark zurückgegangen sind. Dies trägt zur Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bei. Bei dieser Regelung ist somit keine Einflussnahme von Kantonen (oder auch Gemeinden) auf den Wohnsitzwechsel einer Person zu erwarten, da der Heimeintritt an der Zuständigkeit nichts ändert.

Zudem ist der Herkunftskanton in Bezug auf die Pflegefinanzierung, die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen zuständig, was zu einer Kohärenz mit dem ELG führt.

Zu erwähnen ist, dass die kantonale Zuständigkeit für die Restfinanzierung der Pflegeleistungen und die Spitalfinanzierung (Wohnkanton nach Art. 49a KVG) auseinander fallen, wenn mit Heimeintritt ein Wohnsitzwechsel erfolgt. Übernimmt der

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Herkunftskanton die Restfinanzierung der Pflegeleistungen auch bei einem ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalt, kann jedoch vermieden werden, dass Kantone finanziell benachteiligt werden, in denen mehr Pflegeheimplätze zur Verfügung stehen, als für die eigene Bevölkerung benötigt werden. Dies begünstigt eine kantonsübergreifende Pflegeheimplanung.

Die Neuregelung gilt nicht nur im Falle eines ausserkantonalen Pflegeheimaufenthaltes, sondern auch im Falle von ausserkantonal ambulant erbrachter Krankenpflege. Bei Kurzaufenthalten (z.B. Aufenthalte bei eigenen Kindern zu Hause) in anderen Kantonen, während derer ambulant erbrachte Krankenpflege (z.B. Spitexleistungen) in Anspruch genommen wird, wird dadurch kein neuer Wohnsitz begründet, so dass der Wohnsitzkanton für die Restfinanzierung der Pflegeleistungen zuständig bleibt.

Da bei der Neuregelung der Herkunftskanton zuständig ist für die Festsetzung der Restfinanzierung, ist nicht auszuschliessen, dass die von ihm festgesetzten Beiträge abweichen von den Beiträgen, die in einem anderen Kanton zur Deckung der Restkosten der Pflege nötig wären. Es ist daher davon auszugehen, dass allfällig verbleibende Restkosten der Pflege durch die versicherte Person zu tragen sein werden.

Auch andere Aspekte der Pflegefinanzierung wurden in der parlamentarischen Initiative und weiteren parlamentarischen Vorstössen sowie von den Akteuren in die Diskussion eingebracht. Die Kommission stellt zurzeit jedoch einzig bezogen auf die Restfinanzierung einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf Bundesebene fest.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 21. März 2014 reichte Ständerätin Christine Egerszegi-Obrist (FDP, AG) die parlamentarische Initiative mit folgendem Wortlaut ein: «Im Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung soll sichergestellt werden, dass: 1. die Zuständigkeit für die Restfinanzierung von Pflegeleistungen für ausserkantonale Patientinnen und Patienten im stationären und ambulanten Bereich geregelt wird; 2. die Freizügigkeit unter anerkannten Leistungserbringern gewährleistet ist; 3. die Pflegekosten von den Betreuungskosten besser und transparent abgegrenzt werden.» In ihrer Begründung hielt die Initiantin fest, seit die Neuordnung der Pflegefinanzierung am 1. Januar 2011 in Kraft getreten sei, habe sich gezeigt, dass der Gesetzgeber verschiedene Bereiche nicht klar geregelt habe. Der grösste Mangel bestehe bei der ungeregelten Zuständigkeit für die Restfinanzierung der Pflegekosten bei ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten oder ambulanten Spitex-Dienstleistungen. Weitere Probleme seien die Vielfalt von Regelungen betreffend die Patientenbeteiligung bei ambulanten Pflegeleistungen und die teilweise ungenügend klare Aufteilung von Pflege- und Betreuungskosten.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) gab der Initiative am 4. Juli 2014 einstimmig Folge. Am 15. Oktober 2014 stimmte die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) diesem Beschluss ohne Gegenstimme zu. Am 17. November 2014 beantragte die SGK-SR dem Büro des Ständerates die Einsetzung einer Subkommission mit fünf Mitgliedern, was das Büro am 24. November 2014 genehmigte. Die Subkommission2 konstituierte sich während der Wintersession 2014 und beschloss, zunächst Anhörungen der interessierten Kreise durchzuführen. Am 16. Januar 2015 hörte sie eine Delegation der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), den Preisüberwacher sowie Vertretungen von Curaviva, Spitex Verband Schweiz und Association Spitex privée Suisse an. Am 17. Februar 2015 und 2. April 2015 diskutierte die Subkommission über die neu zu regelnden Aspekte der Pflegefinanzierung. Sie zog dazu ­ gestützt auf Artikel 112 Absatz 1 Parlamentsgesetz3 ­ Sachverständige des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) bei, die von Sachverständigen des Bundesamtes für Sozialversicherungen
(BSV) und des Bundesamtes für Justiz (BJ) unterstützt wurden. Am 22. Mai 2015 verabschiedete sie den Vorentwurf und erläuternden Bericht zuhanden der SGK-SR.

Die Kommission hiess den Vorentwurf und erläuternden Bericht am 1. September 2015 einstimmig gut und beschloss, eine Vernehmlassung durchzuführen. Am 21. März 2016 nahm sie die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Kenntnis und stimmte dem vorliegenden Bericht- und Erlassentwurf mit 10 zu 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu.

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Egerszegi-Obrist, Bruderer Wyss, Diener Lenz, Eberle, Schwaller SR 171.10

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Ausgangslage

2.1

Die Neuordnung der Pflegefinanzierung vom 13. Juni 2008

Am 13. Juni 2008 hat das Parlament das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung4 verabschiedet. Mit diesem Gesetz traten am 1. Januar 2011 insbesondere die folgenden Änderungen in Kraft: ­

Änderungen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG)5: ­ Ausrichtung eines Beitrags in Franken durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP), abhängig vom Pflegebedarf (Art. 25a Abs. 1 KVG); ­ die nicht von den Sozialversicherungen gedeckten Pflegekosten werden von den Versicherten bis zu einem Betrag von höchstens 20 Prozent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Pflegebeitrages finanziert (Art. 25a Abs. 5 KVG); ­ die Kantone regeln die Restfinanzierung (Art. 25a Abs. 5 KVG, letzter Satz);6 ­ Übergangsbestimmungen: Einführung des Grundsatzes der Kostenneutralität und Festlegung einer Frist von höchstens drei Jahren für die Angleichung der Tarife an die vom Bundesrat festgelegten Beiträge durch die Kantonsregierungen.

­

Änderung des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG)7: ­ der Aufenthalt in einem Heim darf in der Regel keine SozialhilfeAbhängigkeit begründen; ­ Erhöhung der Vermögensfreibeträge, die bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen berücksichtigt werden.

­

Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)8: ­ Einführung einer Hilflosenentschädigung leichten Grades für Rentenbezügerinnen und -bezüger mit einer leichten Hilflosigkeit, die zu Hause leben.

Der Bundesrat legte daraufhin die Pflegebeiträge (vgl. auch Ziffer 2.4.1) für die OKP mittels Anpassung der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KLV)9 gemäss Vorgabe in Artikel 25a Absatz 4 KVG fest; diese Änderung trat ebenfalls am 1. Januar 2011 in Kraft. Die Pflegebei4 5 6

7 8 9

AS 2009 3517 SR 832.10 Die Pflegekosten werden somit von der OKP (Pflegebeitrag), der versicherten Person (höchstens 20 Prozent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Pflegebeitrages) und vom Kanton (Restfinanzierung) getragen.

SR 831.30 SR 831.10 SR 832.112.31

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träge der OKP an die Kosten der Pflegeleistungen ambulanter Leistungserbringer (Pflegefachfrauen und -männer, Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause) wurden pro Stunde und effektiver Vergütung in Zeiteinheiten von 5 Minuten festgelegt, die Pflegebeiträge der OKP an die Kosten der Leistungen von Pflegeheimen wurden pro Tag festgelegt, abgestuft nach Pflegebedarf (Abstufung mittels einer linearen 20-Minuten-Skala).

2.2

Monitoring der Umsetzung und Dialog mit der GDK

Die SGK-SR und die SGK-NR haben sich seit Inkrafttreten der Neuordnung der Pflegefinanzierung regelmässig über deren Umsetzung informieren lassen. Das BAG führte im Auftrag der Kommissionen und in Zusammenarbeit mit der GDK mehrere Umfragen bei den Kantonen sowie Leistungserbringern durch und fasste die Ergebnisse in vier Berichten vom 26. April 2011, 28. Juli 2011, 13. August 2012 und 3. Oktober 2013 zusammen10. Dabei zeigte sich, dass die Kantone von ihren weitgehenden Kompetenzen bei der Umsetzung der Pflegefinanzierung Gebrauch machten.

In der Regel wurden die kantonalen Lösungen auf die kantonalen Besonderheiten ausgerichtet und daher auf interkantonaler Ebene kaum koordiniert11.

Parallel dazu analysierte der Preisüberwacher die Taxordnungen von 88 Pflegeheimen in sieben Deutschschweizer Kantonen und publizierte am 6. September 2011 den Bericht «Probleme bei neuer Pflegefinanzierung ­ Preisüberwacher ortet dringenden Handlungsbedarf»12. Er kam darin zum Schluss, die Neuordnung der Pflegefinanzierung habe entgegen den Absichten des Gesetzgebers teilweise zu einer markanten finanziellen Mehrbelastung für die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner geführt.

Am 18. August 2011 beschloss die SGK-SR, sich direkt an die GDK, den Bundesrat und den Preisüberwacher zu wenden. Was die hier speziell interessierende Frage der Restfinanzierung bei ausserkantonal erbrachten Pflegeleistungen betraf, forderte die Kommission die GDK in einem Schreiben vom 31. August 2011 auf, möglichst rasch gesamtschweizerisch eine einheitliche Regelung zu treffen, und zwar mittels eines Konkordats.

Die GDK räumte in ihrer Antwort vom 29. September 2011 Vollzugsprobleme ein.

Zuständig für die Restfinanzierung sei unbestrittenermassen der Wohnsitzkanton.

Allerdings sei bei einem Eintritt in ein ausserkantonales Pflegeheim nicht immer klar, in welchem Kanton Wohnsitz bestehe. Die GDK unterstützte in ihrem Schreiben die Schaffung einer gesamtschweizerisch einheitlichen Regelung. Das Instrument des kantonalen Konkordates sei dazu allerdings nicht geeignet, da sich die betroffenen Personen bezüglich Zuständigkeitsfrage jederzeit auf die Bundesgesetzgebung (KVG oder ELG) berufen und im entsprechenden «Wohnsitzkanton» An10 11 12

Publiziert in www.parlament.ch > Organe und Mitglieder > Kommissionen > Legislativkommssionen > Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit > Berichte.

BAG, Erläuternder Bericht vom 3. Oktober 2013, Umsetzung des Bundesgesetzes über die Neuordnung der Pflegefinanzierung vom 13. Juni 2008 in den Kantonen, S. 4.

Publiziert in www.preisüberwacher.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Studien & Analysen > 2011.

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sprüche geltend machen könnten. «Wir gehen davon aus, dass eine gesamtschweizerisch einheitliche Lösung für die Pflegefinanzierung sinnvollerweise nur durch eine Regelung der Wohnsitzfrage analog des heutigen ELG erreicht werden kann», schrieb die GDK.

Die Umsetzung der Pflegefinanzierung beschäftigte aufgrund mehrerer Vorstösse auch die eidgenössischen Räte. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf zwei Postulate, die in der Frühjahrssession 2013 vom Ständerat beziehungsweise vom Nationalrat angenommen wurden: das Postulat «Klärung der Zuständigkeit für die Restfinanzierung bei ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten analog ELG» (12.4099), das Ständerätin Pascale Bruderer Wyss (SP, AG) eingereicht hatte, und das Postulat «Restfinanzierung ausserkantonaler Pflegeheimaufenthalte» (12.4051) von Nationalrätin Bea Heim (SP, SO). Mit den beiden Postulaten wurde der Bundesrat beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen nach einer Lösung zu suchen. Der Bundesrat machte darauf aufmerksam, dass diese Frage bereits im Rahmen des Dialogs Nationale Gesundheitspolitik angegangen worden sei, und erklärte sich bereit, die Diskussionen weiterzuführen.

Vor dem Hintergrund dieser Gespräche und der damals anlaufenden Arbeiten zum jetzt vorliegenden Entwurf informierte die GDK die SGK-SR am 12. Dezember 2014, dass sich die GDK-Plenarversammlung mit deutlichem Mehr für eine zukünftige Zuständigkeitsregelung analog zum ELG ausspreche.

Am 21. Oktober 2015 legte der Bundesrat den Bericht «Zuständigkeit für die Restfinanzierung im Rahmen der Pflegefinanzierung»13 vor, mit dem er die beiden oben erwähnten Postulate 12.4099 und 12.4051 erfüllte. Darin beleuchtete er mögliche Lösungen und kam zum Schluss, dass die EL-Regelung für mehr Klarheit in der Umsetzung sorgen würde. Er verzichtete jedoch darauf, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, da die SGK-SR bereits einen entsprechenden Vorentwurf in die Vernehmlassung geschickt hatte.

2.3

Restfinanzierung

2.3.1

Probleme bei ausserkantonal erbrachten Pflegeleistungen

Im Rahmen der Restfinanzierung haben die unterschiedlichen kantonalen Regelungen vor allem für Patientinnen und Patienten, die ausserkantonal erbrachte Pflegeleistungen in Anspruch genommen haben, zu Finanzierungs- und Zuständigkeitsdiskussionen geführt. Die Problematik im Fall eines ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalts oder der ausserkantonal ambulant erbrachten Krankenpflege liegt insbesondere bei der Bestimmung, welcher Kanton für die Festsetzung der Höhe des Beitrags der versicherten Person an die Pflegekosten sowie für die Restfinanzierung zuständig ist.

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www.parlament.ch > Geschäft 12.4099 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

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Die Resultate der Umfrage des BAG bei den Kantonen, die im unter Ziffer 2.2 erwähnten Bericht vom 13. August 2012 zusammengefasst sind, zeigen folgendes Bild. In 10 Kantonen wird die Zuständigkeit analog der Regelung in Artikel 13 Absatz 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)14 sowie der Regelung in Artikel 23 Absatz 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB)15 festgelegt: Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (...). In 14 Kantonen hingegen ist die Zuständigkeit analog der Regelung im ELG geregelt: [...] Der Aufenthalt in einem Heim, einem Spital oder einer andern Anstalt [...]

begründen keine neue Zuständigkeit (Art. 21 Abs. 1 ELG).

Gemäss dem ebenfalls unter Ziffer 2.2 erwähnten Bericht des BAG vom 3. Oktober 2013, der auf zwei Umfragen des BAG bei den Kantonen und bei den Leistungserbringern beruht, präsentiert sich die Situation betreffend Finanzierung von ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten folgendermassen: Fast alle Kantone wenden bei ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten die innerkantonal geltenden Taxgrenzen an (meistgenannte Regel). In den Kantonen Glarus, Luzern und Schaffhausen gelten bei einem ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalt nur dann die innerkantonalen Taxgrenzen, wenn im eigenen Kanton ein geeigneter Platz angeboten werden kann.

Nicht explizit zur Thematik geäussert hat sich der Kanton Genf.

Nur die Kantone Graubünden und Tessin haben die Übernahme von Kostenunterschieden zwischen dem Wohnsitzkanton des Bewohners oder der Bewohnerin und dem Standortkanton des Pflegeheims in einer interkantonalen Vereinbarung geregelt. In den meisten anderen Kantonen übernehmen die Patientinnen und Patienten die Kostenunterschiede im Pflegeheim (AG, AI, AR, BL, BS, FR, GL, LU, NW, OW, SG, SH, SO, SZ, TG, ZG). Für die restlichen Kantone, die sich dazu explizit geäussert haben, erfolgt die Übernahme namentlich durch die Leistungserbringer (BE, JU, NE, UR, VD, VS). Für die ausserkantonale ambulante Krankenpflege übernimmt die grösste Gruppe der Kantone die Kosten maximal in der Höhe der innerkantonalen Finanzierung (AR, BE, BL, GR, JU, LU, NE, NW, OW, SZ, UR, VS). Für den Rest gibt es insbesondere die Situation, dass die Kantone keine Kostenübernahme vorsehen (AI, TI,
VD), ausser es liege ein Leistungsvertrag zwischen Leistungserbringer und betreffender Gemeinde vor (GL, TG, SH). Gemäss den Resultaten der Umfrage bei den Leistungserbringern gibt es Schwierigkeiten bei der Restfinanzierung der ausserkantonalen ambulanten Krankenpflege. Als erste Variante stellen die Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause die Restfinanzierung der versicherten Person in Rechnung, ohne zu wissen, was dann damit geschieht. In dieser Situation gibt es mehrere Annahmen: die Versicherten zahlen, es kann lange dauern, bis die versicherte Person eine Rückerstattung durch Kanton oder Gemeinde erhält, Kanton und Gemeinde erstatten keine Kosten der versicherten Person. Es ist auch als zweite Variante möglich, dass die Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause die Restfinanzierung dem Wohnsitzkanton oder der Wohnsitzgemeinde in Rechnung stellen, mit möglichen Folgen eines hohen administrativen Aufwandes und einer Ablehnung der Kostenübernahme. Die Leistungserbringer warten auf eine Rückerstattung, reichen womöglich Beschwerde gegen 14 15

SR 830.1 SR 210

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den betreffenden Kanton ein oder verzichten wegen des unverhältnismässig hohen administrativen Aufwands auf die Restfinanzierung. Wenn Kanton oder Gemeinde die Restfinanzierung ganz oder teilweise nicht übernehmen, stellen die meisten Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause den Versicherten die Restfinanzierung entsprechend in Rechnung.

Nach Berechnungen des BAG auf der Basis einer Tabelle der Statistik der sozialmedizinischen Institutionen 2013 des Bundesamtes für Statistik (BFS)16 belief sich die Zahl der ausserkantonalen Aufenthalte im Pflegeheim 2013 in der Schweiz auf insgesamt 5339 Aufenthalte oder 3,6 Prozent des Gesamttotals der Klientinnen und Klienten. Auf kantonaler Ebene ist die Situation jedoch sehr unterschiedlich. Nur rund 1 Prozent der Personen mit Herkunftskanton Waadt und Bern beziehen Leistungen eines ausserkantonalen Pflegeheims. Am meisten beziehen die Klientinnen und Klienten aus den Herkunftskantonen Nidwalden und Solothurn ­ rund 10 Prozent ­ und diejenigen aus dem Kanton Appenzell Innerrhoden ­ fast 19 Prozent ­ Leistungen eines ausserkantonalen Pflegeheims. Die Klientinnen und Klienten, die ihren Wohnsitz zum Standortkanton des Pflegeheims gewechselt haben, gelten als innerkantonale Klientinnen und Klienten des Standortkantons des Pflegeheims und sind statistisch nicht separat ausgewiesen. Wenn bei diesen Klienten, die ELGRegelung zur Anwendung kommen würde, müsste die Restfinanzierung vom alten Wohnsitzkanton übernommen werden.

Im Bericht des BAG vom 3. Oktober 2013 (vgl. Ziff. 2.2) sind die Resultate der Umfrage bei den Leistungserbringern zur Pflegefinanzierung angeführt. Im Rahmen dieser Umfrage hat der Spitex Verband Schweiz die Zahl der Versicherten, die bei Non-Profit-Spitex ausserkantonal Leistungen der ambulanten Krankenpflege bezogen haben, auf rund 2000 geschätzt, mit steigender Tendenz. Gemäss der SpitexStatistik des BFS haben die gemeinnützigen Spitex-Organisation 2013 Pflegeleistungen für rund 180 000 Klientinnen und Klienten erbracht.

2.3.2

Rechtsprechung

Das Bundesgericht hat am 18. Dezember 2014 ein wichtiges Urteil zur Frage der Zuständigkeit für die Restfinanzierung der Pflegekosten gefällt (BGE 140 V 563).

Es hält darin fest, es sei noch offen, ob für die Zuständigkeit zur Restfinanzierung ungedeckter Pflegekosten dereinst wie im Recht der Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe eine wohnsitzunabhängige Lösung bestehen werde oder ob der wohnsitzbegründende Eintritt in ein Alters- oder Pflegeheim zur Finanzierungszuständigkeit des Standortkantons führe (Erw. 5.3). Grundsätzlich sei bis auf Weiteres auf die kantonale bzw. kommunale Rechtslage abzustellen. Die Standortgemeinde des betreffenden Pflegeheims habe ein Reglement erlassen, wonach Patienten mit Wohnsitz in einem anderen Kanton diesem Pflegeheim vor Behandlungsbeginn eine Kostengutsprache ihres Wohnsitzkantons oder ihrer Wohnsitzgemeinde betreffend die Übernahme des Restfinanzierungsbeitrags einzureichen hätten. Andernfalls habe 16

Tabelle 12-A Klientenwanderung zwischen den Kantonen: Anzahl Klient/innen nach Herkunftskanton der Klientin / des Klienten und nach Kanton der Institution, Sektor Alters- und Pflegeheime, 2013.

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das Pflegeheim die Aufnahme zu verweigern. Inhaltlich entspräche diese Regelung der bundesgesetzlichen Normierung im Bereich der Ergänzungsleistungen (Art. 21 ELG). Sie solle die Benachteiligung der Standortgemeinde verhindern, welche sonst für die Restfinanzierung aller Bewohner aufkommen müsste, die ihren Wohnsitz an den Ort der Einrichtung verlegt haben. Eine solche Voraussetzung schränke aber die freie Wohnsitzwahl und die Niederlassungsfreiheit (Art. 24 der Bundesverfassung) 17 ein. Unabhängig davon, ob die Regelung der «Zuständigkeitsperpetuierung» sachgerecht wäre, könne sie nicht (nur) in einem kantonalen oder kommunalen Erlass verankert sein, sondern bedürfe sie vielmehr einer bundesrechtlichen, für die ganze Schweiz gültigen Normierung. Kommunale und kantonale Legiferierungskompetenz könnten nicht über die Kantonsgrenze hinausgehen. Bis auf Weiteres bestimme sich zumindest im interkantonalen Verhältnis die Finanzierungszuständigkeit nach dem Wohnsitzprinzip. Die Standortgemeinde des Pflegeheims sei für die Restfinanzierung der ungedeckten Pflegekosten zuständig, sofern die Person den Wohnsitz (Art. 23 ZGB) verlegt habe (Erw. 5.4.1 und 5.4.2). Diese Bedingung sei im Beschwerdefall erfüllt (Art. 23 ZGB), weil die Person ihren Lebensabend in der Gemeinde verbringen wolle, in der sich das Altersheim befindet, und dort ihren Lebensmittelpunkt begründet habe (Erw. 6.).

Mit dem Urteil wurde klargestellt, dass bei der aktuellen Rechtslage für interkantonale Verhältnisse der Wohnsitz der versicherten Person massgebend ist und somit die Restfinanzierung vom Wohnsitzkanton sicherzustellen ist.

2.3.3

Geprüfte Lösungen

Im folgenden Abschnitt werden die von der Kommission geprüften Lösungen bezüglich Zuständigkeitsregelung bei der Restfinanzierung sowie bezüglich der Festsetzung der Höhe der Restfinanzierung von Pflegeleistungen im Falle von ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten erläutert.

A. Zuständigkeitsregelung: Festzulegen ist, welcher Kanton für die Restfinanzierung von Pflegeleistungen verantwortlich ist, d.h. welcher Kanton die nicht von der OKP oder der versicherten Person getragenen Kosten für Pflegeleistungen vergüten muss.

a) Zuständigkeitsregelung des KVG Die Zuständigkeitsregelung des KVG entspricht grundsätzlich dem Wohnsitz (Art. 1 KVG, Art. 13 Abs. 1 ATSG, Art. 23 ZGB). Wenn man diese Regelung im Bereich Restfinanzierung anwenden würde, hätte dies zur Folge, dass der Kanton, in welchem die versicherte Person ihren Wohnsitz hat, für die Restfinanzierung zuständig wäre. Es spielt also eine Rolle, ob die versicherte Person durch den Eintritt in ein ausserkantonales Pflegeheim einen neuen Wohnsitz begründet oder nicht (neuer

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SR 101

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Lebensmittelpunkt mit Absicht dauerhaften Verbleibens). Gemäss aktueller Rechtsprechung kann ein freiwilliger Heimaufenthalt wohnsitzbegründend sein.18 Eine solche Regelung ist grundsätzlich kohärent mit den Regelungen im KVG bei der Spitalfinanzierung und bei der Prämienverbilligung, soweit die Prämienverbilligung nicht über die Ergänzungsleistungen ausgerichtet wird. Auch die fiskalische Äquivalenz (es ist derjenige Kanton zuständig, in welchem das Hauptsteuerdomizil liegt) ist gegeben. Dabei ist zu beachten, dass die Aufenthaltsdauer im Standortkanton des Pflegeheims in vielen Fällen weit geringer ist als die vorgängige Aufenthaltsdauer im Herkunftskanton. Dies bedeutet, dass im Falle eines Wohnsitzwechsels bei Heimeintritt der Standortkanton des Pflegeheims die Restfinanzierung übernehmen muss, obwohl er von der entsprechenden Person weit weniger lang Steuereinnahmen erhalten hat als der Herkunftskanton. Die Anwendung der Regelung ist entsprechend einzelfallabhängig, je nachdem ob die Person bei Heimeintritt ihren Wohnsitz wechselt oder nicht. Wenn die versicherte Person bei Heimeintritt tatsächlich den Wohnsitz wechselt, ist der Kanton, der zuständig ist für die Restfinanzierung nicht derselbe Kanton, der für die Ergänzungsleistungen (Art. 21 Abs. 1 ELG) zuständig ist. Somit ist bei Bezügerinnen und Bezügern von Ergänzungsleistungen die Koordination der involvierten Finanzierungssysteme nicht gewährleistet.

Da bei dieser Regelung der Wohnsitz der versicherten Person zentral ist, können die Kantone (und auch die Gemeinden) einen Anreiz haben, auf den Wohnsitzwechsel einer Person Einfluss zu nehmen. Der Standortkanton des Pflegeheims könnte den Anreiz haben, den Wohnsitzwechsel bei Heimeintritt einer Person, die aus einem anderen Kanton stammt, zu erschweren und grundsätzlich weniger Pflegeheimplätze bzw. nur ausreichend Plätze für den eigenen Bedarf bereit zu stellen. Hingegen könnte der Herkunftskanton den Anreiz haben, den Wohnsitzwechsel bei einem Eintritt in ein ausserkantonales Pflegeheim zu fördern. Es besteht somit kein besonderes Interesse zu einer Gesamtsicht bei der Planung und Bereitstellung von Pflegeheimplatzangeboten. Es wird nur das Mindestangebot bereitgestellt, um eine zusätzliche Finanzierungslast zu verhindern. Insbesondere hat der Standortkanton ein Interesse, einkommens-
und vermögensschwache Personen aus anderen Kantonen von einem Heimeintritt abzuhalten, da sie kaum zusätzliche Steuereinnahmen bringen und die Restfinanzierung der Kosten für Pflegeleistungen, zumindest bei Wohnsitzwechsel, übernommen werden muss.

b) Zuständigkeitsregelung des ELG Der Aufenthalt in einem Heim begründet im Bereich der Ergänzungsleistungen (Art. 21 Abs. 1 ELG) keine neue Zuständigkeit; es handelt sich um denselben Grundsatz wie im Bereich der Sozialhilfe (Art. 5 des Bundesgesetzes über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger 19). Dies bedeutet, dass die Zuständigkeit einfacher bestimmbar ist, da immer derjenige Kanton zuständig ist, in welchem die betreffende Person vor Heimeintritt ihren Wohnsitz hatte, d.h. der Herkunftskanton. Wenn die versicherte Person bei Heimeintritt den Wohnsitz wechselt, hat dies folglich keinen Einfluss auf die Zuständigkeit für die Restfinanzierung. Die 18 19

Urteil des Bundesgerichts vom 18. Dezember 2014 (BGE 140 V 563), siehe auch Ziffer 2.3.2.

Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1

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rechtliche Situation ist somit klar, der zivilrechtliche Wohnsitz vor Eintritt in ein Pflegeheim ist in der Regel einfach und rasch bestimmbar. Die Erfahrungen aus dem ELG-Bereich zeigen, dass die Umsetzung funktioniert. Eine Ausnahme gilt nur in Fällen, in welchen der Heimeintritt direkt aus dem Ausland erfolgt. Da dabei direkt am Ort des Pflegeheims ein Wohnsitz begründet wird oder (subsidiär) der Aufenthaltsort als Wohnsitz gilt (Art. 24 Abs. 2 ZGB), wird der Standortkanton des Pflegeheimes zuständig für die Ergänzungsleistungen.

Wenn mit Heimeintritt ein Wohnsitzwechsel erfolgt, fallen aber die kantonale Zuständigkeit für die Restfinanzierung der Pflegeleistungen und die Spitalfinanzierung (Wohnkanton nach Art. 49a KVG) auseinander, ebenso bei der Prämienverbilligung bei Nicht-EL-Bezügern. Damit entsteht eine Inkohärenz innerhalb des KVG. Demgegenüber ist der Herkunftskanton in Bezug auf die Pflegefinanzierung, die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen zuständig, was zu einer Kohärenz mit dem ELG führt. Eine Abstimmung der Finanzierungssysteme und der gesetzlichen Regelungen kann somit innerhalb des gleichen Kantons erfolgen.

Die fiskalische Äquivalenz ist bei denjenigen Fällen nicht gegeben, in welchen der zivilrechtliche Wohnsitz bei Heimeintritt in den Standortkanton des Pflegeheims wechselt. Mit dem Herkunftskanton übernimmt jedoch derjenige Kanton die Restfinanzierung der Pflegeleistungen, der in der Regel über einen längeren Zeitraum von den Steuereinnahmen der entsprechenden Person profitieren konnte.

Bei dieser Regelung ist keine Einflussnahme von Kantonen (oder auch Gemeinden) auf den Wohnsitzwechsel einer Person zu erwarten, da der Heimeintritt an der Zuständigkeit nichts ändert. Im Gegenteil haben die Kantone den Anreiz zu einer Gesamtsicht bei der Planung und Bereitstellung von Pflegeheimplatzangeboten. Die Koordination der Pflegeheimplanungen in den Regionen, auch kantonsübergreifend, wird erleichtert. Es findet keine Benachteiligung jener Kantone statt, welche ein gegenüber dem eigenen Bedarf überdurchschnittliches Pflegeplatzangebot oder Angebote für nicht vermögende Personen bereitstellen, da der Herkunftskanton die Restfinanzierung der Pflegeleistungen übernimmt. Hingegen könnte ein Anreiz für die Standortkantone bestehen, vermögende Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner
anzuziehen, da die Standortkantone im Falle eines Wohnsitzwechsels von den Steuereinnahmen profitieren, ohne für die Pflegeleistungen der vermögenden Person aufkommen zu müssen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der ELG-Ansatz mehr Klarheit bezüglich der Umsetzung schafft, hingegen aber zur Folge haben kann, dass derselbe Versicherte bei verschiedenen Kantonen Leistungsansprüche geltend machen kann, je nachdem, ob es sich um eine stationäre Behandlung im Spital oder um einen Pflegeheimaufenthalt handelt. Nach Abwägen der Vor- und Nachteile gibt die Kommission der Zuständigkeitsregelung nach ELG den Vorzug (siehe Ziff. 3).

B. Festsetzung der Restfinanzierung: Ist einmal klar, welcher Kanton für die Restfinanzierung von Pflegeleistungen zuständig ist, d.h. welcher Kanton die Restfinanzierung sicherstellen muss, stellt sich zusätzlich die Frage, welche Regeln anwendbar sind, jene des Herkunftskantons oder jene des Standortkantons.

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Wird die Finanzierung gemäss Regelung des Kantons A (Wohnsitzkanton vor Heimeintritt bzw. Herkunftskanton) vorgenommen, ist es möglich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner im selben Pflegeheim im Kanton B (Standortkanton des Pflegeheims) trotz identischem Pflegebedarf unterschiedliche Pflegebeiträge an die Pflegekosten bezahlen müssen und dass die Restfinanzierung unterschiedlich ausfällt. Es ist nicht auszuschliessen, dass die vom Kanton A festgesetzten Beiträge vom Betrag abweichen, der im Kanton B zur Deckung der Restkosten der Pflege nötig wäre. Dies kann zu Deckungslücken bei den Kosten für Pflegeleistungen führen.

Erfolgt die Finanzierung jedoch gemäss Regelung des Kantons B (Standortkanton des Pflegeheims), führt dies dazu, dass unter den Versicherten mit Wohnsitz im Kanton A unterschiedliche Beiträge, Höchsttaxen und Restfinanzierungen gelten können, je nachdem, ob die Personen in einem innerkantonalen oder in einem ausserkantonalen Pflegeheim gepflegt werden. Der Kanton A muss zudem die Restfinanzierung gemäss einer Regelung übernehmen, die er selbst nicht mitbestimmen kann.

Die Kommission spricht sich deshalb dafür aus, dass der Herkunftskanton für die Festsetzung der Restfinanzierung nach seinen eigenen Regeln zuständig sein soll (siehe Ziff. 3).

2.4

Aspekte der Pflegefinanzierung, bei denen zurzeit auf Bundesebene kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht

Auch andere Aspekte der Pflegefinanzierung wurden in der parlamentarischen Initiative und weiteren parlamentarischen Vorstössen sowie von den Akteuren in die Diskussion eingebracht. Die Kommission stellt zurzeit jedoch einzig bezogen auf die Restfinanzierung einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf fest. Nachfolgend werden die diskutierten Aspekte aufgeführt.

2.4.1

Der Beitrag der Krankenpflegeversicherung

Von verschiedenen Akteuren wurde die Notwendigkeit einer Erhöhung des Beitrags der OKP angesprochen, damit Kostensteigerungen nicht vollständig zu Lasten der Restfinanzierer (Kantone/Gemeinden) gehen.20 Absatz 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des Bundesgesetzes über die Neuordnung der Pflegefinanzierung vom 13. Juni 2008 sieht vor, dass der Bundesrat die Beiträge für die Vergütung der Pflegeleistungen durch die OKP mit dem Ziel festzulegen hat, dass sie der Summe der Vergütungen für die im dem Inkrafttreten 20

Die SGK-SR hat dieses Thema auch im Rahmen der Vorprüfung der Kt.Iv. TG. Ergänzung von Artikel 25a KVG betreffend die Pflegefinanzierung (14.317 s) diskutiert.

Siehe dazu den Bericht der SGK-SR vom 27. März 2015 (www.parlament.ch > Curia Vista Suche > Geschäftsnummer 14.317).

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vorangehenden Jahr ambulant und im Pflegeheim erbrachten Pflegeleistungen entsprechen. Kann diese Regelung im ersten Jahr nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung nicht eingehalten werden, so nimmt der Bundesrat in den nachfolgenden Jahren die erforderlichen Anpassungen vor. Der Bundesrat hat seine Kompetenz dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) zugewiesen (Art. 33 Bst. i der Verordnung über die Krankenversicherung, KVV)21. Das EDI hat die ab 1. Januar 2011 geltenden Beiträge getrennt für den Pflegeheimbereich und den Bereich der Krankenpflege zu Hause auf der Basis aller in der Schweiz nach Bereich erbrachten Pflegeleistungen berechnet und in Artikel 7a KLV festgesetzt. Die Übergangsfrist für die Einführung der Beiträge ist Ende 2013 abgelaufen (Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 13. Juni 2008), so dass einzig die Angaben des Jahres 2014 für die Vergütungen nach der Neuordnung der Pflegefinanzierung aussagekräftig sein werden. Sobald diese Angaben vorliegen, wird das EDI die Kostenneutralität der Pflegebeiträge überprüfen und sie nach Bedarf anpassen.

Das Gesetz sieht für den Systemwechsel von den Tarifen zu den Beiträgen explizit die Kostenneutralität für die OKP vor. Der Gesetzgeber hat eine Erhöhung der Beiträge durch den Bundesrat jedoch nicht ausgeschlossen. Der Bundesrat bzw. das EDI haben entsprechend einen Handlungsspielraum zur allfälligen Erhöhung der Beiträge. Deshalb besteht ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf in diesem Sinne nicht.

Festzuhalten ist, dass aufgrund der demographischen Entwicklung sowohl der Pflegebedarf als auch die Anzahl Pflegefälle tendenziell steigen werden. Weil das Beitragssystem nach OKP ­ sowohl in der Krankenpflege zu Hause innerhalb einer Pflegekategorie als auch im Pflegeheim ­ eine zum zeitlichen Pflegeaufwand und zur Anzahl Fälle proportionale Vergütung vorsieht (Art. 7a KLV), trägt die OKP eine Erhöhung des Pflegebedarfs und damit verbunden der Pflegeleistungen mit. Die Pflegekosten zu Lasten der OKP werden entsprechend unabhängig von der Höhe der Beiträge steigen.

2.4.2

Die Instrumente zur Pflegebedarfsermittlung

Die Pflegeheime müssen die Pflegeleistungen nach Pflegebedarf in Rechnung stellen (Art. 9 Abs. 2 KLV). Der Bundesrat hat die Kompetenz zur Festlegung der gesamtschweizerisch einheitlichen Beiträge an das EDI delegiert. Dieses hat die Beiträge der OKP für 12 Pflegebedarfsstufen festgesetzt. Für die Pflegeheime sind die Stufen nach der Dauer des Pflegebedarfs in Minuten aufgeteilt (Art. 7a KLV). Weiter ist es nach Artikel 25a Absatz 3 KVG Aufgabe des Bundesrates, das Verfahren der Bedarfsermittlung zu regeln. Bereits vor der Neuordnung der Pflegefinanzierung und noch heute werden in der Schweiz die Pflegebedarfserfassungsinstrumente BESA (Bewohner/-innen- Einstufungs- und Abrechnungssystem), PLAISIR (PLAnification.

Informatisée des Soins Infirmiers Requis) sowie RAI/RUG (Resident Assessment Instrument / Resource Utilisation Groups) verwendet. Diese Instrumente bilden die von der OKP übernommenen Pflegeleistungen (Art. 7 KLV) systemspezifisch und 21

SR 832.102

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damit unterschiedlich ab. Eine Minute Pflegebedarf nach BESA entspricht dabei nicht zwingend einer Minute Pflegebedarf nach RAI/RUG. In dieser Situation kann dieselbe Fallschwere zu unterschiedlichen Pflegebedarfs-Minuten beziehungsweise zu unterschiedlichen Vergütungen führen.

Aus diesem Grund startete im September 2009 die Steuergruppe Tarifstrukturen II ­ unter der Leitung von Curaviva und mit Vertreterinnen und Vertretern der Versicherer, der GDK und des BAG ­ die Arbeiten für die Kalibrierung der Pflegebedarfserfassungsinstrumente BESA und RAI/RUG, die sie mit ihren Empfehlungen von Ende August 2011 abschloss.22 2013 startete die Steuergruppe Tarifstrukturen II die zweite Phase der Arbeiten, mit dem Ziel, die drei gegenwärtig eingesetzten Systeme BESA, PLAISIR und RAI/RUG zu harmonisieren. Die Koordination der Arbeiten in der zweiten Phase wurde vom BAG übernommen. Im Rahmen einer zweiten Etappe hätten die verschiedenen Pflegebedarfssysteme so harmonisiert werden sollen, dass sich bei der Bestimmung des Pflegebedarfs grundsätzlich für denselben Fall dasselbe Resultat in Minuten ergibt. Nachdem die GDK Ende 2014 beschloss, dass sie sich an allfälligen Projektarbeiten zur Kalibrierung der drei aktuellen Pflegebedarfssysteme nicht beteiligen oder solche finanzieren wird, hat die Steuergruppe in der Sitzung vom 16. März 2015 entschieden, die Steuergruppe aufzulösen und das Projekt in der vorgesehenen Form nicht fortzuführen.

Entsprechend der Antwort des Bundesrates vom 13. März 2015 auf die Interpellation 14.4191 wird dieser nun das weitere Vorgehen betreffend Pflegebedarfssysteme prüfen und entscheiden.

2.4.3

Die Abgrenzung von Pflege- und Betreuungskosten

Aufgeworfen wurde auch die Problematik der mangelnden Abgrenzung zwischen den Kosten für die Pflegeleistungen und denjenigen für die Betreuungsleistungen.

Die Gefahr besteht, dass nicht gedeckte Pflegekosten unter dem Titel «Betreuung» auf die Patientinnen und Patienten überwälzt werden.

Die Pflegeleistungen sind in Artikel 7 Absatz 2 KLV abschliessend aufgeführt und haben bereits den Charakter einer Tätigkeitsliste. Zur transparenten Ermittlung der Pflegekosten sind die Pflegeheime verpflichtet, eine Kostenrechnung zu führen (Art. 49 Abs. 7 und Art. 50 KVG). Diese muss insbesondere die Elemente Kostenarten, Kostenstellen, Kostenträger und die Leistungserfassung umfassen (Art. 9 Abs. 2 der Verordnung über die Kostenermittlung und die Leistungserfassung durch Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime in der Krankenversicherung, VKL23) sowie den sachgerechten Ausweis der Kosten für die Leistungen erlauben. Die Kosten sind den Leistungen in geeigneter Form zuzuordnen (Art. 9 Abs. 3 VKL), z.B. mittels einer Arbeitszeiterfassung. Die Resultate dienen den Kantonen dazu, Normkosten zu bestimmen und festzulegen, was als Restfinanzierung akzeptiert wird. Aktuell sind 22

23

Vgl. Mitteilung der nationalen Steuergruppe Tarifstrukturen II über den Abschluss der Phase 1 ­ Kalibrierung von BESA und RAI/RUG, 31. August 2011, www.curaviva.ch/files/QZRJTOJ/2011_08_31-Mitteilung-der-nationalen-SteuergruppeTarifstrukturen-II.pdf.

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die Kostenrechnungen der Pflegeheime von unterschiedlicher Aussagekraft, so dass die notwendige Kostentransparenz noch nicht erreicht werden dürfte. Es ist festzuhalten, dass es nicht gesetzeskonform ist, einer versicherten Person KVG-pflichtige Leistungen unter dem Titel «Hotellerie» oder «Betreuung» in Rechnung zu stellen oder zur Deckung der Pflegekosten eine neue Taxe einzuführen. Die Patientinnen und Patienten müssen die Pflegekosten maximal in der Höhe der Patientenbeteiligung nach Artikel 25a Absatz 5 KVG mittragen.

In Bezug auf die erwähnten Normkosten ist festzustellen, dass deren Festlegung durch die Kantone eine sehr grosse Bedeutung zukommt, worauf auch im Rahmen der Anhörungen in der Subkommission Pflegefinanzierung von verschiedener Seite aufmerksam gemacht wurde. Die Problematik von ungedeckten Pflegekosten kann sich aus einer unkorrekten Festlegung der Normkosten ergeben. Daher sind die Voraussetzungen für die Festlegung von angemessenen Normkosten zu verbessern (insbesondere einheitliche Standards bei der Kostenrechnung, Durchsetzung eines transparenten Kostenausweises usw.). Die Kommission sieht in diesem Bereich durchaus Handlungsbedarf, jedoch liegt dieser nicht beim Gesetzgeber auf Bundesebene, sondern bei den Leistungserbringern und Kantonen.

Die KVG-pflichtigen Pflegeleistungen sind auf Verordnungsebene abschliessend aufgeführt. Die Pflegeheime sind zum Führen einer Kostenrechnung verpflichtet, die eine Ausscheidung der Kosten für die KVG-Pflegeleistungen und solchen für die Nicht-KVG-Leistungen wie die Betreuungskosten erlaubt. Die Kommission sieht daher wenig Regelungsbedarf. In der Pflicht sind die Leistungserbringer sowie die Kantone. Insbesondere die Kantone haben darauf zu achten, dass die Leistungserbringer ihre Kostenrechnungen korrekt führen. Das BAG hat die Verbände der Leistungserbringer und die Kantone in einem Schreiben vom 23. Juni 2015 daran erinnert, dass gemäss den gesetzlichen Vorgaben die Kostenrechnung und die Leistungserfassung transparent auszugestalten sind und die Vorgaben nach der VKL zu beachten sind.

2.4.4

Die Akut- und Übergangspflege

Kritisiert wird weiter die aktuelle Regelung bei der Akut- und Übergangspflege (AÜP). Diese habe sich nicht etabliert und würde nicht den Bedürfnissen entsprechen. So seien Definition und Leistungsumfang zu offen formuliert, die Dauer von zwei Wochen wird als zu kurz eingeschätzt und die Hotellerieleistungen seien von den Betroffenen selbst zu finanzieren.

Der Gesetzgeber wollte mit der AÜP einen zeitlich befristeten Pflegebedarf im Anschluss an einen Spitalaufenthalt abdecken und diesen entsprechend nach den Regeln der Spitalfinanzierung vergüten. Die Leistungen werden auf ärztliche Verordnung nach einem Spitalaufenthalt für eine maximale Dauer von zwei Wochen erbracht. Wohnkanton und Versicherer übernehmen die Kosten der Leistungen der Akut- und Übergangspflege anteilsmässig, der kantonale Anteil beträgt mindestens 55 Prozent. Für diese Leistungen, die inhaltlich den Leistungen in Artikel 7 KLV entsprechen, haben die Versicherer und Leistungserbringer Pauschalen zu vereinbaren (Art. 25a Abs. 2 KVG). Die gesetzliche Regelung ist daher genügend klar.

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Das System wurde eingeführt, um den Übergang von einem Vollfinanzierungs- zu einem Beitragssystem und mögliche frühe Entlassungen durch die Einführung eines DRG-Fallpauschalsystems für die Versicherten zu mildern. Solange Spitalbedürftigkeit besteht, sind somit die Kosten für Hotellerie und Betreuung finanziert, AÜP kommt erst im Anschluss an einen Spitalaufenthalt zum Zuge. Eine Änderung der Dauer, während derer die Leistungen der AÜP von der OKP und vom Wohnkanton des Versicherten vergütet werden, kann nur gestützt auf statistische oder medizinische Grundlagen erfolgen.

Die Kommission hat aufgrund der Stossrichtung der parlamentarischen Initiative die Fragen betreffend AÜP ausgeklammert. Gefordert sind Versicherer und Leistungserbringer, Pauschalen für die Leistungen der AÜP auszuhandeln.

2.5

Vernehmlassungsverfahren

Mit Schreiben vom 9. September 2015 lud die SGK-SR die Kantone, politischen Parteien und interessierten Kreise ein, sich im Rahmen einer Vernehmlassung zu ihrem Vorentwurf zu äussern. Die Unterlagen wurden an 124 Adressaten versandt, die bis zum 18. Dezember 2015 Stellung nehmen konnten. Insgesamt gingen 61 schriftliche Stellungnahmen ein.24 Zahlreiche Kantone25 und die GDK befürworteten grundsätzlich die vorgeschlagene Gesetzesänderung, erachteten diese aber als zu wenig weitgehend. Auf breite Zustimmung stiess die Kohärenz zwischen der Zuständigkeit für die Restfinanzierung und der Regelung bezüglich der Ergänzungsleistungen. Einige Kantone sprachen sich ausdrücklich dafür aus, dass der Herkunftskanton die Höhe der Restfinanzierung bestimmen sollte; in keinem Fall sollte die pflegebedürftige Person eine allfällige Differenz tragen müssen. Viele Kantone erachteten eine Übergangsbestimmung für jene Fälle als notwendig, in denen eine Person bei Inkrafttreten der neuen Regelung bereits ausserkantonale Pflege beansprucht. Weitergehende Regelungen wünschten mehrere Kantone in Bezug auf die Höhe der OKP-Beiträge an die Pflegeleistungen oder die Akut- und Übergangspflege. UR, TI und GE lehnten die Gesetzesänderung ab.

Grundsätzlich zustimmend zur vorgeschlagenen Gesetzesänderung äusserten sich auch die politischen Parteien, die Dachverbände der Wirtschaft und die Verbände der Versicherer. Einige befürchteten jedoch, dass die Patientinnen und Patienten finanziell belastet würden, wenn die ausserkantonal erbrachten Pflegeleistungen teurer seien als die vom Herkunftskanton festgelegten Tarife. Den gleichen Einwand brachten auch Vertreter von Patientinnen und Patienten vor.

Der Grossteil der Leistungserbringer begrüsste die Bereitschaft zu Verbesserungen, war jedoch mehrheitlich der Ansicht, dass die vorgeschlagene Regelung nicht aus24

25

Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung, Parlamentarische Initiative Nachbesserung der Pflegefinanzierung, Bundesamt für Gesundheit, März 2016, publiziert unter www.parlament.ch > Geschäft 14.417 > Vernehmlassung.

ZH, LU, SZ, OW, NW, GL, ZG, FR, BS, SH, AR, AI, SG, GR, AG, TG, VD, NE, JU

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reiche, um die zahlreichen Probleme in der Pflegefinanzierung zu lösen. Genannt wurden beispielsweise die Abstufung und Höhe der OKP-Beiträge an die Pflege, die Patientenbeteiligung, die Ermittlung des Pflegebedarfs sowie die Dauer und Finanzierung der Akut- und Übergangspflege.

Mehrere Verbände von Leistungserbringern erachteten die vorgeschlagene Regelung im Bereich der ambulanten Pflege als nicht praktikabel, da der Verwaltungsaufwand bei Patientinnen und Patienten aus anderen Kantonen sehr hoch sei. Die Organisationen der ambulanten Pflege würden deshalb voraussichtlich den ausserkantonalen Patientinnen und Patienten die Vollkosten in Rechnung stellen und es diesen überlassen, die Rückvergütung bei ihrem Wohnkanton einzufordern.

3

Grundzüge der Neuregelung

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung soll sicherstellen, dass in jedem Fall klar ist, welcher Kanton für die Restfinanzierung von Pflegeleistungen zuständig ist, die ambulant oder in einem Pflegeheim erbracht werden. Artikel 25a Absatz 5 KVG soll deshalb mit folgenden zwei Sätzen ergänzt werden: «Für die Festsetzung und Auszahlung der Restfinanzierung zuständig ist der Kanton, in dem die versicherte Person ihren Wohnsitz hat. Der Aufenthalt in einem Pflegeheim begründet keine neue Zuständigkeit.» Diese Regelung orientiert sich an Artikel 21 Absatz 1 ELG. Die Erfahrungen mit dieser seit 1. Januar 2012 geltenden ELG-Bestimmung haben gezeigt, dass die Zuständigkeitsstreitigkeiten stark zurückgegangen sind. Dies trägt zur Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bei.

Übernimmt der Herkunftskanton die Restfinanzierung der Pflegeleistungen auch bei einem ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalt, kann vermieden werden, dass Kantone finanziell benachteiligt werden, in denen mehr Pflegeheimplätze zur Verfügung stehen, als für die eigene Bevölkerung benötigt werden. Dies begünstigt eine kantonsübergreifende Pflegeheimplanung.

Die Neuregelung gilt nicht nur im Falle eines ausserkantonalen Pflegeheimaufenthaltes, sondern auch im Falle von ausserkantonal ambulant erbrachter Krankenpflege (vgl. Art. 25a Abs. 1 KVG). Bei Kurzaufenthalten (z.B. Aufenthalte bei eigenen Kindern zu Hause) in anderen Kantonen, während derer ambulant erbrachte Krankenpflege (z.B. Spitexleistungen) in Anspruch genommen wird, wird dadurch kein neuer Wohnsitz begründet, so dass der Wohnsitzkanton für die Restfinanzierung der Pflegeleistungen zuständig bleibt.

Da bei der Neuregelung der Herkunftskanton zuständig ist für die Festsetzung der Restfinanzierung, ist nicht auszuschliessen, dass die von ihm festgesetzten Beiträge abweichen vom Betrag, der in einem anderen Kanton zur Deckung der Restkosten der Pflege nötig wäre. Es ist daher davon auszugehen, dass allfällig verbleibende Restkosten der Pflege durch die versicherte Person zu tragen sein werden. Falls diese finanziell dazu nicht in der Lage ist, werden die Restkosten vom Herkunftskanton übernommen.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 25a Abs.5 Artikel 25a Absatz 5 wird um einen dritten und vierten Satz ergänzt. Im dritten Satz wird geregelt, welcher Kanton für die Festsetzung und Auszahlung der Restfinanzierung zuständig ist. Daraus folgt, dass der für die Auszahlung der Restfinanzierung zuständige Kanton den entsprechenden Betrag nach seinen Regeln festsetzt, unter Berücksichtigung des vom Bundesrecht vorgegebenen Rahmens. Der vierte Satz bestimmt, dass der Aufenthalt in einem Pflegeheim keine neue Zuständigkeit begründet bzw. dass bei ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten der Herkunftskanton der versicherten Person für die Restfinanzierung zuständig ist.

Mit dem in der Formulierung verwendeten Begriff «Pflegeheime» wird auf einen bestehenden Begriff im KVG abgestellt. Der Begriff Pflegeheim umfasst nach Artikel 39 Absatz 3 KVG Anstalten, Einrichtungen oder ihre Abteilungen, die der Pflege und medizinischen Betreuung sowie der Rehabilitation von Langzeitpatienten und -patientinnen dienen. Die Zulassung der Pflegeheime erfolgt letztlich mittels der kantonalen Pflegeheimplanung.

Der vierte Satz regelt den Fall eines Spitalaufenthaltes ­ im Gegenteil zu Artikel 21 Absatz 1 ELG ­ nicht. Die Kostenübernahme des kantonalen Anteils bei einer stationären Behandlung wird durch das KVG bereits spezifisch geregelt, indem sie dem Wohnkanton (Art. 41 Abs. 1bis und Art. 49a Abs. 2 und Abs. 3 KVG), das heisst dem Wohnsitzkanton (BGE 131 V 59, 64), zugewiesen wird. Es ist nicht auszuschliessen, dass die Person, welche sich in einem ausserkantonalen Pflegeheim befindet, vor einem Spitalaufenthalt Wohnsitz in diesem Kanton begründet. Demnach wäre der Kanton, in welchem sich das Pflegeheim befindet, als Wohnkanton verpflichtet, den kantonalen Anteil für die stationäre Behandlung zu übernehmen.

Ein solcher Spitalaufenthalt beeinflusst die Anwendung des neuen Artikels 25a Absatz 5 KVG hingegen nicht: Der für die Restfinanzierung zuständige Kanton bleibt unverändert, wenn die Person nach einem Spitalaufenthalt wieder in das Pflegeheim zurückkehrt.

5

Auswirkungen

5.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Mit der vorgeschlagenen Regelung entstehen keine vorlagenbedingten personellen Auswirkungen. Die Kantone sind nach wie vor zuständig für die Regelung der Restfinanzierung von Pflegeleistungen. Es könnte jedoch zwischen den Kantonen zu finanziellen Verschiebungen kommen, da gemäss Vorlage bei ausserkantonalen Pflegeheimaufenthalten immer der Herkunftskanton für die Festsetzung und Auszahlung der Restfinanzierung zuständig ist. Diese lassen sich aber aufgrund der aktuell angewandten, unterschiedlichen kantonalen Regelungen nicht quantifizieren.

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5.2

Vollzugstauglichkeit

Die Kantone bleiben nach wie vor zuständig für die Regelung der Restfinanzierung von Pflegeleistungen. Es werden grundsätzlich keine neuen Vollzugsaufgaben begründet. Im Gegenteil fallen diejenigen rechtlichen Streitigkeiten weg, in welchen die Kantone Wohnsitzwechsel beweisen bzw. bestreiten müssen.

Die vorgeschlagene Regelung wird die Bestimmung der Zuständigkeit vereinfachen.

Es ist immer derjenige Kanton zuständig, in welchem die betreffende Person vor Heimeintritt ihren Wohnsitz hatte, d.h. der Herkunftskanton. Wenn die versicherte Person bei Heimeintritt den Wohnsitz wechselt, hat dies keinen Einfluss auf die Zuständigkeit für die Restfinanzierung von Pflegeleistungen. Die rechtliche Situation ist somit klar, der zivilrechtliche Wohnsitz vor Eintritt in ein Pflegeheim ist bei Heimeintritt in der Regel einfach und rasch bestimmbar.

5.3

Andere Auswirkungen

Es sind keine weiteren Auswirkungen zu erwarten.

6

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Europäische Ordnung der sozialen Sicherheit bezweckt im Hinblick auf die Garantie der Personenfreizügigkeit keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Mitgliedstaaten können im Rahmen der Koordinationsgrundsätze (z.B. Diskriminierungsverbot, Anrechnung der Versicherungszeiten, grenzüberschreitende Leistungserbringung, usw.) die in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1) zum Ausdruck kommen, und die durch die entsprechende Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 (SR 0.831.109.268.11) geregelt werden, über die konkrete Ausgestaltung ihres Systems der sozialen Sicherheit weitgehend frei bestimmen. Seit dem Inkrafttreten des Abkommens über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft (SR 0.142.112.681) am 1. Juni 2002 sind diese Koordinationsgrundsätze auch für die Schweiz massgebend geworden.

7

Rechtliche Grundlagen

7.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Dieses Gesetz stützt sich auf Artikel 117 der Bundesverfassung, der dem Bund eine umfassende Kompetenz zur Einrichtung der Krankenversicherung verleiht. Der Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Pflegekosten durch die öffentliche Hand (Kanton oder Gemeinden) ist keine Leistung autonomen kantonalen Rechts, sondern ein bundesrechtlicher Anspruch (BGE 140 V 58 S. 62; 140 V 563 S. 570). Der Bun-

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desgesetzgeber hat daher die Kompetenz, eine Kollisionsnorm festzulegen, die bestimmt, welche Behörde diese Leistung nach welchen Regeln übernehmen muss.

7.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Vorlage überträgt dem Bundesrat keine neuen Rechtsetzungsbefugnisse.

7.3

Erlassform

Dieses Gesetz ergeht in der Form des ordentlichen Bundesgesetzes nach Artikel 164 der Bundesverfassung.

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