368

# S T #

9415

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung (Vom 7. März 1966) Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, Wir beehren uns, Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf zu einem Bundesgesetz betreffend Aenderung des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung (Erhöhung des anrechenbaren Verdienstes) vorzulegen.

I. Die gesetzliche Festsetzung des anrechenbaren Verdienstes 1. In den Artikeln 74, 78 und 112 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung (KUVG) ist für die Berechnung der Krankengelder, der Renten und der Prämien ein versicherter Höchstverdienst festgesetzt. Dieser hatte im Jahre 1918 bei Eröffnung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) 14 Franken für den Tagesverdienst bzw. 4000 Franken für den Jahresverdienst betragen. Infolge der Lohnentwicklung wurde er seither fünfmal heraufgesetzt: 1920 auf 21 bzw. 6 000 Franken 1945 auf 26 bzw. 7 800 Franken 1953 auf 30 bzw. 9 000 Franken 1957 auf 40 bzw. 12000 Franken 1964 auf 50 bzw. 15000 Franken Seit 1945 entspricht der Jahresverdienst dem 300 fachen Tagesverdienst.

Mit der Beschränkung auf einen versicherten Höchstverdienst wird der obligatorischen Unfallversicherung der Charakter einer Sozialversicherung gewahrt; der Teil jener Versicherten, die wegen dieser Beschränkung nicht den vollen Versicherungsschutz gemessen, darf jedoch nicht zu gross sein.

Bevor am I.Januar 1964 der versicherte Höchstverdienst auf 50 bzw.

15000 Franken erhöht wurde, hatten rund 16 Prozent der versicherten Männer das damals geltende Lohnmaximum erreicht oder überschritten; nach der

369

Neufestsetzung waren es noch 5 Prozent. Seit 1964 sind die Löhne zufolge der Teuerung, der Reallohnverbesserungen, der Arbeitszeitverkürzungen und der Überzeitzuschläge erneut angestiegen, so dass zu prüfen ist, ob der gesetzlich festgelegte versicherte Höchstverdienst wiederum heraufgesetzt werden soll.

Nach den Erhebungen der SUVAist von 1963 auf 1964 der gewogene durchschnittliche Stundenverdienst der verunfallten erwachsenen Arbeiter um 8,2 Prozent angestiegen. Diese Zunahme hatte zur Folge, dass bereits 1964 ein ansehnlicher Prozentsatz der Verunfallten das seit dem I.Januar 1964 versicherte Lohnmaximum von 50 Franken im Tag erreichte oder überschritt. Werden die im Jahre 1964 bei den Verunfallten ermittelten LohnVerhältnisse auf den nach Erwerbszweigen gegliederten Bestand der männlichen Versicherten übertragen, so ergeben sich die folgenden Anteile dieser Versicherten, die den zurzeit versicherten Höchstverdienst erreichen oder überschreiten : Betriebsunfallversicherung: Männer

Erwerbszweig

1. Steine und Erden 2. Metall 3. Holz 4. Leder, Kork, Kunststoffe; Papier, graphische Gewerbe -.

5. Textilindustrie, Näherei 6. Zeughäuser 7. Chemische Industrie, Nahrungs- und Genussmittel 8. Gewinnung und Verarbeitung von Gestein und Mineralien 9. Bauwesen, Waldwirtschaft 10. Bahnen 11. Transportunternehmungen ohne Bahnen, Handelsbetriebe 12. Licht-, Kraft- und Wasserwerke 13. Kinos 14. Büros, Verwaltungen Total

Versicherte in Prozenten des Gesamtbestandes

Anteil der Versicherten, die den Hochstlohn erreichen oder überschreiten in Prozenten

1,9 27,5 1,9

5,7 6,4 2,9

5,1 2,9 0,5

4,8 22,6

5,5

11,1

0,7 27,8 4,3

9,0 8,9 19,2

4,8 1,4 0,1 15,6 100,0

7,1 21,0 0,0 44,4 14,1

Die Ergebnisse zeigen, dass im Jahre 1964 die gesetzlich festgelegten versicherten Höchstverdienste von rund 14 Prozent der versicherten Männer erreicht oder überschritten wurden; zusammen mit den weiblichen Versicherten dürfte es sich insgesamt um etwa 190000 Personen gehandelt haben.

370

Nach den Feststellungen der SUVA sind die Löhne der Verunfallten im Mittel der Jahre 1957 bis 1964 jährlich um 6 Prozent angestiegen. Für die Jahre 1965 und 1966 muss mit einer jährlichen Erhöhung des Lohnniveaus um je 5 Prozent, zusammen also um 10 Prozent, gerechnet werden. Unter diesen Voraussetzungen dürfte sich nach sorgfältigen Schätzungen der Anteil der männlichen Versicherten, die den Höchstverdienst erreichen oder überschreiten, von 14,1 Prozent im Jahre 1964 auf 21,6 Prozent im Jahre 1966 erhöhen. Die Zahl der Versicherten, die den heute geltenden Höchstverdienst erreichen oder überschreiten, dürfte bis Ende 1966 auf rund 290000 Personen ansteigen.

Aus den vorstehenden Darlegungen ergibt sich, dass eine Heraufsetzung des versicherten Höchstverdienstes sich nicht nur als vertretbar sondern als notwendig erweist.

2. Der Verwaltungsrat der SUVA schlägt im Einvernehmen mit der Direktion einstimmig vor, den versicherten Höchstverdienst von 50 auf 70 Franken bzw. von 15000 auf 21000 Franken zu erhöhen. Dieser Antrag trägt der gegenwärtigen Lohnentwicklung Rechnung. Bei der Verwirklichung dieses Antrages darf angenommen werden, dass zu Beginn des Jahres 1967 nur noch rund 3 Prozent der männlichen Versicherten die neuen Grenzbeträge erreichen oder überschreiten. Dieser verhältnismässig bescheidene Anteil lässt sich vertreten, um so mehr als er bei weiteren Lohnzunahmen wieder ansteigen wird. Wir halten daher den einstimmig gefassten Vorschlag des Verwaltungsrates der SUVA für richtig und nehmen ihn unverändert in unsere Revisionsvorlage auf.

In diesem Zusammenhang kann darauf hingewiesen werden, dass für die Militärversicherung bereits seit dem 1. Januar 1964 ein Jahreshöchstverdienst von 21000 Franken gilt und dass in der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland ein Jahresarbeitsverdienst bis zum Höchstbetrag von DM 36000 berücksichtigt wird.

3. Durch die Heraufsetzung des versicherten Höchstverdienstes wird das finanzielle Gleichgewicht der Betriebsrechnung der SUVA nicht gestört. Den erhöhten Versicherungsleistungen stehen höhere Prämieneingänge gegenüber.

Die Erhöhung der Prämien wird von der SUVA für die Versicherung der Betriebsunfälle auf 1,4, für jene der Nichtbetriebsunfälle auf 2,7 Prozent geschätzt. Der Unterschied der Mehrprämie zwischen den beiden
Versicherungsabteilungen ist darauf zurückzuführen, dass bei einem Grossteil der Versicherten, für die sich die Heraufsetzung des versicherten Höchstverdienstes auswirken wird, die Prämie der Nichtbetriebsunfallversicherung höher ist als jene der Betriebsunfallversicherung.

Um ungefähr 2,7 Prozent wird sich auch der Bundesbeitrag an die Nichtbetriebsunfallversicherung erhöhen, der gemäss Art. 108 Abs. 2 KUVG einen Achtel der Prämien ausmacht. Ferner ergibt sich für den Bund eine Mehrbelastung aus den erhöhten Prämien, die er als Arbeitgeber für jene Arbeitnehmer zu entrichten hat, die bei der SUVA versichert sind. Insgesamt dürfte diese (inkl.

SBB und PTT) schätzungsweise rund 1,6 Millionen Franken im Jahr betragen.

371

II. Die Frage der künftigen Festsetzung des anrechenbaren Verdienstes durch die Verwaltung Der Christlichnationale Gewerkschaftsbund hat der SUVA beantragt, für die Festsetzung des anrechenbaren Verdienstes eine flexiblere Regelung zu prüfen, die die SUVA selbst in die Lage versetzen würde, der Lohnentwicklung entsprechende Anpassungen vorzunehmen, «ohne das Parlament jedesmal mit einer kleinen Revision zu bemühen». Die Direktion der SUVA erklärte sich als unzuständig, ihrem Verwaltungsrat einen entsprechenden Antrag zu stellen, wies jedoch darauf hin, dass die Anstalt durchaus in der Lage ware, eine derartige Automatik in die Tat umzusetzen, falls die Eidgenössischen Räte sie als zweckmässig erachteten. Allerdings dürfte eine solche Automatik weder auf den Landesindex der Konsumentenpreise noch auf den Lohnindex abstellen ; massgebend müsste vielmehr ein bestimmter Anteil der Versicherten sein, die den bestehenden Höchstverdienst erreichen oder überschreiten.

Eine gewisse Parallele zu der vom Christlichnationalen Gewerkschaftsbund befürworteten flexibleren Festsetzung der Höchstverdienste besteht in Artikel 4, Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1962 über Teuerungszulagen an Rentner der SUVA und des militärischen und zivilen Arbeitsdienstes. Durch diese Bestimmung wird die SUVA beauftragt, die Teuerungszulagen bei jedem Anstieg oder Rückgang der Teuerung um 5 Prozent auf den Beginn des folgenden Jahres dem neuen Indexstand anzupassen. Während aber die Teuerungszulagen nur eine Ergänzung zu bereits bestehenden Renten darstellen, bildet der versicherte Verdienst die Basis für den Prämienbezug, das Krankengeld und die Neurenten. Dieser Frage der Festsetzung der Neurenten kommt daher grundsätzlich das grössere Gewicht zu als jener des Teuerungsausgleichs der laufenden Renten, abgesehen von gesamtwirtschaftlichen Überlegungen, die hier eine Rolle spielen. Diese Überlegungen Hessen es auch in den anderen Zweigen der Sozialversicherung nicht zu, die Festsetzung der den Versicherungsleistungen zugrunde hegenden Einkommensgrenze der Verwaltung zu überlassen. Wir sind deshalb der Meinung, dass wenigstens zurzeit am bisherigen System der gesetzlichen Festsetzung der anrechenbaren Höchstbeträge festgehalten und auf jegliche Delegation dieser Kompetenz', erzichtet werden sollte. Es dürfte zweckmässig
sein, die Ergebnisse der grundsatzlichen Abklärung der Frage der automatischen Anpassung abzuwarten, welche gegenwärtig auf dem Gebiete der AHV angestrebt wird.

III. Schlussbemerkungen und Antrag Im Interesse der Versicherten soll die Gesetzesänderung so bald als möglich, d.h. auf den I.Januar 1967 in Kraft treten. Mit Rücksicht auf das der SUVA gesetzlich vorgeschriebene Kapitaldeckungsverfahren ist wie bei den bisherigen analogen Revisionen vorzusehen, dass das Gesetz nur Anwendung auf Schadenfälle findet, die sich nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens ereignen.

Wie für das KUVG selbst, bildet Artikel 34Ws der Bundesverfassung die verfassungsrechtliche Grundlage der Vorlage.

372

Wir beehren uns, Ihnen im Einvernehmen mit der SUVA zu beantragen, den nachfolgenden Gesetzesentwurf zum Beschluss zu erheben.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 7. März 1966.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident : Schaffner Der Bundeskanzler : Ch.Oser

373

(Entwurf)

Bundesgesetz betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung (Anrechenbarer Verdienst)

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 7. März 1966, beschliesst:

Die Artikel 74, Absatz 2, letzter Satz, 78, Absatz 5, und 112, Absatz 2, letzter Satz des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 74, Abs. 2, letzter Satz Ein Mehrbetrag des Verdienstes über siebzig Franken im Tag wird nicht berücksichtigt.

Art. 78, Abs. 5 Ein Mehrbetrag des Jahresverdienstes über einundzwanzigtausend Franken wird nicht berücksichtigt.

Art. 112, Abs. 2, letzter Satz Ein Mehrbetrag des Verdienstes eines Versicherten über siebzig Franken im Tag wird nicht berücksichtigt.

II Dieses Gesetz tritt auf den l. Januar 1967 in Kraft. Es findet nur Anwendung auf Schadenfälle, die sich nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens ereignen.

8777

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung (Vom 7. März 1966)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1966

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

11

Cahier Numero Geschäftsnummer

9415

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.03.1966

Date Data Seite

368-373

Page Pagina Ref. No

10 043 206

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.