189

# S T #

Bundesblatt

Bern, den 24. Februar 1966

118. Jahrgang

Band I

Nr. 8 Erscheint wöchentlich. Preis Fr. 36.- im Jahr, Fr. 20.- im Halbjahr, zuzuglich Nachnahme- und Postzustellungsgebuhr

# S T #

9371

Botschaft

des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend weitere Massnahmen zur Förderung der schweizerischen Reaktortechnik (Vom 8. Februar 1966) Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen Botschaft und Entwurf zu einem Bundesbeschluss betreffend weitere Massnahmen zur Förderung der schweizerischen Reaktortechnik zu unterbreiten. Dieser Entwurf sieht die Bereitstellung eines Kredites von 11 Millionen Franken vor, der entsprechend den bisherigen Bedingungen für die Beteiligung des Bundes an den Aufwendungen der Nationalen Gesellschaft zur Forderung der industriellen Atomtechnik (NGA) zur Deckung des Mehraufwandes für die Fertigstellung und Erprobung des Versuchs-Kernkraftwerkes Lucens verwendet werden soll. Um verhängnisvolle Unterbrüche in der Förderung der schweizerischen Reaktortechnik zu vermeiden, suchen wir sodann um die Ermächtigung nach, zur Fortsetzung der begonnenen Entwicklungen von Kernreaktoren maximal 8 Millionen Franken für die Finanzierung entsprechender Arbeiten in der schweizerischen Industrie und für die Erfüllung von Verpflichtungen im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Ausland aufzuwenden.

1. Stand der Arbeiten bei der NGA Die am 18. Juli 1961 von den am Reaktorbau interessierten Kreisen der schweizerischen Wirtschaft gegründete Nationale Gesellschaft zur Förderung der industriellen Atomtechnik hat als Ziele den Bau eines Versuchs-Kernkraftwerkes von 7000 bis 8000 Kilowatt elektrischer Leistung in Lucens (Waadt) und die Durchführung von Entwicklungs- und Vergleichsstudien für Kernreaktoren.

l . l Der Bau des Versuchs-Kernkrafrvverkes Lucens

Im Auftrage der NGA begann die Arbeitsgemeinschaft Lucens (AGL), die aus drei Ingenieurbüros (Bonnard & Gardel, Elektro-Watt und Société générale pour l'industrie) und dem NGA-Gründeraktionär Therm-Atom AG besteht, Bundesblatt. 118. Jahrg. Bd.I.

15

190

am I.Juli 1962 mit der Erstellung des Werkes Lucens. Zuerst mussten die unterirdischen Zugänge und Kavernen ausgesprengt werden, in denen der schwerwassermoderierte, gasgekühlte Druckrohrreaktor schweizerischer Konzeption, die Turbine und der Elektrizitätsgenerator sowie das Lager für die Brennstoffelemente untergebracht werden sollen, um die Bevölkerung der Umgebung vor Strahlengefährdungen bei grösseren Betriebszwischenfällen zu schützen. Das für diese Aufgabe verantwortliche Konsortium hatte wegen der Überkonjunktur im Baugewerbe grosse Schwierigkeiten, die notwendigen Arbeiten termin- und fachgerecht fertigzustellen. Mit einer Verspätung von 15 Monaten gegenüber dem anfänglichen Zeitplan konnte die Reaktorkaverne für den am längsten dauernden Teil des Mbntageprogrammes, nämlich den Einbau des Reaktors mit Zubehör, Ende März 1965 freigegeben werden. Zusätzlich zu den unterirdischen Bauten wurde am Eingang des Zugangsstollens ein Maschinen- und Verwaltungsgebäude errichtet, in dem auch der Kommandoraum und die für den Betrieb nötigen Werkstätten und Laboratorien untergebracht sind. Die Installation der überwiegend von schweizerischen Unternehmungen fabrizierten Teile des Kernkraftwerkes hat seit der Beendigung der Bauarbeiten gute Fortschritte gemacht und hält sich bis jetzt im allgemeinen im Rahmen des revidierten Terminkalenders, der den Bauverzögerungen Rechnung trägt. Wenn keine unerwarteten Zwischenfälle eintreten, sollten in der zweiten Hälfte dieses Jahres die Brennstoffelemente, deren Herstellung schon weit gediehen ist, in den Reaktor eingebracht und die erste Kettenreaktion, die der sogenannten Kritikalität des Reaktors entspricht, erreicht werden können. Anschliessend wird die Anlage bei schrittweise zunehmender Leistung sorgfältig ausgeprüft werden müssen. Einerseits muss die Einhaltung der aus Sicherheits- und anderen Gründen aufgestellten Spezifikationen nachgewiesen werden, andererseits sollen möglichst viel Informationen über das Verhalten und die Zweckmässigkeit der gewählten Konstruktionen in allen Betriebslagen, besonders auch beim Anfahren, gewonnen werden. Je nachdem, ob im Verlaufe dieses Probebetriebes mehr oder weniger viele noch zu behebende Mängel auftreten, wird diese Phase ein halbes bis ein Jahr in Anspruch nehmen. Nachher steht das Kernkraftwerk mit voller Leistung
für die Erprobung von Brennstoffelementen und die Schulung von Reaktorpersonal zur Verfügung, wobei auch Elektrizität erzeugt werden wird.

l. 2 Die Durchführung der Entwicklungs- und Vergleichsstudien Entsprechend den in den Statuten der NGA festgelegten Zielsetzungen wurde Ende Oktober 1962 eine Kommission für Entwicklungsstudien (EK) gebildet. Sie besteht aus leitenden Fachleuten des Eidgenössischen Instituts für Reaktorforschung (EIR), der Elektrizitätswerke, der an der NGA beteiligten Ingenieurbüros und der Industrie. Die Kommission hat die Pläne für die Ausführung der Studien und Experimente, die für die Weiterentwicklung des in Lucens erstmals verwirklichten Reaktorkonzeptes notwendig sind, und Vergleiche zwischen den verschiedenen Kernkraftwerkstypen auszuarbeiten. Die Leitung und Überwachung der entsprechenden Anstrengungen gehören eben-

191

falls zu ihren Aufgaben. Die EK begann sofort mit Untersuchungen im Rahmen eines am S.Juni 1962 beschlossenen sehr beschränkten Drerjahresprograrnmes.

Daneben formulierte sie ein den Bedürfnissen für eine eigene Reaktorentwicklung besser angepasstes Rahmenprogramm, das am l I.Oktober 1963 vom Verwaltungsrat der NGA genehmigt wurde. Auf dieser Basis wurden Berichte über die Probleme beim Vergleich der heute auf dem Markt offerierten Kernkraftwerke und bei der Übertragung ausländischer Kostenschätzungen auf schweizerische Verhältnisse verfasst. Zusätzlich wurde eine konkrete Gegenüberstellung vier verschiedener Reaktortypen ausgearbeitet. Diese Studien werden der schweizerischen Elektrizitätswirtschaft bei ihren Plänen für den Bau von Kernkraftwerken nützliche Dienste erweisen können. Vor allem aber nahm die EK die Untersuchung von drei Varianten des schwerwassermoderierten Druckrohrreaktors in Angriff, die sich voneinander in der Wahl des Kühlmittels (Kohlendioxyd-Gas oder Wasserdampf) und des Brennstoffes (Uranmetall oder Uranoxyd) unterscheiden. So werden die Unterlagen für die Verwirklichung des nächsten grossen Schrittes in der schweizerischen Reaktortechnik, die Projektierung und der Bau eines grösseren Prototyp-Kernkraftwerkes geschaffen. Die Industrie, deren Kernfachleute mit der Beendigung der Projektierungs- und Konstruktionsarbeiten für Lucens zunehmends frei wurden, und das EIR begannen eine Reihe von Experimenten zur Abklärung der entsprechenden material- und konstruktionstechnischen Probleme. Im Rahmen von Vorprojekten werden die verschiedenen Verbesserungsmoglichkeiten gegenüber der in Lucens verwirklichten Konzeption beurteilt und die Spezifikationen der verschiedenen Anlageteile so bestimmt, dass unter Berücksichtigung der aus den Experimenten bekannten Materialeigenschaften die beste Wirtschaftlichkeit erreicht wird. Da der Zeitplan in Lucens nicht eingehalten werden konnte und es zudem an Fachleuten auf dem Gebiete der Reaktortechnik mangelt, standen nicht genügend Kräfte für die termingerechte Durchführung der vorgesehenen Arbeiten zur Verfügung.

In Übereinstimmung mit ähnlichen ausländischen Studien zeigen die bisherigen Untersuchungen in ihren vorläufigen Resultaten, dass der schwerwassermoderierte Reaktor gute Aussichten hat. Seiner Weiterentwicklung zu wirtschaftlich
interessanten Anlagen mit besserer Ausnutzung des Brennstoffes als in den jetzt schon industriereifen Kernkraftwerken stehen keine besonderen Schwierigkeiten entgegen. Die Industriereife dieses Konzeptes kann mit einem entsprechenden Aufwand an Mitteln in einigen Jahren erreicht werden. Die EK arbeitete im Auftrage der NGA auch ein Zehnjahresprogramm aus, das vom Verwaltungsrat der NGA im Dezember 1964 zur Verwendung bei der Planung der weiteren Schritte gutgeheissen wurde. Dieses definiert die Etappen, die noch zu durchschreiten sind, um auf Grund der begonnenen Entwicklung selbständig konkurrenzfähige Kernkraftwerke bauen zu können, und beziffert den dafür erforderlichen personellen und finanziellen Aufwand.

Die im Rahmen des EK-Programmes begonnenen Arbeiten wurden im Verlaufe des letzten Jahres stark eingeschränkt, um angesichts der Kostenüberschreitungen beim Werk Lucens die noch vorhandenen Mittel möglichst

192

zu schonen. Vorläufig werden sie nach Beschluss des Verwaltungsrates der NGA vom 13.Dezember 1965 nur bis 3I.März 1966 von der NGA finanziert werden, obwohl die dafür ursprünglich budgetierten Beträge noch lange nicht aufgebraucht sind.

2. Die neue Kostenschätzung für das Kernkraftwerk Lucens und deren Finanzierung 2. l Die neue Kostenschätzung für das Werk Lucens Die beschriebenen Tätigkeiten der NGA wurden im Rahmen eines vom Verwaltungsrat der NGA und vom Bundesrat genehmigten Budgets unternommen, das auf einer Kostenschätzung vom November 1963 beruht. In der Botschaft vom 18. September 1964 betreffend einen Zusatzkredit zur Förderung des Baues und Experimentalbetriebs von Versuchs-Leistungsreaktoren wurden die entsprechenden Zahlen angeführt. Da die Wirtschaft ihren Anteil nicht vollständig finanzieren konnte, um entsprechend der für die NGA festgelegten Lastenverteilung die Hälfte des für Entwicklungs- und Vergleichsstudien vorgesehenen Aufwandes von 24 Millionen Franken zu decken, musste allerdings nachträglich bei diesem Posten eine Kürzung vorgenommen werden, so dass sich das endgültige Budget 1963 wie folgt präsentiert: Millionen Franken

Totaler Bauaufwand für das Werk Lucens Betriebsvorbereitung und Erprobung Total Lucens Entwicklungs- und Vergleichsstudien Verwaltungskosten der NGA Vorprojekte nicht Lucens betreffend , Total

77,00 7,76 84,76 21,10 1,20 2,50 109,56

Die provisorischen Aufstellungen über die Entwicklung des Aufwandes für die zu Selbstkosten zu verrechnenden Arbeiten und für die zu festen Preisen vergebenen Aufträge zeigten den verantwortlichen Organen der NGA, dass die Anlagen in Lucens nicht im Rahmen dieses Voranschlages vollendet und erprobt werden können. Sie beauftragten deshalb die Arbeitsgemeinschaft Lucens, eine neue Kostenschätzung für das Kernkraftwerk Lucens durchzuführen.

Diese wurde Ende Mai 1965 vorgelegt und ergab folgendes Bild: Schätzung 1965

Totaler Bauaufwand für das Werk Lucens Betriebsvorbereitung und Erprobung Total

(in Millionen Franken) Zusätzliche vTotal Schätzung Reserve 1963

92,0

5,0

10,5 102,5

3,0 8$

97,0

77,00

13,5 7,76 ÏÎQj84,76

Mehrkosten in °/0 gegenüber Schät-

zung 1953 26%

74% 30%

193

Im Zeitpunkt der neuen Kostenschätzung war ein erheblicher Teil der für das Werk Lucens notwendigen Leistungen noch nicht abgerechnet. Deshalb empfahl die Arbeitsgemeinschaft Lucens, eine zusätzliche Reserve von 8 Millionen Franken für unerwartete Mehrkosten in den neuen Voranschlag aufzunehmen.

Der ausserordentliche Anstieg beim Posten für Betriebsvorbereitung und Erprobung erklärt sich daraus, dass im Jahre 1963 die Kenntnisse fehlten, um diese Aufwendungen genau beurteilen zu können. In der Zwischenzeit wurde eine Betriebsequipe mit einem Minimalbestand an Fachleuten aufgestellt und im In- und Ausland ausgebildet. Diese bearbeitet nun detaillierte Programme für die Erprobung des Reaktors, so dass heute wesentlich bessere Informationen für eine Kostenschätzung zur Verfügung stehen. Allerdings muss erfahrungsgemäss bei der Inbetriebnahme eines Versuchs-Kernkraftwerkes damit gerechnet werden, dass einige Korrekturen an den Einrichtungen vorgenommen werden müssen. Beim Werk Lucens gelten diese wegen des Selbstkostenprinzips zum grössten Teil nicht als Garantieleistungen, sondern sie werden nach Aufwand verrechnet. Deshalb erscheint es angezeigt, beim Posten Betriebsvorbereitung und Erprobung verhältnismässig grosse Reserven einzusetzen.

Die leitenden Organe der NGA sind laut Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der NGA vom 2I.Juli 1961 dem Bunde gegenüber für den zweckmässigen Einsatz der ihr zur Verfügung gestellten Bundesgelder verantwortlich. Sie, sowie die zuständigen Stellen der eidgenössischen Verwaltung, haben sich natürlich gefragt, ob die zum Teil erheblichen Mehrforderungen der am Bau des Werkes Lucens beteiligten Unternehmungen gerechtfertigt werden können, und ob die neuen Zahlen zuverlässig sind. In gegenseitigem Einvernehmen beauftragte die NGA deshalb eine Gruppe von sechs erfahrenen, unabhängigen Experten des Bundes und der Elektrizitätswirtschaft, die einzelnen Teile der Schätzung 1965 in dieser Hinsicht zu überprüfen. Insbesondere hatten diese Fachleute festzustellen, ob die zu Selbstkosten verrechneten Arbeiten zweckmässig und rationell durchgeführt wurden. Über das Resultat der Gutachten hat die NGA dem Bunde folgendes berichtet (Brief vom 17. November 1965): «Die Experten betrachten die allgemeine Disposition der Werkanlagen (Kavernenbauart) und deren
Standort als vom Bauherrn genehmigte und somit gegebene Daten, die ausserhalb ihrer kritischen Betrachtung liegen.

Die auf dieser Grundlage aufgebaute Detailbearbeitung des Werkes ist nach Ansicht der Experten mit geringen Ausnahmen zweckmässig durchgeführt worden. Die getroffenen Lösungen der nuklearen Sicherheitsfragen entsprechen den Anforderungen der eidgenössischen Sicherheitsbehörden.

Die erheblichen Mehrkosten der Schätzung 1965 im Vergleich zu den entsprechenden Kostenbeträgen des Allgemeinen Projektes 1962 führen die Gutachter auf den Umstand zurück, dass letzteres offenbar eine Reihe von Problemen nicht erfassen konnte, da sie sich erst im weiteren Verlauf der Projektbearbeitung offenbarten. Leider wirkten sich diese neuen Erkenntnisse auch noch nicht im vollen Umfange in der Kostenschätzung vom Novem-

194

ber 1963 aus. Die Gutachter anerkennen den Anteil der Mehrkosten im Ausmass von 9,5 Millionen Franken, der der Teuerung zur Last fällt.

Auch in den übrigen wesentlichen Punkten wird der Kommentar der Arbeitsgemeinschaft Lucens zur Baukostenschätzung durch die Ausführung der Experten nicht beanstandet.» Da die Expertisen keine konkreten Anhaltspunkte für Fahrlässigkeit bei der Ausführung der Arbeiten oder für Überforderungen seitens der Projektierungs- und Lieferfirmen ergaben, nahm der Verwaltungsrat der NGA am 12. Oktober 1965 von der Kostenschätzung 1965 der AGL Kenntnis. Er beschloss, sie dem neuen Kostenvoranschlag der NGA unter Einbezug der zusätzlichen Reserven von 8 Millionen Franken gemäss Empfehlung der AGL zugrundezulegen.

2.2 Die Finanzierung der Mehrkosten für das Werk Lucens Für die Mehrkosten von insgesamt 25,74 Millionen Franken (110,5-84,76 Millionen Franken) muss sehr rasch eine Finanzierung gefunden werden, da die heute verfügbaren Mittel nur noch für kurze Zeit ausreichen, um die notwendigen Verpflichtungen einzugehen.

Die ersten Sondierungen bei den Gründeraktionären der NGA (ENUSA, Suisatom und Therm-Atom) haben ergeben, dass diese (insbesondere die Elektrizitätswirtschaft) eine Reduktion des neu zu finanzierenden Betrages anstreben. Deshalb wünschen sie mindestens einen Teil der Mittel, die für Entwicklungsstudien reserviert waren, zur Deckung des neuen Budgets für das Werk Lucens zu verwenden. Damit wird allerdings die Fortsetzung der schweizerischen Reaktorentwicklung gefährdet, da bei Einstellung der Studien die in der Industrie im Laufe der letzten Jahre gebildeten, mit der Reaktortechnik vertrauten Teams arbeitslos würden. Angesichts des grossen Bedarfes an Fachleuten im In- und Ausland würden diese Kräfte wahrscheinlich sehr rasch andernorts ein befriedigendes Tätigkeitsfeld finden. Damit würden die am Werk Lucens beteiligten Unternehmungen innert kurzer Zeit die Voraussetzungen für die Durchführung von Arbeiten in der Reaktortechnik verlieren.

Wegen diesen Befürchtungen haben die Vertreter des Bundes gegen eine sofortige Unterbrechung der Entwicklungsstudien opponiert. Daraufhin beschloss der Verwaltungsrat der NGA, das Budget für Arbeiten unter diesem Titel auf 9,2 Millionen Franken zu reduzieren und vorläufig bis 31. März 1966 im Rahmen dieser Summe Verpflichtungen
einzugehen. Entsprechend ersuchte er den Bundesrat, seine Zustimmung zur Übertragung der aus dem Kredit für Entwicklungsstudien (21,1 Mio Fr.) verbleibenden Mittel auf die Finanzierung des Werkes Lucens zu erteilen. Die Gründeraktionäre haben sich bereits mit einer solchen Umlegung der von ihnen zugesicherten Beiträge einverstanden erklärt.

Der Bundesrat kann im Hinblick auf die Notwendigkeit zur Fortsetzung der schweizerischen Anstrengungen im Reaktorbau der vorgeschlagenen Transaktion nicht zustimmen. Er möchte Mittel für die Finanzierung von Entwicklungsstudien nach dem erwähnten 3I.März 1966 sicherstellen. Deshalb hat er sich dafür entschieden, nur die Übertragung der von den Gründeraktionären für Entwicklungsstudien zugesicherten Beiträge (soweit sie noch nicht für diesen

195

Zweck aufgebracht wurden) auf das Werk Lucens gutzuheissen. Seitens der Therm-Atom wurde bereits dem Bunde durch Vermittlung der NGA mit Brief vom 19. Januar 1966 mitgeteilt, dass die am EK-Programm beteiligten Firmen entschlossen sind, dieses über den I.April 1966 hinaus weiterzuführen. Die betreffenden Unternehmungen wollen für die ihnen daraus erwachsenden Kosten vorläufig selbst aufkommen. Sie erwarten jedoch, dass der Bund ihnen nachträglich im Rahmen der Finanzierung der nächsten Phase der schweizerischen Reaktorentwicklung einen angemessenen Teil ihrer Aufwendungen zurückerstattet, mindestens aber, wie bisher bei der NGA, die Hälfte übernimmt.

Die Verwendung von Mitteln, die ursprünglich für Entwicklungsstudien bestimmt waren, für das Werk Lucens führt zu folgendem neuen Finanzbedarf der NGA (in Millionen Franken) : Baukosten und Erprobung Werk Lucens (Kostenschätzung 1965) ..

110,500 Verwaltungskosten NGA, Vorleistungen an Gründeraktionäre . . . .

3,700 Entwicklungsstudien 9,200 Total 123,400 Bisherige Zusicherungen der Wirtschaft für Lucens und Entwicklungsstudien 54,459 Entsprechende Leistungen des Bundes 54,459 108,918 Ungedeckte Differenz 14,482 Sofern der Bund einer Erhöhung des Budgets der NGA vorbehaltlos zustimmt, hat der Bund laut Vertrag mit der NGA wiederum die Hälfte der Aufwendungen nach dem Schlüssel 50 Prozent à fonds perdu, 50 Prozent Darlehen zu übernehmen. Der Bundesrat hat keine Veranlassung, den neuen Kostenvoranschlag der NGA nicht zu genehmigen oder dessen Gutheissung an die Bedingung zu knüpfen, dass der Bund nicht mehr wie bisher mithelfe, die finanziellen Folgen zu tragen. Deshalb kann man die Mittel, die zusätzlich von der Wirtschaft aufzubringen sind, mit 7,241 Millionen Franken beziffern, davon 4 Millionen Franken für zusätzliche Reserven. Die Therm-Atom AG, deren Mitglieder in grösserem Umfang Lieferungen für das Werk Lucens erhielten, hat bereits erklärt, dass sie eine Sonderleistung von 1,5 Millionen Franken beisteuern werde. Auch von anderer Seite liegen Zusicherungen vor, so dass die Leitung der NGA glaubt, mit den Beiträgen der Wirtschaft die notwendige Summe von 3,241 Millionen Franken ohne zusätzliche Reserven aufzubringen.

Die westschweizerischen Kantone haben als Mitglieder der ENUSA verhältnismässig ansehnliche Mittel für die NGA zur Verfügung
gestellt, währenddem die deutschschweizerischen Stände bis jetzt nichts direkt beigetragen haben.

Dehalb hofft man, dass wenigstens die grossen Industriekantone der Ostschweiz mithelfen werden, die Mehrkosten des Werkes Lucens zu finanzieren. Ein Gesuch um einen Beitrag von 3 Millionen Franken hat die NGA dem Regierungsrat des Kantons Zürich bereits gestellt.

Auf Seiten des Bundes stehen aus den bisher vom Parlament genehmigten Krediten insgesamt 62 Millionen Franken zur Deckung der Bedürfnisse der NGA zur Verfügung (Rahmenkredit von 50 Millionen Franken gemäss Bundes-

196

beschluss vom 15. März 1960 und Zusatzkredit von 12 Millionen Franken gemäss Bundesbeschluss vom 4. März 1965). Entsprechend unseren Ankündigungen in den parlamentarischen Beratungen über den Zusatzkredit von 12 Millionen Franken wurden von diesen Mitteln 5,7 Millionen Franken der NGA als sofort verzinsliches Darlehen zur Beschaffung von schwerem Wasser gewährt. Im Falle der Veräusserung dieser Flüssigkeit muss dieses der Eidgenossenschaft voll zurückgezahlt werden. Die heutigen Zusicherungen des Bundes zur Mitfinanzierung der NGA beruhen auf dem Voranschlag 1963, der als letzter vom Bundesrat genehmigt wurde. Damit ergibt sich das folgende, Bild der Finanzbedürfnisse der Eidgenossenschaft, um der NGA zu ermöglichen, die angefangenen Arbeiten zu beendigen (in Millionen Franken) : Darlehen schweres Wasser 5,700 Beitrag Lucens 43,909 Beitrag Entwicklungsstudien 10,550 Total ' 60,159 Hälfte des Nachflnanzierungsbedarfes der NGA 7,241 Total 67,400 Verfügbarer Kredit 62,000 Zusätzlicher Kreditbedarf des Bundes 5,400 Aus dieser Aufstellung ergibt sich, dass ohne einen neuen Kredit nur 1,841 Millionen Franken zur Verfügung stehen würden.

Der Bundesrat kann also den Kostenvoranschlag 1965 der NGA nicht ohne Vorbehalt genehmigen, bevor die Bundesversammlung weitere Mittel für die Finanzierung der Arbeiten der NGA zur Verfügung stellt.

Bei der Berechnung des Mittelbedarfes des Bundes muss vorsichtigerweise berücksichtigt Werden, dass das Budget der NGA immer noch auf Schätzungen beruht. Um eine genauere Übersicht über die zu erwartenden Belastungen zu gewinnen, wurde angeregt, die noch nicht ausgeführten Aufträge zu festen Preisen zu vergeben. Wegen der daraus resultierenden ungleichen Behandlung, je nachdem, ob eine Unternehmung am Anfang oder Ende der Erstellung des Werkes zum Zuge kommt, lehnten die beteiligten Firmen ab. Die Erfahrungen, die beim Bau von ausländischen Versuchs-Kernkraftwerken gemacht wurden, zeigen, dass bei solchen Anlagen, die technisches Neuland darstellen, meistens grössere Kostensteigerungen eintreten.

Wie die Leitung der NGA vertreten wir die Auffassung, dass die am Werk Lucens Beteiligten alle Anstregungen unternehmen müssen, innerhalb der Kostenschätzung 1965 zu bleiben. Es kann heute jedoch nicht ganz ausgeschlossen werden, dass im Zusammenhang mit der Vollendung des erwähnten
Vorhabens trotz aller Erwartungen noch weitere Aufwendungen zu machen sind, die nicht vollständig aus den zusätzlichen Reserven gedeckt werden können. Um für einen solchen Fall, der keine zu grossen finanziellen Ausmasse annehmen dürfte, vorbereitet zu sein, beantragen wir, dass von Bundesseite aus für die Vollendung des Werkes Lucens inklusive Erprobung 11 Millionen Franken statt 5,4 Millionen Franken bereitgestellt werden.

197

Der beantragte weitere Zusatzkredit von 11 Millionen Franken soll unter den gleichen Bedingungen, wie sie im Bundesbeschluss vom 15. März 1960 festgelegt wurden, für die Fertigstellung und Erprobung des Versuchs-Kernkraftwerkes Lucens verwendet werden. Er würde also nur im gleichen Ausmasse beansprucht, wie die Wirtschaft Beiträge an allfällige Mehrkosten erbringen würde.

3. Die Notwendigkeit der Beendigung der begonnenen Arbeiten und der Fortsetzung der bisherigen Anstrengungen Die an der NGA beteiligte Industrie und die Elektrizitätswirtschaft sind sich einig, dass das Werk Lucens fertig erstellt werden muss. Die Beendigung der begonnenen Arbeiten und ausreichende Vorkehrungen für die Zukunft erscheinen als Voraussetzung für die Fortführung der Anstrengungen zugunsten eines eigenen Reaktorbaues unerlässlich.

3.1 Das Interesse der schweizerischen Industrie an einenTeigenen Reaktorbau

Die erneuten Finanzbedürfnisse der NGA einerseits und die Bestellung eines grossen schlüsselfertigen Kernkraftwerkes amerikanischer Konstruktion von 350000 kW elektrischer Leistung durch die Nordostschweizerischen Kraftwerke bei einer schweizerisch-amerikanischen Arbeitsgemeinschaft andererseits, haben in den Wirtschaftskreisen die Diskussion über die Wichtigkeit der Reaktortechnik für die Zukunft der schweizerischen Industrie neu entfacht.

Vom energiewirtschaftlichen Standpunkt aus steht heute fest, dass die schweizerischen Elektrizitätswerke in zunehmendem Masse zum Bau von Kernkraftwerken übergehen werden müssen, um mit dem stetig ansteigenden Stromkonsum Schritt halten zu können. In vielen ändern Staaten wird mit einer ähnlichen Entwicklung gerechnet. Nach amerikanischen Schätzungen wird deshalb die in solchen mit Atomenergie betriebenen Anlagen aller Länder installierte elektrische Leistung (1964: 5 Mio kW) auf 25 Millionen kW im Jahre 1970, und dann sehr rasch auf über 150 Millionen kW im Jahre 1980 ansteigen.

In der Schweiz kann man erwarten, dass in 10 bis 20 Jahren vorwiegend Kernkraftwerke gebaut werden.

Bisher hat unsere Industrie fast vollständig die Ausrüstung für die in unserem Lande erstellten Kraftwerke geliefert und daneben noch in wesentlichem Ausmasse Einrichtungen sowohl für hydraulische als auch für konventionell thermische Werke exportiert. Auf diesem Gebiete sind etwa 100 Betriebe mit einigen zehntausend Arbeitern und Angestellten tätig. Nahezu ein Fünftel der Gesamtproduktion unserer Maschinenindustrie dürfte auf Kraftwerksausrüstungen im weitesten Suine entfallen. Dieser Industriezweig muss sich rechtzeitig auf die Reaktortechnik umstellen, falls ihm ein ausreichendes Tätigkeitsfeld erhalten bleiben soll.

Die Erfahrungen mit den Kernkraftwerken, die in der letzten Zeit auf dem europäischen Markt angeboten wurden, zeigen nach Aussagen unserer Industrie, dass «die Reaktorlieferanten, die neben dem Nuklearteü auch alle

198

konventionellen Maschinen und Einrichtungen herstellen, durch geschickte technische Auslegung und preisliche Abstimmung aller Teile, schlüsselfertige Anlagen äusserst günstig anbieten und damit Konkurrenten von der Zulieferung fernhalten können». Bei den konventionellen Kraftwerken war die Turbine und der Generator der zentrale Teil des Auftrages, um den sich die ändern Lieferungen gruppierten. Beim Kernkraftwerk rückt eindeutig der Reaktor in den Mittelpunkt. Die schweizerischen Unternehmungen dieser Branche sind sich deshalb einig, dass sie den Reaktorbau selbst betreiben müssen. Falls sie nicht einfach ins Schlepptau von ausländischen Grosskonzernen geraten wollen, müssen sie auf diesem Gebiete auf Grund der vorhandenen Kenntnisse die Entwicklung weitertreiben. So können sie allmählich mit eigenen originellen Lösungen in die Konkurrenz eingreifen.

3.2 Die Möglichkeiten der schweizerischen Industrie, aufbauend auf den bisherigen Anstrengungen, Zugang zum Reaktorbau zu finden

Die baldige Einschaltung der schweizerischen Industrie in den Reaktorbau erscheint als ein dringendes Anliegen. Deshalb muss man sich fragen, ob es auf Grund der bisherigen Anstrengungen möglich ist, in relativ kurzer Zeit industriereife Kernkraftwerke zu entwickeln.

Nach Auffassung der Fachleute haben verschiedene Reaktortypen die Aussicht, konkurrenzfähig mit den in den USA entwickelten Leichtwasserreaktoren zu werden, die wegen ihrer Wirtschaftlichkeit zunehmend in Kernkraftwerken zum Einsatz gelangen. Es handelt sich dabei um Typen, die das Uran besser ausnützen und damit unabhängiger von Schwankungen im Preise dieses Elementes sind, das auf der Erde nur in beschränkten Mengen vorkommt, oder die Thorium verwenden. Sie werden in zwei Gruppen unterteilt, die sogenannten fortgeschrittenen Konverterreaktoren und die Brutreaktoren. Die letzteren erzeugen im Gegensatz zu den ersteren mehr Spaltstoff als sie verbrauchen. Nachdem sie eine erste Brennstofïïadung erhalten und einen Gleichgewichtszustand erreicht haben, können sie sich für die Aufrechterhaltung der Energieproduktion mit der Zufuhr von nicht spaltbarem Uran 238 oder Thorium begnügen.

Die Brutreaktoren werden mit grösserem Aufwand erst seit wenigen Jahren in einigen Staaten entwickelt. Bei ihnen sind so schwierige technische Probleme zu lösen, dass es vermutlich noch einige Zeit dauern wird, bis Kernkraftwerke mit Brutreaktoren als Wärmequelle industriereif sein werden. Auch nachdem dieser Punkt erreicht worden ist, sind die Konverterreaktoren voraussichtlich noch für Jahrzehnte zur Erzeugung des Ausgangsinventars für die Brutreaktoren erforderlich. Der Elektrizitätsbedarf wird wahrscheinlich während längerer Zeit wesentlich rascher ansteigen als die Produktion von Spaltstoff in den bereits vorhandenen Brutreaktoren, so dass diese für die erste Beschickung der neuerstellten Anlagen nicht ausreichen wird.

Die Entwicklung von Reaktoren, die das Uran besser ausnützen, als die heute industriereifen Anlagen, ist deshalb nach Ansicht vieler Fachleute notwendig, wenn man in den nächsten Jahrzehnten einen wesentlichen Teil der Elektrizitätsversorgung auf Atomenergie basieren will. Deshalb unterstützen

199

auch diejenigen Regierungen, die mit erheblichen Mitteln die Brutreaktortechnik fördern, die Entwicklung von fortgeschrittenen Konverterreaktoren. Diese können zudem mit den heute erprobten Reaktortypen mit kleinerem Aufwand und rascher konkurrenzfähig werden.

In der Schweiz interessiert sich die Industrie für zwei fortgeschrittene Konverter-Reaktortypen, den schwerwassermoderierten Druckrohrreaktor und den gasgekühlten Hochtemperaturreaktor.

Der Schwerwasserreaktor steht im Zentrum der bisherigen Anstrengungen für eine eigene Reaktortechnik. Sowohl der grosse Forschungsreaktor «Diorit» des Eidgenössisches Instituts für Reaktorforschung, der als Eigenkonstruktion in Zusammenarbeit mit der einheimischen Industrie erstellt wurde als auch das Versuchs-Kernkraftwerk Lucens verwenden schweres Wasser als Moderator.

Die schweizerischen Fachleute besitzen deshalb schon wertvolle Kenntnisse auf diesem Gebiete. Mit dem Werk Lucens wird eine vielseitige Anlage für die Erprobung von Brennstoffelementen, die für die Wirtschaftlichkeit eines Reaktors von ausschlaggebender Bedeutung sind, zur Verfügung stehen. Die verschiedenen Varianten des Schwerwasserreaktors, die in Kanada, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Schweden und den USA u. a. entwickelt werden, zeigen, dass es sich dabei um eine vielseitige Konzeption handelt, die interessante Perspektiven für die Zukunft bietet. Erst kürzlich hat eine japanische Expertenkommission ihrer Regierung empfohlen, im Hinblick auf die kurzfristigen Bedürfnisse die Entwicklung des schwerwassermoderierten Druckrohrreaktors in Zusammenarbeit mit gleichgerichteten Bestrebungen in ändern Ländern aufzunehmen und langfristig die Brutreaktortechnik zu fördern. Wie schon früher erwähnt, bestätigen die vorläufigen Resultate der im Auftrage der NGA ausgeführten Studien zur Weiterentwicklung der schweizerischen Schwerwasserreaktor-Technik, dass ein Teil der untersuchten Varianten interessante Möglichkeiten für den schweizerischen Kernkraftwerkbau eröffnen.

Dank der schweizerischen Beteiligung am Gemeinschaftsunternehmen «Dragon» der OECD hat unsere Technik auch einen guten Zugang zur Entwicklung des gasgekühlten Hochtemperaturreaktors. Im Rahmen dieser Institution wurde ein Versuchsreaktor in Grossbritannien gebaut und ein umfangreiches Forschungsprogramm, an dem sich auch
das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung beteiligte, durchgeführt. Schweizerische Firmen konnten verschiedene wichtige Anlageteile liefern, die ihnen wertvolle Erfahrungen mit dieser Technik vermittelten. Daneben waren und sind eine ganze Anzahl schweizerischer Fachleute aus der Industrie und des EIR zur Mitarbeit in dieses Unternehmen delegiert.

Der «Dragon»-Reaktor wurde 1964 kritisch und steht nun für die Erprobung von Brennstoffelementen zur Verfügung. Allerdings müsste er während einiger Jahre im Betrieb gehalten werden, um schlüssige Resultate über das Verhalten solcher Elemente zu erhalten, die im Interesse der Wirtschaftlichkeit sehr lange im Reaktor bleiben müssen. Erste Studien für Grosskraftwerke mit diesem Reaktortyp, die im Rahmen des Forschungsprogramms ausgeführt wurden, zeigen, dass auch dieser Konverterreaktor eine vielversprechende Zu-

200 kunft hat. Die beträchtliche Hilfe, welche vor allem die amerikanische und auch die deutsche Regierung den Unternehmungen zukommen lassen, die den Hochtemperaturreaktor entwickeln, bestätigt indirekt diese Beurteilung.

Sowohl die in der Schweiz gepflegte Schwerwasserreaktor-Entwicklung als auch die im «Dragon»-Unternehmen betriebene HochtemperaturreaktorEntwicklung befinden sich an einem Punkt, an dem parallel zu weiteren Studien und Experimenten mit der Projektierung eines grösseren Prototyp-Kernkraftwerkes bald begonnen werden sollte. Bei beiden Typen muss noch der Nachweis erbracht werden, dass sich die vorläufig nur theoretisch und im Kleinexperiment untersuchten Konstruktionen und Materialien auch im Dauerbetrieb eines Grosskraftwerkes bewähren. Gegenwärtig fehlen ausreichende Unterlagen, um rein vom technischen Standpunkt aus entscheiden zu können, welcher der beiden Typen aus der schweizerischen Perspektive der interessantere ist.

4. Die nächsten Schritte in der schweizerischen Reaktortechnik 4. l Allgemeine Überlegungen und Überbrückungsmassnahmen Angesichts des bestehenden grossen Interesses für zwei verschiedene heute aussichtsreiche Reaktortypen der Gruppe der fortgeschrittenen Konverterreaktoren wird man in Erwägung ziehen müssen, die Entwicklung in beiden Richtungen weiter zu verfolgen. Solange man sich mit Studien und Forschungen sowie Projektarbeiten begnügt, würde daraus keine unverantwortbare personelle und finanzielle Belastung der Beteiligten erwachsen, besonders wenn dabei, wie beabsichtigt, eng und intensiv mit gleich interessierten ausländischen Stellen zusammengearbeitet wird. Nach Auffassung der Maschinenindustrie sollte auch in dieser Phase der Bund analog zur staatlichen Förderung der Reaktorentwicklung in allen modernen Industrieländern derartigen Anstrengungen eine wesentliche Unterstützung gewähren. Das vorläufige Studium von zwei Reaktortypen kann mit einer Verbesserung der Erfolgsaussichten gerechtfertigt werden, da auf diese Weise auf Grund wesentlich besserer Unterlagen als heute der aussichtsreichere der beiden für die Weiterverfolgung bis zur industriereifen Anlage ausgewählt werden kann. Eine Prototypausführung kommt u. a. wegen der zusätzlichen Aufwendungen für erstmals konstruierte und hergestellte Komponenten teurer zu stehen, als ein schon in mehreren
Exemplaren gebautes Werk.

Sodann muss bei den noch unerprobten Konstruktionen anfänglich mit häufigeren Betriebsstörungen gerechnet werden, die zu Einnahmeausfällen führen.

Angesichts der beschränkt vorhandenen Mittel kann der Bund nicht mehr als für einen Prototyp Hilfen gewähren, falls solche wegen der genannten Schwierigkeiten benötigt würden. Wir erachten es deshalb und aus wirtschaftspolitischen Gründen als notwendig, dass sich die am Reaktorbau interessierten Unternehmungen zusammenschliessen und gemeinsam ein Projekt für ein PrototypKernkraftwerk vorlegen.

In der Vergangenheit wurde in der Öffentlichkeit verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Reaktorentwicklung für die Industrie eines kleinen Landes wegen des ausserordenth'ch grossen finanziellen Aufwandes, und auch wegen der

201

beträchtlichen Bedürfnisse an spezialisierten Fachleuten, besondere Schwierigkeiten verursacht. Zu deren Bewältigung wurde eine enge Zusammenarbeit mit gleich interessierten ausländischen Organisationen als unerlässlich betrachtet.

Die verantwortlichen Behörden und die in der NGA vertretenen Kreise haben deshalb dem Ausbau der Beziehungen zur Reaktorentwicklung in anderen Staaten spezielle Aufmerksamkeit geschenkt. Um nicht einfach in ein Abhängigkeitsverhältnis zu gelangen, ist es notwendig, dass man schweizerischerseits über genügend eigene Kräfte verfügt, um als starker Partner aufzutreten.

Dafür müssen schon heute die nötigen Vorbereitungen getroffen werden.

Da der Reaktorbau auf kommerzieller Basis Sache der Industrie sein wird und das Ziel aller Entwicklungsarbeiten die Herstellung marktreifer Reaktoren ist, müssen die beteiligten Unternehmungen die Auswahl des Reaktortyps treffen.

Es sind die Vereinbarungen auszuarbeiten, welche die in den nächsten Jahren erforderliche Entscheidung zugunsten des einen oder ändern Types auf objektiver Grundlage zu fällen gestatten.

In Berücksichtigung dieser Auffassung bemüht sich die Industrie gegenwärtig, einen entsprechenden Vorschlag zu formulieren. Es gilt dabei, recht verschieden gelagerte Interessen zusammenzubringen. Danach muss in einem nächsten Schritt die notwendige Zusammenarbeit mit ausländischen Gruppen, die gleiche Reaktortypen entwickeln, hergestellt werden. Deshalb hat man damit zu rechnen, dass noch eine gewisse Zeit vergehen wird, bis ein durchdachtes, langfristiges Programm für die Fortsetzung der schweizerischen Reaktorentwicklung vorgelegt werden kann.

Die Arbeiten an Vorprojekten für drei Varianten des schwerwassermoderierten Druckrohrreaktors sollten, soweit sie bis zum 3I.März dieses Jahres nicht zu einem gewissen Abschluss gekommen sind, fortgesetzt werden. Die im Verlaufe der letzten Jahre gesammelten Informationen müssen in eine verwertbare Form gebracht werden, die insbesondere mithelfen kann, die zukünftige Marschrichtung zu bestimmen. Dafür sollten sowohl im Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung als auch in der Industrie die Studien und Experimente, die nach einem von der NGA beschlossenen Dreijahresprogramm bis Ende 1966 hätten dauern sollen, weitergeführt werden. Vor allem sollte die vielversprechende Kühlung
von schwerwassermoderierten Reaktoren mit gewöhnlichem Wasser noch näher untersucht werden, da diese Arbeiten wegen des schon erwähnten Personalmangels gegenüber den Studien über die gasgekühlten Varianten bisher etwas zurückgestellt worden waren. Das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung hat im Rahmen der NGA mit Zustimmung der Industrie die Verantwortung für das entsprechende Vorprojekt übernommen. Da seine Aufwendungen für diese Zwecke im ordentüchen Budget 1966 enthalten sind, bestehen in dem Falle keine Finanzierungsschwierigkeiten. Auch die Industrie muss bei diesen Studien mitarbeiten, da sie speziell auf dem Gebiete der konstruktiven Probleme das notwendige erfahrene Personal besitzt.

Sodann verfügen ausländische Atomenergie-Organisationen schon über manche Kenntnisse hinsichtlich des Verhaltens von Materialien und Konstruktionen in einem leichtwassergekühlten schwerwassermoderierten Reaktor, d. h.

202

über Informationen, die für die Ausarbeitung eines Vorprojektes unerlässlich sind. Solche bereits vorhandenen Kenntnisse sollten auf Grund der bestehenden Zusammenarbeitsverträge beschafft werden, um zu vermeiden, dass das Eidgenössische Institut für Reaktorforschung sie nochmals selbst erarbeiten muss.

Wegen ihres kommerziellen Wertes kann man derartige Informationen heute nur noch auf Grund besonderer Abmachungen gegen gewisse Zahlungen erwerben. Diese sind wesentlich niedriger als die Kosten für entsprechende eigene Untersuchungen.

Um die notwendigsten Arbeiten durchzuführen und Zeit für die Ausarbeitung eines sorgfältigen und wohlausgewogenen Programmes für die zukünftige Reaktorentwicklung zu gewinnen, benötigen wir schätzungsweise 8 Millionen Franken. Diese sollen für die Unterstützung von Studien der Industrie und zur Finanzierung der Beschaffung von Informationen im Rahmen der bestehenden bilateralen Abkommen verwendet werden. Die Beiträge an schweizerische Unternehmungen für ihre Forschungen und Entwicklungen können nur einen Teil der Kosten decken. In Anlehnung an die Bestimmungen des Vertrages zwischen NGA und Bund werden wir eine angemessene finanzielle Beteiligung verlangen und uns Rechte hinsichtlich der Benützung der daraus resultierenden Erkenntnisse vorbehalten.

4.2 Das weitere Vorgehen

Wir beabsichtigen, Ihnen so rasch als möglich ein längerfristiges Programm für die Förderung der schweizerischen Reaktortechnik vorzulegen. Dieses wird über den Umfang der Arbeiten, die zur Erreichung der Industriereife notwendig sind sowie den Zeit- und Finanzierungsplan Aufschluss geben.

Ohne einen detaillierten Plan für das weitere Vorgehen, der die einzelnen Vorhaben klar umschreibt, können keine einigermassen zuverlässigen Abschätzungen über die in den kommenden Jahren notwendigen Gesamtaufwendungen angestellt werden. Zur Bezifferung der daraus für den Bund resultierenden Belastungen muss auch bekannt sein, in welchem Ausmasse sich die interessierten Unternehmungen beteiligen werden und in welchem Umfange die beabsichtigte enge Zusammenarbeit mit dem Ausland die Beanspruchung schweizerischer Mittel vermindern wird.

Der Bundesrat erwartet, dass die Industrie einen wesentlichen Teil der Kosten für die Fortsetzung der schweizerischen Reaktorentwicklung übernehmen wird. Die Bekundung des Interesses an einem eigenen Reaktorbau durch finanzielle Leistungen bietet dafür Gewähr, dass die verfügbaren Mittel rationell und sparsam eingesetzt werden. Unerlässlich erscheint uns auch eine enge Verbindung zwischen den Entwicklungen in unserem Lande und Anstrengungen mit gleicher Zielsetzung in ändern Staaten. Die schweizerische Reaktortechnik muss sich die schon vorhandenen ausländischen Kenntnisse entweder im Austausch gegen eigene Resultate oder, wenn erforderlich, auch durch Bezahlung zugänglich machen. Eine sinnvolle Arbeitsteilung mit ausländischen Partnern wird mithelfen, rasch vorwärts zu kommen und die öffentliche Hand möglichst wenig zu beanspruchen. Die Vielfalt der neuen Aufgaben, die der

203

Eidgenossenschaft gestellt werden, hat ihre Finanzlage so verschlechtert, dass wir auch hier auf das Problem der Deckung neuer Aufwendungen hinweisen müssen, wenn auf diesem Gebiete wie in ändern Fällen eine Bundesunterstützung in grösserem Umfange beschlossen werden sollte. Da für den Moment nur eine beschränkte Überbrückungsmassnahme zur Diskussion steht, kann dieses Problem, das auch im Gesamtzusammenhang der langfristigen Finanzplanung berücksichtigt werden muss, noch zurückgestellt werden.

Nach Abschluss der Arbeiten im Rahmen der NGA dieses Jahr, muss eine Entwicklungs- und Projektierungsphase angeschlossen werden. Während dieser wird die Industrie zusammen mit dem Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung und unter Benützung der vorhandenen Forschungsanlagen, des Versuchs-Kernkraftwerkes Lucens, sowie in Zusammenarbeit mit ausländischen Stellen (z.B. DRAGON-Projekt, Atomic Energy of Canada Ltd.) die Unterlagen für ein Prototyp-Kernkraftwerk schaffen. Eine Gruppe schweizerischer Elektrizitätsgesellschaften hat bereits ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Bestellung dieses Werkes bei der Industrie unseres Landes erklärt.

Paralellel zum Bau dieser Prototypanlage hätte die Entwicklung des dafür ausgewählten Reaktortypes zur Industriereife weiterzugehen. In Anlehnung an ausländische Beispiele müsste mindestens bis zur Bestellung der ersten Kernkraftwerke auf kommerzieller Basis eine allmählich abnehmende Bundeshilfe in Erwägung gezogen werden.

Für die Finanzierung der Entwicklungs- und Projektierungsarbeiten sowie für die Bereitstellung der notwendigen Unterstützung für das Prototyp-Kernkraftwerk werden gesonderte Vorlagen ausgearbeitet werden. Vor der Übernahme neuer grösserer Verpflichtungen durch den Bund erhalten so die Räte Rechenschaft über den Erfolg der bisherigen Anstrengungen und über ihre Aussichten für die Zukunft und können im Lichte dieser Informationen über das weitere Vorgehen entscheiden.

5. Schlussfolgerungen Ohne Zweifel erfordert die Bundesunterstützung der schweizerischen Reaktortechnik bis zu dem Punkte, an dem die Industrie im Reaktorbau konkurrenzfähig wird, beträchtliche Mittel. Falls man sich nach den ersten Untersuchungen auf einen einzigen Reaktortyp beschränkt, wird, nach Analysen ausländischer Anstrengungen auf diesem Gebiete zu urteilen, der entsprechende
finanzielle Einsatz, bezogen auf unsere Verhältnisse, im Rahmen dessen bleiben, was die meisten modernen Nationen für derartige Entwicklungen ausgeben.

Der Zugang zum Reaktorbau ist für die schweizerische Industrie von solcher Wichtigkeit, dass sich im Sinne einer vorausschauenden Erhaltung der Exportfähigkeit und des Ansehens unserer Wirtschaft eine Fortsetzung der Bundeshilfe rechtfertigt. Die im Rahmen dieser Botschaft beantragten Kredite sind für eine sinnvolle Fortführung und Beendigung der im Rahmen der NGA begonnenen Arbeiten und die Erhaltung der Arbeitsplätze der in den letzten Jahren in der Industrie herangezogenen Reaktorfachleute unerlässlich.

204

Die verfassungmässige Grundlage für den Beschlussesentwurf bildet wie bisher Artikel 24 languies der Bundesverfassung.

Wir beehren uns, Ihnen Annahme der Vorlage zu empfehlen.

Wir versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den S.Februar 1966.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, i

Der Bundespräsident: Schaffner Der Bundeskanzler: Ch.Oser

205

(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend weitere Massnahmen zur Förderung der schweizerischen Reaktortechnik Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft gestützt auf Artikel 24 aumquies der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 8. Februar 1966, beschliesst:

Art. l Der Bundesrat wird ermächtigt, im Rahmen der Bestimmungen des Bundesbeschlusses vom 15. März 1960 betreffend die Förderung des Baues und Experimentalbetriebes von Versuchs-Leistungsreaktoren weitere Beiträge bis zu insgesamt 11 Millionen Franken für die Fertigstellung und Erprobung des VersuchsKernkraftwerkes Lucens auszurichten.

Art. 2 Zur Fortführung der Entwicklungsarbeiten im Anschluss an die Studien der Nationalen Gesellschaft zur Förderung der industriellen Atomtechnik und an die Untersuchungen in internationalen Gemeinschaftsprojekten mit schweizerischer Beteiligung wird der Bundesrat ermächtigt, bis zu insgesamt 8 Millionen Franken für folgende Zwecke aufzuwenden : a. Bundesbeiträge an Entwicklungs- und Projektierungsarbeiten schweizerischer Unternehmungen auf dem Gebiete der Reaktortechnik.

b. Übernahme der Kosten aus Verträgen über den Erfahrungsaustausch mit ausländischen Reaktorentwicklungs-Organisationen im Rahmen der bestehenden Zusammenarbeitsverträge.

Art. 3 Der jährliche Kreditbedarf ist in den Voranschlag oder seine Nachträge einzustellen.

Art. 4 1 Dieser Beschluss ist nicht allgemein verbindlich und tritt sofort in Kraft.

2 Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

8183

Bundesblatt. HS.Jahrg. Bd.I.

16

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend weitere Massnahmen zur Förderung der schweizerischen Reaktortechnik (Vom 8. Februar 1966)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1966

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

08

Cahier Numero Geschäftsnummer

9371

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

24.02.1966

Date Data Seite

189-205

Page Pagina Ref. No

10 043 182

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.