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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde von B. Isler und T. Spiess gegen den Beschluss des Bundesrates vom 9. September 1907, betreffend Verweigerung einer "Wirtschaftsbewilligung durch die Regierung des Kantons Aargau.

(Vom 13. März 1908.)

Tit.

I.

Mit Beschluss vom 9. September 1907 .haben wir die VOM B. Isler in Wohlen und T. Spiess in Luzern erhobene Beschwerde wegen Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung in Wohlen (für die Wirtschaft zur Bünzbrücke) durch die Regierung des Kantons Aargau abgewiesen, weil die Patentverweigerung, die mit dem Mangel eines Bedürfnisses begründet worden war, weder als ein Akt der Willkür noch als eine Verletzung der Rechtsgleichheit betrachtet werden konnte ; T. Spiess, der sich nicht um das Patent beworben, sondern der als Eigentümer des Hauses zur Bünzbrücke den Rekurs unterzeichnet hatte, haben wir als zur Beschwerde nicht legitimiert erklärt.

Gegen diesen Beschluss baben sowohl Isler wie Spiess in einer gemeinsamen Rekursschrift die Weiterziehung an die Bundesversammlung erklärt und das Rechtsbegehren gestellt, es seien der Bundesratsbeschluss und mit ihm die vor dem. Bundesrat ange-

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Die Unterzeichner des Rekurses erklären ihre sämtlichen Vorbringen vor den aargauischen Behörden sowohl wie vor dem Bundesrat als integrierenden Bestandteil ihrer Besehwerde an die Bundesversammlung und verlangen die Edition ihrer sämtlichen Eingaben in der Sache an Kantons- und Gemeindebehörden.

Neu fügen sie hinzu, es sei ihnen seit dem Bundesratsbeschluss bekannt geworden, dass der Gemeinderat von Wohlen und die aargauische Finanzdirektion kürzlich die Übertragung der Wirtschaft "zum Schneggen" in Wohlen bewilligt hätten, obwohl diese Wirtschaft den Anforderungen des aargauischen Wirtschaftsgesetzes noch weniger genüge, als die Wirtschaft zur Bünzbrücke; .ferner habe die. aargauische Finanzdirektion neulich die Übertragung "einer Arbeiterwirtschaft (für Brown, Bover & Co.) in Baden, und.in Aarau die Übertragung der Wirtschaften zum Eisenbahnwagen und zum Bäckerstübl bewilligt, obwohl für die beiden Aarauer Wirtschaften kein Bedürfnis vorhanden sei und ihre Räumlichkeiten dem Wirtschaftsgesets geradezu Hohn sprächen.

Alle diese Fälle beweisen, so führen die Rekurrenten aus, dass die Abweisung der Rekurrenten den Grundsatz der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetze verletze und die Beschwerdeführer in der Gewerbeausübung schlechter stelle, als ihre Konkurrenten.

Der Bundesrat selbst habe vor seiner Beschlussfassung, allerdings erfolglos, die aargauische Regierung angefragt, ob sie nicht die Übertragung des Wirtschaftspatentes für die Bünzbrücke bewilligen könne! ' .

Wir haben die Beschwerde der Regierung des Kautons Aargau, zur Vernehmlassung übermittelt. Ihre Vernehmlassung ,sowie die zur Edition verlangten Akten sind uns am 19. Dezember 1907, 20.. Januar und H. und 10. Februar 1908 zugekommen;, sie sind alle den Rekursakten beigelegt.

II.

Gegenüber der summarischen Berufung der Rekurrenten auf ihre* früheren Vorbringen können wir uns darauf beschränken, auf die Erwägungen unseres Beschlusses vom 9. September zu verweisen, wo wir die Behauptungen der Rekurrenten im einzelnen geprüft haben. Wir haben diesen Erwägungen nichts

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beizufügen uad halten sie in allen Teilen aufrecht, insbesondere auch hinsichtlich der Frage der Legitimation von T. Spiess, Zu den Tatsachen, von denen die Rekurrentin Isler behauptet, dass sie ihr zur Zeit der Beschwerdeführung vor dem Bundesrat noch nicht bekannt gewesen seien, und die den von ihr erho'benen Vorwurf rechtsungleicher Behandlung begründen sollen, .ist folgendes zu bemerken.

Was vorerst das von Witwe Weber gestellte Gesuch um Fortführung der Wirtschaft zum Schneggen in Wohlen betrifft, ·so hat die aargauische Regierung erklärt, dass es noch gar nicht ·definitiv erledigt sei ; die aargauische Finanzdirektion habe in ·vorsorglicher Weise gemäss § 9 des Wirtschaftsgesetzes der Witwe Weber erst die Bewilligung dafür erteilt, ,,die von ihrem verstorbenen Ehemann betriebene Speisewirtschaft unter den bisherigen Bedingungen bis zur. Erledigung der Erbschaftsangelegen·heit provisorisch fortzuführen.tt Es ist klar, dass, solange die Behörden nicht in der Sache selbst entschieden haben, von einer rechtsungleichen Behandlung der Rekurrentin · nicht die Rede sein kann.

Was die übrigen von der Rekurrentin genannten Fälle betrifft, in denen die aargauischen Behörden die Fortführung von Wirtschaften (nicht die Übertragung, wie die Rekurrentin unrichtigerweise sagt) bewilligt hat, die Wirtschaften zum Eisenbahnwagen und zum Bäckerstiibli und die Arbeiterwirtschaft der Firma Brown, Boveri & Oie., so ist keine dieser Wirtschaften in Wohlen gelegen, die beiden ersteren sind in Aarau, die letztere ist in Baden. Da wir nun im Beschluss vom 9. September 1907 die Beschwerde der Rekurrentin deshalb abgewiesen haben, weil mit bezug auf Wohlen die Bedürfnisfrage zu verneinen ist, so miisste die Rekurrentin, um ihren Vorwurf rechtsungleicher Behandlung zu begründen, in erster Linie beweisen, dass in Aarau und Baden genau die gleichen Verhältnisse vorliegen wie in Wohlen, und dass die Regierung in jenen Fällen die Bedürfnisfrage trotzdem anders entschieden habe, als ihr gegenüber. Das hat die Rekurrentin aber nicht behauptet, und überdies liegt es auf der Hand, dass Ortschaften wie Wohlen einerseits, und Aarau oder Baden anderseits, nicht miteinander verglichen werden können, da die Voraussetzuogen, nach denen sich die Bedürfnisfrage beurteilt, dort ganz andere sein können als hier. Ob die beiden Aarauer Wirtschaften den Vorschriften des heutigen, neuen Gesetzes über die Wirtschaftsräumlichkeiten mehr oder Bundesblatt. 60. Jahrg. Bd. I.

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weniger entsprechen, kommt, wenn einmal die Bedlirfnisfrage bejaht ist, nach der Praxis der aargauischen Behörden bei schon in Betrieb stehenden Wirtschaften nicht in Betracht.

Wenn schliesslich die Rekurrentin den Anschein zu erwecken versucht, als ob der Bundesrat bei der Regierung des Kantons Aargau Schritte getan habe, welche beweisen, dass er im Grunde die Beschwerde für begründet betrachte, so entspricht dies den Tatsachen nicht. Die Rekurrentin hatte in der Replik erklärt, sie behafte die Regierung des Kantons Aargau dafür, dass sie ein prinzipielles Rechtsbegehren auf Abweisung der Beschwerde beim Bundesrat nicht gestellt habe; zugleich erklärte sie sich bereit, alles zu tun, was hinsichtlich der Höhe der Wirtschaftsräumlichkeiten von Gesetzes wegen verlangt werden könne. Wir haben daraufhin die Regierung des Kantons Aargau bei der Übermittlung der Replik mit Schreiben vom 23. Juli 1907 aufgefordert, sich insbesondere darüber auszusprechen, ob das vonihr formulierte Rechtsbegehren (siehe Ziffer IV der tatsächlichen Feststellungen unseres Beschlusses vom 9. September 1907) in dem ihm von der Rekurrentin beigelegten Sinne zu verstehen sei, dass die Regierung zur Erneuerung der nachgesuchten Wirtschaftsbewilligung bereit sei, wenn die Wirtschaftsräumlichkeiten umgebaut würden. Dieses unser Schreiben hat mit den Insinuationen der Rekurrentin nichts gemein.

Wir beantragen Ihnen, T. Spiess als zur Beschwerde nicht legitimiert zu erklären, und die Beschwerde von B. Isler abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

B^ern, den 13. März 1908.

Im Nanien des Schweiz. Bundesratesr Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Seilage.

Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde der Bertha Isler und des Traugott Spiess wegen Verweigerung einer Wirtschaftsbewilliguug durch die Regierung des Kantons Aargau.

(Vom 9. September 1907.)

Der schweizerische

Bundesrat

hat über die Beschwerde der Bertha I s l e r und des Traugott Spiess wegen Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung durch die Regierung des Kantons Aargau, auf den Bericht seines Justiz- und Polizei départements, f o l g e n d e n B e s c h l u s s gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Fräulein Berta Isler hat im Oktober 1906 bei der Finanzdirektion des Kantons Aargau das Gesuch um Übertragung des Wirtschaftspatentes zur Führung der Wirtschaft zur Bünzbrücke in Wohlen gestellt.

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Die Finanzdirektion wies das Gesuch ab, weil das Wirtschaftslokal die gesetzliche Vorschrift, wonach die Höhe der Wirtschaftslokalitäten 3 m. betragen muss, nicht erfülle, und weil laut dem Gutachten des Gemeinderates und des Bezirksamtes von Wohlen diese Ortschaft mit 3274 Einwohnern bereits 22 Wirtschaften besitze und eine Vermehrung der Wirtschaften entschieden gegen das Interesse und die Wohlfahrt der Gemeinde wäre. Aus dem gemeinderätlichen* Gutachten gehe endlich hervor, dass die Vorgänger der Petentin in der Wirtschaft zur Bünzbrücke Unsittlichkeit geduldet und es an der nötigen Reinlichkeit hätten fehlen lassen, so dass die Gesundheitskommission mehrmals zu Rügen veranlasst worden sei ; auch sei die Wirtschaftsführung keine gute gewesen und hahe den Nachbarn zu vielen Klagen Anlass gegeben ; unter den Klägern hätten die Petentin und ihre Mutter sich befunden.

II.

Die Patentbewerberin, sowie der Eigentümer des Wirtschaftsgebäudes, Traugott Spiess, Bierbrauer in Luzern, verlangten bei der Regierung des Kantons Aargau die Aufhebung der Verfügung der Finanzdirektion und die Übertragung des Wirtschaftspatentes auf Fräulein Bertha Isler.

Mit Beschhiss vom 8. Februar 1907, welcher der Berlha Isler am 15. Februar 1907 mitgeteilt wurde, hat die Regierung den Rekurs mit der Begründung abgewiesen, dass in Wohlen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl viel zu viele Wirtschaften existieren, und dass insbesondere an der 1100 m. langen Ringstrasse um die Kirche, d. h. an der Bünzstrasse, Zentralstrasse und Unterdorfstrasse, sich zurzeit schon nicht weniger als 9 Wirtschaften befinden; Das Übertragungsgesuch sei daher, in Anwendung des § 12, Absatz 3, des aargauischen Wirtschaftsgesetzes vom 2. März 1903, abzuweisen.

§ 12 des Wirtschaftsgesetzes bestimmt : ,,Nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes dürfen neue Wirtschaftsbewilligungen einzig nach Massgabe des durch die Bevölkerung und den Verkehr der Gemeinde sich ergebenden öffentlichen Bedürfnisses erteilt werden.

,,Ein öffentliches Bedürfnis ist grundsätzlich. -- besondere örtliche Verhältnisse vorbehalten -- überall da als nicht vorhanden anzunehmen, wo , auf 250 Einwohner eine Wirtschaft bereits besteht. Für Gemeinden unter 500 Einwohnern können

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zwei Wirtschaften bewilligt werden, wo besondere Verhältnisse es rechtfertigen.

,,Wenn an einem Orte die 2,ahl der Wirtschaften derart zugenommen hat, .dass das öffentliche Wohl dadurch gefährdet erscheint,, so kann die Finanzdirektion nach Einholen des Gutachtens des betreffenden G.emeinderates und des zuständigen Bezirksamtes die. Erneuerung bereits bestehender Wirtschaftspatente verweigern (vgl. auch § 16)."

III.

Mit Eingabe vom 9. April 1907 haben Fräulein Bertha Isler und Bierbrauer Traugott Spiess die staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat ergriffen und das Begehren um Aufhebung des Regierungsratsbeschlusses vom 8. Februar 1907, sowie Erteilung des nachgesuchten Wirtschaftspatents auf Bertha Isler gestellt. Zur Begründung haben sie folgendes vorgebracht': Nach den Akten steht fest, dass die Person der Isler kein Hindernis zur Erteilung des Wirtschaftspatentes bietet ; gegenteils .hat das von der aargauischen Pinanzdirektion angeführte Gutachten des Gemeinderates von Wohlen festgestellt, dass diePatenthewerberin alle Gewähr für eine gute Wirtschaftsführung hiete. Einwendungen gegen die Patenterteilung hat die Finanzdirektion dagegen erhoben, weil das Wirtschaftslokal die gesetzlich vorgeschriebene Höhe nicht besitze. Dies ist insofern richtig, als das Lokal einige Centimeter weniger als die vorgeschriebenen 3 m. hoch ist ; immerhin ist die Vorschrift üher die Höhe der Wirtschaftslokalitäten bisher nur dann streng angewendet worden, wenn die 'Bewilligung einer neuen Wirtschaft in Frage stand ; wollte man die Vorschrift auf alle in Wohlen bestehenden Wirtschaften anwenden, so müssten bis auf zwei alle Wirtschaften geschlossen werden, weil die Lokalitäten weniger als 3 m. hoch sind.

Was den von der Regierung angegebenen Abweisungsgrund des mangelnden Bedürfnisses anbetrifft, so gestattet das aargauische Wirtschaftsgesetz die Nichterneuerung bestehender Wirtschaften nur dann, wenn die Zahl derselben geradezu eine Gefährdung des öffentlichen Wohles bedeutet. Von einer Gefährdung des öffentlichen Wohles redet nun aber im Grunde der Gemeinderat von Wohlen, auf dessen Zeugnis die Regierung so viel Gewicht legt, nicht ; zudem geht der Gemeinderat in seinen Feststellungen von der Bevölkerungsziffer aus,

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die vor 6 Jahren ermittelt worden ist, während sich Wohlen, in der Zwischenzeit bedeutend vergrössert hat. Auch ist bei einer industriereichen Ortschaft wie Wohlen damit zu rechnen, dass viele Personen hier bloss tagsüber arbeiten, ohne eine Wohnung zu besitzen und daher für ihre Verköstigimg ganz auf die Wirtschaften angewiesen sind. Die verhältnismässig grosse Zahl von Wirtschaften in Wohlen ist eine Folge der dort blühenden Industrie ; die aargauische Finanzdirektion hat dies selbst bei Anlass der Neubewilligung des ,,Gotthard" erklärt.

Die Regierung kann sich daher heute nicht auf die Vorschrift des Wirtschaftsgesetzes berufen, wonach das Verhältnis der Wirtschaften zur Bevölkerungszahl l : 250 nicht übersteigen soll.

Aber auch wenn die Bedürfnisfrage verneint werden könnte, darf die Bewilligung für die Wirtschaft zur Bünzbrücke nicht wegen des zufälligen Umstandes verweigert werden, weil sie die erste ist, für die eine neue Bewilligung seit dem Erlass des neuen Wirtschaftsgesetzes notwendig wird. Die Wirtschaft zur Bünzbrücke besitzt eine gute Installation und gehört in jeder Beziehung zu den bessern Wirtschaften in Wohlen. In ihrer Nähe befindet sich einzig noch die Wirtschaft Dubler, Bäckers ; müsste die Wirtschaft der Rekurrentin eingehen, so bekäme die Wirtschaft Dubler das Monopol für ein ganzes Quartier, denn tatsächlich sind die Wirtschaften in Wohlen nirgends dünner gesät, als gerade im Quartier der Wirtschaft zur Bünzbrücke. Daraus, dass Fräulein Isler früher als Nachbarin sich über die Wirtschaftsführung 'beklagt hat, folgt nicht, dass die Wirtschaftsführung unter ihr selbst eine schlechte sein werde.

Endlich ist darauf hinzuweisen, dass trotz des § 12 des neuen Wirtschaftsgesetzes die Regierung nicht immer so streng verfahren ist, wie es heute gegenüber den Rekurrenten geschieht. So hat die Regierung noch im Oktober 1903, unmittelbar nach dem Inkrafttreten des neuen Wirtschaftsgesetzes, die Übertragung des Patentes für die Wirtschaft zur Bünzbrücke, auf den Pächter Koch anstandslos bewilligt ; auch ist damals, was speziell hervorzuheben ist, von Seiten der Behörden keine Klage wegen schlechter Wirtschaftsführung laut geworden. In neuester Zeit ist dem Wirt Wohler zum Rössli die Bewilligung erteilt worden, seine Wirtschaft in einen Neubau zu verlegen, ohwohl Wohler sein bisheriges Wirtschaftsgebäude für besondere Anlässe, wie Bälle und Vereinsfeste, immer noch benützt; hier ist also nicht nur eine Übertragung, sondern sogar eino

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Ausdehnung des bisherigen Betriebes bewilligt worden. Endlich ist am 16. Februar 1907 die Übertragung des Patentes für die Wirtschaft zum ,,Gotthard* in Wohlen trotz des ablehnenden Gutachtens des Gemeinderates vom bisherigen Inhaber Villiger auf einen gewissen Arnold bewilligt worden, und doch könnte gegenüber der Wirtschaft zum ,,Gottharda viel eher von einer örtlichen Anhäufung von Wirtschaften gesprochen werden, als bei der Wirtschaft der Rekurrenten. In letzter Linie endlich ist auì die schwere materielle Schädigung hinzuweisen, welche dem Beschwerdeführer Spiess aus der Verweigerung der Wirtschaftserneuerung erwächst, da derselbe nicht nur seine ganze Hypothek, sondern darüber hinaus noch einige Tausend Franken verlieren und damit einen Gesamtschaden von mindestens 10,000 Franken erleiden würde.

IV.

Die Regierung des Kantons Aargau hat mit Schreiben vom 14. Mai 1907 beantragt, es sei auì die Beschwerde des Traugott Spiess wegen mangelnder Legitimation nicht einzutreten und die Beschwerde der Isler als unbegründet ^abzuweisen, beziehungsweise für so lange, als die Lokalitäten nicht den gesetzlichen Normen entsprechend umgebaut seiena. Zur Begründung führt die Regierung aus : Die Regierung hat den Gemeinderat von Wohlen zum Bericht über die Beschwerde der Isler an den Bundesrat aufgefordert ; der Gemeinderat schreibt am 1. Mai 1907 folgendes : Es sind grösstenteils halbwüchsige Burschen, die als Gäste in der Bünzbrücke verkehren. Die Beschwerdeführerin, Fräulein Isler, hat ,,schon wiederholt erklärt, dass ihr an der Wirtschaft ·gar nichts liege. Sie habe dieselbe nur gepachtet, damit sie den bisherigen Spektakel in der Wirtschaft unterdrücken könne.

Uns scheint, dass der Fräulein Isler eigentlich geholfen wäre, wenn die Wistschaft ganz einginge". Auch auf der Kanzlei der aargauischen Finanzdirektion hat die Rekurrentin erklärt, sie habe die Wirtschaft eigentlich nur gepachtet, damit sie und ihre Mutter in der Nachbarschaft Ruhe erhalten. Der Gemeinderat hat in diesem Gutachten im übrigen mit Nachdruck auf sein früheres Gutachten vom 22. Januar 1907 verwiesen, in welchem er sich über die Sauberkeit in der Wirtschaft zur Bünzbrücke folgendermassen ausgelassen hat : ,,Die Behauptungen der Beschwerdeführer, dass die Führung der Wirtschaft unter Fräulein Isler eine tadellose sei, bedarf der Richtigstellung. Es

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haben nämlich unsere Experten für'Untersuchung der Bierpressionen die Pression in der Wirtschaft zur Bünzbrücke ineinem ganz bedenklichen .Zustande angetroffen. Der bezüglicheBefund vom 14. Dezember 1906 sagt : Es fehlt an Reinlichkeit an den Syphons sowohl, als namentlich an den Lippenventilen ; es waren beide Ventile schmutzig und voll grauer Pilze ; die Bezeichnung mittelmässig ist hier noch zu gut. Es will also' fast scheinen, dass auch Fräulein Isler etwas zu wenig auf gute Ordnung halte." Schon der frühere Pächter der Wirtschaft, Namens Koch, sah sich wegen schlechten Geschäftsganges verarilasst, die Wirtschaft jungen Leuten bis spät in die Nacht offen zu halten, und es hat sich im Laufe der Jahre deutlich gezeigt;, dass die Wirtschaft zur Bünzbrücke einem exakten Wirte-kein sicheres Auskommen zu bieten vermag, sondern nur dazu dient, die Nachbarschaft zu ärgern und zu stören. Die Beschwerdeführerin anerkennt, dass die Wirtschaftslokalitäten, den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechen. Die Erfüllung, dieser Vorschriften wird bei allen Patenterneuerungen und Wirtschaftsübertragungen verlangt, dies insbesondere seit dem Inkrafttreten des neuen Wirtschaftsgesetzes vom Jahre 1903 ; dieErneuerungs- und Übertragungsgesuche geben den erwünschten Anlass, um die Zustände im Wirtschaftswesen in bezug auf die Hygiene zu prüfen und ungeeignete Wirtschaftslokalitäten und Spelunken zu beseitigen. Aus allen den genannten Tatsachen geht hervor, dass die Wirtschaft zur Bünzbrücke kein Bedürfnis ist, dass es wegen des von ihr ausgehenden Spektakels geradezu geboten ist, sie zu schliessen und dass sie gegen die öffentliche Wohlfahrt existiert.

Den nämlichen Standpunkt wie gegenüber den Rekurrenten hat die Regierung, resp. die aargauische Finanzdirektion, gegenüber dem Übertragungsgesuch für die Wirtschaft zum ,,Gotthard"" eingenommen. Dabei ist noch, wie aus dem ins Recht gelegten Auszug aus dem Entscheide der Finanzdirektion hervorgeht, zu betonen, dass das Wirtschaftslokal zum ,,Gotthard" tadellos ist, und dass gerade dort darauf hingewiesen ist, eine grössere Zahl von -Wirtschaften sei dann zulässig, wenn sie mit einem besondern, aus dem Verkehr herauswachsenden Bedürfnis in Zusammenhang gebracht werden könne. Dies letztere lag- beim ,,Gotthard" vor, während es bei der Wirtschaft Bünzbrücke, die schon
längst beanstandet war und gegen die der Gemeinderat stets protestiert hat, nicht der -Fall ist. Bei der Wirtschaft zum Rössli handelt es sich nicht um eine Patentübertragung,, denn es war der Patentinhaber selber, welcher die Neubaute-

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V.

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. Die Rekurrenten haben in der Replik erklärt, sie.behalten die Regierung dabei, dass sie ein prinzipielles Begehren auf Abweisung der Beschwerde beim Bundesrate nicht gestellt habe; zugleich haben sich die Rekurrenten bereit erklärt, alleVorkehrungen zu treffen, welche hinsichtlich der Höhe der Wirtschaftslokalitäten verlangt werden könnten.

Die Regierung des Kantons Aargau hat daraufhin in der Duplik erklärt, der Zusatz; in ihrem Rechtsbegehren : ,,beziehungsweise für so lange, als die Lokalitäten etc.", habe nicht den Sinn, dass die zur Erneuerung der nachgesuchten Wirtschaftsbewilligung unter der Voraussetzung bereit sei, dass die Wirtschaftsräume den Vorschriften entsprechend umgebaut würden ; ihr Antrag gehe vielmehr auf Abweisung des Rekurses in vollem Umfange. Mit dem Zusätze habe sie nur darauf aufmerksam machen wollen, dass, wenn der Bundesrat die Erteilung der Bewilligung verlange, unter allen Umständen die baulichen Veränderungen vorgenommen werden müssten.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Die gegen die Legitimation des Traugott Spiess zur Anfechtung des Beschlusses der aargauischen Regierung vom 8. Februar 1907 erhobene Einrede ist begründet, da Spiess kein.

Wirtschaftspatent für sich verlangt hat, daher auch durch die Verweigerung der Patenterneuerung in seinem Rechte auf freie Gewerbeausübung nicht verletzt wird.

Die Rekurrentin Bertha Isler hat gegenüber dem angefochtenen Regierungsratsbeschlusse den Vorwurf der Willkür und der Verletzung der Rechtsgleichheit erhoben, weil die gegenwärtige Zahl der Wirtschaften das öffentliche Wohl nicht gefährde, vielmehr die natürliche Folge der regen Industrie von Wohlen sei, und weil die Regierung noch in neuester Zeit die Vergrösserung der Lokalitäten einer ändern Wirtschaft, ^zum Rössli", gestattet habe, und, nur wenige Tage nach der Abwei-

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sung des Gesuches Isler, das Gesuch eines gewissen Arnold ·um Erneuerung des Patentes für die Wirtschaft ,,zum Gotthard" in Wohlen bewilligt habe.

Die beiden Einwendungen der Rekurrentin sind unbegründet.

Nach der Praxis des Bundesrates, welche stets den Satz anerkannt hat, dass, wenn für eine Wirtschaft kein Bedürfnis bestehe, sie dann auch dem öffentlichen Wohle zuwider sei, und gemäss § 12 des Wirtschaftsgesetzes, welcher die Bedürfnisfrage auch gegenüber Gesuchen um Erneuerung der Wirtschaftspatente zu stellen gestattet, hat die aargauische Regierung das Recht, die Erneuerung von Wirtschaftspatenten wegen Verletzung des öffentlichen Wohles zu verweigern, wenn für «ine Wirtschaft, deren Patent abgelaufen ist, kein Bedürfnis vorhanden ist. Die Tatsache, dass bei 'der heutigen Einwohnerzahl in Wohlen bereits l Wirtschaft auf zirka 150 Einwohner, · anstatt auf 250 Einwohner kommt, wie das Wirtschaftsgesetz vorschreibt, und dass an der Ringstrasse, die eine Länge von l,i km. besitzt, und an welcher die Wirtschaft zur Bünzhrücke liegt, allein schon 9 Wirtschaften bestehen, beweist, dass trotz der bedeutenden Industrie Wohlens, sowohl die Zahl der Wirtschaften im ganzen genommen, wie insbesondere an der Ringstrasse, das Bedürfnis weit übersteigt, und dass daher die Verweigerung der Patenterneuerung eine Forderung des öffentlichen Wohles und nicht willkürlich war.

Auch dass die Regierung trotz der von ihr anerkannten Notwendigkeit der Einschränkung der Zahl der Wirtschaften in Wohlen nicht alle Wirtschaften hat eingehen lassen, deren Erneuerung zufälligerweise seit dem Inkrafttreten des neuen Wirtschaftsgesetzes notwendig geworden, ist an sich keineswegs willkürlich ; es muss den Behörden vielmehr in jedem Falle freistehen, je nach der Wichtigkeit und Qualität der in Frage kommenden Wirtschaften, die Entscheidung über die Beibehaltung oder Unterdrückung derselben zu treffen. Im vorliegenden Falle ist zugegeben, dass die Wirtschaft zur Bünzbrücke den geltenden Bauvorschriften nicht entspricht, und aus den amtlichen, von der Regierung ins Recht gelegten Feststellungen geht hervor, dass die Einrichtung der Wirtschaft mangelhaft, und dass ihre Führung zu ständigen Klagen Anlass gegeben hat. Die Verweigerung der Erneuerungsbewilligung erscheint daher gerechtfertigt. Sie ist es auch gegenüber der Erneuerungsbewilligung, welche die Regierung, resp. die Finanz-

.599 Direktion unter Zustimmung der Regierung für die Wirtschaft .zum Gotthard erteilt hat, da bei dieser Wirtschaft, die gegenüber der Wirtschaft zur Bünzbrücke, gerügten Verhältnisse unbestrittenermassen nicht bestehen. Bei der Wirtschaft zum Rössli hatte die Regierung überhaupt keine Entscheidung über die Frage der Erneuerung oder Nichterneuerung der Wirtschaft zu fällen, da das Wirtschaftspatent gar nicht abgelaufen war, die Behörden vielmehr bloss zu prüfen hatten, ob die neuen Lokalitäten der Wirtschaft zum Rössli den Vorschriften über -die bauliche Einrichtung der Wirtschaften entsprächen.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

B e r n , den 9. September 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde von B. Isler und T. Spiess gegen den Beschluss des Bundesrates vom 9. September 1907, betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung durch die Regierung des Kantons Aargau. (V...

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18.03.1908

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