775

# S T #

Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind Montag den 28. September 1908, nachmittags 4*/2 Uhr, zur Fortsetzung der ordentlichen Sommersession zusammengetreten.

Als neue Mitglieder.sind erschienen: im Nationalrat: Herr W a l t h e r , Heinrich, Regierungsrat, von Sursee, in Kriens.

,, B o n j o u r , Felix, Redaktor, von Blonay, in Lausanne.

Im N a t i o n a l r a t eröffnete Herr Präsident Dr. Speiser die Session mit folgender Ansprache : Meine Herren Nationalräte, Die drei Monate, die seit dem Schlüsse der Sommersession vergangen sind, haben der Bundesversammlung schmerzliche Verluste gebracht ; drei .Mitglieder hat der Nationalrat, zwei der Ständerat in dieser Zeit durch den Tod verloren.

In der Frühe des 18. Juli entschlief in Solothurn nach schwerer Krankheit, die ihn schon vom Besuche mehrerer Sessionen abgehalten hatte, Herr Nationalrat Oberst Wilhelm V i g i e r im 70. Altersjahre ; er gehörte unserm Rate seit 1886 an, und wir alle schätzten ihn wegen seiner, gewissenhaften Mitarbeit, namentlich auf dem Gebiete der Finanzen und des Militärwesens, wegen seines hoffnungsfreudigen Patriotismus und seines herzgewinnenden Wesens ; der Verstorbene hat seinem Kantone und seiner Heimatstadt im Rate und in der Verwaltung, dem Lande auch als Truppenführer seine beste Manneskraft gewidmet ; vor kurzer Zeit erst trat er als Stadtammann zurück, nachdem er lange Jahre mit Umsicht und starker Willenskraft sich den mannigfaltigen Aufgaben unter-

776

zogen, die ein blühendes Gemeinwesen in unserer Zeit seinen Leitern stellt ; dabei konnte er seine geschäftliche Begabung ebenso sehr wie seinen idealen Sinn, der auf dem sichern Grunde bedeutender allgemeiner Bildung ruhte, zur Geltung bringen.

Wenige Tage später, am 27. Juli, schloss seine Augen, ebenfalls nach längerer Krankheit, Herr Nationalrat Ulrich D ü r r e n m a t t in Herzogenbuchsee, ein müder Kämpfer.

Er war in Guggisberg im Jahre 1849 geboren und in einfachen Verhältnissen erzogen und widmete sich dem Lehrerberufe ; bald aber trat er zum Zeitungsberufe über und schuf sich in der Berner Volkszeitung ein Organ, das in den heftigen politischen Kämpfen der Achtziger- und Neunzigerjahre im Kanton Bern und in der Eidgenossenschaft bedeutenden Einfluss übte. Der Verstorbene war der anerkannte und damit auch der heftig angefochtene Führer der Berner Volkspartei, zündend als Volksredner, einzigartig als streitbarer Volksdichter.

Auch im Grossen Rate seines Kantons bewährte er sich als eindrucksvoller Vertreter der Anschauungen seiner Gesinnungsgenossen. Als der Verstorbene im Jahre 1902 in den Nationalrat eintrat, hatten sich die, Kampfeswogen bereits gemässigt, und es waren die Parteigegensätze hinter der gemeinsamen Arbeit zurückgetreten ; an der grossen Aufgabe des einheitlichen Zivilrechtes hat auch der Verstorbene mitgeholfen und damit dem Werke die Zustimmung ansehnlicher Volksteile gesichert.

Herr Nationalrat Albert K ü n d i g , der am 20. August infolge eines Herzschlages in seiner Heimat Pfäffikon starb, wurde am 30. April 1838 geboren ; er war seit 1874 Präsident des Bezirksgerichts und widmete sich in mehreren ändern Ämtern den Interessen seiner Gemeinde und seines Bezirkes ; während 30 Jahren, von 1872--1902, gehörte er dem Kantonerate an ; im Jahre 1891 wählte ihn der dritte eidgenössische Wahlkreis in den Nationalrat und er erfreute sich hier wegen seiner sachlichen und ruhigen Mitarbeit allgemeiner Achtung.

Der Ständerat ist am 30. August durch den Hinschied des Herrn Edmund von S c h u m a c h e r und vor wenigen Tagen, am 18. September, durch dem Tod des Herrn Albert Seh erb betroffen worden ; auch wir beklagen den Verlust dieser hervorragenden Männer, die beide all ihre Kräfte in den Dienst des Vaterlandes gestellt hatten.

.

· .

777

Herr von Schumacher war geboren 1859 und trat schon im Jahre 1888 in den Regierungsrat seines Heimatkantons LTizern ; seit 1895 war er Mitglied des Ständerates ; den Traditionen seiner Familie entsprechend betätigte er sich auch im Militärwesen und bekleidete den Rang eines Obersten der Infanterie ; seine gründlichen juristischen Studien und eine hervorragende Arbeitsfähigkeit sicherte ihm eine bedeutende Wirksamkeit im Staatsdienste ; er war nicht nur im Justizwesen, sondern auch auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung tätig; vor einigen Jahren erhielt er die ehrenvolle Mission, als Mitglied einer neutralen Expertenkommission die Verhältnisse des Kongostaates zu untersuchen ; der Verstorbene übernahm diese schwierige Aufgabe als eine Pflicht im Dienste der Humanität, und in der Erfüllung dieser Pflicht hat er wohl den Keim zu der tödlichen Krankheit geholt, die ihn so früh wegraffte.

Albert Scherb, von Bischofszell, geboren, 1839, trat mit dreissig Jahren in die Bundesversammlung und gehörte ihr bis 1881 als Mitglied des Nationalrates, seither als Mitglied des Ständerates am ; nahezu 40 Jahre war er mithin der Vertreter seines Heimatkamtons in den eidgenössischen Räten. Schon, im Alter von 22 Jahren begann er nach tüchtigen juristischen Studien seine praktische Tätigkeit als Fürsprech und wurde dann Staatsanwalt des Kantons ; im Jahre 1889 berief ihn der Bundesrat an die neu geschaffene Stelle eines ständigen Bundesanwalts ; nach zehnjähriger Tätigkeit trat er von derselben zurück, um sich wieder in der Heimat öffentlichen Geschäften zu widmen. Der Verstorbene war ein hochgeschätztes Mitglied unserer Räte ; denn ihm mangelte keine der Eigenschaften, die der politischen Tätigkeit dauernde Anerkennung sichern : Unabhängigkeit der Gesinnung, Schärfe des Verstandes, Klarheit der Rede, Wärme des Herzens und ein fester Glaube am die vaterländischen Ideale.

Ich bitte Sie, zu Ehren der Verstorbenen sich von den Sitzen zu erheben.

Am 5. Juli hat das Schweizervolk in, grosser Mehrheit dem Beschlüsse der Räte betreffend die Unterdrückung des Absinthes seine Sanktion, erteilt und damit den Willen bekundet, auf dem Wege der Bekämpfung des Alkoholismus mittelst der Gesetzgebung weiter zu schreiten.

In den vergangenen Wochen hatten wir Gelegenheit, in allen Landesteilen unsere Truppen in eifriger Arbeit zu sehen ;

778

die neue Militär-Verfassung hat ersichtlich anregend gewirkt und bereits manche Fortschritte gebracht ; möge der allseitige Eifer auch inskünftig fortdauern.

Während sich die Landwirtschaft nach den Heimsuchungen dieses Frühjahrs wider Erwarten günstiger Ergebnisse erfreuen darf, gibt die allgemeine wirtschaftliche. Lage zu Sorgen Anlass ; noch ist die geschäftliche Krisis nicht überwunden, sie lastet schwer auf vielen Unternehmungen, und sie wirkt direkt auf die Allgemeinheit ; die Zollerträgnisse mindern sich, die Betriebsergebnisse der Bundesbahnen lassen die gewohnte und so erwünschte Zunahme vermissen. Die Zeit der Ebbe nach der grossen Flut kündet sich an.

Wir hoffen, dass es der Energie der Leitenden und dem guten Willen Aller gelingen werde, rechtzeitig den Gefahren vorzubeugen, welche ein dauerndes Missverhältnis zwischen den finanziellen Ansprüchen und den Mitteln zu ihrer Deckung dem Bunde bringen müsste.

Ich erkläre die Session als eröffnet.

Im S t ä n d e r a t hielt Herr Präsident Dr. Scherrer bei der Sessionseröffnung folgende Ansprache : Sehr geehrte Herren Kollegen !

Verhältnismässig sehr kurz ist die Frist, die seit unserer letzten Tagung verstrichen ist, aber unverhältnismässig zahlreich und außerordentlich schmerzlich sind die Verluste, die die schweizerische Bundesversammlung im allgemeinen und der Ständerat im besondern während dieser kurzen Spanne Zeit erlitten hat.

Es sind nicht weniger als 5 Opfer, die der unerbittliche Tod während eines Zeitraumes von 2 Monaten aus den Reihen der schweizerischen Volks- und Ständevertreter gefordert hat, und wenn auch diese zahlreichen, rasch aufeinanderfolgenden Todesnachrichten uns, wenigstens zum Teil, nicht eigentlich überraschen konnten, so haben sie. uns doch alle schmerzlich berührt.

Am 18. Juli starb in Solothurn nach langem Krankenlager im 70. Altersjahre Nationalrat Oberst Wilhelm V i g i e r. Durch Familientradition und persönliche Neigung zur öffentlichen

779

Tätigkeit hingezogen, und ausgestattet mit einer unermüdlichen Schaffenskraft und Arbeitsfreudigkeit, mit einem, lebhaften und hinreissenden Temperament, sowie mit einer bewundernswerten und nie versagenden Energie, hat Wilhelm Vigier bereits in seinem jugendlichsten Alter an dem bewegten politischen Leben seines Heimatkantons den lebhaftesten Anteil genommen, und er hat dann in der Folge seine unermüdliche Tätigkeit während mehrerer Jahrzehnte und bis zu seinem Tode vorzugsweise --· während langer Jahre sogar ausschliesslich -- in der uneigennützigsten Weise in den Dienst der Allgemeinheit gestellt.

Während 36 Jahren gehörte er dem Gemeinderate der Stadt Solothurn und dem solothurnischen Kantonsrate an, während 15 Jahren leitete er als Stadtammann die Geschäfte der Stadt Solothurn und während 22 Jahren vertrat er mit Auszeichnung und Geschick neben ändern bedeutenden Staatsmännern seinen Heimatkanton im schweizerischen Nationalrate.

Daneben hat Wilhelm Vigier während einiger -Jahrzehnte dem Lande und der Armee als pflichteifriger und gewissenhafter Offizier gedient, bis er im Jahre 1892 infolge seiner Wahl zum Stadtammann und der dadurch bedingten intensiven Inanspruchnahme durch die städtischen Verwaltungsgeschäfte genötigt war, als langjähriger Kommandant einer Infanterie-.

Brigade seinen Rücktritt zu nehmen.

In allen diesen Stellungen und Ämtern hat Wilhelm Vigier, stets geleitet von den besten Absichten und von dem besten Willen für das Wohl des Landes und seiner Mitbürger, eine Tätigkeit entfaltet, die an Intensivität und Erfolg ihresgleichen sucht, und wie sie nur einem Manne von dieser Arbeitskraft und von diesen hervorragenden Eigenschaften möglich ist.

Daneben war Vigier ein glänzender, schlagfertiger Redner und gewandter Parlamentarier, der ebenso sehr durch die Wucht seiner Rede, wie durch die leutselige, vornehme und chevalereske Art seines Auftretens und seines Verkehrs seine Freunde und seine Mitbürger für seine Ziele und Ideale einzunehmen und zu begeistern wusste.

Bei solcher Tätigkeit und bei solchen Eigenschaften war 'es gegeben, dass er schon lange zu den populärsten und einflussreichsten politischen Führern seines Heimatkantons zählte, und dass er auch im schweizerischen Parlamente nicht nur die allgemeine Achtung und Sympathie, sondern auch eine bedeutende tmd einflussreiche Stellung gemessen musste. ··

780

Wilhelm Vigier hat den Dank und die Anerkennung seines engern und weitern Vaterlandes, die bei seinem Hinschied und an seinem Grabe so beredten Ausdruck gefunden haben, reichlich verdient ; mit ihm ist einer der besten und treuesten Söhne unseres Landes dahingegangen.

Kaum hatte sich das frische Grab über diesem hochverdienten Manne geschlossen, erhielten wir die Trauerkunde von dem Ableben von Nationalrat Ulrich D ü r r e n m a t t , der nach einem ebenfalls längern, Krankenlager im Alter von nicht ganz 60 Jahren am 27. Juli gestorben ist.

Mit Ulrich Dürrenmatt ist eine Persönlichkeit von uns geschieden, von der nicht gesagt werden kann, dass sie sich einer allgemeinen Sympathie und der allgemeinen Anerkennung in unserem öffentlichen Leben erfreut habe -- danach hat der Verstorbene auch in keiner Weise gestrebt und getrachtet -- und nicht mit Unrecht ist in einem Nekrolog bemerkt worden, dass das Wort des Dichters : ,,Von des Parteien Hass und! Gunst entstellt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte" recht auf ihn passen dürfte.

Und in der Tat ist es bei einem extremen Parteimann ' von so scharf ausgeprägtem Charakter und mit einer so intensiven Kampfeslust nicht anders zu erwarten.

Allein mag man nun mit den von Ulrich Dürrenmatt vertretenen politischen Anschauungen einverstanden sein oder nicht, und mag man die ihm eigen gewesene und so oft mit Erfolg angewendete Kampfweise billigen oder nicht, so wird auch sein heftigster Gegner, wenn er gerecht und objektiv urteilt, anerkennen) müssen, dass mit Ulrich Dürrenmatt ein Mann von grossem Geist und von grossen und seltenen Eigenschaften dahingegangen ist, und dass' er,wohl zu den markantesten Erscheinungen der neuesten, speziell bernischen Zeitgeschichte zu zählen ist.

Als Verfechter streng konservativer, so recht mit der bäuerlichen Scholle verwachsener Anschauungen, und als konsequenter und grimmiger Feind aller modernen Bestrebungen darf er wohl als der zäheste und konsequenteste Politiker der Opposition, als ein Oppositionsmann par excellence bezeichnet werden. Allein nicht in seiner politischen Anschauung als solcher lagen seine Bedeutung und seine Grosse, sondern in der ungewöhnlichen Kraft und Zähigkeit, mit der er seine

781

Ideen vertrat, in der heute wohl beispiellosen Urwüchsigkeit und Schlagfertigkeit, mit denen er in Wort und Schrift seine Ideen verfocht und seinen Gegnern zu Leibe ging, in seinem unerschütterlichen Mute, der ihm auch gestattete, allein auf den Plan zu treten und den Kampf gegen alle aufzunehmen, und endlich nicht am wenigsten lag seine Kraft in einer wohl seltenen Kenntnis der Denkweise und selbst der jeweiligen Stimmungen des Volkes und in dem Geschicke, dieses seelische Volksempfinden seinen Bestrebungen und seiner Politik dienstbar zu machen.

Es kann von seiner Politik, wie von jeder ändern rein negativen oder Obstruktionären Politik freilich nicht gesagt werden, dass sie produktiv gewesen wäre ; allein wir wollen nie vergessen, dass eine oppositionelle Politik, wenn ma-n sie auch oft recht unangenehm empfindet, und wenn sie auch oft objektiv ungerecht und schädlich sein mag, indirekt doch auch ihre guten Wirkungen ausüben kann, indem sie im allgemeinen zu vermehrter Überlegung und gründlicherer Arbeit nötigt und vor zu grosser und schroffer Einseitigkeit bewahrt.

Und je schärfer und konsequenter diese Opposition ist, und je mehr sie gefürchtet wird, desto eher kann sie geeignet sein, nach den bezeichneten Richtungen hihi ihren wohltätigen Einfluss auszuüben.

Im übrigen werden alle Schöpfungen im öffentlichen Leben, die ein wirkliches Bedürfnis sind, auch durch die schlagfertigste und schneidigste Opposition, wenn auch verzögert, so doch auf die Dauer nicht aufgehalten und verhindert werden können, und das Gute und Nützliche wird und muss sich mit der Zeit von selbst Bahn brechen.

Ich meine daher, dass auch alle die, die am der Politik und an der Taktik des Ulrich Dürrenmatt keinen Gefallen gehabt haben, nichtsdestoweniger seine Grosse und seine Stärke anerkennen, und gewiss wird heute niemand gegen ihn den Vorwurf erheben wollen, dass nicht auch er nur das Gute gewollt habe, und dass er seinen bedeutenden Geist und seine bedeutenden Anlagern in den Dienst einer Sache gestellt habe, die er selbst nicht als heilsam und gut betrachtet habe.

Den dritten Verlust erlitt die Bundesversammlung in der Person von Nationalrat Alb. K ü n d i g , der am 20. August im Alter von 71 Jahren vom Tode dahingerafft wurde.

Alb. Kündig, der dem Nationalrate während 6 Amtsperioden angehörte, ist als Redner und Parlamentarier nicht stark

782

hervorgetreten ; das war mit seinem bescheidenen, anspruchslosen und zurückgezogenen Wesen nicht vereinbar.

Seine Stärke lag in unablässiger, treuer Arbeit und Pflichterfüllung, die er während mehrerer Jahrzehnte seiner engern und weitern Heimat in den verschiedensten Stellungen, als Präsident des Bezirksgerichtes, als Mitglied des Kantonsrates und in eiaer ganzen Reihe anderer Funktionen widmete.

Mit seiner Gewissenhaftigkeit und Treue verband er eine wohlwollende Gesinnung und ein scharf ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, Eigenschaften, vermöge deren er von seinen Mitbürgern allgemein geachtet und geschätzt wurde, und die ihm denn auch das unverbrüchliche Vertrauen seiner Mitbürger bis zu seinem Tode sicherten.

Auch im Kreise seiner Kollegen genoss dieser ruhige, aber zielbewusste und überzeugungstreue Mann allgemeine Achtung und Sjonpathie, und wir werden auch ihm ein treues und liebevolles Andenken bewahren.

Kam uns die Kunde vom Hinschied dieser drei Mitglieder des Nationalrates, deren Gesundheitszustand schon während einiger Zeit das Schlimmste befürchten liess, nicht eigentlich überraschend, so überfiel uns, fast wie der Blitz aus heiterem Himmel, die Trauerbotschaft, dass unser engerer Kollege, Regierungsrat Dr. Edmund v. S c h u m a c h e r , in seinen besten Mannesjahren am 30. August einem kurzen, aber tückischen und unheilbaren Leiden zum Opfer gefallen sei.

Wer diesen sonst gesunden, zähen und noch in jugendlicher Frische blühenden Mann in der vergangenen Sommersession gesehen hat, der hat gewiss eher an alles andere gedacht, als dass gerade er heute nicht mehr unter uns weilen werde, und die Teilnahme seiner Kollegen an diesem Verluste war denn auch eine ebenso allseitige wie tiefe und aufrichtige.

In Dr. Edmund von Schumacher verliert unser Rat, wie auch besonders der Kanton Luzern, einen Mann von grosser staatsmännischer Begabung, von tadellosem Charakter, von edelm Wesen und von einer unermüdlichen Arbeitskraft.

Schon früh, nach einer, kaum fünfjährigen Tätigkeit im kantonalen Staatsdienst, haben seine Mitbürger seine vortrefflichen Anlagen und Eigenschaften erkannt, und in dem sehr jugendlichen Alter von 29 Jahren wurde er als Nachfolger des bedeutenden und mit der Geschichte unseres Bundesstaates eng verknüpften, luzernischen Staatsmannes, Phil. Ant. v. Segesser,

783

in die kantonale Regierung berufen, der er seither und somit seit 2 Jahrzehnten ununterbrochen angehörte.

Das Vertrauen, das seine Mitbürger in den jungen Staatsmann setzten, hat Dr. von Schumacher während seiner ganzen Tätigkeit voll und ganz gerechtfertigt.

Mit rastlosem Eifer und mit grossem Geschicke hat er seine Departementalgeschäfte erledigt und sich daneben, kraft seiner Begabung und seiner raschen Auffassung, auch als sehr fruchtbares und einflussreiches Mitglied des Regierungskollegiums erwiesen.

Seine allseitigen staatsmännischen Qualitäten sind dann auch im Auslande erkannt und gewürdigt worden, weshalb er von der Staatsregierung des Königreichs Belgien mit der für ihn und für unser Land sehr ehrenvollen Mission betraut wurde, die Verhältnisse des Kongostaates im Verein mit ändern bedeutenden Staatsmännern einer gründlichen Prüfung, zu unterziehen und darüber Bericht zu erstatten.

Dr. v. Schumacher hat sich dieser Mission in den Jahren 1904/05 entledigt ; leider scheint er bei deren Ausführung den Keim der tödlichen Krankheit, der er nun im besten Mannesaltes erlegen ist, in seinem Organismus aufgenommen zu haben.

Dem schweizerischen Ständerate gehörte der Verstorbene seit dem Jahre 1895 an. Da seine Regierungsgeschäfte ihn auch hier vom frühen Morgen bis zum späten Abend in Anspruch genommen haben, so war es ihm nicht möglich, eine parlamentarische Tätigkeit zu entfalten, wie sie seinen Fähigkeiten und Erfahrungen an und für sich entsprochen hätte. Er griff nicht häufig in die Debatte ein, aber wenn er es tat, dann geschah es immer mit der Prägnanz und Klarheit, die dem erfahrenen Staatsmann eigen ist, und die denn auch zeigte, dass er, trotz der intensivsten Inanspruchnahme durch seine Amtsgeschäfte, den Verhandlumgen mit grosser Aufmerksamkeit folgte. Nichts blieb unwidersprochen itnd unerwähnt, was von seinem Standpunkte aus und nach seiner Ansicht widerlegt oder bemerkt zu werden verdiente.

Was von Ed. v. Schumacher a/ber noch m'it besonderem Nachdruck hervorgehoben werden, muss, das ist die grosse Liebenswürdigkeit, die er mit einem besonders korrekten und chevaleresken Auftreten verband, Eigenschaften, die sowohl in seiner parlamentarischen Tätigkeit als auch in seinem gesell-

784

schaftlichen und privaten Verkehr einen ebenso angenehmen wie gewinnenden Eindruck auf jedermann machen mussten.

Bei aller Grundsätzlichkeit und Bestimmtheit seiner politischen und konfessionellen Anschauungen entfloh ihm nie ein Wort, das von Andersdenkenden unangenehm empfunden werden konnte, wie denn überhaupt strengste Objektivität, Toleranz und Gerechtigkeitssinn ihn je und je ausgezeichnet und seine sonstigen staatsmännischen Qualitäten in so vortrefflicher Weise ergänzt haben.

So hinterlässt denn der Verstorbene in seinem Heimatkanton wie in unserem Rate eine edenso fühlbare wie schmerzliche Lücke und wir alle, die ihn näher gekannt haben, werden ihn als vortrefflichen Staatsmann und liebenswürdigen Kollegen noch lange Zeit schmerzlich vermissen.

Wie wenn es mit den bisher verzeichneten Verlusten des Traurigen und Schmerzlichen noch nicht genug gewesen wäre, mussten wir noch kurz vor unserem Zusammentritt die Trauerkunde vernehmen, dass auch der Senior unseres Rates, unser allgemein verehrter und geliebter Albert S1 c h e r b seine Augen für immer geschlossen habe.

Mit Albert Scherb scheidet zwar nicht das an Jahren älteste, wohl aber dasjenige Mitglied unseres Rates von uns, das die längste Tätigkeit in der schweizerischen Bundesversammlung hinter sich hat.

Im Mai 1839 geboren, ist Alb. Scherb bereits im Jahre 1869, d. h. mit 30 Jahren, in den Nationalrat gewählt worden, und er hat seither unserer obersten Landesbehörde ununterbrochen, somit während beinehe 40 Jahren, angehört, bis zum Jahre 1881 als Mitglied des Nationalrates und seither als Mitglied unseres Rates.

Eine derartige Dauer parlamentarischer Tätigkeit zählt zu den grössten Seltenheiten;, die einem Sterblichen beschieden sein können und nur e i n Mitglied unserer Bundesversammlung, Herr Oberst Arnold Künzli, kann in dieser Richtung mit dem Verstorbenen rivalisieren.

Was Albert Scherb in dieser langen Dauer seiner parlamentarischen Tätigkeit zum Wohle des Landes alles getan und geleistet hat,, das lässt sich imi Rahmen einer kurzen Gedächtnisrede nicht wiedergeben.

Seine Tätigkeit fällt in eine Periode, die mit den bekannten gewaltigen Kämpfen der 70er Jahre begonnen hat, in der

785

die Grundlagen für den Ausbau unseres heutigen Staatswesens im heissen Ringen erstritten und erkämpft werden mussten, und die mit den bedeutenden Schöpfungen, die die Frucht eines gemeinsamen friedlichen Zusammenarbeitens aller Parteien bilden, einen hocherfreulichen Abschluss gefunden hat. Diese Periode wird nicht nur zu den, interessantesten, sondern auch zu den erfreulichsten Abschnitten unserer neuesten Staats- und Landesgeschichte gehören.

Sowohl an den nun weit zurückliegenden Kämpfen als auch an allen grossen und wichtigen Erlassen und Arbeiten hat Albert Scherb einen hervorragenden Anteil genommen. Seine klassisch einfachen und klaren Voten und Referate, die ebenso sehr von einem reichen gediegenen Wissen, von einem klaren durchdringenden Verstande, von einer reichen Erfahrung, wie von einer hohen und harmonisch) abgeschlossenen, Lebensauffassung Zeugnis ablegten, haben je und je auf Freunde und Gegner einen grossen und nachhaltigen Eindruck gemacht.

Was uns aber an seiner langjährigen parlamentarischen Laufbahn mit besonderer Bewunderung erfüllen musste, und was ihn uns allen mit Notwendigkeit nahebringen musste, das war neben seinem grossen Charakter die wahrhaft geistige Frische, der goldene Humor und das geradezu jugendliche Denken und Empfinden, die er sich bis zu seinem hohen Alter bewahrt hat, und die ihn auch in dem Zeitpunkte nicht verliessen, wo ihm zum klaren Bewusstsein gelangt war, dass die Tage seines Lebens gezählt seien, und dass er nicht mehr mit Wochen und Monden, sondern nur noch mit Tagen zu rechnen habe.

,,Mein Pass ist visiert", erklärte er einem Freunde, der ihn im Krankenhaus Frauenfeld besuchte, scherzend, nachdem sich herausgestellt hatte, dass ärztliche Kunst und Eingriffe eine vergebliche Mühe gewesen wären.

,,In Frauenfeld haben sie nichts mehr mit mir anfangen können ; den Vers dazu kannst du dir selbst machen, und so sehe ich denn ruhig meinem baldigen Ende im Kreise meiner Familie entgegen", schrieb er einem ändern Freunde, der sich nach seinem Befinden erkundigt hatte.

Mit solchem Humor und mit solcher Ruhe sieht nur ein ganzer Mann mit gediegenem Charakter und, mit grosser Willensstärke seinem Ende entgegen. Und Alb. Scherb war in der Tat ein Mann und ein Charaktertyp in des Wortes ganzer und voller Bedeutung.

786

Er war nicht angekränkelt von modernen nervösen und neurasthenischen Einflüssen ; gesund und stark .an Leib und Seele, war an ihm alles echte und gediegene Prägung, ohne Falsch, ohne Schein, alles wahre und reine Wirklichkeit. Das hat er gezeigt in seiner. ganzen Tätigkeit und in allen Lebenslagen. Das hat er namentlich auch gezeigt in seiner zehnjährigen Tätigkeit als eidgenössischer Generalanwalt und Chef der politischen Polizei, wo er während der ganzen Dauer seines Amtes den masslosesten Angriffen und schmählichsten Verleumdungen in Wort und Schrift ausgesetzt war. Treu und unentwegt' stand er auf seinem1 Posten und waltete seines Amtes mit bewundernswerter und unerschütterlicher Seelenruhe. Weder in der Presse noch im Parlamente hat er je die geringsten Anstrengungen gemacht, solche Angriffe zurückzuweisen oder sich und seine Amtshandlungen zu verteidigen und zu rechtfertigen.

Unbeirrt um alles, was/ über ihn gesprochen und geschrieben wurde, traf er seine Verfügungen und Anordnungen und1 stellte sie ruhig und getrost einer sachgemässen Kritik der Gegenwart und Zukunft anheim. Und was besonders bezeichnend für ihn und für sein ganzes Wesen war : nie ist ein Wort der Entrüstung oder der Bitterkeit gegen seine Widersacher und deren Verleumdungen und Schmähungen über seine Lippen gekommen.

Er war ein ganzer Mann, der auf hoher Warte stand und Menschen und Verhältnisse von hoher Warte aus beurteilte.

Ein ausgeprägter Sinn für Recht und Ordnung, eine strenge Unparteilichkeit, ein mit eigentlicher Lebensweisheit gepaarter scharfer, durchdringender Verstand, Treue, Zuverlässigkeit und Charakterfestigkeit, das waren neben seiner Jovialität, seiner Biederkeit, einem unverwüstlichen Humor, einem weichen und tiefen Gemute und einer unwandelbaren Herzensgute die Grundzüge seines Wesens ; das waren die goldenen Eigenschaften, die ihm eine gütige Natur in die Wiege gelegt hat, und die er sich zeitlebens, mochte auch kommen, was da wollte, bewahrt hat.

Er ruht nun im stillen Grabe, aber sein Geist, sein Wirken und sein goldenes Wesen werden stets in unserer dankbaren Erinnerung bleiben.

Meine Herren, ich lade Sie ein, sich zu Ehren unserer fünf verstorbenen, unvergesslichen Kollegen von Ihren Sitzen zu erheben.

>^SS~

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Schweizerische Bundesversammlung,

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1908

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

41

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.10.1908

Date Data Seite

775-786

Page Pagina Ref. No

10 023 060

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.