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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch der wegen Fälschung von Bundesakten be straften Frau Ernestine Lauber, geb. Parod, in Perrefitte, Kanton Bern.

(Vom 13. November 1908.)

Tit.

Die Petentin war im Jahre 1907 als unverheiratet im Postdienste tätig, als genehmigte Stellvertreterin ihrer Mutter, der Ablagehalterin von Perrefitte. Im August genannten Jahres wurden von den Oberbehörden bedeutende Defizite in der Kasse der Poststelle konstatiert, bis zum Betrage von gegen Fr. 900. Dabei ergab sich im weiteren, dass Ernestine Parod in den amtlichen Registern mehrfach falsche Einträge in bezug auf Einzugsmandate gemacht hatte, darauf berechnet, über Daten und Summen zu täuschen. Der Betrag des Defizites wurde von der Mutter Parod sofort gedeckt, dagegen bestritten sie und ihre Tochter beharrlich, dass Unterschlagungen im Spiele seien, und suchten sie die Fehlbeträge mit Rechnungsirrtümern und dergleichen zu erklären.

Der Bundesrat verzeigte die Tochter Parod bei den Gerichten des Kantons Bern wegen Unterschlagung und Fälschung von Bundesakten in Konkurrenz mit Amtspflichtverletzung, indem er gleichzeitig die Untersuchung und Beurteilung der unter das Bundesstrafrecht fallenden Delikte an eben diese Behörden delegierte. Von den bernischen Anklagebehörden wurde nach Durchführung der Voruntersuchung auf Erhebung von Anklage wegen

820 Unterschlagung verzichtet und die Ernestine Parod lediglich wegen Übertretung der Art. 61 und 53 f des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853 dem Amtsgericht Münster überwiesen. Dieses erklärte durch Urteil vom 31. Dezember 1907 die Angeklagte im vollen Umfange schuldig und verurteilte sie zu 5 Tagen Gefängnis und Fr. 20 Geldbusse, letztere im Falle der Unerhältlichkeit umgewandelt in 4 Tage Gefängnis, und zur Tragung der Kosten. Dabei gewährte der Richter der Verurteilten Strafaufschub hinsichtlich der Gefängnisstrafe mit einer Probezeit von zwei Jahren.

Infolge Weiterziehung des Urteils durch den Bundesrat hob die Polizeikammer des Appellations- und Kassationsholes des Kantons Bern das Erkenntnis auf, soweit darin Strafaufschub erteilt war, da das eidgenössische Recht dieses Institut nicht kennt und das entsprechende kantonale Gesetz sich nur auf Strafurteile bezieht, die wegen Übertretungen bernischen Rechtes ausgesprochen werden.

Die Verurteilte, die seither sich mit einem Pierre Lauber in Perrefitte verehelicht hat, ersucht nunmehr um Nachlass der fünf Tage Gefängnis durch Begnadigung, indem sie geltend macht, dass das Gericht von Münster keine so harte Strafe über sie verhängt hätte, wenn es nicht die Erteilung des Strafaufschubes für zulässig erachtet. Ferner verweist sie auf die schweren Folgen, welche dieser Freiheitsentzug für sie als Hausfrau und junge Mutter haben müsste, und darauf, dass auch die Kreispostdirektion im administrativen Verfahren sich mit disziplinarischer Abwandlung der Sache habe begnügen wollen.

Das korrektioneile Gericht von Münster empfiehlt das Gesuch zur Genehmigung, indem es bestätigt, dass keine so hohe Strafe ausgesprochen worden wäre, wenn es nicht das Gesetz über den Strafaufschub als Palladium betrachtet hätte.

Der Art. 61 des Bundesstrafrechtes bedroht das Delikt der Fälschung von Bundesakten mit Zuchthaus, nur in ganz geringfügigen Fällen mit Gefängnis verbunden mit einer Geldbusse.

Da nun die Petentin in vielfach wiederholten Malen falsche Einträge in amtliche Urkunden gemacht und dabei besondere Amtspflichten verletzt hat, so war die ausgesprochene Strafe durchaus nicht zu hart, wenn wirklich Übertretungen dieses Gesetzes vorlagen. Die Gerichte des Kantons Bern und diejenigen mehrerer anderer Kantone haben dieses in langjähriger Praxis auch für den Fall bejaht, als Beamte in Urkunden, deren Führung ihnen

821 oblag, zum Zwecke der Täuschung wahrheitswidrige Einträge machten, also bei blosser Falschbeurkundung (faux immatériel) und nicht bloss bei eigentlicher Urkundenfälschung (faux matériel). Andere kantonale Instanzen wendeten den Art. 61 des Bundesstrafrechtes nur dann an, wenn ursprüngliche Einträge gefälscht oder falsche Unterschriften gemacht wurden. Diese letztere Auslegung des Gesetzes wurde vom Kassationshof des Bundesgerichtes in einem Urteil in Sachen Rheiner vom 8. Mai 1908 als einzig richtig bezeichnet, und damit für die gesamte schweizerische Judikatur verbindlich festgelegt, dass Falschbeurkundungen, wie solche der Petentin Parod zur Last fallen, keine Delikte im Sinne von Art. 61 darstellen, sondern nur als Amtspflichtverletzungen allgemeiner Art mit Geld busse zu bestrafen seien. Aus Rücksicht auf diese Entscheidung erscheint das Gesuch um Nachlass der Freiheitsstrafe als begründet.

Wir stellen daher bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: Es sei der Frau Lauber geb. Parod die Strafe von fünf Tagen Gefängnis zu erlassen.

B e r n , den 13. November

1908.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsidont:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Begnadigungsgesuch der wegen Fälschung von Bundesakten bestraften Frau Ernestine Lauber, geb. Parod, in Perrefitte, Kanton Bern. (Vom 13. November 1908.)

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18.11.1908

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