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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde von T. Adami in Glarus, betreffend den Verkauf geistiger Getränke in Quantitäten unter 2 Liter.

(Vom 21. Oktober 1908.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde von T. A d a m i in Glarus betreffend den Verkauf geistiger Getränke in Quantitäten unter 2 Liter, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, f o l g e n d e n B e s c h l u s s g e fa s s t:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

T. Adami in Klöntal, Glarus, ist durch einen Polizisten vor dem Bezirksgericht des Kantons Glarus wegen Übertretung des glarnerischen Wirtschaftsgesetzes vom 1. Mai 1904 verklagt worden, weil er trotz erfolgter Warnung wiederholt an Bauarbeiter im Klöntal Flaschenbier verkauft habe, ohne im Besitze eines Kleinverkaufspatentes gemäss § l des Wirtschaftsgesetzes zu sein.

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Der Angeklagte gab vor Gericht den Verkauf zu, bestritt aber, das Wirtschaftsgesetz übertreten zu haben, weil er jeweilen zugleich nicht weniger als vier Flaschen à */a Liter verkauft habe und der Verkauf von 2 Liter gemäss § 3 des Wirtschaftsgeset/es erlaubt sei.

Das Polizeigericht hat mit Urteil vom 21. August den Adami zu einer Busse von Fr. 20. -- verurteilt, aus folgenden Erwägungen : ,,§ 3 des Wirtschaftsgesetzes bestimmt in lit. a : Für den freien Verkauf geistiger Getränke sind die Bestimmungen von Art. 32bis der Bundesverfassung und der einschlägigen Bundesgesetzgebung massgebend. Demnach ist gegenwärtig der Verkauf von geistigen Getränken in folgenden Quantitäten frei : a. Wein, Most und Bier in Quantitäten von 2 Litern und darüber (Art. 32bis der Bundesverfassung)."

Nach dieser Bestimmung ist zwar der Verkauf von 2 Litern geistiger Getränke frei, nicht aber der Verkauf von 4 halben Litern oder 8 Viertellitern, denn die Bestimmung hat unzweifelhaft den Sinn, dass im Minimum 2 Liter in einer und derselben Abgabe einer und derselben Person resp. Familie zukommen soll, sei es nun in einem Gefäss von 2 Litern oder in zweien von je l Liter, und zwar hätte dieser Verkauf in bezeichneten und geeichten Gefässen zu geschehen. -- Im Klöntal haben einzelne Bauarbeiter von Adami 4 oder mehr Halbliterflaschen zugleich bezogen, der Bezug erfolgte aber nicht für den Abholer selbst und ausschliesslich, sondern im Auftrag einer Mehrheit unter sich nicht verbundener Einzelpersonen, und zwar so vieler, als die Zahl der abgeholten Flaschen ausmachte, wobei schliesslich jede einzelne Person ihre Flasche erhielt, bezahlte und konsumierte. Diese Art des Bierbezuges ist Detailbezug in verkappter Form und der Verkauf mit Wissen des Verkäufers in Wirklichkeit ein Detailverkauf unter 2 Litern, daher eine Umgehung des Wirtschaftsgesetzes.

II.

Am 28. August 1908 hat Adami mit Berufung auf die Art. 31 und 32bis der Bundesverfassung die staatsrechtliche Beschwerde an den ßundesrat ergriffen und die Aufhebung des Urteils vom 21. August 1908 verlangt. Er hat zur Begründung vorgebracht: Art. 32bls B. V. bestimmt, der Grosshandel mit geistigen Getränken solle frei sein, und bezeichnet als Grosshandel den Handel mit Quantitäten von 2 Litern an aufwärts; für diesen Handel gilt somit die volle in Art. 31 B. V. gewährleistete Handels-

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und Gewerbefreiheit. Das angefochtene Urteil verletzt Art. 31T weil es die Grenzlinie zwischen Klein- und Grosshandel willkürlich verrückt, indem es den Verkauf von 4 halben Litern oder 8 Viertellitern Bier als Kleinhandel bezeichnet und patentpflichtig erklärt, indem es dafür den Gebrauch von geeichten und bezeichneten Gebinden verlangt, und indem es ferner die Unterscheidung von der Verwendung des verkauften Quantums abhängig machen will. Massgebend kann einzig der Umfang des Kaufes sein, nicht aber das spätere Verhalten des Käufers ; werden mehr als 2 Liter verkauft, so gilt für dieses Geschäft die durch die Bundesverfassung garantierte Freiheit.

III.

Der Regierungsrat des Kantons Glarus hat, zur Vernehmlassung auf die Beschwerde eingeladen, ihre Abweisung beantragt und ausgeführt : Der angefochtene Passus, ,,dass der Verkauf in geeichten und bezeichneten Gefässen zu geschehen habe," stützt sich auf Art. 15 des Bundesgesetzes über Mass und Gewicht vom 3. Juli 1875 und bezieht sich, wie aus dem Zusammenhang des Entscheides hervorgeht, auf den Verkauf des Minimalquantums an ein und dieselbe Person, in concreto auf jeden einzelnen Arbeiter, der von den von Adami abgegebenen Flaschen Bier erhielt. Wenn es sich zudem um einen an der Grenze zwischen patentpflichtigem und freiem Handel stehenden Bierverkauf handelt, darf ohne Zweifel verlangt werden, dass durch genaue Messung des abzugebenden Quantums die eine oder andere Art des Handels klargelegt werde ; ist doch mit der Verabfolgung von vier Bierflaschen, selbst sogen. 6 Deziliter-Bierflaschen Bier noch keineswegs zweifellos feststehend, dass der Käufer mindestens zwei Liter Flüssigkeit erhalte.

Sollten indessen auch bei den vom Rekurrenten vorgenommenen Bierverkäufen stets im Minimum 2 Liter abgegeben worden sein, bleibt immerhin bezüglich der Strafbarkeit massgebend, dass nach den im Klöntal unter den Arbeitern am Löntschwerk bestehenden Verhältnissen die von ihm abgegebenen Flaschen Bier, wie Rekurrent weiss und wissen muss, nicht für den Abholer selbst,, sondern für eine grössere Anzahl von Arbeitern bestimmt waren, d. h. dass es sich um Detailverkauf handelte und dass durch die bezügliche Bierabgabe eine Umgehung des Gesetzes bezweckt und vollführt wurde.

695 B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Nach Art. 32bis, Abs. 2, der Bundesverfassung darf der Handel mit nicht gebrannten geistigen Getränken in Quantitäten von ^zwei Liter und darüber keinen besondern Steuern, noch andern als gesundheitspolizeilichen Beschränkungen unterworfen werden. Die Verpflichtung, ein Patent des glarnerischen Gesetzes zu nehmen, wäre eine solche steuerrechtliche Belastung. Sie ist daher nach der Bundesverfassung nur zulässig für den Handel in Quantitäten u n t e r zwei Liter.

Das Polizeigericht des Kantons Glarus hat nun angenommen, Adami habe im angezeigten Falle weniger als zwei Liter verkauft, weil er die zwei Liter in vvier Halbliterflaschen geliefert hatte und weil der Käufer auch im Auftrage von drei andern Arbeitern gehandelt und mit ihnen das Bier geteilt hatte.

Der erste Grund ist nicht stichhaltig, da es nicht darauf ankommt, ob die zwei Liter, welche die Grenze zwischen Grossund Kleinhandel im Sinne des'Art. 32 bls ß. V. bilden, in einem oder mehreren Gefässen geliefert werden. Der zweite Grund ist ebenfalls nicht zutreffend Es mag wohl richtig sein, dass wer zwei Liter an mehrere Personen zugleich verkauft, nicht Gross-, sondern Kleinhandel treibt. Im vorliegenden Falle hat aber der Rekurrent das Kaufgeschäft nur mit einer Person geschlossen.

Dass der Käufer nachher das Bier mit drei andern Personen geteilt hat, ändert daran nichts, ebensowenig als der Umstand, dass er von .diesen mit dem Kauf beauftragt worden sein mag, da offenbar er als Käufer aufgetreten ist. Es würde zur grössten Unsicherheit und Willkürlichkeit führen, wenn man den Verkäufer dafür verantwortlich machen wollte, dass derjenige, der ihm zwei Liter oder mehr abkauft, diese Quantität nicht nachher mit andern teile oder nicht auch für Rechnung von andern handle. Eine solche Vorschrift wäre praktisch undurchführbar und liegt sicher auch nicht in der Absicht des Art, 32bis B. V.

Was die Frage betrifft, ob der Rekurrent sich wegen Gebrauches nicht geeichter Gefässe einer Übertretung des Bundesgesetzes über Mass und Gewicht schuldig gemacht habe, so wäre hierüber zu urteilen nicht der Bundesrat, sondern das Bundesgericht als Kassationshof zuständig (Art. 60, 182 und 190 desOrganisationsgesetzes). Das Gericht selbst hat aber die Verur-

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teilung nicht auf dieses Gesetz, sondern bloss auf § 3 des kantonalen Wirtschaftsgesetzes gestützt. Das Urteil ist daher ganz aufzuheben.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Polizeigerichtes des Kantons Glarus vom 21. August 1908 aufgehoben.

B e r n , den 21. Oktober 1908.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde von T. Adami in Glarus, betreffend den Verkauf geistiger Getränke in Quantitäten unter 2 Liter. (Vom 21. Oktober 1908.)

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