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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Ergänzung der Organisation des eidgenössischen Versicherungsamtes.

(Vom 6. März 1908.)

Tit.

'

Das Buhdesgesetz über den Versicherungsvertrag ist dem Abschlüsse nahe. .

Durch das Inkrafttreten dieses Gesetzes wird dem . eidgenössischen Versicherungsamte eine bedeutende Mehrarbeit erwachsen. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gesellschaften, sowie die übrigen vorlagepflichtigen Materialien werden im einzelnen auf ihre Gesetzmässigkeit hin zu prüfen sein.

Das Gesetz weist sodann dem eidgenössischen Versicherungsamte die Aufgabe zu, auf Ersuchen eines jeden Berechtigten hin, der eine Lehensversicherungspolice besitzt, den Umwandlungswert und den Rückkaufspreis der Versicherung unentgeltlich zu "bestimmen: Was zunächst die Kontrollo der Versicherungsmaterialien betrifft, so ist hier zu bemerken, dass wohl alle das direkte Versicherungsgeschäft betreibenden, konzessionierten Gesellschaften in die Lage versetzt werden, eine grosse Zahl bisheriger Bestimmungen abzuändern und den Vorschriften des Gesetzes anzupassen. Aber noch mehr. Alle vorlagepflichtigen Drucksachen der Gesellschaften müssen überhaupt in Zukunft vor Bundesblatt. 60. Jahrg. Bei. I.

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ihrer Ausgabe Stetsfort auf ihre Gesetzmässigkeit hin untersucht werden. Es gibt Gesellschaften, die über 300 vorlagepflichtige Drucksachen (Statuten, Policenformulare, Fragebogen, Antragsscheine , allgemeine Versicherungsbedingungen, Erklärungen etc.) aufweisen. Weil diese Drucksachen für die verschiedenen Versicherungszweige und Unterarten der Versicherung stetsfort einem bedeutenden Wechsel unterworfen sind, und weil alle neuen Auflagen wieder geprüft werden müssen, so wird da& eidgenössische Versicherungsamt durch die daraus erwachsende Tätigkeit d a u e r n d und in starkem Masse in Mitleidenschaft gezogen werden. Man wird froh sein können, wenn zur Bewältigung der bezüglichen Mehrarbeit die Anstellung eines j u r i s t i s c h e n E x p e r t e n hinreicht. Bis jetzt war die Tätigkeit der Aufsichtsbehörde im wesentlichen auf die Kontrolle und Prüfung der S o l i d i t ä t der konzessionierten Gesellschaften gerichtet. Auch diese Tätigkeit, die mit der wachsenden Verbreitung des Versicherungswesens immer umfangreicher wird, darf und soll nicht beschränkt werden.

Über die Verpflichtung des eidgenössischen Versicherungsamtes, den Umwandlungswert und den Rückkaufspreis der Lebensversicherungspolicen unentgeltlich auf ihre Richtigkeit zu prüfen, brauchen wir uns nicht lange zu verbreiten. Zurzeit bestehen in der Schweiz über 150,000 umwandlungs- und rückkaufsberechtigte Lebensversicherungsverträge. Täglich werden neue geschlossen, stetsfort erlöschen aber auch solche Verträge, sei es auf normale Weise durch den Tod des Versicherten oder durch Ablauf der Versicherungsdauer, sei es auf abnormale Weise durch Rückkauf oder Verzicht. Oft kommt es vor, das» die Police durch Herabsetzung der Versicherungssumme in eine prämienfreie umgewandelt wird. Eine Schätzung hat ergehen, dass täglich in der Schweiz mehr als 10 Lebensversicherungspolicen in prämienfreie Policen umgewandelt, zurückgekauft oder ohne eine Rückkaufssumme storniert werden. Selbstverständlich, erhält durch das Gesetz über den Versicherungsvertrag nicht nur jeder, der seine Police in eine prämienfreie Police wirklich umwandelt oder zurückkauft, das Recht der unentgeltlichen Prüfung des Umwandlungswertes oder Rückkaufspreises durch das eidgenössische Versicherungsamt, sondern überhaupt jeder Versicherte, der den Umwandlungswert oder
Rückkaufspreia seiner Police festzustellen wünscht. Wir fügen ergänzungsweise noch bei, dass die Begehren nach sachverständiger Auskunft ·und Kontrolle durch die Bestimmungen des neuen Zivilgesctz-

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bûches sich weiter mehren dürften. Dieses stellt nämlich an mehr als einem Orte auf den Rückkaufswert der Versicherung ab (vgl. Art. 476 und 529 des schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907). Der Umfang des unentgeltlichen Berechnungs- und Auskunftsdienstes über die Rückkaufswerte, den das Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag dem eidgenössischen Versicherungsamte überbindet, dürfte voraussichtlich mit der Zeit ein ganz bedeutender werden. Dazu kommt, dass das Gesetz über den Versicherungsvertrag dem Bundesrat die Entscheidung darüber auferlegt, ob die von den Gesellschaften in ihren allgemeinen Bedingungen vorgesehenen Abfindungswerte a n g e m e s s e n sind oder nicht..

Selbstverständlich werden die erforderlichen Vorarbeiten dem Versicherungsamte obliegen. Die Systeme der Bestimmung der Abfindungswerte sind nun, je nach der Versicherungsart und den Usancen der einzelnen Gesellschaften und je nachdem es sich um eine Versicherung ohne Gewinn oder um eine solchemit Beteiligung am Geschäftsüberschusse handelt, sehr mannigfaltige. In jedem einzelnen Falle ist daher zu untersuchen und!

zu begutachten, ob die von der Gesellschaft für eine einzelne Versieherungsart vorgeschlagenen Systeme gutgeheissen und diedaraus resultierenden Abfindungswerte als angemessene bezeichnet werden können. Diese gutachtliche Tätigkeit, sowie der Berechnungs- und Auskunftsdienst, von dem wir oben sprachen, erfordern zum wenigsten die Anstellung eines besonderen technischen Experten.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass es der Anstellung von wenigstens zwei Experten, eines juristischen und eines technischen, bedarf. Wir müssen hierfür die gesetzlicheGrundlage schaffen und schlagen deshalb vor, es sei das Bundesgesetz betreffend Organisation des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartementes, vom 16. Dezember 1901, in entsprechender Weise zu ergänzen, indem die Beamtungen von Experten beim Versicherungsamte vorgesehen werden. Wir sagen nur ,,Experten"^, ohne Bezeichnung der Anzahl derselben. Hoffentlich kommere wir überhaupt, oder wenigstens für längere Zeit, mit zwei Experten aus, möchten jedoch den Bundesbehörden die Hände nicht binden und es ihnen ermöglichen, nötigenfalls die Anzahl der Experten zu vermehren, ohne dass wieder eine Gesetzesänderung vorausgehen muss. Diese Experten bedürfen guter wissenschaftlicher Bildung und reifer Erfahrung. Sie sollen daher in die II. Besoldungsklasse eingereiht werden.

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· M i t dieser Ergänzung d e s Organisationsgesetzesvom 1 6 .

Es ' sollte nämlich für das eidgenössische Versicherungsamt .ebenfalldieie Stelle einebesondernrn Registrators vorgesehen werden. Einen solchen kann d a s nicht länger entbehren. W i r schlagen deshalb vor, d i e eines Registrators, der in die IVBesoldungsklassesc einzureihen wärezuzü ersetzen. Am Platze des bisherigeRegistrator-Kanz-zlistewirdddannn' ein weiterer Kanzlist angestellt worden.

Wir haben erwogen, .ob wir mit der Abänderung -des Organisationsgesetzes nicht zuwarten könnten, bis das Bundesgesetz über die Kranken- und. Unfallversicherung, dessen schliessliche Gestaltung allerdings zurzeit noch nicht bekannt ist, erlassen sein,.wird. -Allein wir sind zur Verneinung der Frage gelangt.

.Wir halten es für zweckmässig, dass das nachstehend von uns beantragte Bundesgesetz über die Ergänzung der Organisation des eidgenössischen Versicherungsamtes g l e i c h z e i t i g mit dem Bundesgesetze über den Versicherungsvertrag, das . dem Bunde neue Aufgaben zuweist, -in Kraft trete. -Es ist von grossern Werte, wenn das sozial wichtige Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, soweit es die darin namhaft gemachten administrativen Aufgaben des Bundes betrifft, gleich von Anfang an zu einer richtigen Ausführung gelang!;.

Nicht nur die Versicherten, auch die Versicherungsgesellschaften müssen dies wünschen.

Endlich machen wir, was die finanziellen Konsequenzen des vorliegenden Gesetzes angeht, - noch darauf aufmerksam, dass die Kosten der Bundesaufsicht über die privaten, konzessionierten Versicherungsgesellschaften zurzeit im grossen Ganzen von den Gesellschaften und Interessenten selbst getragen werden. Im letzten Jahre (1907) belief sich die Staatsgebühr 4er Gesellschaften, sowie der Erlös der vom eidgenössischen Versicherungsamte verkauften Berichte zusammen auf Fr. 86,004..65, während die Ausgaben des eidgenössischen Versicherungsamtes (Versicherungswesen, Ausgaben, Rubrik IV des Justiz- und Polizeidepartements also abgesehen von Mietzins, Mobiliaranschaf-

e i

.-577 fung, Assekuranz und Anteil an den allgemeinen Kosten der Bundesverwaltung) Fr. 75,255. 20 betrugen.

Wir empfehlen Ihnen, Tit., die Annahme des von uns beantragten Entwurfes und benutzen den Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 6. März 1908.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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(Entwurf. )

Bundesgesetz betreffend

Ergänzung des Bundesgesetzes Ober die Organisation des Justiz- und Polizeidepartements.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 6. März 1908, beschliesst: Art. 1. Beim eidgenössischen Versicherungsamte werden die Beamtungen von zwei oder mehreren E x p e r t e n eingeführt. Die Stelle des Registrator-Kanzlisten wird aufgehoben und durch diejenige eines R e g i s t r a t o r s ersetzt. Die Experten werden in die II. und der Registratur wird in die IV. Besoldungsklasse eingereiht.

Das Bundesgesetz betreffend Organisation des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartementes vom 16. Dezember 1901 (A. S. n. F. XIX, 38) wird dem entsprechend abgeändert.

Art. 2. Der Bundesrat ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse die Bekanntmachung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend Ergänzung der Organisation des eidgenössischen Versicherungsamtes. (Vom 6. März 1908.)

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