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Kreisschreiben des

Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend die Anwendung von Art. 94 der Militärorganisation.

(Vom 18. September 1908.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Artikel 94 der Militärorganisation vom 12. April 1907 bestimmt, dass derjenige, welcher seine Dienstpflicht vollständig erfüllt hat, seine Bewaffnung und persönliche Ausrüstung bei seiner Entlassung als freies Eigentum behält. Es hat sich nun gezeigt, dass diese Bestimmung nicht Überall gleich ausgelegt wird. Wir sehen uns deshalb veranlasst, nach Anhörung der kantonalen Militärbehörden für die Anwendung der erwähnten Gesetzesvorschrift folgende nähere Weisungen zu erteilen: 1. Im allgemeinen muss an der von unserem Militärdepartement am 9. Januar 1908 (Militäramtsblatt, S. 52) gegebenen Auslegung festgehalten werden. Demnach ist die Dienstpflicht erst dann als vollständig erfüllt zu betrachten, wenn der Wehrmann jeden Dienst geleistet, also ausser der Rekrutenschule die Wiederholungskurse, zu welchen er gemäss Jahrgang, Einteilung und Grad einberufen war, sowie gegebenenfalls den Kaderdienst und den Aktivdienst, kantonalen wie eidgenössischen, bestanden hat. Dieser Grundsatz ist für alle Truppengattungen massgebend.

Dagegen ist dem Wehrmanne gemäss Art. 94 der Militärorganisation Bewaffnung und persönliche Ausrüstung bei seiner Entlassung aus der Dienstpflicht als freies Eigentum auch dann zu überlassen, wenn er

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a. ohne sein Dazutun durch Verfügung eines Kommandos oder einer Militärbehörde an der Bestehung eines Wiederholungskurses verhindert wurde (wie z. B. als überzählig Entlassener) ; b. einen Wiederholungskurs unverschuldet nicht bestanden hat und ihn auch ohne eigenes Verschulden nicht nachholen konnte ; c. während der Dauer seines Amtes oder seiner Anstellung von Gesetzes wegen der Leistung von Militärdienst enthoben war; bei den Angehörigen des Grenzwachtkorps und der Polizeikorps, sowie bei den Fortwächtern tritt der besondere Dienst an die Stelle des obligatorischen Militärdienstes ; d. infolge verspäteter Rekrutierung oder zeitweiliger Dispensation, beziehungsweise Beurlaubung, ein oder mehrere Dienstjahre weniger aufweist.

Ferner darf ein Wehrmann, der die Waffen im Zeughause deponiert hat oder wegen schlechter Besorgung der letztern bestraft worden ist, nicht von der Vergünstigung des Art. 94 ausgeschlossen werden.

2. Die Bestehung der Ausrüstungsinspektion, sowie der Schiessübungen gehört mit zur Erfüllung der Dienstpflicht, und es bleibt somit speziell auch in diesem Punkte beim vorerwähnten Departementalentscheid vom 9. Januar 1908, in der Meinung, dass die kantonalen Behörden einzelne entschuldbare Versäumnisse nicht anrechnen.

3. Mit der Entrichtung des Militärpflichtersatzes erscheint ein versäumter Dienst an sich nicht als geleistet, und es kann deshalb die Militärsteuerzahlüng nicht an Stelle des betreffenden Dienstes berücksichtigt werden.

4. Art. 161, Absatz 2, der Militärorganisation vom 13. November 1874 lautet: ,,Nach fünfundzwanzigjähriger Dienstzeit behält der Mann die Kleider, den Tornister oder Mantelsack, sowie das Putzzeug als Eigentum ; alle übrigen Gegenstände hat derselbe -- Guiden und Dragoner die Pferdeausrüstung schon nach vollendetem Dienst im Auszuge --- abzuliefern. Die Ausnahmen werden durch ein Reglement festgesetzt."

Die vollständige Erfüllung der Dienstpflicht wird hier nicht verlangt wie in Art. 94 der neuen Militärorganisation. Es war

72& aber nicht beabsichtigt, den Leuten, bei welchen die Voraussetzungen des Art. 94 nicht erfüllt sind, welche aber nach fünfundzwanzigjähriger Dienstzeit (in Betracht kommen noch die Jahrgänge 1857--1863) am 31. Dezember 1907 an den ihnen gemäss Art. 161 der alten Militärorganisation zu überlassenden Gegenständen Eigentum erworben haben, dieses Recht mit dein allgemeinen Inkrafttreten der neuen Militärorganisation nachträglich zu nehmen. Erst die Wehrmänner von 1864 und der nachfolgenden Altersklassen werden sich nicht mehr auf Art. 161 der alten Organisation berufen können. Wenn demnach beim Austritt aus der Wehrpflicht nach erreichter Altersgrenze die Dienstpflicht nicht vollständig erfüllt ist, so müssen alle Gegenstände der militärischen Bewaffnung, Ausrüstung und Bekleidung eingezogen werden, ausgenommen bei den Leuten der Jahrgänge 1857--63, welchen gegenüber Art. 161 der alten Militärorganisation noch zu berücksichtigen ist.

5. Was die Spezialwaffen anbetrifft, so hat der Bundesrat am 7. Januar 1908 (Militäramtsblatt, Seite 51) beschlossen, dass denjenigen Angehörigen der Spezialwaffen, welche beim Übertritt in den Landsturm ihre bisherige Bewaffnung abgeben mussten, bei vollständiger Erfüllung der Dienstpflicht Waffen und Ausrüstung von der Art, wie sie solche beim Austritt aus der Landwehr trugen, zu Eigentum zu überlassen sind. Wir müssen an diesem Beschlüsse, welcher eine billige Anwendung des Art. 94 der Militärorganisation bezweckt und mit gutem Willen wohl durchführbar erscheint, festhalten, und es haben demselben auch einige Kantone dadurch, dass sie den ausgedienten Geniesoldaten Gewehre und den ausgedienten Kavalleristen Säbel überliessen, in richtiger Weise entsprochen. Immerhin sind wir damit einverstanden, dass den Angehörigen der Spezialwaffen nur auf jeweiliges besonderes Gesuch hin gemäss dem Bundesratsbeschluss vom 7. Januar 1908 Gegenstände der Bewaffnung und Ausrüstung zu Eigentum herausgegeben werden.

Nach § 6 der Bekanntmachung betreffend den Übertritt Dienstpflichtiger in die Landwehr und den Landsturm und den Austritt aus der Wehrpflicht, vom 24. Januar 1908 (Militäramtsblatt pag. 122) ist den zur Landwehr übertretenden Kavalleristen der Karabiner zu belassen. Diese Kavalleristen werden dann ihre Schiesswaffe nach vollständig erfüllter Dienstpflicht gemäss dem
Bundesratsbeschluss vom 7. Januar 1908 behalten können.

Eine Wiederbewaffnung und Wiederausrüstung von Leuten, welche beim Übertritt in die Landwehr oder in den Landsturm Gegen-

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stände der militärischen Ausrüstung abgegeben haben, ist bis jetzt nicht vorgeschrieben worden, und es bleibt eine solche Massnahme späterem Ermessen vorbehalten. Dienstpflichtigen, welche, wie z. B. die Parkkanoniere, erst in der Landwehr mit einem Gewehr ausgerüstet worden sind, muss diese Waffe gemäss Art. 94 zu Eigentum überlassen werden.

6. Der Anregung, es seien den ausgedienten Offizieren und höhern Unteroffizieren Gewehre unentgeltlich zu überlassen oder doch nur gegen geringes Entgelt zu verkaufen, kann ebensowenig entsprochen werden wie der Anregung, es seien den Wehrmännern, welche die Dienstpflicht nicht vollständig erfüllt haben, Gegenstände der Bewaffnung und Ausrüstung zu einem herabgesetzten Preise zu verkaufen.

Wir dürfen nun erwarten, dass sich auf Grund der vorstehenden Weisungen ein einheitliches Verfahren ergeben wird, und benutzen im übrigen den Anlass, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 18. September

1908.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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1908

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23.09.1908

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