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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Apothekers Atos Vigevani in Locarno, betreffend Annullierung einer Eintragung im Handelsregister.

(Vom 3. März 1908.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat hat über den Rekurs des Apothekers Atos V i g e v a n i in Locamo, betreffend Annullierung einer Eintragung im Handelsregister, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss

gcfasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 2. April 1906 wurde die zum Betrieb der Farmacia Centrale in Locamo zwischen Luigi Saudino und Atos Vigevani bestehende Kollektivgesellschaft unter der Firma ,,S a u d i n o & Vige v ani " im Handelsregister gelöscht und als Nachfolgerin die Firma ,,Atos Vigevani succ re a Saudino & Vigevani " eingetragen (S. H. A.B. Nr. 144 vom 6. April 1906, pag. 573). Der Registerführer nahm diese Eintragung vor, gestützt auf die einseitige Erklärung des Gesellschafters Atos Vigevani, welcher ihm einen Vertrag vom 27. November 1897 vorwies, wonach die Kollektivgesellschaft ,,Saudino & Vigevani" aufgelöst worden wäre. Die Eintragung im Journal ist nur von Atos Vigevani unterzeichnet ; die Unterschrift von Luigi Saudino fehlt und auch der genannte Vertrag wurde nicht bei den Akten des Handelsregisters deponiert,.

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Mit Eingabe vom 2S./29. August 1907 beschwerte sich Luigi Saudino hierüber beim Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Tessins als Aufsichtsbehörde über das Handelsregister und verlangte Annullierung dieser Eintragung. Letztere sei ohne Wissen und "Willen des Beschwerdeführers unter Missbrauch des guten Glaubens des Registerführers erschlichen worden. Der Vertrag vom 27. November 1897 erkläre die Kollektivgesellschaft ,,Saudino & Vigevani" gar nicht als aufgelöst; die Gesellschaft sei übrigens in der Folge ausdrücklich erneuert worden und bestehe laut neueren Verträgen vom 22. September 1899 und 3. Juli 1904 nach wie vor weiter, und zwar nach dem letztgenannten Vertrag bis zum 2. November 1910.

Das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Tessin verfügte darauf durch Schlussnahme vom 10. September 1907 die Annullierung der Eintragung vom 2. April 1906 im Handelsregister von Locamo, gestützt auf folgende Erwägungen : Gleich wie die Eintragung einer Kollektivgesellschaft muss auch die Löschung von sämtlichen Gesellschaftern unterzeichnet sein (Art. 554 O.-R.). Fehlt eine Unterschrift, so hat der Registerführer die Anmeldung zurückzuweisen. Da im vorliegenden Falle die Unterschrift von Luigi Saudino fehlte, so ist die Löschung der Firma ,,Saudino
Wenn auch die Frage, ob eine Gesellschaft zu Recht bestehe oder nicht, in materieller Hinsicht durch die Gerichte zu entscheiden ist, so steht doch die Entscheidung der Frage, ob eine Eintragung oder Löschung den formellen Anforderungen entspreche, in der Kompetenz der Aufsichtsbehörden über das Handelsregister. Diese haben das Recht und die Pflicht, eine unrichtige Eintragung zu annullieren (Entscheid des Bundesrates vom 25. Mai 1886 in Sachen ,,Öffentliches Lagerhaus" -- S. H. A. B.

Nr. 53 vom 29. Mai 1886, pag. 375 -- Handbuch für die schweizerischen Handelsregisterführer, deutsche Ausgabe, Seite 77, französische Ausgabe, Seite 74/75).

II.

Mit Eingabe vom 15. September 1907 hat Atos Vigevani gegen diese Verfügung an den Bundesrat rekurriert. Zur Begründung macht er im wesentlichen folgendes geltend : Die Kollektivgesellschaft unter der Firma ,,Saudino&Vigevani" ist durch Übereinkommen vom 27. November 1897 aufgelöst vror-

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den. Es war nicht nur das Recht, sondern gemäss Art.871/872 O.-R.

die Pflicht des Rekurrenten, den auf ihn erfolgten Übergang des Geschäftes eintragen zu lassen.

Der Registerführer von Locamo hat Art. 554 O.-R. und Art. 29 der Verordnung über das Handelsregister nicht verletzt, als er die eingetretene Änderung gestützt auf den ihm vorgelegten Vertrag über die Abtretung des Geschäftes in das Handelsregister eintrug. Die Art. 871/872 O.-R. und 25 und 29 der Verordnung verpflichteten ihn vielmehr, die Änderung von Amtes wegen einzutragen.

Die Annullierung dieser Eintragung lässt sich nicht mit der Abmachung vom 3. Juli 1904 rechtfertigen, weil diese den Abtretungsvertrag vom 27. November 1897 weder aufhebt noch ihm derogiert, sondern ein blosser Dienstvertrag und deshalb auch nicht ins Handelsregister eingetragen worden ist.

Die zu entscheidende Frage ist nur die, ob die Kollektivgesellschaft unter der Firma ,,Saudino & Vigevaui"1 noch besteht oder ob sie durch spätere Abmachungen aufgelöst wurde.

Der Entscheid hierüber, sowie über die Natur nnd die Tragweite der verschiedenen Verträge gehört aber ausschliesslich in die Kompetenz des Richters. Die Handelsregisterbehörden, vor welchen weder ein kontradiktorisches Verfahren stattfindet, noch eine prozessmässsige Beweisführung möglich ist, können nicht darüber entscheiden. Dies sagt auch Art. 30 der Verordnung über das Handelsregister ausdrücklich.

III.

Luigi Saudino, dem die Beschwerde zur Kenntnisnahme mitgeteilt wurde, beantragt mit Eingabe vom 1. Oktober 1907 Abweisung. Er führt aus, durch den Vertrag vom 27. November 1897 sei bloss die Apotheke an Vigevani abgetreten, die Gesellschaft aber keineswegs aufgelöst worden ; die tessinische Aufsichts-.

behörde sei zur Aufhebung der Eintragung kompetent gewesen, da Art. 30 der Verordnung bloss die Streitigkeiten über das Recht an der Firma und den Schutz dieses Rechtes an die Gerichte verweise, nicht aber die Beschwerden über die formwidrige Eintragung unrichtiger Tatsachen.

Bei der Löschung der Kollektivgesellschaft ,,Saudino
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dem Zusatz ,,suceTM a Saudino & Vigevania hätte nämlich nach der strikten Vorschrift des Art. 554 O.-R. unbestreitbar auch Luigi Saudino mitwirken sollen. Die Unterschrift Saudinos konnte auf keinen Fall durch eine Privaturkunde ersetzt werden ; im vorliegenden Falle ist eine solche übrigens nicht einmal als Beleg zu den Eegisterakten gegeben, sondern dem Registerführer, lediglich zur Einsieht vorgewiesen worden. Der vorgewiesene Vertrag hat aber einerseits gar nicht die Bedeutung einer Auflösung der Gesellschaft, und anderseits sind die Unterschriften, die er trägt, nicht einmal beglaubigt; der Registerführer durfte sie daher unter keinen Umständen als authentisch betrachten.

IV.

Auch das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Tessin beantragt Abweisung des Rekurses. In seiner einlässlichen Vernehmlassung vom 28. Oktober 1907 macht es im wesentlichen folgendes geltend: 1. Welche Tragweite die verschiedenen zwischen Vige vani und Saudino abgeschlossenen Verträge haben, ist allerdings nicht durch die Registerbehörden, sondern durch den Richter zu entscheiden. Allein die Entscheidung der Frage, ob die für Löschung einer Kollektivgesellschaft geltenden gesetzlichen Formvorschriften beachtet worden seien, ist Sache der Registerbehörden.

2. Dass bei der Löschung der Firma ,,Saudino & Vigevania den klaren Vorschriften des Art. 554, Absatz l O.-R. entgegengehandelt worden ist, weisen sowohl der angefochtene Entscheid selbst (vide oben, Ziffer I), als die Vernehmlassung Saudinos (oben Ziffer TU) deutlich nach. Der von Vigevani dem Registerführer vorgewiesene Vertrag vom 27. November 1897 ist nicht die von Art. 554, l O.-R. verlangte authentische übereinstimmende Erklärung aller Beteiligten, auf Grund welcher die Löschung allein hätte vorgenommen werden dürfen.

3. Immerhin muss hervorgehoben werden, dass dieser Vertrag durch das spätere Übereinkommen vom 22. September 1899 und dasjenige vom 3. Juli 1904 gerade in der Hauptsache völligaufgehoben wird ; denn in den letztgenannten Verträgen wird die Fortsetzung der Gesellschaft ausdrücklich erklärt. Indem Vigevani dem Registerführer von Locamo die Existenz dieser Verträge verheimlichte, hat er diesen Beamten geradezu hinters Licht geführt.

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B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Es sind zwei Fragen auseinanderzuhalten : 1. die Frage, ob die Kollektivgesellschaft unter der Firma .^Saudino & Vigevani aufgelöst ist oder noch besteht, und 2. die Frage, ob die formellen Voraussetzungen für die Löschung der Firma vorhanden waren, oder ob die am 2. April 1906 erfolgte Löschung als ungesetzlich zu annullieren sei.

Mit der ersten Frage haben sich die Handelsregisterbehördeti nicht zu befassen ; sie fällt in die Kompetenz des Richters. Die zweite Frage fällt dagegen in die Kompetenz der Registerbehörden.

II.

Der Bundesrat hat von jeher den Grundsatz befolgt, dass Eintragungen der Registerführer durch die Aufsichtsbehörden wieder annulliert werden können und müssen, wenn sie auf Grund irriger Voraussetzungen vorgenommen worden sind (vgl.

den Rekursentscheid vom 25. Mai 1886 in Sachen ,,Öffentliches Lagerhaus" -- S. H. A. B. Nr. 53 vom 29. Mai 1886, S. 375 ; Siegmund, Handbuch für die schweizerischen Handelsregisterführer, S. 77, v. Salis, Bundesrecht, II. Auflage, IV. Nr. 1584).

Dem steht der Fall gleich, wo eine Eintragung auf Gruud einer mangelhaften Anmeldung erfolgt ist, wo also die gesetzlichen Formvorschriften verletzt worden sind.

Die Behauptung des Rekurrenten, dass die aufgeworfene Frage der Gültigkeit der Löschung der Firma .,,Saudino & Vigevani1'' durch Art. 30 der Verordnung über das Handelsregister der Kompetenz der Registerbehörden entzogen sei und nur durch die Gerichte entschieden werden könne, ist irrig. Der zitierte Art. 30 der Verordnung greift hier nicht Platz. Er bezieht sich in erster Linie auf Streitigkeiten aus dem Firmenrecht und beruft sich deshalb auch ausdrücklich auf Art. 876 O.-R.: ,,Streitigkeiten zwischen Privaten über Löschungen oder Änderungen (0. 876) entscheiden die Gerichte auf dem Wege des Prozesses."1 Er lehnt die Kompetenz der Registerbehörden zu Entscheidungen über Fragen materiellen Rechtes ab. Dagegen entzieht er ihnen die Kompetenz der Entscheidung keineswegs, wenn es sich um die Frage der formellen Richtigkeit einer Eintragung handelt.

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m.

Nun schreibt Art. 554, O.-R. in Absatz l vor: ,, D i e A n m e l d u n g zur E i n t r a g u n g der im vorhergehenden Artikel (der vom Inhalt der Anmeldung einer Kollektivgesellschaft handelt) unter l--4 erwähnten Tatsachen oder einer V e r ä n d e r u n g derselben m ü s s e n v o n a l l e n G e s e l l s c h a f t e r n p e r s ö n l i c h vor der Registerbehörde u n t e r z e i c h n e t oder in b e g l a u b i g t e r Form eingereicht werden."

Da auch die Auflösung der Gesellschaft eine Änderung der eingetragenen Tatsachen ist, so muss auch deren Anmeldung von allen Gesellschaftern persönlich unterzeichnet oder in beglaubigter Form eingereicht werden.

Bei der am 2. April 1906 vorgenommenen Löschung der Firma ,,Saudino & Vigevani" hat der Gesellschafter Saudino nicht mitgewirkt. Die Löschung ist ohne sein Wissen und gegen seinen Willen erfolgt auf das einseitige Begehren des Rekurrenten Vige vani.

Der Vertrag vom 27. November 1897 kann die fehlende Anmeldung selbstverständlich nicht ersetzen, auch wenn die Unterschriften beglaubigt gewesen wären.

Die Löschung war daher gesetzwidrig und musste annulliert werden.

Demnach wird e r k a n n t : Die Rekurs ist als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 3. März 1908..

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Apothekers Atos Vigevani in Locarno, betreffend Annullierung einer Eintragung im Handelsregister. (Vom 3. März 1908.)

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1908

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11.03.1908

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