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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Rekurs des Cercle des Travailleurs in Freiburg.

(Vom 5. November 1907.)

Tit.

Der Cercle des Travailleurs in Freiburg hat unterm 22. Mai 1907 einen Rekurs an die Bundesversammlung gerichtet, dahin gehend, es sei der Beschluss des Bundesrates vom 22. März 1907, mit welchem dem Telegraphenboten August Chassot in Freiburg die Annahme des Amtes eines Gemeinderatsmitgliedes untersagt worden ist, aufzuheben und Chassot für die Zukunft zu ermächtigen, das Amt eines Gemeinderates, zu welchem er von 722 Bürgern berufen worden war, auszuüben.

Der Sachverhalt ist folgender : Am 11. März 1907 teilte der Telegraphenbote August Chassot in Freiburg der Kreistelegrapheninspektion in Bern mit, er sei zum Mitgliede des dortigen Gemeinderates gewählt worden. Mit dieser Mitteilung verband er das Gesuch, es möchte ihm gestattet werden, dieses Amt anzunehmen, da in der Woche nur eine Sitzung und zwar Dienstag abends 4 Uhr stattfinde, und er sich zur Teilnahme an diesen Sitzungen der Ruhetage bedienen könne, die er im allgemeinen jeden Montag oder Dienstag geniesse.

Eine dienstliche Störung habe dies nicht zur Folge. Auch bestehe eine Diensttour, gemäss welcher ein Bote von 3 bis 6 Uhr frei sei.

Die Kreistelegrapheninspektion bemerkte zum Gesuche, dass zu den ordentlichen, wöchentlichen Sitzungen noch ausserordentliche Aufträge, Expertisen etc. kämen und dass die Bekleidung

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einer Gemeinderatsstelle Dienstversäumnisse im Gefolge hätte.

Überdies sei das Amt eines Gemeinderatsmitgliedes in Freiburg mit Fr. 1200 per Jahr besoldet.

Im Einverständnisse mit der Telegrapheninspektion und in Anwendung des Art. 2 der Verordnung über die Unvereinbarkeit anderweitiger Stellen und Berufe mit eidgenössischen Anstellungen, vom 21. Februar 1899 beschloss daher der Bundesrat in seiner Sitzung vom 22. März 1907, es sei dem Telegraphenboten Chassot in Freiburg die Annahme des Amtes eines Gemeinderatsmitgliedes nicht zu gestatten.

Inzwischen hatte Chassot das Amt am 23. März angetreten, was er am 30. März nach Kenntnisnahme von vorstehendem Entscheide der Telegrapheninspektion zu Händen der Telegraphendirektion und des Post- und Eisenbahndepartements mitteilte, um angesichts des bevorstehenden Rekurses seiner Wähler das Gesuch zu stellen, es möchte ihm bis zur Erledigung dieses Rekurses und mit Rücksicht darauf, dass der Bestelldienst unter dem neuen Amte nicht leide, die provisorische Bekleidung des letztern gestattet und gleichzeitig angegeben werden, warum sein Gesuch um Bewilligung der Annahme des Amtes abgelehnt worden sei.

Leider hatte die Kreistelegrapheninspektion, als sie mit Zuschrift vom 26. März 1907 dem Telegraphenbureau Freiburg den Entscheid des Bundesrates vom 22.'März mitteilte, unterlassen, diesen Entscheid in extenso wiederzugeben. Überdies wies sie unrichtigerweise auf den Art. 5 statt auf den Art. 2 der erwähnten Verordnung hin.

Das Post- und Eisenbahndepartement antwortete Chassot auf sein Gesuch vom 30. März, dass es letzterm in Anbetracht des in Aussicht gestellten Rekurses und des Bundesratsbeschlusses vom 22. März nicht entsprechen könne und verwies den Gesuchsteller ferner auf die Gründe, welche die Telegrapheninspektion in ihrer ablehnenden Begutachtung des Gesuches vom lì. März angeführt hatte.

In seinem Rekurse an die Bundesversammlung hebt nun der Cercle des Travailleurs folgendes hervor : ,,1. Im Art. 5 der Verordnung über die Unvereinbarkeit anderweitiger Stellen und Berufe mit eidgenössischen Anstellungen, vom 21. Februar 1899, findet sich nichts, das sich auf den vorliegenden Fall anwenden lässt. Dieser Artikel lautet folgendermassen : ,,,,Die Betreibung anderer Nebenberufe und Geschäfte ist

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den eidgenössischen Beamten und Angestellten nur insofern gestattet, als dadurch die Erfüllung ihrer dienstlichen Verrichtungen nicht beeinträchtigt wird oder es sich nicht um solche Beschäftigungen handelt, die als unzulässig erklärt sind oder die ihrer Natur nach mit den Interessen der eidgenössischen Verwaltung sich nicht vereinbaren lassen.""

,,Das Amt eines Gemeinderates hätte den Dienst des Chassot in keiner Weise beeinträchtigt.

,,Es wäre übrigens richtiger gewesen, den Entscheid des Bundesrates auf die Art. l und 2 der mehrerwähnten Verordnung zu basieren.

,,Diese Artikel lauten : ,,,,Art. 1. Ein eidgenössischer Beamter oder Angestellter darf eine kantonale Beamtung oder Anstellung oder die Wahl in eine kantonale Behörde nur dann annehmen oder beibehalten, wenn er die Erlaubnis des Bundesrates hierzu nachgesucht und erhalten hat.

,,,,Der Begriff der kantonalen Anstellung beziehungsweise Behörde umfasst auch die öffentlichen Stellen der Bezirke und Gemeinden. "" ,,,,Art. 2. Diese Ermächtigung soll nicht erteilt werden, wenn davon eine Versäumnis der obliegenden Amtspflichten oder sonst ein Nachteil für den eidgenössischen Dienst überhaupt zu befürchten ist; sie kann jederzeit zurückgezogen werden, wenn sich in der Folge Übelstände zeigen.""

,,Die Telegraphenverwaltung ging übrigens von diesem Gesichtspunkte aus, als sie das Gesuch des Chassot dem Bundesrate vorlegte; hätte es sich um andere Nebenberufe und Geschäfte im Sinne des Art. 5 der zitierten Verordnung gehandelt, so hätte eine Departementsverfügung genügt.

,,Der zur Abweisung angegebene Vorwand steht in formellem "Widerspruche mit den Tatsachen.

,,2. Wenn wir nun die Art. l und 2 zergliedern, so konstatieren wir, dass unser hoher Bundesrat keine Gattung von Unvereinbarkeit zwischen kantonalen oder Gemeindeämtern und eidgenössischen Anstellungen festsetzt. Er verlangt bloss, dass um seine Bewilligung nachgesucht werde.

,,3. Was die Einschränkungen anbetrifft, welche den Art. 2 bilden, so stellen wir fest, dass die gegenwärtigen Stundenpläne einem der Boten erlauben würden, den Sitzungen des Gemeinde-

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rates beizuwohnen, ohne hierzu besondern Urlaub nehmen zu müssen. Es würde zuweilen genügen, die Diensttouren zu tauschen.

,,4. Schliesslich geniesst Chassot jährlich 60 Ruhetage, welche fast auf das ganze Jahr verteilt sind und die ganz wohl auf den Dienstag, als den wöchentlichen Sitzungstag des Gemeinderates, angesetzt werden könnten. Zum Teil ist dies jetzt schon so.

,,Es wäre daher kein ernstlicher Nachteil für den Dienst dieses Telegraphenangestellten zu befürchten gewesen. Schliesslich hätte man einen Versuch machen können, wenn man doch das Recht hat, eine Bewilligung zu jeder Zeit zurückzuziehen.

,,Der Cercle des Travailleurs verlangt von den eidgenössischen Kammern, dass sie den Beschluss des Bundesrates aufheben und Chassot für die Zukunft ermächtigen, das Amt eines Gemeinderatsmitgliedes zu bekleiden."1 Ad 1. Wie aus vorstehender Darstellung hervorgeht, fusst der abweisende Beschluss des Bundesrates auf den Art. l und 2 und.nicht auf dem Art. 5 der Verordnung über die Unvereinbarkeit anderweitiger Stellen und Berufe mit eidgenössischen Anstellungen, vom 21. Februar 1899. Der Einwand, der Beschluss beruhe auf einem Formfehler, fällt deshalb von vorneherein dahin.

Ob übrigens die Abweisung eines Gesuches, wie das in Frage stehende, auf diesem oder jenem Artikel der Verordnung fusse, ändert an dem Standpunkte nichts, dass der betreffende Departementsvorsteher oder der Bundesrat einzig kompetent ist, zu beurteilen, ob einem Beamten oder Angestellten die Ausübung eines Nebenberufes oder einer Nebenbeschäftigung bewilligt werden kann.

Ad 2. Aus diesem Grunde hat der Bundesrat keine Gattung von Unvereinbarkeit kantonaler oder kommunaler Ämter mit eidgenössischen Anstellungen aufgestellt, resp. sich das Recht vorbehalten, in solchen Fragen von Fall zu Fall zu entscheiden.

Ad 3. Der Stundenplan der drei Telegraphenboten in Freiburg enthält allerdings eine Diensttour, die von 3 bis 6 Uhr nachmittags unterbrochen ist. Wäre Chassot diese Diensttour an Dienstagen, eventuell durch Diensttausch mit einem seiner beiden Kollegen, zugefallen, so hätte er an diesen Tagen abends von 4 bis 6 Uhr den Sitzungen des Gemeinderates beiwohnen können.

Laut Information des Telegraphenbureaus Freiburg dauern diese Sitzungen aber meistens bis 7 Uhr abends, so dass Chassot an der Dienstbesorgung von 6 bis 7 Uhr verhindert gewesen wäre.

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Aber auch seine Kollegen hätten sich, laut ihrer mündlichen Erklärung, nicht dazu hergegeben, jedes Mal mit Chassot die hiervor genannte Diensttour zu tauschen, wenn er sie für sein Gemeindeamt nötig gehabt hätte und sie ihm nicht durch den Stundenplan zugefallen wäre.

Als Präsident der Kommission betreffend das Steuerwesen und als Suppléant in der Finanz- und Waisenbehörde hätte Chassot übrigens nicht bloss an den wöchentlichen Sitzungen des Gemeinderates, sondern auch an andern Sitzungen und Expertisen teil nehmen müssen. Hierfür spricht auch das fixe Einkommen von Fr. 1200 per Jahr, das Chassot als Mitglied des Gemeinderates bezogen hätte.

Seinen Dienst diesen Sitzungen anzupassen, hätten die Bedürfnisse des Verkehrs nicht erlaubt. Auch wäre es angesichts des Art. 6 des Bundesgesetzes über die Arbeitszeit, vom 19. Dezember 1902, nicht tunlich gewesen, Chassot während seiner öftern Absenzen durch einen dienstfreien Kollegen zu ersetzen, Die Behauptung, dass durch die Bekleidung des Amtes eines Gemeinderates durch Chassot der Dienst dieses Telegraphenangestellten gelitten hätte, bleibt daher aufrecht.

Ad 4. Die Verteilung der gesetzlichen 60 Ruhetage des Chassot hätte sich nicht nach seinen gemeindeamtlichen Verhinderungen richten können, da das hiervor erwähnte Gesetz in seinen Art. 6 und 7 vorschreibt, dass von den 60 .Ruhetagen mindestens 17 auf Sonntage zu fallen haben und 8 Tage als zusammenhängender Erholungsurlaub genossen werden müssen.

Im Sinne und Geiste dieses Gesetzes liegt es überdies, dass die Ruhetage als solche und nicht zur Ausübung eines Nebenberufes benutzt werden.

Wir halten dafür, die Rekurrenten hätten sich mit dem uns gemäss Art. l und 2 der Verordnung über die Unvereinbarkeit anderweitiger Stellen und Berufe mit eidgenössischen Anstellungen, vom 21. Februar 1899, zustehenden e n d g ü l t i g e n Entscheid begnügen sollen, und Sie dürften sich schon von diesem Gesichtspunkte aus veranlasst finden, auf die Berufung an Ihre Instanz nicht einzutreten.

Aber auch die oben entwickelten materiellen Gründe berechtigten uns zu dem Antrage, den Rekurs des Cercle des Travailleurs abzuweisen.

411 Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den S.November 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Riagier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Rekurs des Cercle des Travailleurs in Freiburg. (Vom 5. November 1907.)

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