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Schweizerisches

uudesblatt.

Jahrgang ¥1. f&and III.

Nro.

53.

Donnerstag, den 23. November 1854.

Man abcnnlrt ausschließlich beim nächst gelegenen Postamt. Preis für das Jahr 1854 im ganzen Umfange der Schweiz portofrei $rfn. 4. 40 Centimen. Inserate sind sranfirt an die Expedition einzusenden. Gebühr 15 Centimen per Zeile oder deren Raum.

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Botschaft des

Bundesrathes an die beiden gesezgebenden Räthe der schweiz. Eidgenossenschaft, betreffend den Rekurs der Regierung von St. Gallen aber die Kompetenz in Steuersachen.

(Vom 17. November 1854.)

.nt.

Unterm 19. Juli d. I. hat der h. Ständetath uns eingeladen, über einen Rekurs der Regierung von St.

Gallen d. d. 16. Juni d. J., betreffend die Steuerver-* hältnisse der Niedergelassenen, bis zur nächsten Winterfizung den beiden gesezgebenden Räthen einen Bericht zu hinterbringen.

Die sämmtlichen erheblicheren Momente, welch« die Regierung von St. Gallen in dieser Rekursschrist an* Buadesblott, Jahrg. VI. Bd. HI.

^

470 führt, find von ihr in Beantwortung einer Beschwerde der Regierung von Thurgau früher fchon theils ent# wikelt, theils berührt worden, weßhalb und in Betrache der prinzipiellen Wichtigkeit der Sache wir uns veranlaßt gesehen haben, in unferm sachbezüglichen Beschlusse, gegen welchen jezt rekurirt wird, auf jene Gründe fpeziell einzugehen und unsre Entscheidung einläßlich zu motiviren. Wir müssen daher jenen Beschluß seinem ganzen Inhalte nach in diesen Bericht aufnehmen 'und könneit uns dann darauf beschränken,, einige wenige Bernerfungen, wozu uns die Rekursschrift speziell Anlaß gibt,, beizufügen. Es lautet derselbe wie folgt : *) ,,Mit Zuschrift vom 17. März v. I. hat die Regierung von ïhurgau folgendes vorgestellt : Nach den thur* gauifcheK Gesezen seien auch die ûbwesenden (außer feern Kanton befindlichen) Bürger verpflichtet, in einem ge* wissen .Umfang zu den Auslagen ihrer Heimathsgemsinöe in Kirchen-, Schul- und Armenfachra beizutragen unto viele Gemeinden seien durch die steigenden Ausgaben geno.ligt worden, von diesen Gesezen Gebrauch zu machen. .Jimi seien sehr viele 3.httrgauer im Kantern St. ©allen niedergelassen, welche fich der Besteurung widersezen and glauben berechtigt zu fein, den dntfcheid der St. ©allischen Gerichte anjurusett, während hingegen die thurgauische Regierung in der Anficht flehe, daß, wenn die Besteuerten die geforderte Steuer quali* tati» oder quantitativ bestreiten »ollen, fie den Rekurs an die thurgauischen Administrativbehörden nach Maßgabe der feoïtigen Geseze zu ergreifen haben. In der Hepfalls gepflogenen Korrespondenz habe jedoch die Re* von St. Gallen den Saz aufgestellt, daß die ·) Vergi Biindesbtatt vorn Iahr 1853, Band II, Seite 575--594«

ä

Schweizer für Steuern, »k für andere persönliche Ansprachen, am Orte ihres Sohnjlzes und nach den dortigen Gesezen belangt werden müssen.. Gegenwärtig liegen zwei derartige Syezialfälle vor : 1) Sie Gemeinde Wnppenau habe auf ein neues Schulhaus 3725 fl. 15 kr. verwendet, und ale fie 25 im Kanton St. ©allen wohnhafte Bürger für ihrrn gesezlichen Beitrag belangte, set dei Streit an den dortigen Ciüilrichtet verwiesen worden.

2) Das Nämliche habe staügefundeit bei nner Armenstetin. im Betrage von 18 fl, welche die evangelische ©emeinde Romanshorn »o« einem ihres Bürger in ©t. ©allen geforberj habe, ,,S)ic thuîgauische Regierung glaube noen, daß ihre Kirchen-, (Schul- und Armenvorfleherschaften nicht angehalten werben können, vor ben St. Gallischen ®enchten zu beweisen, daf. ihre Mitbürger steuerpflichtig seien und zu gewärtigen, ob jene ©mchte iene Anwendbarkeit der ihurgouischen Sieuergeseze auf Ü.'iiedergelassene im Kanton @L ©allen anerkennen wellen oder nicht. uDenti gang abgesehen »ora (Erfolge mfifien jene ihwt.ga«ifchen B?horbe.i wegen ttneebeistender Steuerquoten eine Menge »citläufiger imd fofif-pielfger Prozesse im Kanton St ©öllen anheben, ·woburch sie gezwungen würden, entweder liebet auf die Befieurung p »erzichteit, oder bei einem zuffißigen spätem Anlajje ihr Recht geltend zu machen.

Allen diese« ttebelstärabra könnte abßeholfra werden, wenn die ..Regierung von Sì. ©allen in solchen gällen ber Erelutton den gortgatig gejiaUra würde, sofern die besteuerten Viltà erg Klassen en nicht bescheinigen, daß fie an die kompetenten ...bern thurgauischen Behörden Rekurs ergriffen haben.

472 ,,Die Regierung von Thurgau schlieft die Beschwerde mit der Erklärung, daß fie bezweke, eine prinzipielle Entfche.dung über die Frage hervorzurufen, ob die Heimathsbehörde eines auswärts Niedergelassenen kompetent sei. Anstände, betreffend Kirchen-, Schul- und Armensteuern zu entscheiden ; im bejahenden Falle stelle sie dann zugleich das Gesuch, daß den Stenerforderungen in den erwähnten zwei Spezialfällen weitere Vollziehung verschafft werden mochte.

,,Diese Beschwerde wurde der Regierung von St.Gallen mitgetheilt und von derselben am 15./21. Dezember 1852 sehr einläßlich erwidert. Wir fassen das Wefent't liche dieses Berichtes mit Nachfolgendem zusammen : ,,Di'e thurgauische Regierung begründe ihre An* schauungsweise auf den Art. 3 der Bundesverfassung und leite aus diesem die Befugniß her, bei streitigen Steuerforderungen auch über die Gränze ihres Kantons .hinaus verbindliche Entscheidungen zu fassen. Diese ·Anficht könne die Regierung von St. Gallen nicht theiIen, auch bestehe dort mit einer einzigen Ausnahme, begüglich auf neue Kirchenbauten, der Grundfaz, daß der IRiedergelassene gleich dem Ortsbürger am Niederlassungs-..

orte steuerpflichtig sei. Im Allgemeinen betrachte fie den Niedergelassenen in Steuersachen als den Gesezen des Wohnorts unterworfen und eine Vesteurung desselben für Zweke des Heimathskantons oder der Heimathsgemeinde als von der Gesezgebung und Gerichtsbarkeit des Nie* berlassungskantons abhängig. Die Kantone seien allerbings souverän, aber nur innerhalb der Schranken des Bundes und nur neben einander, jeder auf feinem Ge·Mete, so daß das nämliche Hoheitsrecht gegenüber der gleichen Person oder Sache nur von e i n e m Kanton, nicht von z w e i e n zugleich ausgeübt werden konne; eine

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47a doppelte Iurisdiftion über denselben Gegenjiand sei nicht gedenkbar. Das Gleiche müsse auch im Bundesstaate gelten; d.er Bürger des zu einem E i n e n und G a n z e n gewordenen Bundesstaates könne rükfichtlich der gleichen Pflicht nicht doppelt verbunden sein.

"Durch Art. 41, Ziss. 4 und 5 der Bundesverfassung, fei das Bestenrungsrecht gegenüber von Niedergelassenen dem Niederlassungsi-anton eingeräumt; auch gebe es wol keinen Kanton, welcher nicht für Kantonalzweke die Niedergelassenen so gut wie die Bürger besteure, und umgekehrt habe wol kein Kanton je prätendirt, seine in andern Kantonen niedergelassenen Bürger für heimische Kantonalzwcke mit Staatsfienern zu verfolgen.

Der gleiche ©rnndfaz müsse aber auch bei ©emeindesteuern gelten. Nun [ei bereits dargcthan, daß dem Niedcrlassnngskanton das Besteurungsrecht gegen Niedcrgelassene zustehe, und zwar unzweifelhaft auch in Gemeindesachcn, theils durch gleichförmige Belastung derselben mit den Ortsbürgern, theils durch Auflegung von Leistungen, welche nicht größer sein dürfen, als diejenigen der Niedergelassenen des eigenen Kantons; und selbst die Beschränkung, daß dieselben in eigentlichen ©einbindesachen von vorherrschend privatrechtlicher Natur nicht mitstimmen dürfen, bestätige nur die Regel. Diefc Besugniß der Besteurung Niedergelassener sei auch wiederholt vom ·..Bundesrathe anerkannt worden, und der Kanton Xhurgau übe dieses Recht unbedingt ans.

Uebrigcns liege dieses Recht in der Natur der Sache; denn dem Niedergelassenen stehe die Kirche und Schule offen, und die Polizei schuze ihn und sein gigenthum.

Umgekehrt sei es den natürlichen Verhältnissen zuir-ider, einen Bürger über die Gränzcn seines Kantons hinaus für Anstalten und Einrichtungen zu belangen, welche

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ihm zur Zeit nur der Niederïassungsort darbiete und die ihm nur dort von Nuzen sein können. Auch der Urnftand ändere hieran nichts, daß ein abwesender Bürger stets heimkehren und in ber Noth UnterPüzung »erlangen könne; denn es liege, eben in der Idee des Bürgerrechts, daß der Bürger jederzeit und auf so lange er roollc, auf fremden Boden und unter fremde ©efezflebung ziehen könne ; inzwischen fei cas Bürgerrecht als schlafend anzusehen, und der heimathliche Staat tJtrzichte .Durch die ©cftattung der auswärtigen Niederlassung auf die Anwendung und Konkurrenz seiner ©esejc. Nach iDern .pojiriveu Wortlaute .Der Bundesverfassung bestehe feie IDee des schweizerischen Bürger- und ..Hieberlnssungerechtes dann, daß ersteres sich über die ganze Schwef*, erstreke, daß leztrns in einer freien, iinbelästfgten Niederlassung und an jedem Drte des Vaterlatsdes kftehe und fern Niedergelassenen politisch dein Drtsbürger gleich stelle. ..Daher gebe es, abgesehen von ©enossen»erhältnissen, neben derjenigen am Riederlassungsorte feine andere Ausübung von Bürgerrechten, folglich auch feinen Zwang zu anderweitiger Erfüllung öon Bürgerpflichten. Von einer freien unbelajligten Niederlassung föune nur dann die Rede [ein, wenn einerseits der Wegzug vom Heimathsorte frei und unbelästigt fei und andererseits der Niedergelassene nelen Pflichten, welche er am Niederlassungsorte zu îragen habe, nicht gleichzeitig und fortlaufend einen Tribut an seine Heimath bezahlen müsse. Diese dop« ipelte Belastung ..»äre tueit schlimmer als alle Erhöhung der Niederlassungsgebühren, und das allgemeine Schweigerbürgerrecht und die Nitderlassung wäre keine Wahr.hat, wenn der Niedergelassene stets einen nachjagentoen Standes* oder Ortsherrn hinter sich zu fürchten

475 und von dortiger Gerichtsbarkeit abhängige Gebühren p entrichten habe.

,,Umgekehrt bleibe die fantonale Soaveräneiät in ihrer ganzen Fülle, wenn sie so weit reiche als ihr .-Eerrito-5 ïium. Daß fie nicht weiter reiche, liege auch im Art. 43 der Bundesverfassung, wonach fein Kantow «nen Bürger des Bürgerrechts verluftig erklären könne, auch wenn derselbe jeder Leistung an seine Heimath entginge. Ein Ausflußf;der Staatshoheit bestehe vielmehr darin, ieden îîebergriff eines andern Staates zurük zu weisen. Dürfe ber Staat den Niedergelassenen besteuern, fo müsse er ihn auch, gleich dem Bürger, vor fremden Lasten schfizen; er infisse ihn nach Art. 41, Ziff. 4 der Bundesverfassung seinen Gesezen gemäß behandeln und könne folglich fein fremdes Gesez auf ihn anwenden lassen. Hiemii stehe im Einîlang der Art. 50 der Bundesversassung, der «nv erkennBar den ©rundsaz enthalte, daß jeder Einwohner, Nie-* dergelassene oder Bürger mit seiner Person und seinem ©esammtöennögen unter der Gesezgebung und Jurisdiktion des Wohnortes stehe. Nun könne es feinem Zweifel unterliegen, daß Steuern, welche nicht besontoers auf liegendem ©ute haften, unter die .personlichen Ansprachen gehören. Der Richter anderswo habe selbst feine Befugniß, für eine Steuer einen momentanen Arrest anzulegen, gefchweige denn sich die Kompetenz in der Hauptsache anzumaßen.

,,Wenn nun auch jedem Kanton die volle Souveräneiät über seine Niedergelassenen zustehe, so verstehe es sich, daß er mehr oder weniger darauf verzichten und durch Konkordate seine Rechte freiwillig beschränke« könne.

Wo aber folche fehlen, sei jeder Kanton Herr in seinem 4?aufe. St. Gallen sei bisher keinem Konkordate beigetreten, welches das Territorialrecht beschränke. Den-

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noch werden auswärtige ©teuerforderungen nicht durch allgemeine Verordnungen aus dem Adminiflrativwege unbedingt ab-, sondern an den Richter gewiesen, weil kein Gesez solche Ansprachen unbedingt verbiete; weil serner eine finguläre Bestimmung des Gemeindesteuergesezes sür einen gaU (bei neuen Kirchenbauten) eine beschränkte Besteurung auswärts wohnhafter Bürger gestatte, besonders aber, weil das Gesez über den Zivil·Prozeß jede Srage aber Steuerpflicht und Steuerbetrag

dem gewöhnlichen Richter zuweise. Die Regierung sei

daher nach Art. 48 der Bundesversassung verpflichtet gewesen, die sraglichen Forderungen gerade so zu be« handeln, wie fie Forderungen des eigenen ginanzdepar* tements behandelt habe. Wenn aber .-Ihurgau für alle Kirchen-, Schul- und Armenkorporationen das Bestenrungs- und Indikaturrecht verlange, so zeige gerade der Umfang diefes Begehrens dessen Unstatthaftigkeit ; denn das Doppelsteuern für Kirchen-, Schul- und Ar* menzweke müsse äußerst drükend werden und das Weg* ziehen sowol, als das anderwärtige Fortkommen sehr erschweren. Endlich seien noch einige spezielle Momente der Gesezgebung geeignet, diese Anschauungsweise beson ders zu unterstüzen, nämlich: a. Die Bundesgesezgebung gestatte ganz ausnahmsweise in einem einzelnen Falle die Ertetritorialität

eines Niedergelassenen, nämlich für die Mitglieder

des Bundesrathes; hier werde ausdrüklich bestimmt, daß diefelben im Heimathskanton politisch berechtigt und verpflichtet seien, namentlich [steuerpflichtig.

Diese Ausnahme bestätige also die Regel, i. Nach Art. 144 und 145 des Bundesgesezes über die Militärorganisation sei die Militärsteuer, so wie der persönliche Militärdienst am Riederlassungs*'

477 orte ju leisten, was der Natur der Sache voll...

ständig entspreche.

c. Der nämlichen natürlichen Richtung feien diejenigen Kantone gefolgt, welche in jüngerer Zeit ihre niedergelassenen Militärpflichtigen günstiger behandelt haben. In St. Gallen wie anderswo haben die Kantone, nicht ohne ihre Belästigung, in den Beiträgen, welche fie den Milizpflichligen leisten, den frühern Unterschied zwischen Bürgern und Niedergelassenen aufgehoben. Die gleiche Gewalt der Umstände und

Prinzipien werde fich weiter in diefer Richtung gel-

tend machen und allmählig die Schranke beseitigen., welche althergebrachte Gewohnheiten zwischen Bürgern und Niedergelassenen aufgerichtet hatten.

,,Wenn alle Kantone fich entschlossen haben, die Niedergelassenen in jeder Hinficht den Bürgern gleich zu stellen, fo werde eine reiche Duelle internationaler Streitigkeiten verfiegen, eine mächtige Scheidewand zwischen Bürgern und Bürgern fallen, die Administration der Kantone und Gemeinden an Einfachheit gewinnen unl> das schweizerische Bürgerrecht erst feine rechte Bedeutnng erhalten.

,,Schließlich spricht die Regierung von St. Gallen die Erwartung aus, daß der Bundesrath, ungeachtet einiger entgegen stehender Entscheidungen in Spezialfällen, in nochmaliger Erwägung der wichtigen, allgemeinen Verhältnisse den Grundsaz anerkenne, daß das Souveränetätsrecht der Kantone fich nicht über ihr Gebiet hinaus erstreke, sondern vielmehr das Recht der Besteurung der Niedergelassenen die fimultane Ausübung des gleichen Rechtes von Seite anderer Kantone ausschließe, und daß mithin das Begehren von Thurgau abzuweisen sei."

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478 ,,So weit die Darstellung der beiden Kantonsregierungen.

,,Der Beurtheilung dieser entgegen stehenden Ansichten müssen wir einige allgemeine Bemerkungen vorausschifen.

,,Obwol eine allgemeine, prinzipielle Entscheidung der Streitfrage, wie sie von Thurgau gewünscht wird, als Bedürfniß ..rfcheint, zumal der fragliche Gegenstand schon wiederholt zwischen andern Kantonen zu Erörterungen führte und noch führen wird, fo liegt .-s nicht in unferer fonftitutionellen Stellung, mit rechtlicher Wirfung dne allgemeine Norm aufzustellen; wir haben es bloß mit der Entscheid-ung der konkreten, streitigen gälle zu thun, und auch diese Entscheidung |at nur dann rechtlichen SSestand, wen« sie von den betheiligten Kantonen oder Prisaten nicht vor eine höhere Instanz gezogen wird. Und wenn auch die Motive unserer Entscheidungen ganz allgemeiner Natur find und somit den Anschein einer prinzipiellen Lösung gewähren, so bleiben sie gleichwol nnr eine unverbindliche Anschauungsweise unserer Behörde. Immerhin kann es nur erwünscht sein, wenn dieser Fall die Einleitung zu einer definitiven Entscheidung bildet, mag sie in diesem oder jenem Sinne ausfallen.

"Eben fo wenig liegt es in unserer Stellung, auf allgemeine ©runde der Zwekmäfjigkeit näher einzutreten. · Es ist in dieser Hinficht manches schone Wort gesprochen worden, das gewichtig in die Wagschale fallen dürfte, wenn es sich um Einführung neuer Bundes- und Kantonalinstitutionen handeln würde. Allein wir haben es nur mit dem bestehenden Rechte zu thun und mit den Verhältnissen, wie fie in ihren Sicht- und Schattenseiten vor uns liegen.

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479 ,,Zur Sache selbst übergehend, haben wir schon in .mehreren Spezialfällen unfere Anficht dahin ausgesprochen, daß eine ©emeinde, welche nach den Stmergefezen ihres Kantons einen abwesenden Bürger besteure, denselben an feinem Domizil belangen müsse, daß aber der leztere, wenn er die Steuerpflicht grundsäzlich bestreite, fich an die kompetenten obern Behörden seiner Heimath zu wenden habe. Wir werden bei der Erörterung des Art. 50 der Bundesveisassung auf diesen Saz und das feadurch 6edingte Verfahren zurü! kommen. Es ist nun biese Anficht, weiche auf dem Prinzip des Art. 3 der Bundesverfassung-beruht, von einem doppelten Gesichts.punite aus bestritten worden, weil nämlich die Sou...·eränetä» des Kantons einerseits durch die Bestimmungen der Bundesverfassung und andererfdts durch das ©einet des Kantons beschränkt werde. Wir müssen bieses grundsäzlich und im Allgemeinen zugeben, kommen «ber such! auf die Schlußfolgerung, daß alle diese Be[chränfungen auf ein reines Territorialsystem der Kantone führen, vielmehr halten wir dafür, diese Beschtänfnngen greifen mehrfach in einander auf Kosten des einen wie des andern Systems und die Grundidee der Bundesverfassung über die Coexistenz der Kantone in bem Bunde sei die: Politische Einheit des Bundes nach außen, verbunden mit möglichster Freiheit der kantonalen Entwik.ung, so weit diese nicht speziell durch den Bund beschränkt ist.

,,Wenn nun verschiedene'Kantone auf Grundlage des Art. 3 der Bundesverfassung ein Steuersystem aufge(tellt haben, wonach die Gemeinden berechtigt werden, .auch ihre abwesenden Bürger für gewisse Steuern in Mitleidenschaft zu ziehen, so fragt es fich »or Allem: Ist dieses Hoheitsrecht der Kantone, die Steuergeseze auf

480 alle ihre Bürger auszudehnen, durch die Bundesaerfassung beschränkt? Großes Gewicht legt hier die Regie* rung von St. Gallen vorzüglich auf den Art. 41, Ziff. 4 und 5 der Bundesverfassung. Diefer enthält aber keinen Widerspruch mit Art. 3. Niemand bezweifett, daß der Niedfrlassungskanton nicht befugt sei, feine Steuergesezgebung auf die Niedergelassenen anzuwenden,, und Thurgau petitionirt nicht, daß St. Gallen die thurgauischen Niedergelassenen mit den dortigen Steuern verschone. Die St. Gallische Sonveränetät, alle Personen und Sachen zu besteuern, die innerhalb feiner Kantonsgränzen sind, steht also nicht im Mindesten in Frage. Allein im Art. 41 ist nichts enthalten, das den Niedergelassenen außer jeden Verband mit feinem Heimathskanton stellt und ihn jeder Verpflichtung gegen denfelben entledigt. Eine solche Folgerung ist nur aus dem St. Gallischen ©efezgebungssystem herein getragen und liegt durchaus nicht im Art. 41 der Bundervevfas* fung. Vielmehr bestimmt dieselbe ausschließlich und ohne alle Rukficht auf den Heimathskanton das Verhältnis des Niederlassungskantons zu dem Niedergelassenen und zwar so, 'daß diesem Kanton zu Gunsten des leztern eine Reihe von Beschränkungen auferlegt werden. Wenn im Eingang des Artikels vom Recht 'der f r e i e n Nieder* lassung gesprochen wird, so weiß wol jedermann, da§ dieser Ansdrnf gebraucht wurde im Gegensaz des fnthern Zustandes, nach welchem die Kantone die Niederlassung überhaupt verweigern oder mit beliebigen Taxen,, Kautionen u. f. w. befchweren konnten. Anders verstanden wäre der Artikel : ,keine Wahrheit; denn es gibt keine k o s t e n f r e i e Niederlassung. Iener Ausdruf wi(Ü also offenbar nichts anderes sagen, als daß jedem Schweizerbürger unter den im Art. 41 enthaltenen Be# dingungen die Niederlassung frei stehe.

481 ,,Wenn nun die St. Gallische Souveränetät in Be* zug auf das Steuerwefen nicht im Mindesten beeinträchtigt wird, fo mag man es auf der andern Seite als «inen Uebelftand betrachten, daß dieselben Personen für gewisse Steuern doppelt in Anspruch genommen werden.

Würde es fich um eine eidgenösjtsche Steuer handeln, so wäre es allerdings eine Unmöglichkeit, diese bei der ·gleichen Person an zwei Orten zu erheben; allein es bandelt fich um Ausflüsse rein kantonaler Gesezgebungen und es ist daher die im St. Gallischen Berichte ausgesprochene Anficht, daß die Bürger des zu einem E i n e n u n d G a n z e n g e w o r d e n e n B u n d e s staates hinfichtlich der gleichen Pflicht nicht doppelt »erbunden sein können, nur relativ richtig, d. h. hinfichtlich der Pflichten gegen den Bund. Die Schweiz ist in Bezug auf ihren innern Organismus nichts weniger als ,, e i n Eines und Ganzes", sondern ein Fünfundzwanzigfaches, das nur in einigen speziellen Beziehungen unter gemeinsamen Grundsäzen und Regeln steht, und es muß namentlich hervorgehoben werden, daß mit Ausnahme der Zölle der Bund keinerlei Abgaben erhebt und daß die ganze Steuergesezgebung Sache der Kantone ist, welche also in dieser Hinsicht unter dem Schuze des Art. 3 der Bundesverfassung stehen, sofern nicht andere Artikel den leztern beschränken. Wurde nun die Möglichkeit, für gewisse Steuern an zwei Orten belangt werden zu können, allerdings als ein Uebelftand anerkannt, so erfordert die Billigkeit, auch die Kehrseite zu betrachten. Während, wie wir bereits bemerkt haben, durch das thurgauifche Begehren weder die St. Gallifchen Steuergefeze, noch die St. Gallifchen Bürger irgendwie berührt und beeinträchtigt werden, hat das Begehren St. Gallens umflekfhrt jur Bolse, daf es

482 sehr tief in die ©efe.jgebnng anderer Kantone eingreift und dieselben zwingen will, sie in ©teuersachen abzuändern und das St. Gallische Syfjem zu adoptiren.

Eben so tief greift es in den Gemefnbehaushalt anderer Kantone ein, so weit dieser sich auf Kirchen-, Schulund Armenzn.'eïe bezieht. So lange das ©emeindcmefen auf den ©rnndlagen beruht, die in einem großen Theile der Schweiz seit Jahrhunderten het.'f.immlich find, tìnte so lange die Kantone befugt find, die SWiedergeJassenen im Verarmungsfalle heim zu fchifen, fo -lange hat das schweizerische -Sürgsrü-echi nicht die hohe und universelle Bedeutung, »eiche ihm in dem Berichte der Regierung von St. ©allen beigemessen wird, und es muß daher als gerecht und billig erfcheinen, wenn, die Steuergesezgebung der Kantone für gewisse bleibende Zweie und Anstalten, bereit uucnlgeldliche -.Öenuzung de« Bürgern oder ihren ...Descendentett zu allen Zeiten offen fleht, dieselben theilweise in SJìiìletbenschaft zieht, wo fie auch sich aufhalten mögen. Die n a c h j a g e n d e n H e r r e n . , deren der St. ©allifche Bericht erwähnt, würdet! t® o l von selbst verschwinden, wenn es feine f o r t j a g e n b e n .-Periren gäbe, oder mit andern Worten, wenn die §3el)oïden des ...Domizils die Niedergelassenen, nachdem sie diefelbcn besteuert, fo lange sie etwas besaßen, · nicht ..jeimschifen würden, sobalo fie verarmt find. Wegen des Schuzes der Personen und des Eigenthums ist es f chï natürlich und billig, die allgemeinen Staats- und ®erae.nbefki..etm am Niedeïlassiingsorie zu bezahlen, und unsere Wissen..? fällt es auch feinem Kantone ein, etwas Abweichendes isejlzuileHen. .Dit; .-..Irmenj-teuern aber dienen nur zur Unterf.:üz.s.ig ber Irraîst, unfe hic? finden die Schweizerbürgcr das Aequivalcnt u«b bie --pllfe in der Noth nur in der Heimath. Sben so pflegen die außerordent-

lichen Auslagen für den Bau neuer Kirchen und SchulCauser aus alltOBürger vertheilt zu werden, »o fie wohnen mögen, weil diese Anstalten auch künftigen Generationen dienen sotten und ein bleibendes Etgenthum der Gemeinde bilden, welcher auch die abwesenden Bürger angehören.

Das eigentümliche dieses Verhältnisses ist so einleuchtend, daß auch St. ©allen, troz des ïerritorialsyjîems, iti Bezug auf Kirchenbauten ein ähnliches Gesez hat, wie dasjenige, gegen welches dieser h. Stand sich dem Kanton .-Ehurgau gegenüber beschwert, und wenn dieses Gesefs auch nicht so weit geht, so läßt sich prinzipiell alles dagegen anführen, was die Regierung von St. ©alle« gegen Thitrgaoe atigefi.ihi't hat.

,,Auch der Art. 43 der Bundesverfassung wurde gegen dieJhurgauifche Beschwerde erwähnt, indem sich daraus ergebe, daß niemand des Bürgerrechts verlustig-erklärt werten fonne, also auch bann nicht, wenn er allfällige Verpflichtungen gegen den Heimathsfanton nicht erfülle,-, Dhne dieseg bestreuen zu wollen, vermögen wir die ·SchluspgWt und den Zusammenhang dieses Sazes mit der vodiegenden ·Srage nicht einzusehen. Denn aus der Unmöglichfett, -einem Bürger fein Bürgerrecht zu entziehen, solgi gewiß .licht, daß ein Kanton nicht befugt sei, denselben für feine Verpflichtungen zu belangen und seine Gesezgebung aus ihn anzuwenden, so weit die bestehenden Bundeseinrichtungen dieses zulassen.

,,Im Centern wuïde des Art. 48 der -.Sundesver* fassung erwähnt, weil nach demfelben die Regierung von St. Gallen sich verpflichtet gefühlt habe, die thurgauischen Niedergelassene..! wie die Kantonsbürger zu behandein. Wir haben bereits gezeigt, daß nicht.! entgegen stehe, die St. Gallischm Steuergeseze auf dieselbe., anzuwenden, und eben fo mag das dortige gerid

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484 Verfahren stattfinden, in so weit die St. Gallischen Gerichte zur Entscheidung kompetent find. Man muß aber nicht übersehen, daß es fich hier um eine Kompe* tenzfrage handelt, welche, wie alle Fragen dieser Art, ganz außer dem Bereiche des Art. 48 liegen, welcher offenbar die Kompetenz vorausfezt.

,,Ein größeres Gewicht scheint die Regierung von St. Gallen auf den Art. 50 der Bundesverfassung zu legen, nach welchem der solvente seßhafte Schuldner für personliche Forderungen an seinem Wohnort zu belangen sei. Wenn wir auch einerseits anerkennen, daß Steuer·forderungen in der Regel nicht dingliche Klagen seien, und wenn wir keineswegs die Abficht haben, dieselben dem erwähnten Verfassnngsgrundsaze und im vorlie* Agenden galle der Aktion der St. Gallischen Gerichte ganz zu entziehen, so hegen wir auf der andern Seite entschieden die Ueberzeugung, daß der Art. 50 fich auf

rein zivilrechtliche Fragen und Verhältnisse bezieht, und keineswegs auf Fragen des öffentlichen Rechts. -Pier handelt es fich aber nicht bloß darum, gegen Steuerforderungen Einreden zivilrechtlicher Natur aufzustellen und deren Beurtheilung den St. Gallischen Gerichten p unterwerfen; sondern die lejtern sollen auch berechtigt werden, über die rein staatsrechtliche grafie ju entscheiden, ob der Kanton Thurgau berechtigt fei, seine ab* wesenden Bürger mit einer Steuer zu belegen. In dieser und nur in dieser Beziehung bestreiten wir die Anwendbarkeit des Art. 50,\weil damit die Kompetenz begründet werden will, über di? Existenz und den'Umfang des ...Sesteurungsrechts anderer Kantone gegenüber seinen Angehörigen zu entscheiden. Aus dem Gesagten folgt daher, daß der Art. 50 auch bei Steuerforderun*

485 gen keineswegs sein... Bedeutung verlieren, sondern sie namentlich in den zwei solgenden Beziehungen beibehält.

1) Die Heimathsgemeinde der besteuerten Bürger ist nicht berechtigt, zur Dekung der Steuer einen Arrest auf sein Vermögen zu legen, sondern fie muß ihn an feinem Wohnort, wie für eine andere Schuldforderung belangen.

2) Im ijalle der Bestreitung können alle Einreden, -welche zivilrechtlicher Natur find, vom Gerichte des Wohnortes ausgetragen werden, z. B. die Einrede der Zahlung, Kompenfation, Novation, Verjährung u. f. w. Dagegen hat das Gericht fich nicht zu befassen mit der I5rage, ob die Besteurung grundsäzlich gerechtfertigt und der Steueranfaj (Verleger) richtig sei, weil die Beurtheilung dieser gragen unzertrennlich ist von der Ausübung des Hohtits* rechts selbst, und daher nicht der Entscheidung kautonsfremder ©erichte nach fremden Gefezen unters werfen werden kann.

,,Nach diesen Grutidsäzen würde sich daher dös Ver# fahren einfach so herausstellen: Wird der .-Besteuerte mit dem Rechtstriebe belangt, und will er die SteuerPflicht an fich oder die ihm auferlegte Duole bestreuen, so wendet er sich an die kompetente Oberbehörde seines .-fjeimathskantons und »erlangt eine Bescheinigung darüber, die er dann derjenigen Behörde seines Wohnort.?, welche die Exekution in Schuldsachen sufpendiren darf, zu diesem Behufe mittheilt. Anerkennt er dagegen die Steuerforderun'g an sjch und will ihr lediglich ander.« weitige Einreden entgegen stellen, so hat er sich Direkt an die leziere Behördt p wenden, «nd es tritt [ofort dag im Wededassiîngsfatîton «Miche VerfahïTO ein. Ans dem ©efagten geht also hsn-vor, daß $$ sich nicht danim ©ande..i6Iat.. Sahrß. VJ. Bd. HL

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handelt, die Gerichtsbarkeit des Wohnorte..... im SlUgemeinen abzulehnen, sondern lediglich in Bezug auf die grage des Besteurungsrechts, während die ganze zivilrechtliche Seite der Sache nach den von St. Gallen gewünschten Grundsäzen behandelt wird.

,,Mit dem Gesagten glauben wir nachgewiesen zu haben, daß die angerufenen Artikel der Bundesverfaffung nicht geeignet find, den Grundsaz des Art. 3 in der von St. Gallen bezeichneten Richtung zu beschränken.

Es wurde aber auch eingewendet, daß eine natürliche Beschränkung des Art. 3 in den Glänzen des ..terri.« toriums liege. Wenn wir nun auch grundsäzlich anerkennen, daß die Geseze eines Staates in der Regel für den Umfang seines Gebiets erlassen find, so gibt es doch faii überall sowol Zivil- als andere Geseze, welchen der Bürger immer unterworfen bleibt, er mag sich auf.halten wo er will, so j. B. die Geseze über den bürÖerlichen Stand, Verheirathung und alles, was Bezug Üjat aus seine fortbestehende Verbindung mit der Heimath.

3st es nun allerdings nicht immer möglich, solche ®efeze in andern Staaten in jedem AugenbHk und direkt §ur Vollziehung zu bringen, so äußern fie immerhin ihre rechtliche Wirkung, indem der heimathliche Staat ju denjenigen Vollziehungsmaßregeln greift, die in seinem Bereiche liegen, z. B. Nichtigkeitserklärungen, Arresten, Kontumazurtheilen u. s. w. @o wird wol auch der Kanton St. Gallen $eirathen für nichtig erklären, welche feine Bürger im Auslande nach dortigen Gesezen, aber mit Umgehung der heimathlichen Geseze und Behörden «.»geschlossen haben. SKan fieht also, daß es fich nicht .am die grage handelt, ob solche Geseze gültfg seien, fondern bloß, ob sie vollzogen werden können oder sollen.

Wlit Beziehung aus unsere Schweiz als Bundesjlaat

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feilt pch daher die gragf so : ©oll ein« liquide ©teuer* forderung, die ein Kanton an seine Bürger in einem andern Kanton zu stellen hat, am leztern .Orte verweigert werden können, und zwar auch dann, wenn sie dem tortigen Steuersystem durchaus feinen Eintrag thut?

Wir halten dafür, diese v§rage sei zu verneinen. -Denn sobald man, wie oben angeführt wurde, die Berechti* gung jedes Kantons anerkennen muß, ein Steuergesej über seine Angehörigen nach seinem Gutfinden zu er* lassen, so folgt aus dem Wesen des Bundesstaates und speziell des Art. 49 der Bundesverfassung, daß die andern Kantone der Vollziehung keine Schwierigkeit eutgegen sezen und die Frage des Besteurungsrechtes nicht dem Ermessen ihrer Gerichte anheim stellen können. Ein Steuerdekret, gegen welches kein Rechtsmittel ergriffen wurde, hat als solches, und abgesehen von andern, die Steuerfrage nicht berührenden Einreden, die Bedeutung eines rechtskräftigen Urtheils, das im Heimathskanton ohne Weiteres vollzieht« wäre. Jener Art. 49 ist eine wesentliche Beschränkung des Territorialsystems, indem er liquiden Forderungen, welche auf kompetent erlassenen Urtheilen beruhen, rechtliche Wirkung über das Gebiet des Kontons hinaus zufichert.

,,Es bleibt noch übrig, zwei spezielle Momente zu berühren, welche die Regierung von St. Gallen am Schlüsse ihres Berichtes angeführt hat: 1) Der Bundesrath, so heißt es dort, habe durch ein besonderes Gesez eine gewisser Maßen erterritoriale Stellung erhalten, und namentlich auch in Steuer* fachen. Diese Ausnahme bestätige daher die Regel, welche nach der Anficht der Regierung von St. Gallen darin besteht, daß der Schweizerbürger nur am Niedeslassungsorte steuerpflichtig sei. Das aitirtc

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Gesez ist aber seiner Entstehung und feinem ganzen Wesen nach so singulär, daß ihm keine allgemeine Siegel gegenüber fleht; dasselbe wäre gar nicht in der Kompetenz des Bundes gelegen, wenn es nicht in seinem Ursprung auf einem Vertrage beruht hätte (Vergl. Bundesbeschluß vom 27. Nov. 1848), auch betrifft es in allen hier in Frage kommenden Beziehungen nur den Kanton Bern, als nunmehrigen Bundesfiz. Zudem besteht gar keine, dieser Ausnahme gegenüber stehende Bundesregel über die Besteurung, sondern die Bundesverfassung stellt nur den Grundsaz auf, daß die Kantone durch ihre Gesezgebung die Niedergelassenen nicht schlimmer

stellen sollen als ihre Bürger. Endlich folgt ans

der zitirten Ausnahme bloß, daß ohne das Gesez der Kanton Bern die erwähnten Beamten besteuern dürfte, keineswegs aber, daß nur Bern allein dieses thuu dürfte und daß dieselben ohne dieses Gesez keinerlei Verpflichtungen mehr gegen ihren Heimathskanton hätten.

2) Noch wird das eidgenössische Militärgesez als Beispiel aufgestellt, nach welchem die Militärpflicht und deren Erfaz am Niederlassungsorte zu leisten fei.

.Allein nach unserer Anficht ist ein Schluß »on dieser Institution auf die vorliegende Frage wegen enormer Verfchiedenheit der Verhältnisse logisch ganz unzu« läßig. Vorerjt besteht die Militärpflicht der Regel nach in personlichen Leistungen, und wir iwöchten es daher säst eine -phcfische Unmöglichkeit nennen, die militärpflichtigen Niedergelassenen zu jeder Hebung zuerst nach Hause zu fchiken. Sodann aber.ifi die ïïîUitarpflicht vorherrschend eine Bundespflicht und deßhalb das .iiilitärwesen gröfjtentheils zentralifirtp

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während das Bejleurungsrecht umgekehrt, mit Aus.« nähme der zollartigen Gebühren, der kantonalen Hoheit überlassen blieb. Muß nun die persönliche Militärpflicht am Orte der Niederlassung geleistet werden, so war es eine notwendige golge, daß auch die Steuer, welche in Ausnahmsfällen das Surrogat bildet, dort abzutragen ist.

,,Aus den entwilelten Gründen geht daher unser Befchluß dahin : Es sei das von der Regierung von Thur» gau hinsichtlich der beiden Spezialfälle gestellte Begehren begründet und den erwähnten Steuerforderungen die Vollziehung zu gestatten, in so fern die Besteuerten sich nicht ausweisen, daß sie an die thurgauischen Oberbehörden rekurrirt haben, und in so fern sie nicht andere, von dem Besteurungsrecht unabhängige, zivilrechtliche Einreden geltend machen."

So weit unfer Befchluß, in dessen Motiven wir glauben auf sämrntliche Gesichtspunkte, auf welche die Regierung von St. Gallen auch jezt im Wefentlichen abstellt, eingetreten zu sein. Indem wir uns hieraus berufen, fügen wir zum Schluß noch einige Bemerkungen bei, wozu uns die Rekursfchrift befonders veranlaßt.

Nach dem Eingang derfelben, welcher unsere Entscheidung anführt, so wie nach dem Schlußbegehren wäre man zu glauben versucht, daß verlangt worden sei, die fraglichen Steuern müssen alle ohne weiteres am Orte der Niederlassung aus dem Erekutionswege erhoben werden. Um nicht von Anfang an den rich* tigen 'Standpunkt aufzugeben und Mißverständnisse zu veranlassen, weisen wir aus den obstehenden wörtlichen Inhalt des Beschlusses hin, woraus hervor geht, daß derselbe zwei wefentliche Beschränkungen enthält. Einer* seits muß die ©leuerforderung aus einen im .Ceimaths*

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kanton rechtskräftigen und mkutorischen Titel beruhen, und andererseits ist es auch dann noch dem Besteuerten vorbehalten, alle ginreden zivilrechtlicher Natur vor dem Richter seines Wohnortes geltend zu machen.

Nach einer geschichtlichen Einleitung, der wir keine in Sachen maßgebende Seite entnehmen können, werden zwei Säze aufgestellt, nämlich: A. Es sei unbestreitbar, daß der Niedergelassene für ossentliche Lasten, für welche er am Wohnort steuerpflichtig sei, von Seite der Heimath nicht in Mitleidenschast gezogen werden sollte.

B. Iedenfalls musse es vom Niederlassungskanton abhangen, ob er eine Belangung des Niedergelassenen für Steuerfordetungen der Heimath zugeben wolle oder nicht.

Zur Begründung des ersten Sazes wird die Idee eines durch die Erweiterung der Niederlassungsbefugniß entstandenen allgemeinen schweizerischen Bürgerrechts durchgeführt, dessen ganze Bedeutung fich am Orte feiner Niederlassung kund gebe und konzentrire, indem der Bürger nur da seine Existenz habe, nur da den Staats* schuz genieße, nur da ein Recht ausübe und folglich auch nur da eine Pflicht haben könne. Wir müssen diese Auffassungsweise des schweizerischen Bürgerrechts und der fast ausschließlichen Tragweite des Domizils für mehr ideell als in der Wirklichkeit begründet erachten.

Die Bedingung des fchweiz. Bürgerrechts ist der Befiz eines kantonalen und in der Regel auch eines Gemeindebürgerrechts; der Verband mit der Heimath ist das bleibende Element, das Domizil dagegen das zufällige und ivandelbare. Um eine Niederlassung in andern Kantonen nur möglich zu machen, bedarf es mehrfacher Eigenfchftften und Requisiten, die einer großen Menge von

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Schweizerbürgern abgehen; es ist erforderlich der volle

Befiz der bürgerlichen Rechtsfähigkeit, guter Leumund und genügender Ausweis über Vermögen oder Erwerbs.« fähigfeit. Eben so zufällig ist die Dauer einer Nieder-« lassung; es bedarf einiger unbedeutender »olizeilicher Uebertretungen, oder auch nur eines unverschuldeten Unglüks, welches dem Niedergelassenen Vermögen oder Erwerb entziehen, und die behauptete Bedeutung des schweizerischen Bürgerrechts ist dahin. So fehr und so stark tritt das Prinzip des Heimathrechts in den Konkordaten sowol, als auch in der neuen Bundesverfassung hervorÏ Was nun den Umfang der Rechte betrisst, so könnten wir auch hier dem Saz nicht zustimmen, daß der Nie* dergelassene nur ein Recht, folglich auch nur eine Pflicht habe, nämlich an seinem Wohnorte. Vermöge des bleibenden Bandes, das den abwesenden Bürcjcr an seine Heimath knüpft, hat er überall Anspruch auf den Schuj seiner heimathlichen Behörden ; er bleibt manchen Gesezen seines Staates unterworfen, wo er auch fein mag, und es dauern auch die rechtlichen Beziehungen zu seiner Gemeinde fort. Daß er als abwesend dort nicht stimmen kann, liegt in der Natur der Sache; aber hiefür gibt ihm der Niederlassungsort keinen Ersaz, er hat nicht nur keinen Antheil an Gemeinds- und Korporations* gütern, sondern in ©emeindeangelegenheiten gar nichts zu sagen. Die Hauptfache ist aber, daß er zu jeder Zeit und unter allen Umständen in der Heimath wieder aufgenommen werden muß, und dort ein Recht auf Unterstüzung hat, die ihm der Wohnort verweigern kann.

Wenn es in dieser Hinficht in der Rekursfchrift (pag. 11) heißt : die Armenpflege gewähre dem Niedergelassenen gleich dem Ortsbürger Abwehr des Bettelandranges und der sonstigen Unterstüzung der Notharmuth, so

492 ist diefes fchon Sache der Polizei und ändert an dem erwähnten Rechtsverhältniß nicht das Mindeste; fondern ss bleibt .ìhatsache, daß der Niedergelassene im Verarînungsfalle an seinem Wohnorte gar nichts zu beauspruchen hat, alfo in diefer Hinsicht vollständig rechtlos dasteht, und daß er weggewiesen wird, wenn nicht, was sehr häufig geschieht, feine Heirnathsgemeinde es vorzieht, ihn am Orte der Niederlassung zu unterstüzen. Das außerordentliche Gewicht diefes Verhältnisses wird gewiß nicht durch die Bemerkung der Rekursfchrift beseitigt, daß das Recht auf ttnterstüzung ein absolutes, an keine

Bedingung geknüpftes fei, und daß es erst in Wirksam-

keit trete, wenn das Niederlassungsverhältniß aufgehoben werde oder aufgehoben werden könne. Vielmehr ist es gerade der absolute Charakter jenes Rechtes, vermöge dessen die Heimath stets und überall ihren rettenden Arm nach dem abwesenden Bürger atisstreken muß; gerade dieser Charakter ist es, welcher den stäten und innigen Zusammenhang von Rechten und Pflichten begründet.

Dieser Abschnitt der Rekursschrift schließt dann auf pag. 11 mit dem Saje: ,,Im Gegentheil bleibt hier die ange,,deutete Räksicht entscheidend, daß der Niedergelassene ,,von der Armenpflege am Orte der Niederlassung, fo ,,lange diese währt, den ganz gleichen reellen Nuzen zieht, ·,,welcher jedem b e m i t t e l t e n oder u n b e d ü r f t i g e n ,,Drtsgenossen felbst zufließt." Unter diefem Nuzen kann nichts anderes verstanden werden, als die Abwehr des Bettelandrangs, wie oben gesagt wurde. Dieses ist aber fchon Sache der Polizei, und der Niedergelassene muß an die Polizeiausgaben beitragen; überdieß muß er aber auch an die Armensteuern beitragen, die zur Unterstüzung der Ortsbürger dienen, während er kein dieser Pflicht korrespondirendes Recht hat. Die ganze

493 Wahrheit, betreffend die behauptete Totalität der Rechte der Niedergelassenen ist vielmehr die : Er übt alle Rechte aus, wie der Bürger, mit Ausnahme der Gemeinderechte und des Rechts auf Armenunterfiüzung, das natürlich ohne alle Bedeutung ist, so lange er Vermögen oder Erwerb hat; dafür bezahlt er an alle Arten von Steuern, die Armenfieuern inbegriffen ; sobald er selbst aber verarmt, hat er nicht nur kein Recht auf Armenunterfiüzung, ungeachtet er Armensteuern bezahlte, fondern er verliert alle und jede Rechte am Wohnorte, weil er «..eggewiefen wird.

Wir haben es allerdings als einen Uebelstand bezeichnet, daß für gewisse Steuern ein Schweizerbürger »on zwei Kantonen in Anfpruch genommen werden könne. Die Rekursschrift hat diese Erklärung relevirt und bemerkt,

das Billigkeitsgefühl sträube sich gegen die Doppelbe-

lastung. Wir theilen diese Anficht, finden aber zugleich, daß das Billigkeitsgefühl fich auch dagegen firäube, daß der Niederlassungskanton Steuern für solche Zweke beziehe, für die er den besteuerten Niedergelassenen kein Aequivalent gewährt, wie dieses namentlich bei den Armensteuern der Fall ist.

Wir glauben nachgewiesen zu haben, daß, abgesehen von dem Buchstaben des Art. 3 der Bundesverfassung, hinreichende ©runde des Rechts und der Billigkeit vorbanden feien, um die Behauptung zu begründen, daß die Kantone berechtigt seien, mit den fraglichen Steuern auch die abwesenden Bürger durch die Gefezgebung zu belasten, und wir kommen daher zu dem Resultate, den ersten Hauptsaz der Rekursschrift gerade umzukehren und Su sagen: Es scheine uns unbestreitbar, daß die Niedergelassenen für öffentliche Lasten, für welche sie von Rechts und Billigkeits wegen vom ·f.'eimathskanton belangt werden

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können, nicht auch von Seite des Niederlassungskantons belastet werden sollten.

Ueber den zweiten Hauptsaz der Rekursschrift bleibt uns. indem wir auf die Motive unfers Befchlusses wiederholt hinweifen, wenig zu bemerken übrig. Wenn man die Ueberzeugung hat, daß die Kantone berechtigt seien, ihre Steuergefezgebung auch auf abwesende Bürger auszudehnen, fo ist es unzuläffig, widersprechend und mit dem Geiste unferer Bundesverfassung und mit der friedlichen Eoeristenz der Kantone in dem Bunde unverträglich, die Behauptung aufzustellen, daß die Gerichte des Niederlassungskantons jenes Recht annulliren und erklären können, der Niedergelassene fei nichts fchuldig, weil die Geseze feines Heimathkantons ihn nicht erreichen können und weil man ihn gegen die* selben fchüzen müsse. Allerdings spricht der Art. 49 der Bundesverfassung nur von der Vonziehung von Zivilurtheilen und wir haben nie behauptet, daß Steuerdekrete Zivilurtheile feien. Wir beschränkten uns auf die Behauptung, daß die Territorialhoheit durch die Bun* desverfassung und Bundesgeseze mannigfach befchränkt fei, und namentlich auch durch den Art. 49. Man muß nun wissen, daß in vielen Kantonen Steuerdekrete der Administrativbehorden, in fo fern nicht dagegen rekurrirt wurde, ebenfo exekutorifche Wirkung haben, wie Zivilurtheile. Es entsteht fomit die Frage: ob nicht derartige erekutorifche Titel auch in andern Kantonen vollzogen werden follen. Wir haben nicht den mindesten Zweifel darüber, daß dieses durchaus im Sinn und Geist der Bundesverfassung liege, immerhin in der Vorausfezung, daß man den Kantonen das Recht zugestehe, auch ihre abwefenden Purger zu besteuern, und zwar natürlich nacl} Maßgabe ihrer Geseze.

495 Schließlich äußert die Rekursschrift die Bereitwillig* feit, aus ein Konkordat in dieser Materie einzutreten.

Indem wir dieses Anerbieten von einem Kanton, der vermöge seines ausschließlichen ...Cerritorialsystemes fast allen Konkordaten fremd blieb, mit Freude begrüßen und erklären, daß es nicht in unferer Stellung liegt, solchen annähernden Bestrebungen entgegen zu treten, glauben wir gleichwol die h. Bundesversammlung darauf aufmerksam machen zu soUen, daß in der Verweisung dieses Gegenstandes aus den Konkordatsweg eine Inkompetenzerklärung des Bundes liegt, woraus, wenn auch nicht in den Worten des Rekurses, die ganze Argumentation desselben hinausläust. Es würde uns Daher, da es nothwendig ist, diese vielbestrittene grage endlich einmal zu entscheiden, viel zwekmäßiger erscheinen, dieses durch einen bestimmten Beschluß zu thun und zu erklären, ob der Rekurs begründet oder unbegründet sei. Im erstern Fall würde sich dann die Einleitung eines Konkordates von felbit machen, in so fern Ausficht auf einen Erfolg vorhanden wäre.

Bei diefem Anlaß verfichern wir Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 17. November 1854.

Im Namen des fchweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä f i d e n t :

S. 3re.9-£crosce.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

schieß.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die beiden gesezgebenden Räthe der schweiz.

Eidgenossenschaft, betreffend den Rekurs der Regierung von St. Gallen über die Kompetenz in Steuersachen. (Vom 17. November 1854.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1854

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

53

Cahier Numero Geschäftsnummer

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23.11.1854

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469-495

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10 001 534

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