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Bericht und Antrag über die

Petition der schweizerischen Militärgesellschaft vom 3. Brachmonat 1854, betreffend Errichtung eines Lehrstuhls für Militärwissenschaft an der eidgenössischen polytechnischen Schule.

Tit.

Während der Bearbeitung des Regimentes für .die eidgenössische polytechnische Schule wurde der hiezu bestellten Kommission eine Zuschrift der fchweizerifchen Miitärgesellschaft an den hohen Bundesrath vom 3. Iuni 1854, in welcher auf Errichtung eines Lehrstuhles für Militärwissenschaften am Polytechnikum angetragen wird, zur Begutachtung und Antragstellung übermacht. Die Kommission hat die Ehre, Ihnen hiermit ihre Ansicht über dieses Begehren zu eröffnen, und darauf gestüzte Anträge zu stellen.

Die schweizerische Militärgesellschaft sagt in der erwähnten Zuschrift, die polytechnische Schule sollte zu-

232 gleich eine Militärfchule für die Schweiz werden; es wäre dazu nur nöthig, eine Professur für spezielle kriegswissenschaftliche Vorlesungen mit der Verpflichtung zu etwa 12 wöchentlichen Unterrichtsstunden zu errichten, indem die zur Vorbereitung für diefe Vorträge nöthigen Vorkenntnisse ohnedieß schon an der Schule gelehrt werden. Die übrigen Studien der Schüler würden, bei

einer gleichmäßigen Verkeilung der militärischen Vorlesungen auf zwei bis drei Iahre, nicht gestört. Damit würde aber die geistige Bafis gelegt, ohne welche

der höhere militärische Unterricht in den Militärschulen nur ein Bruchstük und für höhere Offiziere ungenügend sei. Die polytechnische Schule in Paris beweise hinreichend die Zwekmäßigkeit eines solchen Unterrichtes.

Endlich verstoße man dadurch nicht gegen das Gesez, indem die Militärwissenschaften dem weiten Begriff der philosophischen und staatswirthschaftlichen Disziplinen, soweit sie als Hilfswissenschaften für höhere technische Ausbildung Anwendung finden, und demjenigen des schweizerischen Staatsrechtes untergeordnet werden.

Wie bei allen ihren übrigen Arbeiten, so mußte die Kommisfion auch bei der Begutachtung dieser Petition von dem, die polytechnische Schule betreffenden Bundesgeseze vom 7. Hornung 1854 ausgehen, und fich die Frage stellen: fordert, oder wenn dieß nicht der Fall ist, gestattet wenigstens das Gesez, daß die polytechnische Schule zugleich eine Militärschule für die Schweiz fei, oder daß die von der Militärgesellschaft aufgezählten Fächer an ihr gelehrt werden?

Von einer derartigen Forderung des Gesezes kann keine Rede sein, weil in demselben unter den Unterrichts-

gegenständen der Schule kein einziges militärisches Lehrfach aufgezählt wird.

Das Gesez nenn.. sowohl alle

233 Berufsrichtungen, welche an der Schule vertreten, als auch diejenigen philosophischen und staatswirthfchaftlichen Fächer, welche vorzugsweise gelehrt werden sollen; allein

in diesem ganzen Verzeichnisse findet sich nichts Militärifches.

Die Kommission glaubt aber ferner, im Widerspruche

mit der schweizerischen Militärgefellfchaft, das Gesez ge^ statte auch nicht die Errichtung eines Lehrstuhles für Militärwissenfchaften. Wollte man die leztern unter die

philosophischen und staatswirthschaftlichen Unterrichtsgegenstände zählen, so würde man die Bedeutung dieser Worte gewiß auf eine höchst gewaltfame und gegen jeden Sprachgebrauch verstoßende Weife ausdehnen. Bedenkt man aber, daß da.... Geiez nur solche philofopbifche und

staatswirthfchaftlichen Fächer fordert, welche als Hülfswissenschaften für höhere technische Ausbildung Anwendung finden, so wnrde auch die weiteste Deutung jener Ausdrüke nicht mehr hinreichen, um militärwissenschaftliche Gegenwände in sie aufzunehmen; denn die Militärwissenfchaften können unmöglich als zur höhern technischen

Ausbildung gehörend betrachtet werden. Ein gebildeter Techniker muß mathematische, naturwissenschaftliche, nationalökonomifche und Sprachkenntnisse, er muß als gebildeter Mann überhaupt geschichtliche Kenntnisse, er

muß als gebildeter Schweizer einige staatsrechtliche Kenntnisse befizen; die theoretische militärische Bildung aber ist für ihn nur dann nöihig, wenn er sich zum höhern

Offizier heranbilden will; als gebildeter Techniker kann er sie gänzlich entbehren.

Die Richtigkeit dieser Auslegung des Gesezes wird indessen durch die Diskussion, welche über dasselbe in den gefezgebenden Räthen waltete, über jeden Zweifel erhoben. Die Aufnahme .militärischer Disziplinen an

234 das Polytechnikum blieb nämlich keineswegs unerörtert, sondern wurde sogar im Nationalrath beantragt. Derselbe faßte aber den sörmlichen Beschluß, davon abzustehen. Wollte man Angesichts dieser Verhandlungen einen Lehrstuhl für Militärwissenschaften an der polytechnischen Schule errichten, so würde man damit offenbar dem deutlich ausgesprochenen Willen des Gesezgebers geradezu entgegenhandeln.

Die Kommission muß ferner daran zweifeln, ob selbst mit Errichtung eines Lehrstuhles für militärische Wissen-

schaften der Zwek der Militärgesellschaft, das Polytechnikum zugleich auch zu einer Militärschule für die Schweiz zu machen, erreicht würde. Die Kommission hat sich davon überzeugt, daß der Unterricht für jede praktische .Berufsart, wenn er fruchtbar sein soll, nicht nur ein theoretischer, sondern auch ein praktischer sein soll, und

sie hat fich in ihren Vorschlägen zur Organifirung des Berufsunterrichtes nie von diefem Grundsaze ablenken lassen. Ihrer Anficht nach könnte daher diese Frage über die Errichtung eines Lehrstuhles für Militärwissenschaften am Polytechnikum nur in Verbindung mit einer zweiten: ob und welche militärischen Uebungen für die Schüler der polytechnischen Schule angeordnet werden sollen, besriedigend gelöst werden, wozu aber jezt die nöthigen

Anhaltspunkte noch nicht gegeben find.

Auch das Beispiel der polytechnischen Schule in Paris, das von der Militärgesellfchaft angeführt wird, kann die

Kommisfion in ihrer Beurtheilung des Werthes eines bloß theoretischen kriegswissenfchaftlichen Unterrichtes für .Jünglinge nicht wankend machen. Man scheint nämlich den Militärunterricht an der genannten Schule für weit wichtiger zu halten, als er ist, während doch nach dem Programme des Jahres 1850 an dieser Schule nur ein

235 gedrängter Kurs über Fortifikation mit flüchtiger Berührnng strategischer und taktischer Gegenstände gelehrt

wird. Die militärische Bedeutung dieser Schule besteht weit weniger in ihrem speziell militärischen Unterrichte, als darin, daß sie eine gute Vorbildung zu diesem leztern ertheilt. Man kann allerdings behaupten, es gebe wenige tüchtige französische Offiziere, die nicht aus der polytechnischen Schule in Paris hervorgegangen, aber nur in dem Sinne, daß ein jeder derselben diese Schule als Vorbereitungsanstalt bi.fuchen mußte, nicht aber in demjenigen, daß er an ihr seine volle militärische Ausbildung erhielt. Man beachtet oft zu wenig, daß die

eigentliche militärische Bildung den franzöfifchen Offizieren nicht an der polytechnischen, fondern an der Militärfchule in Mez ertheilt wird. Auch bei uns dürfte m..ln also von einem kurzen theoretischen militärischen Unterrichte an der polytechnischen Schule nicht sehr bedeutende Erfolge Rossen; die Hauptfache muß wohl auch da an einer eigentlichen Militärfchule geleistet werden.

Mit Rükficht auf alle, soeben hervorgehobenen Punkte sieht sich die Kommiffion veranlagt, darauf anzutragen: Der hohe B u n d e s r a t h möge einstweilen der Zu-

schrift der schweizerischen Militärgefellfchaft vom 3. Iuni 1854 keine Folge g e b e n .

Ihre Anficht geht im Weiteren dahin, infofern man in Zukunft wieder auf die Errichtung einer Professur für Militärwissenschaften an der polytechnischen Schule zurükkommen wollte , so könnte dieses nur dadurch geschehen, daß der hohe Bundesrath auf eine Anregung durch den fchweizerifchen Schulrath, der Nationalersammlung Anträge auf eine entsprechende Abänderung des Gesezes vom 7. Hornung 1854 vorlegen würde.

Dieß könnte auch in Zukunft jederzeit um so leichter ge-

236 schehen, da die Einführung einer solchen Professur keine wesentliche Abänderung des von der Kommission vorgelegten Organisationsplanes der Schule nöthig machen würdet) Wollte man dagegen jezt schon etwa versuchsweise einige militärische Vorträge an der polytechnischen Schule halten lassen, so könnte dieß nur etwa durch die Zulassung von Privatdozenten in diesem Fache geschehen.

B e r n , den 21. Brachmonat 1854.

Die eidgenössische polytechnische Kommission t St. Francrini, Präsident.

Direktor Hugendubel.

Dr. Bolley..

Prosar Delabar.

Dr. Escher.

Dr. Kern.

Tourte.

Wender.

Professor Deshwanden.

Berichterstatter.

*)Vergl. Art. 2 des Bundesbeschlusses ans Seite 241 des IV.

Bandes der eidg. Gesezessammlung.

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Bericht und Antrag über die Petition der schweizerischen Militärgesellschaft vom 3.

Brachmonat 1854, betreffend Errichtung eines Lehrstuhls für Militärwissenschaft an der eidgenössischen polytechnischen Schule.

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