1467

# S T #

9257

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung eines Zusatzabkommens zwischen der Schweiz und Österreich über Sozialversicherung (Vom 28. Mai 1965) Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

Wir beehren uns, Ihnen mit der vorliegenden Botschaft das am 20. Februar 1965 zwischen der Schweiz und der Republik Österreich abgeschlossene Zusatzabkommen über Sozialversicherung zur Genehmigung zu unterbreiten.

I

Zwischen der Schweiz und der Republik Österreich besteht seit anderthalb Jahrzehnten ein Sozialversicherungsabkommen. Es wurde am 15. Juli 1950 unterzeichnet und regelt die zwischenstaatlichen Fragen auf dem Gebiete der AHV und der Unfallversicherung. Ähnlich wie das im gleichen Zeitpunkt entstandene erste Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland enthält es keine Bestimmungen über den Anspruch auf die ausserordentlichen (seinerzeit Übergangsrenten genannten) Leistungen der AHV. Dies erklärt sich aus dem schon in unserer Botschaft vom 4. März 1963 zum Zusatzabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland vom 24. Dezember 1962 dargelegten Umstand, dass in den ersten Jahren der Geltungsdauer der AHV mit der Einräumung des Rechts auf die beitragslosen Renten an ausländische Staatsangehörige auf dem Wege über staatsvertragliche Vereinbarungen eine ausgesprochene, unter den damaligen Verhältnissen begründete Zurückhaltung geübt wurde.

Mittlerweile hat sich die Lage geändert. Von den gegenwartig geltenden zweiseitigen Sozialversicherungsabkommen mit 14 Ländern enthalten nunmehr deren 12 nähere Vorschriften über die Voraussetzungen, unter welchen die Bürger der betreffenden Staaten bei Wohnsitz in der Schweiz Anspruch auf die ausserordentlichen Renten der AHV erheben können. Zu diesen zwölf Ländern gehören, mit Ausnahme von Österreich, insbesondere alle Nachbarstaaten der Schweiz.

n

Im Laufe des vergangenen Jahres sind die österreichischen Behörden mit dem Wunsche an die Schweiz gelangt, die langfristig in unserem Lande leben-

1468 den Österreicher der Übergangsgeneration - d. h. die vor dem I.Juli 1883 geborenen Personen und deren Hinterlassene, sowie die vor dem I.Dezember 1948 verwitweten Frauen und verwaisten Kinder - in gleicher Weise in den Genuss der ausserordentlichen schweizerischen Alters- und Hinterlassenenrenten zu setzen, wie dies einige Zeit zuvor für die gleichen Personengruppen deutscher Nationalität geschehen war. Es wurde vorgeschlagen, zu diesem Zweck-immer in Anlehnung an die mit der Bundesiepublik Deutschland getroffene Lösung - ein Zusatzabkommen zum Abkommen aus dem Jahre 1950 abzuschh'essen. Da die meisten der solcherart za begünstigenden Versicherten heute schon im 82. Lebensjahr stehen oder noch älter sind, wurde um eine gesonderte Behandlung dieses Begehrens vor Inangriffnahme der Generalrevision des Abkommens von 1950 gebeten. Die erwähnte Generalrevision steht auf dem Programm der Verwaltungsbehörden beider Länder, ein Termin für die Aufnahme dieser umfangreichen Arbeit konnte österreichischerseits aber noch nicht festgelegt werden.

III Auf den österreichischen Vorschlag eines Zusatzabkommens wurde mit Rücksicht auf die nachstehend dargelegten Gründe eingetreten.

1. Im geltenden Sozialversicherungsabkommen aus dem Jahre 1950 ist vorgesehen, dass Österreich, um unseren Landsleuten die Erfüllung der 15jährigen Mindestversicherungsdauer (sogenannte Wartezeit) für den Altersrentenanspruch nach österreichischem Recht zu erleichtern, in bestimmten Fällen nicht nur schweizerische AHV-Beitragszeiten ab I.Januar 1948, sondern auch Zeiten schweizerischen Wohnsitzes zwischen dem I.Januar 1938 und dem 31. Dezember 1947 (d. h. der letzten zehn Jahre vor Einführung unserer AHV) als «Versicherungszeiten» anrechnet (Art. 8, Abs. l, Buchstabe b des genannten Abkommens). Soweit Mitbürgern seither auf Grund dieser Vertragsbestimroung eine österreichische Rente zugesprochen werden konnte, enthält diese Rente in einem gewissen Sinne eine beitragslose Komponente. Wenn dieser Umstand bei Abschluss des Abkommens auch nicht als ausreichend für den Einbezug der Übergangsrente der AHV in den Vertrag erachtet wurde, so ist doch heute bei der Beurteilung des österreichischen Begehrens diese weitherzige Totalisation schweizerischer Zeiten gebührend zu berücksichtigen.

2. Das österreichische Sozialversicherungsrecht, das in bezug auf die Risiken Alter, Tod und Invalidität anfänglich nur eine Angestelltenversicherung, ab 1939 auch eine Arbeiter-Rentenversicherung aufwics, hat in der Zwischenzeit eine weitreichende, am I.Januar 1956 in Kraft getretene Um- und Ausgestaltung erfahren: Der grösste Teil der Wohnbevölkerung gcniesst heute einen gut ausgebauten Schutz gegen die wirtschaftlichen Folgen der Wechselfälle des Lebens. Anlässlich dieser Neuordnung stellte sich in Österreich, ähnlich wie seinerzeit bei der Einführung der AHV in der Schweiz, ein Problem der Übergangszeit bzw. der Übergangsgeneration. Da zahlreiche Personen die für einen Leistungsanspruch erforderlichen Mindestversichcrungszeiten nur

1469 zum Teil oder gar nicht mehr erfüllen konnten, wurde eine Lösung in der Anrechnung verschiedener Ersatzzeiten, vor allem von Beschäftigungszeiten, gefunden. Als solche fallen - wie in den österreichischen Darlegungen gesagt wird «Zeiten in Betracht, die mangels gesetzlicher Regelung keiner Rentenversicherung unterlagen, jedoch auf Grund der nach dem 31. Dezember 1938 in Geltung gestandenen Vorschriften krankenversicherungspflichtig waren oder gewesen wären». Diese Beschäftigungszeiten, die in den zwanziger und dreissiger Jahren, aber auch noch weiter zurück liegen können, werden auf die Wartezeit voll angerechnet. Für die Höhe der Rente zählen sie nach einem Schema, je nach Geburtsjahr, mit sechs bis acht Monaten pro Kalenderjahr.

Gestützt auf diese Regelung gelangen somit Renten zur Ausrichtung, die in unterschiedlichem Ausmass, in einzelnen Fällen sogar ausschliesslich, auf beitragslosen Beschäftigungszeiten beruhen. Diese Leistungen werden schon heute auch unseren Landsleuten uneingeschränkt gewährt, und dies selbst dann, wenn sie ausserhalb Österreichs Aufenthalt nehmen.

3. Darf nach dem Gesagten festgestellt werden, dass Österreich - im Rahmen seines Systems - in bezug auf die beitragslosen Renten bzw. Rententeile bereits seit Jahren Gegenrecht hält, so bleibt abschliessend noch festzustellen, dass auch aus allgemeinen Überlegungen die Einräumung des Rechts auf die ausserordentlichen Renten der AHV für die in der Schweiz lebenden Österreicher der Übergangsgeneration gerechtfertigt erscheint: Einmal fällt damit eine nicht mehr begründete unterschiedliche Behandlung dieser Personen im Vergleich zu den Bürgern der meisten Vertragsstaaten der Schweiz, was einem Gebot der Billigkeit entspricht. Zum ändern dürfte diese Erfüllung eines lange gehegten Wunsches einiger Bürger unseres Nachbarstaates, die mehrheitlich seit Jahrzehnten oder seit der Geburt in unserem Lande leben und heute in einem sehr hohen Alter stehen, dazu beitragen, die traditionellen guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern weiter zu festigen und die kommenden Verhandlungen über die Generalrevision des geltenden Sozialversicherungsabkommens zu erleichtern.

IV

Besondere Verhandlungen für den Abschluss des Zusatzabkommens waren nicht erforderlich; der Text, im wesentlichen aus dem Zusatzabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland übernommen, wurde auf schriftlichem Wege festgelegt und hierauf in Bern - für die Schweiz durch Herrn Direktor Dr. A. Saxer, Beauftragter für Sozialversicherungsabkommen, für Österreich durch seinen hiesigen Botschafter Dr. J.Tursky - am 20, Februar 1965 unterzeichnet. Die Vereinbarung bestimmt, dass in der Schweiz wohnhafte Österreicher der Übergangsgeneration (vgl oben Ziffer II) unter den gleichen Bedingungen wie Schweizer Anspruch auf die ausserordentlichen Renten der Alters- und Hinterlassenenversicherung haben, wenn sie sich unmittelbar vor dem Zeitpunkt, ab dem sie die Rente verlangen, im Falle einer Altersrente ununterbrochen seit wenigstens zehn Jahren, im Falle einer Hinterlassen enrente (oder einer sie ablösenden Altersrente) seit wenigstens fünf Jahren in unserem

1470 Lande aufgehalten haben. Die Renten werden frühestens ab dem I.Januar 1964, d. h. ab Beginn des Jahres, in welchem die Vereinbarung ausgearbeitet wurde, gewährt.

V Die Zahl der durch das Zusatzabkommen in den Genuss von ausserordentlichen Renten der AHV gelangenden österreichischen Staatsangehörigen kann in Ermangelung geeigneter Unterlagen nicht im voraus ermittelt werden.

Nach vorsichtiger Schätzung kann es sich höchstens um einige hundert Personen handeln. Die sich daraus ergebende Belastung in der technischen Bilanz der AHV wird im Jahresdurchschnitt bei 100 000 Franken liegen.

* VI

Das Zusatzabkommen bildet einen integrierenden Bestandteil des Sozialversicherungsabkommens vom IS.Juli 1950, teilt somit dessen rechtliches Schicksal. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Gültigkeitsdauer, die damit auf ein Jahr begrenzt ist und mangels Kündigung des Hauptabkommens jeweils mit diesem als stillschweigend um ein weiteres Jahr erneuert gilt.

Gemäss Artikel 34 "^t" der Bundesverfassung ist der Bund zur Gesetzgebung auf dem Gebiete der Alters- und Hinterlassenenversichenmg befugt, und nach Artikel 8 steht ihm auch und in erster Linie das Recht zu, Staatsverträge mit dem Ausland abzuschliessen. Hieraus ergibt sich die Verfassungsmässigkeit der Vorlage. Wir beantragen Ihnen deshalb, den beiliegenden Entwurf eines Bundesbeschlusses anzunehmen.

Wir versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 28. Mai 1965.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Tschudi

Der Bundeskanzler: Ch. Oser

1471

(Entwurf)

BundesbescWuss über die Genehmigung eines Zusatzabkommens über Sozialversicherung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 85, Ziffer 5 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 28. Mai 1965, beschliesst: Artikel l 1

Das am 20. Februar 1965 unterzeichnete Zusatzabkommen über Sozialversicherung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich wird genehmigt.

ì Der Bundesrat wird ermächtigt, es zu ratifizieren.

Artikel 2 Der Bundesrat wird ermächtigt, die für die Anwendung des Zusatzabkommens notwendigen Vorschriften zu erlassen.

1472

Zusatzabkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich über Sozialversicherung Der Schweizerische Bundesrat und der Bundespräsident der Republik Österreich vom Wunsche geleitet, die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich auf dem Gebiete der Sozialversicherung zu erweitern, sind übereingekommen, das von den beiden Staaten am 15. Juli 1950 unterzeichnete Abkommen über Sozialversicherung durch Bestimmungen über die ausserordentlichen Renten gemäss der schweizerischen Gesetzgebung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung zu ergänzen, und haben zu diesem Zweck zu ihren Bevollmächtigten ernannt : Der Schweizerische Bundesrat Herrn Dr. Arnold Saxer, Direktor, Beauftragter für Sozialversicherungsabkommen, der Bundespräsident der Republik Österreich Herrn Dr. Johann Tursky, ausserordent)icher und bevollmächtigter Botschafter, die nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten nachstehende Bestimmungen vereinbart haben : Artikel l (1) In der Schweiz wohnhafte österreichische Staatsbürger haben unter den gleichen Voraussetzungen wie Schweizerbürger Anspruch auf die ausserordentlichen Renten (Übergangsrenten) der schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung, wenn sie sich unmittelbar vor dem Zeitpunkt, von welchem an die Rente verlangt wird, im Falle einer Altersrente ununterbrochen während mindestens zehn' voller Jahre und im Falle einer Hinterlassenenrente oder einer sie ablösenden Altersrente ununterbrochen während mindestens fünf voller Jahre in der Schweiz aufgehalten haben und wenn sie folgendem Personenkreis angehören :

1473 a. den vor dem I.Juli 1883 geborenen Personen und ihren Hinterlassenen; b, den vor dem I.Dezember 1948 verwitweten Frauen und verwaisten Kindern.

(2) Renten gemäss Absatz l, auf die ein Anspruch für den Monat des Inkrafttretens dieses Abkommens besteht, werden rückwirkend, frühestens jedoch vom I.Januar 1964 an gewährt.

Artikel 2 (1) Das Abkommen bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden werden sobald als möglich in Wien ausgetauscht.

(2) Das Abkommen tritt am ersten Tage des zweiten Monats nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.

Artikel 3 Dieses Abkommen bildet einen integrierenden Bestandteil des Abkommens zwischen der Schweiz und Österreich vom 15, Juli 1950.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen in doppelter Urschrift unterzeichnet und mit ihren Siegeln verseben.

Geschehen in Bern, am 20. Februar 1965.

Für die Schweizerische Eidgenossenschaft : (gez.) Saxer

Für die Republik Österreich : (gez.) Tursky

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung eines Zusatzabkommens zwischen der Schweiz und Österreich über Sozialversicherung (Vom 28.

Mai 1965)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1965

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

24

Cahier Numero Geschäftsnummer

9257

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.06.1965

Date Data Seite

1467-1473

Page Pagina Ref. No

10 042 909

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.