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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Neuenburg (Vom 18. Mai 1965)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren '.

In der Volksabstimmung vom 27./2S. Februar 1965 haben die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen des Kantons Neuenburg mit 17667 Ja gegen 5171 Nein der Änderung der Artikel 53,64 bis 68 und der Aufhebung von Artikel 68WB der Kantonsverfassung zugestimmt. Die Einsprachefrist gegen das Stimmverfahren ist am 12. März 1965 unbenutzt abgelaufen.

Mit Schreiben vom S.März 1965 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Neuenburg für die abgeänderten Verfassungsbestimmungen um die Erteilung der eidgenössischen Gewährleistung.

Bisheriger Text:

Art. 53 Er (der Staatsrat) ermächtigt die Gemeinden und Munizipalitäten zum Erwerb und zur Veräusserung von Grundstücken und übt über deren Verwaltung eine direkte Aufsicht aus; in ihren Versammlungen kann er sich immer mit beratender Stimme vertreten lassen. Er kann nach vorheriger Untersuchung eine Gemeindeverwaltung provisorisch ihres Amtes entheben und ersetzen, unter Anzeige an den Grossen Rat innert kurzer Frist.

Neuer Text:

Art. 53 Der Staatsrat übt die direkte Aufsicht über die Gemeinden aus.

1156 Art. 64 Unter dem Namen «Gemeinde» sind die Bürgergemcinde oder eigentliche Gemeinde und die EinwohnerGemeinde oder Munizipalität zu einheitlicher Verwaltung vereinigt; die Gemeinde verwaltet die Gesamtheit der öffentlichen Güter und besorgt die öffentlichen Geschäfte der Ortschaft.

Art. 65 Das Gesetz bestimmt den Gebietsumfang der Gemeinden.

Auf Begehren der Beteiligten oder im Falle des Bedürfnisses kann der Grosse Rat auf dem Wege der Gesetzgebung mehrere Gemeinden und deren Vermögen verschmelzen oder die Trennung einer Gemeinde in mehrere bescbliessen.

Das Vermögen der Bürgergemeinde wird mit deren Armengut unter der Benennung «Bürgerfonds » verbunden.

Es dürfen bloss die Erträgnisse der Bürgerfonds verausgabt werden.

Schenkungen und Vermächtnisse, die dem Bürgerfonds zufallen, werden zum Kapitalstock geschlagen, sofern von den Schenkern nicht anderswie verfügt ist.

Wenn zulasten der Bürgergemeinde eine Schuldverbindlichkeit besteht, so wird das Gesetz zu deren Tilgung das Nötige verfügen.

Die Gemeinden und ihre Güter, insbesondere diejenigen des Bürger-

Art. 64

Die Gemeinde vereinigt unter diesem Namen alle dort wohnhaften Einwohner und die Gesamtheit der Güter der Gemeinschaft. Sie verwaltet ihre Güter und besorgt die öffentlichen Geschäfte der Ortschaft.

Das Gesetz kann die Schaffung von interkommunalen Zweckverbänden vorsehen ; nötigenfalls kann es den Beitritt zu solchen Zweckverbänden obligatorisch erklären.

Die Gemeindeautonomie ist in den Schranken der Verfassung und der Gesetze gewährleistet.

Art. 65 (unverändert) Auf Begehren der Beteiligten oder im Falle des Bedürfnisses können durch Gesetz Gemeinden und deren Vermögen verschmolzen oder die Trennung einer bestehenden Gemeinde in mehrere angeordnet werden.

(aufgehoben)

(aufgehoben) (aufgehoben)

(aufgehoben)

(aufgehoben)

1157 fonds, werden unter staatliche Garantie gestellt.

Die Gemeindegüter, die eine besondere Bestimmung haben, sollen dieser Bestimmung gemäss oder dem Willen der Geber entsprechend verwendet werden.

Die Erträgnisse der Gemeindegüter sind zur Deckung der Ausgaben der Ortschaft und der im allgemeinen Interesse liegenden, von Gesetzes wegen den Gemeinden auffallenden Verwendungen bestimmt.

Das Grundeigentum der Gemeinden kann nur in Gemässheit der gesetzlichen Vorschriften veräussert, verändert oder verpfändet werden und die Kapitalien derselben dürfen nur in dieser Weise angelegt werden.

Es ist ein allgemeines Inventar des Gemeindevermögens mit Schätzung aufzunehmen und dabei das Vermögen des Bürgerfonds genau auszuscheiden.

Art. 66 Das Gesetz ordnet das Gemeindewesen auf folgender Grundlage: 1) Das Gemeindebürgerrecht wird aufrecht erhalten; dasselbe wird durch Eintragung in einem Namensverzeichnis beurkundet.

2) In jeder Gemeinde bestehen nachgenannte Behörden : Ein Generalrat, der von sämtlichen Stimmfähigen der Gemeinde zu wählen ist.

Ein Gemeinderat und eine Schulkommission, welche beide vom Generalrat ernannt werden, und die Spezialkommissionen, deren Wahl das Gesetz vorschreibt oder zulässt.

Die Gemeindegüter...

...des Gebers entsprechend verwendet werden.

(unverändert)

(unverändert)

Das allgemeine Inventar des Gemeindevermögens mit Schätzung ist auf dem laufenden zu halten.

Art. 66 Das Gesetz ordnet das Gemeindewesen auf folgender Grundlage : 1) Das Gemeindebürgerrecht wird durch Eintragung im Familienregister festgestellt.

2) Gemeindebehörden sind: Der Generalrat, dessen Wahl allen Wahlberechtigten der Gemeinde zusteht, der Gemeinderat und die Schulkommission, welche durch den Generalrat gewählt werden, die anderen Kommissionen, deren Wahl das Gesetz vorschreibt oder zulässt.

1158 In den Gemeinden, deren Bevölkerung nicht eine gewisse, vom Gesetz zu bestimmende Mindestzahl erreicht, bildet die Gesamtheit der Stimmberechtigten den Generalrat. Es können indessen diese Gemeinden mit Zustimmung des Staatsrates die Aufstellung eines zu wählenden Generalrates beschliessen.

^ 3) Das Gemeindestimmrecht besitzen alle diejenigen, denen das Gesetz dieses Recht verleiht.

4) Die in der Gemeinde wohnenden, stimmberechtigten Gemeindebürger und gegenrechtlich die im Gemeindebezirk wohnhaften Bürger anderer Gemeinden haben zu jeder Zeit das Recht, einen Aufsichtsrat zu bestellen, dem die Kontrolle der Verwaltung des Bürgerfonds übertragen wird. In diesem Falle können Ankauf, Verkauf, Umwandlung, Wiederanlegung beweglicher Güter, gleichwie Veräusserung, Veränderung oder Verpfändung von Liegenschaften nicht stattfinden, wenn sie nicht zuvor der Genehmigung dieses Rates unterbreitet worden sind.

Im Streitfalle ist der Rekurs an den Staatsrat zulässig.

Art. 67 Die Gemeinden stehen unter der unmittelbaren Aufsicht des Staatsrates; sie haben ihm alljährlich ihren Voranschlag und ihre Rechnung vorzulegen.

Die Gemeindereglemente werden erst nach ihrer Genehmigung durch den Staatsrat vollziehbar.

(aufgehoben)

Das Gemeindestimmrecht besitzen alle diejenigenj denen das Gesetz dieses Recht verleiht.

(aufgehoben)

(aufgehoben) Art 67 (aufgehoben)

(unverändert)

Die Gemeinden müssen ihre Voranschläge und Rechnungen jährlich dem Staatsrat vorlegen.

Durch die Gemeinden vorgenommene Grundstückgeschäfte unter*

1159 stehen der Genehmigung des Staatsrates.

Der Staatsrat kann sich in den Gemeindebehörden mit beratender Stimme vertreten lassen.

Er kann sich an die Stelle von Gemeindebehörden setzen, welche, nachdem sie dazu gehörig eingeladen wurden, die ihnen von der Gesetzgebung auferlegten Massnahmen nicht ergreifen, oder die Wahlberechtigten zu einer vollständigen Erneuerung des Generalrates auffordern, wenn dieser, infolge von Vakanzen, gleichzeitig die Mehrheit seiner Mitglieder verloren hat und nicht ohne Vornahme einer Ersatzwahl wieder vollständig ergänzt werden kann; der Staatsrat verständigt innert kurzer Frist den Grossen Rat.

Art. 68

Art. 68

Das Gesetz kann den Gemeinden die Unterstützung der dürftigen Bürger des Kantons Neuenburg übertragen und sie auf gewisse Fälle beschränken.

Diese Unterstützung fällt zur Last der Wohnsitzgemeinde, innert den vom Gesetze aufgestellten Schranken.

Sofern ausser dem Kanton wohnende dürftige Neuenburger zu unterstützen sind, ist hiezu die Heimatgemeinde verpflichtet.

Die für Armenunterstützung notwendigen Ausgaben werden aus dem reinen Ertrag des Bürgerfonds bestritten.

Falls dieser Ertrag nicht hinreicht, wird das Gesetz die Nachhülfe bestimmen.

(aufgehoben)

1160 Art. 68 Die öffentliche Fürsorge obliegt dem Staat oder den Gemeinden, Der Staat ergreift,Massnahmen, um die Lasten der Fürsorge gerecht zu verteilen und um nach Möglichkeit die Ursachen von Bedürftigkeit zu verhindern.

Das Gesetz regelt die Ausführung dieser Grundsätze und die Organisation der Fürsorge.

Art.68MB Das Gesetz kann den Gemeinden die Pflicht auferlegen, mit finanzieller Hilfe des Staates die Unterstützung der auf ihrem Gebiete wohnhaften Schweizer, die nicht Neuenburger sind, zu übernehmen, wenn es sich um Angehörige von Kantonen handelt, die ihrerseits die wohnörtliche Unterstützung bedürftiger Neuenburger vorsehen.

Die Bedingungen dieser gegenseitigen Unterstützung werden durch das Gesetz bestimmt.

Art. 68 ms (aufgehoben)

Die vorliegende Verfassungsrevision bezweckt hauptsächlich die Verschmelzung von zwei kantonalen Gesetzen: des Gesetzes über die Gemeinden und des Gesetzes über die öffentliche Fürsorge. Der Staatsrat hatte die Revision der Artikel 64, 65,66 und 68 und die Aufhebung von Artikel 68bis der Kantonsverfassung vorgeschlagen, aber der Grosse Rat verband damit noch die Revision der Artikel 53 und 67.

Bis jetzt sah Artikel 53 im allgemeinen vor, dass der Staatsrat eine direkte Aufsicht über die Gemeindeverwaltung ausübt, und setzte gewisse Regeln über die Geschäftsführung der Gemeinden fest. Von nun an wird nur das allgemeine Prinzip im revidierten Artikel 53 beibehalten, welcher im Abschnitt «Staatsrat » figuriert, während der revidierte Artikel 67 die Geschäftsführung der Gemeinden regelt, welche Bestimmung im Abschnitt «Gemeinden» enthalten ist. Daher beschränkt sich der neue Artikel 53 auf die Feststellung, dass der Staatsrat die direkte Aufsicht über die Gemeinden ausübt.

Der revidierte Artikel 64, Absatz l unterscheidet sich ein wenig vom ehemaligen Artikel 64. Die neue Bestimmung erklärt namentlich, dass unter dem Na-

1161 men «Gemeinde » sämtliche dort domizilierten Einwohner und die Gesamtheit der der Gemeinschaft gehörenden Güter zu verstehen sind. Der revidierte Artikel 64 enthält zwei neue Absätze: der eine ermächtigt das Gesetz, die Schaffung von interkommunalen Zweckverbänden vorzusehen und eventuell den Beitritt zu diesen Zweckverbänden obligatorisch zu erklären, während der andere einen anerkannten Grundsatz, die Autonomie der Gemeinden sei im Rahmen von Verfassung und Gesetzen gewährleistet, ausspricht.

Artikel 65, Absatz l bleibt unverändert. Absatz 2 dagegen wurde dahin abgeändert, dass die Verschmelzung von Gemeinden und ihrer Vermögen oder die Trennung einer bestehenden Gemeinde von nun an nicht nur durch Initiative des Grossen Rates, sondern auch durch Volksinitiative verlangt werden kann.

Die Absätze 3,4, 5,6 und 7 sind aufgehoben. So wird die Institution der Bürgerfonds abgeschafft. Diese Fonds entstanden aus der Vereinigung des Vermögens der Bürgergemeinden mit deren Armengut; nur ihre Erträge durften verwendet werden. Diese Erträge waren in erster Linie zur Unterstützung von Neuenburgern bestimmt. Im Hinblick auf die erfolgten Änderungen auf dem Gebiete der Gesetzgebung und die Bevölkerungsbewegung haben diese Fonds keine Daseinsberechtigung mehr, und ihre Vermögen müssen mit denjenigen der Munizipalgemeinden zusammengelegt werden. Die Absätze 8, 9 und 10 des bisherigen Textes werden praktisch ohne Änderung als Absätze 3,4 und 5 in den revidierten Text übernommen, während der bisherige Absatz 11 - abgeändert, um der Aufhebung der Bürgerfonds Rechnung zu tragen - neu Absatz 6 des revidierten Artikel 65 wird.

Gemäss Ziffer l des revidierten Artikels 66 wird das Gemeindebürgerrecht nicht mehr durch Eintragung in einem Namensverzeichnis, sondern durch Eintragung im Familienregister festgestellt. Ziffer 2 des neuen Textes übernimmt materiell die Bestimmungen des bisherigen Textes; die Spczialbestimmung betreffend die kleinen Gemeinden wird jedoch aufgehoben, Ziffer 3 alt wird ohne Änderung Absatz 2 des revidierten Textes, während Ziffer 4, welche hauptsächlich die Möglichkeit vorsah, einen Aufsichts- und Kontrollrat über die Geschäftsführung der Bürgerfonds einzusetzen, aufgehoben wird.

Absatz l des bisherigen Artikels 67 ist aufgehoben. Ein Teil seines Inhalts findet sich materiell im revidierten
Artikel 53 wieder, während der andere Teil Absatz 2 des revidierten Artikel 67 wird. Absatz 2 erscheint unverändert als Absatz l im revidierten Text. Die Absätze 3 und 4 des neuen Textes übernehmen materiell Bestimmungen des bisherigen Artikels 53. Absatz 5 des Artikels 67 neu sieht die Intervention des Staatsrates vor, wenn Gemeindebehörden die ihnen durch die Gesetzgebung auferlegten Massnahmen nicht ergreifen oder wenn der Generalrat infolge von Vakanzen gleichzeitig die Mehrheit seiner Mitglieder eingebüsst hat und nicht ohne Vornahme einer Ersatzwahl vollständig erneuert werden kann.

Der bisherige Artikel 68 wird vollständig aufgehoben, während der neue Artikel 68 die öffentliche Fürsorge auf neue Weise regelt. Diese obliegt dem Staat oder den Gemeinden. Die neue Bestimmung sieht ebenfalls vor, dass der Staat Massnahmen zu ergreifen hat, um die Lasten der Fürsorge gerecht zu verteilen Bundcsblatt, 117. Jahrg. Bd.I.

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und um die Ursachen von Bedürftigkeit nach Möglichkeit zu verhindern. Ein Absatz 3 schreibt vor, dass das Gesetz die Ausführung dieser Grundsätze und die Organisation der Fürsorge regelt.

Artikel 68 Ws ist aufgehoben. Diese Aufhebung ist die notwendige Folge aus dem sehr allgemeinen Wortlaut des revidierten Artikels 68, Die vorliegenden Änderungen der Kantonsverfassung betreffen das kantonale öffentliche Recht und enthalten nichts dem Bundesrecht Zuwiderlaufendes. Wir beantragen Ihnen daher, mit der Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfs diesen Änderungen die Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

Bern, den 18. Mai 1965.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident : Tschudi Der Bundeskanzler : Ch. Oser

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(Entwurf)

Bundesbescbluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Neuenburg Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Artikel 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 18. Mai 1965, in Erwägung, dass diese Verfassungsänderung nichts der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, beschliesst :

Art. l Der Änderung der Artikel 53,64 bis 68 und der Auf hebung von Artikel 68bu der Verfassung des Kantons Neuenburg wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2 Der Bundesrat wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt, 8290

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

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1965

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03.06.1965

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