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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung des Vertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich zur Ergänzung des Haager Übereinkommens betreffend Zivilprozessrecht (Vom 29. Januar 1969)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Ende 1960 regte das Österreichische Justizministerium die Aufnahme von Verhandlungen über eine Revision der am 30. Dezember 1899 unterzeichneten Erklärung zwischen der Schweiz und Österreich betreffend den direkten Verkehr der beidseitigen Gerichtsbehörden an. Diese in der Form einer Regierungsvereinbarung abgeschlossene Erklärung regelt in 6 Artikeln das Recht der beiderseitigen Gerichtsbehörden, in Zivil- und in Strafsachen, sowie der Strafverfolgungsbehörden, unmittelbar miteinander schriftlich zu verkehren, die in diesem Verkehr anzuwendende Sprache, sowie in beschränktem Umfang den Verzicht auf die Erstattung der Kosten, die sich aus dem Vollzug von Rechtshilfeersuchen ergeben. Sie wurde beiderseits hinsichtlich der Rechtshilfe in Zivilsachen als eine das von beiden Staaten ratifizierte Haager Übereinkommen betreffend Zivilprozessrecht vom 14. November 1896 ergänzende Vereinbarung angesehen, soweit sie sich auf die Rechtshilfe in Zivilsachen bezog, und in der Folge auch als für den Rechtshilfeverkehr nach den dieses Übereinkommen ersetzenden und gleichbenannten Haager Übereinkommen von 1905 und 1954 gültig betrachtet. Die österreichischen Behörden hielten es jedoch für fraglich, ob gegen diese Praxis nicht rechtliche Bedenken beständen. Sie erachteten es ferner als wünschbar, die auch sprachlich veraltete Vereinbarung den veränderten Umständen anzupassen und durch einige Bestimmungen über einzelne Fragen zu ergänzen, die gelegentlich in der Praxis zu Schwierigkeiten Anlass gegeben hatten. Da die zuständigen Bundesbehörden diese Auffassung teilten, wurde vereinbart, zunächst auf schriftlichem Wege eine Einigung über die dabei zu regelnden Fragen herbeizuführen und mündliche Verhandlungen erst aufzunehmen, wenn auf Grund der

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Ergebnisse ein als Diskussionsgrundlage brauchbarer Entwurf für die neuen Vereinbarungen ausgearbeitet wäre.

Da sich die schriftlichen Verhandlungen stark in die Länge zogen, konnte ein Vertragsentwurf erst im Laufe des Jahres 1967 bereinigt und die Aufnahme mündlicher Verhandlungen in Aussicht genommen werden. Die Verhandlungen haben vom 27.Februar bis I.März 1968 in Bern stattgefunden. Sie führten zur Paraphierung eines gemeinsamen Vertragsentwurfs, der am 26. August 1968 in Wien unterzeichnet worden ist.

Den Vereinbarungen, die von einzelnen Bestimmungen des Haager Übereinkommens abweichen, kommt nach österreichischer Auffassung gesetzesändernder Charakter zu. Deshalb kam von vornherein eine einfache Regierungsvereinbarung nicht mehr in Betracht, obwohl im wesentlichen nur in der Praxis bereits angewendete Regeln bestätigt werden. Somit musste die Form eines formellen Staatsvertrages gewählt werden. Die Genehmigung des Vertrages durch die eidgenössischen Räte ist erforderlich im Hinblick auf die Bestimmungen von Artikel l Absatz 3 und Artikel 6, die im Verhältnis zu Österreich neue völkerrechtliche Verpflichtungen schaffen.

Artikel l des Vertrags berechtigt die Gerichte der beiden Staaten, in Zivil- und Handelssachen zum Zwecke der Leistung von Rechtshilfe unmittelbar miteinander zu verkehren. Für die Zustellung von Schriftstücken wird erstmals die unmittelbare Übersendung mit der Post an den Empfänger im ändern Staat zugelassen, sofern nicht die Zustellung in besonderer Form erforderlich ist. Diese Neuerung drängt sich im Hinblick auf die für die beiderseitigen Gerichte damit verbundene Vereinfachung auf und bringt eine nicht unwesentliche Entlastung von Rechtshilfegeschäften mit sich.

Artikel 2 regelt die im unmittelbaren Verkehr anzuwendende Sprache abweichend von den Vorschriften des Haager Übereinkommens. Der darin ausgesprochene Verzicht auf Übersetzung in die Amtssprache der ersuchten Behörde stellt eine im Hinblick auf den Umfang des Rechtshilfeverkehrs zwischen den beiden Staaten erhebliche Erleichterung dar. Dies gilt auchfür den in Artikel 3, Absatz l vorgesehenen Verzicht auf die Übermittlung zuzustellender Schriftstücke in doppelter Ausfertigung.

Artikel 3 stellt in Absatz 2 klar, dass im Zustellungsverkehr Strafandrohungen in Vorladungen als nicht aufgenommen gelten und somit
keine Wirkung haben, ein Punkt, dessen Regelung besonders zweckmässig erschien, weil er immer wieder zu Beanstandungen und Diskussionen Anlass gab.

Artikel 4 vereinfacht die Vorschriften des Übereinkommens über die Beglaubigung der im Rechtshilfeverkehr übermittelten Schriftstücke. Zu bemerken ist dazu, dass damit auch eine weitere Vereinfachung gegenüber dem Beglaubigungsvertrag zwischen der Schweiz und Österreich vom 21. August 1916 erzielt worden ist.

Artikel 5 stellt eine Präzisierung der Vorschriften in Artikel 4 und Artikel 11 Absatz 3 Ziffer 3 des Haager Übereinkommens dar, wonach die Erledigung von Rechtshilfeersuchen abgelehnt werden kann, wenn sie nach Auffassung des ersuchten Staates unter anderem geeignet erscheint, seine Hoheitsrechte zu verlet-

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zen. In der Tat werden diese Bestimmungen immer wieder angerufen, wenn der ersuchte Staat nach seinem Recht die âusschliesslicbe Gerichtsbarkeit hinsichtlich des Gegenstand des zum Rechtshilfeersuchen Anlass gebenden Verfahrens bildenden Rechtsverhältnisses beansprucht. Indessen wurde von jeher in der Haager Konferenz die Auffassung vertreten, die nun in Artikel 5 ausdrücklich festgehalten wird und im übrigen auch im neuesten von der Haager Konferenz im Oktober 1968 ausgearbeiteten Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland ihren Niederschlag gefunden hat.

Artikel 6 übernimmt für die Zivil- und Handelssachen eine Bestimmung, die zwar nur indirekt mit der Rechtshilfe zu tun hat und bisher nur in Vereinbarungen über die Strafrechtshilfe zu finden war (vgl. Art. 12 des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen), der aber eine gewisse Bedeutung auch in diesem Zusammenhang nicht abgesprochen werden kann. Die Bestimmung schützt Personen, die als Zeugen oder Sachverständige vor ein Gericht des ändern Staates geladen werden, davor, dass ihre Anwesenheit in diesem Staat gegen ihren Willen zur Durchführung einer strafrechtlichen Verfolgung oder zur Vollstreckung einer gegen sie ergangenen strafrechtlichen Entscheidung benützt wird. Das hat namentlich im Hinblick auf die Häufung der Fälle Bedeutung, in denen Personen aus dem einen Staat im ändern wegen Strassenverfcebrsübertretungen verfolgt werden, vielfach ohne etwas davon zu wissen, Artikel 7 Absatz l schafft die Rechtsgrundlage für die Beseitigung einer nicht beabsichtigten indirekten Folge des zwischenstaatlichen Verzichts auf Rückerstattung gewisser mit der Leistung der Rechtshilfe verbundener Kosten (vgl. Art. 7 und 16 des Haager Übereinkommens). Es steht ausser Frage, dass die mit einer zwischenstaatlichen Kostenerstattung verbundenen Spesen und Umtriebe in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle den Verzicht auf die Erstattung aufdrängen. Das vermag aber die damit verbundene Entlastung der kostenpflichtigen Prozessparteien von der Bezahlung der tatsächlich aufgelaufenen Kosten nicht zu rechtfertigen. Dafür bedarf es jedoch eines besonderen Rechtstitels, soweit das prozessführende Gericht diese Kosten nicht zu begleichen hat. Artikel 7 Absatz l sieht deshalb die Pflicht zur Meldung dieser Kosten vor und
ermächtigt das ersuchende Gericht, sie zu den übrigen Kosten des Verfahrens zu schlagen.

Absatz 2 befasst sich mit den besonderen Auslagen, die nach Artikel 7 Absatz 2 und Artikel 16 Absatz 2 des Übereinkommens dem ersuchten Staat zurückerstattet werden müssen. Die Regelung des Übereinkommens rechtfertigt sich aus den bereits genannten Gründen nur für einigermassen erhebliche Beträge. Der Vertrag beschränkt deshalb die Rückerstattung dieser Kosten auf Fälle, in denen sie den Betrag von 100 Schweizer Franken oder den Gegenwert dieses Betrages in österreichischen Schillingen übersteigen.

Artikel 8 stellt den Gerichten im Sinne des Vertrags schweizerische Verwaltungsbehörden gleich, soweit sie für Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zuständig sind. In Österreich sind für alle diese Entscheidungen ausschliesslich die Gerichte zuständig.

175 Auf Grund der vorstehenden Ausführungen beehren wir uns, Ihnen den angefügten Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des als Anhang beigefügten Vertrags zu unterbreiten.

Die verfassungsrechtliche Grundlage bildet Artikel 8 der Bundesverfassung, wonach der Bund zum Abschluss von Staatsverträgen mit fremden Staaten berechtigt ist.

Die Zuständigkeit der Bundesversammlung ergibt sich aus Artikel 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung. Wir beantragen Ihnen, durch Annahme des Entwurfs zu einem Bundesbeschluss den Vertrag zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 29. Januar 1969 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : L. von Moos Der Bundeskanzler: Huber

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(Entwurf)

Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrages mit der Republik Österreich zur Ergänzung des Haager Übereinkommens betreffend Zivilprozessrecht Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Artikel 8 und 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 29. Januar 1969, beschliesst: Einziger Artikel Der am 26. August 1968 in Wien unterzeichnete Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich zur Ergänzung des Haager Übereinkommens vom I.März 1954 betreffend Zivilprozessrecht wird genehmigt und der Bundesrat zu dessen Ratifizierung ermächtigt.

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Originaltext

Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich zur Ergänzung des Haager Übereinkommens vom 1. März 1954 betreffend Zivilprozessrecht

Die Schweizerische Eidgenossenschaft und

die Republik Österreich vom Wunsche geleitet, den Rechtshilfeverkehr nach dem Haager Übereinkommen vom l. März 1954 betreffend Zivilprozessrecht - im folgenden als Übereinkommen bezeichnet - zu erleichtern, sind übereingekommen, einen Vertrag zu schliessen. Zu Bevollmächtigten haben ernannt : der Schweizerische Bundesrat Herrn Dr. Alfred M. Escher, ausserordenthchen und bevollmächtigten Botschafter, der Bundespräsident der Republik Österreich Herrn Dr. Kurt Waldheim Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten.

Die Bevollmächtigten haben nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten nachstehende Bestimmungen vereinbart : Artikel l (1) Die Gerichte der beiden Staaten verkehren in Zivil- und Handelssachen zum Zwecke der gegenseitigen Leistung von Rechtshilfe einschliesslich der Vornahme von Zustellungen unmittelbar miteinander.

(2) Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartemenl und das österreichische Bundesministerium für Justiz übermitteln einander so bald wie möglich Verzeichnisse der Gerichte, an die Rechtshilfeersuchen zu richten sind, sowie allfällige Änderungen dieser Verzeichnisse.

178 (3) Die Zustellung von Schriftstücken durch unmittelbare Übersendung mit der Post an Personen im anderen Staat ist zulässig, sofern nicht Zustellung in besonderer Form, namentlich an den Empfänger persönlich verlangt wird.

Artikel 2 Übersetzungen sind - abgesehen vom Falle des Artikels 3 Absatz 2 des Übereinkommens - auch dann nicht erforderlich, wenn die Amtssprache des ersuchenden und die des ersuchten Gerichtes nicht die gleiche ist.

Artikels (1) Die Übermittlung zuzustellender Schriftstücke in zweifacher Ausfertigung nach Artikel 3 Absatz l des Übereinkommens ist nicht erforderlich.

(2) Strafandrohungen in Vorladungen, die im anderen Staat zugestellt werden, gelten als nicht aufgenommen. Jedoch sind Hinweise auf prozessuale Säumnisfolgen zulässig.

Artikel 4 ( l ) Zustellungsnachweise bedürfen keiner Beglaubigung.

(2) Der Beglaubigung von Übersetzungen im Sinne des Artikels 3 Absatz 3 des Übereinkommens steht die Bescheinigung ihrer Richtigkeit durch das ersuchende Gericht oder einen im ersuchenden Staat beigezogenen Dolmetscher gleich.

Artikels Die Beanspruchung der ausschliesslichen Gerichtsbarkeit durch den ersuchten Staat in einer Zivil- oder Handelssache ist kein Grund für die Ablehnung der Vornahme einer Zustellung oder der Erledigung eines Rechtshilfeersüchens.

Artikel 6 (1) Ein Zeuge oder Sachverständiger, gleich welcher Staatsangehörigkeit, der auf Vorladung vor einem Gericht des ersuchenden Staates erscheint, darf in dessen Hoheitsgebiet wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor seiner Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates weder verfolgt noch in Haft gehalten, noch einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden.

(2) Der im vorstehenden Absatz vorgesehene Schutz endet, wenn der Zeuge oder Sachverständige nach der Vornahme der Prozesshandlungen, für deren Durchführung seine Anwesenheit von dem Gericht verlangt worden war, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates verlässt oder sich ohne Unterbrechung dort aufhält, obwohl seiner freien Ausreise während fünfzehn aufeinanderfolgenden Tagen keine Hindernisse entgegenstanden.

179 Artikel?

(1) Das ersuchte Gericht gibt dem ersuchenden Art und Höhe der entstandenen Kosten bekannt. Diese werden zu den Kosten des Verfahrens im ersuchenden Staat geschlagen.

(2) Gebühren oder Auslagen irgendwelcher Art werden auch in den in Artikel 7 Absatz 2 und Artikel 16 Absatz 2 des Übereinkommens bezeichneten Fällen nicht erstattet, ausgenommen die einem Zeugen oder Sachverständigen bezahlten Entschädigungen, wenn diese 100 Franken übersteigen.

Artikels Den Gerichten im Sinne dieses Vertrages stehen schweizerische Verwaltungsbehörden gleich, soweit sie für Zivil- und Handelssachen zuständig sind, insbesondere Betreibungs-, Konkurs-, Erbschafts- und Vormundschaftsämter.

Artikel 9 Mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages tritt die Erklärung zwischen der Schweiz und Österreich betreffend den direkten Verkehr der beiderseitigen Gerichtsbehörden vom 30. Dezember 1899 für den Rechtshilfeverkehr in Zivilund Handelssachen ausser Kraft.

Artikel 10 (1) Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation. Der Austausch der Ratifikationsurkunden soll so bald wie möglich in Bern stattfinden.

(2) Der Vertrag tritt am sechzigsten Tag nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.

Artikel 11 Jeder der beiden Staaten kann diesen Vertrag durch schriftliche, an den anderen Staat zu richtende Notifikation kundigen. Die Kündigung wird ein Jahr nach dem Zeitpunkt, in dem sie notifiziert worden ist, wirksam.

ZU URKUND DESSEN haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

Geschehen in Wien, am 26. August 1968.

in zwei Urschriften in deutscher Sprache.

Für die Schweizerische Eidgenossenschaft : (gez.) A. Escher 0550

Für die Republik Österreich : (gez.) K. Waldheim

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14.02.1969

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