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Bundesblatt

Bern, den 24. Oktober 1969

121. Jahrgang

Band II

Nr. 42 Erscheint wöchentlich. Preis : Inland Fr. 40.- im Jahr, Fr. 23.- im Halbjahr, Ausland Fr. 52.im Jahr, zuzüglich Nachnahme- und Postzustellungsgebuhr. Inseratenverwaltung : Permedia, Pubhcitas AG, Abteilung für Periodika, Hirschmattstrasse 42,6002 Luzern, Tel. 041/23 66 66

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung

über die Genehmigung von § Sie des Gesetzes des Kantons Basel-Stadt betreffend Wahl und Organisation der Gerichte und der richterlichen Beamtungen (Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht) (Vom 6. Oktober 1969) Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, 1. Nach Artikel 114Ms Absatz 4 der Bundesverfassung sind die Kantone mit Genehmigung der Bundesversammlung befugt, Administrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen, dem eidgenössischen Verwaltungsgericht, also dem Schweizerischen Bundesgericht, zur Beurteilung zuzuweisen. Präzedenzfälle für diese Kompetenzzuweisung betreffen die Kantone Bern (BB1 1907 V 285, BS 3578), Graubünden (BB1 1945 I 100, BS 3 579), Schwyz (BB1 1952 III 645 und 901) und Uri (BB119621 581 ; Geschäft am 1. März 1965 von der Geschäftsliste der Bundesversammlung gestrichen wegen Rückzuges des Gesuches), ferner die Genehmigung von Ziffer II des Anhangs zur Interkantonalen Übereinkunft zur Verstärkung der polizeilichen Sicherheitsmassnahmen vom 28. März 1968, soweit sie die Beurteilung streitiger Schadenersatz-, Genugtuungs- und Rückgriffsansprüche aus Ziffer I des genannten Anhangs dem Bundesgericht zuweist (BB vom 4. Juni 1969, AS 1969 528).

2. Am 25. April 1968 erliess der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt das Gesetz betreffend die Dienstverhältnisse der Beamten und Angestellten des Kantons Basel-Stadt sowie betreffend die Haftbarkeit von Behörden und Staat (Beamtengesetz). Nachdem die Referendumsfrist unbenutzt abgelaufen war, wurde es vom Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt mit Ausnahme von § 38 Absatz 2 und § 67 Ziffer 3 auf den l. Juli 1968 in Kraft gesetzt.

§ 38 regelt die Zuständigkeit zum Entscheid von Streitigkeiten über Schadenersatzforderungen gegen den Staat. Nach Absatz l sind solche StreitigkeiBundesblatt. 121. Jahrg. Bd. II

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1098 ten auf dem Wege des Zivilprozesses von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden. Absatz 2 bestimmt : «Erreicht die Schadenersatzforderung Fr. 8000.-, so kann die Klage unmittelbar beim Appelationsgericht anhängig gemacht werden. In diesem Fall kann das Urteil des Appelationsgerichts gemäss Artikel 114 bis Absatz 4 der Bundesverfassung an das Bundesgericht weitergezogen werden. »

Durch § 67 Ziffer 3 wurde dem Gesetz vom 27. Juni 1895 betreffend Wahl und Organisation der Gerichte und der richterlichen Beamtungen (Gerichtsorganisationsgesetz) unter anderem ein § 81 c neu eingefügt, dessen Absatz 2 vorsieht, dass Gerichtspräsidenten, Statthalter, Richter und Ersatzrichter beider Instanzen sowie Staatsanwälte, die vom Grossen Rat disziplinarisch entlassen werden, gegen diese Massnahme innert 30 Tagen beim Bundesgericht Rekurs erheben können, und dass diesem die freie Prüfungsbefugnis zusteht.

3. Mit Schreiben vom 12. Juni 1968 richtete der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt an den Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung das Gesuch um Genehmigung der beiden Kompetenzzuweisungen an das Bundesgericht. Das Gesuch wurde dem Bundesgericht zur Stellungnahme unterbreitet.

4. In bezug auf § 38 Absatz 2 des Beamtengesetzes des Kantons BaselStadt stellte sich das Bundesgericht auf den Standpunkt, die Genehmigung sollte von der Bundesversammlung nicht erteilt werden. Artikel 114Ms Absatz 4 der Bundesverfassung habe eine beschränkte Tragweite. Ein Bedürfnis nach der durch diese Bestimmung ermöglichten Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht fehle namentlich überall dort, wo die Kantone für die Beurteilung in ihren Bereich fallender Administrativstreitigkeiten eigene, von der Verwaltung unabhängige Behörden (Verwaltungsgerichte) eingesetzt hätten. Insbesondere habe Artikel 114Ms Absatz 4 der Bundesverfassung nicht den Sinn, für die Beurteilung kantonalrechtlicher Administrativstreitigkeiten das Bundesgericht als obere Instanz zur Verfügung zu stellen (vgl. BB119621 583, mit Hinweisen auf die Beratungen über die Verfassungsbestimmung). Wollte man trotzdem dem Begehren des Kantons Basel-Stadt entsprechen, so hätte dies weitere Kompetenzzuweisungen aus anderen Kantonen zur Folge. Damit würde der Rahmen der Kompetenzen, die Bundesverfassung und Gesetzgebung dem Bundesgericht zuwiesen, gesprengt werden. Der Regierungsrat des Kantons BaselStadt, dem diese Stellungnahme des Bundesgerichts mitgeteilt wurde, hielt zunächst an seinem Begehren fest, verzichtete aber in der Folge mit Schreiben vom 11. März 1969 darauf. Die Bundesversammlung hat somit nur über die Genehmigung des § 81c des Gerichtsorganisationsgesetzes zu beschliessen.

5. Was die in § 81c Absatz 2 des Gerichtsorganisationsgesetzes
vorgesehene Zuweisung an das Bundesgericht anbelangt, sind Bundesgericht und Bundesrat der übereinstimmenden Auffassung, dass sie dem Sinne von Artikel 114bls Absatz 4 der Bundesverfassung entspricht. Auch ist daraus für das Bundesgericht keine übermässige Beanspruchung zu erwarten. Der Grosse Rat ist zwar von der kantonalen Verwaltung unabhängig, doch gehört es im allgemeinen nicht zu seinen Aufgaben, richterliche Funktionen auszuüben. Zudem ist

1099 es kaum denkbar, dass den von ihm disziplinarisch entlassenen Gerichtspersonen der Weg des Rekurses an eine andere kantonale Behörde, z. B. an das Appellationsgericht, geöffnet werden könnte. Auch Artikel 42 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943/20. Dezember 1968 über die Organisation der Bundesrechtspflege (Organisationsgesetz, OG) (BS 3 531; AS 1969 767) steht hier der Kompetenzzuweisung nach Artikel 114bls Absatz 4 der Bundesverfassung nicht entgegen. Wohl können die wirtschaftlichen Folgen der Entlassung eines kantonalen Beamten Gegenstand einer zivilrechtlichen Streitigkeit im Sinne von Artikel 42 des Organisationsgesetzes sein (BGE 49II417, 62II 297, 72 I 287 f.); dagegen kann die Entlassung als solche nicht auf diesem Wege angefochten werden (Birchmeier, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, Note 2b zu Art. 42). Der Zustimmung zu der in § 81c des Gerichtsorganisationsgesetzes enthaltenen Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht steht somit nichts entgegen.

6. Nach Artikel 121 des am 20. Dezember 1968 revidierten Organisationsgesetzes (AS 1969 778) sind die dem Bundesgericht in Anwendung von Artikel 114bls Absatz 4 der Bundesverfassung zugewiesenen kantonalen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten in dem für das Bundesgericht als Beschwerde- oder einzige Instanz der Verwaltungsrechtspflege vorgesehenen Verfahren (Art. 97-120 rev. OG, AS 1969 769 ff.) zu erledigen, soweit die Bundesversammlung nicht anders beschliesst.

Dem Bundesgericht soll nach § 8 le Absatz 2 des baselstädtischen Gerichtsorganisationsgesetzes bei der Beurteilung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Disziplinarrekurse die freie Prüfungsbefugnis zustehen. Im Genehmigungsgesuch des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt wurden hinsichtlich des Verfahrens keine weiteren Wünsche geäussert.

' Die freie Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts findet sich in Artikel 104 Buchstabe c Ziffer 2 und Artikel 105 des revidierten Organisationsgesetzes gewährleistet. Die Bundesversammlung hat somit nichts von Artikel 121 des revidierten Organisationsgesetzes Abweichendes zu beschliessen.

Wir empfehlen Ihnen den beiliegenden Beschlussesentwurf zur Annahme und versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 6. Oktober 1969 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : L. von Moos Der Bundeskanzler: Huber

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(Entwurf)

Bundesbeschluss über die Genehmigung von § 81 c des Gesetzes des Kantons Basel-Stadt betreffend Wahl und Organisation der Gerichte und der richterlichen Beamtungen (Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht)

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Artikel 114Ws Absatz 4 der Bundesverfassung und von Artikel 121 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 19431> über die Organisation der Bundesrechtspflege, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom O.Oktober 1969, beschliesst: Einziger Artikel 1

§ 81c des Gesetzes des Kantons Basel-Stadt vom 27. Juni 1895 betreffend Wahl und Organisation der Gerichte und der richterlichen Beamtungen, eingefügt durch § 67 Ziffer 3 des Gesetzes vom 25. April 1968 betreffend die Dienstverhältnisse der Beamten und Angestellten des Kantons Basel-Stadt sowie betreffend die Haftbarkeit von Behörden und Staat, wird genehmigt, soweit er vorsieht, dass Gerichtspräsidenten, Statthalter, Richter und Ersatzrichter beider Instanzen sowie Staatsanwälte, die vom Grossen Rat disziplinarisch entlassen werden, gegen diese Massnahmen innert 30 Tagen beim Bundesgericht Rekurs erheben können und dass diesem die freie Prüfungsbefugnis zusteht.

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Auf diese Rekursfälle ist das Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die über Bundespersonal verhängten Disziplinarstrafen anzuwenden.

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*> BS 3 531 ; AS 1969 767

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