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Bundesblatt

Bern, den 9. Mai 1969

121. Jahrgang

Band I

Nr. 18 Erscheint wöchentlich. Preis: Inland Fr, 40 - im Jahr, Fr. 23.- im Halbjahr, Ausland Fr. 52.ira Jahr, zuzüglich Nachnahme- und Postzustellungsgebuhr. InscratenverwaHung: Pcrmedia, Publicitas AG, Abteilung für Pcriodifca, Hirschmattstrasse 42,6002 Luzcm.Tel. 041/23 66 66

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung eines zwischen der Schweiz und Liechtenstein abgeschlossenen Abkommens über Familienzulagen (Vom 23. April 1969)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren !

Wir beehren uns, Ihnen mit dieser Botschaft das am 26. Februar 1969 zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein abgeschlossene Abkommen über Familienzulagen (im folgenden kurz «Abkommen» bezeichnet) zur Genehmigung zu unterbreiten.

I. Vorgeschichte

Im Fürstentum Liechtenstein wurden durch das Gesetz vom 6, Juni 1957 für die gesamte Bevölkerung Familienzulagen eingeführt, die in Geburts- und Kinderzulagen bestehen. Bei jeder Geburt wird eine Zulage von 200 Franken und bei Mehrfachgeburten eine solche von 300 Franken gewährt. Die Kinderzulage beträgt je Kind und Monat in Franken : 10 für das erste Kind; 15 für das zweite Kind; 25 für das dritte Kind; 30 für jedes folgende Kind.

Ursprünglich waren für ausländische Arbeitnehmer keine abweichenden Ansätze der Kinderzulagen vorgesehen. Bei der Revision des Abkommens mit Liechtenstein über die AHV im Jahre 1964 bestand daher kein Anlass, auch die Familienzulagen im Abkommen zu regeln (vgl. Botschaft vom 20. September 1965 zum schweizerisch-liechtensteinischen Abkommen über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; BB1. 1965 II 1493). Noch im Jahre der Unterzeichnung des erwähnten Abkommens erfuhr jedoch das Bundesblatt. 121.Jairg. Bd. I

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liechtensteinische Gesetz über die Familienzulagen eine wesentliche Änderung. Durch die Gesetzesnovelle vom 27. Juni 1965 wurde zu den Kinderzulagen eine Ergänzungszulage von 20 Franken je Kind im Monat eingeführt. Auf diese Ergänzungszulage haben Arbeitnehmer, die in Liechtenstein tätig, aber im Ausland wohnhaft sind, keinen Anspruch. Durch die neue Regelung wurden auch schweizerische Grenzgänger, vor allem aus dem Kanton St. Gallen, betroffen. Im Grossen Rat des Kantons St, Gallen wurden daher eine Kleine Anfrage und eine von 31 Kantonsräten unterzeichnete Motion eingereicht, in denen der Regierungsrat ersucht wurde, auf dem Wege einer zwischenstaatlichen Vereinbarung die Gleichstellung der Grenzgänger mit den in Liechtenstein wohnhaften Arbeitnehmern anzustreben. Dies veranlasste den Regierungsrat des Kantons St. Gallen, mit einem entsprechenden Begehren an die Bundesbehörden zu gelangen. In der Folge wurden vorbereitende Expertenbesprechungen eingeleitet. Am 25. und 26. Februar 1969 fanden in Vaduz zwischen einer schweizerischen Delegation unter der Leitung von Dr. C. Motta, Vizedirektor des Bundesamtes für Sozialversicherung und Delegierter des Bundesrates für Sozialversicherungsabkommen, und einer liechtensteinischen Delegation unter der Leitung von Regierungschef Dr. G. Batliner Verhandlungen statt, die mit der Unterzeichnung des vorliegenden Abkommens abgeschlossen wurden. Der schweizerischen Delegation gehörten ausser dem Vertreter des Kantons St. Gallen auch ein Vertreter des Kantons Graubünden an, der an einer zwischenstaatlichen Vereinbarung ebenfalls interessiert ist.

II. Bemerkungen zum Abkommen L Grundsatz der Gleichstellung Das Abkommen erstreckt sich in der Schweiz auf das Bundesgesetz über die Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Kleinbauern sowie auf die Kinderzulagengesetze der Kantone St. Gallen und Graubünden, und in Liechtenstein auf die Gesetzgebung über die Familienzulagen. Die schweizerischen und liechtensteinischen Staatsangehörigen sind in den Rechten und Pflichten, die sich aus den genannten Gesetzgebungen ergeben, wie folgt einander gleichgestellt.

a. Liechtensteinische Staatsangehörige, die sich in der Schweiz als landwirtschaftliche Arbeitnehmer betätigen, haben Anspruch auf Familienzulagen, wie sie den schweizerischen landwirtschaftlichen
Arbeitnehmern zustehen.

In den Kantonen St. Gallen und Graubünden haben ausländische Arbeitnehmer, deren Kinder im Ausland leben, nur für die ehelichen Kinder und Adoptivkinder bis zum zurückgelegten 15. Altersjahr Anspruch auf Zulagen.

Stiefkinder, aussereheliche Kinder und Pflegekinder sowie Kinder zwischen dem 15. und 20. Altersjahr, die sich in Ausbildung befinden oder wegen Krankheit oder Gebrechen erwerbsunfähig sind, gelten nicht als zulageberechtigt, sofern sie im Ausland leben. Diese Sondervorschriften gelangen nunmehr für liechtensteinische Staatsangehörige, die in den beiden Kantonen als Arbeitnehmer tätig sind, nicht zur Anwendung (Art. 2 Abs. l und 2).

827 b. Schweizerische Staatsangehörige, die in den Kantonen St. Gallen oder Graubünden wohnhaft und in Liechtenstein erwerbstätig sind, werden den liechtensteinischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Grenzgänger aus den beiden Kantonen können daher die Ergänzungszulagen von 20 Franken je Kind im Monat sowie die Geburtszulagen beanspruchen. Die Gleichstellung erstreckt sich auch auf Bürger der erwähnten Kantone, die in Liechtenstein wohnhaft sind. Diese haben wie liechtensteinische Staatsangehörige Anspruch sowohl auf Kinderzulagen als auch auf Geburtszulagen (Art. 2 Abs. 3 und 4).

c. Die im Abkommen eingeräumten Vorteile können durch einfachen Briefwechsel auch auf andere Kantone ausgedehnt werden (Art, 8). Eine solche Ausdehnung entspräche einem Wunsche Liechtensteins.

2. Inkrafttreten und Geltungsdauer Da der Kanton St. Gallen auf eine rasche Inkraftsetzung des Abkommens Wert legte und von liechtensteinischer Seite dazu das Einverständnis gegeben wurde, tritt das Abkommen, unter Vorbehalt der parlamentarischen Genehmigung in beiden Ländern, am 1. Juli 1969 in Kraft (Art. 10 Abs. 2). Es bedarf weder im einen noch im anderen Kanton der Zustimmung der rechtsetzenden Behörden.

Die Geltungsdauer des Abkommens ist auf l Jahr beschränkt mit dem Zusatz, dass das Abkommen ohne Kündigung, die spätestens 3 Monate vor Ablauf der Jahresfrist zu erfolgen hätte, für ein weiteres Jahr in Kraft bleibt (Art. 9).

Der Staatsvertrag unterliegt somit nicht dem fakultativen Referendum gemäss Artikel 89 Absatz 4 der Bundesverfassung.

3. Verfassungsmässige Grundlage Gemäss Artikel 34
In bezug auf die Kinderzulagengesetze der Kantone St. Gallen und Graubünden
ist festzustellen, dass in beiden Kantonen ausländische Arbeitnehmer für ihre im Ausland lebenden ehelichen Kinder und Adoptivkinder schon heute Anspruch auf Kinderzulagen haben. Es werden daher nur wenige Kinder neu zulageberechtigt sein, so dass die finanziellen Mehraufwendungen für die beiden Kantone nicht ins Gewicht fallen.

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Wir sind überzeugt, dass das vorliegende Abkommen, das als eine ausgewogene Regelung der hangigen Fragen betreffend die Familienzulagen gelten darf, die freundnachbarlichen Beziehungen, die zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein seit jeher bestanden haben, noch verstärken wird.

Wir beantragen Ihnen deshalb, das am 26. Februar 1969 zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein abgeschlossene Abkommen über Familienzulagen durch die Annahme des beiliegenden Entwurfes eines Bundesbeschlusses zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 23. April 1969 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : L. von Moos

Der Bundeskanzler: Huber

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(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über Familienzulagen

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

gestützt auf die Artikel 8 und 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 23. April 1969, beschlfesst:

Art. l Das am 26. Februar 1969 unterzeichnete Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über Familienzulagen wird genehmigt.

a Der Bundesrat wird ermächtigt, es zu ratifizieren.

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Art. 2 Der Bundesrat wird ermächtigt, die für die Anwendung des Abkommens notwendigen Vorschriften zu erlassen.

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Originaltext

Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über Familienzulagen Der Schweizerische Bundesrat und Seine Durchlaucht der Regierende Fürst von und zu Liechtenstein vom Wunsche geleitet, die bestehenden Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit durch eine Regelung über Familienzulagen zu erweitern, sind übereingekommen, ein entsprechendes Abkommen zu schliessen, und haben zu diesem Zweck zu ihren Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat: Herrn Dr. Cristoforo Motta, Delegierter des Bundesrates für Sozialversicherungsabkommen; Seine Durchlaucht der Regierende Fürst von und zu Liechtenstein : Herrn Dr. Gerard Batliner, Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein.

Die Bevollmächtigten haben nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten die nachstehenden Bestimmungen vereinbart : Art. l

(1) Dieses Abkommen bezieht sich in der Schweiz a. auf die Bundesgesetzgebung über Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Kleinbauern, b. auf die Gesetzgebungen der Kantone St. Gallen und Graubünden über die Familienzulagen; im Fürstentum Liechtenstein auf die Gesetzgebung über die Familienzulagen.

(2) Es bezieht sich ebenfalls auf die Gesetze und Verordnungen, die die in Absatz l genannten Gesetzgebungen ändern oder ergänzen.

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Art. 2 (1) Liechtensteinische Staatsangehörige, die sich in der Schweiz als landwirtschaftliche Arbeitnehmer betätigen, sind den schweizerischen landwirtschaftlichen Arbeitnehmern gleichgestellt.

(2) Liechtensteinische Staatsangehörige, die in den Kantonen St. Gallen und Graubünden wohnen oder erwerbstätig sind, haben Anspruch auf Familienzulagen, wie sie die in diesen Kantonen wohnhaften Schweizerbürger beanspruchen können.

(3) Staatsangehörige der Vertragsparteien, die in den Kantonen St. Gallen oder Graubünden wohnhaft und in Liechtenstein erwerbstätig sind, haben Anspruch auf Familienzulagen, wie sie den in Liechtenstein wohnhaften liechtensteinischen Staatsangehörigen zustehen.

(4) In Liechtenstein wohnhafte Bürger der Kantone St. Gallen und Graubünden sind den liechtensteinischen Staatsangehörigen gleichgestellt.

Art. 3 Die in Artikel 2 genannten Personen, für die innerhalb eines Kalendermonats nacheinander die in Artikel l aufgeführten Gesetzgebungen gelten, haben nach Massgabe der Dauer ihrer Beschäftigung beziehungsweise ihres Aufenthaltes Anspruch auf die Familienzulagen gemäss der anwendbaren Gesetzgebung.

Art. 4 Besteht für ein Kind nach den in Artikel l aufgeführten Gesetzgebungen für denselben Zeitraum Anspruch auf Familienzulagen, so sind nur die Familienzulagen nach der Gesetzgebung am Erwerbsort des Vaters geschuldet.

Art. 5 Zur Erleichterung der Durchführung dieses Abkommens werden folgende Verbindungsstellen eingerichtet: ·in der Schweiz a. in bezug auf die bundesrechtlichen Familienzulagen: das Bundesamt für Sozialversicherung, b, in bezug auf die Familienzulagen nach den kantonalen Gesetzgebungen : die zuständigen Kantonalen Ausgleichskassen; im Fürstentum Liechtenstein die Liechtensteinische Familienausgleichskasse.

Art. 6 Bei der Anwendung dieses Abkommens leisten sich die Behörden und Stellen gegenseitig kostenlose Hilfe, wie wenn es sich um die Anwendung ihrer eigenen Gesetzgebung handelte.

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Art. 7 (1) Die zuständigen Behörden beider Vertragsparteien a. einigen sich im gegenseitigen Einvernehmen über die Auslegung dieses Abkommens; b. unterrichten sich gegenseitig über die zur Durchführung dieses Abkommens getroffenen Massnahmen sowie über alle Änderungen ihrer Gesetzgebung.

(2) Zuständige Behörden sind in der Schweiz das Bundesamt für Sozialversicherung, Bern; in Liechtenstein die Regierung des Fürstentums Liechtenstein.

Art. 8 Die Regierungen der beiden Vertragsparteien können vereinbaren, dass sich dieses Abkommen auf die Familienzulagcngesetze weiterer Kantone bezieht.

Art. 9 Dieses Abkommen wird für die Dauer eines Jahres, gerechnet vom Tage seines Inkrafttretens an, geschlossen. Es gilt jeweils für ein weiteres Jahr, wenn es nicht von einer Vertragspartei wenigstens drei Monate vor Ablauf der Jahresfrist gekündigt wird.

Art. 10 (1) Dieses Abkommen bedarf der Ratifizierung; die Ratifikationsurkunden werden so bald wie möglich in Bern ausgetauscht.

(2) Dieses Abkommen tritt unter Vorbehalt der Genehmigung durch die gesetzgebenden Behörden beider Vertragsparteien am l. Juli 1969 in Kraft.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen unterzeichnet und mit Siegeln versehen, Geschehen zu Vaduz, am 26. Februar 1969 in zwei Urschriften.

Für die Schweizerische Eidgenossenschaft: (gez.) Cristoforo Motta 0754

Für das Fürstentum Liechtenstein : (gez.) Batliner

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung eines zwischen der Schweiz und Liechtenstein abgeschlossenen Abkommens über Familienzulagen (Vom 23. April 1969)

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