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Bundesblatt

Bern, den 18. Juli 1969

121. Jahrgang

Band I

Nr. 28 Erscheint wöchentlich. Preis : Inland Fr. 40.- im Jahr, Fr. 23.- im Halbjahr, Ausland Fr. 52.im Jahr, zuzüglich Nachnahme- und Postzustellungsgebühr. Inseratenverwaltung: Permedia, Publicitas AG, Abteilung für Periodika, Hirschmattstrasse 42,6002 Luzerrt, Tel. 041/23 66 66

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Bericht

des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen (Vom 16. Juni 1969) Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, Wir beehren uns, Ihnen hiermit einen Bericht über das Verhältnis der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen vorzulegen.

EINLEITUNG] A. Das Mandat Am 28. Februar 1967 reichte Nationalrat Bretscher ehi von seinen Ratskollegen Conzett, Dürrenmatt, Eggenberger und Purgier-mitunterzeichnetes Postulat ein, in dem der Bundesrat ersucht wurde, in einer der nächsten Sessionen einen Bericht über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen und im besonderen auch über die Aussichten und Möglichkeiten eines Beitrittes unseres Landes zu diesem Staatenverband unter Wahrung des Neutralitätsstatuts vorzulegen. Bei der Behandlung des Geschäftsberichts des Politischen Departements begründete Nationalrat Bretscher sein Postulat am 15. Juni 1967 insbesondere mit folgenden Erwägungen : Zweimal in unserem Jahrhundert ist der Versuch unternommen worden, die internationale Anarchie durch Schaffung einer weltumspannenden Staatenorganisation zu überwinden und den Frieden durch die Aufrichtung einer alle Staaten verpflichtenden völkerrechtlichen Ordnung zu sichern. Bei der Gründung des Völkerbundes sah sich die Schweiz vor die Frage gestellt, ob sie als dauernd neutraler Staat ausserhalb dieser neuen Staatenorganisation verbleiben müsse und könne oder ob es eine Möglichkeit gebe, dem Gebot der Solidarität, der Mitarbeit am Versuch der Schaffung einer allgemeinen Friedensordnung Folge zu leisten und so das nationale Interesse mit demjenigen der ganzen Menschheit Bundesblatt. 121. Jahrg. Bd.I

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zu verbinden. Die Frage wurde damals bejaht und führte zum Beitritt der Schweiz zum Völkerbund. Bei der Gründung der Vereinten Nationen stellte sich, allerdings vorerst nur theoretisch, das gleiche Problem. Eine zu seiner Abklärung durch den Bundesrat einberufene Kommission kam im November 1945 zum Schluss, dass ein Beitritt unter Wahrung der Neutralität wünschbar sei. Die nachfolgenden Sondierungen verliefen indessen ergebnislos. Die Frage verschwand damit rasch aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses. Seit einiger Zeit hat sich jedoch die Lage wesentlich geändert. Im Rahmen der allgemeinen Diskussion über die schweizerische Aussenpolitik ist auch die Frage einer Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen aufgeworfen worden. Die Erklärungen der Chefs des Politischen Departements, Bundesrat Wahlen und Bundesrat Spühler am 7. Oktober 1965 und am 16. Juni 1966, haben ihrerseits dazu beigetragen, die Diskussion anzuregen. Damit ist auch der Zeitpunkt nahegerückt, an dem eine authentische schweizerische Standertbestimmun g fällig werden könnte. Nur so werden die Voraussetzungen einer sachgerechten Diskussion in Parlament und Öffentlichkeit gegeben. Bisher wurden die Kommissionen der beiden Räte in mehr oder weniger vertraulicher Form über diese Frage orientiert. Dies sollte nun durch den angeregten Bericht auch für das Parlament als Ganzes und die Öffentlichkeit geschehen. Hinsichtlich des Inhaltes eines solchen Berichtes wäre eine Darlegung der Grundprinzipien und Rechtssätze der Charta und ihrer Anwendung, soweit sie die Schweiz interessieren, von Interesse. Dabei wäre auch der durch das Auftreten der «Dritten Welt» bedingte Strukturwandel der Vereinten Nationen zu berücksichtigen. Der Bericht hätte aber vor allem die Aussichten und Möglichkeiten eines Beitritts der Schweiz zu den Vereinten Nationen unter Wahrung ihres Neutralitätsstatuts zu untersuchen.

In seiner Antwort, die gleichzeitig auch der am 12. Dezember 1966 eingereichten Interpellation Schmitt galt, begrüsste Bundesrat Spühler als Vorsteher des Politischen Departements die um die Beitrittsfrage entstandene öffentliche Diskussion. Auch-der Bundesrat hat die Frage in den letzten Jahren verschiedentlich geprüft. Eine allgemeine Standortbestimmung wird jedoch ein nützliches Instrument der Information und der Abklärung der Ausgangslage
für künftige Entscheidungen sein. Um ihren Zweck zu erfüllen, sollte eine solche Bestandesaufnahme nicht unter dem Eindruck einer momentanen politischen Situation erfolgen, sondern sich in den grosseren Rahmen des geschichtlichen Ablaufs stellen.

B. Übersicht über den Bericht a. Mit dem vorhegenden Bericht kommt der Bundesrat dem Postukt Bretscher nach. Der Bericht besteht aus zwei Teilen. Der ausführlichere erste Teil soll vor allem der Information über die Organisation der Vereinten Nationen, über unser Neutralitätsstatut und über unser bisheriges Verhältnis zu den Vereinten Nationen dienen. Im kürzeren, stärker politisch orientierten zweiten Teil wollen wir unsere Schlussfolgerungen für die Zukunft darlegen.

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b. Der Bundesrat hat Herrn Prof. P. Guggenheim mit der Ausarbeitung eines ersten, allgemeinen dogmatisch-geschichtlichen Teils beauftragt. Dieser Teil wurde dann vom Politischen Departement, zusammen mit Herrn Prof.

Guggenheim, nochmals überarbeitet.

Dieser erste Teil des Berichts ist in drei Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel enthält einen Überblick über die Geschichte der politischen internationalen Organisationen, Es stellt den Völkerbund und seine Vorläufer kurz dar, schildert dann die Ziele und Aufgaben der Vereinten Nationen und bemüht sich, ihre bisherigen Bemühungen um den Weltfrieden gesamthaft zu würdigen.

Das zweite Kapitel ist der Frage der Neutralität gewidmet. Im ersten Abschnitt werden die Neutralitätspflichten dargestellt und von der Neutralitätspolitik sowie vom Neutralismus abgegrenzt. Im zweiten Abschnitt wird das Verhältnis der schweizerischen Neutralität zum Sanktionsrecht des Völkerbundes und die Entwicklung der schweizerischen Neutralität seit 1945 beschrieben. Der dritte Abschnitt ist der ständigen Neutralität von Laos, Österreich und Schweden gewidmet.

Das dritte Kapitel erörtert das bisherige Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen. Es befasst sich zuerst mit den Diskussionen über einen anfälligen Beitritt der Schweiz in den Jahren 1945 und 1946, dann mit dem Sitz der Vereinten Nationen in Genf und schliesslich mit dem heutigen Beobachterstatut der Schweiz bei den Vereinten Nationen. Im zweiten Abschnitt wird das Verhältnis der Schweiz zu bestimmten Massnahmen der Vereinten Nationen dargestellt (z.B. der Beteiligung an Anleihen und an gewissen Friedensaktionen, der Frage der Beteiligung an einer internationalen Friedenstruppe und dem Problem unserer Haltung gegenüber Zwangsvollstreckungsmassnahmen der Vereinten Nationen, insbesondere gegenüber Rhodesien).

Im dritten Abschnitt wenden wir uns dem Verhältnis der Schweiz zu einzelnen Organen der Vereinten Nationen sowie zu ihren SpezialOrganisationen zu, c. Im zweiten, ganz vom Politischen Departement ausgearbeiteten Teil des Berichts, erörtern wir die Möglichkeiten und Bedingungen eines Beitritts der Schweiz zu den Vereinten Nationen. Der erste Abschnitt behandelt die Frage der Vereinbarkeit des Neutralitätsstatuts der Schweiz mit der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und die Tragweite des Neutralitätsstatuts
im Falle der Nichtmitgliedschaft. Im zweiten Abschnitt wenden wir uns der Frage zu, wie die schweizerische Neutralität im Rahmen der Vereinten Nationen zu verwirklichen wäre und welches landesrechtliche Vorgehen im Falle eines Beitritts gewählt werden müsste. Im dritten Abschnitt fassen wir die bisherige Entwicklung der Vereinten Nationen zusammen. Im vierten Abschnitt wägen wir die Interessen der Schweiz als Mitglied und als Nichtmitglied der Vereinten Nationen umfassend ab, Abschliessend ziehen wir die Schlussfolgerungen aus den vorhergehenden Abschnitten.

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ERSTER TEIL I. KAPITEL DIE POLITISCHEN INTERNATIONALEN ORGANISATIONEN A. Die politischen Grundlagen der internationalen Organisation 1. Ausser den Ergebnissen der Tätigkeit des Völkerbundes (1919 bis 1946) und der 1945 geschaffenen Organisation der Vereinten Nationen steht uns wenig politische Erfahrung aus der Vergangenheit zur Verfügung, um die organisatorischen Grundlagen der zeitgenössischen internationalen Beziehungen zu erkennen und Einsicht in die Möglichkeiten der Bildung und Entwicklung internationaler Organisationen zu gewinnen. Seit dem Ausgang des Mittelalters hat immer mehr die Idee an Gewicht gewonnen, die Weltpolitik im Rahmen friedlicher Verfahren zur Erledigung der rechtlichen und politischen Streitigkeiten zu führen, unter Zurückbindung und womöglich völliger Ausschaltung der Kriege. Dabei fand nicht nur bei politischen Denkern, sondern auch bei praktischen Staatsmännern der Gedanke der Errichtung einer überstaatlichen Organisation, hauptsächlich in der Form der Schaffung einer «res publica christiana», Zustimmung. Zu diesen Bestrebungen gehörte insbesondere der «Grand Dessein» (grosse Plan) von Sully, dem überragenden Finanzminister und Helfer des Königs Heinrich IV. von Frankreich. Sein Ziel war die Schaffung eines christlichen Friedensreiches in Europa, einer als Staat im modernen Sinn gedachten «République très chrétienne», deren Glieder alle Streitigkeiten in einem der Gewalt entzogenen Schlichtungsverfahren bereinigen sollten.

Einen besonders wichtigen Versuch, die Machtverhältnisse auf Grund des Status quo zu stabilisieren, brachte der Utrechter Friede (1713). Er wollte nicht einen republikanischen Überstaat schaffen, sondern innerhalb der durch Freundschaft und Feindschaft verbundenen europäischen Staatenwelt ein Gleichgewicht der Macht herstellen. Auf dem Wiener Kongress (1815) und unmittelbar danach zeigte sich das Bestreben nach dem Abschluss eines allgemeinen Sicherheitsvertrages. Die Staatenpraxis des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts gab aber diese Idee zugunsten eines Systems periodischer Konferenzen der Grossmächte auf. Dieses Europäische Konzert, zu dem gelegentlich auch andere besonders interessierte Staaten zugelassen wurden, wie z.B. das Ottomanische Reich an der Berliner Konferenz von 1878, funktionierte bei besonderen Anlässen noch bis zum Ausbruch
des ersten Weltkrieges, Anderseits versuchten die Haager Konferenzen von 1899 und 1907, Ansätze zu einer internationalen Organisation im Rahmen der vom Völkerrecht ausgebildeten Verfahren zur Beilegung rechtlicher und politischer Strei-

1453 tigkeiten zu schaffen. Der schwache Punkt dieser Versuche bestand darin, dass die herkömmliche Souveränität der Staaten in vollem Umfang aufrechterhalten werden sollte. Das kommt insbesondere im Ersten Haager Abkommen zur friedlichen Beilegung internationaler Streitfälle (von 1899, revidiert 1907) zum Ausdruck, das keine Pflicht zur Anrufung eines Schiedsgerichts oder zum mindesten zur Durchführung eines politischen oder rechtlichen Vermittlungsverfahrens vorsieht und überhaupt darauf verzichtet, eine besondere politische Staatenorganisation zur Beilegung der zwischenstaatlichen Streitigkeiten zu schaffen.

2. Trotz dieser machtpolitischen Grundstimmung, die den konkreten, individuellen, ganz auf die Verwirklichung seiner eigenen Anliegen ausgerichteten Staat in den Mittelpunkt des zwischenstaatlichen Gemeinschaftsinteresses rückte, hat dieses allmählich an Bedeutung gewonnen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Eine grosse Rolle spielte die durch den modernen Verkehr erzielte Annäherung der Völker und die sich daraus ergebende Verflechtung ihrer gegenseitigen Verpflichtungen. Die Errichtung besonderer Zweckverbände erwies sich als notwendig; solche Zweckverbände wurden von den Staaten im universellen und auch im regionalen Bereich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Erfüllung internationaler Verwaltungsaufgaben geschaffen. Ihre Ansätze gehen auf den Wiener Kongress (1815) zurück. In erster Linie betraf diese Entwicklung das Verkehrsrecht, Es entstanden die ersten Flussschiffahrtsverbändefür die Donau und den Rhein; aus ihnen sind die entsprechenden Flussschiffahrtskommissionen hervorgegangen. Etwas später wurden die Grundlagen der heute noch bestehenden Verwaltungsunionen gelegt, nämlich des Weltpostvereins und des aus der Welttelegraphenunion hervorgegangenen Internationalen Fernmeldevereins.

Die Einrichtung und das reibungslose Funktionieren dieser Zweckverbände ist für die Entwicklung der heutigen Weltwirtschaft, die zu ihrer Entfaltung solcher Hilfsmittel bedarf, unerlässlich. An der Struktur der zwischenstaatlichen Beziehungen änderten die technischen Zweckverbände dagegen wenig. Ihr Aufgabenbereich blieb auf eine Hilfsfunktion beschränkt, die mit den zentralen Problemen der Kriegsvorbeugung, der Erledigung zwischenstaatlicher Streitigkeiten und der kollektiven Zwangsvollstreckung
im Falle eines rechtswidrigen kriegerischen Angriffs nur in mittelbarem Zusammenhang steht. Trotzdem ist es wichtig, dass die technischen Zweckverbände als Ausdruck einer dauernden Verpflichtung aufgefasst und so in das zwischen den souveränen Staaten geltende System des Völkerrechts eingebaut wurden. Wie der Vorsteher des Politischen Departements am 17. Juni 1968 in seiner Darlegung der Regierungspoh'tik vor dem Nationalrat ausgeführt hat, ist das gemeinsame Merkmal dieser Beziehungen ihr zunehmender und ausgeprägter Multilateralismus, Darin kommt die Wandlung der Welt, ihre völlige luterdependenz und ihre Hinwendung zur globalen Behandlung der Probleme zum Ausdruck. Die Tatsache, dass die Staaten auf immer zahlreicheren Gebieten nicht mehr einzeln, sondern im Rahmen internationaler Organisationen mit-

1454 einander verkehren, gilt für die eigentlich politischen und wirtschaftlichen Beziehungen und hat zur Folge, dass die Schweiz weit aktiver in die internationale Politik eingeschaltet ist und wird, als dies früher für einen neutralen Kleinstaat denkbar gewesen wäre1'.

3. Der erste Weltkrieg (1914-1918) hat dann in eklatanter Weise die Gefahren der alten Machtpolitik für die zukünftige Entwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen aufgezeigt. Schon in den ersten Kriegsjahrcn anerkannten die leitenden Staatsmänner der wichtigsten kriegführenden Staaten die Notwendigkeit einer organisatorischen Neugestaltung der internationalen Politik. Auch vom Heiligen Stuhl ist eine bedeutsame Kundgebung in diesem Sinne ausgegangen. Von besonderem Gewicht waren die Erklärungen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Woodrow Wilson, in seiner Botschaft vom 22. Januar 1917 und nach dem Kriegseintritt seines Landes über die Notwendigkeit wirksamer internationaler Vereinbarungen zur Sicherung des Friedens.

B. Der Völkerbund l. An der Pariser Friedenskonferenz von 1919 wurde eine Volkerbundskommission geschaffen, unter dem Vorsitz des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Woodrow Wilson. Auf Grund älterer Projekte, die hauptsächlich aus Grossbritannien und den Vereinigten Staaten stammten, und in Fortbildung der von den Vereinigten Staaten schon kurz vor dem ersten Weltkrieg begründeten Politik des Abschlusses bilateraler Vergleichsverträge (sog. Bryan-Verträge) arbeitete sie in kurzer Zeit den Entwurf des Völkerbundspaktes aus, welcher der Friedenskonferenz an ihrer Plenarsitzung vom 28. April 1919 vorgelegt wurde.

Zuvor hatten 13 neutrale Staaten, worunter auch die Schweiz, die an der Friedenskonferenz nicht vertreten waren, die Gelegenheit, in zwei Sitzungen vom 20. und 21. März 1919 vor einem Unterausschuss der Völkerbundskommission ihre Wünsche und Vorschläge vorzutragen. Aus den Diskussionen in diesem Unterausschuss ergaben sich jedoch nur geringfügige Änderungen des Entwurfes der Völkerbundskommission.

Der Entwurf des Völkerbundspaktcs wurde von der Friedenskonferenz mit unbedeutenden Änderungen gutgeheissen und in den Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 sowie die anderen von ihr ausgearbeiteten Fricdensvertrage aufgenommen. Die durch die Unterzeichnung der Verträge zur Mitgliedschaft berechtigten Siegerstaaten ratifizierten diese mit Ausnahme Ecuadors, des Hedschas und der Vereinigten Staaten; sie wurden damit zu ursprünglichen Völkcrbundsmitgliedern. Die von der Pariser Friedenskonferenz konsultierten 13 Neutralen, also auch die Schweiz, wurden eingeladen, dem Völkerbundspakt vorbehaltlos beizutreten. Die meisten machten von dieser Möglichkeit innerhalb der gebeizten Fiist Gebrauch.

« Vgl. Amtl. Bull. N., Sommersession 1968, S. 242.

1455 2. Die Ziele, für welche die Mitglieder des Völkerbundes grundsätzliche Verpflichtungen übernahmen, bestanden nach der Präambel des Paktes in der Förderung der Zusammenarbeit der Nationen und in der Gewährleistung des Vëlkerfriedens und der internationalen Sicherheit. Die neue Organisation war also nicht ein die Grundlagen des Staatensystems umstürzendes oder sie wesentlich erschütterndes Gebäude, sondern ein Bund eigenartiger Prägung und ohne geschichtliches Vorbild, der vor allem bestrebt war, dem mit dem bestehenden Staatensystem verbundenen Übel «Krieg» entgegenzutreten. Dabei verfügte jedoch das prekäre Gebilde des Völkerbundes nicht Über die Mittel, die traditionelle zwischenstaatliche Struktur auf eine neue Bahn zu leiten. Dennoch darf sein Einfluss auf die Weltpolitik, insbesondere in der ersten Zeit seines Bestehens, nicht unterschätzt werden.

Bestimmend für das Verhältnis des Völkerbundes zu seinen Mitgliedstaaten waren einerseits eine Reihe von programmatischen, der Präzision ermangelnden Grundsätzen, anderseits konkrete, durch den Pakt aufgestellte Verpflichtungen, die sich in erster Linie auf die politische Hauptaufgabe des Völkerbundes, die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit, bezogen.1> 3. In politischer Hinsicht war der Völkerbund durch zwei entgegengesetzte Tendenzen gekennzeichnet. Einerseits sollte sich aus einer Allianz der Siegerstaaten des ersten Weltkrieges und einiger affiliierter neutraler Staaten mit der Zeit eine möglichst universelle Staatenorganisation entwickeln. Anderseits hatte jedoch dieses Streben nach Universalität nach Massgabe der ursprünglichen Konzeption der Völkerbundssatzung seine Grenze in gewissen Legalitätskriterien, die als Voraussetzung für die Mitgliedschaft gedacht waren. Es bestand bei den Schöpfern des Paktes die durchaus vernünftige Absiebt, die Homogenität des Völkerbundes dadurch zu sichern, dass ihm nur politische Gemeinwesen angehören konnten, die den Grundsatz der vollen Selbstverwaltung anerkannten. Gemäss Artikel l Ziffer 2 des Paktes konnten «alle Staaten, Dominions oder Kolonien mit voller Selbstverwaltung, die nicht in der Anlage aufgeführt sind,... Bundesmitglieder werden...». Dadurch sollte ein Minimum an übereinstimmenden 1

> Sie waren Gegenstand der Art. 8-17 des Völkerbundspaktes. Art, 8 enthielt eine Verpflichtung zur Rüstungsbeschränkung und Art. 10 die Garantie der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit der Mitglieder. Art. 11 regelte das Eingreifen des Völkerbundes, insbesondere in der Form einer friedlichen Vermittlung des Völkerbundsrates, beim Auftreten internationaler Schwierigkeiten, bei Krieg oder Kriegsgefahr, und die Art. 12 und 13 enthielten die Regeln für den in solchen Fällen durchzuführenden obligatorischen Versuch einer friedlichen Streiterledigung. Art. 14 sah die Errichtung eines internationalen Gerichtshofes vor, und Art. 15 regelte das Verfahren für die Schlichtung politischer Streitigkeiten durch den Rat und die Versammlung des Völkerbundes. Für die Durchführung und Sicherung des Kriegs- und Angriffsvcrbots sah Art. 16 die Möglichkeit kollektiver Zwangsmassnahmen vor. So wurden Kriegshandlungen eines Mitgliedes in Verletzung der ihm durch die Art. 12, 13 und 15 auferlegten Verpflichtungen als ohne weiteres gegen sämtliche Mitglieder des Völkerbundes gerichtet betrachtet. Diese verpflichteten sich vor allem zur Vornahme von wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionsmassnahmen sowie zur Gewährung des freien Durchzuges durch ihr Gebiet für die Streitkräfte der Völkerbundsmitglieder.

1456 politischen Institutionen, das nach Ansicht des Präsidenten Wilson für das gute Funktionieren der Organisation wesentlich war, gewährleistet sein.

Dementsprechend enthielt der Fragebogen, den die 5. Kommission der ersten Völkerbundsversammlung (1920) zuhanden der um Beitritt ersuchenden Regierungen ausarbeitete, die Frage: «Hat der Staat volle Selbstverwaltung?» Die Aufnahme Abessiniens (1923) bewies aber z.B., dass sich der Völkerbund nicht in der Richtung eines Bundes von sich selbst verwaltenden Staaten, Dominions oder Kolonien entwickelte, sondern ein nach Universalität strebender Staatenverband war. Dazu trug die Tatsache bei, dass die Aufnahme eines neuen Mitgliedes praktisch im Ermessen der Zweidrittelmehrheit der Völkerbundsversammlung lag. Der tiefere Grund für das Abweichen von der Voraussetzung der vollen Selbstverwaltung für die Mitgliedschaft beim Völkerbund lag wohl darin, dass ein in erster Linie auf Friedenserhaltung und Kriegs Vorbeugung ausgerichteter Staatenverband anderen Gesetzen folgen muss als ein freier Bund von auf dem Grundsatz der Selbstverwaltung aufgebauten Staaten. Wollte der Völkerbund vor allem seine Aufgaben der Kriegsverhütung erfüllen, so musste er nach Universalität streben und auf jede Diskriminierung zwischen den souveränen Staaten verzichten.

Angesichts der Tendenz, das Streitschlichtungsverfahren und die Zwangsmassnahmen möglichst universell zu gestalten, erschien es notwendig, im Völkerbundspakt auch besondere Vorschriften für den Fall vorzusehen, dass ein Konflikt zwischen einem Mitgliedstaat und einem Nichtmitgliedstaat oder zwischen zwei Nichtmitgliedern ausbrach. Gemäss Artikel 17 des Paktes wurden in einem solchen Fall der Staat oder die Staaten, die Nichtmitglieder waren, aufgefordert, sich für die Beilegung der Streitigkeiten den für die Mitglieder vorgesehenen Verpflichtungen zu unterwerfen, und zwar unter den vom Völkerbund als gerecht erachteten Bedingungen. Gegen einen Staat, der diese Aufforderung ablehnte, konnten unter Umständen die in Artikel 16 des Völkerbundspaktes vorgesehenen Sanktionen angeordnet werden.

Trotz den ihm innewohnenden Tendenzen zur Universalität war es dem Völkerbundspakt jedoch nie beschieden, die Grundlage einer weltweiten Staatengemeinschaft zu werden. Gleich zu Beginn versagte der Senat der Vereinigten Staaten
Präsident Wilson die Gefolgschaft und weigerte sich, das unter Leitung Wilsons geschaffene Vertragswerk zu genehmigen. Damit blieb eine der in den Friedensverträgen vorgesehenen «Hauptmächte» dem Bunde bis zu seiner Auf lösung im Jahre 1946 fern. Anderseits erfolgte im Jahre 1934 der Beitritt der Sowjetunion, der zu einem Zeitpunkt, da der Völkerbund durch den Austritt Deutschlands und Japans schon sehr geschwächt und praktisch zu einer politischen Allianz der Westmächte geworden war, zu neuen Hoffnungen Anlass geben konnte.

4. Der Völkerbundspakt enthielt noch kein allgemeines Kriegsverbot. Auf Grund des Artikels 12 waren die Mitglieder lediglich verpflichtet, auf keinen Fall vor Ablauf einer Frist von drei Monaten nach dem Spruch des von ihnen eingesetzten Schiedsgerichts oder dem Bericht des mit der Streitigkeit befassten Rates zum Krieg zu schreiten. In Artikel 13 Absatz 4 Satz l verpflichteten sie sich, gegen

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kein Mitglied zum Kriege zu schreiten, das sich einer richterlichen oder schiedsrichterlichen Entscheidung unterworfen hatte. Abgesehen hiervon blieben jedoch militärische und nichtmilitärische Selbsthilfemassnahmen zulässig. Am 27. August 1928 wurde in Paris der von den Aussenministern Frankreichs und der Vereinigten Staaten ausgearbeitete Briand-Kellogg-Pakt unterzeichnet, der einen Verzicht auf den Krieg als Mittel der internationalen Politik und die Verpflichtung zur Beilegung aller Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln enthält. Dieser Universalität anstrebende Vertrag war als Ergänzung des unvollständigen Kriegsverbotes im Völkerbundspakt gedacht. Auch die Schweiz ist dem BriandKellogg-Pakt beigetreten, nachdem der Bundesrat die Meinung vertreten hatte, dass der Pakt trotz seinen Unvollständigkeiten und Schwächen (z. B. dem Fehlen einer Definition des Angreifers und von Sanktionen) doch die Sache des Friedens zu fördern vermöge.1' 5. Die wichtigsten Fälle, in denen der Völkerbund gemäss den Artikeln 11,15 und 16 des Paktes seine friedenserhaltende, streitschlichtende und rechtsvollstreckende Rolle wahrzunehmen hatte, sind im Anhang III zum Bericht angeführt.

C. Die'Vereinten Nationen l. Als neue politische Weltorganisation wurden die Vereinten Nationen noch vor Ende des zweiten Weltkrieges und vor der Auflösung des Völkerbundes gegründet. Die Satzung der neuen Organisation, die Charta der Vereinten Nationen, hat ihren Ursprung in den Kriegszielen der im Kampf gegen Deutschland, Italien und Japan verbündeten Mächte. Diese wurden erstmals am 14. August 1941 in einer unter dem Namen «Atlantik-Charta» bekannten Erklärung des Premierministers von Grossbritannien, Winston S. Churchill, und des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Franklin D. Roosevelt, formuliert. Die beiden angelsächsischen Staatsmänner forderten das Selbstbestimmungsrecht und das Recht der Völker auf freie Wahl ihrer Regierungsform, gleiche Bedingungen für alle Staaten hinsichtlich des Handels und des Zuganges zu den Rohstoffen sowie eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Zwecke der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungenfür jedermann. Churchill und Roosevelt gaben ferner ihrer Hoffnung Ausdruck, es möge nach Abschluss des Krieges geringen, ein ständiges System allgemeiner Sicherheit zu schaffen, damit
alle Menschen in allen Ländern frei von Furcht und Not leben könnten. Am 24. September 1941 erklärten Vertreter von acht Exilregierungen, des Freien Frankreichs und der Sowjetunion ihren Beitritt zur Atlantik-Charta. Diese bildete auch die Grundlage der «Erklärung der Vereinten Nationen» vom 1. Januar 1942, die von 26 Staaten unterschrieben wurde, und der in der Folge 21 weitere Staaten beigetreten sind.*' *' Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 17. Dezember 1928, BEI 1928II llOSff.

*> Vgl. über die Vorgeschichte der Vereinten Nationen «Yearbook of thè United Nations 1946/47», S. l ff.

1458 An der Konferenz von Dumbarton Oaks (21. August bis 7. Oktober 1944) nahm der Plan, eine neue weltweite politische Organisation zu gründen, konkrete Form an.1) Die Ergebnisse der Beratungen sind am 9. Oktober 1944 in der Form von «Vorschlägen für die Errichtung einer allgemeinen internationalen Organisation» (Vorschläge von Dumbarton Oaks) veröffentlicht worden. Sie enthalten in zwölf Kapiteln den grössten Teil der Bestimmungen über Aufgaben und Grundsätze, Struktur, Funktionen und Verfahrensmethoden der Organe der heutigen Weltorganisation der Vereinten Nationen. In der Form gemeinsamer Empfehlun gen der an der Konferenz beteiligten Delegationen wurden die Vorschläge von Dumbarton Oaks allen Unterzeichnerstaaten der «Erklärung der Vereinten Nationen» vom 1. Januar 1942 vorgelegt.

Der endgültige Text der Charta der Vereinten Nationen ist von der Konferenz von San Francisco (25. April bis 26. Juni 1945) ausgearbeitet worden, an der 50 am Kriege gegen Deutschland und Japan beteiligte Regierungen vertreten waren. Die Charta wurde in der Plenarsitzung vom 25. Juni 1945 einstimmig und vorbehaltlos angenommen und am folgenden Tage unterzeichnet. Im Gegensatz zum Völkerbundspakt, der in die Friedensverträge von 1919 und 1920 aufgenommen wurde, stellt die Charta der Vereinten Nationen einen selbständigen völkerrechtlichen Vertrag dar. Sie trat am 24. Oktober 1945 in Kraft, nachdem gemäss den Bestimmungen ihres Artikels 110 die fünf Grossmächte China, Frankreich, Grossbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten von Amerika sowie die Mehrheit der übrigen Unterzeichnerstaaten bei der Regierung der Vereinigten Staaten ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt hatten.

Die Konferenz von San Francisco war eine Konferenz der Siegerstaaten.

Dies geht sowohl aus der Eröffnungsrede des amerikanischen Delegierten und Staatssekretärs Stettinius hervor wie auch aus seinem Bericht über den Verlauf der Konferenz, in dem sich folgender Abschnitt vorfindet : Die nach San Francisco einberufene Konferenz war nicht eine Konferenz, die in Friedenszeiten zu Verhandlungen über die Theorie der internationalen Zusammenarbeit zusammengetreten war, noch eine Nachkriegskonferenz zur Ausarbeitung eines Vertrages. Es war eine Kriegskonferenz. Alle in San Francisco vertretenen Nationen befanden sich zu Beginn der Konferenz im Kriege.2)

Die erste Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde am 11. Januar 1946 in London eröffnet. Dort trat auch der Sicherheitsrat erstmals am 17. Januar 1946 zusammen. Der erste Generalsekretär, der Norweger Trygve Lie, 1

> Diese Konferenz wurde von den Vereinigten Staaten von Amerika einberufen und legte ihren Beratungen einen vom Staatsdepartement ausgearbeiteten «Possible Plan for a General International Organization» zugrunde. Dieser war auf Grund der Erfahrungen mit dem Völkerbund ausgearbeitet worden und sah die Schaffung einer einzigen Organisation mit umfassender Zuständigkeit vor, entgegen einem sowjetischen Vorschlage, je eine Organisation zur Friedenssicherung und zur Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet zu errichten. Gemäss den Empfehlungen des vom Völkerbund im Jahre 1939 eingesetzten Bruce-Komitees wurde jedoch die geplante Einheitsorgamsation mit umfassenden Kompetenzen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet ausgestattet.

2 > Vgl. Rappard in Jahrbuch der NHG 17,1946, S. 8, sowie United Nations Conference on International Organization Bd. l, S. 126.

1459 wurde am 4. Februar 1946 ernannt. Durch Beschluss der Generalversammlung vom 14. Februar 1946 wurde New York zum Sitz der Vereinten Nationen gewählt.

2. Wie schon der Völkerbund als erste politische Organisation mit universellem Geltungsanspruch verfolgen auch die Vereinten Nationen das Ziel, «den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten» und damit «die kommenden Generationen vor der Geissel des Krieges zu bewahren» (Präambel der Charta). Eine Reihe von politischen Grundsätzen und Rechtssätzen bilden die leitenden Gedanken der Charta. Der Internationale Gerichtshof hat sie in seinem Gutachten vom 20. Juli 1962 folgendermassen formuliert : Die Ziele der Vereinten Nationen sind in Artikel l der Charta aufgeführt. Die beiden ersten, die in den Ziffern l und 2 wiedergegeben sind, können summarisch als die Herstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit und die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen umschrieben werden. Das dritte Ziel ist die Lösung der wirtschaftlichen, sozialen, intellektuellen oder humanitären Probleme auf internationaler Ebene und die Förderung der Achtung vor den Menschenrechten. Das vierte und letzte besteht darin, «ein Zentrum zu sein, um die Massnahmen der Nationen zur Erreichung dieser gemeinsamen Ziele in Einklang zu bringen.1)

Artikel 2 der Charta stellt in Ziffer l den wichtigen Grundsatz der souveränen Gleichheit der Mitgliedstaaten auf, was eine neue Formulierung des klassischen Souveränitätsprinzips bedeutet. Der gleiche Artikel fordert in Ziffer 6, dass auch Nichtmitglieder dazu angehalten werden sollen, in Übereinstimmung mit den für die Mitgliedstaaten verbindlichen Grundsätzen zu handeln, soweit dies für die Erhaltung des Völkerfriedens und der internationalen Sicherheit notwendig ist. Nach Massgabe der herrschenden Lehre über völkerrechtliche Verträge entstehen aus dieser Bestimmung für Nichtmitgliedstaaten keine rechtlichen Verpflichtungen. Dagegen kann man sich politische Situationen vorstellen, in denen die Organe der Vereinten Nationen den universellen Geltungsanspruch ihrer Massnahmen zur Wahrung von Frieden und Sicherheit mit solcher Wirksamkeit vertreten, dass sie deren Beobachtung auch durch Nichtmitglieder zu erwirken suchen. Aus Gründen, die im folgenden darzustellen sein werden, kann man jedoch noch heute dem Ausspruch des schwedischen Aussenministers Undén aus dem Jahre 1954 beistimmen, dass, wenn die kollektive Sicherheit unter dem Völkerbund eine blosse Fiktion gewesen sei, sie sich in den Vereinten Nationen meist als Utopie erwiesen habe.

Artikel 2 Ziffer 7 bestimmt, dass die Vereinten Nationen nicht berechtigt sind, in Angelegenheiten tätig zu werden, die im wesentlichen in die nationale Zuständigkeit der Staaten fallen, und auch die Mitgliedstaaten nicht dazu anhalten dürfen, solche Angelegenheiten zur Regelung einem in der Charta vorgesehenen Verfahren zu unterwerfen. Dieser Vorbehalt der inneren Angelegenheiten gilt allerdings nur, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung des VII. Kapitels übei Massnahmeu zur Waluuug des Friedens und Veränderung von Kriegshandlungen nicht erfüllt sind. Er hindert die Vereinten Nationen auch nicht, ge^CJJ.Rec. 1962, S. 167 f.

1460 mäss Artikel l Ziffer 3 eine «internationale Zusammenarbeit zu erzielen, um die internationalen Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder humanitärer Art zu lösen und die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für jedermann, ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion zu fördern und zu festigen».

Was die wirtschaftlichen Aufgaben der Organisation betrifft, bestimmt Artikel 55 der Charta, dass die Vereinten Nationen auf die Schaffung besserer Lebensbedingungen, die Herbeiführung der Vollbeschäftigung sowie des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und damit auf die Schaffung eines Zustandes der Stabilität und Wohlfahrt hinzuarbeiten haben. Es handelt sich hier um eine Tätigkeit, die bisher normalerweise nicht in die Zuständigkeit politischer Staatenorganisationen fiel. Die Verantwortung für die Erfüllung dieser Aufgaben obliegt der Generalversammlung und, unter ihrer Aufsicht, dem Wirtschafts- und Sozialrat, der ausschliesslich aus Mitgliedern der Vereinten Nationen gebildet wird (Art. 60 und 61). Der Wirtschafts- und Sozialrat soll mit Organisationen, die durch zwischenstaatliche Abkommen errichtet wurden und gemäss ihren Grundsätzen bedeutende internationale Aufgaben auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet sowie auf demjenigen des Erziehungs- und Gesundheitswesens und verwandten Gebieten erfüllen, Abkommen treffen zur Herstellung von Beziehungen zwischen diesen Organisationen und der Vereinten Nationen. Solche Abkommen machen diese Organisationen zu «Spezialorganisationen» der Vereinten Nationen (Art. 57 und 63).

Hatte die Satzung des Völkerbundes lediglich in ihrem Artikel 14 die Schaffung eines Ständigen Internationalen Gerichtshofes vorgesehen, so widmet die Charta der Vereinten Nationen dem Internationalen Gerichtshof ein ganzes Kapitel (Kap. XIV). Er ist auf Grund des Artikels 92 der Charta das «Hauptorgan der Rechtsprechung» der Weltorganisation. Die Mitglieder der Vereinten Nationen sind automatisch auch Vertragsstaaten des Statuts des Internationalen Gerichtshofes, das der Charta beigefügt ist und als ihr integrierender Bestandteil gilt.

3. Die Charta gewährt den Vereinten Nationen nicht ausdrücklich eine internationale Rechtspersönlichkeit ; doch ist der Internationale Gerichtshof in einem Rechtsgutachten vom 11. April 1949
zum Schluss gekommen, dass sie eine solche besitzen, und zwar auch im Verhältnis zu Nichtmitgliedstaaten. Nach Ansicht des Gerichtshofes «besassen fünfzig Staaten, die eine grosse Mehrheit der internationalen Gemeinschaft bilden, gemäss Völkerrecht die Fähigkeit, eine Körperschaft zu schaffen, die eine objektive internationale Rechtspersönlichkeit besitzt, und nicht nur eine solche, die von ihnen allein anerkannt wird».1' Für die Schweiz war die Frage schon vorher durch die Provisorische Vereinbarung über die Vorrechte und Immunitäten der Organisation der Vereinten Nationen vom 19. April 1946 geregelt, in deren Artikel I der Bundesrat «die internationale Rechtspeisöiilichkeil und die Rechtsfähigkeit der Organisation der Vereinten Nationen» anerkennt (AS 19561092). Die Schweiz unterhält auch diplomatische J

> Vgl. C.I.J. Ree. 1949, S. 185.

1461 Beziehungen mit den Vereinten Nationen, was nur auf Grund einer Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der Organisation durch unser Land möglich ist.

Gemäss Artikel 104 der Charta geniessen die Vereinten Nationen auf dem Gebiet jedes einzelnen Mitgliedstaates die juristische Handlungsfähigkeit in dem Ausmasse, das zur Erfüllung ihrer Aufgaben und Erreichung ihrer Ziele notwendig ist. Auf Grund von Artikel 105 geniessen sie auch auf dem Gebiete jedes Mitgliedstaates die zum gleichen Zwecke notwendigen Privilegien und Immunitäten.

4. Änderungen der Charta (Art, 108 ff.) müssen von der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Eine Revision grösseren Umfanges kann auch durch eine zu diesem Zwecke einberufene Staatenkonferenz vorgenommen werden. Die Einberufung einer solchen Konferenz kann durch einen Beschluss der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit oder einen solchen des Sicherheitsrates mit einer Mehrheit von neun Mitgliedern erfolgen.

Zehn Jahre nach Inkrafttreten hätte die Charta überdies in einem vereinfachten Verfahren revidiert werden können. In allen Fällen wird eine Satzungsänderung erst dann wirksam, wenn sie von allen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates sowie von insgesamt zwei Drittem aller Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist. Von dem Moment an ist sie auch für diejenigen Staaten verbindlich, die ihr weder zugestimmt noch sie ratifiziert haben. Gemäss einer von der Konferenz von San Francisco gutgeheissenen Auslegung der Satzung1' kann sich ein Mitgliedstaat aus der Organisation zurückziehen, wenn seine Rechte und Pflichten durch eine Satzungsänderung, der er nicht zugestimmt hat, eine Veränderung erfahren haben oder wenn eine gültig beschlossene Satzungsänderung mangels genügender Ratifikationen nicht in Kraft tritt. Bisher ist nur eine einzige Satzunpänderung wirksam geworden. Sie betrifft die Anzahl der nichtständigen Mitgüeder des Sicherheitsrates und der Mitglieder des Wirtschafts- und Sozialrates und wurde durch zwei Resolutionen der Generalversammlung vom 17. Dezember 1963 gutgeheissen. Sie ist am 31 .August 1965 in Kraft getreten.3) 5. Die Stellung der Vereinten Nationen im Rahmen der Weltpolitik ist hauptsächlich dadurch gekennzeichnet, dass die Charta die Mittel bezeichnet, durch die der Weltfriede gewahrt bleiben soll. Alle Mitglieder
müssen «ihre internationalen Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beilegen und in einer Weise, dass der Weltfriede und die internationale Sicherheit sowie die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden» (Art. 2 Ziff. 3). Ganz im Sinn des Briand-Kellogg-Paktes sollen sich alle Mitgliedstaaten «in ihren internationalen Beziehungen der Drohung oder Anwendung von Gewalt enthalten, die sich gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit irgend eines Staates richtet oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist » (Art. 2 Ziff. 4). Die Organisation soll daher durch friedliche Mittel und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts den Ausgleich oder die « Vgl. United Nations Conference a. a. O. Bd. l, S. 673 f.

a > Die Satzungsänderung musste infolge eines Versehens später durch eine weitere Resolution der Generalversammlung vom 20. Dezember 1965 ergänzt werden.

Diese ist am 12. Juni 1968 in Kraft getreten.

1462 Lösung von internationalen Streitigkeiten oder die Bereinigung von Verhältnissen herbeiführen, die zu einem Friedensbruch führen könnten (Art. IZiff. 1).

Die Charta fordert somit nicht das Monopol der Streiterledigung durch eigene Mittel. Wesentlich erscheint nur, dass die Beilegung eines Konfliktes überhaupt erfolgt. Nur bei bedeutsamen politischen Spannungen, insbesondere bei Bedrohung des Friedens, bei Friedensbruch oder bei einem Angriffsakt, sieht die Charta zumindest den Versuch einer Beilegung durch die politischen Organe der Vereinten Nationen vor. Im übrigen weist der grundlegende Artikel 33 der Charta in Ziffer l die Parteien an, unabhängig von ihrer Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen «in erster Linie eine Lösung auf dem Wege der Verhandlungen, der Untersuchung, der Vermittlung, des Vergleichs, der Schiedsgerichtsbarkeit, der richterlichen Beilegung, des Anrufs regionaler Organe oder Verfahren oder durch andere friedliche Mittel ihrer eigenen Wahl zu suchen». Soweit dagegen ein Eingreifen der Organe der Vereinten Nationen vorgesehen ist, hat es die Charta unterlassen, den Begriff des friedensgefäbrdenden Konflikts zu umschreiben und auch das Organ eindeutig zu bestimmen, das sich mit den materiellen Rechtsfragen des Konfliktes befassen soll. Der Sicherheitsrat kann gemäss Artikel 33 Ziffer 2 die Parteien auffordern, eine Streitigkeit mit den erwähnten friedlichen Mitteln beizulegen. Gelingt dies den Parteien nicht, so sind sie nach Artikel 37 Ziffer l verpflichtet, die Streitigkeit dem Sicherheitsrat zu unterbreiten. Dieser ist auch berechtigt, jederzeit selbst in die Regelung eines Streitfalles einzugreifen und angemessene Verfahren zu diesem Zwecke zu empfehlen.

Rechtliche Streitigkeiten sind dabei in der Regel dem Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten. Die Generalversammlung kann gemäss Artikel 11 Ziffer 3 den Sicherheitsrat auf Verhältnisse aufmerksam machen, die den Frieden und die internationale Sicherheit zu gefährden scheinen. Sie ist auch berechtigt, alle Fragen zu erörtern, die sich auf die Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit beziehen. Damit keine Konkurrenz mit dem Sicherheitsrat entsteht, bestimmt Artikel 12 Ziffer l, dass die Generalversammlung in einer Sache keine Empfehlungen erlassen soll, solange der Sicherheitsrat die ihm
übertragenen Aufgaben erfüllt, es sei denn, der Sicherheitsrat ersuche sie selbst darum.

Die Mitarbeit der Organe der Vereinten Nationen bei der Beilegung von Streitigkeiten kann nicht nur von den Mitgliedstaaten angefordert werden. Auch ein Staat, der nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, kann dem Sicherheitsrat oder der Generalversammlung jede Streitigkeit unterbreiten, vorausgesetzt, dass er bei dieser Streitigkeit Partei ist und die von der Charta aufgestellten Verpflichtungen zur friedlichen Beilegung zum vorneherein annimmt.

6. In den Vereinten Nationen soll die Anwendung von Gewalt grundsätzlich nur erfolgen, wenn der Sicherheitsrat als das für die Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit zuständige Organ mit rechtskräftiger Entscheidungsbefugnis gemäss dem VII. Kapitel der Charta die entsprechenden Beschlüsse gefasst hat. Einzige Ausnahme hiervon bleibt das unveräusserliche Recht einzelner oder mehrerer Staaten auf Selbstverteidigung. Dieses Recht besteht für den Fall, dass ein Mitglied der Vereinten Nationen angegriffen wird, und

1463 nur bis zum Zeitpunkt, in dem der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit notwendigen Massnahmen ergriffen hat (Art. 51). Das Recht auf Selbsthilfe bleibt somit auch dann weiterbestehen, wenn der Sicherheitsrat nicht in der Lage ist, von seiner Befugnis zum Erlass rechtskräftiger Entscheidungen Gebrauch zu machen.

7. Gemäss Artikel 2 Ziffer 5 der Charta werden alle Mitglieder den Vereinten Nationen jegliche Unterstützung in irgendeiner Massnahme gewähren, die sie in Übereinstimmung mit der Charta unternehmen, und sich jeder Hilfe an einen Staat enthalten, gegen den die Vereinten Nationen vorbeugende oder Sanktionsmassnahmen durchführen. Während der Völkerbundspakt Sanktionen nur unter bestimmten und eng umschriebenen Voraussetzungen vorsah, nämlich beim Vorliegen kriegerischer Handlungen unter Verletzung gewisser prozessualer Bestimmungen des Paktes, ist die Befugnis zur Anordnung von Zwangsmassnahmen in der Charta der Vereinten Nationen recht weit gefasst. Jedesmal, wenn er eine Bedrohung des Friedens, einen Friedensbruch oder einen Angriffsakt feststellt, kann der Sicherheitsrat Empfehlungen erlassen oder Massnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens anordnen (Art. 39 der Charta).

Im Gegensatz zu Artikel 16 des Völkerbundspaktes, der zumindest formell den einzelnen Mitgliedern die Entscheidung darüber beliess, ob die Voraussetzungen für die Durchführung von Sanktionen gegeben waren, entscheidet nach Artikel 39 der Charta der Vereinten Nationen der Sicherheitsrat darüber, ob eine Bedrohung des Friedens, ein Friedensbruch oder eine Angriffshandlung vorliegt, die satzungswidrig ist und daher Anlass zu Empfehlungen oder zu den in Kapitel VII der Charta vorgesehenen Zwangsmassnahmen geben kann. Diese Befugnis entspricht den Bestimmungen der Artikel 24 und 25 der Charta, in denen die Mitglieder dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit übertragen und anerkennen, dass er in Erfüllung dieser Pflichten in ihrem Namen handelt (Art. 24). Gleichzeitig kommen die Mitglieder überein, sich den Beschlüssen des Sicherheitsrates zu unterziehen und sie auszuführen (Art. 25).

Der Sicherheitsrat besteht aus fünf ständigen (China, Frankreich, Grossbritannien, Sowjetunion, Vereinigte Staaten
von Amerika) und, seit der Revision des Artikels 23, aus zehn nichtständigen Mitgliedern. Für seine Beschlüsse gilt folgende, gegen starke Widerstände auf der Konferenz von Jalta (Februar 1945) ausgearbeitete Regelung, die in Artikel 27 der Charta übernommen worden ist: Für einen Beschluss des Rates in Verfahrensfragen bedarf es der Zustimmung von neun beliebigen Mitgliedern. Für einen Beschluss in allen ändern Fragen bedarf es ebenfalls der Zustimmung von neun Mitgliedern, unter denen jedoch alle fünf ständigen Mitglieder sein müssen, was diesen ein Vetorecht einräumt.

Während der Koreakrise bestand die Schwierigkeit darin, die Zustimmung sämtlicher ständigen Ratsmilglieder zu der von den Vereinigten Staaten von Amerika geplanten militärischen Intervention verschiedener Staaten auf Seiten Südkoreas zu erhalten. Um diese Schwierigkeit umgehen zu können, legten die Vereinigten Staaten während der freiwilligen Abwesenheit der Sowjetunion die

1464 Satzung dahin aus, dass im Falle der Nichtbeteiligung eines ständigen Ratsmit gliedes an der Beschlussfassung die befürwortenden Stimmen der restlichen anwesenden ständigen Mitglieder für das Zustandekommen des Beschlusses genügen, falls durch zusätzliche Stimmen nichtständiger Mitglieder die erforderliche Mehrheit erreicht werden kann. Unter Anrufung dieses Auslegungsgrundsatzes gelang es, die geplante militärische Intervention durch Empfehlungen des Sicherheitsrates sanktionieren zu lassen. Diese Auslegung scheint von der grossen Mehrheit der Mitglieder als Praxis anerkannt zu werden.

Einzig im Falle von Empfehlungen auf Grund des VT. Kapitels über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten darf ein Mitglied, auch ein ständiges, das Streitpartei ist, nicht an der Abstimmung teilnehmen (Art. 27 Ziff. 3). Angesichts der Schwierigkeiten, die sich in der Praxis aus der Ausübung des Vetorechts ergeben haben und die insbesondere in der Beschlussunfähigkeit des Sicherheitsrates bestanden, und in der Absicht, das Recht auf Selbsthilfe, das in einem solchen Falle bestehen blieb, auszuschalten oder doch einzuschränken, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 3. November 1950 eine unter dem Namen «Uniting for Peace» (Zusammenschluss für den Frieden) bekanntgewordene Resolution beschlossen. Darin gibt sie sich das Recht, falls der Sicherheitsrat zwar mit einer Streitigkeit befasst ist, infolge eines Vetos jedoch zu keiner Beschlussfassung gelangt, in der betreffenden Streitigkeit anstelle des Sicherheitsrates Empfehlungen zu erlassen. Zu diesem Zweck tritt die Generalversammlung zu einer Sondersession zusammen. In der Folge hat die Generalversammlung tatsächlich in Streitigkeiten eingegriffen, die auf Grund der einschlägigen Bestimmungen der Charta in die Zuständigkeit des Sicherheitsrates fielen, vor allem im Koreakonflikt (1950/51), im Suezkrieg (1956), in den Kongo-Wirren (1960/61) und in der Bizerta-Krise (1961).

Die Zwangsmassnahmen, die der Sicherheitsrat in Erfüllung seiner friedenserhaltenden Aufgaben auf Grund des VII. Kapitels der Charta anordnen kann, lassen sich in zwei Kategorien einteilen : a. In erster Linie können Massnahmen beschlossen werden, die keine Anwendung von Waffengewalt in sich schh'essen. Sie bestehen aus der vollständigen oder teilweisen Unterbrechung der
wirtschaftlichen Beziehungen, der Eisenbahn-, Schiffs-, Luft-, Post-, Telegraphen-, Radio- und sonstigen Verbindungen sowie im Abbruch der diplomatischen Beziehungen (Art. 41).

b. Erscheinen die oben erwähnten Massnahmen als ungenügend oder haben sie sich als ungenügend erwiesen, so können auch militärische Sanktionen angeordnet werden. Sie besteben aus Demonstrationen, Blockademassnahmen oder sonstigen Operationen von Luft-, See- und Landstreitkräften (Art. 42).

Die grundsätzliche Pflicht der Mitgliedstaaten, sich an den vom Sicherheitsrat beschlossenen Zwangsmassnahmen zu beteiligen, ist gewissen Einschränkungen unterworfen. Gemäss Artikel 48 sind die zur Verwirklichung der Beschlüsse des Sicherheitsrates erforderlichen Massnahmen von allen

1465 Mitgliedern der Vereinten Nationen oder von einzelnen unter ihnen nach den Anordnungen des Sicherheitsrates auszuführen. Insbesondere sind die Mitglieder nach Artikel 43 verpflichtet, dem Sicherheitsrat Streitkräfte, Hilfe und Erleichterungen, einschliesslich Durchmarschrechte, zur Verfügung zu stellen, aber nur auf seine Einladung hin und auf Grund einer oder mehrerer Sonderabmachungen, Solche Abmachungen müssen auf Antrag des Sicherheitsrates zwischen ihm und einzelnen Mitgliedstaaten oder Gruppen von Mitgliedstaaten abgeschlossen werden und sind von den Unterzeichnerstaaten gemäss den Bestimmungen ihrer Verfassung zu ratifizieren. Die Abkommen sollen den Bestand und die Art der zur Verfügung zu stellenden Streitkräfte bestimmen, deren Bereitschaftsgrad und Standort sowie die Art der zu gewährenden Erleichterungen und Hilfe. Bisher ist vom Sicherheitsrat kein einziges derartiges Abkommen abgeschlossen worden.

Die von der Charta getroffene Lösung gestattet es, die Teilnahme an nichtmilitärischen und militärischen Zwangsmassnahmen zu differenzieren.

Die Ersetzung des Grundsatzes der gleichmässigen Beteiligung der Mitgliedstaaten durch die Möglichkeit einer unterschiedlichen Mitwirkung entspricht dem verschiedenartigen Interesse der Mitgliedstaaten an der Durchführung solcher Sanktionsmassnahmen. Artikel 48 gewährt dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, der besonderen Lage einzelner Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen.

Die Anordnung von Zwangsmassnahmen ist nur möglich, wenn ihr keines der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates die Zustimmung verweigert. Dies will nicht besagen, dass praktisch eine Anwendung des VII. Kapitels der Charta angesichts des Vetorechts der ständigen Ratsmitglieder überhaupt ausgeschlossen ist. Die weltpolitische Lage kann es mit sich bringen, dass sich die Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrates und unter ihnen alle ständigen Ratsmitglieder auf die Anordnung von Sanktionen einigen. Dies ist allerdings in der Praxis nur in einem Fall, nämlich Rhodesien, eingetroffen, als der Sicherheitsrat zuerst am 16. Dezember 1966 bcschloss, gestützt auf die Artikel 39 und 41 der Charta gegen die abtrünnige britische Kolonie eine Reihe von Blockademassnahmen anzuordnen. Durch seinen Beschluss vom 29. Mai 1968 wurden diese Sanktionen noch verschärft. Grund dieser Beschlüsse
war die Tatsache, dass nach der Meinung des Sicherheitsrates das Vorhandensein eines illegalen und die Menschenrechte verletzenden Regimes in Rhodesien eine Bedrohung des Friedens darstellt. Die Massnahmen haben nach der im Beschluss des Sicherheitsrates enthaltenen Auslegung des Artikels 25 der Charta für sämtliche Mitgliedstaaten obligatorischen Charakter. Von den Rückwirkungen dieser Beschlüsse auf die Schweiz wird weiter unten die Rede sein.1' 8. Ein zusammenfassender Überblick über den im Rahmen der Vereinten Nationen gewährten Friedensschutz ergibt folgendes Bild : a. Die Charta hat die Hauptlast der Entscheidung über die Verhängung von Unrechtsfolgen im Falle einer Bedrohung des Friedens, eines FriedensD Vgl. 1. Teil, III. Kap., B 4.

Bundesblatt, 121.Jahrg. Bd.I

90

1466 bruchs oder eines Angriffs in die Hände des Sicherheitsrates gelegt. Dieser ist nur aktionsfähig, wenn sämtliche, oder zumindest sämtliche an der Verhandlung teilnehmenden, ständigen Ratsmitglieder seinen Beschlüssen zustimmen.

b. Angesichts der häufigen Aktionsunfähigkeit des Sicherheitsrates wurde schon frühzeitig versucht, an dessen Stelle das universelle Organ, die Generalversammlung, einzuschalten. Öfters hat auch der Sicherheitsrat selbst nach fruchtlosen Verhandlungen einen Streitfall an die Generalversammlung zur weiteren Behandlung zurückgewiesen (Palästinakonflikt 1947/48, Korea- und Ungarnkonflikt, Mittelostkonflikte 1956 und 1967 usw.).

Solange jedoch der Sicherheitsrat befasst bleibt, hat die Generalversammlung, im Gegensatz zur Völkerbundsversammlung, nicht das Recht, sich einzuschalten.

c. Angesichts dieser Rechtslage hat die Generalversammlung, insbesondere auf Veranlassung der Vereinigten Staaten von Amerika, Schritte unternommen, um ihren Kompetenzbereich durch die Übernahme neuer Verantwortungen über das ursprünglich vorgesehene Mass hinaus zu erweitern. Dies geschah vorerst durch die am 13. November 1947 beschlossene Schaffung der sogenannten Interimskommission der Generalversammlung, die zwischen den Tagungen der Versammlung eine Art Permanenz sicherstellen sollte. Angesichts der Weigerung der kommunistischen Staaten, an ihren Arbeiten teilzunehmen, wurde ihr Mandat jedoch bald nicht mehr erneuert. Es folgte hierauf 1950 die bereits erwähnte Resolution «Uniting for Peace».

d. Weder die weitherzige Auslegung der für den Sicherheitsrat geltenden Vorschriften über die Bildung einer beschlussfähigen Mehrheit noch der Anspruch der Generalversammlung, im Falle der Beschlussunfähigkeit des Sicherheitsrates faktisch an dessen Stelle zu treten, sind unbestritten geblieben. Hinsichtlich der Zuständigkeit der Generalversammlung, in solchen Fällen das Vorliegen eines Friedensbruches festzustellen, sind die Zweifel nie erloschen, ob sie auf Grund der Charta überhaupt bestehe oder ob die Satzung sie nicht ausdrücklich nur dem Sicherheitsrat gewähren wollte. Für die Empfehlung von Kollektivmassnahmen durch die Generalversammlung ist auf Grund des Artikels 18 der Charta eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Das Gewicht der mehrheitlich kleinen Staaten ist in der Generalversammlung
wesentlich grösser als im Sicherheitsrat, wo die Stimmen nicht nur gezählt, sondern auch gewogen werden. Die angestrebte und weitgehend verwirklichte Universalität der Organisation, verbunden mit der Gleichwertigkeit jeder Staatenstimme, kann daher im Rahmen der Generalversammlung zur Majorisìerung einer Minderheit fuhren, deren Interessen mit ebenso gewichtigen juristischen und politischen Argumenten begründet werden können wie diejenigen der Mehrheit. Immerhin stellen Resolutionen der Generalversammlung lediglich Empfehlungen dar.

1467 9. Seit ihrer Gründung haben sich die Vereinten Nationen mit einer grossen Anzahl von internationalen Konfliktsituationen zu befassen gehabt. Man kann sogar sagen, dass fast jede zwischenstaatliche Streitigkeit, an der ein Mitglied der Weltorganisation beteiligt war, zu irgendeinem Zeitpunkt im Rahmen der Vereinten Nationen zur Sprache gekommen ist. Die Rolle, welche die Vereinten Nationen bei den Versuchen zur Beilegung der Konflikte gespielt haben, ist sehr unterschiedlich. Manchmal gelang es ihnen, durch ihre Vermittlung eine Lösung des Streitfalles oder doch seine Entschärfung herbeizuführen, während bei.anderen Gelegenheiten die Vereinten Nationen nur ein Gesprächsforum bildeten und die Suche nach einer Regelung in bilateralen Verhandlungen oder durch Vermittlung eines dritten Staates erfolgte.

Eine Zusammenstellung der internationalen Konfliktsituationen, mit denen sich die Vereinten Nationen seit ihrer Gründung befasst haben, findet sich im Anhang IV zu diesem Bericht.

II. KAPITEL DIE NEUTRALITÄT

A. Die Neutralität im allgemeinen 1. Grundsätze des Neutralitätsrechts a. Auch das heutige positive Völkerrecht, sogar die im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen aufgestellte Friedensordnung, muss noch mit Kriegen rechnen, also mit Versuchen der Beilegung eines Streitfalles mit Waffengewalt. Wie schon die Stellung der amerikanischen Südstaaten im Sezessionskrieg gezeigt hat, müssen neben den Staaten auch als politische Gebilde anerkannte Kriegführende als kriegsfähige Subjekte betrachtet werden. Wenn nun in einem gegebenen Fall ein kriegsfähiges Subjekt sich vorbehält, an dem ausgebrochenen Kriege nicht teilzunehmen, so wird ein solches Verhalten als einfache Neutralität bezeichnet. Erhebt es die Nichtteilnahme an Kriegen auf Grund einer völkerrechtlichen Vereinbarung oder einseitiger Erklärung zu einem Grundsatz seiner Aussenpolitik und einer völkerrechtlichen Verpflichtung, so ist von ständiger, dauernder, immerwährender oder permanenter Neutralität die Rede.1) b. Die Grundsätze der Neutralität sind die gleichen für die einfache wie für die dauernde Neutralität. Zumindest nach modernem Neutralitätsrecht ist der neutrale Staat zwei grundlegenden Verpflichtungen unterworfen. Einmal 1

> Vgl. Verw. Entsch. 24, 1954, S. 9 S., sowie Bindschedler, Die Neutralität im modernen Völkerrecht, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 17, 1956, S. l ff., und Haug, Neutralität und Völkergemeinschaft, Zürich 1962.

1468 soll er sich ausserhalb der Kriegshandlungen halten, wenn er auch gemäss Artikel 10 des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907 über die Neutralität im Landkrieg das Recht behält, NeutralitätsVerletzungen mit Gewalt abzuwehren, ohne dass dies als Kriegshandlung gelten kann.

Zweitens ist der Neutrale zu einem in hohem Masse unparteiischen Verhalten gegenüber den verschiedenen Kriegsparteien verpflichtet. Sowohl die Pflicht zur Unterlassung von Kriegshandlungen wie diejenige zur paritätischen Behandlung der Kriegführenden sind im modernen Kriegs- und Neutralitätsrecht stärker ausgebildet als in früheren Zeiten. So wurde es zum Beispiel noch im 18. Jahrhundert als mit der Neutralität vereinbar betrachtet, Kriegführenden den Durchzug durch neutrales Gebiet zu gestatten und ihnen von Staates wegen Waffen und Munition zu liefern. Es war auch den Angehörigen neutraler Staaten erlaubt, in geschlossenen Formationen unter fremden Fahnen zu dienen. Oft verpflichteten sich die neutralen Staaten sogar dazu, den Kriegführenden Truppen in bestimmter Zahl zur Verfügung zu stellen oder ihnen die Errichtung von Werbestellen auf ihrem Gebiet zu gestatten. Die Schweiz versuchte schon im 18. Jahrhundert im Rahmen ihrer Solddienstverpflichtungen eine gleichmässige Behandlung der Kriegführenden durchzusetzen. Ein Verbot der Militärkapitulationen enthält dagegen erst die Bundesverfassung von 1848.

Die strengere Auffassung von den Neutralitätspflichten, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchsetzte, fand in erster Linie in den neutralttätsrechtlichen Abkommen der Haager Friedenskonferenz von 1907 ihren Niederschlag, nämlich im V. Abkommen betreffend Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges und im XIII.

Abkommen über die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Falle des Seekrieges, beide vom 18. Oktober 1907. Artikel 9 des erstgenannten Abkommens bestimmt, dass der neutrale Staat alle Beschränkungen und Verbote der Ausfuhr oder Durchfuhr von Waffen, Munition und überhaupt von allem, was für ein Heer oder eine-Kriegsflotte nützlich sein kann, in gleichmässiger Weise gegenüber allen Kriegführenden anwenden muss. Auch muss auf Grund des dreizehnten Abkommens der neutrale Staat im Seekrieg die Beschränkungen und Verbote des Zugangs zu seinen Häfen und
Territorialgewässern auf beide Kriegführende gleichrnässig anwenden.

c. In militärischer Hinsicht ist der neutrale Staat verpflichtet, seine Unabhängigkeit gegenüber Übergriffen von selten der Kriegführenden nötigenfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Diese Pflicht ergibt sich indirekt aus Artikel 5 des Haager Abkommens von 1907 über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Landkriege, der festhält, dass der neutrale Staat Verletzungen seiner Neutralität nicht dulden darf. Er muss somit zur Selbstverteidigung materiell imstande sein und hat die zu diesem Zwecke notwendigen Streitkräfte und Kampfmittel im Rahmen des Zurnutbaren bereitzustellen. Diese ursprünglich auf die Dauer des rechtlichen Kriegszustandes beschränkte Pflicht gilt heute für alle Fälle eines materiellen Kriegszustandes, also bei allen bewaffneten Konflikten, selbst wenn eine Willenserklärung der Staaten, einen solchen Kon-

1469 flikt auszutragen, fehlt. Darunter fallen auch militärische Zwangsmassnahmen internationaler Organisationen. Obwohl sich theoretisch der Moment, in dem tatsächlich ein Kriegszustand vorliegt, schwer umschreiben lässt, kann dieser oft praktisch im Lichte der Umstände des Einzelfalles festgestellt werden.

Ist der neutrale Staat nur im Kriegsfalle zur militärischen Bereitschaft verpflichtet, so ergibt sich aus dem Wesen der ständigen Neutralität die Notwendigkeit, bereits in Friedenszeiten die nötigen Vorkehren zu treffen, damit die Fähigkeit, Übergriffen der Kriegführenden mit Waffengewalt entgegenzutreten, nicht nur im Moment des Kriegsausbruches tatsächlich besteht, sondern auch vorher sämtlichen potentiellen Kriegsgegnern glaubwürdig scheint.1) d. In wirtschaftlicher Hinsicht sind dem neutralen Staat ebenfalls gewisse Beschränkungen seiner Handlungsfreiheit auferlegt. Es ist ihm untersagt, als Staat den Kriegführenden finanzielle Unterstützung, vor allem in der Form von Anleihen, zu gewähren, deren Betrag direkt für die Kriegführung Verwendung finden soll, oder ihnen Waffen und Munition zu liefern. Dagegen dürfen grundsätzlich Privatpersonen die Ausfuhr oder Durchfuhr von Waffen, Munition und anderem Kriegsmaterial weiterhin betreiben. Die tatsächliche politische Lage bringt es jedoch oft mit sich, dass der neutrale Staat faktisch gezwungen wird, alle Kriegführenden gemäss bestimmten Richtlinien gleich zu behandeln. Diese Gleichbehandlung der Kriegführenden in wirtschaftlicher Hinsicht gehört weitgehend in den Bereich der Neutralitätspolitik. Dagegen bestehen Rechtspflichten im Rahmen der kriegerischen Wirtschaftsblockade und Konterbande, auf Grund deren sich der Neutrale gewisse Eingriffe der Luft- und Seestreitkräfte der Kriegführenden gegenüber seinen Hochseeschiffen gefallen lassen muss.

e. In neuerer Zeit ist verschiedentlich die Frage aufgeworfen worden, ob eine Neutralität im modernen Krieg überhaupt noch möglich sei. Einmal wird darauf hingewiesen, dass die klassische Neutralität zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem in Europa zwischen verschiedenen Mächtegruppen ein gewisses Gleichgewicht herrschte, für dessen Aufrechterhaltung insbesondere in Kriegszeiten die Neutralität einzelner Staaten von Bedeutung sein konnte.

Diese Sachlage besteht im Zeitalter der totalen und weltweiten
Kriege nicht mehr. Es wird auch hervorgehoben, dass die heutigen Zerstörungsmittel ein Ausmass angenommen haben, das es dem Neutralen praktisch nicht mehr erlaubt, sich gegen Neutralitätsverletzungen, insbesondere in seinem Luftraum, erfolgreich zur Wehr zu setzen. Endlich haben das vorerst teilweise, neuerdings aber vollständige Kriegsverbot und die damit verbundenen Bestrebungen zur Errichtung eines Systems der kollektiven Sicherheit dazu geführt, dass die Kriegsparteien nicht mehr Anspruch auf paritätische Behandlung erheben dürfen. Dem das Kriegsverbot missachtenden Angreifer stehen die im Rahmen der kollektiven Sicherheit intervenierenden Mächte gegenüber, deren Kriegs1

> Vgl. die Botschaften des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Organisation des Heeres vom 30. Juni 1960, BB1 1960 II 322 ff,, und über das Volksbegehren für ein Verbot von Atomwaffen vom 7. Juli 1961, BB11961II 220.

1470 handlangen, soweit sie im Rahmen des Sicherheitssystems der Vereinten Nationen erfolgen, als militärische Sanktionsmassnahmen gegenüber einem Rechtsbrecher gewertet werden. Für die Neutralität, die praktisch auf eine Begünstigung des Rechtsbrechers hinauslaufen müsste, scheint in einem solchen System kein Platz mehr zu sein.

Diesen Erwägungen kann entgegengehalten werden, dass zumindest bei lokal beschränkten Kriegen die Neutralität auch in jüngster Zeit ihre Daseinsberechtigung unter Beweis gestellt, ja sich in einzelnen Fällen als durchaus dem Allgemeininteresse entsprechend erwiesen hat. Auch in militärischer Hinsicht wird weitgehend die Auffassung vertreten, dass ein neutraler Staat mit den beschränkten Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, gegen Neutralitätsverletzungen derart reagieren kann, dass er damit seinen Neutralitätspflichten zu genügen vermag. Was endlich die Vereinbarkeit der Neutralität mit einem Kriegsverbot und dem dadurch notwendig gemachten System der kollektiven Sicherkeit angeht, so sind die Begriffe der Neutralität und der kollektiven Sicherheit einander entgegengesetzt. Das hindert jedoch nicht, dass in der Praxis auch in diesem Rahmen eine Neutralität möglich ist, solange das System der kollektiven Sicherheit, wie seinerzeit im Völkerbund und auch heute noch in den Vereinten Nationen, unvollständig bleibt und in vielen Fällen nicht angewandt werden kann. In Erkenntnis dieser Sachlage hat der Völkerbundsrat in seiner Erklärung vom 13. Februar 1920 festgestellt, dass zwar die Neutralität der Schweiz grundsätzlich mit der Zweckbestimmung des Völkerbundes unvereinbar sei, dass aber dennoch dieses Neutralitätsstatut als im Interesse des Friedens liegend anzuerkennen sei.1' Bei der Ausarbeitung der Charta der Vereinten Nationen kam die Frage der Vereinbarkeit eines Neutralitätsstatuts mit der Mitgliedschaft ebenfalls zur Sprache.2' 2. Nichtkriegführung und Neutralismus

a. Neben dem völkerrechtlichen Statut der Neutralität nehmen gewisse Staaten Haltungen ein, die sie als damit verwandt betrachten. So wird gelegentlich - nach der vorherrschenden Auslegung zu Unrecht - behauptet, dass neben dem völkerrechtlichen Neutralitätsstatut ein Status der Nichtkriegführung besteht, indem ein Staat im Falle eines bewaffneten Konfliktes zwischen den Möglichkeiten der Neutralität und der «Nichtkriegführung» wählen könne. Unter Nichtkriegführung wird dabei die Haltung eines Staates verstanden, der sich zwar nicht an den militärischen Operationen beteiligt, jedoch ausschliesslich der einen Partei seine politische, wirtschaftliche und sogar militärische Unterstützung zukommen lässt. Eine solche Haltung hat beispielsweise zu Beginn des zweiten Weltkrieges Italien zugunsten Deutschlands eingenommen.

Charakteristisch für die Nichtkriegführung, die in der Regel ein Vorstadium des aktiven Eingreifens in das Kriegsgeschehen bildet, ist, dass der nichtkriegführende Staat wohl die Rechte eines Neutralen für sich beansprucht, sich dagegen an die Neutralitätspflichten nicht in einem Umfang hält, welcher der » Vgl. 1. Teil, II. Kap. B 2 b.

*> Vgl. 2. Teil, B l a.

1471 Verpflichtung zur paritätischen Behandlung der Kriegsparteien entsprechen würde. Dies ist mit dem Neutralitätsrecht unvereinbar.

b. Unter dem Namen «Neutralismus» hat sich in jüngster Zeit eine Haltung verbreitet, die insbesondere in Friedenszeiten darin besteht, sich an keinen militärischen Allianzen zu beteiligen. Diese auch als «Blockfreiheit» und «Non-Alignement» bekannte Politik beruht weder auf dem Statut einer Neutralität, noch schliesst sie zum vornherein die mögliche Teilnahme an künftigen Konflikten aus. Sie soll es dem neutralistischen Staat hauptsächlich erlauben, jederzeit frei über seine politische Haltung entscheiden zu können, ohne an eine der rivalisierenden Mächtegruppen gebunden zu sein. Für die Politik des Neutralismus gelten neben Opportunitätserwägungen jeweils auch grundsätzliche Überlegungen, von denen die hauptsächlichsten sind : Aussichtslosigkeit einer Verteidigung gegenüber einer mit modernsten Waffen ausgerüsteten Macht oder Mächtegruppe, Vermeidung übermässiger Rüstungsausgaben, Furcht vor der politischen Abhängigkeit im Falle des Beitritts zu einer Koalition, Streben nach Bildung einer alle Neutralisten umfassenden «Dritten Kraft», Abneigung gegen eine der beiden Mächtegruppen ohne Wunsch nach engerer Bindung an die andere. Zu den Staaten, die sich solcherart zum Neutralismus bekennen, gehören zum Beispiel Indien und Jugoslawien.

3. Ständige Neutralität a. Charakteristisch für den Zustand der ständigen Neutralität ist der grundsätzliche Verzicht auf die Teilnahme an zukünftigen kriegerischen Auseinandersetzungen, es sei denn, diese beständen in einem Angriff gegen den dauernd neutralen Staat selbst. Damit aus diesem Zustande eine eigentliche Einrichtung, ein Neutralitätsstatut, wird, muss er Gegenstand einer völkerrechtlichen Regelung sein. Diese kann ohne Beteiligung des zur Neutralität verpflichteten Staates durch eine von der internationalen Gemeinschaft vereinbarte Neutralisierung begründet werden, wie dies 1831 bei der Schaffung eines unabhängigen und neutralen Königreiches Belgien der Fall war. Das von Deutschland 1914 nicht respektierte Neutralitätsstatut Belgiens wurde auf dessen Wunsch nach dem ersten Weltkrieg aufgehoben. Belgien schloss am 7. September 1920 mit Frankreich ein Militärbündnis und wurde Mitglied des Locarner Paktes vom 16. Oktober
1925.1936 zog es sich davon zurück, um eine sogenannte «ausschliesslich und rein belgische» Unabhängigkeitspolitik zu führen. Obwohl Deutschland mit Note vom 13. Oktober 1937 versprochen hatte, die territoriale Integrität Belgiens zu beachten, und Belgien am 3. September 1939 seine Neutralität proklamiert hatte, wurde es am 10. Mai 1940 angegriffen.

b. Die dauernde Neutralität kann aber auch durch eine Vereinbarung zwischen dem zukünftigen Neutralen und denjenigen Mächten erfolgen, die seine Neutralität anerkennen oder gewährleisten. Dies trifft für die Schweiz zu, obwohl sie formell nicht Vertragsstaat der Rechtsakte von 1815 und 1919 ist, durch die ihre Neutralität anerkannt bzw. bestätigt wurde. Am 20. März 1815 stellten die in Wien versammelten Mächte in einer Deklaration die Bedingun-

1472 gen für die schweizerische Neutralität auf und anerkannten, dass diese im Interesse Europas liege. Aber erst ira Verlaufe der Pariser Friedenskonferenz im Herbst 1815 wurde zwischen dem Vertreter der Schweiz und den Grossmächten eine Anerkennung der schweizerischen Neutralität vereinbart. Sie ist von den genannten Mächten unterzeichent worden und enthält folgenden grundlegenden Abschnitt: «... Die Mächte, welche die Wiener Erklärung vom 20. März unterzeichnet haben, erteilen hiermit eine formelle und authentische Anerkennung der dauernden Neutralität der Schweiz, und sie garantieren dieser den Bestand und die Unverletzlichkeit ihres Gebietes innerhalb seiner neuen Grenzen...

Die Mächte... anerkennen in authentischer Form durch die vorliegende Akte, dass die Neutralität und Unverletzlichkeit der Schweiz sowie ihre Unabhängigkeit von jeglichem ausländischen Einfluss im wahren Interesse der gesamteuropäischen Politik liegen ...»

Wie der Ständige Internationale Gerichtshof festgestellt hat, «belegen diese Akte in ihrer Gesamtheit wie auch die Umstände, unter denen sie erfolgt sind,...

die Absicht der Mächte, zugunsten der Schweiz ein Recht zu schaffen, auf das sie sich berufen kann»,1) 4, Neutralitätspolitik

a. Durch sein Neutralitätsstatut wird dem ständig neutralen Staat ein Teil seiner politischen Handlungsfreiheit genommen. Da er zum voraus auf die Teilnahme an irgendeinem Krieg verzichtet hat, soll er weder ein Offensivöder Defensivbündnis abschliessen noch einem solchen beitreten und hat überhaupt alles zu unterlassen, was geeignet wäre, ihn in einen bewaffneten Konflikt hineinzuziehen. Während das Neutralitätsrecht dem neutralen Staat strikte Verpflichtungen auferlegt, ist er in der Führung der sich aus seinem Statut ergebenden Politik weitgehend frei. Ihr Grundsatz ist, durch ihre Berechenbarkeit die Glaubwürdigkeit des Ncutralitätsstatuts zu belegen.

b. In diesem Sinne hat der ständig neutrale Staat im Rahmen seines Neutralitätsstatuts bereits in Friedenszeiten gewisse Massnahmen zu treffen. Dazu gehören Vorbereitungen, um das Gebiet des neutralen Staates im Kriegsfalle dem Zugriff der Kriegführenden entziehen zu können. «Schutz sowohl als Gefährdung der Neutralität liegt darin, dass die Widerstandskraft eines Neutralen und die Bedeutung seines Gebietes als Ausgangs- oder als Stützpunkt für Operationen einer Kriegspartei nie für sich allein, sondern stets im Gesamtrahmen der strategischen Positionen jeder Kriegspartei im Verhältnis zur Position der Gegenpartei in Betracht kommt.»2' Schon in seiner Botschaft vom 4. August 1919 (BB1 1919 IV 577) betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund hat der Buudesrat festgestellt, dass «ein dauernd neutraler Staat wie die Schweiz ... besonderen Anlass hat, durch seine Politik sich mehr als den strikten Rechtsanspruch auf die Achtung der Neutralität zu sichern... Er wird vieles unterlassen, was er von Rechts wegen tun dürfte, aber gerade weil Nculi ali täl!>puHlik in den freien Willen des Nculialcu gestellt undc ine Frage dus poli1J Gerichtsverfügung im Freizonen-Streit zwischen der Schweiz und Frankreich vom 19. August 1929, C.PJ.L, Série A, Nr. 22, S. 20.

2 > Max Huber, Schweiz. Jahrbuch für internationales Recht, V, 1948, S. 15.

1473 tischen Ermessens ist, darf die Möglichkeit der Betätigung solcher Politik nicht durch missbräuchliche Ausdehnung der Neutralitätspflichten eingeschränkt und unterdrückt werden.»

c. Die Tatsache, dass eine weitgehende Neutralitätspolitik eine grössere Beschränkung der Rechte des neutralen Staates und der ihm unterstellten Individuen bewirkt, als das Neutralitätsrecht dies verlangt, hat zur Folge, dass die extensive Neutralitätspolitik vielfach als Anerkennung zusätzlicher Neutralitätspflichten gedeutet werden kann. Dies führt gelegentlich dazu, dass von kriegführenden Staaten die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Neutralen für tatsächliche oder angebliche Nichtbefolgung der oft im Landesrecht gesetzlich verankerten Neutralitätspolitik geltend gemacht wird. So ist die Schweiz sowohl vor Ausbruch wie während des zweiten Weltkrieges verschiedentlich für die Haltung ihrer Presse verantwortlich gemacht worden, obwohl gerade die sogenannte Gesinnungsneutralität nicht zu den völkerrechtlichen Neutralitätspflichten gehört. Der neutrale Staat haftet keineswegs für die Unterlassung neutralitätspolitischer Massnahmen, was die Schweiz auch stets bei Angriffen auf ihre Pressepolitik festgehalten hat.1' d. Zur Neutralitätspolitik gehören auch Massnahmen des neutralen Staates, die eine Beendigung des Konflikts zwischen den Kriegsparteien oder doch dessen Humanisierung bezwecken. Hierzu gehören in erster Linie die «guten Dienste», die der neutrale Staat den Kriegführenden jederzeit anbieten kann.

Ein Beispiel solcher guten Dienste bildet die Übermittlung des japanischen Kapitulationsangebots durch die Schweiz im Jahre 1945,2> In den gleichen Rahmen fällt die Interessenvertretung eines Kriegführenden beim ändern durch den neutralen Staat. Durch dieses seit der Mitte des letzten Jahrhunderts bekannte Institut, das im Verlaufe der beiden letzten Weltkriege eine grosse Ausbreitung erfahren hat, wird es möglich, zwischen den Kriegführenden ein Minimum von Beziehungen aufrechtzuerhalten und den Angehörigen und Kriegsgefangenen eines Kriegführenden auf dem Gebiet des ändern einen gewissen Schutz angedeihen zu lassen. Auch die Ermöglichung und die direkte Durchführung humanitärer Massnahmen auf dem Gebiet der Kriegführenden gehört zur Neutralitätspolitik.3' B. Die Neutralität der Schweiz 1. Begründung und Anerkennung des schweizerischen Neutralitätsstatus a. Schon lange vor 1815 war der Wille der Eidgenossenschaft zur Neutralität offenkundig. Die dauernde Neutralität der Schweiz als
internationales Statut wurde durch die von Frankreich, Grossbritannien, Österreich, Preussen und Russland unterzeichneten Akte vom 20. November 1815, wie bereits festgestellt, 1

> Vgl. die Gesch.Ber. 1933-1940 sowie Schweiz. Jahrbuch für internationales Recht V, 1948, S. 173.

v Vgl. Gesch.Ber. 1945. S. 106.

8 > Vgl. auch I.Teil, III. Kap., A 4 ; und R. Probst, Die «Guten Dienste» der Schweiz, Jahrbuch der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 1963, S. 21 ff.

1474 definitiv begründet. Obwohl die Schweiz nicht Mitunterzeichnerin war, enthält diese Erklärung materiell eine Vereinbarung, die zuvor zwischen dem Delegierten der Schweiz und den Vertretern der Grossmächte ausgehandelt worden war.1) In der Folge traten Portugal, Schweden und Spanien der Erklärung bei. Eine Anerkennung der schweizerischen Neutralität ergibt sich auch für das Königreich Sardinien-Piemont aus Artikel 92 der Wiener Schlussakte sowie aus Artikel 2 des Zessionsvertrages mit Frankreich vom 24. März 1860. Diese Anerkennung ist von der Regierung des Königreichs Italien mit Note vom 19. August 1914 bestätigt worden.

Dagegen haben die Vereinigten Staaten von Amerika die ständige Neutralität der Schweiz nie formell anerkannt. Ein Notenwechsel vom 3./12. Dezember 1917, worin die Vereinigten Staaten versichern, dass sie den für die Schweiz gültigen Grundsatz der Neutralität sowie die Unverletzlichkeit ihres Territoriums respektieren werden2', wird zum Teil als Anerkennung ausgelegt. Ferner ist hinzuweisen auf das Memorandum des amerikanischen Staatsdepartements vom 10. Juni 1953 an die Schweizerische Botschaft in Washington über die schweizerische Teilnahme an der Kommission der neutralen Staaten, die sich mit der Heimschaffung der Kriegsgefangenen in Korea befasste. In diesem Memorandum äussert die amerikanische Regierung «volles Verständis» für unsere traditionelle Neutralitätspolitik.

Hinsichtlich der Anerkennung der schweizerischen Neutralität durch die Sowjetunion bestanden längere Zeit Zweifel, ob die Sowjetregierung grundsätzlich bei ihrer Machtübernahme die vom zaristischen Russland eingegangenen Verpflichtungen anerkannt hatte. Im Zusammenhang mit der Begründung der Neutralität Österreichs ist jedoch in dieser Hinsicht eine gewisse Abklärung erfolgt". So stellt der sowjetische Völkerrechtler Dourdenevsky fest, dass der 20. November 1815 als der Zeitpunkt der vertraglichen und endgültigen Anerkennung der ständigen Neutralität der Schweiz zu gelten hat und dass sowohl in der Lehre wie in der Praxis des Völkerrechts die schweizerische Neutralität als anerkannt gilt. In einer Fussnote fügt Dourdenevsky bei, dass die Garantien von 1815 wohl ziemlich überholt sind, jedoch nicht als vollständig hinf ällig gelten dürfen. Durch das Auftreten der Sowjetunion als neue Grossmacht an Stelle
des zaristischen Russland sei eine neue Lage in bezug auf diese Garantien entstanden; diese Garantien selbst seien aber nie aufgehoben worden.4' b. Bei den Verhandlungen der Pariser Friedenskonferenz im Frühjahr 1919 ersuchte Frankreich um die Aufnahme einer Bestimmung in den Friedensvertrag mit Deutschland, welche die Abschaffung der Neutralität Nordsavoyens und des Sonderregimes der Freizonen im Genfer Gebiet bewirken würde. Beide Einrichtungen waren ebenfalls im Jahre 1815 zugunsten der Schweiz geschaffen worden. Ihre Aufhebung konnte daher nur mit der ZustimD Vgl. 1. Teil, II. Kap., A 3 b "' Strupp, Neutralisation, Befriedung, Entmilitarisierung, 1933, S. 30 f.

" Vgl. I.Teil, II. Kap., C Id.

*> Vgl. Dourdenevsky, La neutralité dans le système de la sécurité collective 1957, zitiert von Bindschedler-Robert in Revue économique et sociale, April 1963, S. 138.

1475 mung unseres Landes erfolgen. Es bahnten sich Verhandlungen zwischen einer schweizerischen und einer französischen Delegation an, auf Grund deren die Schweiz ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Aufhebung der Neutralität Nordsavoyens und der Freizonen zusagte und dafür als Gegenleistung eine Bestätigung der übrigen in den Verträgen von 1815 erhaltenen Garantien, .insbesondere derjenigen ihrer Neutralität, zugesichert erhielt. Als Ergebnis dieser Vereinbarung wurde folgender Abschnitt in den Artikel 435 des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919 aufgenommen: «Indem die Hohen Vertragsschlicssenden Parteien die durch die Verträge von 1815 und namentlich durch die Akte vom 20. November 1815 zugunsten der Schweiz festgesetzten Garantien, die internationale Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung des Friedens bilden, anerkennen » Dieser Text erwähnt die Neutralität der Schweiz nicht ausdrücklich. Der Bundesrat hat aber besonders angesichts der im Verlaufe der Verhandlungen der schweizerischen Delegation gegenüber gemachten Zusagen die Auffassung vertreten, es handle sich hier um eine ausdrückliche Bestätigung der schweizerischen Neutralität durch sämtliche Vertragsstaaten des Versailler Vertrages.1' Allerdings betrifft dies nur die militärische Neutralität der Schweiz.

c. Sucht man festzustellen, von welchen Staaten gegenwärtig das Statut der ständigen Neutralität der Schweiz anerkannt wird, so kommt man zu folgenden Ergebnissen: aa. nach wie vor gilt die Anerkennung für alle Staaten, welche die Akte vom 20. November 1815 unterzeichnet haben oder ihr beigetreten sind.

bb. Die Anerkennung gilt ferner für alle Staaten, die durch Artikel 435 des Versailler Vertrages oder entsprechende Bestimmungen anderer Friedensverträge der Jahre 1919/1920 gebunden sind.2) cc. Endlich gilt die Anerkennung für die Mächte, die durch die weiter unten behandelten Erklärungen des Völkerbundsrates vom 13. Februar 1920 und 14. Mai 1938 gebunden sind.

M. Da in den Moskauer Verhandlungen von 1955 die schweizerische Neutralität ausdrücklich als Vorbild für diejenige Österreichs genannt wurde*>, müssen wohl auch diejenigen Staaten als an die schweizerische Neutralität gebunden gelten, die in ihrer Anerkennung der Neutralität Österreichs unmittelbar oder mittelbar darauf Bezug genommen haben.

2. Der Beitritt der Schweiz zum
Völkerbund und das schweizerische Neutralitätsstatut a. Auch in der Schweiz befasste man sich schon vor Ende des ersten Weltkrieges mit der Frage einer Neuordnung der internationalen Beziehungen nach Beendigung der Feindseligkeiten. Am 14. Mai 1918 erfolgte in dieser Richtung *> Vgl. Antwort Bundesrat Calonders auf die Interpellation Winiger im Ständerat, am 11. Juni 1919, StB, S. 241 ff.; ferner l, Teil, II. Kap., B 2 b.

a > Vgl. z. B. Art. 375 des Vertrages von St-Germain, dessen Wortlaut mit dem von Art. 435 des Versailler Vertrages identisch ist.

»Vgl. I.Teil, n. Kap., C 1.

1476 ein Vorstoss der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (BB1 1918 III 31 lf.). Der Bundcsrat konnte in seiner Antwort darauf hinweisen, dass er bereits einige Tage zuvor, am 4. Mai, im Rahmen des Politischen Departements eine Kommission geschaffen und mit der Überprüfung der Frage einer Neuordnung des Völkerrechts nach dem Kriege beauftragt habe. Zu diesem Zweck stand ihr ein umfangreicher Bericht des Rechtskonsulenten des Politischen Departements, Prof. Max Huber, zur Verfügung. In der Folge wurde die Kommission am 18. September durch die Aufnahme von aussenstehenden Persönlichkeiten erweitert. Auf Grund eines ebenfalls von Max Huber ausgearbeiteten Vorentwurfes erstellte die Kommission Entwürfe eines Völkerbundsvertrages und der Statuten eines Völkerbundes, die vom Bundesrat am 11. Februar 1919 gutgeheissen und sowohl den eidgenössischen Räten wie auch den ausländischen Regierungen unterbreitet wurden.1' Zu jenem Zeitpunkt waren allerdings die Vorarbeiten zum Völkerbundspakt schon zu weit gediehen, als dass der schweizerische Entwurf darauf noch hätte einen Einfluss ausüben können. Die Kommission prüfte daher in der Folge den Text des vorgeschlagenen Pariser Völkerbundspaktes und empfahl nach eingehenden Beratungen mit grossem Mehr den Beitritt (BB11919IV 545), b. In seiner Botschaft vom 4. August 1919 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund vertrat der Bundesrat die Auffassung, dass zur Wahrung des Ncutralitätsstatuts der Schweiz kein Vorbehalt zum Völkerbundspakt notwendig sei. Aus der Verbindung von Artikel 435 des Versailler Vertrages, in dem die Garantien von 1815 als Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung des Friedens bezeichnet wurden, und Artikel 21 des Völkerbundspaktes, der das Weiterbestehen solcher Vereinbarungen als mit den Bestimmungen des Paktes nicht unvereinbar erklärte, glaubte der Bundesrat, auf das Fortbestehen des Neutralitätsstatuts auch innerhalb der neuen Organisation schliessen zu können (BB11919 IV 571). In der Folge zeigte sich jedoch, dass diese Auffassung nicht eindeutig von den Hauptmächten geteilt wurde. Es fanden neue Verhandlungen statt, die schliesslich zu einer Erklärung des Völkerbundsrates vom 13. Februar 1920 führten, deren wichtigster Passus folgendermassen lautetet: «Der Rat des Völkerbundes, indem er grundsätzlich feststellt, dass
der Begriff der Neutralität der Mitglieder des Volkerbundes nicht vereinbar ist mit jenem anderen Grundsatz, dass alle Mitglieder des Völkerbundes gemeinsam zu handeln haben, um dessen Verpflichtungen Nachachtung zu verschaffen, anerkennt dennoch, dass auf Grund einer jahrhundertealten Überlieferung, die im Völkerrecht ausdrücklich Aufnahme gefunden hat, die Schweiz sich in einer einzigartigen Lage befindet und dass die den Völkerbund bildenden Signatarmachte des Vertrages von Versailles im Art. 435 zu Recht anerkannt haben, dass die zugunsten der Schweiz durch die Verträge von 1815 und insbesondere durch die Akte vom 20. November 1815 begründeten Garantien internationale Abmachungen zur Aufrechterhaltung des Friedens darstellen... In diesem Sinne hat der Rat des Völkerbundes von den Erklärungen Kenntnis genommen... wonach die Schweiz die Pflichten der Solidarität feierlich anurkviuil... eiu^hliesslich dei Veipflichtung, an den ... kommerziellen und finanziellen Massnahmen gegenüber einem bundesbrüchigen Staat mitzuwirken, wonach die Schweiz ... aber nicht verpflichtet ist, an militärischen l

> Vgl. StB N 1919, S. 788.

1477 Unternehmungen teilzunehmen oder den Durchzug fremder Truppen oder die Vorbereitung militärischer Unternehmungen auf ihrem Gebiet zu dulden...» 1> Die Erklärung sieht nur die Wahrung der militärischen Neutralität im Rahmen des Völkerbundes vor. Dies entspricht der damals vom Bundesrat vertretenen Auffassung, weder das allgemeine Völkerrecht noch die bestehenden Verträge sähen eine Rechtspflicht zur Neutralität auf wirtschaftlichem Gebiet vor (BB119J9IV 579 ff.) Diese Auffassung blieb weder in den Kommissionsberichten zur bundesrätlichen Botschaft vom 4. August 1919 noch in den parlamentarischen Beratungen unbestritten. Das Hauptargument, das für die Beteiligung an wirtschaftlichen Sanktionsmassnahmen geltend gemacht wurde, bestand darin, dass auch beim Fernbleiben vom Völkerbund die Schweiz gezwungen werden könnte, in einem Konflikt sanktionsähnliche Wirtschaftsmassnahmen durchzuführen.2) 3. Die schweizerische Neutralität und das Sanktionsrecht des Völkerbundes

a. Die allgemeine Haltung der Schweiz in der Frage des Kriegsverbots und der Sanktionen war durch das Bestreben gekennzeichnet, einerseits den Solidaritätspflichten im Rahmen des Völkerbundes nachzukommen, anderseits jedoch im Interesse der Neutralität zu verhindern, in Sanktionsmassnahmen gegen Friedensbrecher hineingezogen zu werden. So wird in den Instruktionen für die schweizerische Delegation an der zweiten Völkerbundsversammlung, die für die anschliessenden Jahre grundlegend blieben, unter Punkt l festgehalten (BB11921 V 492) : «Die vorncnmlichste Aufgabe der schweizerischen Delegation ... besteht darin, dafür einzutreten, dass die im Volkerbundspakt niedergelegten Grundsätze, die für den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund ausschlaggebend waren, tatsächlich befolgt und durch die Weiterentwicklung des Völkerbundes bekräftigt und bestärkt werden. Die Schweiz will, dass das durch den Völkerbund verkörperte Prinzip der internationalen Zusammenarbeit und Solidarität massvoll und unter Wahrung der Unabhängigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten entwickelt, in diesem Unifang aber unbedingt verwirklicht werde.»

Diese Instruktionen sind in analoger Form in den folgenden Jahren immer wieder bestätigt worden. In ihrem Sinn ist die Schweiz für die Ausweitung und das Obligatorium der internationalen Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit zur Regelung rechtlicher Streitigkeiten eingetreten sowie für die Lösung nichtrechtlicher und rechtlicher Streitigkeiten durch Vergleichsverfahren inner- und ausserhalb des Völkerbundes. In den Instruktionen für die 11. Session der Völkerbundsversammlung wird die schweizerische Delegation sogar aufgefordert, «jeden Antrag (zu) unterstützen, der darauf hinzielt, dem Rat im Falle der Nichtausführung eines Schiedsspruchs oder Gerichtsurteils die Befugnis einzuräumen, mit Stimmenmehrheit die friedlichen Massnahmen »> Vgl. den vollständigen Text der Erklärung in BB119381 845 f.

2 > Vgl. StB N 1919, S. 779 und 788.

1478

zu empfehlen, die erforderlich sind, um dem Schiedsspruch oder Gerichtsurteil Nachachtung zu verschaffen» (BEI 1931 I 96). In die gleiche Richtung geht auch das Angebot der Schweiz, dem Völkerbund eine Radiostation zur Verfügung zu stellen, die normalerweise durch «Radio Schweiz» betrieben wird, jedoch in Krisenzeiten ausschliesslich dem Völkerbund dienen sollte; allerdings war zur Sicherung der Neutralität der Schweiz vorgesehen, dass ein schweizerischer Beobachter zugelassen werden musste. Eine entsprechende Vereinbarung wurde nach mehrjährigen Verhandlungen am 21. Mai 1930 abgeschlossen.1* b. Im Interesse der Wahrung ihrer Neutralität unterstützte die Schweiz alle Bestrebungen, die Sanktionsbestimmungen des Völkerbundspaktes im Sinne einer engeren Fassung zu revidieren oder doch restriktiv auszulegen.

Damit sollte die Zahl der Fälle vermindert werden, in denen diese Bestimmungen zur Anwendung gelangen konnten, oder zum mindesten erreicht werden, dass den einzelnen Staaten ein weitgehend selbständiges Entscheidungsrecht darüber eingeräumt wurde, ob sie sich an einzelnen Sanktionsmassnahmen beteiligen sollten. In diesem Sinn war die schweizerische Delegation massgeblich an der Ausarbeitung folgender Resolution beteiligt, welche die Völkerbundsversammlung an ihrer zweiten Session guthiess : «Durch den einseitigen Akt des fehlbaren Staates kann nicht der Kriegszustand geschaffen werden ; er gibt nur ändern Mitgliedern die Möglichkeit, zu kriegerischen Massnahmen überzugehen oder sich als im Zustand des Krieges mit den Vertragsbrüchigen Staaten zu erklären... Es kommt den verschiedenen Mitgliedern des Völkerbundes zu, zu beurteilen, ob ein Bruch des Völkerbundspaktes vorliege.»

Die Schweiz erreichte auch, dass die Umschreibung des von den Sanktionen erfassten Personenkreises dahin eingeschränkt wurde, dass sie nur die im fehlbaren Staate ansässigen Personen umfasste, nicht aber seine im Auslande lebenden Staatsangehörigen (BB11921 V 521 f.). Eine gleichzeitig beschlossene Änderung des Artikels 16 des Völkerbundspaktes über die Sanktionsmassnahmen kam mangels einer genügenden Anzahl von Ratifikationen durch die Mitgliedstaaten nicht zustande. Es gelang jedoch der Schweiz, bei späteren Verhandlungen das Festhalten an diesem Beschluss durchzusetzen, obwohl er ursprünglich nur als Übergangslösung bis zum Inkrafttreten der beschlossenen Satzungsänderung gedacht gewesen war (BB11925 l 18 f.).

Daneben war die Schweiz auch bemüht, alles zu vermeiden, wodurch ihre Pflicht zur Teilnahme an Sanktionsmassnahmen erweitert werden konnte. So stellte der Vertreter der Schweiz bei den Beratungen über ein Abkommen zur gegenseitigen Hilfeleistung bei satzungswidrigen Angriffen sofort klar, dass sein Land im Hinblick auf das Neutralitätsstatut einer solchen Übereinkunft nicht beitreten könnte (BEI 1923122, 1923 III 587). Desgleichen erläuterte der Bundesrat seinen Beschluss, dem Entwurf eines Abkommens über finanzielle Unterstützung bei Angriffsdrohungen nicht beizutreten, in folgender Weise (BB11929III 892 f.; 19311144): l

> Vgl. den Text des Abkommens in Verw. Entsch., 5,1931, Nr. 32.

1479 «Die Völkerrechtslehre bestreitet dem Neutralen sozusagen einhellig das Recht, einem kriegführenden Staate finanzielle Hilfe zu leisten oder, was praktisch auf dasselbe hinausläuft, das Recht, die Rückzahlung einer Anleihe zu gewährleisten, die zugunsten eines Kriegführenden ausgegeben wird ... Wenn (die Schweiz)... als Garant einer Anleihe aufträte in einem Falle, wo die Bedingungen für die Anwendbarkeit des Artikels 16 (des Völkerbundspaktes) nicht vorlägen, beginge sie eine Handlung, die nicht mehr gedeckt wäre durch die Pflichten aus dem Völkerbundsvertrag... die Schweiz (könnte sich in diesem Falle)... dem Vorwurf aussetzen, mit ihrer Neutralitätspolitik gebrochen zu haben.»

c. In drei Fällen wurde die Schweiz ersucht, sich direkt an Massnahmen zu beteiligen, die im Rahmen des Sanktionsrechts ergriffen wurden ; sie werden im Anhang V im einzelnen besprochen.

d. Nicht im Zusammenhang mit den Sanktionsbestimmungen des Völkerbundspaktes stehen die beiden folgenden Fälle, in denen die Schweiz im Hinblick auf Massnahmen des Völkerbundes Neutralitätserwägungen angestellt hat: aa. Bei der Saarabstimmung im Jahre 1934 ersuchte der Völkerbund die Schweiz um ihre Mitwirkung in der Vorbereitenden Kommission und an den zur Sicherung einer geordneten Durchführung der Abstimmung vorgesehenen Vorkehren. Der Bundesrat äusserte sich hiezu wie folgt : «Gemäss unserer herkömmlichen Neutralitätspolitik nahm der Bundesrat eine reservierte Haltung ein... Infolgedessen hat er sich an der Zuziehung von Schweizerburgern in die mit der Vorbereitung der Volksabstimmung betrauten Organe nicht beteiligt ... Des weiteren hat er es auch nicht für angezeigt erachtet, hinsichtlich der Verstärkung der Polizei im Saargebiet seine Beihilfe zu leisten... (Es entsprach) unserer Neutralitätspolitik, den zuständigen Organen des Völkerbundes abzuraten, an Schweizerbürger zu gelangen... Der Bundesrat konnte (auch) zu seinem Bedauern der Entsendung eines militärischen Kontingents nicht beistimmen ...»1>

bb. Im Jahre 1936 beschloss die Völkerbundsversammlung angesichts der schlechten mit den Sanktionen im Abessinienkrieg gemachten Erfahrungen, nur eine moralische Verurteilung des japanischen Angriffs auf China auszusprechen. Die schweizerische Delegation schloss sich der entsprechenden Resolution mit folgender Begründung an (BEI 1937III 587): «Sie bot uns die Möglichkeit, Hand in Hand mit dem Völkerbund zu gehen, ohne dadurch unsere Neutralität aufs Spiel zu setzen. Unsere Haltung... entsprach in allen Stücken dem Standpunkt, den wir imitahenisch-abessinischenKonflikt vertreten haben.»

4. Die Befreiung der Schweiz von den Sanktionspflichten des Völkerbundes*' a. Die mit den Sanktionen im Abessmienkonfükt gemachten Erfahrungen sowie die schwierige Lage, in welche die Schweiz durch den Austritt ihrer Nachbarn Deutschland und Italien aus dem Völkerbund geraten war, veranlassten den Bundesrat bereits 1937 zu einer neuen Prüfung seiner Haltung. Er kam zum Schluss, dass sich die Bedingungen, unter denen sich die Schweiz bc*> Vgl. Gesch.Ber. 1934, S. 91 f.

*> Vgl. Bericht des Bundesrates über die Neutralität der Schweiz im Völkerbund vom 3. Juni 1938, BB119381 840 ff.

1480 reit erklärt hatte, an den wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen des Paktes mitzuwirken, tiefgreifend verändert hatten. In einer Rede vor dem Nationalrat erklärte daher der Vorsteher des Politischen Departements am 22, Dezember 1937 im Namen des Bundesrates, «dass die Eidgenossenschaft inskünftig ohne Zaudern darauf bedacht sein muss, zum Ausdruck zu bringen, dass sie sich nicht auf eine différentielle Neutralität beschränken kann, sondern dass diese Neutralität umfassend sein muss». Um dies zu erreichen, beteiligte sich die Schweiz vorerst aktiv an den Arbeiten des sogenannten 28er-Komitees, das 1936 zur Prüfung einer Revision des Völkerbundspaktes eingesetzt worden war. Sie unterstützte insbesondere einen schwedischen Antrag, die Anwendung des Artikels 16 des Paktes fakultativ zu gestalten.

Im Interesse einer unzweideutigen Klarstellung ihrer Lage versuchte jedoch die Schweiz, eine ausdrückliche Befreiung von ihrer Sanktionspflicht durch den Völkerbundsrat zu erwirken. Zu diesem Zwecke arbeitete der Bundesrat den Text eines Memorandums aus, den er vorerst in vertraulicher Form gewissen Regierungen zur Kenntnis brachte, um ihre Reaktion zu erfahren. Als diese positiv ausfiel, wurde das Memorandum dem Völkerbundsrat am 29. April 1938 überreicht. Der Rat überwies es einem Unterausschuss zur Berichterstattung. Am 14. Mai 1938 genehmigte er den Bericht des Unterausschusses und den von diesem ausgearbeiteten Resolutionsentwurf, der hauptsächlich folgende Ausführungen enthält: «Der Rat des Völkerbundes,... in Anbetracht der besonderen Lage der Schweiz, die sich aus der immerwährenden Neutralität ergibt,... nimmt... Kenntnis von der durch die Schweiz... ausgesprochenen Absicht, sich in keiner Weise mehr an der Durchführung der Paktbestimmungen über die Sanktionen zu xbeteiligen, und erklärt, dass sie nicht eingeladen werden wird, an ihnen mitzuwirken.., » >

Nach Ansicht des Bundesrates bedeutete die Resolution vom 14. Mai 1938 ein wichtiges Datum in der Geschichte der schweizerischen Neutralität. Nachdem die Schweiz dem Gedanken der internationalen Solidarität gewisse Zugeständnisse gemacht hatte, musste sie in Anbetracht der Umstände zur überlieferten Auffassung der Neutralität zurückkehren.

b. Bei der Abstimmung über die Resolution vom 14. Mai 1938 enthielten sich die Vertreter Chinas und der Sowjetunion der Stimme. Der sowjetrussische Vertreter Litwinov begründete seine Haltung folgendermassen : «Die Verteidigung der schweizerischen Neutralität gehört in keiner Weise zu den Verpflichtungen des Völkerbundes. Diese Neutralität ist durch andere internationale Verträge gewährleistet, die weiterhin in Kraft stehen, wie auch alle Verpflichtungen bestehen bleiben, welche die Unterzeichnerstaaten dieser Verträge übernommen haben. »

Gelegentlich ist in dieser Feststellung eine Bestätigung durch die Sowjetunion der Anerkennung der schweizerischen Neutralität durch das zaristische Russland gesehen worden.2' c. Die Aufhebung der Pflicht zur Teilnahme an Sanktionen veranlasste den Bundesrat zu neuen Richtlinien für die schweizerische Delegation an der l

> Vgl. den vollen Text in BB11938 l 852.

«> Vgl. 1. Teil, II. Kap., B l c dd und C l d.

1481 19. Session der Völkerbundsversamrnlung. Diese lauteten folgendermassen (BEI 1938II 809): «Die Delegation wird ihre Haltung der von der Schweiz im Rahmen des Völkerbundes wiedergewonnenen umfassenden Neutralität anpassen. Sie wird sich somit in politischen Fragen, an denen die Schweiz nicht direkt interessiert ist, enthalten. »

Diese Instruktionen wurden in den folgenden Jahren wiederholt und veranlassteii die schweizerische Delegation, sich bei der Abstimmung über den Ausschluss der Sowjetunion als Folge ihres Angriffs auf Finnland der Stimme zu enthalten und sich mit einer Erklärung der moralischen Solidarität mit Finnland zu begnügen (BEI 1940 147).

5. Die Neutralitätspolitik der Schweiz seit 1945.1'

a. Die Grundsätze der schweizerischen Neutralitätspolitik der Nachkriegszeit sind in einer Aufzeichnung des Politischen Departements vom 26, November 1954 umschrieben.2> Sie hält fest, dass der dauernd neutrale Staat seine Außenpolitik so einzurichten hat, dass er in keinen Krieg hineingezogen werden kann. Dabei handelt es sich nur um die offizielle Aussenpolitik. Weder humanitäre Aktionen, die von Staates wegen unternommen werden, noch die Haltung einzelner Staatsangehöriger werden von dieser Pflicht berührt. Der Bericht fährt fort : «Bei der Teilnahme an internationalen Konferenzen und internationalen Organisationen ist zu unterscheiden, ob diese einen vorwiegend politischen oder vorwiegend wirtschaftlichen, kulturellen oder technischen Aspekt aufweisen. Handelt es sich um Konferenzen und internationale Organisationen politischen Charakters, so kommt eine Beteiligung höchstens in Frage, wenn sie eine gewisse Universalität aufweisen. Es müssen die hauptsächlichsten Vertreter der in Frage kommenden politischen Gruppierungen daran teilnehmen, insbesondere beide Parteien eines allfälligen Konfliktes. Es gilt auch hier für die Schweiz, eine Parteinahme zu vermeiden.»

Als Einschränkungen der Souveränität sind nach Ansicht des Politischen Departements alle Neutralitätspflichten restriktiv auszulegen. Wenn ein neutraler Staat mehr tut, als seine Pflichten als dauernd neutraler Staat es verlangen würden, so handelt er nicht im Sinne einer Rechtspflicht, sondern aus politischen Erwägungen.

Im Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1955 heisst es (S. 111): «Wie stets wickelte sich die Tätigkeit des Departements nach den Grundsätzen ab, die für die Neutralitätspolitik des Bundes wcgleitend sind. Diese zielt im besondern darauf hin, die Stellung unseres Landes durch den Abschluss internationaler Verträge und anderer Abkommen zu festigen und zu erweitern, »

Im gleichen Jahre stellte der Bundesrat auch in seinem Bericht über die Mitwirkung schweizerischer Delegierter bei der Durchführung des am 27. Juli 1953 in Korea abgeschlossenen Waffenstillstandsabkommens fest, dass « ...die Neutralität der Schweiz immerwährend ist und dass das Neutrali tätsstatut...

auch die eigentlichen Grundsätze (enthält), die seit mehr als einem Jahrhundert vom x s

> Über die Neutralitätspolitik im Verhältnis zu den Vereinten Nationen und ihren SpezialOrganisationen vgl. 1. Teil, III. Kap, > Verw. Entsch. 24, 1954, S. 9 ff.

Bundesblatt. m.Jahrg. Bd.I

91

1482 Bundesrat ständig angewandt wurden ... Einer dieser Grundsätze ist die Unparteilichkeit. Die Schweiz könnte keine Mission übernehmen, die sie zwingen würde, davon abzuweichen.» (BEI 1955 1702)

Schliesslich urnriss der Bundesrat die Grundsätze der Neutralitätspolitik in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1963 folgendermassen (S. 87): «Der wichtigste leitende Grundsatz der schweizerischen Aussenpolitik bleibt die ständige bewaffnete Neutralität. Um dem Kleinstaat mit intensiven Aussenbeziehungen den nötigen Spielraum zu geben, dürfen allerdings nach wie vor der Neutralitätspolitik nicht zu enge Grenzen gezogen werden. Die Neutrahtätspflichten beschränken sich im allgemeinen auf das völkerrechtliche und das militärische Gebiet und lassen dem Bundesrat viele Möglichkeiten für Aktionen der internationalen Solidarität und für Massnahmen zur Wahrung spezifisch schweizerischer Interessen.»

b. Auf dieser Grandlage hat der Bundesrat, vor allem in den nachstehend angeführten Fällen, seine Neutralitätspolitik geführt: aa. Im Jahre 1947 wurde die Schweiz eingeladen, sich an einer nach Paris einberufenen Konferenz zur Durchführung des amerikanischen Marshall-Planes zu beteiligen. Der Bundesrat nahm diese Einladung mit Vorbehalten an. Er erklärte seine Absicht, keine Verpflichtungen einzugehen, die mit dem traditionellen Neutralitätsstatut der Schweiz nicht vereinbar wären. Überdies wollte er Beschlüsse der Konferenz nur dann als für die Schweiz verbindlich anerkennen, wenn diese ihnen ausdrücklich zustimmte. Endlich behielt sich der Bundesrat die Freiheit vor, Verträge mit an der Konferenz nicht vertretenen Staaten in Kraft zu belassen und auch neu abzuschliessen.l> bb. Abweichend von seiner früher vertretenen Haltung erliess der Bundesrat am 28. März 1949 einen Beschluss, der die Aus- und Durchfuhr von Waffen, Munition und sonstigem Kriegsmaterial grundsätzlich untersagt. Ausnahmen können nur gemeinsam vom Politischen Departement und vom Militärdepartement bewilligt werden. Gestützt auf diesen Erlass, der verschiedentlich geändert wurde, indem neue Warenkategorien seinen Vorschriften unterstellt wurden, ist die Ausfuhr von Kriegsmaterial nach Gebieten, in denen internationale Konflikte herrschen oder auszubrechen drohen, in der Regel unterbunden worden.a> cc. Angesichts der politischen Zielsetzung des Europarates vertrat der Bundesrat lange Zeit die Auffassung, ein Beitritt der Schweiz sei mit den Grundsätzen ihrer Neutralitätspolitik nicht vereinbar. Als er im Jahre 1951 erstmals eingeladen wurde, in ein aus Regierungsvertretern gebildetes Expertenkomitee einen Delegierten zu entsenden, beschloss er «in Berücksichtigung des technischen Charakters der vom Komitee behandelten Fragen», dessen Arbeiten durch zwei Beobachter verfolgen zu lassen.3) Im Laufe der Jahre entsandte *> Vgl. Schreiben des Chefs des Politischen Departements vom 9. Juli 1947 in BB1 19(8 II1183. Das in der Folge abgeschlossene Übereinkommen zur Schaffung einer Europäischen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit trug der schweizerischen Auffassung in seinem Art. 14 Rechnung (BB11948 II1191 ff., 1201).

s > Vgl. AS 1949 315,1951 839,1958 270,1960 1673 sowie die Gesch.Ber. 1949 (S. 71), 1950 (S. 82), 1951 (S. 83), 1955 (S. 113 f.). 1957 (S. 133), 1958 (S. 150), 1960 (S. 147).

»> Gesch. Ber. 1951, S. 107.

1483 der Bundesrat Experten in zahlreiche technische Komitees des Europarates: Patentrechte (1951), Gesundheitswesen (1955), Radio und Fernsehen (1957), Rechtshilfe in Strafsachen (1957) usw.

Noch 1957 hielt der Bundesrat den in parlamentarischen Kreisen immer wieder geforderten Beitritt der Schweiz zum Europarat für inopportun; doch verfolgten mit seinem Einverständnis fünf Parlamentarier in rein persönlicher Eigenschaft als Beobachter die Verhandlungen einer Kommission der Beratenden Versammlung.1) Am 10. Mai 1960 beschloss der Bundesrat, den eidgenössischen Räten zu empfehlen, die Einladung des Europarates anzunehmen, an die Beratungen wirtschaftlicher Fragen in der Konsultatiwersammlung Parlamentarier als Beobachter zu entsenden. In der Folge wurden von den Räten sechs Beobachter und sechs Stellvertreter bezeichnet, die im März 1961 die Verhandlungen über Wirtschaftsfragen verfolgten. Im Juni 1961 wurde das Mandat der Beobachter auch auf juristische, kulturelle und soziale Probleme ausgedehnt.

1962 sprach sich dann der Bundesrat auf Grund der gesammelten Erfahrung in einem Bericht an die eidgenössischen Räte für den Beitritt zum Europarat aus. Dabei stellte er fest, dass neutralitätsrechtlich nichts im Wege stehe, um so weniger als «man ... nicht vergessen (darf), dass die Verpflichtungen der Neutralität, welche die Freiheit der Staaten einengen, ... restriktiv auszulegen sind». Der Bundesrat anerkannte zwar die weiterhin politische Zielsetzung des Europarates, stellte aber gleichzeitig fest, dass die politische Tätigkeit lediglich in Diskussionen und unverbindlichen Entschliessungen ihren Ausdruck findet (BEI 1962 H 1097 f.). Daher betrachtete der Bundesrat einen Beitritt als mit der Neutralitätspolitik der Schweiz vereinbar.

dd. Als im Jahre 1952 die Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Korea Fortschritte zu machen begannen, hielten die Kriegsparteien Umschau nach möglichen Mitgliedern für die neutralen Kommissionen, deren eine die Durchführung des Waffenstillstandes, die andere den Austausch der Kriegsgefangenen überwachen sollte. Auch die Schweiz wurde, insbesondere von den Vereinigten Staaten von Amerika, angefragt, ob sie bereit wäre, Vertreter in die beiden geplanten Kommissionen zu entsenden. Zu dieser grundsätzlichen Frage stellte der Bundesrat folgendes fest: «Obwohl (er)
voraussah, dass die beiden Kommissionen auf Schwierigkeiten stossen würden, war er der Auffassung, die schweizerische Neutralität verpflichte ihn, im Interesse des Friedens diese Mandate anzunehmen. Der Bundesrat hat seine guten Dienste weiterhin der Erfüllung humanitärer Aufgaben zur Verfügung gestellt, weil er darin immer einen Teil der Pflichten erblickt hat, die der Schweiz aus ihrer Neutralität erwachsen ... Die Neutralität der Schweiz kann nicht rein passiver Natur sein; sie muss vielmehr in den Dienst des Friedens gestellt werden. Vom Moment an, wo ein Ruf an die Schweiz erging, war für sie die moralische Pflichts) geschaffen, an der Wiederherstellung des Friedens im Femen Osten mitzuhelfen. » « Gesch.Ber. 1956, S. 162 f. und 1957, S. 165 f.

a > Gesch. Ber. 1953, S. 80 und 87.

1484 Ein besonderes Problem stellte sich angesichts der Tatsache, dass jede Kriegspartei die Hälfte der neutralen Komrnissionsmitglieder vorzuschlagen hatte. Der Bundesrat befürchtete, dass die Schweiz, obwohl neutral, als Beauftragter einer Kriegspartei betrachtet werden könnte. Schon am 9. Oktober 1952 richtete er deshalb ein Memorandum an die Vereinigten Staaten von Amerika und an die Volksrepublik China als die beiden wichtigsten Staaten auf jeder Seite, in dem er der Annahme Ausdruck gab, «dass die beiden kriegführenden Parteien anerkennen, dass die Schweiz das ihr anvertraute Mandat...

im Interesse beider Parteien objektiv und unparteiisch» ausführen werde. Die Regierung der Vereinigten Staaten wurde nochmals, in einem Memorandum vom 14. April 1953, auf diese Haltung des Bundesrates aufmerksam gemacht; sie antwortete mit Memorandum vom 10. Juni 1953, dass sie die Objektivität der Schweiz durchaus anerkenne.1' In seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1953 erklärte der Bundesrat (S. 87): «Die schweizerischen Delegierten sollten... in voller Unabhängigkeit handeln, also nicht etwa als Beauftragte einer Partei, sondern im gemeinsamen Interesse beider Parteien und als vollständig Unparteiische. » a)

ee. Als die Schweiz eingeladen wurde, an den Beratungen über die Errichtung einer europäischen Kernforschungs-Organisation teilzunehmen, entsandte der Bundesrat zuerst eine Delegation unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die Teilnahme an der künftigen Organisation allen europäischen Staaten offenstehen müsse und dass ihre Arbeiten weder geheim noch militärischer Natur sein dürften.2' Als sich im Jahre 1953 für die Schweiz die Frage des Beitritts zum Europäischen Übereinkommen über die Kernforschung stellte, nahm der Bundesrat folgenden Standpunkt ein (BEI 1953 II 837 f.) : «Weder der Zweck der Organisation noch ... (ihre) Tätigkeiten ..., oder der Umstand, dass der Sitz ... und das Laboratorium sich in Genf befinden, noch die Bestimmungen ... über die Aufnahme neuer Mitglieder, stehen dem Neutralitätsrecht, wie dieses besteht und im positiven internationalen Recht anerkannt ist, entgegen... Von der Sorge um die Beibehaltung einer Neutralitätspolitik Hessen wir uns immer dann leiten, wenn es um die Entscheidung ging, ob wir einer neuen internationalen Organisation beitrcten sollen... (Sie hat) uns veranlasst, uns ausserhalb jeder Organisation politischen oder militärischen Charakters zu halten... (Dagegen) wäre es nicht angebracht, die Regel aufzustellen, dass sich die Schweiz von jeder internationalen Organisation, die auf gewisse Staaten beschränkt ist, fernhalten soll. »

ff. Im Jahre 1954 richtete die Sowjetunion an alle europäischen Staaten die Einladung, an einer Sicherheitskonferenz teilzunehmen, die auf den 29. November nach Moskau einberufen wurde. Nur die osteuropäischen Staaten nahmen die Einladung an. Der Bundesrat erklärte, dass er an der vorgesehenen Konferenz nicht teilzunehmen vermöge, jedoch bereit sei, die Fragen zu prüfen, ob sich die Schweiz an einem Treffen beteiligen könnte, an dem sämtliche Staaten Europas vertreten wären, und inwieweit sie im Rahmen ihrer Neutralität 1)

Bericht des Bundesrates über die Mitwirkung schweizerischer Delegierter bei der Durchführung des Waffenstillstandsabkommens, BB11955 I 702, 708 und 710.

v Schweiz. Jahrb. für internationales Recht X, 1953, S. 254.

1485 an einem Sicherheitssystem mitwirken könnte, das sämtliche Staaten des Kontinents umfassen würde.1* gg. Im Jahre 1955 stellte sich für die Schweiz die Frage, ob einer ihrer Staatsangehörigen zum Europäischen Kommissar für das Saargebiet ernannt werden könnte. Die Ernennung wäre ohne Mitwirkung der Bundesbehörden erfolgt. Diese sollten lediglich Kandidaten empfehlen. Dagegen hätte der Kommissar in der Erfüllung seiner Aufgaben eng mit den militärischen Stellen der NATO zusammenarbeiten müssen. In einem Rechtsgutachten vom 24. Mai 1955 kam das Politische Departement zwar zum Schluss, dass weder das Neutralitätsrecht noch die Grundsätze der Neutralitätspolitik der Bezeichnung eines Schweizers als Kommissar für das Saargebiet im Wege stünden, stellte jedoch anschliessend fest, dass die Schweiz bisweilen in ihrer Neutralitätspolitik über das hinausgeht, was ihr «rechtlich die ständige Neutralität vorschrei ben würde».

Das Gutachten kommt zum Schluss, dass, «wenn der Bundesrat unter Würdigung aller Umstände vorsichtig sein und ein mehreres tun will, ... er ... die Aufstellung von Vorschlägen ablehnen (wird)».2) hh. Im Juli 1958 crliess der Bundesrat Richtlinien bezüglich der Überfliegung des Landes durch ausländische Militär- und sonstige staatseigene Flugzeuge. Die Überfliegung und die Landung solcher Flugzeuge soll «aus souveränitätsrechtlichen und neutralitätspolitischen Gründen» in der Regel nicht gestattet werden, wenn solche Flüge «vorwiegend militärischen Charakter» haben.3' Auf Grund dieser Regel ist die Schweiz seither verschiedentlich bei ausländischen Regierungen wegen unerlaubter Überfliegung ihres Gebietes vorstellig geworden.

U. In der Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur Europäischen Freihandelsassoziation erklärte der Bundesrat, dass die Schweiz aus neutralitätspolitischen Erwägungen nicht bei Organisationen mit Allianzcharakter oder mit vorwiegend politischen Zielsetzungen mitwirken dürfe und gewisse Zusammenarbeitsformen, welche die Eigenstaatlichkeit in Frage stellen, meiden müsse.

Ein Beitritt der Schweiz zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bedinge die Unterstellung unter die allgemeine politische Zielsetzung der EWG und ihre Aussenhandels-, Zoll-, Agrar- und Arbeitsmarktpolitik. Dies würde unsere Neutralität beeinträchtigen und unser System der direkten
Demokratie und teilweise auch der föderalistischen Struktur tangieren (BB11960 I 855, 859 f.). In zahlreichen Stellungnahmen haben sich Vertreter des Bundesrates seither zur Frage eines Beitritts der Schweiz zur EWG geäussert. Sie stellten dabei jeweils fest, dass die Zugehörigkeit zu Zoll- und Wirtschaftsunionen Probleme stelle, die in jedem Einzelfall genau untersucht werden müssten, vor allem im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Neutralitätspolitik, In seinem Schreiben vom 15, Dezember 1961 an den Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat der Bundesrat den Willen zum Ausdruck gebracht, in einer angemessenen Form am gemeinsamen europäi*> Gesch. Ber. 1954, S. 86.

v Verw. Entsch. 25,1955, S. 19.

a > Gesch. Ber. 1958, S. 159.

1486

sehen Markt teilzunehmen; gedacht war dabei an die Möglichkeit einer Assoziation mit der EWG. Jede Regelung des gegenseitigen Verhältnisses müsste nach schweizerischer Auffassung mit der vollen Aufrechterhaltung der ständigen Neutralität vereinbar sein. In der schweizerischen Erklärung vor dem Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft vom 24. September 1962 wurde auf die Notwendigkeit der Wahrung der Neutralität sowie der innerstaatlichen Struktur des Föderalismus und der direkten Demokratie hingewiesen. Die Aufrechterhaltung der handelspolitischen Bewegungsfreiheit, eine kriegswirtschaftliche Versorgungsbasis und das Kündigungs- oder Suspensionsrecht wurden unter anderen als diejenigen Punkte erwähnt, in denen «unser Neutralitätsstatut uns grösste Umsicht zur Pflicht macht». Allerdings betonte der Bundesrat in seiner Erklärung, «dass die Neutralitätspolitik nicht im Gegensatz zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, selbst einer sehr weitgehenden, steht».

kk. Im Jahre 1961 wurde der Bundesrat angefragt, ob er bereit sei, seine guten Dienste für die Vorbereitung und Aufnahme von Verhandlungen zwischen der französischen Regierung und der Leitung der algerischen Unabhängigkeitsbewegung zur Verfügung zu stellen. Der Bundesrat bejahte dies und war in der Folge während fast zwei Jahren an den Bemühungen um eine Beendigung des Algerienkrieges beteiligt. In seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1962 äussert er sich dazu wie folgt (S. 77): «Die Algerienverhandlungen boten der Schweiz Gelegenheit, durch ihre guten Dienste den Sinn der aktiven Neutralität erneut herauszustellen und einen namhaften Beitrag an die Wiederherstellung des Friedens zu leisten, »

C. Die ständige Neutralität anderer Staaten 1. Österreich1) a. Schon im Januar 1947 hatte der erste Bundespräsident der zweiten Republik, Karl Renner, in der «Wiener Zeitung» einen Artikel erscheinen lassen, in dem er ausführte, dass der von der Schweiz gewählte Weg der Neutralität als Muster für eine Politik zur Gewährleistung der Unabhängigkeit Österreichs dienen könnte. Infolge der Spannung zwischen den Grossmächten kamen indessen die Verhandlungen über die Wiederherstellung der vollen Unabhängigkeit Österreichs bald ins Stocken. An der im Januar und Februar 1954 nach Berlin einberufenen Aussenministerkonferenz gab Aussenminister Leopold Figl erstmalig die Erklärung ab, dass Österreich keinem militärischen Pakt beitreten und die Errichtung fremder militärischer Basen in Österreich nicht zulassen werde. Diese Erklärung ermöglichte eine Einigung. Am 12. und 13. April 1955 fanden in Moskau Besprechungen zwischen der Österreichischen und der sowjetrussischen Delegation an den Friedensverhandlungen statt; ihr Ergebnis war das von den beiden Staaten (Österreich und der Sowjetunion) am D Vgl. Verosta, Die dauernde Neutralität, 1967; Siegler, Österreichs Souveränität, Neutralität, Prosperität, 1967, S. 29 ff.; Verdross, Die immerwährende Neutralität der Republik Österreich, 3. Auflage 1967.

1487 15. April unterzeichnete sogenannte Moskauer Memorandum. Dieses Memorandum enthält bezüglich der österreichischen Neutralität folgende Bestimmungen: «Im Sinne der von Österreich bereits ... im Jahre 1954 abgegebenen Erklärung, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und militärische Stützpunkte auf seinem Gebiet nicht zuzulassen, wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird. » Die notwendigen Anträge sollten dem österreichischen Parlament unmittelbar nach der Ratifikation des Staatsvertrages vorgeschlagen werden. Die Sowjetunion verpflichtete sich, die Neutralität Österreichs anzuerkennen, und erklärte sich auch bereit, an der Gewährung von Garantien für die Integrität und1 Unantastbarkeit des österreichischen Staatsterritoriums durch die vier Grossmächte teilzunehmen. Solche Garantien sind jedoch bisher nicht erteilt worden, b. Nach ihrer Rückkehr nach Wien brachte die österreichische Delegation den Inhalt des Memorandums den drei westlichen Grossmächten zur Kenntnis und erhielt von ihnen die Zusage, dass sie gegen die Neutralität Österreichs keine Einwendungen geltend zu machen hätten. Von einer Gewährleistung der österreichischen Neutralität war aber nicht die Rede. Der österreichische Nationalrat genehmigte hierauf am 7. Juni 1955 auf Antrag seines einstimmigen Hauptausschusses eine ebenfalls einstimmige Entschliessung, deren wichtigste Punkte folgendermassen lauten: «Österreich erklärt zum Zwecke der dauernden und immerwährenden Behauptung der Unabhängigkeit nach aussen und der Unverletzlichkeit seines Gebietes sowie im Interesse der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität und ist entschlossen, diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen.

Österreich erklärt in diesem Zusammenhang, sich in seinen Beziehungen zu anderen Staaten stets an die in der Charter der Vereinten Nationen ausgesprochenen Grundsätze halten zu wollen und bringt neuerlich seine Bereitwilligkeit und seine Fähigkeit zum Ausdruck, die in der Charter enthaltenen Verpflichtungen anzunehmen und einzuhalten. »

c. Am 26. Oktober 1955 beschloss der Nationalrat ein Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs, dessen Artikel I lautet: «* Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach aussen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stükken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.

2 Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.»

Dieses Gesetz wurde am 14. November 1955 allen Staaten, mit denen Österreich Beziehungen unterhielt, notifiziert, mit dem gleichzeitigen Ersuchen um Anerkennung der immerwährenden Neutralität Österreichs. Mehr als

1488 50 Staaten, worunter die vier Grossmächte Frankreich, Grossbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten von Amerika durch gleichlautende Verbalnoten vom 6. Dezember 1955, haben die Neutralität Österreichs ausdrücklich anerkannt, während andere die Notifikation lediglich zur Kenntnis genommen haben. Die Schweiz hat die Neutralität Österreichs als im Interesse ihrer eigenen Neutralität liegend und mit ihrer Neutralitätspolitik vereinbar anerkannt.1) d. Die internationale Verpflichtung Österreichs, eine immerwährende Neutralität zu beobachten, ist erst durch die Notifikation des Bundesverfassungsgesetzes gegenüber dritten Staaten und durch ihre Anerkennung entstanden. Ihr Inhalt ergibt sich aus dem Gesetz. Da sich dieses mittelbar auf die Neutralität der Schweiz bezieht, gilt die Neutralität Österreichs in gleicher Weise wie diejenige unseres Landes. Nimmt die Anerkennung der österreichischen Neutralität durch einzelne Staaten auf diese Analogie Bezug, so kann sie als indirekte Bestätigung der Neutralität der Schweiz gewertet werden. Möglicherweise gilt dies auch für die Ansprache des sowjetischen Aussenministers Molotov, die er am 3. Dezember 1955 vor einer österreichischen Parlamentarierdelegation hielt und in der er sagte : «Wir glauben, dass es für alle Völker wichtig ist, wenn jetzt an der Seite der Schweiz noch ein anderer neutraler Staat in Europa besteht».2> e. Obwohl sich seine Neutralität nach derjenigen der Schweiz richtet, ist Österreich ohne Vorbehalt den Vereinten Nationen beigetreten. Die offiziellen erläuternden Bemerkungen, die bei der Vorlage des Bundesverfassungsgesetzes betreffend Österreichs Neutralität im Parlament veröffentlicht wurden, enthalten in bezug auf das Verhältnis Österreichs zu den internationalen Organisationen folgende Bemerkungen: «Die dauernde Neutralität ist mit der Zugehörigkeit zu internationalen Staatenorganisationen durcnaus-vereinbar, sofern diese nicht einen militärischen Charakter haben ... Österreich wird sich daher trotz der Erklärung seiner dauernden, bewaffneten und freiwilligen Neutralität an internationalen Staatenverbindungen beteiligen können. Insbesondere gilt dies für seine Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen, die Österreich schon seit 1947 beantragt hat. Die Vier Mächte haben in der Präambel zum österreichischen
Staatsvertrag die Zusage gemacht, die Aufnahme Österreichs in die Organisation der Vereinten Nationen zu unterstutzen, ihre Aussenminister haben sich aber bereit erklärt,! die von Österreich beabsichtigte Neutralitätserklärung zu unterstützen ... die Anerkennung der österreichischen Neutralität durch die anderen Staaten berührt auch in keiner Weise die bestehenden volkerrechtlichen Rechte und Pflichten Österreichs aus geltenden völkerrechtlichen Verträgen».

Österreich wurde kaum zwei Monate nach der Annahme des Neutralitätsgesetzes Mitglied der Vereinten Nationen. Bei der Behandlung des österreichischen Aufnahmegesuches im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung 1

> Vgl. das Gutachten des Politischen Departements in Verw. Entsch. 25,1955, S. 19 ff., auf Grund dessen der Bundesratsbeschluss vom 22. Nuvembci 1955 zustandekam.

Der Anerkennungsakt selbst ist datiert vom 23. November 1955. Vgl. die Liste der Anerkennungen! in Siegler, Österreichs Souveränität, Neutralität, Prosperität, 1967, S 32 V Vgl. 1. Teil, II. Kap., B la und b.

1489 sowie in den zuständigen Kommissionen dieser Organe ist die Neutralität Österreichs überhaupt nicht erwähnt worden. Wie bereits ausgeführt, anerkannten zahlreiche Staaten die ständige Neutralität Österreichs zum Teil vor und zum Teil nach Österreichs Aufnahme in die Vereinten Nationen. Es scheint, dass das Statut der immerwährenden Neutralität als mit der Charta der Vereinten Nationen vereinbar betrachtet wurde.

/. In den Abstimmungen der Generalversammlung über politische Fragen versuchte Österreich, eine seiner Neutralitätspolitik entsprechende Haltung einzunehmen. Zu diesem Zwecke sind folgende Richtlinien ausgearbeitet worden :1> Es ist immer wieder darauf hinzuweisen, dass Österreich seine Neutralitätspolitik im Rahmen seiner neutrahtätsrechtlichen Pflichten frei gestalten kann, Sachlichkeit und Zurückhaltung in weltpolitisch heiklen Fragen sind anzustreben. Bisher hat sich ergeben, dass Österreich Vorschlägen kommunistischer Staaten nur zugestimmt hat, wenn sie von der Mehrheit der anderen Staaten unterstützt wurden, oder wenn die Meinungen über die Zweckmässigkeit weit auseinandergingen. Dagegen hat Österreich gelegentlich Minderheitsanträge westlicher Staaten unterstützt, etwa in Fragen, die Entwicklungsländer betreffen. Öfters wird zur Stimmenthaltung Zuflucht genommen oder diese mit der Zustimmung zum Gegenantrag kombiniert, was eine differenzierte Haltung ermöglicht. Insgesamt hält sich Österreich in Abstimmungen auf einer ähnlichen Linie wie Finnland, Irland und Schweden. Bei nicht ideologisch getönten Fragen kommt gelegentlich eine Übereinstimmung mit dem neutralistischen Lager (afroasiatischer, lateinamerikanischer, neutral-europäischer Block) zustande. In der Ungarnfrage (1956) lehnte Österreich die Thesen der Sowjetunion eindeutig ab ; sonst verhielt es sich zwar zurückhaltend, formulierte aber einen eigenen Resolutionsentwurf zu humanitären Zwecken. In der Frage der Vertretung der Volksrepublik China enthält sich Österreich seit 1958 konsequent der Stimme. In bezug auf Korea stimmt Österreich meist mit den westlichen Ländern, übt jedoch in der Frage der Anerkennung Nordkoreas Zurückhaltung. Die Apartheid-Politik Südafrikas hat Österreich entschieden verurteilt, hat jedoch zur Mässigung in der Wahl der Mittel geraten und daher weder die diplomatischen noch die wirtschaftlichen
Beziehungen zu Südafrika abgebrochen.

An den Sanktionen, welche der Sicherheitsrat 1966 gegen Südrhodesien beschloss, beteiligte sich Österreich, wobei es der Ansicht war, dass es dadurch seine neutralitätsrechtlichen Pflichten nicht verletze. Die österreichische Regierung betonte indes gegenüber den Vereinten Nationen ausdrücklich, dass sie damit die grundsätzliche Frage nicht beantworte, «ob Österreich als immerwährend neutraler Mitgliedstaat der Vereinten Nationen automatisch an die Beschlüsse des Sicherheitsrates bezüglich kollektiver Zwangsmassnahmen gebunden ist, worüber nach Auffassung der österreichischen Bundesregierung nur in jedem einzelnen Fall auf Grund der gegebenen Sachlage und unter Bedachtnahme auf die Verpflichtungen, die Österreich durch seine Mitgliedschaft *> Vgl. Strasser, Österreich und die Vereinten Nationen, 1967, S. 34 ff., 86 ff.

1490

bei den Vereinten Nationen einerseits und durch die Verpflichtungen, die sich aus seiner, allen Mitgliedstaaten vorher notifizierten immerwährenden Neutralität andererseits ergeben, entschieden werden kann».1* g. Der frühere österreichische Aussenminister Toncic hat in einer am 10. März 1969 in Zürich gehaltenen Rede die Politik seines Landes folgendermassen gekennzeichnet: «Gerade die Kombination von immerwährender Neutralität, Bekenntnis zur Demokratie westlicher Prägung und Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen hat uns zu einer Stellung verhelfen, die zweifellos höher ist, als wenn wir entweder nicht neutral oder nicht bei den Vereinten Nationen wären.» Die Österreichische Neutralitätspolitik ist in strittigen Fragen aber oft durch Zurückhaltung charakterisiert. Diese Sachlichkeit hat zur Folge, das« die Stellungnahme in einzelnen Fragen «ohne Rücksicht auf den oder die Staaten (erfolgt), die von (der) Entscheidung positiv oder negativ betroffen werden. (Dies)... muss nicht notwendigerweise zu einer Position zwischen den Parteien führen, aber die ... Politik wird nur zufällig mit den Interessen des einen oder anderen Blocks übereinstimmen.»2) 2. Schweden a. Die schwedische Neutralitätspolitik geht auf den Wiener Kongress von 1815 zurück.3' Im ersten Weltkrieg gelang es Schweden, neutral zu bleiben.

Danach beteiligte es sich aktiv an der Arbeit des Völkerbundes. Nach der Okkupation Österreichs gaben die fünf skandinavischen Staaten Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden am 2l. Mai 1938 eine gemeinsame Erklärung über ein übereinstimmendes Neutralitätsrecht ab. Einzig Schweden konnte jedoch im zweiten Weltkrieg seine Neutralität aufrechterhalten. Allerdings musste es Deutschland nach der Besetzung Dänemarks und Norwegens beträchtliche Konzessionen machen. So liess die schwedische Regierung den Transport von Kriegsmaterial durch Schweden sowie die einmalige Durchfahrt deutscher Truppen von Norwegen nach Finnland zu. Auch wurden deutsche Urlauberzüge aus dem besetzten Norwegen über Süd-Schweden nach Deutschland geführt. Bei Ausbruch des finnisch-sowjetischen Winterkrieges von 1939/40 gab Schweden keine Neutralitätserklärung ab, sondern betrieb eine Finnland günstige Politik eines « Nichtkriegführenden » 4> , ähnlich wie die Vereinigten Staaten gegenüber Grossbritannien in den Jahren
1940/41.

b. Als Nichtkriegsteilnehmer gegen Deutschland wurde Schweden nicht an die Konferenz von San Francisco eingeladen und konnte nicht Gründungsmitglied der Vereinten Nationen werden. Es wurde von der Ersten Generalver1)

Vgl. Zeroanek, Das Problem der Beteiligung des immerwährend neutralen Österreich an Sanktionen der Vereinten Nationen besonders im Falle Rhodesiens, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 28,1968, S. 28.

Zur schweizerischen Haltung siehe I.Teil, III. Kap., B 4.

a > Vgl. Zemanek, Das neutrale Österreich in den Vereinten Nationen, Österreichische Zeitschrift für Aussenpolitik, 2, Ì961, S. 18.

3 > Vgl. Verosta, Die dauernde Neutralität, 1967, S. 21 ff.

4 > Vgl. 1. Teil, II. Kap., A 2.

1491 Sammlung am 31. Oktober 1946 aufgenommen, ohne bei diesem Anlass einen Neutralitätsvorbehalt geltend zu machen.

c. Schweden verfolgt eine Politik der ständigen Neutralität, ohne dazu durch internationale Verpflichtungen oder die schwedische Verfassung und Gesetzgebung verpflichtet zu sein. Der schwedische Reichstag lehnte sowohl den Gedanken eines besonderen Gesetzes über die dauernde Neutralität als auch Garantien von Seiten der Grossmächte für die in einem solchen Gesetz proklamierte Neutralität ab. Die schwedische Regierung erklärte unter Zustimmung des Reichstags, dass ein Gesetz nichts Wesentliches beitragen könne, dass die schwedische Neutralitätspolitik gut bekannt und von allen Ländern verstanden sei und dass formale Grossmachtgarantien die schwedische Sicherheit und Unabhängigkeit kaum erhöhen würden.1) Verglichen mit der Schweiz nimmt Schweden häufiger zu politischen Tagesproblemen Stellung. So bezieht es jeweils aktiv gegen die südafrikanische Apartheid-Politik Stellung. Ferner beschloss es, in Anwendung der vom Sicherheitsrat 1965 gegen Südrhodesien beschlossenen Resolution, jeglichen Warenaustausch zwischen Schweden und Südrhodesien zu untersagen. 1957 und 1958 üess es sich sogar in den Sicherheitsrat wählen. Schweden beteiligt sich auch aktiv an den friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen. So entsandte es Offiziere nach Jemen, Kaschmir, Korea, Libanon, Neuguinea und Palästina und schickte Truppen in den Gaza-Streifen, in den Kongo und nach Zypern. Schweden hat für derartige friedensbewahrende Aktionen der Vereinten Nationen ein ständiges Friedenskontingent aufgestellt.a> Nach der vom gegenwärtigen Aussenminister Schwedens, Nilsson, am 31. März 1965 anlässlich eines Vertrages in Bern geäusserten Meinung ist Schweden aber keineswegs «neutralistisch», da es sich fest den westlichen demokratischen Ideen verbunden fühlt.

Aussenminister Nilsson führte 1965 aus, dass die schwedische Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zwar grundsätzlich eine Einschränkung der Neutralitätspolitik bedeute, da sich ein Mitglied verbindlichen Beschlüssen des Sicherheitsrates nicht entziehen könne, Angesichts der Uneinigkeit der ständigen Ratsmitglieder sei jedoch mit solchen Beschlüssen kaum zu rechnen.

3. Laos a. Das Königreich Laos war bis 1949 Bestandteil des französischen
Kolonialgebiets Indochina. Seine Unabhängigkeit wurde an der Genfer IndochinaKonferenz von 1954 anerkannt. Es wurde 1955 Mitglied der Vereinten Nationen. Die innenpolitische Lage des Königreiches blieb aber auch nach seiner l

~> Vgl. Aström, Die schwedische Neutralitätspolitik, in «Europa», 1958; Beifrage, Die schwedische Neutralitätspolitik in einer Welt der Blockbildungen, österreichische Zeitschrift für Aussenpolitik, Bd. l, 1960, S. 11 ff.

*) Vgl. Anhang VI.

1492 Unabhängigkeit labil. Eine prokommunistische und eine prowestliche Faktion bekämpften einander mit eigenen Truppen, während die Regierung von einer neutralistischen Gruppe gebildet wurde. Ausländische Militärhilfe an die einander bekämpfenden Faktionen drohte, zu einem nicht endenwollenden Bürgerkrieg zu führen. Nach mehrmaligen vergeblichen Anläufen wurde daher die Genfer Indochina-Konferenz im Sommer 1962 erneut zur Regelung der Lage in Laos einberufen. Die 13 Konferenzteilnehmer einigten sich auf eine Neutralisierung des Königreichs. Dieses gab am 9. Juli 1962 vor der Konferenz eine bindende Erklärung ab, in der es sich auf eine immerwährende Neutralität verpflichtete. Es erklärte darin unter anderem, es werde weder eine militärische oder sonst neutralitätswidrige Allianz eingehen noch die Errichtung ausländischer Militärbasen auf laotischem Gebiet zulassen noch den Schutz irgend einer Allianz oder militärischen Koalition in Anspruch nehmen. Die Hauptpunkte dieser Deklaration wurden in die gemeinsame Schlusserklärung der Konferenzteilnehmer vom 21. Juli 1962 aufgenommen; darin verpflichten sie sich, «die Souveränität, Unabhängigkeit, Neutralität, Einheit und territoriale Integrität des Königreichs Laos zu respektieren».

b. Wie Österreich hat sich Laos zur verfassungsrechtlichen Verankerung seiner Neutralität verpflichtet. Die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Neutralität besteht aber unabhängig von dieser internrechtlichen Massnahme, nämlich für Laos seit dem Zeitpunkt seiner einseitigen Erklärung, für die übrigen Teilnehmer der Genfer Konferenz von 1962 im Anschluss an die gemeinsame Schlusserklärung. Für andere Staaten dagegen ist die Neutralität des Königreichs Laos nur dann verbindlich, wenn sie sie ausdrücklich anerkannt haben. Eine Gewährleistung der laotischen Neutralität ist nicht erfolgt. Die Neutralitätspflicht beschränkt sich im grossen ganzen auf das militärische Gebiet. Da Laos im Moment seiner Neutralisierung bereits Mitglied der Vereinten Nationen war, spielte die Frage der Neutralität bei seinem Beitritt keine Rolle.

c. Die Neutralität von Laos lässt sich weder mit derjenigen der Schweiz und Österreichs vergleichen noch mit jener Schwedens. Laos hat sich unter anderem zur Handhabung einer bestimmten Aussenpolitik verpflichtet, die auf den fünf Grundsätzen der friedlichen
Koexistenz zu beruhen hat, wie sie von den neutralistischen Staaten Asiens ausgearbeitet und an der Konferenz der afrikanischen und asiatischen Staaten von Bandung bestätigt wurden.

1493 III. KAPITEL DAS BISHERIGE VERHÄLTNIS DER SCHWEIZ ZU DEN VEREINTEN NATIONEN A. Das Verhältnis zur Organisation selbst 1. Abklärung der Beitrittsfrage

a. Noch vor dem Zusammentreten der Konferenz von San Francisco befasste sich die Delegation des Bundesrates für auswärtige Angelegenheiten am 12. April 1945 mit der Frage des Verhältnisses der Schweiz zur geplanten Weltorganisation, Nach der Annahme der Charta von San Francisco berief der Bundesrat auf den 3. September 1945 einen Expertenausschuss ein und beauftragte ihn mit der Abklärung der Möglichkeit eines Beitritts. Am 14. und 15. November endlich tagte eine Konsultativkommission, der Vertreter der Politik, Wirtschaft, Diplomatie und Wissenschaft angehörten, um sich zu folgenden drei Hauptfragen zu äussern : - Soll die Schweiz an die Organisation der Vereinten Nationen ein bedingungsloses Beitrittsgesuch richten ?

- Soll sich die Schweiz umgekehrt jedes Gesuches enthalten ?

- Soll die Schweiz Verhandlungen anstreben, indem sie den Vereinten Nationen bekanntgibt, sie sei bereit, der Charta beizutreten, aber unter der Bedingung, dass sie ihre volle oder doch ihre militärische Neutralität beibehalten könne? Sollte in diesem Falle mit der Aufnahme von Verhandlungen nicht zugewartet werden, bis die Frage der Neutralität abgeklärt ist?

Verschiedene Mitglieder des Expertenausschusses hielten vor der Konsultativkommission Referate über einzelne Aspekte der Beitrittsfrage. Die Kommission selbst kam am Ende ihrer zweitägigen Beratungen zum einhelligen Schluss, «dass die Schweiz sich nicht von einer weltumfassenden Organisation fernhalten dürfe, die, wie die Vereinten Nationen, darauf abzielt, einen Zustand dauernden Friedens zu schaffen, dass indessen die sich für die Eidgenossenschaft aus ihrer dauernden Neutralität ergebende besondere Lage gewährt werden sollte. »1} b. In den Berichten der Experten an die Konsultativkommission finden sich einige interessante Feststellungen : aa. Ein Experte stellte fest, dass die neue Weltorganisation im Vergleich zum Völkerbund straffer aufgebaut sei und sich durch die sehr weitgehenden Befugnisse des Sicherheitsrates auszeichne. Gleichzeitig sei jedoch durch die » Gesch. Ber. 1945, S. 112.

1494 Abstimmungsvorschriften in diesem Organ eine fundamentale Ungleichheit zwischen den Grossmächten und den restlichen Mitgliedern geschaffen worden. Einmal sei der Sicherheitsrat nur funktionsfähig, wenn alle Grossmächte einig sind, anderseits seien jedoch diese Mächte selbst der Disziplin, der sie die anderen Mitgliedstaaten unterwerfen können, entzogen. Während der Experte die schweizerische Neutralität als mit dem System der Vereinten Nationen unvereinbar betrachtet, glaubt er doch, diese könnte jedesmal, wenn zwischen den Grossmächten ein Konflikt entstünde, angesichts der Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates wieder praktische Bedeutung erlangen.

bb. In seiner Untersuchung der Vorteile der schweizerischen Neutralität für andere Länder bemerkt ein anderer Experte, dass diese Neutralität jeweils nur dann wirklich anerkannt wurde, wenn sich die Drittstaaten, insbesondere die Grossmächte, daraus einen tatsächlichen oder vermeintlichen. Nutzen versprachen. Auch spielte bei ihren Erwägungen immer die Frage der Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralitätspolitik eine grosse Rolle, wobei nicht so sehr auf die öffentlichen Erklärungen als auf die vermuteten Absichten der schweizerischen Regierung abgestellt wurde. Am besten ist die Schweiz dann gefahren, wenn sie allein über das Ausmass ihrer Neutralität bestimmen konnte. Daher ist sie, wie der Experte in Erinnerung ruft, auch nie einzelnen neutralen Staatengruppierungen innerhalb oder ausserhalb des Völkerbundes beigetreten, «in der richtigen Erkenntnis, dass ihre eigene Neutralität anders und eigenartig ist».

cc. In seiner Untersuchung über das Verhältnis der Charta der Vereinten Nationen zur Neutralität, insbesondere derjenigen der Schweiz, kommt ein weiterer Experte zum Schluss, dass unsere Neutralität durch einen Beitritt in jedem Falle berührt würde. Insbesondere verweist er auf die in Artikel 25 der Charta enthaltene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Entscheide des Sicherheitsrates anzunehmen und durchzuführen, aus der bei extensiver Auslegung sogar ein allgemeines Recht der Beschlussfassung des Rates zu Lasten der Mitgliedstaaten herausgelesen werden könnte. Auf jeden Fall ergibt sich daraus die Pflicht der Mitgliedstaaten, die vom Sicherheitsrat auf Grund des Artikels 41 der Charta angeordneten nichtkriegerischen Zwangsmassnahmen
durchzuführen. Eine gleiche Pflicht besteht an sich auch hinsichtlich der kriegerischen Massnahmen gemäss Artikel 42, doch ist ihre Verwirklichung auf Grund des Artikels 43 bis zum Abschluss der darin vorgesehenen Abkommen aufgeschoben. Da sich die Charta nach Ansicht des Referenten über den Inhalt solcher Abkommen nicht in zwingender Weise äussert, könnte die Schweiz versuchen, auf diesem Wege die Gewährleistung ihrer militärischen Neutralität zu erwirken.

dd. Dagegen vertritt ein Militärexperte in seinem Bericht über die militärischen Aspekte eines Beitritts die Meinung, der Inhalt der in Artikel 43 vorgesehenen Abkommen müsse positiv sein, also tatsächliche Hilfeleistungen vorsehen. Er kommt zum Schluss, dass die Teilnahme an militärischen Operationen die Aufgabe der Neutralität bedeuten würde, während die Gewährung von

1495 Durchmarschrechten einem Verzicht auf unsere Unabhängigkeit gleichkäme.

Anderseits sieht er auch in einem Nichtbeitritt Gefahren angesichts des Rechts der Vereinten Nationen, Nichtmitglieder zu einem bestimmten Verhalten aufzufordern (Art. 2 Ziff. 6 der Charta).

ee. Auf die Frage der Folgen einer Nichtmitgliedschaft geht der Bericht eines ändern Experten näher ein. Er stellt fest, dass durch die Charta nicht nur die Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten, sondern in verschiedenen Punkten auch diejenige der Nichtmitglieder eingeschränkt werde, insbesondere dadurch, dass die Mitglieder im Falle einer Unvereinbarkeit den Bestimmungen der Charta gegenüber denjenigen anderer Verträge den Vorrang geben müssen (Art. 103), Können auch nach allgemeinem Völkerrecht durch Staatsverträge Drittstaaten keine Verpflichtungen auferlegt werden, so müsse doch der besondere Charakter der Charta und deren Streben nach Universalität berücksichtigt werden. Gegenüber einer Organisation vom Gewicht der Vereinten Nationen dürfte es einem einzelnen Nichtmitglied schwerfallen, seinen Standpunkt zu behaupten. Der Experte sieht daher eher in einem Beitritt unter Wahrung der Neutralität die Lösung als in der Nichtmitgliedschaft und empfiehlt, wie der unter cc. erwähnte Experte, den Abschluss eines Abkommens gemäss Artikel 43, in dem der Sicherheitsrat zum voraus auf eine militärische Hilfeleistung der Schweiz verzichten würde.

c. In der nachfolgenden Debatte der Konsultativkommission kamen auch noch andere Gesichtspunkte zur Sprache. So wurde darauf hingewiesen, dass das damals noch nicht behobene Fehlen von Beziehungen zu Sowjetrussland die Chancen für eine Anerkennung der Neutralität vermindern könnte. Ein anderes Mitglied der Konsultativkommission war dagegen der Meinung, es sei nicht unbedingt nötig, bis zur Aufnahme von Beziehungen zur Sowjetunion zuzuwarten; denn es gebe eine ewige russische Politik, und diese sei wie zur Zeit Alexanders I. an der schweizerischen Neutralität interessiert. Bezüglich der militärischen Aspekte eines eventuellen Beitritts zur Weltorganisation war ein anderer Teilnehmer der Auffassung, dass die Notwendigkeit, unter Umständen dem Sicherheitsrat für Sanktionsmassnahmen Militärkontingente zur Verfügung stellen zu müssen, die im Ausland eingesetzt würden, das ganze System des schweizerischen
Armeewesens berühren würde. Von verschiedener Seite wurde auch darauf hingewiesen, dass unter allen Umständen ein Beitritt zu den Vereinten Nationen eine Einschränkung der bisher geführten Neutralitätspolitik zur Folge haben müsste. Es wurde angeregt, man sollte sich an das Beispiel Schwedens halten. Ein weiterer Teilnehmer stellte fest, dass der Beitritt den Übergang zu einer differentiellen Neutralitätspolitik nach sich ziehen würde, wie dies schon im Völkerbund der Fall war. Er wies darauf hin, dass die einzige praktische Erfahrung in dieser Hinsicht bei den gegen Italien im Abessinienkrieg verhängten Sanktionen gemacht wurde. Diese sei nicht glücklich gewesen; doch können aus ihr angesichts der sehr besonderen Umstände des Falles keine gültigen Schlüsse gezogen werden. In seinem Schlusswort sagte Bundesrat Petitpierre:

1496 «Ich will nicht versuchen, zwischen den verschiedenen Qualifizierungen wie integrale, différentielle, wirtschaftliche oder militärische Neutralität einen Unterschied zu machen... Man kann sich fragen, ob auf diese Bezeichnungen nicht im Sinne der Rückkehr zu einem einfacheren Ncutralitätsbegriff verzichtet werden sollte. » d. Obwohl das Gesamtergebnis der angestellten Untersuchungen und Beratungen auf einen Beitritt der Schweiz zu den Vereinten Nationen unter Wahrung ihres Neutralitätsstatuts lautete, stellte doch der Bundesrat im Jahre 1946 weder ein Beitrittsgesuch, noch leitete er Verhandlungen zwecks einer Anerkennung des Neutralitätsstatuts der Schweiz ein. Diese Haltung dürfte zum Teil das Ergebnis eines genaueren Studiums der Akten von San Francisco, insbesondere der Berichte über die Verhandlungen der Ersten Kommission sein, die allerdings auch den Experten von 1945 bereits bekannt waren.1} Aus diesen Berichten ergab sich eine eher negative Haltung der Vereinten Nationen zur Vereinbarkeit des Neutralitätsstatuts mit der Charta. Im gleichen Sinne wirkte auch die Weigerung der Verhandlungsdelegation der Vereinten Nationen, die im April nach Bern kam, um ein Sitzabkommen für die Dienste der Organisation in der Schweiz auszuhandeln, in den Text dieser Vereinbarung irgendeinen Hinweis auf das Neutralitätsstatut der Schweiz aufzunehmen.2' Endlich sagte der erste Generalsekretär der neuen Organisation bei seinem Schweizer Besuch im Sommer 1946 in einer Rede: «Die Begriffe der internationalen Organisation und der Neutralität liegen auf ganz verschiedenen Ebenen ; zwischen ihnen ist ein Kontakt ausgeschlossen.» Diese neutralitätsunfreundliche Atmosphäre veranlasste den Vorsteher des Politischen Departements, Bundesrat Petitpierre, schon am 2. April 1946 im Nationalrat in seiner Antwort auf eine Interpellation Berlin ausdrücklich festzuhalten, dass «wie vormals und auch in jüngster Zeit die Schweiz überzeugt (ist) und diese t) berzeugung ist durch die Erfahrungen des kürzlich beendeten Krieges noch verstärkt worden - dass sie mit der Beibehaltung der Neutralität grössere Dienste zu leisten vermag als durch die Teilnahme an Sanktionen gegen andere Staaten. » 3 > Da die Schweiz nicht auf die Neutralität verzichten könne, ohne sich selbst unzumutbaren Schaden zuzufügen, könne für sie ein Beitritt
zur Weltorganisation nur unter der Bedingung einer ausdrücklichen Anerkennung ihrer Neutralität durch die UNO in Frage kommen.

Am 10. August 1946 ersuchte Schweden um seine Aufnahme in die Vereinten Nationen, ohne einen Neutralitätsvorbehalt zu machen. Weder im Sicherheitsrat noch in der Generalversammlung wurden gegen die Aufnahme dieses in beiden Weltkriegen neutral gebliebenen Landes Einwände erhoben. Der Bundesrat hielt es in diesem Zusammenhang für angezeigt, über die Haltung der Schweiz keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Diese wurde in einem Schreiben des Vorstehers des Politischen Departements vom 19, Oktober 1946 an den Präsidenten der Generalversammlung der Vereinten Nationen folgendermassen klar umschrieben : D Vgl. 2. Teil, B l a.

Vgl. I.Teil, III. Kap., A 2 b.

> Vgl. StB N 1946, S. 153 ff., bes. S. 157.

s > B

1497 «Grundsätzlich würde nichts die Eidgenossenschaft daran hindern, den Vereinten Nationen beizutreten, sofern ihr innerhalb der neuen Organisation das Weiterbestehen ihres internationalen Statuts zugesichert würde. Dieses Statut ist die immerwährende Neutralität... Die gegenwärtige Position der Eidgenossenschaft gegenüber den Vereinten Nationen stellt sich f olgendermassen dar : - Nimmt man an, dass zwischen dem internationalen Statut der Schweiz, dem diese treuzubleiben gedenkt, und der Eigenschaft eines Mitgliedes der Vereinten Nationen eine absolute Unvereinbarkeit besteht, so kann die Schweiz jenen nicht bei treten ; aber sie ist bereit, an allen internationalen Aktivitäten teilzunehmen, die sich ausserhalb des strikte militärischen und politischen Bereichs unter der Aegide der Vereinten Nationen abspielen. Mehr noch, die Schweiz ist wie Sie wissen bereit, die Tätigkeit der Vereinten Nationen auf ihrem Gebiet zu erleichtem, soweit diese es als nützlich erachten, die vom Völkerbund in Genf übernommenen Gebäulichkeiten für die Abhaltung von Zusammenkünften und die Errichtung von Dienststellen zu verwenden. » In seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1946 fasste der Bundesrat die für die Haltung der Schweiz gegenüber den Vereinten Nationen massgebenden Richtlinien folgendennassen zusammen (S. 142) : 1. Genaue Verfolgung der Tätigkeit der Vereinten Nationen.

2. Beitritt zum Internationalen Gerichtshof und den SpezialOrganisationen.

3. Erleichterung der Niederlassung der Vereinten Nationen in der Schweiz.

Diese Richtlinien sollten während vieler Jahre das Verhältnis unseres Landes zur Weltorganisation bestimmen.

e. In der Folge fehlen während längerer Zeit offizielle Stellungnahmen zur Frage eines möglichen Beitritts der Schweiz zu den Vereinten Nationen. Eine erste Andeutung erfolgte neuerdings bei der Beantwortung einer Interpellation Bretscher über die internationale Lage, als Bundesrat Petitpierre unter Bezugnahme auf den mit Österreich abgeschlossenen Staatsvertrag und den trotz der Verpflichtung zur immerwährenden Neutralität vorgesehenen Beitritt dieses Landes zur Weltorganisation am 29. September 1955 vor dem Nationalrat erklärte, man könne zweifellos eine Wiederaufwertung des Neutralitätsbegriffes feststellen. Dennoch dürften die sich aus dem Fall Österreichs ergebenden Parallelen
nicht überbewertet werden, da jedes Land in der Handhabung seiner Neutralitätspolitik auf seine eigenen Gegebenheiten Rücksicht nehmen müsse.1) Seit 1956 mehren sich die Erklärungen über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen, Sie seien hier kurz angeführt: aa. Am 12. Dezember 1956, in der Debatte über die Übernahme von Kosten des Lufttransportes von Truppenkontingenten der Vereinten Nationen im Suezkonflikt2), sagte Bundesrat Petitpierre vor dem Nationalrat: «Würde die Schweiz Mitglied der Vereinten Nationen,... so wäre es eine Illusion zu glauben, dass sie einen bestimmenden Einfluss auf deren Entscheidungen ausüben könnte. Dagegen stände sie nicht mehr für Aufgaben zur Verfügung, welche die Vereinten Nationen T Indern übertragen, die in keiner der von ihnen zu regelnden politischen Fragen direkt engagiert sind ... Der Bundesrat glaubt nicht, dass für unser Land der l

> StB N 1955, S. 410; vgl. auch S. 412.

» Vgl. 1. Teil, HL Kap., B l b.

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Moment gekommen sei, Verhandlungen über seinen Beitritt zu den Vereinten Nationen aufzunehmen.»1' bb. Im Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1960 heisst es (S. 169) : «Der Bundesrat wurde verschiedentlich und besonders durch eine schriftliche Anfrage von Herrn Nationalrat Georges Borei im Verlaufe der Sommersession der eidgenössischen Räte ersucht, sich über die Opportunität eines Gesuches der Schweiz zur Aufnahme in die Vereinten Nationen zu äusscrn. Er hat diese Frage gründlich geprüft und ist zum Schlüsse gelangt, dass ein solcher Schritt gegenwärtig unzwecfcmässig wäre und ausserdem unsere internationale Stellung nicht stärken würde.» cc. Bei den Beratungen des Ständerates über die Beteiligung der Schweiz an einer Anleihe der Vereinten Nationen sagte der Vorsteher des Politischen Departements, Bundesrat Wahlen, am 19. September 1962: «Damit sei auch betont, dass die schweizerische Haltung gegenüber den Vereinten Nationen unverändert bleibt. Der Bundesrat ist nach wie vor der Auffassung, dass die Schweiz... als sympathisch gesinntes Nichtmitglied die grösseren Dienste zu leisten vermag, als dies nach einem Beitritt möglich wäre. »a > dd. Im Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1964 heisst es (S. 45): «Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass die völkerrechtlichen und politischen Voraussetzungen eines Beitritts der Schweiz zur Weltorganisation nicht erfüllt sind. Die Mitgliedschaft würde nicht nur die Führung einer klaren Neutralitätspolitik stören, sondern eventuell auch die Möglichkeiten der Leistung guter Dienste unseres Landes vermindern.» ee. In der Antwort auf die Interpellation Purgier und Hubacher betreffend Überprüfung der Aussenpolitik der Schweiz sagte Bundesrat Wahlen am 7. Oktober 1965 im Nationalrat: «Es darf festgehalten werden, dass unserem Land aus der bisherigen Nichtmitgliedschaft keine Nachteile erwachsen sind. Unser Beitritt könnte nach wie vor nur unter der Bedingung einer ausdrücklichen 3)Anerkennung der Neutralität erfolgen. Eine solche ... ist aber heute nicht zu erwarten.» ff. Auch im Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1965 heisst es

(S. 42): «Bei einer erneuten Prüfung der Vor- und Nachteile eines Beitritts der Schweiz zur Weltorganisation gelangte der Bundesrat zum Schluss, dass ein solcher Schritt nach wie vor nicht nur vom Standpunkt der Schweiz, sondern wohl in gewisser Hinsicht auch von den Vereinten Nationen aus betrachtet, zur Zeit unzweckmässig wäre. Der Bundesrat ist jedoch nach wie vor der Meinung, dass die Frage eines allfälligen Beitritts der Schweiz weiterhin fortlaufend zu prüfen ist. » Dieser Passus führte zu einer Debatte im Nationalrat, was dem Vorsteher des Politischen Departements die Gelegenheit bot, am 16. Juni 1966 ausführlich über die Entwicklung der Vereinten Nationen in den zwanzig Jahren ihres Bestehens Auskunft zu geben und darzulegen, inwiefern dadurch die Möglichkeit eines Beitritts der Schweiz unter Wahrung ihrer Neutralität berührt werden könnte.

*> StB N 1956, S. 759.

a > StB S 1962, S. 245.

s > StB. N 1965, S. 556.

1499 2. Der Sitz der Vereinten Nationen in Genf1' a. Die grosse Rolle, welche die Vereinigten Staaten von Amerika bei der Gründung der Vereinten Nationen spielten, förderte von Anfang an die Tendenz, den Sitz der neuen Organisation auf deren Gebiet zu errichten. Allerdings wurden von verschiedener Seite Bedenken gegen die Errichtung des Sitzes auf dem Gebiet eines der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates geltend gemacht. Auch die Vorzüge eines Sitzes in Europa, wo damals die grössten Probleme der Lösung harrten, wurden hervorgehoben. Schliesslich entschied sich jedoch die Erste Generalversammlung am 14. Februar 1946 für die Niederlassung der Vereinten Nationen in New York, nicht zuletzt, um von Anfang an die amerikanische Öffentlichkeit an der Tätigkeit der Vereinten Nationen zu interessieren.

Da die Gründung der Vereinten Nationen die Auflösung des Völkerbundes nach sich ziehen solite, stellte sich die Frage der künftigen Verwendung der bedeutenden Gebäulichkeiten, über die der Völkerbund in Genf verfügte, insbesondere des «Palais des Nations». Im Rahmen der vorgesehenen Massnahmen zur Übernahme gewisser Rechte und Pflichten des Völkerbundes durch die Vereinten Nationen beschloss die Generalversammlung am 12. Februar 1946, eine Delegation in die Schweiz zu senden, die gleichzeitig mit dem Völkerbund und den Bundesbehörden über die Abtretung dieser Gebäude verhandeln sollte. Die Delegation traf am 4. April in Bern ein, um abzuklären, welchen Status die Schweiz den Vereinten Nationen auf ihrem Gebiet zu gewähren bereit sei. Nach einer grundsätzlichen Einigung mit den Vertretern des Bundesrates verhandelte sie hierauf in Genf mit Vertretern des Völkerbundes.

Ein Abkommen über die Übertragung der Gebäulichkeiten des Völkerbundes kam zustande und wurde von der letzten Völkerbundsversammlung am 18. April 1946 gutgeheissen. Angesichts der langjährigen Verbundenheit der Schweiz mit dem Völkerbund war man im Gesamtinteresse der Eidgenossenschaft und unter Berücksichtigung der besonderen Interessen des Kantons Genf bestrebt, der neuen politischen Weltorganisation Gastfreundschaft zu gewähren. Da die Delegation der Vereinten Nationen auf eine rasche Regelung des Niederlassungsproblems drängte, wurde am 19. April 1946 in Bern die «Provisorische Vereinbarung über die Vorrechte und Immunitäten der
Organisation der Vereinten Nationen» abgeschlossen. Sie wurde am 11. Juni im Namen des Bundesrates vom Vorsteher des Politischen Departements und am 1. Juli vom Generalsekretär der Vereinten Nationen unterzeichnet, womit sie wirksam geworden ist. Am 14. Dezember 1946 wurde sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gutgeheissen.

b. Die Vereinbarung vom 19. April 1946 war als kurzfristige Übergangslösune gedacht. Die schweizerische Delegation glaubte daher, dem Drängen der Vertreter der Vereinten Nationen nachgeben und auf einen ausdrücklichen Vorbehalt der Sicherheit und Neutralität der Schweiz im Text verzichten zu l

> Vgl. auch die Botschaft des Bundesrates vom 28. Juli 1955, BB11955 H 377.

1500 können. Die Delegation der Vereinten Nationen hatte erklärt, sie möchte jede Anspielung auf die Neutralität vermeiden, da dies in der Generalversammlung zu Debatten führen könnte, deren Ausgang nicht abzusehen wäre. Immerhin stimmte sie der Aufnahme einer Erklärung ins Verhandlungsprotokoll zu, in der es unter anderem heisst: « ], Es versteht sich, dass die Schweiz gemäss allgemeinem Völkerrecht für die Tätigkeiten, welche diese Vereinbarung zu erleichtern bezweckt, keine internationale Verantwortung trifft.

2. Die schweizerischen Behörden möchten sich vorbehalten, anlässlich des Abschlusses möglicher neuer Vereinbarungen die Prüfung der Fragen wieder aufzunehmen, welche die Wahrung der schweizerischen Interessen betreffen, »

Als der Generalsekretär der .Vereinten Nationen der Schweiz im Sommer des gleichen Jahres einen Besuch abstattete, kam es zwischen dem Vorsteher des Politischen Departements und ihm zu einem Meinungsaustausch über den Status der Vereinten Nationen in der Schweiz. Das Ergebnis war die öffentliche Zusage der Schweiz, den Vereinten Nationen zusätzlich jede weitere Vergünstigung zu gewähren, die sie eventuell einer anderen Organisation inskünftig einräumen könnte, sowie ein Briefwechsel zur Ergänzung der Provisorischen Vereinbarung vom 19, April 1946. In einem ersten Schreiben vom 22. Oktober 1946 warf Bundesrat Petitpierre die beiden folgenden für die Schweiz besonders wichtigen Punkte auf: «...

4. Es versteht sich, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft für die Tätigkeit der Organisation der Vereinten Nationen, deren Organe, deren Beamten und jeder in ihrem Auftrag oder Namen handelnden Person in der Schweiz keinerlei Verantwortung Übernehmen kann.

5. Es versteht sich im übrigen, dass militärische Operationen im Falle eines Konflikts zwischen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen oder zwischen den Vereinten Nationen und einem Drittstaate auf keinen Fall von der Schweiz aus geleitet werden.

...»

Unter Punkt 3 bestätigte der Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements, dass die Bestimmungen des Übereinkommens ohne Unterschied auf alle Dienste und auf alle Zusammenkünfte Anwendung finden, welche die Vereinten Nationen in der Schweiz anzusiedeln oder dorthin einzuberufen wünschen.

In einem weiteren Schreiben, ebenfalls vom 22. Oktober 1946, sagte der Vorsteher des Politischen Departements den Vereinten Nationen den Gebrauch der bis dahin vom Völkerbund benützten Station «Radio Nations» zu.

Der Generalsekretär erklärte in seiner Antwort vom 4. November, er werde die schweizerischen Schreiben der Generalversammlung mit dem Antrag auf Zustimmung unterbreiten. Die Versammlung genehmigte sie, zusammen mit der Provisorischen Vereinbarung, am 14. Dezember 1946.

c, Die Provisorische Vereinbarung wurde nie durch eine neue Übereinkunft ersetzt. Der Bundesrat hat sie mit Botschaft vom 28. Juli 1955 den eidgenössischen Räten zur Genehmigung unterbreitet; diese wurde durch Bundesbe-

1501

schluss vom 29. September 1955 erteilt (BB1 7955 II 377; AS 1956 1061).

Durch Briefwechsel vom 5./19. April 1963 wurde Artikel V über das Statut der Beamten der Vereinten Nationen neu gefasst (AS 1963 406) und gleichzeitig im Titel die Bezeichnung «Provisorische Vereinbarung» durch «Abkommen» ersetzt.

Inhaltlich entspricht die Vereinbarung vom 19. April 1946 weitgehend dem am ll.März!946 abgeschlossenen Abkommen über das rechtliche Statut der Internationalen Arbeitsorganisation. Ihr Aufbau stimmt mit dem von der UNOGeneralversammlung am 13. Februar 1946 angenommenen Übereinkommen über Vorrechte und Befreiungen der Vereinten Nationen überein. Sie enthält die Anerkennung der internationalen Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen sowie ihrer Rechtsfähigkeit in der Schweiz und regelt die Unverletzlichkeit der Gebäulichkeiten und Archive, die Steuerbefreiung des Vermögens der Organisation und statuiert die ihr gewährten Verkehrserleichterungen. Die Vertreter der Mitgliedstaaten, seien sie ständig in Genf anwesend oder weilen sie dort zur Teilnahme an einer Konferenz, erhalten die ihrem Rang entsprechenden Vorrechte und Immunitäten. Dasselbe gilt für die in G enf tätigen Beamten der Organi sation sowie für die mit vorübergehenden Missionen beauftragten Experten. Endlich werden die von den Vereinten Nationen herausgegebenen «Laissez-Passer» als gültige Ausweisschriften anerkannt.

d. Die von der Schweiz den Vereinten Nationen in Genf gewährte Gastfreundschaft ist der Ausdruck ihrer überlieferten Politik der Förderung der internationalen Zusammenarbeit. Unser Land bietet den Organisationen und Delegierten wesentliche Vorteile. Abgesehen von der günstigen geographischen Lage und den ausgezeichneten Verbindungen nach allen Teilen der Welt, bietet unser Land - dank der Neutralität und der Stabilität der politischen Einrichtungen - ein entspanntes politisches Klima und einen weltoffenen Geist. Zudem spricht man in Genf als Umgangssprache eine der Arbeitssprachen der Vereinten Nationen. Offizielle Vertreter aller Staaten haben die Gewissheit, ohne Schwierigkeiten in die Schweiz einreisen und ungehindert von bilateralen Spannungen ihre Aufgabe erfüllen zu können. Ein nicht zu unterschätzender weiterer Vorteil Genfs liegt im Bestehen eines erfahrenen internationalen Pressekorps.

Zahlreiche zwischenstaatliche
und nichtstaatliche internationale Organisationen haben ihren Sitz in der Schweiz. Einige von ihnen haben Basel (Bank für internationalen Zahlungsausgleich) oder Bern (Weltpostverein, Zentralamt für den internationalen Eisenbahnverkehr), die Mehrzahl jedoch Genf als Sitz gewählt. Die internationale Bedeutung dieser Stadt beruht auf einer nicht mehr absehbaren Tradition, zu der das dort im letzten Jahrhundert gegründete Internationale Komitee vom Roten Kreuz und der inzwischen wieder aufgelöste Völkerbund massgeblich beigetragen haben. Gegenwärtig beherbergt Genf gegen 200 Organisationen aller Art, von denen über ein Dutzend intergouvernementalen Status haben. Am bedeutungsvollsten sind dabei die Organe und SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen, wie die Europäische Wirt-

1502 schaftskommission (ECE), die Internationale Betäubungsmittelkommission, das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlingswesen (UNHCR), die Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), die Internationale Arbeitsorganisation (OIT), die Weltgesundheitsorganisation (OMS), der Internationale Fernmeldeverein (UIT), die Meteorologische Weltorganisation (OMM), das kürzlich der UNESCO angegliederte Internationale Erziehungsamt (BIE) und das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT).

Unter den nicht mit den Vereinten Nationen verbundenen Organisationen seien erwähnt: die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA), die Europäische Organisation für kernphysikalische Forschung (CERN), die Vereinigten internationalen Büros zum Schütze des geistigen Eigentums (BIRPI) und das Zwischenstaatliche Komitee für europäische Auswanderung (CIME). Als Beispiele der rund 150 nichtgouvernementalen Organisationen können die Liga der Rotkreuzgesellschaften und der Ökumenische Weltkirchenrat angeführt werden.

e. Über 80 Regierungen und zwischenstaatliche Organisationen sind in Genf ständig vertreten, sei es beim Sitz der Vereinten Nationen, sei es bei anderen Organisationen wie etwa der Freihandelsassoziation oder beim GATT.

Die umfangreichen Einrichtungen, über die Genf zur Abhaltung der Generalversammlungen der dort niedergelassenen Organisationen verfügt, machen die Stadt auch zu einem privilegierten Konferenzzentrum. So war Genf Tagungsort der Indochina-Konferenz von 1954, der Gipfelkonferenz der Grossmächte von 1955 und der Konferenz zur Regelung des völkerrechtlichen Status von Laos von 1962.1) In den letzten Jahren war seitens der Vereinten Nationen eindeutig eine Tendenz feststellbar, Tagungen in zunehmendem Masse in Genf abzuhalten.

So hat etwa die Zahl der jahrlich im Palais des Nations zwischen 1952 und 1967 durchgeführten Tagungen von 1877 auf 4119 zugenommen, wobei gleichzeitig die Zahl der Delegierten und Experten von 7000 auf rund 22 500 zunahm.

/. Der Schwerpunkt der Vereinten Nationen liegt jedoch am Hauptsitz in New York; Genf folgt grössenmässig als Niederlassung an zweiter Stelle, Es weist die grösste Konzentration an SpezialOrganisationen und Organen der Generalversammlung auf. Zwischen New York und Genf besteht eine gewisse Arbeitsteilung, indem politische Fragen in New York,
wirtschaftliche und soziale Fragen in der Regel in Genf behandelt werden. Ein Teil der periodischen Konferenzen wird bereits heute regelmässig in Genf durchgeführt (z. B.

Sommertagung der Wirtschafts- und Sozialrats [ECOSOC], des Verwaltungsrats des Entwicklungsprogramms [PNUD], Tagung der Menschenrechtskommission usw.). Aus dem gleichen Grunde setzte sich die Schweiz dafür ein, dass sich die Welthandelskonferenz (UNCTAD) in Genf niederliess, d. h. am gleichen Ort, wo sich zweckverwandte wirtschaftliche Institutionen, wie das GATT und die Europäische Wirtschaftskommission der UNO, niedergelassen *> Vgl. I.Teil, II. Kap., C 3.

1503 haben und wo der Wirtschafts- und Sozialrat der UNO seine Sommersessionen durchführt. Eine möglichst grosse Konzentration zweckverwandter Organismen ist vor allem deshalb geboten, weil dies den Mitgliedstaaten erspart, an verschiedenen Orten ständige Delegationen mit den entsprechenden Spezialisten zu unterhalten, was insbesondere die Entwicklungsländer vor grosse finanzielle und personelle Probleme stellen würde.

g. Der Sitz der Vereinten Nationen in Genf ist übrigens, zusammen mit dem Hauptsitz New York, der einzige Ort, wo die Vereinten Nationen auf eigene Rechnung Briefmarken in Landeswährung ausgeben.

h. Eidgenossenschaft und Kanton Genf waren sich seit jeher der hervorragenden Bedeutung Genfs als Sitz der Vereinten Nationen und anderer wichtiger internationaler Organisationen bewusst.

Genf, das als internationale Plattform für die Eidgenossenschaft eine wichtige Aufgabe unserer Aussenpolitik erfüllt, sah sich jedoch in den vergangenen Jahren infolge der Zunahme der internationalen Zusammenarbeit mit Wachstumsschwierigkeiten konfrontiert, die zu finanziellen, psychologischen und politischen Problemen führten. Im Vordergrund standen dabei finanzielle Verluste Genfs zufolge der Steuerbefreiung der internationalen Beamten und zunehmende öffentliche Lasten, die durch die Anwesenheit der internationalen Organisationen bedingt sind. Die Infrastrukturprobleme und die sich daraus ergebenden Fiskallasten werden durch die Vorteile, die Genf aus der Präsenz der Vereinten Nationen und der anderen internationalen Organisationen erwachsen, nur teilweise wettgemacht. In der genferischen Öffentlichkeit begann sich dabei ein Unbehagen gegenüber der wachsenden Zahl von Ausländern im allgemeinen und von internationalen Beamten im besonderen zu entwickeln.

Missmut und Kritik der Genfer Bevölkerung drohten zu einem empfindlichen Störfaktor für das bis dahin angenehme Verhältnis zwischen Genf und den internationalen Organisationen zu werden.

Um Genf in die Lage zu versetzen, auch in Zukunft seine traditionelle Rolle des internationalen Gastgebers zu spielen und um seine Disponibilität zu fördern, wurden verschiedene Massnahmen getroffen.

Im Jahre 1964 wurde mit Bundesbeschluss vom 11. Dezember 1964 gemeinsam mit den Genfer Behörden die Imrnobilienstiftung für internationale Organisationen (FIPOI) gegründet,
die internationalen Organisationen, die keine gewinnbringende Tätigkeit verfolgen, in Genf Bauten zur Verfügung stellt und den Aus- und Neubau von Verwaltungs- unä Konferenzbauten internationaler Organisationen erleichtert. Das Grundkapital der FIPOI von 100 000 Franken wurde zu gleichen Teilen vom Kanton Genf und von der Eidgenossenschaft einbezahlt. Die für die Tätigkeit der Stiftung bestimmten Mittel werden ihr in Form von Darlehen zur Verfügung gestellt. Die finanziellen Mittel werden von der Eidgenossenschaft bereitgestellt und von der FIPOI in Form von rückzahlbaren und verzinslichen Darlehen an die Organisation weitergeleitet.

1504 Schon vor der Gründung der FIPOI hat jedoch der Bund den internationalen Organisationen in Genf Darlehen in der Höhe von rund 60 Millionen Franken und nicht rückzahlbare Beiträge in der Höhe von rund 10 Millionen gewährt. So wurden den Vereinten Nationen zur Modernisierung des Palais des Nations 1957 und 1964 zinslose Darlehen in der Höhe von 2 bzw. 4,25 Millionen Franken gewährt. Genf hat seinerseits Darlehen im Umfange von 47 Millionen Franken sowie Beiträge und andere Leistungen in der Höhe von 13 Millionen erbracht, so u, a. zwei zinslose Darlehen zur Modernisierung des Palais des Nations im Gesamtbetrage von 6,25 Millionen Franken. Nicht inbegriffen in diesen Beträgen sind die Auslagen Genfs für die grossen internationalen Konferenzen, die von 1950 bis 1963 allein rund 2 Millionen Franken betrugen.

Seit ihrer Gründung im Jahre 1964 hat die FIPOI zur Finanzierung eigener oder von Bauvorhaben internationaler Organisationen Darlehen des Bundes in der Höhe von rund 265 Millionen Franken erhalten. Die Baudarlehen werden den internationalen Organisationen zu einem Vorzugszins von 3 Prozent zur Verfügung gestellt; sie sind zurückzuzahlen. Die Leistungen Genfs bestehen in der Überlassung der für die Bauten nötigen Grundstücke im Baurecht und in der Übernahme der Kosten des durch das Wachstum der Organisation notwendigen Ausbaus der Infrastruktur.

Im Vordergrund aller Bauprojekte steht die im April 1968 begonnene Vergrösserung des Palais des Nations, an dessen Finanzierung die FIPOI ein Darlehen von 61 Millionen Franken und Bund und Kanton Genf einen nicht rückzahlbaren Beitrag von 4 Millionen Franken leisten. Die Generalversammlung hiess dieses Erweiterungsprojekt, dessen Kosten auf 94,6 Millionen Franken veranschlagt wurden, am 21. Dezember 1968 einstimmig gut. Wenn der Erweiterungsbau der Vereinten Nationen - mit vier grossen Konferenzsälen und weiteren rund 700 Büros - im Jahre 1972 fertiggestellt und, zum gleichen Zeitpunkt, das von der FIPOI in eigener Regie erbaute grosse internationale Konferenz- und Pressezentrum (CIC - «Centre international de conférences») bereit ist, wird Genf in der Lage sein, allen modernen Bedürfnissen der internationalen Zusammenarbeit gerecht zu werden und allenfalls auch eine Generalversammlung der Vereinten Nationen zu beherbergen.

Die Bauten der Vereinten
Nationen und der FIPOI werden ergänzt durch Neu- oder Erweiterungsbauten der UNO-Spezialorganisationen, die zur Zeit erstellt werden und zu deren Finanzierung die FIPOI ebenfalls Darlehen zur Verfügung gestellt hat, nämlich der OIT (108 Mio. Fr.), der UIT (20 Mio.), der OMM (6,5 Mio.), der UPU (19,5 Mio.) und dem GATT (624 000 Fr.).

Genf wird damit - ob die Schweiz Mitglied der Vereinten Nationen ist oder nicht - in der Lage sein, Ruf und Rang eines der bedeutendsten internationalen Zentren zu bewahren.

/. Abgesehen von der Gründung der FIPOI, die für Genf eine wesentliche Entlastung brachte, ist als weitere Massnahme des Bundes die 1966 erfolgte Eröffnung einer Ständigen Vertretung der Schweiz bei den Vereinten Nationen

1505 und den anderen internationalen Organisationen in Genf zu erwähnen.*) Die Präsenz der Eidgenossenschaft in Genf wurde damit verstärkt ; gleichzeitig hat die Eröffnung einer schweizerischen Vertretung für die Genfer Behörden eine merkliche Entlastung gebracht.

k. Schliesslich wurde 1966 vom Politischen Departement eine soziologische Studie über das Verhältnis zwischen Genf und den internationalen Organisationen ausgearbeitet, deren Ergebnisse klärend gewirkt und zur Verbesserung des psychologischen Klimas in Genf beigetragen haben.

/. Die Erkenntnis, dass ein besserer finanzieller Ausgleich der in Genf entstehenden Lasten zwischen Eidgenossenschaft und Genf gerechtfertigt ist, führte Ende 1968 zu einer grundsätzlichen Einigung zwischen einer Abordnung des Bundesrates und einer Delegation des Genfer Staatsrats über eine Regelung, die während einer gewissen Zeit angemessene Bundesbeiträge für Genf vorsieht. Den eidgenössischen Räten wird noch im Laufe dieses Jahres eine entsprechende Botschaft vorgelegt werden.

Die Eidgenossenschaft gibt damit erneut zu erkennen, dass sie nichts unterlassen will, was geeignet ist, die Stellung Genfs als Sitz der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen zu stärken und die internationale Zusammenarbeit zu fördern und zu erleichtern.

m, Genf ist als Zentrum internationaler Zusammenarbeit in Europa nicht allein geblieben. Andere Städte - auch ausserhalb Europas - sind ebenfalls bestrebt, als Konferenzort und Sitz internationaler Organisationen eine Rolle zu spielen. Genf hat insofern einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, als im Rahmen der Vereinten Nationen durchgeführte Tagungen nicht nach Genf eingeladen werden müssen, da die Durchführung in Räumlichkeiten erfolgt, die den Vereinten Nationen gehören. Falls Regierungen anderer Staaten die Tagung eines Organs der Vereinten Nationen auf ihrem Gebiet durchführen möchten, müssen sie sich auf Grund einer Resolution der Generalversammlung gleichzeitig verpflichten, die Mehrkosten gegenüber einer Konferenz in Genf zu übernehmen, falls diese sonst dort stattgefunden hätte. Wenn im Rahmen des UNO-Sitzes in Genf kein Platz für eine Tagung zu finden sein sollte, wäre für die Zukunft auch eine Einladung durch den Bund denkbar, der die Kosten für die Abhaltung der betreffenden Konferenz im kommerziell
geführten Konferenzzentrum, das gegenwärtig von der FIPOI erstellt wird, übernehmen würde.

Wie bereits erwähnt3), wurde den Vereinten Nationen 1946 zugesichert, dass das Abkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Organisation der Vereinten Nationen auf alle Dienste und Zusammenkünfte Anwendung findet, welche die Vereinten Nationen in der Schweiz anzusiedeln oder dorthin einzuberufen wünschen. Während langer Zeit wurde diese als grundsätzliche Bereitschaft der Eidgenossenschaft zur Beherbergung weiterer Organisationen und Zusammenkünfte interpretierte Bestimmung als Hindernis für eine aktive « Vgl. 1. Teil, m. Kap., A 3 c.

»> Vgl. 1. Teil, III. Kap., A 2 b.

1506

Werbung für die Niederlassung solcher Organisationen oder die Durchführung von Tagungen auf Schweizer Boden betrachtet. Angesichts der wachsenden Zahl von Initiativen anderer Staaten, Organisationen und Tagungen zu sich einzuladen, sollte es den schweizerischen Delegationen in Zukunft ermöglicht werden, ebenfalls aktiv für die Vorteile Genfs als Sitzort oder Konferenzstadt einzutreten und die Kandidatur Genfs aufzustellen. Es besteht sonst die Gefahr, dass Genf ins Hintertreffen gerät. Es müsste ein besonderes Verfahren geschaffen werden, das innert kürzester Zeit die Anmeldung einer Kandidatur Genfs erlauben würde, besonders wenn dadurch die vom Bundesrat begrüsste Arbeitsteilung zwischen den UNO-Sitzen New York und Genf gefördert werden könnte und Genf somit vermehrt Sitz der Organe der Vereinten Nationen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet würde. Diese Werbung, also die aktive Kandidatur Genfs, käme nur dann in Frage, wenn eine Organisation auf der Suche nach einem Sitz ist. Es geht keineswegs um eine Abwerbung fest niedergelassener Organisationen.

3. Die Vertretung der Schweiz bei den Vereinten Nationen a. Im Gegensatz zur Pariser Friedenskonferenz von 1919 gewährte die Konferenz von San Francisco den im zweiten Weltkrieg neutral gebliebenen Staaten keine Möglichkeit, sich zu den Entwürfen der Charta der Vereinten Nationen zu äussern. Anders als Portugal und Schweden verzichtete die Schweiz daher auch darauf, einen inoffiziellen Beobachter an dieKonferenz zuentsenden.1' Dagegen liess der Bundesrat die Arbeiten der bis zur Bestellung der endgültigen Organe für die Übergangsperiode eingesetzten Vorbereitenden Kommission und ihres Exekutivausschusses (Juni 1945 bis März 1946) an Ort und Stelle von Professor Rappard verfolgen.2' Die Arbeiten des ersten Teils der Ersten Generalversammlung in London wurden von unserer dortigen Gesandtschaft verfolgt, während der Bundesrat auf Wunsch des Generalsekretärs der Vereinten Nationen an den zweiten Teil der Ersten Generalversammlung, in Flushing Meadows, eine Beobachterdelegation entsandte. Diese bestand aus dem schweizerischen Gesandten in Washington und den Chefs der Dienste für politische Angelegenheiten und internationale Organisationen des Politischen Departements.3' Auch an die Zweite Generalversammlung und an den ersten Teil der Dritten
Generalversammlung entsandte der Bundesrat Beobachtungskommissionen.4' b. Im Sommer 1946 hat der Bundesrat beim Schweizerischen Generalkonsulat in New York eine Verbindungsstelle zum Sitz der Vereinten Nationen geschaffen, die zuerst nur aus zwei Beamten bestand und hauptsächlich Dokumentationsmaterial über die Tätigkeit der Vereinten Nationen zu beschaffen hatte.5' Am S.November 1948 beschloss der Bundesrat, diese Verbindungsi) Vgl. Sffl N IMS S. 254 und 256 f a > Vgl. StB N 1946 S. 155.

3 > Gesch. Ber. 1946 S. 143.

«' Gesch. Ber. 1947 S. 117, 1948 S. 110.

5 ' Gesch. Ber. 1946 S. 143, 1947 S. 47.

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stelle in eine selbständige Mission umzuwandeln, an deren Spitze ein beim Generalsekretariat akkreditierter Ständiger Beobachter der Schweiz steht. Zum ersten Beobachter ernannte der Bundesrat Legationsrat Wagnierel>. Dadurch wurde die Entsendung von Sondermissionen an die Tagungen der Generalversammlung überflüssig.

Die Mission des Ständigen Beobachters und auch dieser selbst verfügen über kein klares rechtliches Statut2'. Die Charta selbst kennt nur die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (Art. 105 Ziff. 2). In der Praxis spielt sich der Verkehr zwischen dem Beobachter und dem Sitz der Vereinten Nationen gleich ab, wie dies bei den ständigen Vertretern der Fall ist. Dem Beobachter werden auch Erleichterungen für den Zutritt zu den Öffentlichen Beratungen der Organe der UNO gewährt. Erschwerend für seine Lage ist die Tatsache, dass von Zeit zu Zeit Kontroversen über den Grundsatz der Zulassung von Beobachtern der Nichtmitglieder auftauchen, die nicht die Schweiz betreffen, sondern die geteilten Staaten Deutschland, Korea und Vietnam, sich aber auch auf den Status unseres Vertreters auswirken. Die Rechtsstellung des Beobachters und seiner Mission gegenüber dem Sitzstaat der Vereinten Nationen, den Vereinigten Staaten von Amerika, ist ebenfalls nicht in verbindlicher Weise geregelt. Dank dem Entgegenkommen der amerikanischen Behörden figuriert der Beobachter selbst auf der Liste der Mitglieder der Schweizerischen Botschaft in Washington, was ihn in den Genuss der diplomatischen Vorrechte und Immunitäten kommen lässt, während seine Mitarbeiter als Beamte des Generalkonsulats in New York behandelt werden.

Die Aufgabe des Beobachters bestand von Anfang an in der Information des Bundesrates über die Tätigkeit der Vereinten Nationen und ihrer Organe und in der Übermittlung sämtlicher von der UNO an die Schweiz gerichteten Mitteilungen. Auch vertritt der Beobachter die Schweiz in allen Organen mit Sitz in New York, denen unser Land angehört, sowie an den in New York stattfindenden Tagungen anderer Organe und Spezialorganisationen, deren Mitglied die Schweiz ist. Endlich übermittelt der Beobachter die Antworten und Informationen aus der Schweiz auf Anfragen der Vereinten Nationen und wirkt als Verbindungsstelle zum Generalsekretär in den Fällen, in denen die Schweiz sich in irgendeiner Weise an der
Tätigkeit der Vereinten Nationen beteiligt. Zur Erfüllung dieser Aufgaben stehen dem Beobachter gegenwärtig vier diplomatische Mitarbeiter und vier Kanzleibeamte zur Verfügung. Während der Tagungen der Generalversammlung wird die Mission überdies durch weitere diplomatische Beamte verstärkt. Der Beobachter ist nicht nur Zuschauer. Er hat zur Generalver1

> Gesch. Ber. 1948, S. 110. Weitere Beobachter waren die Minister Lindt (1953-56), Soldati (1956-57) und Scnnyder (l 957-61) sowie die Botschafter Thalmann (1961-66) und Turrettini (seit 1966).

a > Vgl. die Auffassung des Generalsekretariats der UNO in Dok. ST/LEG/8 vom l 12. August 1962, S. 236. Vgl. auch Dok. A/CN.4/L. 118 vom 8. März 1967, S. 98 ff.

Und siehe die neuestens von El-Erian der Kommission für Internationales Recht vorgeschlagene Regelung, Troisième rapport sur les relations entre les Etats et les organisations intergouvernementales, Dok. A/CN.4/203/Add. 5 vom 31. Juli 1968, l S. 14ff.

1508 Sammlung, zum Sicherheitsrat und zu allen öffentlichen Sitzungen der Kommission Zutritt. Er erhält die gewaltige Dokumentation der Vereinten Nationen. Er wird als Vertreter eines Staates behandelt, der zwar im politischen Mechanismus der Vereinten Nationen nicht mitmacht, sonst aber doch als der Organisation nahestehend betrachtet wird. Die ständige Fühlungnahme mit kompetenten Vertretern fast aller Staaten erlaubt es ihm, zuhanden der Zentrale wertvolle Informationen zu beschaffen, den Standpunkt der Schweiz zu erläutern und Auskünfte zu erteilen.

c. Die zunehmende Bedeutung der europäischen Niederlassung der Vereinten Nationen in Genf hat den Bundesrat veranlasst, mit Beschluss vom 28. Dezember 1965 den Posten eines Ständigen Beobachters beim Sitz der Vereinten Nationen in Genf zu schaffen.1) Dieser erfüllt ähnliche Aufgaben wie der Beobachter in New York beim Hauptsitz der Weltorganisation. Daneben vertritt er die Schweiz bei den in Genf niedergelassenen Organen und Spezialorganisationen der Vereinten Nationen, deren Mitglied unser Land ist, sowie bei den nicht zur UNO gehörenden zwischenstaatlichen Organisationen mit Sitz in Genf. Als Vertreter des Sitzstaates all dieser Organisationen hat er auch über die Beobachtung der mit ihnen geschlossenen Sitzabkommen zu wachen.

Gegenwärtig verfügt der Beobachter über einen diplomatischen Mitarbeiter und drei Kanzleibeamte. Weder er noch seine Mitarbeiter stehen im Genuss irgend einer besonderen Vergünstigung.

Während der Anwesenheit des Generalsekretärs in Genf besteht jeweils die Gelegenheit eines Zusammentreffens mit dem Chef des Politischen Departements. Dies erleichtert schon aus protokollarischen Gründen die Diskussion des Nichtmitgliedstaates Schweiz mit dem Generalsekretär. Wäre Genf nicht Nebensitz der Vereinten Nationen, so bestände die Möglichkeit zu einer Zusammenkunft nicht mit der gleichen Regelmässigkeit.

4. Schweizer im Dienst der Vereinten Nationen a. Obwohl die Schweiz nicht Mitgliedstaat der Weltorganisation ist, haben doch verschiedene Schweizer in ihr hohe Posten bekleidet. So waren nacheinander zwei Schweizer Bürger Hochkommissare der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge, nämlich A, Lindt von 1957 bis 1960 und F. Schnyder von 1961 bis 1965. Drei Landsleute haben Missionen als Sondervertreter des Generalsekretärs erfüllt. Es
waren V. Umbricht (Kongo 1960), E. Zellweger (Laos 1960) und E. Thalmann (Jerusalem 1967). Zwei Schweizer waren ständige Vertreter des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (PNUD) in einem bestimmten Lande, nämlich F. Real in Syrien von 1963 bis 1965 und H. Monfrini in Gabun und der Zentralafrikanischen Republik von 1964 bis 1966. Im Oktober 1967 wurde der schweizerische Oberstdivisionär Brunner von der UNESCO zum Generalkommissar für die Kulturgüter im Mittleren Osten ernannt. Zwei Landsleute bekleiden in einer ständigen Kommission der Organisation das Amt des T

> Vgl. Gesch. Ber. 1965, S. 42. Von 1966 bis 1968 war Botschafter Keller Beobachter, seit dem 29. Februar 1968 ist es Botschafter Humbert.

1509 Sekretärs, nämlich J. Dittert in der Betäubungsmittelkommission und M. Raymond in der Beamtenkommission.

b. Verschiedene Schweizer haben in SpezialOrganisationen hohe Posten bekleidet oder üben noch solche Funktionen aus. Sie werden bei der Behandlung der einzelnen Organisationen erwähnt.1' Sowohl für die Vereinten Nationen selbst wie auch für SpezialOrganisationen haben verschiedentlich bedeutende Landsleute Sondermissionen als Experten erfüllt. Aus der grossen Zahl seien hier die alt Bundesräte Chaudet und Wahlen, die Botschafter Grässli und Ruegger sowie die Professoren Grossen und Guggenheim erwähnt.

B, Das Verhältnis der Schweiz zu bestimmten Massnahmen der Vereinten Nationen 1. Den Vereinten Nationen gewährte Erleichterungen und Hilfe

a. In den allgemeinen Richtlinien für die Überfliegung der Schweiz durch Militär- und Staatsflugzeuge2' vom 4. Juli 1958 hat der Bundesrat keine Sonderregelung zugunsten der Vereinten Nationen vorgesehen. Eine solche hat sich jedoch seither aus der Praxis ergeben : aa. Noch vor Erlass der neuen Richtlinien durch den Bundesrat wurde Ende November 1956 auf Anfrage der diplomatischen Vertretuhgen Dänemarks, Norwegens und Schwedens diesen Ländern für die Überfliegung der Schweiz zur Versorgung ihrer im Rahmen der Friedenserhaltungstruppe der UNO im Nahen Osten (UNEF) in Aegypten stationierten Truppen mit Nachschub eine sechsmonatige generelle Überflugs- und Landeerlaubnis erteilt. Einzig für Munitionstransporte musste von Fall zu Fall eine zusätzliche Genehmigung eingeholt werden. In der Folge wurden diese Bewilligungen bis zum Abzug der UNEF im Mai 1967 regelmässig erneuert, ohne dass der Vorbehalt der zusätzlichen Erlaubnis für Munitionstransporte ausdrücklich wiederholt wurde. Angesichts der allgemeinen Regelung auf Grund des Kriegsmaterialbeschlusses von 19493' war dies nicht unumgänglich. Stets behielt sich die Schweiz dagegen das Recht vor, die Bewilligung jederzeit zu widerrufen, wenn Gründe der Landesverteidigung dafür sprechen sollten.

bb. Bei der Aktion der Vereinten Nationen im Kongo im Sommer 1960 ersuchten Kanada und Schweden um die Erlaubnis, unser Land zu überfliegen.

Angesichts der zu Beginn der Operation herrschenden politischen Spannungen wurde diese vorerst nur von Fall zu Fall erteilt. In der Folge wurden, wie für die UNEF, auf sechs Monate befristete generelle Bewilligungen ausgestellt, die auf den Namen der europäischen Niederlassungen der Vereinten Nationen lauteten. In jüngster Zeit werden solche Bewilligungen generell «für gelegentliche oder regelmässige Flüge im Dienste der Vereinten Nationen» erteilt. Sie gewähren auch das Recht zur Landung auf schweizerischem Gebiet.

*> Vgl. I.Teil,m.Kap., C 2 b .

" Vgl. 1. Teil, n. Kap., B 5 b hh.

"> Vgl. 1. Teil, H. Kap., B 5 b bb.

1510 ce. Als im Jahre 1962 auf Grund einer Vereinbarung zwischen Indonesien und den Niederlanden die niederländischen Truppen aus dem damaligen WestNeuguinea (heute Irian-Barat) zurückgezogen wurden, ersuchte die niederländische Regierung um die Erlaubnis, den Lufttransport über Schweizer Gebiet zu organisieren. Diese wurde am 17. September 1962 erteilt, aus der Erwägung, dass die Schweiz die Durchführung von unter der Aegide der Vereinten Nationen abgeschlossenen Abkommen erleichtern sollte.

dd. Seit Beginn der Aktion der Vereinten Nationen in Zypern im Frühjahr 1964 stehen Kanada und Schweden im Genuss einer sechsmonatigen und erneuerbaren Erlaubnis zur Überfliegung unseres Landes und zur Landung auf · unserem Gebiet im Rahmen von Flügen zur Versorgung ihrer nationalen Kontingente der Friedenserhaltungstruppen der UNO auf Zypern (UNFICYP).

Wie sich aus dieser Praxis ergibt, werden für Flüge über schweizerisches Gebiet, die im Rahmen der friedenserhaltenden Tätigkeit der Vereinten Nationen durchgeführt werden und weder eigentliche Truppentransporte noch solche von Kriegsmaterial darstellen, Erleichterungen gewährt, die über den Rahmen der Bewilligungspraxis der schweizerischen Behörden auf Grund der Richtlinien des Bundesrates hinausgehen.

b. Angesichts der grossen Kosten der Aktion der Vereinten Nationen im Kongo (ONUC) und der Weigerung verschiedener Staaten, an der Bestreitung der Kosten im Rahmen ihrer Pflichtbeiträge an das Budget der Weltorganisation mitzuwirken, beschloss die Generalversammlung am 20. Dezember 1961 die Aufnahme einer Anleihe von 200 Millionen Dollar. In einer Note vom 10. Januar 1962 gab der Generalsekretär dem Schweizerischen Beobachter in New York diesen Beschluss bekannt und ersuchte die Schweiz um Beteiligung an der Anleihe. Obschon dieses Ansinnen in weiten Kreisen der schweizerischen Bevölkerung auf Kritik stiess, war der Bundesrat der Ansicht, einer Beteiligung der Schweiz an der Anleihe sollte grundsätzlich zugestimmt werden.

Als der Generalsekretär in einem weiteren Schreiben vom 17. April 1962 der Schweiz versicherte, dass ihr Beitrag ausschliesslich für zivile Zwecke verwendet werde, beschloss der Bundcsrat, den eidgenössischen Räten eine Beteiligung zu beantragen. Er setzte sie auf den üblichen Ansatz der schweizerischen Beiträge an Kosten der nichtpolitischen
Tätigkeiten der Weltorganisation von damais 0,95 Prozent fest, was einen Subskriptionsbetrag von 1,9 Millionen Dollar ergab.

In seiner Botschaft vom 4. Juni 1962 (BBU9Ö211213) führte der Bundesrat aus, dass das Weiterbestehen der Vereinten Nationen von einer gesicherten Finanzierung ihrer friedenserhaltenden Aktionen abhänge und dass die Erhaltung des Weltfriedens nur durch eine weltumspannende Organisation gewährleistet werden könne. Infolgedessen liege das Weiterbestehen der Vereinten Nationen auch im Interesse der Schweiz; diese könne sich nicht eine Politik der Isolierung und Indifferenz leisten. Mehr als je müsse der weltweite Charakter unserer Neutralität und der sich daraus ergebenden Politik klargestellt werden, was am besten im Rahmen einer universellen Organisation geschehen

1511 könne. Dass unsere Neutralität durch eine Beteiligung an der Anleihe nicht berührt werde, ergebe sich schon aus der Tatsache, dass die Aktion der Vereinten Nationen im Kongo auf Wunsch der kongolesischen Regierung und ausserhalb jeglichen Zusammenhanges mit den Bestimmungen der Charta über Zwangsmassnahmen erfolgte. Sogar wenn entgegen der Zusage des Generalsekretärs der schweizerische Beitrag zugunsten der ONUC verwendet würde, könne dies daher die Neutralität unseres Landes in keiner Weise bei Uhren. Diese Auffassung wurde von Bundesrat Wahlen vor dem Nationalrat wiederholt1'; dieser bewilligte darauf mit grosser Mehrheit den verlangten Kredit. Der Ständerat schloss sich ihm ohne Gegenstimme an.2) 2. Direkte und indirekte Beteiligung an gewissen Friedensaktionen der Vereinten Nationen

a. Grundsätzliches Die Schweiz hat sich ungeachtet ihrer Nichtmitgliedschaft wiederholt bereit gefunden, den Vereinten Nationen in einzelnen Fällen bestimmte Dienste zu leisten. Dabei konnte sie sich auf das allgemeine Neutralitätsrecht stützen sowie auf die Bestimmung des ersten Haager Abkommens über die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle von 1907, wonach jeder Staat berechtigt ist, seine guten Dienste anzubieten, und ein solches Angebot niemals als unfreundliche Handlung gewertet werden darf, Dass die Schweiz Veranlassung haben kann, ihre Dienste anzubieten, ergibt sich wiederum aus der immer engeren gegenseitigen Abhängigkeit, in der sich die einzelnen Kontinente und Staaten befinden und die es mit sich bringt, dass auch unser Land keinem Konflikt, wo auch immer er sich abspielt, gleichgültig gegenüberstehen kann, sondern ein direktes Interesse an seiner friedlichen Beilegung hat.s> Einen Sonderfall bildet in dieser Hinsicht die Beteiligung der Schweiz an den Waffenstillstandskommissionen für Korea.4) Hier wurden ihre Dienste in einem Konflikt in Anspruch genommen, der nominell die Vereinten Nationen einerseits, Nordkorea und die Volksrepublik China anderseits entzweite. Bezeichnenderweise ging jedoch das Gesuch an die Schweiz um Teilnahme an diesen Kommissionen nicht von den Vereinten Nationen aus, sondern von der auf seiten Südkoreas hauptsächlich beteiligten Macht, den Vereinigten Staaten von Amerika.

b. Die Suezaktion 1956/57 aa. Das Eindringen israelischer Truppen in ägyptisches Gebiet am 29. Oktober 1956 und die darauffolgende militärische Intervention Frankreichs und Grossbritanniens veranlassten den Sicherheitsrat am 30. Oktober, gegen die l > J

StB N 1962, S, 591 ff.

>StBS 1962, S. 251.

*) Vgl. die Ausführungen des Bundçsrates in seinem Korea-Bericht, BB119551763 S.

4 > Vgl. 1. Teil, H. Kap., B 5 b dd.

1512 Stimmen Frankreichs und Grossbritanniens die Einberufung einer ausserordentlicnen Generalversammlung zu beschliessen. Diese trat sofort zusammen und fasste am 2. November eine Resolution, in der die Einstellung der Feindseligkeiten und die Schaffung einer internationalen Polizeitruppe gefordert wurde.

Die Einstellung der Kämpfe kam am 7. November zustande. Am 9. November besass der Generalsekretär die Zusage mehrerer Staaten, an die zu schaffende Friedenstruppe Kontingente zu stellen.

bb. Bereits am 8. November 1956 trat der Generalsekretär mit der Anfrage an die Swissair, ob sie den Transport von 3800 Mann Truppen von Neapel nach Aegypten übernehmen könne. Am 12. November kam eine Vereinbarung über die Durchführung dieser Aufgabe zustande, nachdem das Politische Departement keine Einwände erhoben, sondern nur verlangt hatte, dass in den Vertrag eine Bestimmung über eine Kriegsrisikogarantie aufgenommen werde und dass die Flugzeuge auf dem Rücknug für die Heimschaffung rückkehrwilliger Schweizerbürger zur Verfügung stehen sollten. Der Transport wurde zwischen dem 15. und 25, November auftragsgemäss durchgeführt.

cc. Noch während der Verhandlungen des Generalsekretärs mit der Swissair wurden Stimmen laut, die Schweiz ziehe durch ihre Fluggesellschaft aus den Friedensbemühungen der Vereinten Nationen materiellen Nutzen. Obwohl die Swissair kein staatliches Unternehmen ist, beantragte das Politische Departement dem Bundesrat die Übernahme der Transportkosten im Sinne eines schweizerischen Beitrages an die Friedenserhaltung im Mittleren Osten. In neutralitätspolitischer Hinsicht heisst es im Antrag vom 22. November 1956: «Aus völkerrechtlichen und politischen Gründen steht einem schweizerischen Beitrag an die Operation der UNO nichts entgegen, denn es besteht kein Kriegszustand zwischen der UNO und Aegypten, und die vorgesehene Mission der UNO-Truppen hat auch nicht den Charakter von Sanktionen gegen einen Friedensbrecher; sie ist vielmehr eine ausgesprochene Friedensmission, an welcher sich die Schweiz, wenn nicht mit Truppen, so doch mit einem Kostenbeitrag ohne Bedenken beteiligen darf». «

Der Bundesrat schloss sich diesen Erwägungen an und beschloss am 23. November, die Kosten des Transportes durch die Swissair im Umfang von J ,68 Millionen Franken zu übernehmen.

dd. In einem Bericht vom Dezember 1957 hat der Schweizerische Beobachter in New York die Auffassung des Bundesrates mit folgenden Ausführungen bekräftigt: «Die UNEF hat nichts mit dem Sicherheitsrat zu tun noch mit dem VII. Kapitel der Charta. Es handelt sich um eine neuartige Tendenz, in einer Gegend, in der der Frieden bedroht ist, diesen vermittels einer Empfehlung der Generalversammlung zu sichern. Die Anwesenheit der UNEF setzt die Zustimmung 1aller Länder voraus, die sich an ihr beteiligen odei auf deren Gebiet sie stationiert ist. ft ' l

> Vgl. jedoch die Auffassung des Generalsekretärs über eine mögliche Übernahme einer Friedenstruppe durch den Sicherheitsrat im Rahmen des VII. Kapitels: 1. Teil, IH. Kap., B 3 b.

1513 e. Die Operation im Kongo 1960161 aa. Schon wenige Tage nach Beginn der Intervention der Vereinten Nationen im Kongo15, wo die UNO auf Wunsch der dortigen Regierung ihre militärische und technische Hilfe für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und staatlichen Verwaltung zur Verfügung stellen sollte, gelangte der Generalsekretär der Weltorganisation am 17, Juli 1960 an den Bundesrat. Er gab seinen kurz zuvor erlassenen Aufruf zur Sendung von Lebensmitteln in den Kongo bekannt und stellte die Frage, ob die Swissair einen Teil der Transporte der Spenden von Pisa nach Leopoldville übernehmen könne. Bundespräsident Petitpierre antwortete am gleichen Tage, dass die Swissair im Rahmen des Möglichen zur Verfügung stehe und dass sich die Schweiz an der Aktion durch die Lieferung von Nahrungsmitteln und anderen Produkten beteiligen werde.

Am 19. Mi ersuchte der Generalsekretär dringend um die Entsendung einer zivilen Ärzteequipe nach dem Kongo. Der Bundesrat entsprach diesem Wunsche ebenfalls. In der Folge wurden den Vereinten Nationen auch verschiedene schweizerische Experten und Techniker zur Verfügung gestellt, besonders auf dem Gebiet des Fernmeidewesens.

bb. Die Gründe der positiven Haltung der Schweiz zur Aktion der Vereinten Nationen im Kongo sind im Antrag des Politischen Departements an den Bundesrat vom 6. September 1960 ausführlich dargelegt: Die Schweiz hat von Anfang an die Kongo-Aktion der UNO als ein Unternehmen zur Wahrung des Weltfriedens und der Weltsicherheit anerkannt. Indirekt kommen auch unserem Lande die positiven Resultate der Schritte, die die UNO im Kongo unternimmt, zugute. Die Schweiz hat schon oft darauf hingewiesen, dass sie sich ihrer humanitären Aufgabe und ihrer besonderen Stellung als neutraler Staat wohl bewusst ist. Es gilt nun, dieser besonderen Rolle in einer bedeutungsvollen Frage gerecht zu werden. ...Zahlreiche Länder haben dem Appel] des Generalsekretärs Folge geleistet und Experten, Nahrungsmittel, Medikamente oder Transportkapazität zur Verfügung gestellt. Der schweizerische Beitrag muss deshalb im Rahmen einer internationalen Aktion betrachtet werden.

Hinsichtlich der schweizerischen Neutralität stellt der Antrag an den Bundesrat fest, «dass dem schweizerischen Beitrag an die Aktion der UNO vom völkerrechtlichen und politischen Gesichtspunkt aus nichts entgegengesetzt ist.

Die UNO entwickelt eine ausgesprochene Friedenstätigkeit, Kriegszustand besteht nicht, und die Truppentransporte nach dem Kongo dienen ausschliesslich der Wahrung des Weltfriedens. Um aber nicht Gefahr zu laufen, in die internen Spannungen des Kongo hineingezogen zu werden, waren wir darauf bedacht, die Flugzeuge innerhalb des Kongo wohl für Lebensmittelsendungen, nicht aber für Truppentransporte zur Verfügung zu stellen.» cc. Die Flüge der Swissair erfolgten also nicht nur zwischen Europa und dem Kongo, sondern zu einem späteren Zeitpunkt auch innerhalb des Kongo. Auf ein erstes Gesuch des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, die Swissair möchte sich auch am Transport der Nahrungsmittel und Medikamente im Innern des Landes beteiligen, erteilte der Bundesrat im Juli 1960 eine abschlägige Antwort; er liess sich dabei hauptsächlich von der Erwägung leiten, dass bei der » Vgl. Anhang IV b.

Bundeblatt. 121.Jahrg. Bd.I

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1514 ungenügenden Bedienung der Flugplätze im Landesinnern die Maschinen und Besatzungen unnötigen Gefahren ausgesetzt wären.

Auf erneutes dringendes Ersuchen des Generalsekretärs gab der Bundesrat schliesslich sein Einverständnis, worauf die Swissair als einzige ausländische zivile Fluggesellschaft Transportflüge im Landesinnem vornahm. Insgesamt führte sie 14 internationale und 19 interne Flüge aus und transportierte 251 000 kg. Fracht und 520 Personen. Die gesamten Kosten dieser Flüge im Betrag von l 361 000 Franken wurden von der Eidgenossenschaft übernommen, da es, wie der Antrag des Politischen Departements vom 6. September 1960 feststellt, «unserem Ideal und dem Ansehen unseres Landes Abbruch täte, wenn wir den Vereinten Nationen für die ... Dienstleistungen Rechnung stellen würden». Zusätzlich zur Swissair war auch die Baiair in Kongo tätig.

Auf Grund direkter Vereinbarungen stellte sie den Vereinten Nationen vier Apparate samt Mannschaften während mehrerer Wochen zur Verfügung. Als private Gesellschaft musste sie von der Organisation die Kosten einer Kriegsrisikoversicherung tragen lassen, was ihre Dienste gegenüber denjenigen anderer Gesellschaften bedeutend verteuerte. Angesichts der tragischen Lage im Kongo beschloss der Bundesrat am 13. Januar 1961, auch die Kosten dieser Versicherung zu übernehmen. Sie beliefen sich auf ungefähr 137 700 Franken.

dd. Wie erwähnt, hat sich der Bundesrat schon auf die erste Anfrage des Generalsekretärs hin zur Teilnahme an der Lebensmittel- und Medikamentenaktion der Vereinten Nationen bereiterklärt. Bereits am 18. Juli konnte eine erste Sendung die Schweiz verlassen. In der Folge stellte der Bundesrat auch der UNICEF 10 Tonnen Pulvermilch zur Verfügung. Im Februar 1961 beteiligte er sich erneut an einer Aktion zur Linderung der Hungersnot in Kasai.

Berücksichtigt man die Finanzierung einer zusätzlichen Lieferung an das IKRK, so beläuft sich der Gesamtaufwand für Nahrungsmittel und Medikamente auf 396 100 Franken.

ee. Auf Anfrage des Generalsekretärs der Vereinten Nationen beschloss der Bundesrat am 26. Juli 1960, eine zivile Ärzteequipe in den Kongo zu entsenden.

Diese konnte ihren Bestimmungsort schon am. 28. Juli erreichen. Die Ärzteequipe beendete ihre Tätigkeit im Kintambo-Spital in Kinshasa am 31. März 1969. Die Kosten der Equipe wurden
vollständig von der Eidgenossenschaft getragen und beliefen sich Ende 1968 auf 8,7 Millionen Franken.

ff. Am 3, Januar 1961 ersuchte der Generalsekretär der Vereinten Nationen in einem Schreiben an den Vorsteher des Politischen Departements um einen Beitrag der Schweiz an den zur Finanzierung der Operationen im Kongo errichteten Fonds. Bundesrat Petitpierre leimte dies in seiner Antwort vom 9. Februar mit folgender Begründung ab : Die Lage im Kongo wird hier pessimistisch beurteilt. ...Die öffentliche Meinung

und wulil auch die der eidgenössischen Räte, die für die Bewilligung eines solchen Beitrages zuständig wären, wäre zur Zeit gegen eine finanzielle Unterstützung des Kongo eingestellt. Meine Regierung, der ich die Frage vorgelegt habe, ist nach wie vor bereit, Ihre Anstrengungen zu unterstützen, aber sie bevorzugt die Teilnahme an bestimmten, vornehmlich humanitären und technischen Aktionen.

1515 d. Untersuchungskommission in Vietnam 1963 Am 8. September 1963 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Gesuch des südvietnamesischcn Präsidenten Ngo Dinh Diem, eine Untersuchungskommission nach Saigon zu entsenden. Am 17. Oktober wurde der schweizerische Beobachter vom Kabinett des Generalsekretärs angefragt, ob das Schweizerische Generalkonsulat in Saigon der Kommission seme guten Dienste für die Übermittlung von Nachrichten zur Verfügung stellen könnte. Nachdem die Regierung in Saigon diesem Vorgehen zugestimmt hatte, vermittelte das Generalkonsulat unter Kostenübernahme durch die Eidgenossenschaft die Telegrammverbindung zwischen der Kommission und New York.

e. Die Intervention der Vereinten Nationen auf Zypern aa. Im Dezember 1963 brachen auf Zypern zwischen der griechischen und der türkischen Gemeinschaft Kämpfe aus, die zur Intervention Griechenlands und der Türkei auf Seiten ihrer Landsleute zu führen drohten. Der Sicherheitsrat beschloss daher am 4. März 1964 einstimmig und unter Zustimmung der direkt interessierten Staaten, in Zypern zur Trennung der verfeindeten Gruppen eine Interventionstruppe (UNFICYP) zu unterhalten. Die Aufstellung der Truppe wurde dem Generalsekretär übertragen. Vorerst war eine auf drei Monate beschränkte Dauer der Intervention vorgesehen, die jedoch in der Folge immer wieder verlängert worden ist. Der Unterhalt der Truppe wird von den an ihr beteiligten Staaten, von Zypern und durch freiwillige Beiträge weiterer Staaten finanziert.

bb. Am 6. März 1964 richtete der Generalsekretär der Vereinten Nationen die Anfrage an den Bundesrat, ob die Schweiz zu irgendeiner Art der Beteiligung an der Aktion auf Zypern bereit sei. In seiner Sitzung vom 26. März beschloss der Bundesrat, einen Beitrag von 75 000 Dollar zu entrichten. Er war der Ansicht, es handle sich hier um eine Gelegenheit, die internationale Solidarität des neutralen Nichtmitgliedes unter Beweis zu stellen, um so mehr als es sich in Zypern in erster Linie um die Erfüllung einer humanitären Aufgabe handelt und dieses Land als europäischer Staat noch ein zusätzliches Anrecht auf die Solidarität der Schweiz im Rahmen Europas hat. Der Bundesrat war auch der Meinung, die vorliegende Intervention sei der Prototyp der friedenserhaltenden Operation, die sich gegen keinen Staat richtet,
da alle Beteiligten ihr zustimmten, so dass für die Schweiz keinerlei Bedenken in bezug auf ihre Neutralität bestehen können.

cc. Der vom Bundesrat gewährte Beitrag von 75 000 Dollar entsprach ungefähr dem Satz für die Beiträge an die Tätigkeiten der Vereinten Nationen, an denen die Schweiz teilnimmt. Der Bundesrat erwog überdies die Möglichkeit anderer Formen der Beteiligung an der Zypernaktion. Er stellte jedoch fest, dass im Gegensatz zum Kongo die Aufgabe der Friedenstruppe und die vom Generalsekretär getroffenen übrigen Anordnungen kaum Raum für weitere Beteiligungen der Schweiz liessen. In der Folge zog sich der Aufenthalt der Friedenstruppe immer mehr in die Länge, da alle Vermittlungsbemühungen

1516 der Vereinten Nationen erfolglos blieben. Verschiedentlich erneuerte daher der Bundesrat den Beitrag der Schweiz, obwohl er sich zeitweise fragte, ob nicht der Moment gekommen sei, unsere Mitwirkung einzustellen. Gelegentliche Fortschritte Hessen aber immer wieder die Hoffnung auf eine baldige Lösung aufkommen, während anderseits neue Zwischenfälle die Notwendigkeit der UNO-Truppe mehrmals unter Beweis stellten. Infolgedessen erreichte das Total der Beiträge der Schweiz bis Ende 1968 rund 4,7 Millionen Franken.

/. Die Mittelostkrise von 1967 aa. Im Laufe eines sechstägigen Krieges mit seinen arabischen Nachbarstaaten besetzte Israel anfangs Juni 1967 grössere Gebiete von Jordanien, Syrien und der Vereinigten Arabischen Republik. Während diese Gebiete insgesamt dem üblichen Besatzungsrecht in Kriegszeiten unterstellt wurden, beschloss Israel, "die Verwaltung des bisher jordanischen Teiles von Jerusalem direkt zu übernehmen. Dies führte zu lebhaften Debatten im Rahmen der Vereinten Nationen. Die UNO-Generalversammlung beauftragte am 14. Juli 1967 den Generalsekretär, ihr und dem Sicherheitsrat über die Lage in Jerusalem Bericht zu erstatten. Am 8. August richtete der Generalsekretär über den Schweizerischen Beobachter bei den Vereinten Nationen an den Bundesrat die Anfrage, ob die Schweiz bereit wäre, ihm eine Persönlichkeit zur Verfügung zu stellen, die als sein Vertreter in Jerusalem eine Beobachtermission erfüllen könnte. Der Bundesrat teilte dem Generalsekretär am 9. August mit, dass er auf seinen Wunsch eingehe und ihm den Chef der Abteilung für internationale Organisationen des Politischen Departements, Botschafter Thalmann, für die geplante Mission zur Verfügung stelle.

bb. In einem Schreiben vom 12. Augsut an seinen Vertreter umschrieb der Generalsekretär der Vereinten Nationen dessen Aufgabe dahin, dass er alle irgendwie zugänglichen Auskünfte über die Verwaltung der Stadt Jerusalem durch Israel und insbesondere über die Lage der arabischen Bevölkerung in der Altstadt zu beschaffen, jedoch in keiner Weise Verhandlungen zu führen habe. Botschafter Thalmann weilte vom 21. August bis zum 3. September 1967 in Jerusalem und konnte seine Mission vollständig erfüllen. Sein Bericht bildete eine direkte und objektive Informationsquelle des Generalsekretärs über die Lage in Jerusalem. Über die
Beweggründe, die ihn zur Entsendung eines hohen Beamten veranlasst haben, äusserte sich der Bundesrat in einer Pressemitteilung vom 15. August 1967 wie folgt: Der Bundesrat hat der Anfrage des Generalsekretärs entsprochen, um seine Bereitschaft zu bekunden, alle Massnahmen zu unterstützen, die zur Wiederherstellung des Friedens im Nahen Osten beitragen, und um seinem Willen Ausdruck zu geben, zu diesem Zwecke mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten.

cc. Ebenfalls auf Ersuchen des Generalsekretärs beschloss der Bundesrat am 11. August 1967, einen hohen Sanitätsoffizier, Oberst Züst, der Waffenstillstands-Überwachungskommission der Vereinten Nationen in Palästina (UNTSO) zur Verfügung zu stellen. Oberst Züst weilte vom 22. August bis

1517 zum 23. November 1967 im Nahen Osten und organisierte den Sanitätsdienst der Uberwachungskommission.

dd. Am 22. August 1967 wandte sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen durch Vermittlung des Schweizerischen Beobachters in New York an den Bundesrat mit der ' Anfrage, ob die Schweiz der Beobachtergruppe (UNTSO) im Nahen Osten ein Militärflugzeug des Typs DC 3 zur Verfügung stellen könne. Da die schweizerische Fliegertruppe keine Flugzeuge dieses Typs besitzt, suchte der Bundesrat nach einer ändern Möglichkeit. Schliesslich schlössen die Vereinten Nationen mit der Baiair einen Chartervertrag ab. In seiner Sitzung vom 18. September 1967 beschloss der Bundesrat, die aus dem Vertrag erwachsenden Kosten für das Flugzeug samt zwei Mannschaften für ein Jahr zu übernehmen. Sie wurden auf ungefähr eine Million Franken veranschlagt. Dabei ging der Bundesrat von der Meinung aus, dass die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen über das ordentliche Budget der Organisation ihren Anteil an die Kosten der UNTSO beisteuern, dass deren Tätigkeit jedoch im Interesse aller Völker liegt und es daher auch Aufgabe der Schweiz ist, sich an dieser Gemeinschaftsaktion der Vereinten Nationen angemessen zu beteiligen. In diesem Sinn hat er am 10. Juli 1968 beschlossen, die Kosten des Flugzeuges ein weiteres Jahr zu tragen.

3. Die Frage der Beteiligung der Schweiz an einer internationalen Friedenstruppe a. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat erstmals in der Suezkrise von 1956 die Aufstellung einer Friedenstruppe empfohlen, welche die Kontrolle über die damals von Israel besetzten Teile der Vereinigten Arabischen Republik übernehmen und in der Folge Zusammenstösse zwischen den Streitkräften dieser Staaten verhindern sollte. Der Generalsekretär wurde mit der Aufstellung dieser Truppe beauftragt, die sich aus Kontingenten zusammensetzte, die gewisse Mitgliedstaaten freiwillig zur Verfügung stellten. Bei der Intervention der Vereinten Nationen im Kongo wurde auf Grund eines Beschlusses des Sicherheitsrates nach den gleichen Grundsätzen eine Interventionstruppe aufgestellt. Auch in Zypern steht seit 1964 eine kleine, aus verschiedenen Kontingenten zusammengesetzte Streitmacht der Vereinten Nationen, deren Aufstellung vom Sicherheitsrat angeordnet wurde.

In allen drei Fällen erfolgte die Schaffung einer
UNO-Truppe nicht in Anwendung der Bestimmungen der Charta über die kollektive Sicherheit, also ihres Kapitels VII, und auch nicht auf Grund der Resolution «Uniting for Peace» der Generalversammlung vom 3. November 1950. Vielmehr war der Ausgangspunkt die in der Charta enthaltene Pflicht aller Mitgliedstaaten, Bedrohungen des Friedens zum voraus zu begegnen. Die Entsendung von Friedenstruppen beruht also auf dem gleichen Grundsatz wie diejenige von Beobachtermissionen oder Untersuchungskommissionen und hat hauptsächlich vorbeugenden Charakter. Sie ist daher nur mit Zustimmung sämtlicher beteiligten Parteien möglich, insbesondere des Staates, auf dessen Gebiet die Truppen stationiert werden sollen. Desgleichen besteht auch keine Pflicht der Mitgliedstaaten, für eine Friedenstruppe Kontingente bereitzustellen. Dagegen hat der In-

1518 ternationale Gerichtshof in einem Gutachten vom 20. Juli 1962 *> die Auffassung vertreten, dass die Kosten einer auf Grund einer Resolution der Generalversammlung aufgestellten Friedenstruppe und ihrer Operationen «Ausgaben der Organisation» im Sinne von Artikel 17 Ziffer 2 der Charta seien, zu deren Tragung alle Mitglieder verpflichtet sind. Angesichts der Weigerung verschiedener Staaten, dieser Auffassung zu folgen und ihren Anteil an die Kosten der Friedenstruppen zu entrichten, kam es zu einer schweren Krise der Organisation, die nur dadurch beigelegt werden konnte, dass die Kosten weiterhin durch freiwillige Beiträge gedeckt wurden.

b. Die Institution der Friedenstruppen trägt noch heute die Merkmale einer aussergewöhnlichen Massnahme. Die Charta der Vereinten Nationen kennt nur eine Form von gemeinsamen Truppen, nämlich die aus den gemäss Artikel 42 zu stellenden nationalen Kontingenten gebildeten Streitkräfte, die auf Anweisung des Sicherheitsrates für Zwangsmassnahmen gegen Staaten eingesetzt werden, die sich einer der in Artikel 39 aufgezählten Verfehlungen schuldig gemacht haben. Die Friedenstruppen dagegen werden auf Grund einer Resolution der Generalversammlung oder des Sicherheitsrates auf freiwilliger Basis aufgestellt und können, wie gesagt, nur mit Zustimmung aller beteiligten Parteien zum Einsatz gelangen. Allerdings hat der Generalsekretär in einem Bericht vom 6. November 1956 festgestellt, dass «die Generalversammlung wohl berechtigt ist, die Truppe unter Zustimmung der Parteien zu schaffen, dass sie aber nicht verlangen könnte, dass die Truppe auf dem Gebiet eines Staates stationiert wird oder dort operiert ohne die Zustimmung der Regierung dieses Staates. Dies schliesst die Möglichkeit nicht aus, dass der Sicherheitsrat die Truppe innerhalb des weiteren durch Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen gesetzten Spielraumes verwenden kann.» In einem solchen Falle würde sich die Friedenstruppe also in eine Streitmacht im Sinne von Artikel 42 und 43 der Charta verwandeln, was allerdings nur mit Zustimmung der Staaten möglich ist, deren Truppen von einem solchen Beschluss betroffen würden. Die Generalversammlung hat den Bericht ohne Gegenstimme gutgeheissen, und der Internationale Gerichtshof zitiert ihn seinerseits im bereits erwähnten Gutachten vom 20, Juli 1962.
Angesichts des nicht abgeklärten Status der Friedenstruppen wird seit langem versucht, allgemeine Regeln über deren Aufstellung und Verwendung auszuarbeiten. Ein aus 33 Mitgliedern bestehender Sonderausschuss ist seit 1965 mit dieser Aufgabe betraut, konnte aber bis jetzt keine allgemein annehmbare Regelung zustandebringen. An der Weigerung der Sowjetunion, zu einer Lösung Hand zu bieten, die nicht auf ausdrücklichen Bestimmungen der Charta beruht, sind bisher alle Initiativen gescheitert. Der Generalsekretär ist an die Mitgliedstaaten mit dem Ersuchen gelangt, bis zu einer endgültigen Regelung ständig Truppenkontingente für Friedensoperationen bereitzuhalten.

Verschiedene Staaten sind dieser Aufforderung nachgekommen, so auch Österreich und Schweden, während andere ihr grundsätzliches Interesse an der Bel

> Vgl. C.I.J. Ree. 1962, S. 179 f.

1519 teiligung an Friedenstruppen bekundet haben. Die Erfahrungen Österreichs und Schwedens auf diesem Gebiet werden im Anhang VI geschildert.

c. Die Frage, ob sich auch die Schweiz an Friedcnstruppen durch die Bereitstellung militärischer Kontingente beteiligen soll, ist erstmals am 7. Oktober 1965 von Bundesrat Wahlen im Nationalrat aufgeworfen worden, bei der Beantwortung der Interpellationen Purgier und Hubacher bezüglich einer Überprüfung der Aussenpolitik der Schweiz, insbesondere im Verhältnis zu den Vereinten Nationen. Der Vorsteher des Poh'tischen Departements sah in der Beteiligung an Friedenstruppen eine Möglichkeit, im Geiste der Solidarität die Tätigkeit der Vereinten Nationen auf allen Gebieten zu unterstützen, auf denen keine neutralitätspolitischen Hindernisse bestehen. In der Folge wurde eine interdépartementale Studienkommission mit der Abklärung der sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen rechtlicher, politischer und militärischer Natur beauftragt. In ihrem Bericht vom 24. April 1967 kam sie zum Schluss, dass unter gewissen, genau zu umschreibenden Bedingungen eine schweizerische Beteiligung an Friedenstruppen mit unserer Neutralität vereinbar wäre, dass sie jedoch von Fall zu Fall unter Berücksichtigung aller jeweils gegebenen Umstände zu beschliessen wäre. Eine allfällige Verwendung schweizerischer Armeeangehöriger in einer Friedenstruppe ausserhalb unseres Landes würde noch weitere zusätzliche Abklärungen erheischen.

Eine Friedenstruppe kann verschiedenartige Aufgaben erfüllen: aa. In erster Linie könnte der Truppe eine humanitäre Aufgabe übertragen werden. Ohne an der Austragung eines Konfliktes selbst teilzunehmen, würde sie sich auf die Hilfeleistung an die Opfer, ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit, beschränken. Sie würde also die Aufgabe einer Sanitätstruppe im weiteren Sinn übernehmen, was nur mit dem Einverständnis beider Konfliktsparteien möglich wäre. Im Falle der Schweiz entstände jedoch hier eine besondere Schwierigkeit, da eine solche Tätigkeit mit derjenigen des Roten Kreuzes in eine Art Konkurrenzverhältnis treten könnte. Als Sitzstaat des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und der Liga der Rotkreuzgesellschaften sollte die Schweiz alles unterlassen, was der Tätigkeit dieser humanitären Institutionen abträglich sein könnte. Da das IKRK in delikaten
Situationen jeweils möglichst Schweizer Bürger einsetzt, könnte die Beteiligung anderer Schweizer an einer Friedenstruppe im Rahmen eines Konflikts, in dem die Vereinten Nationen Partei sind, die Aufgabe der Vertreter des Roten Kreuzes erschweren.

bb. Im Falle der Friedenserhaltungsaktion auf Zypern haben die Truppen der UNFICYP mit Einwilligung der zypriotischen Behörden auch eigentliche Verwaltungsaufgaben (z.B. Auszahlung von Pensionen) übernommen.

cc. Eine Friedenstruppe kann auch Polizeifunktionen ausüben. Dies war in allen bisherigen Fällen, in denen eine solche Truppe aufgestellt wurde, ihre Hauptaufgabe. In gewissem Sinn war dies auch anfänglich der Fall für die Waffenstülstands-Kommission in Korea, an der die Schweiz teilnimmt. Im Falle der UNFICYP besteht ein Teil der Truppen aus Polizeikontingenten, die von verschiedenen Nationen (darunter Österreich) zur Verfügung gestellt wur-

1520

den. Im Rahmen solcher Polizeiaktionen kann die Friedenstruppe in Kämpfe verwickelt werden, die zu einem eigentlichen Krieg ausarten können. Im Falle der Kongo-Aktion trat eine solche Lage infolge der Sezession Katangas ein, die schliesslich zu einem Bürgerkrieg führte. Die UNO-Truppe stand auf Seiten der Zentralregierung und sah sich vor die Aufgabe gestellt, die abtrünnige Provinz zurückzuerobern. Auch die Verletzung eines Waffenstillstandes durch eine Partei könnte eine zu dessen Überwachung eingesetzte Friedenstruppe veranlassen, auf Seiten der anderen Partei gegen den verletzenden Staat vorzugehen. Soweit sich in solchen Fällen die Kämpfe noch im Rahmen einer Polizeiaktion zu halten vermögen, entstehen für die eingesetzten Truppenkontingente nur dann Schwierigkeiten, wenn eine Partei ihre Zustimmung zum Aufenthalt und zur Tätigkeit der Friedenstruppe rückgängig machen sollte. Die Studienkommission vertritt die Ansicht, dass in einem derartigen Fall auch das neutrale Kontingent sofort zurückgezogen werden muss. Ob dies tatsächlich immer möglich wäre, bleibt fraglich.

dd. Eine Friedenstruppe kann auch zu eigentlichen militärischen Aktionen zugezogen werden. Dies ist einmal dann der Fall, wenn der Sicherheitsrat ihre Aufgabe ändert und sie mit Zustimmung der Kontingentstaaten für Zwecke im Sinne des Kapitels VII der Charta verwendet. Schwierigkeiten können entstehen, wenn die Kontingentstaaten unter sich nicht einig werden über die Zulässigkeit und Opportunität der geänderten Aufgabe. Militärische Verwicklungen können aber auch ohne Eingreifen des Sicherheitsrates entstehen, etwa wenn der einen Waffenstillstand verletzende Staat sich der Intervention der Friedenstruppe mit militärischen Mitteln widersetzt. Seine Zustimmung zum Verbleiben der Truppe dürfte in solchen Fällen dahinfallen, und die Vereinten Nationen sähen sich dann vor die Frage gestellt, ob sie die Friedenstruppe zurückziehen oder im Sinne der Sanktionsbestimmungen der Charta oder der Resolution «Uniting for Peace» einsetzen wollen. Auch in solchen Fällen sieht der Bericht der Studienkommission die Möglichkeit eines Rückzuges vor. Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten, auf die ein solcher Beschluss wohl stossen müsste, stellt sich auch die Frage, ob ein Rückzug von den Vereinten Nationen nicht als eine Begünstigung des
Staates angesehen würde, gegen den sich die Zwangsmassnahmen richten, was zu Vergeltungsakten gegen den Neutralen selbst führen könnte.

d. Die Friedenstruppen der Vereinten Nationen könnten unter Umständen vom Sicherheitsrat zu Zwangsmassnahmen im Sinne des VII, Kapitels der Charta verwendet werden. Dazu wäre zwar die Zustimmung der Schweiz erforderlich ; doch könnte die Verweigerung der Zustimmung möglicherweise politische Komplikationen nach sich ziehen. Berücksichtigt man diese Tatsache sowie die bisherige Praxis und die unbefriedigende Rechtsgrundlage der Friedenstruppen, so scheint eine Beteiligung an solchen Aktionen unter Aufrechterhaltung unseres Neutralitätsstatuts nur unter vorher von Fall zu Fall genau festgelegten Bedingungen möglich, was übrigens auch für die anderen Staaten zutrifft. Ganz allgemein wird die rechtliche Frage der Zulässigkeit einer Beteiligung der Schweiz an einer Friedenstruppe noch zu prüfen sein.

1521 4. Die Schweiz und die Zwangsvollstreckung im Rahmen der Vereinten Nationen a. Wie bereits dargelegt1', enthält das VII. Kapitel der Charta der Vereinten Nationen eingehende Bestimmungen, auf Grund deren ein Staat, der den Frieden oder die internationale Sicherheit bedroht, den Frieden bricht oder einen Angriff auslöst, mit nichtmilitärischen und auch militärischen Mitteln zu einem rechtskonformen Verhalten gezwungen werden kann. Diese Aufgabe ist - im Gegensatz zum Völkerbund - einem zentralen Organ, dem Sicherheitsrat, übertragen, der allein rechtskräftig das Vorliegen der Bedingungen für die Durchführung von Zwangsmassnahmen feststellt (Art. 39 der Charta) und diese anordnet (Art. 41 und 42). Da die Wirksamkeit insbesondere wirtschaftlicher Sanktionen oft von ihrer Universalität abhängt, sieht die Charta in Artikel 2 Ziffer 6 vor, dass die Organisation auch Nichtmitglieder zur Befolgung der Grundsätze der Charta anhalten kann, soweit dies für die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit notwendig ist. In diesem Rahmen kann daher der Sicherheitsrat auch Nichtmitglieder zu einem mit den Zwangsmassnahmen der Vereinten Nationen solidarischen Verhalten auffordern, dagegen nicht rechtlich verpflichten. Nach Allgemeinem Völkerrecht können allerdings die Nichtmitglieder die Gültigkeit einer solchen Bestimmung zulasten dritter Staaten bestreiten. Auch die Charta der Vereinten Nationen ist ein völkerrechtlicher Vertrag und als solcher der Regel unterworfen, dass sie nur gegenüber Vertragsparteien Gültigkeit beanspruchen kann. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass die Vereinten Nationen in ihrer heutigen Universalität versucht sein könnten, Artikel 2 Ziffer 6 gegenüber einem Nichtmitglied durchzusetzen.

b. Bis vor kurzem hatte die Frage der möglichen Beteiligung von Nichtmitgliedern an Sanktionsmassnahmen der Vereinten Nationen mehr theoretische Bedeutung. Das VII. Kapitel der Charta wurde nur in der ersten Phase des Koreakonflikts angewendet, und die Gültigkeit der Art und Weise, wie es dazu kam, ist immer umstritten geblieben. Überdies wurde damals die Teilnahme an der militärischen Aktion der Vereinten Nationen in Korea dem freien Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen. Erst im Rahmen der Rhodesienkrise wurden vom Sicherheitsrat wirtschaftliche Zwangsmassnahmen in der von
der Charta vorgesehenen Form beschlossen. Als am H. November 1965 die britische Kolonie Südrhodesien ihre Unabhängigkeit proklamierte2', obwohl ihr diese vom Mutterland nicht zugestanden worden war, handelte es sich allerdings rechtlich gesehen um einen Akt der Sezession im innerstaatlichen Verhältnis, der grundsätzlich in die ausschliessliche Zuständigkeit Grossbritanniens fiel. Da Grossbritannien aber selbst den Sicherheitsrat um Unterstützung ersuchte, erliess dieser am 20. November 1965 eine entsprechende Empfehlung an die Mitgliedstaaten und Nichtmitglieder. Erst ein Jahr später ersuchte jedoch die britische Regierung den Sicherheitsrat um die Anwendung des !'Vgl. 1. Teil, I.Kap., C 7.

"Vgl. Anhang IV o.

1522 VII. Kapitels der Charta. Der Rat stellte hierauf in seiner Resolution vom 16. Dezember 1966 das Vorliegen einer Friedensbedrohung im Sinne von Artikel 39 der Charta fest und ordnete obligatorische nichtmilitärische Sanktionen gemäss Artikel 41 an. Gleichzeitig ersuchte er die UNO-Nichtmitglieder dringend, sich an diesen Zwangsmassnahmen zu beteiligen.

c. Die Schweiz wurde im November 1965 sowohl von Grossbritannien wie vom Generalsekretär der Vereinten Nationen von den beiderseits getroffenen Massnahmen unterrichtet.1' Der Generalsekretär notifizierte der Schweiz insbesondere die Resolution des Sicherheitsrates vom 20. November. Am 17. Dezember gab der Vorsteher des Politischen Departements der Öffentlichkeit bekannt, dass die Schweiz den Ereignissen in Rhodesien nicht indifferent gegenüberstehen könne, obwohl sie als Nichtmitglied der Vereinten Nationen an die Beschlüsse des Sicherheitsrates in keiner Weise gebunden sei. Insbesondere müsse sie vermeiden, eine Ausweichstelle für die Umgehung der von anderen Staaten beschlossenen Sanktionsmassnahmen zu werden. Bundesrat Wahlen kündigte an, dass der Bundesrat daher in autonomer Weise beschlossen habe, Rhodesien nicht als Staat zu anerkennen und gestützt auf den Kriegsmaterialbeschluss von 19492) jede Waffenausfuhr nach Rhodesien zu untersagen.

Gleichzeitig wurde die Einfuhr aus Rhodesien der Bewilligungspflicht unterworfen, wobei Lizenzen nur im Rahmen des sogenannten «Courant normal» erteilt werden sollten. Endlich wurden angesichts der widersprüchlichen Forderungen Grossbritanniens und Rhodesiens die Guthaben der rhodesischen Reservebank bei der Schweizerischen Nationalbank blockiert.

Mit Note vom 17. Dezember 1966 notifizierte der Generalsekretär der Vereinten Nationen dem Bundesrat die Resolution des Sicherheitsrates vom Vortage, in der auch die Nichtmitglieder dringend gebeten wurden, sich den beschlossenen Sanktionsmassnahmen anzuschliessen. Gleichzeitig ersuchte der Generalsekretär um möglichst baldige Berichterstattung über die getroffenen Massnahmen. Am 13. Januar 1967 bat der Generalsekretär den Bundesrat erneut um Bekanntgabe der von ihm unternommenen Schritte. Der Bundesrat gab hierauf eine öffentliche Erklärung ab, deren Text dem Generalsekretär vom Schweizerischen Beobachter in New York notifiziert wurde. In dieser Erklärung
heisst es insbesondere: Der Bundesrat hat die sich hieraus für unser Land ergebenden Fragen geprüft und ist zum Schiusa gekommen, dass die Schweiz sich als neutraler Staat aus prinzipiellen Erwägungen den obligatorischen Sanktionen der UNO nicht unterziehen kann. Der Bundesrat ist jedoch willens, dafür zu sorgen, dass sich auf schweizerischem Territorium für den Rhodesienhandel keine Möglichkeiten bieten, die Sanktionsmassnahmen des Sicherheitsrates zu umgehen. Aus diesen Erwägungen hat er bereits am 17. Dezember 1965 in autonomer Weise und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die Einfuhr aus Rhodesien der Bewilligungspflicht unterstellt und die notwendigen Vorkehrungen getroffen, damit keine Zunahme der schweizerischen Importe aus diesem Lande eintreten kann.

x

> Vgl. zum folgenden Bindschedler, Das Problem der Beteiligung der Schweiz an Sanktionen der Vereinten Nationen, besonders im Falle Rhodesiens, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 28,1968, S. l ff.

v Vgl. 1. Teil,H. Kap.,B5bbb.

1523 Unter dem Hinweis auf die Geringfügigkeit der aus Rhodesien stammenden Einfuhren stellt der Bundesrat fest, dass diese auf die Wirksamkeit der Sanktionen ohnehin keinen Einfluss auszuüben vermögen, dass die Schweiz aber dennoch beschlossen habe, die Importe auf den Durchschnitt der letzten drei Jahre zu beschränken. Die Ausfuhr von Kriegsmaterial bleibt weiterhin verboten, während die übrigen von der Schweiz nach Rhodesien gelieferten Waren nicht unter die Embargoliste des Sicherheitsrates fallen.

In einer weiteren, vom 7. Juni 1968 datierten Note des Generalsekretärs wurde der Bundesart eingeladen, sich den verstärkten, obligatorischen Sanktionen gegen Rhodesien anzuschliessen, die vom Sicherheitsrat am 29. Mai 1968 beschlossen worden waren. In der einstimmig angenommenen Resolution war ein nahezu vollständiger Wirtschafts- und Dienstleistungsboykott gegenüber Rhodesien verfügt worden. Der Bundesrat nahm am 5. September 1968 Bezug auf seine Erklärung vom 10. Februar 1967 und die darin angeführten autonomen Massnahmen und erinnerte daran, dass «die Schweiz sich als neutraler Staat aus prinzipiellen Erwägungen den obligatorischen Sanktionen der UNO nicht unterziehen kann. Autonom und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht hatte er jedoch Vorkehrungen getroffen, um eine Ausweitungsmöglichkeit des Rhodesienhandels und eine Durchkreuzung der Sanktionspolitik der UNO zu verhindern. Diese Haltung wird der Bundesrat auch inskünftig einnehmen.

Dabei gibt er seinem Willen Ausdruck, auch bezüglich der jüngsten Rhodesien-Resolution in autonomer Weise und im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung darüber zu wachen, dass sich auf schweizerischem Territorium für den Rhodesienhandel keine Möglichkeiten bieten, die Sanktionsmassnahmen des Sicherheitsrates zu umgehen.» d. Die von der Schweiz im Rhodesienkonflikt eingenommene Haltung lässt sich folgendermassen kennzeichnen : aa. Die Schweiz hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass sie als neutrales Nichtmitglied der Vereinten Nationen an die Beschlüsse der UNO-Organe auch dann nicht gebunden ist, wenn diese den Mitgliedern gegenüber verbindlich sind. Dies hat sie dadurch bekundet, dass sie ihre Entscheidungen autonom und nicht in Ausführung der betreffenden Beschlüsse fasste.

bb. Der Bundesrat hat aber auch in der Erkenntnis gehandelt, dass die Schweiz
eine Politik, die von einer weltumspannenden Organisation geführt wird und die Zustimmung sämtlicher Grossmächte geniesst, nicht einfach ignorieren kann. Er hat daher in autonomer Weise Massnahmen ergriffen. Vor allem wurde die Bewilligungspflicht für die Einfuhr von Waren aus Rhodesien eingeführt. Es werden im Jahr nur Einfuhren bis zum Umfang der im Durchschnitt der Jahre 1964-1966 importierten Mengen der betreffenden Warengattungen bewilligt. Damit wird die Einfuhr im Rahmen des sogenannten «Courant normal» gehalten. Dies stellt zwar nicht eine vollständige Beteiligung an den Sanktionen dar; doch kann damit verhindert werden, dass die Wirksamkeit der Sanktionen durch die Haltung der Schweiz beeinträchtigt wird; denn die Neutralität darf nicht zur Begünstigung des durch die Sanktionen Betroffenen führen.

1524 ce. Die Schweiz hat sich auf ihr Neutralitätsstatut berufen, um ihre Weigerung zu rechtfertigen, sich dem Sanktionsbeschluss des Sicherheitsrates zu unterziehen. Aus allgemein politischen Erwägungen rechtfertigte es sich aber, dass sich die Schweiz der durch die Massn ahmen der Vereinten Nationen verkörperten weltweiten Tendenz anschloss.

C. Das Verhältnis der Schweiz zu einzelnen Organen der Vereinten Nationen sowie zu ihren SpezialOrganisationen 1. Einleitung a. Die Charta der Vereinten Nationen hat für die Erfüllung der mannigfachen Aufgaben der Weltorganisation nicht nur bestimmte Organe wie die Generalversammlung, den Sicherheitsrat, den Wirtschafts- und Sozialrat, den Treuhandschaftsrat, das Sekretariat und den Internationalen Gerichtshof geschaffen, sondern sie hat diese zum Teil noch zusätzlich ermächtigt, die allenfalls benötigten Hilfsorgane selbst ins Leben zu rufen. Diese Befugnis wird durch Artikel 22 der Generalversammlung, durch Artikel 29 dem Sicherheitsrat und durch Artikel 68 dem Wirtschafts- und Sozialrat verliehen, diesen allerdings nur für die Bestellung von Kommissionen. Auf Grund des Artikels 7 Ziffer 2 der Charta kann die Organisation auch sonstige Subsidiärorgane errichten, wenn dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig erscheint.

Die grösste Anzahl von Hilfsorganen hat die Generalversammlung geschaffen. Neben ständigen oder zeitlich beschränkten Kommissionen hat sie Fachausschüsse zur Abklärung besonderer Fragen ins Leben gerufen ; sie hat besondere Fonds zur Bestreitung von Ausgaben ausserhalb des Budgets geschaffen und autonome Programme aufgestellt. Auf dem Gebiet der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Hilfe an Entwicklungsländer sowie zur Lösung humanitärer Probleme wurden - neben dem Flüchtlingsprogramm (UNHCR, 1952) und der UNRWA (1949), der UNICEF (1946), dem PNUD (in seiner heutigen Form 1966 aus der Fusion von Erweitertem Programm [EPTA, 1949] und Sonderfonds [1958] hervorgegangen) - 1964 die UNCTAD und 1966 die ONUDI geschaffen; ferner bestehen Sonderfonds zur Entwicklung von Botswana, Lesotho und Swasiland. Im Rahmen einer friedenserhaltenden Aktion schuf die Generalversammlung die UNEF (1956-1967) sowie Beobachtermissionen. Kraft ihrer Zuständigkeit für Treuhandschaftsgebiete gründete sie den Rat für Südwestafrika (Namibia), der provisorisch einen Kommissär für dieses Territorium bestimmte.

Der Sicherheitsrat verfügt über mehrere ständige und temporäre Ausschüsse. Auf Grund der Charta steht ihm als ständiges beratendes Organ ein militärisches Komitee, gebildet aus Stabsoffizieren der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, zur Verfügung. Er unterhält Beobachtergruppen in verschiedenen Konfliktgebieten, z. B. die Beobachtergruppe in Kaschmir, und hat

1525 Friedenssicherungsaktionen angeordnet, z. B. im Kongo (ONUC) und auf Zypern (UNFICYP).

Der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) hat vier regionale Wirtschaftskommissionen ins Leben gerufen: für Afrika, Asien und den Femen Osten, Europa und Lateinamerika.

b. Im Gegensatz zum Völkerbund spielt sich bei den Vereinten Nationen die internationale Zusammenarbeit auf kulturellem, sozialem, technischem und wirtschaftlichem Gebiet nicht ausschliesslich innerhalb der Weltorganisation ab. Die Gründer der Vereinten Nationen wollten nicht nur einen Mechanismus zur Lösung internationaler Konflikte schaffen, sondern auch versuchen, ihre Ursachen zu bekämpfen und so ihre Entstehung zu verhindern. Die Charta sieht daher in Artikel 57 ausdrücklich vor, dass dafür durch zwischenstaatliche Abkommen eigene Verbände geschaffen werden können. Diese Zweckverbände sind autonome internationale Organisationen und verfügen über eine eigene völkerrechtliche Persönlichkeit. Ihre Verbindung zu den Vereinten Nationen kommt durch den Abschluss eines Abkommens mit dem Wirtschaftsund Sozialrat gemäss Artikel 63 der Charta zustande, das von der Generalversammlung zu genehmigen ist. Diese Abkommen sollen die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen regeln und eine gewisse Koordination der Tätigkeit der Zweckverbände sichern. Durch das Abkommen werden die Verbände zu SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen. Auf diesem Wege sind bereits bestehende Organisationen wie der Internationale Fernmeldeverein (UIT), der Weltpostverein (UPU) und die Internationale Arbeitsorganisation (OIT) mit den Vereinten Nationen verbunden worden. Während und nach der Entstehung der neuen Weltorganisation sind zusätzliche Verbände geschaffen worden, mit der ausdrücklichen Zweckbestimmung, SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen zu werden. Dazu gehören die Internationale Zivilluftfahrtsorganisation (OACI), die Weltbank (BIRD), der Internationale Währungsfonds (IMF), die Weltgesundheits-Organisation (OMS), die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), die Meteorologische Weltorganisation (OMM), die Zwischenstaatliche Beratende Seeschiffahrtsorganisation (IMCO), Eine Sonderstellung nehmen das Allgemeine Handels- und Zollabkommen (GATT) und die Internationale Atomenergie-Agentur
(AIEA) ein. Das erste war als Übergangsorgan bis zum Inkrafttreten der nie zustandegekommenen Welthandelsorganisation gedacht, bei der zweiten besteht eine besonders enge Bindung an Generalversammlung und Sicherheitsrat, die über das für die SpezialOrganisationen übliche Mass hinausgeht.

c. In Übereinstimmung mit den 1946 aufgestellten Richtlinien1' beteiligt sich die Schweiz an allen Organen und SpezialOrganisationen, wenn dies für ein Nichtmitglied der Vereinten Nationen möglich ist und nicht besondere Gründe dagegen sprechen. Die Schweiz ist daher Mitglied fast aller Organisationen, die mit den Vereinten Nationen in unmittelbarer oder mittelbarer Be*> Vgl. 1. Teil, HI. Kap., A l d.

1526 ziehung stehen. Die Stellung der Schweiz als mittlere Wirtschaftsmacht und die Tatsache, dass immer mehr bedeutende technische und wirtschaftliche Aufgaben internationalen Organisationen übertragen werden, verlangt eine möglichst umfassende Teilnahme, 2. Das Verhältnis zu Organen der Vereinten Nationen

a. Die Schweiz gehört nur einem Hauptorgan der Vereinten Nationen, nämlich dem Internationalen Gerichtshof, an, da ein Beitritt zu dessen Statut auf Grund von Artikel 93 Ziffer 2 der Charta auch für Nichtmitglieder der Organisation möglich ist, allerdings «unter Bedingungen, die in jedem einzelnen Fall auf Empfehlung des Sicherheitsrates durch die Generalversammlung festzusetzen sind».

aa. Die Konsultativkommission vom 14. und 15. November 1945, die sich über die Möglichkeit eines Beitritts der Schweiz zu den Vereinten Nationen zu äussern hatte, kam zum Schluss, dass ein Beitritt unter Wahrung des traditionellen Neutralitätsstatuts anzustreben sei und dass es auch für die Schweiz vorteilhaft wäre, «so bald wie möglich mit den verschiedenen von den Vereinten Nationen gegründeten technischen Organisationen zusammenzuarbeiten und insbesondere dem Internationalen Gerichtshof bcizutreten»1). Angesichts der auf Grund von Artikel 93 Ziffer 2 der Charta zu erwartenden Bedingungen für einen Beitritt und um das Risiko einer Ablehnung des schweizerischen Gesuches auszuschalten, liess der Bundesrat vorerst durch das Politische Departement Sondierungen bei verschiedenen Mitgliedstaatcn der Vereinten Nationen, insbesondere den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, vornehmen.

Diese verliefen ermutigend und veranlassten den Bundesrat, zu beschliessen, dass durch ein Schreiben an den Generalsekretär der Vereinten Nationen um Bekanntgabe der Bedingungen gebeten werden solle, unter denen die Schweiz dem Internationalen Gerichtshof beitrcten könnte. Der Sicherheitsrat überwies die Anfrage vorerst einem Sachverständigenausschuss. Der Ausschuss empfahl, es sei von der Schweiz die Anerkennung der in den Artikeln 25, 94 und 103 der Charta enthaltenen Verpflichtungen zu verlangen. Der Sicherheitsrat beschloss jedoch am 15. November 1946 einstimmig, zusätzlich zur Annahme des Statuts des Internationalen Gerichtshofes einzig zu fordern, dass die Schweiz alle einem Mitglied der Vereinten Nationen atts Artikel 94 der Charta erwachsenden Pflichten auf sich nehme und an die Ausgaben des Gerichtshofes einen angemessenen Beitrag zahle. Am l I.Dezember folgte die Generalversammlung einstimmig der Empfehlung des Sicherheitsrates, bb. Artikel 94 der Charta, dessen Anerkennung die Voraussetzung eines Beitritts der Schweiz
zum Statut des Internationalen Gerichtshofes bildete, hat folgenden Wortlaut: l. Jedes Mitglied der Vereinten Nationen verpflichtet sich, in jedem Streitfall, ui dem es Partei ist, sich der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes zu fügen.

1J

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 8. Juli 1947 über den Beitritt der Schweiz zum Statut des Internationalen Gerichtshofes, BB1194711510, S. 512 ff.

1527 2. Wenn eine Streitpartei es unterlässt, die ihr auf Grund einer vom Gerichtshof gefällten Entscheidung obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, kann sich die andere Partei an den Sicherheitsrat wenden, der, wenn er es für nötig hält, Empfehlungen aussprechen oder Massnahmen beschliessen kann, die ergriffen werden sollen, um der Entscheidung Wirksamkeit zu verschaffen.

Hat der Sicherheitsrat gestützt auf Ziffer 2 des Artikels 94 die Möglichkeit, Massnahmen im Rahmen des VII. Kapitels der Charta zu ergreifen, und wäre die Schweiz in einem solchen Falle gezwungen, sich auf Aufforderung des Sicherheitsrates an solchen Massnahmen zu beteiligen? Der Bundesrat legte dieses Problem einer Expertenkommission vor, die geteilter Meinung war, sich jedoch mehrheitlich der Auffassung anschloss, die in der Botschaft vom 8. Juli 1947 vertreten wurde (BB11947II 510, 512 ff.). Der Bundesrat kam dort zu folgendem Ergebnis : Die Formulierung des Sicherheitsrates «alle Verpflichtungen, die einem Mitglied aus Artikel 94 der Charta erwachsen», bedeutet im Lichte des Berichtes des Sachverständigenausschusses, dass die Schweiz auch gemäss Artikel 25 der Charta sich zur Befolgung der auf Grund von Artikel 94 Ziffer 2 gefassten Beschlüsse zum voraus verpflichten und den so entstandenen Pflichten in Übereinstimmung mit Artikel 103 den Vorrang vor allen anderen Vereinbarungen geben muss. Doch ist weder die den Streit gewinnende Partei verpflichtet, den Sicherheitsrat im Falle der Nichtbefolgung des Urteils anzurufen, noch muss der Sicherheitsrat selbst einem Antrage stattgeben oder gar verbindliche Massnahmen beschliessen. Der Widerspruch, der zwischen einem Gerichtsurteil und anderweitigen Verpflichtungen einer Streitpartei entstehen kann, entspricht im übrigen einem Risiko, das jeder Unterbreitung eines Streitfalles unter ein richterliches Verfahren innewohnt Artikel 94 ermächtigt den Sicherheitsrat nicht, Massnahmen im Suine des VII. Kapitels der Charta zu ergreifen. Einmal sind solche Massnahmen nur bei Vorliegen einer Bedrohung des Friedens möglich; damit steht die Nichtbefclgung eines Gerichtsurteils in keiner Verbindung. Anderseits zählt Artikel 24 Ziffer 2 die Kapitel, in denen dem Sicherheitsrat spezifische Befugnisse verliehen werden, abschliessend auf. Kapitel XIV, das den Artikel 94 enthält, fehlt in dieser
Liste. Der Sicherheitsrat kann somit auf Grund des Artikels 94 kerne der in den Artikeln 41 und 42 vorgesehenen Massnahmen beschliessen und die Schweiz auch nicht angesichts ihres Beitritts zum Statut des Internationalen Gerichtshofes verpflichten, an solchen Massnahmen teilzunehmen.

Der Bundesrat gab zu, dass seine Auslegung der Charta für die Vereinten Nationen nicht verbindlich sei, meinte aber, eine authentische Interpretation durch den Internationalen Gerichtshof selbst könne von der Schweiz nicht erzwungen werden und sei auch gar nicht erwünscht, da die Wahrscheinlichkeit, dass der Sicherheitsrat auf Grund von Aitikd 94 Ziffer 2 je einen verbindlichen Beschluss fassen werde, als äusscrst gering zu veranschlagen sei. Bundesrat Petitpierre sagte überdies vor den eidgenössischen Räten, die Gefahr, dass der Sicherheitsrat die Schweiz als Nichtmitglied der Vereinten Nationen zur Beteili-

1528 gung an Sanktionsmassnahmen auffordere, bestehe auch ausserhalb von Artikel 94 der Charta.1) cc. Die eidgenössischen Räte stimmten dem Beitritt zum Internationalen Gerichtshof zu, und dieser wurde am 28. Juli vollzogen. Bisher ist die Schweiz nur in einem Falle an den Gerichtshof gelangt, nämlich in ihrem Streit mit den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtslage der Interhandel. Nach zwei Zwischenentscheiden des Gerichtshofes über vorläufige Massnahmen vom 24. Oktober 1957 und über vorläufige prozessuale Einreden vom 21. März 1959, in denen vom Gerichtshof festgestellt wurde, dass der Instanzenzug vor den amerikanischen Gerichtshöfen noch nicht erschöpft sei, kamen die Schweiz und die Vereinigten Staaten vor der Behandlung der Hauptsache überein, den Streit auf gütlichem Wege beizulegen.

Bei drei Wahlen (1960,1963,1966) stellte die Schweiz eine Kandidatur für das Amt eines Richters in den Internationalen Gerichtshof auf. Trotz der allerseits anerkannten Qualifikation der schweizerischen Kandidaten unterlagen sie mit einer ehrenvollen Stimmenzahl gegen Vertreter von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.

b. Die Schweiz beteiligt sich an den Arbeiten verschiedener Organe der Generalversammlung der Vereinten Nationen : aa. Die Schweiz ist in der Betäubungsmittelkommission der Vereinten Nationen vertreten, die in Genf tagt und die Nachfolge eines entsprechenden Organs des Völkerbundes übernommen hat. Der Schweizer Joseph Dittert bekleidet das Amt des Sekretärs der Kommission. Auch sein Amtsvorgänger Louis Atzen weiler war Schweizerbürger.

bb. Die Schweiz hat sich an den verschiedenen Organen beteiligt, die sich im Rahmen der Vereinten Nationen mit dem Problem der Flüchtlinge befassen.

Als Nachfolgeorganisation des aufgelösten Intergouvernementalen Komitees des Völkerbundes wurde am 15. Dezember 1946 in Flushing Meadows die Internationale Flüchtlingsorganisation (IRÒ) geschaffen. Sie erwarb am 15. Dezember 1948 den Status einer UNO-Spezialorganisation. Die Schweiz trat ihr am 28. März 1949 bei (BB11949 I 101). Die Organisation wurde jedoch schon am 31. Dezember 1951 wieder aufgelöst und durch das Amt eines von der Generalversammlung abhängigen Hochkommissars der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge (UNHCR) ersetzt, der seinen Sitz in Genf hat. Dem Hochkommissar steht ein Exekutivausschuss
zur Seite. Die Schweiz stellt dem Amt des Hochkommissars jährlich finanzielle Beiträge zur Verfügung. Zwei Schweizer, August Lindt und Felix Schnyder, bekleideten nacheinander den Posten eines Hochkommissars.

Ein gesondertes, vom Hochkommissar für die Flüchtlinge unabhängiges Organ ist das Amt der Vereinten Nationen für die Palästina-Flüchtlinge (UNRWA), das 1949 geschaffen wurde. Die Schweiz leistet jährliche finanzielle Beiträge.

!> Vgl. StB N1947, S. 547 ff., StB S1948, S. 29 ff.

1529 ce. Auf dem Gebiete der multilateralen Hilfsfonds zugunsten der Entwicklungsländer nimmt die Schweiz aktiv am Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (PNUD) teil, das durch freiwillige Beiträge finanziert wird. Das Programm ging 1966 aus der Fusion des seit 1949 bestehenden Erweiterten Programms mit dem 1958 geschaffenen Sonderfonds hervor, an welche die Schweiz ebenfalls finanziell beigetragen hatte.

Unser Land ist im Verwaltungsrat des PNUD vertreten und hat damit ein Mitspracherecht bei der Verteilung der von 122 Staaten freiwillig geleisteten Beiträge, die für 1968 183,5 Millionen Franken betrugen. Sie sind für technische Hilfe und Projekte zur Schaffung günstiger Bedingungen für eine spätere Investition bestimmt. Das PNUD stellt zur Bedingung, dass sich die Entwicklungsländer ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend an der Ausführung finanziell beteiligen. Über die Hälfte des zur Verfügung stehenden Betrages wird von den Regierungen der Entwicklungsländer, in denen die Projekte ausgeführt werden, aufgebracht. Der schweizerische Beitrag belief sich 1968 auf 11 Millionen Franken. Für 1969 werden 12,15 Millionen Franken zur Verfügung gestellt. Die schweizerische Wirtschaft stellt zahlreiche Experten zur Durchführung des Programms. Ferner kommen schweizerische Einzelfirmen und Konsortien in die Lage, im Submissionsverfahren mit der Ausführung von Teilprojekten beauftragt zu werden. Das Büro des ständigen Vertreters des PNUD in Europa sowie ein Rekrutierungszentrum für Experten befinden sich in Genf.

Die Schweiz ist seit 1947 Mitglied des Ende 1946 von der Generalversammlung ins Leben gerufenen Kinderhilfsfonds der Vereinten Nationen (UNICEF), den sie durch jährliche Beiträge (1969 mit 3,72 Mio. Fr.) unterstützt. Unser Land hat sowohl im Programmkomitee als auch im Verwaltungsrat des UNICEF Sitz und Stimme, Zweimal waren Schweizer Vorsitzende des Verwaltungsrats. Der Schweizer Charles-Albert Egger ist im Sekretariat des UNICEF als stellvertretender Generaldirektor tätig; mehrere Schweizer vertreten das Kinderhilfswerk in einzelnen Ländern.

Als gemeinsames Organ der Vereinten Nationen und der FAO wurde 1961 das Welternährungs-Programm (PAM) geschaffen. Aufgabe dieses Organs ist die Beschaffung von Nahrungsmittelüberschüssen und ihre Verteilung in Hungergebieten sowie die Mitwirkung an
Projekten, bei denen die Nahrungsmittelproduktion im Dienste der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung steht.

Die Schweiz trägt für 1969 1,45 Millionen Franken an das PAM bei; ferner stellt sie Milchpulver im Werte von 700 000 Franken zur Verfügung.

dd. Auf Empfehlung des Wirtschafts- und Sozialrates hat die Generalversammlung auf den 23. März 1964 eine weltweite Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) einberufen. Diese tagte bis zum 16. Juni in Genf und forderte in einer Schlussresolution ihre Institutionalisierung. Da gegen die Schaffung einer entsprechenden SpezialOrganisation erheblicher Widerstand aufgetreten war, wurde die Konferenz zu einem ständigen Organ der Generalversammlung gemacht. Die UNCTAD versucht, handelspolitische Massnahmen zu veranlassen und zu koordinieren, welche die ExBundcsWatt, 121. Jahrg. Bd. I

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porterlöse der Entwicklungsländer stabilisieren und ihren Produkten den Zugang zum Weltmarkt erleichtern würden. Neben der handelspolitischen befasst sich die Organisation auch mit der finanzieEen Entwicklungshilfe, dem Dienstleistungssektor und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern. Die Schweiz war bereits an der ersten Konferenz vertreten und nahm in der Schlussphase massgeblich im Verhandhmgsausschuss teil, der die Grundlagen der neuen Institutionen schuf. Die Vollkonferenz soll üblicherweise alle drei Jahre zusammentreten. Die zweite Konferenz fand infolge der Notwendigkeit zusätzlicher Vorbereitungen im Frühjahr 1968 in Neu-Delhi statt.

Der Handels- und Entwicklungsrat, welchem die Schweiz wegen ihres relativ grossen Anteils am Welthandel ständig angehört, ist ein permanentes Organ der Vollkonferenz; er tritt ein- bis zweimal jährlich zusammen. Im Amtsjahr 1967/68 wurde der Rat vom schweizerischen Vertreter, Botschafter Jolies, präsidiert. Die Schweiz war in verschiedenen Spezialkomitees, deren Mitglieder vom Handelsund Entwicklungsrat gewählt werden, von Anfang an vertreten. Die eidgenössischen Räte haben am 29. September 1965 einen Kredit für die jährlichen Beitragszahlungen an die Verwaltungskosten bewilligt und damit der Beteiligung der Schweiz zugestimmt (BB1 1965 II 1462). In seiner Botschaft vom 1. Juni 1965 stellte der Bundesrat fest, dass unser Land sich durch seine Teilnahme an einem so wichtigen Organ der Generalversammlung den Vereinten Nationen annähere, ohne dass jedoch sein rechtlicher Status eines Nichtmitgliedes berührt werde (BEI 1965 11555).

Zur Sicherstellung einer angemessenen Verteilung der Sitze im Rat und in den Fachkomitees unter den verschiedenen Regionen, Wirtschaftssystemen und Entwicklungsstufen sind die Mitgliedstaaten der UNCTAD in fünf Gruppen eingeteilt worden. Die Schweiz gehört der Gruppe B an, die sämtliche OECD-Staaten sowie Australien und Neuseeland umfasst. Diese Gruppen sind nicht nur für die Wahlen von Bedeutung, sondern bilden die Grundlage eines inoffiziellen Koordinationsmechanismus in Sachfragen.

Der UNCTAD obliegt u. a. die Durchführung von Rohstoff- und anderen Konferenzen auf dem Gebiete von Handel und Wirtschaftsentwicklung. Bisher fanden Konferenzen zur Regelung hängiger Fragen, bzw. Anpassung oder Verlängerung
internationaler Übereinkommen statt, u. a. für folgende Rohstoffe: Kaffee, Zucker, Olivenöl, Zinn, Kautschuk und Kakao. Beim Kakao vertritt die Schweiz die Interessen der kleineren Konsumentenländer in einem aus sechs Konsumenten und Produzenten zusammengesetzten vorbereitenden Komitee. Ferner führte eine Konferenz betreffend Transithandel der Binnenländer, die unter der Leitung des Schweizer Botschafters Ruegger durchgeführt wurde, zum Abschluss eines Übereinkommens.

Die UNCTAD hat ein ständiges Sekretariat mit Sitz in Genf, in dem Schweizer in leitenden Positionen tätig sind. Es wird von einem Generalsekretär geleitet.

ee. In zwei Resolutionen vom 20. Dezember 1965 und 17. November 1966 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Organisation der Ver-

1531 einten Nationen für industrielle Entwicklung (ONUDI) geschaffen. Diese ist trotz ihres Namens keine Spezialorganisation, sondern ein ständiges Organ der Generalversammlung gleich wie die UNCTAD. Ihr Sitz ist Wien. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen bezeichnet einen Rat für die industrielle Entwicklung, dem die Schweiz seit seiner Gründung angehört. Ein von einem Exekutivdirektor geleitetes Sekretariat, in dem ebenfalls Schweizer Bürger tätig sind, führt die vom Rat erteilten Direktiven aus. 1967 fand in Athen ein von der ONUDI organisiertes Symposium für industrielle Entwicklung statt, in dem die Schweiz eine aktive Rolle spielte. Der schweizerische Delegationschef präsidierte eines der drei Hauptkomitees der Tagung.

Das Budget der ONUDI, das für 1969 bereits Ausgaben von rund 40 Millionen Franken vorsieht, ist aufgeteilt in Verwaltungs- und Forschungskosten.

Im Gegensatz zur UNCTAD ist die ONUDI eine der Organisationen, die vom PNUD für die Ausführung von Entwicklungsprojekten herangezogen werden.

Durch Beschluss der eidgenössischen Räte vom 18. September 1968 wurde ein Kredit für die jährlichen Beitragszahlungen gutgeheissen und damit der Beteiligung der Schweiz an diesem neuen Organ zugestimmt.

ff. Seit 1965 besteht das Institut der Vereinten Nationen für Ausbildung und Forschung (UNITAR), mit Sitz in New York. Seine Aufgabe ist die Ausbildung von Leuten aus Entwicklungsländern, die in nationalen Verwaltungen oder bei den Vereinten Nationen eingesetzt werden sollen. Die UNITAR führt zu diesem Zwecke Kurse in New York, Genf und auf regionaler Basis an anderen Orten durch. Das Forschungsprogramm der UNITAR befasst sich vor allem mit dem Problem der Vermittlung des technologischen Wissens an Entwicklungsländer, das sich infolge der Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte in industrialisierte Staaten ergibt. Die Schweiz leistet an die Betriebsunkosten der UNITAR finanzielle Beiträge.

gg. In Genf besteht ein Forschungsinstitut der Vereinten Nationen für Sozialentwicklung (UNRISD), das von der Schweiz finanziell unterstützt wird.

hh, 1967 beschloss die 22. Generalversammlung, dass der von der Kommission für Internationales Recht vorbereitete Konventionsentwurf betreffend diplomatische Sondermissionen von der 6. Kommission beraten werden solle.

Zu Beginn der 23. Generalversammlung
beschloss die für Rechtsfragen zuständige 6. Kommission, zu den Beratungen dieses Punktes der Tagesordnung die Schweiz mit Mitspracherecht, aber ohne Stimmrecht, zuzulassen.

c. Die Schweiz gehört keinem der Organe des Sicherheitsrates an, hat sich aber beispielsweise an gewissen Tätigkeiten im Kongo beteiligt,1' Sie ist auch nicht Mitglied des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC), doch lässt sie seine Arbeiten durch Beobachter verfolgen. In den vier regionalen Kommissionen des Rates besitzt sie konsultativen Status, d. h. ihre Vertreter nehmen an den Arbeiten ohne Stimmrecht teil. Dies ist insbesondere auch in der Europäischen Wirtschaftskommission (ECE) der Fall, wo die Schweiz, im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, die den Vereinten Nationen ebenfalls nicht ange*> Vgl. l. Teil, HI. Kap., B 2 c.

1532 hört, die Vollmitgliedschaft nicht erworben hat. Auf Grund einer Resolution des Wirtschafts- und Sozialrates aus dem Jahre 1951 nehmen dagegen die Vertreter der Schweiz an den Arbeiten der subsidiären Organe der Europäischen Wirtschaftskommission mit vollem Stimmrecht teil, 3. Das Verhältnis zu den SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen

«. Den SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen, die sich mit Finanzierungs- und Währungsfragen befassen, gehört die Schweiz nicht an. Es handelt sich um den Internationalen Währungsfonds (IMF) und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (B1RD), auch kurz Weltbank genannt. Beide Institute sind aus der Konferenz von Bretton Woods (1.-22. Juli 1944) hervorgegangen und haben ihre Tätigkeit Ende 1945 in Washington aufgenommen. In der Folge sind der Weltbank zwei weitere Institute angegliedert worden, nämlich die Internationale Finanzkorporation (IFC) im Jahre 1956 und die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) im Jahre 1960.

Diese Institute haben sich in der Nachkriegszeit zu wichtigen Stützen der Weltwirtschaft entwickelt. Während dem IMF die Sorge für die Erhaltung und Entfaltung eines geordneten zwischenstaatlichen Zahlungsverkehrs obliegt, ist es Aufgabe der Weltbank und ihrer Tochterinstitute, bei der Förderung langfristiger Entwicklungsvorhaben, namentlich in den wirtschaftlich weniger fortgeschrittenen Mitgliedländern, mitzuhelfen. Das erforderliche Kapital beschafft sich die Weltbank vorwiegend an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten. Sie finanziert Entwicklungsprojekte gegen Regierungsgarantie zu marktgemässen Bedingungen, wogegen die IDA zinslose Darlehen mit Rückzahlungsfristen bis zu 50 Jahren gewährt. Was die IFC angeht, so fördert sie die industrielle Entwicklung privater Unternehmungen auf marktkonformer Basis.

Nach Kriegsende standen einem Beitritt der Schweiz zum IMF praktisch unüberwindliche Hindernisse entgegen. Eine Beteiligung am Fonds hätte, weil zahlungsbiianzschwache Mitglieder die Möglichkeit haben, einseitig Restriktionsmassnahmen zu ergreifen, unsere wirtschaftliche Handlungsfreiheit über Gebühr einengen und damit die Existenz unserer Exportwirtschaft bedrohen können. Seither hat sich die Lage geändert. Die Devisenbewirtschaftung ist von einem weitgehend liberalisierten Handels- und Zahlungsverkehr abgelöst worden.

Wenn der Beitritt trotzdem noch nicht vollzogen werden konnte, so ist dies auf folgende Erwägungen zurückzuführen: Einmal verfügt die Schweizerische Nationalbank über kein angemessenes Instrumentarium, um allfälligen jnflatorischen Auswirkungen bei der Schaffung von Schweizerfranken im Zusammenhang mit der Ausübung von
Ziehungsrechten wirksam zu begegnen.

Wohl hat der Bundesrat den Entwurf und die Botschaft über eine Revision des.

Nationalbankgesetzes im Sinne einer Erweiterung des notenbankpolitischen Instrumentariums verabschiedet. Es bleibt aber der - zurzeit noch Ungewisse Ausgang des parlamentarischen Verfahrens abzuwarten. - Die lange Zeit bestehende Ungewissheit über eine Reform des internationalen Währungssystems

1533 und des Währungsfonds ist insoweit behoben, als eine Einigung über die Revision einer Reihe von Bestimmungen der IMF-Statuten, u. a. bezüglich der Einführung von sogenannten Sonderziehungsrechten, zustande gekommen ist.

Zurzeit ist es indessen noch schwer, sich ein Bild davon zu machen, welches der Umfang der Verpflichtungen sein wird, die im Falle der Aktivierung solcher Ziehungsrechte einem Gläubigerland erwachsen. - Daneben bestehen einige technische Schwierigkeiten, die sich bei einem Beitritt aus der Übernahme der Fonds-Statuten ergeben. Dies betrifft insbesondere die Vorschriften über die zulässigen Margen für Wechselkursschwankungen. - Schliesslich darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass der Beitritt eine namhafte Belastung des Bundesfiskus mit sich bringen würde.

Eine gründliche Überprüfung der Beziehungen unseres Landes zum Währungsfonds ist indessen im Gang.

Trotz ihrer Nichtmitgliedschaft unterhält die Schweiz mit dem IMF recht enge Beziehungen. So wurde der Bundesrat mit Bundesbeschluss vom 4. Oktober 1963 ermächtigt, zur Verhütung oder Behebung ernsthafter Störungen der Währungsstabilität Mittel bis zu 200 Millionen Dollar zur Verfügung zu stellen. Damit war die Schweiz in der Lage, sich an den wichtigsten internationalen Stützungsaktionen der letzten Jahre zu beteiligen. Unser Land wurde zudem regelmässig eingeladen, Beobachter an die jeweiligen Jahrestagungen des IMF sowie an die Beratungen und Verhandlungen über eine Reform des internationalen Währungssystems und über internationale Stützungsaktionen zu entsenden.

Da die Mitgliedschaft beim IMF Voraussetzung für diejenige bei der Weltbank und ihren Zweiginstituten ist, musste sich die Schweiz auch hier auf eine enge Zusammenarbeit ohne Beitritt beschränken, obwohl sie den Zielen und dem Wirken der Weltbank von Anfang an positiv gegenüberstand. Bereits am 29. Juni 1951 hat unser Land mit der Bank eine Vereinbarung getroffen, in welcher der internationale Status und die Rechtsfähigkeit dieser Institution anerkannt werden. Die Weltbank geniesst somit in der Schweiz die gleichen Rechte wie in den Mitgliedstaaten. Der Bund hat der Weltbank verschiedene Darlehen gewährt ; auch wurde ihr der Zugang zum schweizerischen Kapitalmarkt geöffnet. Durch Bundesbeschluss vom 21. Dezember 1967 hat auch die IDA einen Beitrag erhalten
(BB11968111).

b. In den ersten Nachkriegsjahren bestand die Absicht, eine Spezialorganisation der Vereinten Nationen für den Welthandel zu schaffen. Im Frühjahr 1948 tagte in Havanna eine Welthandelskonferenz, welche die Charta der geplanten Organisation am 24. März 1948 genehmigte. Zuvor war in Genf eine vorbereitende Konferenz zusammengetreten, die für die zu erwartende längere Zeitspanne bis zum Inkrafttreten der geplanten Charta eine Interimslösung schaffen sollte. Zu diesem Zwecke wurde am 30. Oktober 1947 ein Provisorisches Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) abgeschlossen, das die wichtigsten Regeln der Welthandelscharta für die Übergangszeit vorläufig in Kraft setzte. Da die Welthandelsorganisation nie zustande kam, ist das GATT schliesslich zu einer dauernden Institution geworden. Sein Sitz ist Genf.

1534 Es ist hier darauf hinzuweisen, dass das GATT in seiner gegenwärtigen Gestalt mit den Vereinten Nationen sozusagen keinen Zusammenhang aufweist.

Das GATT war ursprünglich unter 23 für den Welthandel besonders wichtigen Nationen unter Vorwegnahme der erst später verhandelten Welthandelscharta abgeschlossen worden ; es enthält im wesentlichen das Kapitel «Handelspolitik» des Chartaentwurfes. Um die Verbindung zwischen dem GATT und der «International Trade Organisation» zu halten und seine Überführung in die neue Organisation im gegebenen Augenblick zu sichern, wurde die sog. ICITO vereinbart («Interim Commission for thè International Trade Organisation»). Nachdem die Welthandelscharta nicht Wirklichkeit wurde, stellt die ICITO den einzigen Zusammenhang zwischen GATT und Vereinten Nationen dar, ein Zusammenhang, der aber nur die 23 ursprünglichen Mitgliedstaaten des GATT betrifft. Die übrigen der heute fast 80 Mitglieder des GATT stehen durch diese Organisation mit der UNO in keiner Verbindung. Die ICITO hat im übrigen nun seit fast 20 Jahren nie mehr getagt.

Die Schweiz war dem GATT vorerst ferngeblieben, weil Artikel XI und XII des Abkommens ähnlich wie beim Währungsfonds den Staaten mit knapper Währung die Handhabung von Einfuhrbeschränkungen untersagen. Da die Schweiz im Rahmen ihrer Landwirtschaftspolitik Einfuhrbeschränkungen für Agrarprodukte kennt, war eine Mitgliedschaft ausgeschlossen. Überdies stand einem Beitritt Artikel XV des GATT entgegen, wonach Nichtmitglieder des Währungsfonds mit den anderen GATT-Staaten ein Währungsabkommen schliessen müssen, das den Grundsätzen des Fonds entspricht. Die gleichen Gründe wie für das Fernbleiben vom Währungsfonds sprachen auch gegen den Abschluss solcher Abkommen. Im Laufe der Jahre gelang es der Schweiz jedoch, einen provisorischen Dispens von Artikel XI in bezug auf ihre landwirtschaftliche Einfuhrgesetzgebung und den Verzicht auf die Bedingung des Abschlusses eines Währungsabkommens zu erwirken. Dies war nur im Rahmen einer provisorischen und alle drei Jahre zu erneuernden Mitgliedschaft möglich, die am 22. November 1958 zustandekam. Erst nach neuen, jahrelangen Verhandlungen gelang es, die Aufnahme der Schweiz als Vollmitglied zu erwirken, ohne dass sie ihre Handlungsfreiheit in der Einfuhrpolitik im geringsten hätte einschränken müssen. Die
Aufnahme kam am I.April 1966 zustande1'. Seit dem 6. Mai 1968 bekleidet der Schweizer Olivier Long das Amt des Generaldirektors.

c. Verschiedene vor dem zweiten Weltkrieg entstandene Organisationen, denen die Schweiz angehörte, sind auf Grund eines Abkommens mit dem Wirtschafts- und Sozialrat gemäss Artikel 63 der Charta zu Spezialorganisationen der Vereinten Nationen geworden : aa. Die Internationale Arbeitsorganisation (OIT) ist 1919 durch den Friedensvertrag von Versailles geschaffen worden. Obwohl die Schweiz nicht Vertragsstaat des Friedeiisveitiages wai, konnte sie durch den Beitritt zu seinem Kapitel über die Statuten der Arbeitsorganisation Mitglied der OIT werden.

V Vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 10. Mai 1966, in BB1 1966 1713, und den Bundesbeschluss vom 30. Juni 1966, in AS 1966 962.

1535 An ihrer 29. Session vom 19. September bis zum 9. Oktober 1946 beschloss die Internationale Arbeitskonferenz, die Satzung der Organisation den durch die Auflösung des Völkerbundes und die Entstehung der Vereinten Nationen geschaffenen veränderten Umständen anzupassen. Gleichzeitig wurde ein Abkommen mit dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen vom 30. Mai 1946 gutgeheissen, durch das die OIT eine SpezialOrganisation der Vereinten Nationen wurde. Das Abkommen wurde am 14. Dezember 1946 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen genehmigt und erhielt dadurch Rechtskraft. Der Bundesrat hat diese Statutenänderung den eidgenössischen Räten mit Botschaft vom 11. Februar 1947 (BB119471 665) unterbreitet. Die Räte haben sie mit Bundesbeschluss vom 26. März 1947 gutgeheissen (AS 1948 913), Sitz der Internationalen Arbeitsorganisation ist seit ihrer Gründung Genf.

bb. Die beiden ältesten noch bestehenden internationalen Organisationen sind der aus der 1865 gegründeten Welttelegraphenunion hervorgegangene Internationale Femmeldeverein (UIT) und der 1874 gegründete Weltpostverein (UPU). Beide revidieren ihre Satzung in regelmässigen Abständen. Die für die Schweiz gültige neueste Fassung stammt für den Fernmeldeverein aus dem Jahre 1960, für den Weltpostverein aus dem Jahre 1964. Beide Vereine sind SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen geworden, der Fernmeldeverein durch Vertrag vom 14. August 1947, der Weltpostverein durch Vertrag vom 4. Juli 1947. Die UNO-Generalversammlung genehmigte beide Verträge am 15. November 1947. Sie sind am 1. Januar 1949 bzw. am 1. Juli 1948 gemeinsam mit den revidierten Satzungen der beiden Vereine in Kraft getreten. Sitz des Fernmeldevereins ist Genf, während der Weltpostverein seinen angestammten Sitz in Bern seit der Gründung beibehalten hat. Von 1875 bis 1966 waren stets Schweizer Direktoren des Weltpostvereins : Eugène Borei, Edmond Holm, Eugène Ruffy, Camille Décoppet, Evarist Garbanni-Nerini, Reynold Furrer, Alois Murri, Fritz Hess, Edouard Weber.

à. Die Schweiz ist mit Ausnahme der Bretton Woods Institute Mitglied aller SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen, welche nach deren Gründung entstanden.

aa. Noch während des zweiten Weltkrieges tagte in Chicago vom l. November bis zum 7. Dezember 1944 eine internationale Luftfahrtskonferenz,
die am letzten Tage ihrer Beratungen eine Reihe von Übereinkünften abschloss, darunter auch die Satzung einer Internationalen Zivilluftfahrtsorganisation (OACIJICAO), als Nachfolgerin der Luftschiffahrtsorganisation der Zwischenkriegszeit. Das Übereinkommen trat am 4. April 1947 in Kraft. Während der Übergangszeit amtierte ein Interimsausschuss, der mit dem Wirtschaftsund Sozialrat am 30. September 1946 ein Abkommen schloss. Dieses wurde am 14. Dezember 1946 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen genehmigt. Sitz der Organisation ist Montreal. Die Schweiz hat die Satzung der ICAO auf Grund des Bundesbeschlusses vom 13. Dezember 1946 ratifiziert (AS 1947 1375).

1536 bb. Am 16. Oktober 1945 wurde in Quebec die Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) unterzeichnet.

Sie war von einem bereits im Jahre 1943 bestellten Interimsausschuss ausgearbeitet worden. Der Ausschuss schloss am 10. Juni 1946 mit dem Wirtschaftsund Sozialrat ein Abkommen, das die FAO zur SpezialOrganisation der Vereinten Nationen machte und von der Generalversammlung am 14. Dezember 1946 gutgeheissen wurde. Die FAO hat die Nachfolge des Internationalen Landwirtschaftsinstituts in Rom übernommen und diese Stadt zu ihrem Sitz gewählt. Die Schweiz wurde am 3. September 1946 als Mitglied aufgenommen.

Der endgültige Beitritt erfolgte auf Grund des Bundesbeschlusses vom 19. Dezember 1946 (AS 1948 333). Verschiedene Schweizer haben in der Organisation hohe Posten bekleidet. Louis Maire war 1959-1963 Präsident des Exekutivrates. Der spätere Bundesrat Wahlen war 11 Jahre Abteilungsleiter und bekleidete den Posten eines stellvertretenden Generaldirektors der Organisation.

P. Sartorius ist Leiter der Abteilung für Forstwirtschaft.

cc. Am 16. November 1945 genehmigte eine in London tagende Konferenz die Verfassung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Sie trat am 4. November 1946 in Kraft.

Ein umfangreiches Abkommen mit dem Wirtschafts- und Sozialrat, das der UNESCO auch den Status einer SpezialOrganisation der Vereinten Nationen verleiht, wurde am 4. Juni 1946 unterzeichnet und am 14. Dezember 1946 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gutgeheissen. Das Aufnahmegesuch der Schweiz wurde von der Generalkonferenz der UNESCO am 7. November 1947 angenommen. Der Beitritt erfolgte gestützt auf einen Bundesbeschluss vom 8. Dezember 1948 (AS 1949 333). Von 1952 bis 1956 war Jean Piaget Mitglied des Exekutivrates der UNESCO, seit 1964 ist es Bernard Barbey. Die UNESCO hat ihren Sitz in Paris.

Mit Bundesratsbeschluss vom 6. Mai 1949 wurde gemäss Artikel 7 der UNESCO-Verfassung die Nationale Schweizerische UNESCO-Kommission gegründet. Sie ist ein aktives Verbindungsorgan zwischen der Schweiz und der Organisation, Ihr ständiges Sekretariat wird vom Eidgenössischen Politischen Departement gestellt.

dd. Auf Veranlassung des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen arbeitete eine Kommission
im Frühjahr 1946 in Paris den Entwurf eines Übereinkommens aus, das die verschiedenen bestehenden internationalen Institutionen auf dem Gebiete des Gesundheitswesens durch eine umfassende Weltgesundheìts-Organìsation (OMS) ersetzt. An einer Konferenz in New York vom 19. Juni bis 22. Juli 1946, an der auch die Schweiz teilnahm, wurde das Übereinkommen am 22. Juli unterzeichnet. Ein Interimsausschuss wurde eingesetzt, der bis zum Inkrafttreten der Satzung die Geschäfte führen sollte.

Dieser schloss am 8. August 1947 mit dem Wirtschafts- und Sozialrat ein Abkommen ab, durch das der OMS der Status einer SpezialOrganisation der Vereinten Nationen verliehen wurde. Die UNO-Generalversammlung genehmigte das Abkommen am 15. November 1947; doch trat es erst am 10. Juli 1948

1537

nach seiner Genehmigung durch die Vollkonferenz der O MS in Kraft. Sitz der OMS ist Genf. Die Schweiz hat die Satzung auf Grund des Bundesbeschlusses vom 19. Dezember 1946 ratifiziert (AS 1948 1013).

ee. Am 11. Oktober 1947 hiess eine Konferenz in Paris, an der auch die Schweiz vertreten war, die Satzung einer Meteorologischen Weltorganisation (OMM) gut. Die neue Institution trat an die Stelle der Internationalen Meteorologischen Organisation, deren Anfänge bis ins Jahr 1878 zurückreichen. Das Statut ist am 23. März 1950 in Kraft getreten. Die Organisation hat Genf zu ihrem Sitz gewählt und mit dem Wirtschafts- und Sozialrat am 5. April 1951 ein Abkommen abgeschlossen, das sie zur SpezialOrganisation der Vereinten Nationen macht und von der UNO-Generalversammlung am 20. Dezember 1951 genehmigt wurde. Die Schweiz hat die Satzung der OMM auf Grund eines Bundesbeschlusses vom 21. Dezember 1948 (AS 1952 221) ratifiziert, ff. Am 6. März 1948 genehmigte eine in Genf tagende Seeschiffahrtskonferenz, an der auch die Schweiz auf Grund eines Beschlusses des Wirtschaftsund Sozialrates der Vereinten Nationen mit Stimmrecht vertreten war, das Statut einer Zwischenstaatlichen Beratenden Seeschiffahrtsorganisation (IMCO).

Das Statut trat erst am 17. März 1958 in Kraft. Die IMCO hat mit den Vereinten Nationen am 12. August 1948 ein Abkommen abgeschlossen, das sie zur SpezialOrganisation macht. Es wurde am 18. November 1948 von der UNOGeneralversammlung genehmigt. Auf Grund eines Bundesbeschlusses vom 6. Juni 1955 (AS 1958 981) ratifizierte die Schweiz die Satzung der IMCO am 22. Juni 1955. Sitz der IMCO ist London.

gg. Am 26. Oktober 1956 genehmigte eine in New York tagende Konferenz, an der auch die Schweiz vertreten war, das Statut einer Internationalen Atomenergie-Agentur (AIEA). Das Statut trat am 29, Juli 1957 in Kraft. Sitz der Agentur ist Wien. Die Agentur hat mit den Vereinten Nationen am 24. Juni 1957 ein Abkommen geschlossen, das von der Generalversammlung am 14. November 1957 gutgeheissen wurde. Das Abkommen macht die Agentur nicht zu einer Spezialorganisation, obwohl es in mancher Hinsicht den mit solchen Organisationen abgeschlossenen Vereinbarungen entspricht. Angesichts der besonderen Bedeutung der Atomenergie erfolgt durch das Abkommen eine Bindung der AIEA an die politischen Organe der Vereinten
Nationen, die ihren Status demjenigen eines UNO-Hilfsorgans annähert. Die Schweiz ist der Agentur auf Grund des Bundesbeschlusses vom 18. März 1957 (AS 1958 503) beigetreten. Bis 1961 war der gegenwärtige Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, Paul Jolies, stellvertretender Generaldirektor der AIEA, nachdem er 1957 am Sitz der Vereinten Nationen als Exekutivsekretär der vorbereitenden Kommission für die Schaffung der AIEA amtiert hatte.

4. Allgemeine Probleme, die sich aus der Beteiligung der Schweiz an Organen und SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen ergeben

a. Die Frage der grundsätzlichen Möglichkeit einer Beteiligung der Schweiz stellte sich hauptsächlich in der ersten Zeit der Tätigkeit der Vereinten Nationen. Es wäre durchaus möglich gewesen, nur Mitgliedstaaten der Verein-

1538 ten Nationen zu den SpezialOrganisationen zuzulassen. Da jedoch die Schweiz Mitglied der Organisationen bleiben konnte, die vor der Schaffung der Vereinten Nationen bestanden, wurde sie auch ermutigt, ihre Kandidatur für die neuen SpezialOrganisationen aufzustellen. Die Teilnahme der Schweiz an den Konferenzen, die von den Vereinten Nationen zur Schaffung von Spezialorganisationen einberufen wurden, stellte anfänglich gewisse Probleme. Von Fall zu Fall wurde damals über die Einladung der Schweiz entschieden, bis sich die Gewohnheit herausbildete, Mitglieder von SpezialOrganisationen auch dann einzuladen, wenn sie den Vereinten Nationen selbst nicht angehören.

b. Die Frage der Vereinbarkeit des Beitritts zu den SpezialOrganisationen und der Beteiligung an Organen der Vereinten Nationen mit der Neutralität wurde mehrmals geprüft. Besonders gründlich war dies für den Internationalen Gerichtshof der Fall1'. In den SpezialOrganisationen ergaben sich grundsätzlich keine Schwierigkeiten, da ihr Arbeitsgebiet weitgehend von technischen Problemen beherrscht wird. Dagegen musste in jedem Fall geprüft werden, inwieweit auf Grund der Abkommen mit den Vereinten Nationen gemäss Artikel 63 der Charta eine indirekte Berührung der schweizerischen Neutralität möglich war.

aa. Die Bestimmungen der verschiedenen Abkommen, in denen die Pflichten der SpezialOrganisationen gegenüber den Vereinten Nationen niedergelegt sind, haben eine sehr unterschiedliche Tragweite. Im Falle des Fernmeldevereins und der Meteorologischen Weltorganisation (Art. VI der beiden Abkommen) verpflichten sich die beiden Institutionen, mit den Vereinten Nationen und ihren Organen zusammenzuarbeiten und ihnen in Übereinstimmung mit der Charta und der Satzung der betreffenden SpezialOrganisation jede mögliche Hilfe zu gewähren, jedoch unter voller Berücksichtigung der besonderen Lage derjenigen Mitgliedstaaten, die nicht zugleich den Vereinten Nationen angehören. In der Vereinbarung zwischen den Vereinten Nationen und dem Weltpostverein verpflichtet sich dieser zu jeder mit dem Weltpostvertrage vereinbaren Hilfeleistung und anerkennt gleichzeitig, dass, was seine Mitglieder betrifft, die ebenfalls den Vereinten Nationen angehören, die Bestimmungen der Charta gemäss Artikel 103 den sich aus dem Weltpostvertrag und seinen Nebentexten ergebenden
Verpflichtungen vorgehen. In allen anderen Vereinbarungen zwischen den Vereinten Nationen und SpezialOrganisationen wird kein Unterschied gemacht zwischen Mitgliedstaaten, die den Vereinten Nationen angehören und solchen, die ihnen fernbleiben. Alle Vereinbarungen übernehmen wörtlich oder sinngemäss den Artikel 7 des Vertrages der UNESCO mit den Vereinten Nationen, der folgendermassen lautet: Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur kommt überein, mit dem Wirtschafts- und Sozialrat zusammenzuarbeiten, indem sie ihm jede Auskunft und Hilfe gewährt, die der Sicherheitsrat verlangen könnte, unter Einschluss der Hilfe, die dazu dient, die Vciwiiklichung der Beschlüsse des Sicherheitsrates zu ermöglichen, welche den Frieden und die internationale Sicherheit bewahren oder wiederherstellen sollen.

D Vgl. 1. Teil, III. Kap., C 2 a.

1539 bb. In seiner Botschaft vom 19. November 1946 über den Beitritt der Schweiz zur FAO äusserte sich der Bundesrat zur Frage der indirekten Berührung der schweizerischen Neutralität durch das Abkommen der FAO mit den Vereinten Nationen, das eine Bestimmung enthält, die dem eben zitierten Artikel 7 der Vereinbarung zwischen der UNESCO und dem Wirtschafts- und Sozialrat entspricht. Der Bundesrat stellte damals fest (BB11946III1092): Für die Schweiz als Nichtmitglied der UNO und immerwährend neutraler Staat besitzen die Beziehungen zum Sicherheitsrat, dem obersten politischen Organ der UNO, natürlich besonderes Interesse. Die Prüfung der Frage ergibt jedoch, dass durch diese Bestimmung des Abkommens zwischen der FAO und der UNO die schweizerische Neutralität keineswegs in Frage gestellt wird. In dem erwähnten Memorandum wird zwar ausdrücklich der Standpunkt vertreten, die Nichtmitglieder der UNO nähmen in bezug auf das Abkommen keine Sonderstellung ein. Anderseits wird aber betont, dass dieses den einzelnen Mitgliedstaaten der FAO keine direkten Verpflichtungen auferlegt, sondern nur der FAO als Ganzes. Durch ihren Beitritt zur FAO erklärt sich daher die Schweiz zwar stillschweigend damit einverstanden, dass die Informationen, die sie an die FAO liefert, eventuell an den Sicherheitsrat übermittelt werden. Da diese Informationen aber nicht vertraulicher Natur sind und in den meisten Fällen ohnehin vcröfifentlicht werden, ist die Übermittlung an den Sicherheitsrat mehr eine formelle Angelegenheit.

Bei dem erwähnten Memorandum handelt es sich um ein vom Sekretariat der FAO nach Konsultation der Rechtsabteilung des Generalsekretariats der Vereinten Nationen ausgearbeitetes Schriftstück. In der Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur UNESCO vom 20. August 1948 (BEI 1948 H 1228) wird ausdrücklich auf die im Zusammenhang mit der FAO gemachten Feststellungen verwiesen. In den Botschaften über den Beitritt zur Internationalen Zivilluftfahrtsorganisation und zur Weltgesundheitsorganisation vom 27. und 30. September 1946 (BEI 1946III 608, 703), wo die Rechtslage gleich ist, wurde die Frage nicht angeschnitten. Im Falle der ICAO hat jedoch der schweizerische Delegierte an der ersten Versammlung der Organisation, die in Montreal vom 6. bis zum 27. Mai 1947 stattfand, im Auftrage des Bundesrates die Erklärung abgegeben, die Schweiz als Nichtmitglied der Vereinten Nationen könne keine Verpflichtungen gegenüber dem Sicherheitsrat übernehmen, die mit ihrem Statut der immerwährenden Neutralität unvereinbar wären. Der Bundesrat befürchtete, dass im Falle der ICAO die Auskunftspflicht schwerwiegendere Folgen haben könnte als bei den anderen Organisationen (BB11954II492).

cc. Im Falle der Organisation für die Seeschiffahrt (IMCO) nahm der Bundesrat eine andere Haltung ein. Das Abkommen dieser Organisation mit den Vereinten Nationen enthält zwar eine mit Artikel 7 des UNESCO-Abkommens fast identische Bestimmung. Der Bundesrat vertrat aber die Auffassung, dass angesichts der grossen Bedeutung der Schweizer Flotte für die Versorgung des Landes in Kriegszeiten alles unternommen werden müsse, um ihren absolut neutralen Charakter sicherzustellen. Bei der Unterzeichnung der Satzung der IMCO hinterlegte daher der Vertreter der Schweiz den Entwurf eines Vorbehaltes, der folgendennassen lautet: Bei Anlass der Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde ... bringt die Schweiz in allgemeiner Hinsicht den Vorbehalt an, dass ihre Mitarbeit an der IMCO, insbeson-

1540 dere was die Beziehungen dieser Organisation zur Organisation der Vereinten Nationen anbelangt, nicht über den Rahmen hinausgehen kann, der von ihrer Stellung als immerwährend neutraler Staat vorgezeichnet ist. Im Sinne dieses allgemeinen Vorbehalts bringt sie im speziellen ihre Reserve gegenüber dem Wortlaut des Artikels VI zum Ausdruck, wie er gegenwärtig in der im Entwurf vorliegenden Vereinbarung zwischen der IMCO und der UNO enthalten ist, oder gegenüber jeder ähnlichen Bestimmung, welche die erwähnte Bestimmung in der genannten oder einer ändern Vereinbarung ersetzen oder ergänzen könnte.1)

Nachdem kein Unterzeichnerstaat gegen diesen Vorbehalt Einspruch erhoben hatte und die eidgenössischen Räte seinem Wortlaut zugestimmt hatten, wurde er anlässlich der Ratifikation bestätigt.

dd. In seiner Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur Internationalen Atomenergie-Agentur (A1EA) vom 1. März 1957 stellte der Bundesrat fest, dass nicht nur angesichts der Bindung dieser Institution an den Sicherheitsrat, sondern auch wegen der Überwachungs- und Sanktionskompetenzen, die ihr in ihrem Statut eingeräumt werden, ein Vorbehalt ebenfalls angezeigt sei. Dieser lautet folgendermassen (BB119571 844): Bei Anlass der Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde ... bringt die Schweiz den Vorbehalt von allgemeiner Tragweite an, dass ihre Mitarbeit an der Internationalen Atomenergie-Agentur, insbesondere was die Beziehungen dieser Organisation zur Organisation der Vereinten Nationen betrifft, nicht über den Rahmen hinausgehen kann, der durch ihre Stellung als immerwährend neutraler Staat vorgezeichnet ist. Im Sinne dieses allgemeinen Vorbehalts bringt sie im besondern ihren Vorbehalt sowohl gegenüber dem Wortlaut des Artikels III Buchstabe B Ziffer 4 des Statuts zum Ausdruck als auch gegenüber jeder ähnlichen Bestimmung, welche die erwähnten Bestimmungen in diesem Statut oder in einer ändern Vereinbarung ersetzen oder ergänzen könnte.

Der Text dieses Vorbehalts wurde nicht wie im Falle der IMCO schon bei der Unterzeichnung bekanntgegeben, sondern erst nach seiner Genehmigung durch die eidgenössischen Räte, bei der Ratifikation des Statuts.

c. Wie bereits erwähnt, haben verschiedene Organe und Spezialorganisationen der Vereinten Nationen ihren Sitz in der Schweiz2). Auch dies wirft einige Probleme auf.

aa. Das rechtliche Statut der verschiedenen Organisationen ist nicht ganz einheitlich geregelt. Während der Weltpostverein, der Fernmeldeverein und das GATT auf Grund eines Briefwechsels mit dem Politischen Departement im Genuss der gleichen Regelung stehen wie der Sitz der Vereinten Nationen in Genf, wurden mit anderen Organisationen eigentliche Sitzabkommen abgeschlossen. Das erste dieser Art ist das Abkommen vom 11. März 1946 mit der Internationalen Arbeitsorganisation (OIT). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die OIT als Organ des Völkerbundes im Genüsse der gleichen Vorrechte und Immunitäten gestanden wie dieser selbst. Als die Arbeitsorganisation 1946 entscheiden musste, ob sie an ihren Hauptsitz nach Genf zurückkehren oder ihn nach Kanada verlegen wollte, äusserte sie den Wunsch, ein besser umschriebenes rechtliches Statut zu erhalten. Das Ergebnis war das erwähnte Sitzabkommen, dem eine Vollzugsvereinbarung beigefügt ist. In der Folge sind analoge *> Botschaft vom 27. September 1954, BEI 1954 II 493.

») Vgl. 1. Teü, III. Kap., A 2 d.

1541 Abkommen auch mit der Weltgesundheitsorganisation und der Meteorologischen Weltorganisation abgeschlossen worden, die sich inhaltlich nur wenig von demjenigen mit der OIT, das als Vorbild diente, unterscheiden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen erhielt bei seinem Besuch in Bern am 2. und 3. August 1946 vom Bundesrat die Zusage, dass den Vereinten Nationen jede neue Vergünstigung, die einer anderen internationalen Organisation eingeräumt werde, ebenfalls zuteil werden solle. Die Behandlung als meistbegünstigte Organisation ist stillschweigend auch allen anderen Organen und Spezialorganisationen der Vereinten Nationen zugestanden worden.

bb. Von besonderer Bedeutung für die Schweiz ist, dass durch die Tätigkeit der Vereinten Nationen und ihrer SpezialOrganisationen weder ihre internationale Stellung noch ihre Sicherheit berührt werden dürfen. Eine entsprechende Garantie ist durch die Vereinten Nationen in einem zusätzlichen Briefwechsel zum Sitzabkommen gewährt worden. Ausserdem enthält das Abkommen vom 11. März 1946 mit der OIT folgende Artikel: Art 24

Der Schweiz erwächst aus der Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation auf ihrem Gebiet keinerlei internationale Verantwortlichkeit, weder aus Handlungen und Unterlassungen der Organisation, noch aus Handlungen oder Unterlassungen ihrer in Ausübung ihrer Funktionen tätigen Beamten.

Art. 25 1. Das Recht des Schweizerischen Bundesrates, im Interesse der Sicherheit der Schweiz zweckdienliche Vorsichtsmassnahmen zu treffen, wird durch das vorliegende Abkommen nicht berührt.

2."Falls der Schweizerische Bundesrat als notwendig erachtet, den ersten Abschnitt dieses Artikels anzuwenden, wird er sich, so rasch als die Umstände es erlauben, mit der Internationalen Arbeitsorganisation in Verbindung setzen, um mit ihr gemeinsam die zum Schutz der Interessen der Organisation notwendigen Massnahmen zu beschliessen.

3. Die Internationale Arbeitsorganisation wird mit den Schweizerischen Behörden zwecks Vermeidung eines jeden Nachteils, der sich aus ihrer Tätigkeit für die Sicherheit der Schweiz ergeben könnte, zusammenarbeiten.

Die gleichen Bestimmungen finden sich in den Artikeln 24 und 25 des Abkommens vom 17. Juli 1948 mit der OMS und in den Artikeln 23 und 24 des Abkommens vom 10. März 1955 mit der OMM. Im Falle der UPU, der UIT und des GATT gelten dagegen die Bestimmungen des erwähnten Briefwechsels mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen.

cc. Auf Grund der Sitzabkommen gewährt die Schweiz den Beamten der auf ihrem Gebiet niedergelassenen SpezialOrganisationen sowie den ständig bei ihnen akkreditierten Vertretern und den an Tagungen ihrer Organe teilnehmenden Staatenvertretern gewisse Vorrechte und Immunitäten. Diese sollen ein ungestörtes Funktionieren der Organisationen sicherstellen. So gemessen die Beamten der Organisationen in Ausübung ihrer Amtspflichten gerichtliche Immunität; die Immunität kann allerdings von der Organisation jederzeit aufgehoben werden. Die Gebäude der Organisationen und insbesondere ihre Archive sind vor jedem Zugriff der eidgenössischen oder kantonalen Behörden geschützt. Da die finanziellen Mittel der Organisationen durch Beiträge der

1542 Mitgliedstaaten, also auch der Schweiz, beschafft werden, sind sie von der Besteuerung befreit. Dasselbe gilt für das Arbeitseinkommen der Beamten und die für sie errichteten Pensionsfonds. Überdies sind die von der Organisation für ihre Zwecke eingeführten Waren von jeglicher Einfuhrgebühr befreit. Auch die ausländischen Beamten geniessen bei ihrer ersten Einreise gewisse Erleichterungen. Die ständigen Vertretungen beim Sitz der Vereinten Nationen und den in Genf niedergelassenen SpezialOrganisationen stehen im Genuss der gleichen Vorrechte und Immunitäten wie die in Bern akkreditierten diplomatischen Missionen.

Wie bereits erwähnt1) hat die Tatsache, dass die über 8700 Beamten der zwischenstaatlichen Organisationen, die ihren Sitz in Genf haben, fiskalische Privilegien geniessen, in gewissen Bevölkerungskreisen Unzufriedenheit hervorgerufen. Ein nicht unbedeutender Teil dieser Funktionäre arbeitet allerdings weder beim Sitz der Vereinten Nationen noch bei einer ihrer in Genf beheimateten SpezialOrganisationen. Der Grundsatz der Steuerbefreiung der internationalen Beamten ist heute international allgemein anerkannt und in den Sitzabkommen festgelegt, die der jeweilige Sitzstaat mit der Organisation abschliesst. Die Steuerfreiheit rechtfertigt sich durch die Tatsache, dass zufolge der Steuerbefreiung die Beamten gehälter um den Betrag der Steuern gekürzt werden können. Die Personalausgaben der Organisation können auf diese Weise entlastet und die Beiträge der Mitgliedstaaten vermindert werden. Diese Regelung entspricht übrigens den Bestimmungen der beiden Übereinkommen über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen und ihrer Spezialorganisationen vom 13. Februar 1946 und 21. November 1947, denen die Schweiz zwar nicht beigetrcten ist, die jedoch auch beim Abschluss der Sitzabkommen herangezogen wurden, welche die Schweiz mit internationalen Organisationen abgeschlossen hat.

Als stossend wird von der Genfer Bevölkerung immer wieder die Tatsache empfunden, dass die von den Vereinten Nationen und ihren Spezialorganisationen beschäftigten Schweizer Bürger auf ihrem Arbeitseinkommen keine Steuern bezahlen. Diese Frage wurde von den zuständigen Behörden des Bundes und des Kantons, in Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen, in den verflossenen Jahren wiederholt eingehend
geprüft. Die Steuerbefreiung der Schweizer Bürger im Dienste internationaler Organisationen beruht wie die Steuerbefreiung der ausländischen internationalen Beamten auf formell abgegebenen Zusicherungen. Eine Rücknahme dieser Zusicherungen wäre politisch ungünstig. Auch für die Steuerbefreiung der schweizerischen internationalen Beamten waren die gleichen Gesichtspunkte massgebend wie für die ausländischen Beamten. Im Falle der Besteuerung der Schweizer Bürger müsste die betreffende internationale Organisation ihre Gehälter entsprechend erhöhen, wozu zusätzliche Mittel benötigt würden, die zulasten der internationalen Organisation bzw. ihrer Mitgliedslaaten gehen würden. Da die Beamten schweizerischer Nationalität im Falle der Besteuerung die betreffende Organil

) Vgl. I.Teil, III. Kap., A 2 h.

1543 sation somit teurer zu stehen kämen, würden die Organisationen auf die Anstellung von Schweizer Bürgern verzichten, was unserem Interesse zuwiderlaufen würde. Die Einführung einer internen Besteuerung mittels Ausgleichsfonds, wie er in New York am Sitz der Vereinten Nationen, auf Wunsch der Vereinigten Staaten von Amerika eingeführt wurde, wurde eingehend geprüft; sie wurde jedoch als nicht durchführbar erachtet.

Um die Probleme, die dem Kanton Genf aus dem Sonderstatut der internationalen Organisationen und ihrer Beamten entstehen, zu lösen, wurde im Jahre 1967 eine Gemischte Kommission geschaffen, in der die interessierten Amtsstellen der Eidgenossenschaft und des Kantons Genf vertreten sind. Die Gemischte Kommission gelangte bei ihren Untersuchungen u. a. zum Schluss, dass eine Besteuerung der internationalen Beamten zur Beschaffung zusätzlicher Mittel nicht in Frage komme und dass ein gerechter Ausgleich der in Genf entstehenden Lasten zwischen Eidgenossenschaft und Genf auf einem ändern als dem Steuerwege gesucht werden müsse.

d. Die Politik, welche die Schweiz als Mitglied von Nebenorganen und SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen verfolgt, kennzeichnet sich durch das Bestreben, in möglichst konstruktiver Art bei der Erfüllung der Aufgaben dieser Institutionen mitzuwirken, zu einer wirksamen Koordination der Tätigkeit der verschiedenen Institutionen Hand zu bieten und ein Abgleiten der Debatten auf die politische Ebene zu verhindern. Auf administrativem Gebiet setzen sich die schweizerischen Delegierten für eine gesunde Budgetpolitik und die Einführung der Erfolgsauswertung bei der betreffenden Organisation ein.1) aa. Infolge des Einzugs einer immer grössercn Zahl von ehemaligen Kolonien als unabhängige Staaten in die SpezialOrganisationen und Nebenorgane der Vereinten Nationen haben sich diese in vermehrtem Masse mit den Problemen der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Mitgliedstaaten zu befassen. Das grosse Ausmass der Bedürfnisse auf dem Gebiet übersteigt in den meisten Fällen die Wirkungsmöglichkeiten der verschiedenen Organisationen und zwingt zur Aufstellung einer Prioritätenordnung. Im Bestreben, die Tätigkeit der SpezialOrganisationen, denen sie angehört, möglichst rationell und wirksam zu gestalten, hat die Schweiz stets aktiv an der Schaffung
derartiger Prioritätslisten mitgewirkt. Dabei hat sie immer die Meinung vertreten, dass nicht das Prestige einer Organisation oder einzelner ihrer Mitglieder, sondern die tatsächliche Nützlichkeit der zu verwirklichenden Aufgaben das Kriterium für die Priorität bilden müsse, bb. Gewisse politische Probleme, welche die Vereinten Nationen besonders stark beschäftigten oder noch beschäftigen, wie der Ost-West-Konflikt, die Entkolonisierung und die Frage der Rassendiskrimination, haben allerdings immer wieder die Tendenz, auch die Verhandlungen in den Spezialorganisatio*' Die Schweiz wurde zur Teilnahme an der aus den Delegationen der westlichen Industriestaaten gebildeten informellen sogenannten «Genfer Gruppe» eingeladen, an der Finanz- und Budgetfragen erörtert werden.

1544

nen und Nebenorganen zu beeinflussen. Die Schweiz hat stets die Auffassung vertreten, dass die SpezialOrganisationen, Organisationen und Konferenzen technischer Natur sich auf die Lösung der ihnen übertragenen Probleme beschränken und von politischen Diskussionen absehen sollten. Politische Fragen sind in den zuständigen Organen der Vereinten Nationen zu diskutieren.

Die schweizerischen Delegationen haben Weisung, zur Entpolitisierung der Probleme beizutragen, so dass sie in konkreter Gestalt diskutiert werden können. Zu Kompromisslösungen, ohne die eine internationale Zusammenarbeit unmöglich ist, haben die schweizerischen Delegationen stets Hand zu bieten, solange dadurch die grundsätzliche Haltung, die sie zu verfechten haben, nicht in Frage gestellt wird.

cc, Die rasche Zunahme der Zahl der Spexialorganisationen und Nebenorgane der Vereinten Nationen macht eine Koordination ihrer Tätigkeit notwendig, damit nicht die gleiche Frage von mehreren Institutionen gleichzeitig behandelt wird. Im Rahmen der Vereinten Nationen sind Organe zur Verwirklichung der Koordination geschaffen worden ; die Schweiz verfolgt ihre Arbeit aufmerksam, kann sich aber an ihnen als Nichtmitglied nicht beteiligen. Doch wirkt sie aktiv an den Bemühungen mit, die innerhalb der Spezialorganisationen selbst zur Lösung der Koordinationsfrage unternommen werden.

D. Die Schweiz und das Vertragswerk der Vereinten Nationen a. Im Verlaufe ihrer mehr als zwanzigjährigen Existenz haben die Vereinten Nationen ein bedeutendes weltweites Vertragswerk geschaffen.1* Neben den Anstrengungen zur Förderung der Menschenrechte und zur Kodifizierung und Weiterentwicklung des Völkerrechts geht es dabei auch um die Regelung praktischer, wirtschaftlicher und technischer Fragen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich einer SpezialOrganisation der Vereinten Nationen fallen.

Neuerdings sind aus politischen Gründen vier wichtige, im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeitete Verträge ausserhalb der UNO abgeschlossen worden. Es handelt sich um das Abkommen vom 5. August 1963 über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Luft, im Weltraum und unter Wasser, den Vertrag vorn 27. Januar 1967 über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraumes, einschliesslich des Mondes und anderer Himmelskörper,
das Übereinkommen vom 22. April 1968 über die Rettung von Raumfahrern, die Rückführung von Raumfahrern und die Rückgabe von in den Weltraum gestarteten Gegenständen, und den Vertrag vom 12. Juni 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomsperrvertrag). Alle vier Verträge sind gleichzeitig in London, Moskau und Washington zur Unterzeichnung aufgelegt worden, damit ^ Vgl, die Zusammenstellung der multilateralen Verträge, die beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt sind, vom 31. Dezember 1967, in UN Doc, ST/LEG/SER.D/1.

1545 sämtliche Staaten der Welt ihnen beitreten können, auch solche die, wie die Volksrepublik China, die Deutsche Demokratische Republik, Nordkorea und Nordvietnam, nicht von allen Grossmächten anerkannt und normalerweise nicht zur Beteiligung an Verträgen der Vereinten Nationen aufgefordert werden.

b. Getreu ihrem Grundsatz, sich an den Tätigkeiten der Vereinten Nationen, die nicht rein politische Fragen zum Gegenstand haben, nach Möglichkeit zu beteiligen, ist die Schweiz Vertragsstaat zahlreicher unter der Aegide der Weltorganisation abgeschlossener Übereinkünfte geworden. Soweit die Verträge an Konferenzen ausgearbeitet wurden, zu denen die Schweiz eingeladen war, beteiligte sich unser Land aktiv an den Vorarbeiten und suchte nach Möglichkeit, eine angemessene Berücksichtigung seiner Interessen zu erzielen.

Daneben bemühte sich die schweizerische Delegation regelmässig um die Aufnahme einer Schiedsklausel, welche die obligatorische Unterbreitung von Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung des betreffenden Vertrages unter ein Gerichts- oder Schiedsverfahren vorsieht. In den Fällen, in denen eine solche Klausel nicht zustandekam, schlug die Schweiz jeweils den Abschluss eines zusätzlichen Fakultativprotokolls über die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten vor.1) In einer wachsenden Zahl von Fällen werden neuerdings Verträge der Vereinten Nationen von der Generalversammlung oder einer ihrer ständigen Kommissionen ausgearbeitet, zu denen die Schweiz als Nichtmitglied natürlich keinen Zutritt hat.2) Gelegentlich wurde unserem Land im Vorverfahren die Möglichkeit geboten, sich zu den Entwürfen des vorgesehenen Vertrages schriftlich zu äussern. Wo dies nicht der Fall war, wurde versucht, durch Vermittlung des Ständigen Beobachters in New York die Aufmerksamkeit anderer Delegationen auf die Schweiz besonders interessierende Punkte zu richten.

c. Anhang VII dieses Berichts bringt eine Übersicht über die schweizerische Beteiligung am Vertragswerk der Vereinten Nationen.

*> Vgl. Ruegger, Des clauses arbitrales et de juridiction dans les conventions internationales récentes, Recueil d'études de droit international en hommage à Paul Guggenheim, 1968, S. 687 ff., sowie Anhang VII.

*) Dies war der Fall für die vier unter Buchstabe « angeführten Übereinkünfte.

Blindatola«. 121. Jahrg. Bd.I

93

1546

ZWEITER TEIL UNTERSUCHUNG DER AUSSICHTEN UND MÖGLICHKEITEN EINES BEITRITTS DER SCHWEIZ ZU DEN VEREINTEN NATIONEN UNTER WAHRUNG IHRES NEUTRALITÄTSSTATUTS A. Einleitung Der vorliegende Bericht wäre unvollständig, wenn er nicht auch die Frage behandeln würde, unter welchen Bedingungen die Schweiz Mitglied der Vereinten Nationen werden könnte, und welches ihre Stellung im Rahmen der Organisation wäre. Das Postulat von Herrn Bretschcr und Mitunterzeichnern wünscht eine solche Untersuchung ausdrücklich. Ungeachtet der Schlussfolgerungen, zu denen der Bundesrat gelangen wird, entspricht eine umfassende Information über diese Frage offensichtlich einem Bedürfnis. Von einer neuerlichen Prüfung der mit einem anfälligen schweizerischen UNO-Beitritt verbundenen Probleme und der dadurch zu eröffnenden Möglichkeiten sowie den Aussichten für die Wahrung unseres Neutralitätsstatuts darf sowohl ein vertieftes Verständnis für die Tätigkeit der Vereinten Nationen wie auch ein vermehrter Rückhalt für die vom Bundesrat befolgte aussenpolitische Linie erwartet werden.

Im ersten Abschnitt (B) dieses zweiten Teils wird die Frage der Vereinbarkeit des schweizerischen Neutralitätsstatuts mit der Mitgliedschaft geprüft. Im zweiten Abschnitt (C) wird untersucht, ob und wie unsere Neutralität im Rahmen der Vereinten Nationen beibehalten werden könnte und welches landesrechtliche Vorgehen bei einem allfälligen Beitritt einzuschlagen wäre. Im dritten Abschnitt (D) werden die Entwicklung und die heutige politische Wirklichkeit der Vereinten Nationen skizziert. Im vierten Abschnitt (E) sollen die positiven und die negativen Seiten der Mitgliedschaft und der Nichtmitgliedschaft gegeneinander abgewogen werden. Abschliessend zieht der Bundcsrat seine Schlussfolgerungen (F) und schlägt Massnahmen vor, die einerseits eine Verbesserung der Information über die Vereinten Nationen anzielen und anderseits unserem Willen nach verstärkter internationaler Zusammenarbeit Ausdruck geben.

B. Das schweizerische Neutralitätsstatut und die UNO-Mitgliedschaft 1. Die Frage der Vereinbarkeit des Neutralitätsstatuts der Schweiz mit einer Mitgliedschaft a. An der Konferenz von San Francisco hatte sich die erste Kommission, die zur Behandlung der allgemeinen Bestimmungen der Charta eingesetzt wurde, mit einem französischen Memorandum vom 21. März 1945 zu befas-

1547 sen, in dem angeregt wurde, dass in einer ausdrücklichen Bestimmung die Unvereinbarkeit eines Neutralitätsstatuts mit der Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen erklärt werden sollte. 1> Vor einem Unterausschuss kam diese Frage in den Sitzungen vom 17. Mai und 13. Juni 1945 zur Sprache. Der französische Delegierte erläuterte die Auffassung seines Landes und betonte, unter Neutralitätsstatut sei das Statut einer ständigen Neutralität gemeint. Offenbar stiess jedoch diese Haltung bei anderen Kommissionsmitgliedern auf Widerstand. Im Verhandlungsprotokoll der Sitzung vom 13. Juni 1945 wird dazu lediglich bemerkt: Aus der nachfolgenden Diskussion ergab sich die Auffassung, dass das Statut der ständigen Neutralität mit den in Kapitel II Paragraphen 5 und 6 (jetzt Art. 2 Ziff. 5 und 6) erklärten Grundsätzen insofern unvereinbar ist, als kein Staat sich auf das Statut der ständigen Neutralität berufen kann, um von in der Charta aufgestellten Verpflichtungen befreit zu werden. Der Unterausschuss nahm in diesem Sinne an, dass die Abstimmung über die Paragraphen 5 und 6 auch den französischen Abänderungsvorschlag beinhaltet.

Die Mehrheit der Konferenzteilnehmer war somit der Auffassung, dass die ständige Neutralität nicht als Vorwand dazu dienen dürfe, sich spezifischen, durch die Charta aufgestellten Verpflichtungen zu entziehen.

Angesichts des Wortlauts des Artikels 2 Ziffer 5 sowie der Artikel 25, 39, 42, 43, 48 und 51 der Charta, die später eingehender untersucht werden sollen, ist es umstritten, ob die UNO-Mitgliedschaft nicht die Neutralität ausschliesst.

Der Geist der Charta lässt aber nicht auf eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen Mitgliedschaft und Neutralität schliessen. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass im Falle einer bewaffneten Angriffshandlung, bei der es dem Sicherheitsrat nicht gelingt, einen Beschluss nach Artikel 39 zu fassen, dritte Staaten nach Artikel 51 berechtigt, aber nicht verpflichtet sind, dem angegriffenen Staate Hilfe zu leisten. Die Drittstaaten können in einem solchen Falle auch neutral bleiben.

Wohl ist die der Charta innewohnende Idee der kollektiven Sicherheit theoretisch mit der Neutralität unvereinbar ; während die Neutralität Nichteinmischung und Enthaltung von Feindseligkeiten bedeutet, setzt die kollektive Sicherheit aktive Stellungnahme gegen den Friedensbrecher voraus. Wesentlich ist jedoch, dass beide auf die Erhaltung des Friedens ausgerichtet sind. Insofern steht die Neutralität nicht nur in keinerlei Widerspruch zu den Bestimmungen der Charta2', sondern steht mit deren oberster Zielsetzung in Einklang. Auch sollte in diesem Zusammenhang nicht ausser acht gelassen werden, dass die Neutralität ein Statut ist, das sich in der Völkerrechtspraxis mannigfach bewährt hat, wogegen dem Prinzip der kollektiven Sicherheit wohl noch auf lange Zeit utopischer Charakter anhaftet.

*> Vgl. United Nations Conference on International Organization, Bd. 3, S. 383, sowie die Verhandlungsberichte in Bd. 6, S. 315 und S. 478.

> In diesem Sinne Chaumont, Nations Unies et Neutralité, Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, Bd. 89 (19561), S. 7 f., 30 f., 54 f.; vgl. auch die Botschaft des Bundesrates betreffend die Frage des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund vom4. August 1919, yßl.1919 IV 565 ff.

2

1548 Aus diesen Gründen anerkennt die Doktrin heute weitgehend," dass die Charta trotz den ihr zugrundeliegenden Ideen für die Neutralität Raum lässt1'.

Im Laufe der Jahre sind denn auch verschiedene Staaten, die eine Neutralitätspolitik führen, den Vereinten Nationen beigetreten, ohne dass gegen ihre Aufnahme oder gegen die Weiterführung ihrer Neutralitätspolitik von irgendeiner Seite Einwände erhoben worden wären2*. So wurde bereits 1946 Schweden, das freiwillig eine Politik der dauernden Neutralität befolgt, aufgenommen. 1955 folgte der Beitritt Österreichs, obwohl dieses Land ein Neutralitätsstatut hat, das ausdrücklich demjenigen der Schweiz nachgebildet ist. Dieser Beitritt erfolgte bedingungslos. Diese Tatsache könnte einerseits den Beitritt der Schweiz erleichtern; anderseits müsste damit gerechnet werden, dass eine Sonderbehandlung der Schweiz im Falle eines Beitritts möglicherweise den Schluss zuliesse, die Neutralität Österreichs sei von einer minderen Qualität als diejenige der Schweiz. Staaten, die an der Erhaltung der österreichischen Neutralität ein besonderes Interesse haben, könnten sich daher veranlasst sehen, gegenüber einem schweizerischen Gesuch um Sonderbehandlung - unter Berufung auf den bedingungslosen Beitritt Österreichs - eine reservierte Haltung einzunehmen. Seit 1962 ist auch Laos, obwohl Mitglied der Vereinten Nationen, an ein Neutralitätsstatut gebunden, das jedoch zu einem Zeitpunkt geschaffen wurde, in dem Laos schon seit Jahren der Weltorganisation angehörte.

Ein weiteres Argument kann für die Vereinbarkeit der ständigen Neutralität mit der Mitgliedschaft angeführt werden: Artikel 103 der Charta bestimmt zwar, dass im Falle eines Widerspruches zwischen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten auf Grund der Charta und Verpflichtungen die sich aus «irgendeinem anderen Abkommen» ergeben, die ersten den Vorrang haben, auch wenn das andere Abkommen bei Inkrafttreten der Charta schon bestand. Es fehlt auch eine dem Artikel 21 des Völkerbundpaktes entsprechende Bestimmung, wonach gewisse bereits bestehende Vereinbarungen, die dem Frieden dienen, als mit dem Pakt vereinbar zu betrachten sind. Auch für die Vereinten Nationen und ihre Mitglieder sind jedoch die gewohnheitsrechtlichen Regeln des allgemeinen Völkerrechts verbindlich, soweit sie nicht durch Vertragsrecht abgeändert
worden sind. Man kann mit guten Gründen den Standpunkt einnehmen, dass das Neutralitätsstatut der Schweiz, das seit 1815 Vertragscharakter hat, zu einem Satz 1

> So Bindschedler : Die Neutralität im modernen Völkerrecht, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 17 (1956), S. 29 ff.; Bowett: SelfDefense in International Law, 1958, S. 174 ff.; Brownlie: International Law and thè Use of Force by States, 1963, S. 404; Chaumont: a. a. O., S. 32ff.; Greber: Die dauernde Neutralität und das koEektive Sicherheitssystem der Vereinten Nationen, 1967, S. 85 ff.; Guggenheim: La sécurité collective et le problème de la neutralité, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht, Bd. II (1945), S. 28 ff.; Lalive: International Organisation and Neutrality, British Year Book of International Law, Bd. XXIV (1947), S. 77 ff.; Robert: Etude sur la neutralité suisse, 1950, S. 84 ff.; Schbuner: Neutralität, in Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd, 2 (1961), S. 593, s > Vgl. I.Teil, H. Kap., C.

1549 des Völkergewohnheitsrechts geworden ist. Eine solche Auffassung ist von der Kommission der Vereinten Nationen für Internationales Recht vertreten worden1*. Geht man davon aus, dass das schweizerische Neutralitätsstatut im Laufe der letzten 150 Jahre - und nicht erst seit 1945 - gewohnheitsrechtlichen Charakter erlangt hat, so darf wohl gefolgert werden, dass die Charta der Vereinten Nationen das schweizerische Neutralitätsstatut in Übereinstimmung mit der Ansicht der Kommission für Internationales Recht nicht beeinträchtigen könnte. Gestützt auf diese Auffassung könnte sich die Schweiz auch als Mitgliedstaat im Rahmen der Vereinten Nationen auf den gewohnheitsrechtlichen Inhalt ihres Neutralitätsstatuts berufen. In Anbetracht von Artikel 103 der Charta lässt sich freilich auch die gegenteilige Meinung mit guten Gründen verfechten.

b. Obwohl die ständige Neutralität grundsätzlich mit der Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen nicht unvereinbar erscheint, so setzt doch die Charta ihrer Anwendung bestimmte Grenzen. Wie sich schon aus den erwähnten Vorarbeiten von San Francisco ergibt, darf die Neutralität nicht als Vorwand dazu dienen, dass sich ein Mitglied den spezifischen von der Charta aufgestellten Verpflichtungen entzieht. Dieser Grundsatz fand in Artikel 2 Ziffer 5 seinen Ausdruck. Die Bestimmung lautet: Alle Mitglieder gewähren den Vereinten Nationen bei jeder von diesen gemäss der vorliegenden Satzung ergriffenen Massnahme jede Unterstützung und enthalten sich, irgendeinem Staat Hilfe zu leisten, gegen den die Vereinten Nationen Präventivmassnahmen oder Zwangsmassnahmen ergreifen.

Wenn die Vereinten Nationen gegen einen Staat Zwangsmassnahmen im Sinne des VII. Kapitels der Charta ergreifen, so werden sie damit selbst Konfliktspartei. Das neutrale Mitglied kann sich in diesem Falle gemäss Artikel 2 Ziffer 5 der Charta nicht darauf berufen, dass ihm seine Neutralität gebietet, die Konfliktsparteien gleich zu behandeln. Gestützt auf Artikel 25 der Charta muss vielmehr auch ein neutrales Mitglied der Vereinten Nationen grundsätzlich an den Sanktionsmassnahmen teilnehmen. Die von der Schweiz in beiden Weltkriegen angestrebte paritätische Behandlung der Kriegführenden auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiete wäre deshalb mit der allgemeinen Unterstützungspflicht gemäss Artikel 2 Ziffer 5 der Charta kaum vereinbar. Die Lage ist ähnlich wie seinerzeit im Völkerbund (Art. 16 des Völkerbundspaktes), mit dem Unterschied, dass nicht die Mitgliedstaaten, sondern der Sicherheitsrat das Vorliegen der Bedingungen für die Durchführung von Zwangsmassnahmen in verbindlicher Weise feststellt (Art. 39 der Charta).

c. Während die nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen, die gemäss Artikel 41 der Charta vom Abbruch der diplomatischen Beziehungen bis zur vollständigen Blockade gehen können, von den Mitgliedstaaten automatisch angewendet werden müssen, sobald der Sicherheitsrat sie beschlossen hat, wird die Pflicht zur Teilnahme an militärischen Sanktionen gemäss Artikel 42 - Demonstrationen oder Operationen mit Land-, See- oder Luftstreitkräften sowie Ge*> Vgl. die Berichte der Kommission über ihre 16. Tagung (1964, S. 12) und ihre 18. Tagung (1966, S. 64). Ebenso Lord McNair: Law of Treaties, 1961, S. 260.

1550 Währung von Durchmarschrcchten und ändern Erleichterungen - erst wirksam, wenn ein Staat mit dem Sicherheitsrat gestützt auf Artikel 43 der Charta ein Abkommen über Art und Umfang der zu leistenden militärischen Hilfe abgeschlossen hat. Solange er dies nicht getan hat, kann seine Mitwirkung an Massnahmen auf Grund von Artikel 42 nicht verlangt werden. Die Möglichkeit einer militärischen Neutralität bleibt somit bestehen. In diesem Falle muss den an den Zwangsmassnahmen beteiligten Truppen nicht einmal das Recht des Durchzuges gewährt werden. Der AbschJuss von Abkommen gemäss Artikel 43 ist bisher keinem Staate aufgezwungen worden. Ein solcher Zwang scheint auch angesichts der Bestimmung von Ziffer 3 dieses Artikels ausgeschlossen, die vorsieht, dass derartige Vereinbarungen von jedem Unterzeichnerstaat in Übereinstimmung mit seinen Verfassungsvorschriften zu ratifizieren sind. Über den Inhalt dieser Abkommen enthält die Charta, wie der französische Kommissionsreferent Paul Boncour an der Konferenz von San Francisco ausdrücklich festhielt1', keine zwingenden Bestimmungen. Auch der Internationale Gerichtshof hat in einem Rechtsgutachten vom 20. Juli 1962 die Auffassung vertreten, der Sicherheitsrat und die Mitgliedstaaten seien bei der Ausgestaltung des Inhalts solcher Abkommen vollständig frei 2 '. Da auf Grund von Artikel 43 überhaupt noch kein Abkommen dieser Art abgeschlossen worden ist, lassen sich aus der Praxis keine Lehren ziehen.

Obwohl für die nichtmilitärischen Sanktionen keine derartigen Vereinbarungen mit dem Sicherheitsrat vorgesehen sind, ist dieser gemäss Artikel 48 Ziffer l frei, die Durchführung von Zwangsmassnahmen - ob militärische oder nichtmilitärischer Art - allen oder nur bestimmten Mitgliedstaaten aufzutragen. Wie bei den militärischen Zwangsmassnahmen besteht daher auch bei den nichtmilitärischen Sanktionen die Möglichkeit, einen ständig neutralen Staat von der Beteiligung zu befreien. In der Praxis dürfte dazu in der Regel allerdings wenig Neigung bestehen, da die nichtmilitärischen Sanktionen damit durchlöchert würden.

d. Aus der Mitgliedschaft beim Internationalen Gerichtshof sind der Schweiz bisher - wie wir oben gesehen haben - keine neutralitätsrechtlichen Schwierigkeiten erwachsen. 3> 2. Das Neutralitätsstatut im Falle der Nichtmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen

a. Die Vereinten Nationen müssen nach Artikel 2 Ziffer 6 der Charta dafür besorgt sein, dass auch Nichtmitglieder sich insoweit an die Grundsätze der Charta halten, als dies für die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit notwendig ist. Ein Nichtmitglied kann daher im Falle von Zwangsmassnahmen der Weltorganisation gegen einen Staat aufgefordert werden, sich im Sinne von Artikel 2 Ziffer 5 der Charta jeder Unterstützung *» Vgl. United Nations Conference a. a. O.,Bd. 12, S. 526 ff.

») Vgl. C. L J. Ree. 1962, S. 166 f.

"> Vgl.ausführlich 1. Teil,HI. Kap.,C2a.

1551 des Rechtsbrechers zu enthalten und gleichzeitig den Vereinten Nationen im Rahmen der Charta jede gewünschte Hilfe zu gewähren. Der Wortlaut des obenerwähnten Verhandlungsprotokolls über die Unvereinbarkeit von Artikel 2 Ziffern 5 und 6 mit der ständigen Neutralität1) lässt darauf schliessen, dass an der Konferenz von San Francisco die Auffassung vorherrschte, auch ein Nichtmitglied könne sich nicht auf sein Neutralitätsstatut berufen, um sich den spezifischen, aus der Verbindung von Artikel 2 Ziffer 6 mit Ziffer 5 des gleichen Artikels entstehenden Verpflichtungen zu entziehen. Ein Nichtmitglied könnte nun allerdings einwenden, dass ein Vertrag - die Charta ist völkerrechtlich gesehen ein solcher -, an dem es nicht beteiligt ist, ihm gegenüber rechtlich nicht verbindlich sein kann.2' Je nach den Umständen, unter denen ein Nichtmitglied zur Unterstützung von Sanktionen aufgefordert wird, mag es ihm jedoch angesichts des tatsächlichen Kräfteverhältnisses und der Beurteilung durch die Weltöffentlichkeit schwerfallen, sich dem Machtanspruch der Weltorganisation zu entziehen. So glaubten weder Österreich als Mitglied noch die Schweiz als Nichtmitglied, den von den Vereinten Nationen gegen Rhodesien verhängten Massnahmen völlig fernbleiben zu können.*' Falls Sanktionen verhängt werden, kann somit ein neutrales Nichtmitglied in eine ähnliche Lage geraten wie das neutrale Mitglied der Vereinten Nationen, jedoch mit dem Unterschied, dass es sich gegenüber dem Staat, der Gegenstand der Zwangsmassnahmen ist, zur Rechtfertigung seiner Haltung nicht auf seine Mitgliedschaft bei der Weltorganisation und die sich daraus ergebenden rechtlichen Pflichten berufen kann. Da anzunehmen ist, dass die Vereinten Nationen im Falle von Zwangsmassnahmen im Rahmen des Kapitels VII der Charta darnach trachten werden, jede Form der Begünstigung des von ihnen zum Rechtsbrecher gestempelten Staates durch einen aussenstehenden Neutralen zu verhindern, wird es dem Neutraleu kaum möglich sein, eine paritätische Behandlung der Weltorganisation einerseits und des zum Rechtsbrecher erklärten Staates anderseits in vollem Umfange aufrechtzuerhalten. Die nichtparitätische Behandlung braucht allerdings nicht in jedem Falle zur Verletzung der formalen Neutralitätspflichten zu führen.

b. Wie bereits festgestellt wurde, kann sich die
Schweiz auch heute noch gegenüber einer grossen Zahl von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf deren ausdrückliche Anerkennung ihrer immerwährenden Neutralität berufen.4) Soweit diese Anerkennung im Rahmen der Pariser Akte von 1815 und von Artikel 435 des Versailler Vertrages erfolgte, gilt jedoch für diese Mitgliedstaaten Artikel 103 der Charta, der den Bestimmungen der Charta den Vorrang gegenüber den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus ändern Verträgen gewährt, auch wenn diese vor dem Inkrafttreten der Charta abgeschlossen wurden.

« Vgl. 2. Teil, B l a.

') Vgl. I.Teil,!. Kap., C 2.

"> Vgl, die Haltung Österreichs, 1. Teil, II. Kap., C If, mit derjenigen der Schweiz, 1. Teil,HI. Kap.,B4c.

«) Vgl. I.Teil, H. Kap., B l c.

1552

C. Das Verfahren bei einem allfälligen Beitritt zu den Vereinten Nationen Ob sich die Schweiz zur Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen entschliesst oder nicht, die Prüfung der Frage, wie ein Beitritt vollzogen werden müsste, ist jedenfalls aufschlussreich. Diese Untersuchung hat unter zwei Aspekten zu erfolgen: - Wie Hesse sich unsere Neutralität in den Rahmen der Vereinten Nationen einfügen ?

- Wie wäre im Falle eines Beitritts landesrechtlich vorzugehen ?

1. Die Verwirklichung der Neutralität im Rahmen der Vereinten Nationen

a. Beitritt unter formellem Neutralitätsvorbehalt Die Schweiz hat in zwei Fällen anlässlich ihres Beitritts zu einer Spezialorganisation der Vereinten Nationen einen Neutralitätsvorbehalt gemacht. In einem weiteren Fall hat sie die weniger verbindliche Form einer allgemeinen Erklärung vor dem Hauptorgan der betreffenden Organisation gewählt,1* Theoretisch könnte die Schweiz zum Zwecke der Aufrechterhaltung ihrer ständigen Neutralität auch im Falle eines Beitritts zu den Vereinten Nationen einen formellen Vorbehalt anbringen. Es scheint jedoch sehr zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines solchen Vorbehalts im Rahmen der Vereinten Nationen gegeben sind. Bisher ist noch nie ein Staat den Vereinten Nationen unter Vorbehalt beigetreten, nicht einmal Österreich, das ein dem schweizerischen Vorbild nachgebildetes Neutralitätsstatut für sich beansprucht. Es ist auch fraglich, ob die Charta einen Vorbehalt anlässlich des Beitritts überhaupt zulässt. Schliesslich ist es durchaus ungewiss, ob die jetzigen UNO-Mitglieder einem ausdrücklichen, formellen Neutralitätsvorbehalt zustimmen würden.

b. Beitritt mit gleichzeitigem Abschluss eines Abkommens nach Artikel 43 der Charta Beim Beitritt zum Völkerbund hatte die Schweiz erreicht, dass der Völkerbundsrat in einer Grundsatzerklärung ihr Neutralitätsstatut und die sich daraus ergebende Nichtbeteiligung an militärischen Sanktionen ausdrücklich anerkannte.2' Ein ähnliches Vorgehen wurde im Hinblick auf die Beteiligung der Schweiz an den Vereinten Nationen im Rahmen der Expertenkommission von 1945 angeregt.8' Einzelne Experten schlugen den Abschluss eines Abkommens mit dem Sicherheitsrat nach Artikel 43 der Charta vor. Diese Vereinbarung sollte statt einer Zusage militärischer Hufe seitens der Schweiz » Vgl. l. Teil, DI. Kap., C 4 b.

' Vgl. 1. Teil, II. Kap., B 2 b.

« Vgl.I.Teil,III.Kap.,AI.

a

1553 den Verzicht des Sicherheitsrates auf die Anforderung einer solchen Hilfe enthalten. Der Vorschlag ging von der Erwartung aus, dass auch von anderen Staaten Abkommen gemäss Artikel 43 abgeschlossen würden, eine Erwartung, die sich indes in der Folge, wie schon erwähnt, nicht erfüllt hat. Abgesehen davon, dass ein solches Begehren für die Schweiz nicht in Betracht käme, scheint es heute unwahrscheinlich, dass der Sicherheitsrat geneigt wäre, als erstes Abkommen dieser Art ausgerechnet eine Vereinbarung über den Verzicht auf die Anforderung militärischer Hilfe abzuschliessen.

c. Beitritt ohne ausdrücklichen Neutralitätsvorbehalt Im Rahmen der Verhandlungen, die zum Abschluss des Staatsvertrages von 1955 führten, ist zwischen Österreich und der Sowjetunion vereinbart worden, dass Österreich sich inskünftig einem Neutralitätsstatut unterstellen werde, das demjenigen der Schweiz entspreche.1) Dieses Statut wurde auf dem Wege der innerstaatlichen Verfassungsgesetzgebung ausgestaltet und hierauf allen Staaten notifiziert, mit denen Österreich diplomatische Beziehungen unterhielt. Während zahlreiche Staaten sich damit begnügten, von dieser Notifikation Kenntnis zu nehmen, haben andere, worunter mehrere ständige Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und die Schweiz, in Beantwortung der österreichischen Mitteilung die immerwährende Neutralität Österreichs ausdrücklich anerkannt. In der Folge wurde Österreich gleichzeitig mit zahlreichen anderen Staaten auf Grund eines zwischen den Ost- und Westmächten ausgearbeiteten Kompromisses in die Vereinten Nationen aufgenommen. Österreich brachte dabei keinen Vorbehalt an, und die Vereinten Nationen selbst gaben keine Zusage ab, dass die immerwährende Neutralität Österreichs anerkannt werde. Dennoch scheint das Neutralitätsstatut Österreichs auch innerhalb der Vereinten Nationen weitgehend gesichert. Da Österreichs Neutralität von mehreren ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates ausdrücklich anerkannt wurde, dürfte grundsätzlich, soweit diese Staaten bereit sind, sich an die aus der Anerkennung sich ergebende Pflicht zur Respektierung der Neutralität und der damit verbundenen Freiheit von Bündnissen zu halten, keine Möglichkeit bestehen, Österreich zur Teilnahme an Sanktionsmassnahmen zu verpflichten, die mit seinem Neutralitätsstatut
unvereinbar wären. Gewisse Autoren sind freilich der Ansicht, es könne heute eine Neutralität nur noch innerhalb der Pflichten der Charta geben, und gelangen daher zu einem anderen Ergebnis. Im übrigen stellte Generalsekretär U Thant selbst an einer am 6. Juli 1966 in Genf abgehaltenen Pressekonferenz - in der Wiedergabe des «Journal de Genève» vom 7. Juli 1966 - folgendes fest: «Die Schweiz könnte sich jedoch (als UNO-Mitglied) sicher nicht lossagen von den Verpflichtungen, die ihr die Charta auferlegen würde, z. B. von den wirtschaftlichen und militärischen Sanktionen. Ausnahmen von der Art, wie sie der Schweiz seinerzeit beim Völkerbund zugestanden worden waren, würden nämlich für die Zukunft schwierige Probleme aufwerfen.» !> VgLl.Teil,n.Kap.,Cl.

1554 Die geschichtliche Konstellation, in der die Aufnahme Österreichs erfolgte, war einmalig1) ; doch dürften die rechtlichen und politischen Überlegungen, die dabei massgebend waren, bis zu einem gewissen Grade wenigstens auch für die neutrale Schweiz Geltung haben.

Im Falle eines Beitritts wäre noch im einzelnen zu prüfen, ob die Zustimmung der Mitgliedstaaten zu einem Beitritt der Schweiz ohne ausdrücklichen Neutralitätsvorbehalt als stillschweigende Anerkennung ihres Neutralitätsstatuts ausgelegt werden dürfte. Eine solche Auslegung liesse sich besonders dann vertreten, wenn wir schon vor der Aufnahme den Mitgliedern unsere Auffassung zur Kenntnis bringen würden, wonach die Grundsätze der UNO-Charta die Beibehaltung der permanenten Neutralität gestatten.

d. Assoziation oder Konsultativstatus ?

Es ist schon die Frage aufgeworfen worden, ob die Schweiz nicht darauf abzielen sollte, bei den Vereinten Nationen als bloss assoziiertes Mitglied oder mit rein konsultativem Status teilzunehmen, ohne sich sämtlichen Verpflichtungen (etwa aus Kapitel VII) zu unterziehen und ohne sämtliche Mitgliedschaftsrechtc auszuüben. Dieser Weg erscheint jedoch kaum gangbar. Die Charta der Vereinten Nationen sieht weder eine Assoziationsmöglichkeit noch einen Konsultativstatus noch eine Aufnahme unter Vorbehalt gegenüber Verpflichtungen im Rahmen der Charta vor. Im übrigen hat bisher kein Staat um eine blosse Teilmitgliedschaft nachgesucht. Eine solche Lösung stände auch mit dem Geist der Charta nicht im Einklang und würde wohl von der Mehrzahl der Mitgliedstaaten abgelehnt.

2, Das landesrechtliche Vorgehen im Falle eines Beitritts a. Gemäss Artikel 89 Absatz 4 der Bundesverfassung sind Staatsverträge mit dem Ausland, welche unbefristet sind oder für eine Dauer von mehr als 15 Jahren abgeschlossen werden, dem fakultativen Staatsvertragsreferendum zu unterstellen. Da ein Beitritt zu den Vereinten Nationen und die daraus folgende Übernahme der Verpflichtungen aus der UNO-Charta bedingungslos und ohne zeitliche Beschränkung zu erfolgen haben und ein Austritt aus den Vereinten Nationen nicht ausdrücklich vorgesehen istä), dürften die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Verfassungsartikels gegeben sein. Bei einer Abstimmung gemäss Artikel 89 Absatz 4 der Bundesverfassung entscheidet das Stimmenmehr der Bürger;
Ständestimmen werden nicht berücksichtigt.

b. Nach vorherrschender Völkerrechtsdoktrin, die sich die Schweiz zu eigen gemacht hat und die auch der Rechtsprechung der beiden internationalen Ilaager Gerichtshöfe entspricht, gehen völkerrechtliche den landesrechtlichen Normen vor, auch wenn diese den Charakter von Verfassungssätzen l

> Vgl. dazu ausführlich I.Teil, II. Kap., C l sowie 2.Teil, B l a.

"> Vgl. unten D 3.

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haben. *> Demgemäss müssten völkerrechtliche Verpflichtungen aus der Charta, die mit der Bundesverfassung nicht in Einklang stehen, zu einer Verfassungsrevision führen, die gemäss Artikel 118 der Bundesverfassung Volk und Ständen zu unterbreiten wäre. Da die Ziele der Vereinten Nationen mit jenen der schweizerischen Politik in hohem Masse übereinstimmen, ist jedoch nicht anzunehmen, dass die sich aus der Charta ergebenden Verpflichtungen mit irgendwelchen Bestimmungen der Bundesverfassung in Widerspruch geraten.

c. In der Botschaft des Bundesrates vom 4. August 1919 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund (BB11919IV 629 ff.) vertrat der Bundesrat die Auffassung, es handle sich hier um eine materiell so bedeutende Frage, dass die Zustimmung von Volk und Ständen erforderlich sei, obwohl eine Verfassungswidrigkeit nicht behauptet werden könne. Er schlug daher die Aufnahme eines neuen Abschnitts in die Bundesverfassung vor, der aus einem einzigen Artikel bestehen und den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund zum Gegenstand haben sollte. Die Bundesversammlung schloss sich den Erwägungen des Bundesrates über die Verfassungsmässigkeit eines Beitrittes zum Völkerbund an, lehnte aber den Gedanken eines Verfassungszusatzes ab und entschied sich stattdessen für einen dem obligatorischen Referendum von Volk und Ständen zu unterstellenden Bundesbeschluss. In diesem Sinne wurde auch vorgegangen.2) Rechtlich bedeutet dieser Bundesbeschluss einen speziellen Verfassungsrechtssatz.

d. Mehr der Vollständigkeit halber sei schliesslich erwähnt, dass es denkbar wäre, einen neuen Verfassungsartikel zu schaffen, durch den ganz allgemein der Beitritt zu politischen internationalen Organisationen, denen Hoheitsrechte übertragen werden, unter Vorbehalt des fakultativen Staatsvertragsreferendums gemäss Artikel 89 Absatz 4 der Zuständigkeit von Bundesrat und Bundesversammlung unterstellt würde. Dieses Vorgehen wäre zwar zweckmässig, lässt sich aber aus innenpolitischen Gründen kaum verwirklichen. Der Bundesrat möchte deshalb davon abraten.

e. Auch wenn die Voraussetzungen des Beitritts nicht dieselben sind, so wäre doch die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen für die Schweiz nicht minder bedeutsam als die Mitgliedschaft beim Völkerbund. Politisch rechtfertigt sich daher ein analoges Vorgehen wie bei der
Annahme des Völkerbundspaktes.

Es entspricht dem Geist der direkten Demokratie, einen Schritt, der für die Zukunft des Landes so bedeutsam ist, Volk und Ständen zur Entscheidung vorzulegen. In diesem Sinne äusserte sich auch der Vorsteher des Politischen Departements in der Herbstsession 1965 in seiner Antwort auf die Interpellationen » Vgl. z. B. Ständiger Internationaler Gerichtshof, Serie B Nr. 17 S. 32; die Beantwortung der Interpellation Korner durch Bundesrat Spühler im Nationalrat am 10. Dezember 1968; Aubert: Traité de droit constitutionnel suisse, Bd. II, 1967, Nr. 1146, S. 427 ; Guggenheim : Traité de droit international public, Bd. 1,2. Aufl. 1967, S. 57,73 Anm. 4,74 Anm. 1.

a > Vgl.StBN1919,S. 951 ;StBS 1919.S.620.

1556

Purgier und Hubacher. Was der Bundesrat in seiner Botschaft an die Bundesversammlung vom 4. August 1919 zur Frage des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund ausführte, hat entsprechend auch für den Beitritt zu den Vereinten Nationen Gültigkeit: «Wir befinden uns einer neuen, vom Verfassungsgesetzgeber nicht in Betracht gezogenen Situation gegenüber, und da es sich um eine Angelegenheit von höchster Bedeutung handelt, ist es eine politische Pflicht der Behörden, sich an die Instanz zum Entscheid zu wenden, von der sie ihre Befugnisse ableiten.» (BB1.1919 IV 630) D. Die allgemeine Entwicklung der Vereinten Nationen seit 1945 1. Chartarevisionen

Die Wandlung der Vereinten Nationen von der Siegerkoalition des Zweiten Weltkrieges zu einem fast universellen Gebilde, das praktisch alle ideologischen und politischen Systeme umfasst, vollzog sich ohne Änderung der Charta. Die Zunahme der Zahl der Mitgliedstaaten führte lediglich zur Erweiterung der verschiedenen Gremien und zur Änderung der Artikel 23, 27, 61 und 109. Es fehlt zwar nicht an neuen Impulsen und Reformvorschlägen; doch haben diese wenig Aussicht auf Verwirklichung, weil es heute kaum möglich wäre, unter den Mächten jenes Mass an Konsens zu erzielen, das die Gründer unter dem Eindruck des Kriegserlebnisses beseelte.

2. Kollektive Sicherheit und Massnahmen zur Friedenserhaltuiig

Die Charta überträgt die Entscheidung über die Verhängung von Zwangsmassnahmen im Falle einer Bedrohung des Friedens, eines Friedensbruchs oder eines Angriffs dem Sicherheitsrat. Dieses Organ der Vereinten Nationen vermochte indessen seine Aufgabe der Friedenswahrung in den meisten Fällen nicht zu erfüllen. Die Parteinahme der Grossmächte für die eine oder andere Seite des Konflikts verhinderte immer wieder die Einstimmigkeit der ständigen Ratsmitglieder, die für das Zustandekommen eines Beschlusses notwendig ist.

Das Velorecht der Grossmächte lahmte das ursprünglich vorgesehene System der kollektiven Sicherheit weitgehend. An seine Stelle trat das nukleare «Gleichgewicht des Schreckens».

Angesichts der häufigen Aktionsunfähigkeit des Sicherheitsrates versuchte man schon frühzeitig, diesen durch die Generalversammlung zu ersetzen.1' Doch blieb die Rechtsgültigkeit dieser Versuche umstritten. Allmählich entwikkelte sich deshalb eine neue Methode der Konfliktsverhütung: die auf Freiwilligkeit beruhenden friedenserhaltenden Aktionen. Unter Verzicht auf die Bezeichnung eines Schuldigen im Sinne des Kapitels VII der Charta und mit Einverständnis der beteiligten Streitparteien wurde versucht, durch ein System von Beobachtern, die Ernennung von Vermittlern oder durch die physische l

> Dazu 1. Teil, I.Kap., C 7.

1557 Isolierung der Streitparteien mit Hilfe militärischer Verbände eine Lösung oder Neutralisierung akuter oder drohender Konflikte herbeizuführen. So gelang es dem Sicherheitsrat etwa, in den Konflikten um Kaschmir und Zypern, wo eine bürgerkriegsähnliche Situation bestand, die Lage zu entschärfen. Im Falle von Kaschmir genügte dazu die Entsendung von Beobachtern, in Zypern musste eine eigentliche Friedenserhaltungstruppe eingesetzt werden.

Einige Erfolge gaben zur Hoffnung Anlass, dass mit diesem System die zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens geeignete Formel gefunden sei. Meinunpverschiedenheiten über die Durchführung einzelner friedenserhaltender Aktionen sowie der zwischen den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates über die Finanzierung entbrannte Streit, der die Vereinten Nationen während längerer Zeit lahmte, haben jedoch die Schwächen einer Regelung gezeigt, die von der Charta nicht vorgesehen ist. Immerhin verdient die Tatsache Anerkennung, dass es den Vereinten Nationen mit ihren friedenserhaltenden Aktionen zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit gelungen ist, international zusammengesetzte Friedenstruppen einzusetzen, denen Teilerfolge beschieden waren.

Bis zur Stunde ist es nicht gelungen, allgemeine Regeln für die friedenserhaltenden Aktionen auszuarbeiten. In dem mit dieser Aufgabe betrauten" «Komitee der 33», einem Ausschuss der Generalversammlung, spielen Irland, Österreich und Schweden eine führende und nützliche Rolle; doch zeigen sich hier die Grenzen des für kleine Staaten Erreichbaren. Es genügt, dass eine Grossmacht nicht Hand zu einer gangbaren Lösung bietet, um jede konstruktive Arbeit zu verhindern.

Aus diesen Gründen stehen zahlreiche Staaten den friedenserhaltenden Aktionen wieder zurückhaltender gegenüber. Anderseits zeichnet sich im Sicherheitsrat eine Tendenz ab, in vermehrtem Masse von den im VII. Kapitel der Charta vorgesehenen Zwangsmassnahmen Gebrauch zu machen. Der Sicherheitsrat beschloss bisher nur ein einziges Mal Sanktionen gemäss Kapitel VII, und zwar nicht gegen einen unabhängigen Staat, sondern gegen die britische Kolonie Rhodesien (1966 und 1968).1' Die afro-asiatischen Staaten legen der Generalversammlung Jahr für Jahr Resolutionstexte vor, die den Sicherheitsrat auffordern, wirtschaftliche Sanktionen gegen Südafrika zu beschliessen. Diese
gegen die südafrikanische Rassenpolitik gerichteten Resolutionen erhalten regelmässig über 80 annehmende Stimmen. Der Sicherheitsrat hat aber der Aufforderung der Generalversammlung bisher keine Folge geleistet.

3. Von der Allianz der Siegerstaaten des zweiten Weltkrieges zur nahezu universalen Organisation Aus einer Allianz der Siegerstaaten des zweiten Weltkrieges sind die Vereinten Nationen zu einer nahezu universellen Organisation geworden. Die Mitgliederzahl stieg von 51 im Gründungsjahr 1945 auf 76 im Jahre 1955, 100 im ^Vgl.I.Teil,III. Kap.,B4b.

1558 Jahre 1960 und 126 Ende 1968. Der grösste Zuwachs erfolgte in den Jahren 1958 bis 1962 im Zuge der Entkolonialisierung. Die Mehrzahl der heutigen Mitglieder sind ehemalige Kolonien. Von wenigen sogenannten Zwergstaaten1' (Andorra, Liechtenstein, Monaco, Nauru, San Marino und Westsamoa) abgesehen, ist ausser der Schweiz kein Staat den Vereinten Nationen von sich aus ferngeblieben. Der Beitritt der geteilten Länder Deutschland, Korea und Vietnam scheiterte bisher an der Uneinigkeit der Grossmächte, Von besonderer Bedeutung ist, dass bis heute auch die Zulassung der Volksrepublik China mit ihren gegen 800 Mio. Einwohnern mangels einer befürwortenden Zweidrittelsmehrheit in der Generalversammlung blockiert war. Man kann sich fragen, ob die Volksrepublik China beim Wegfallen dieses Hindernisses ihre bisherige Haltung, die in einer vollständigen Ablehnung der Vereinten Nationen bestand, nicht ändern würde.

Nur ein einziger Staat, Indonesien, ist bisher, im Jahre 1965, aus der Organisation ausgetreten, um nach kurzer Zeit, 1966, wieder in den Schoss der Weltorganisation zurückzukehren. Um keinen Präzedenzfall zu schaffen, legte das Sekretariat der Vereinten Nationen den indonesischen Austritt als blosse zeitweilige Abwesenheit aus und schloss mit Indonesien - mit Zustimmung der Generalversammlung - ein Finanzabkommen ab, das die Mitgliederbeiträge für die Zeit der Abwesenheit herabsetzte. Die Rechtsgültigkeit des Austritts ist mit Rücksicht auf die Vorarbeiten zur Charta und angesichts ihres Wortlautes, der eine solche Möglichkeit nicht vorsieht, umstritten geblieben.2) In den ersten Jahren ihres Bestehens waren die Vereinten Nationen in ihrem Streben nach Universalität auf Schwierigkeiten gestossen.3' So wurde während einiger Zeit das politische Regime Spaniens als Hindernis für eine Aufnahme betrachtet. Im Zeichen des Kalten Krieges verhinderten die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten während mehrerer Jahre die Aufnahme von Staaten, die mit der Gegenpartei verbunden waren. Seit 1956 ist jedoch, wenn man von den eingangs erwähnten Sonderfällen absieht, kein Aufnahmegesuch abgelehnt worden. Ungeachtet ihrer Grosse und ihres politischen Systems wurden die direkten oder indirekten Kriegsteilnehmer des zweiten Weltkrieges auf Seiten der Achsenmächte sowie die vielen Länder, die ihre Unabhängigkeit
neu erlangt haben, aufgenommen. Für die letzteren bedeutet die Aufnahme in die Vereinten Nationen eine weltweite Anerkennung ihrer jungen Souveränität.

Bisher kam es zu keinen Ausschlüssen aus den Vereinten Nationen (Art, 5 der Charta). Im Herbst 1968 nahm die 2. Kommission der 23. Generalversammlung eine Resolution über den Ausschluss Südafrikas aus der UNCTAD mit einfachem Mehr knapp an. In der Generalversammlung selbst stimmte zwar eine klare Mehrheit für den Ausschluss Südafrikas. Da indessen davon ausgegangen wurde, dass ein solcher Beschluss - als sog. wichtige Frage - eines Zweidrittelmehrs bedürfe, kam der Ausschluss nicht zustande.

*> Der Begriff hat sich m der Volkerrechtspraxisi eingebürgert und hat keinen herabwürdigenden Sinn.

a > Vgl. United Nations Conference a. a. O, Bd. l, S. 673 f.

·> Vgl. Art. 4 der Charta, Art. 58-60 des Geschäftsreglements des Sicherheitsrates.

1559 4. Einfluss des Kalten Krieges

Erfolg und Misserfolg der Vereinten Nationen sind von Anfang an das Ergebnis der weltpolitischen Konstellation einerseits und des Kräfteverhältnisses innerhalb der Organisation anderseits gewesen. Während mindestens zehn Jahren überschattete der als Kalter Krieg bekannte ideologische und machtpolitische Konflikt zwischen den beiden Weltmächten Sowjetunion und Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten die gesamte Tätigkeit der Vereinten Nationen. In einer ersten Periode war der Sicherheitsrat in Krisensituationen infolge des häufigen Gebrauchs des Vetorechts durch die Sowjetunion praktisch zur Handlungsunfähigkeit verurteilt. Gleichzeitig verfügten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in der Generalversammlung über eine Mehrheit und versuchten deshalb, die Kompetenz der Generalversammlung auf Kosten des Sicherheitsrates auszuweiten. Das spektakulärste Ergebnis dieser Bemühungen ist die Resolution «Uniting for Peace» vom 3. November 1950, in der sich die Generalversammlung das Recht zuspricht, an Stelle des Sicherheitsrates Empfehlungen zur Beilegung eines internationalen Konfliktes zu beschliessen, falls der Sicherheitsrat zufolge der fehlenden Einstimmigkeit seiner ständigen Mitglieder nicht imstande ist, seiner primären Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit nachzukommen.

Die Zunahme der Mitgliederzahl der Vereinten Nationen führte dazu, dass das anfängliche zahlenmässige Übergewicht der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten teils weniger ausgeprägt wurde, teils überhaupt verschwand.

Gleichzeitig trat im Konflikt zwischen den beiden Weltmächten eine gewisse Auflockerung der Fronten ein. Der Ost-West-Gegensatz hat damit seine beherrschende Rolle innerhalb der Vereinten Nationen weitgehend eingebüsst.

Zu dieser Entwicklung hat in jüngster Zeit auch der sogenannte Bilateralismus zwischen den beiden Supermächten beigetragen.

5. Entkolonisierung und Probleme der Dritten Welt

Es ist vielleicht das grösste Verdienst der Vereinten Nationen, den Entkolonisierungsprozess, der einen Markstein in der geschichtlichen Entwicklung bildet, in relativ geordnete Bahnen gelenkt zu haben. Es erscheint mehr als fraglich, ob dieser Prozess nicht viel stürmischer und blutiger verlaufen wäre, wenn nicht die Vereinten Nationen als Katalysator gewirkt und das Aufeinanderprallen der Grossmächte verhindert hätten.

Für die neu entstandenen Staaten ist die Aufnahme in die Weltorganisation die eigentliche Krönung ihrer Unabhängigkeit. Gleichzeitig kommen sie damit in den Genuss der multilateralen Entwicklungshilfe, die oft der bilateralen, vielfach mit politischen Auflagen und damit neuer Abhängigkeit verbundenen Hilfe vorgezogen wird.

Das Abflauen des Kalten Krieges, die neuen Mehrheitsverhältnisse und die wachsende Dringlichkeit der weltweiten Regelung gewisser Wirtschaftsund Finanzfragen bewirkten, dass sich die Vereinten Nationen intensiver mit

1560 Problemen der Dritten Welt zu befassen begannen. Zuerst galt es, den Prozess der Entkolonisierung unter möglichst günstigen Bedingungen abzuschliessen.

Von den bei der Gründung der Vereinten Nationen bestehenden elf Mandatsgebieten des Völkerbunds konnten die meisten in kurzer Zeit zur Unabhängigkeit geführt werden. Der Treuhandschaftsrat der Vereinten Nationen hat seine Arbeit somit zum grössten Teil erfüllt. Es verbleiben zur Hauptsache noch die Pazifikinseln (USA-Mandat gemäss einem Abkommen von 1947) und Neuguinea (australisches Mandat).1' Daneben gibt es indessen noch eine grosse Zahl von unselbständigen Gebieten, die zwar nicht unter einem Mandat standen, die aber ebenfalls nach Emanzipation streben und früher oder später als selbständige Staaten um Aufnahme in die Vereinten Nationen nachsuchen werden.

Verschiedentlich traten Konflikte innerhalb der Dritten Welt oder zwischen der Dritten Welt und den ehemaligen Kolonialmächten auf. Endlich machte sich mit wachsender Dringlichkeit die Notwendigkeit der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung der afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten geltend. Die Diskrepanz zwischen den stark industrialisierten und meist reichen europäischen und nordamerikanischen Ländern und den vorwiegend auf Urproduktion ausgerichteten und teilweise überbevölkerten Entwicklungsländern steht zeitweise im Mittelpunkt der gesamten Tätigkeit der Vereinten Nationen.

Die Mehrheitsverhältnisse in der Generalversammlung stehen offensichtlich im Widerspruch zur wirklichen politischen Machtverteilung. Die Regel, dass jeder Staat je eine Stimme hat, trägt der unterschiedlichen Grosse und Bevölkerungszahl sowie der wirtschaftlichen und politischen Macht der Mitgliedstaaten nicht Rechnung, was in der finanziellen Belastung besonders deutlich zum Ausdruck kommt. So zahlen z. B. 25 industrialisierte Staaten 82,6 Prozent an das Budget der Vereinten Nationen, während die übrigen 101 Staaten sich in die restlichen 17,4 Prozent teilen.

Im Laufe der Jahre wurden sich die Entwicklungsländer ihrer Mehrheit in der Generalversammlung immer stärker bewusst. Die ungefähr 25 industrialisierten Staaten boten zunächst Hand zur Schaffung verschiedener spezialisierter Organe, wie z.B. IDA, UNCTAD, PAM, PNUD, ONUDP>. Die Entwicklungsländer neigten jedoch in der Folge dazu,
ihre Wünsche in Resolutionstexte zu kleiden, ohne sich der Unterstützung durch die industrialisierten Staaten zu versichern und ohne sich zu fragen, ob die Beschlüsse auch in die Tat umgesetzt werden können. Als Beispiele dafür seien erwähnt: die Schaffung des Kapitalfonds für Entwicklungsländer, die gegen die Stimmen der industrialisierten Staaten beschlossen wurde und bisher weitgehend toter Buchstabe blieb; der Entzug des Mandats Südafrikas über Südwestafrika, wobei die Clrossmächte nicht am vorgesehenen Organ zur Verwaltung von Namibia teilnahmen; die unrealistische Fristsetzung an Grossbritannien zur Rückgabe der 'l Zur Lage in Südwestafrika (Namibia) siehe Anhang We.

a > Vgl. 1. Teil, IH. Kap., C 2 b.

1561 Kolonie Gibraltar. Solche wirklichkeitsfremden Beschlüsse können dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen nicht förderlich sein.

Seit einiger Zeit lassen sich jedoch Ansatzpunkte dafür erkennen, dass sich verschiedene Mitgliedstaaten aus der Dritten Welt mehr und mehr Rechenschaft darüber geben, wie sehr eine realistischere Beurteilung in ihrem eigenen Interesse läge.

Das Ansehen der Generalversammlung leidet aber auch unter dem hie und da angewandten zweierlei Mass, etwa bei der Behandlung von Verletzungen der Menschenrechte oder bei der von einzelnen Mitgliedstaaten gemachten Unterscheidung zwischen «gerechten» und folglich erlaubten «Befreiungskriegen» anderseits.

6, Das ungelöste Problem der Zwergstaaten

Die Vereinten Nationen dürften, falls alle noch unabhängig werdenden Gebiete aufgenommen würden, in ein paar Jahren schätzungsweise 200 Mitglieder zählen. Die meisten der voraussichtlichen neuen Mitglieder würden der Kategorie der sogenannten Zwergstaaten angehören.

Im Zeichen der angestrebten Universalität sähe der UNO-Generalsekretär gern jeden Staat in der einen oder ändern Form mit den Vereinten Nationen verbunden. Unter diesem Gesichtspunkt kam er in der Einführung zum Jahresbericht 1966/67 auf das Problem der Zwergstaaten zu sprechen und bejahte das Recht auf Unabhängigkeit selbst des kleinsten Staatsgebildes ; davon zu trennen sei jedoch das Recht auf volle Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen, das für einzelne dieser Zwergstaaten unerträgliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen und kaum lösbare Personalprobleme stellen würde.

Der Generalsekretär schlug vor, es sei von den zuständigen Organen zu prüfen, ob für Zwergstaaten nicht andere Formen der Assoziation mit den Vereinten Nationen denkbar wären. Er wies auf die Möglichkeit hin, sich durch einen ständigen Beobachter in New York und Genf vertreten zu lassen. Damit empfahl er die gleiche Vertretungsform, die gegenwärtig der Schweiz und den geteilten Staaten als einzige Möglichkeit offensteht. Dabei sollte nach der Vorstellung des Generalsekretärs der Status des Beobachters, dem heute die rechtliche Grundlage fehlt, genau festgelegt werden. Diese Art der Assoziation würde den Zwergstaaten erlauben, aus den Mitteln der Vereinten Nationen für ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt Nutzen zu ziehen, ohne drückende finanzielle Lasten auf sich nehmen zu müssen. Die Folgen einer Neuformulierung des Beobachterstatus können heute noch nicht abgesehen werden. Es wäre denkbar, dass in Zukunft zwei Kategorien von Beobachtern entstehen oder aber dass der Status der Beobachter auf die Bedürfnisse der zahlreichen Zwergstaaten zugeschnitten wird. Im letzteren Falle könnte es nicht ausbleiben, dass der Beobachterstatus für die gegenwärtigen Beobachter eine kaum tragbare Entwertung erfahren würde.

Zur Zeit stehen einem Zwergstaat drei Möglichkeiten offen : die Mitgliedschaft (z. B. Malediven), die Entsendung eines Beobachters (z. B. Monaco) oder Bundesblan. 121. Jahrg. Bd.I

96

1562 der Verzicht auf ständige Beziehungen zur Organisation (z. B. Liechtenstein, Nauru und Westsamoa). Allen steht die Möglichkeit offen, Probleme, die das Land direkt berühren, vor den Sicherheitsrat zu bringen (Art. 32 der Charta) sowie dem Internationalen Gerichtshof (Art. 93 Ziff. 2), den Spezialorganisationen und den regionalen Wirtschaftskommissionen beizutreten.

7. Hinwendung zu einer multilateralen Weltpolitik Eine wichtige Folge der weitgehenden Universalität der Vereinten Nationen und ihrer SpezialOrganisationen ist die zunehmende Multilateralisierung der Behandlung internationaler Fragen. Dies gilt nicht nur für die technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gebiete, wie die Weltraumfragen, den Welthandel und die wirtschaftliche Entwicklung oder die Vereinheitlichung, Weiterentwicklung und Kodifizierung des Völkerrechts. Die Völkergemeinschaft sucht auch auf dem Gebiete der Politik nach neuen Formeln des Zusammenlebens, In zunehmendem Masse werden deshalb auch politische Probleme multilateral erörtert. Die kollektive Behandlung hochpolitischer Angelegenheiten kann dabei eine Klärung der Verhältnisse bewirken, auch wenn dies vielleicht vorerst noch zu keinen greifbaren Ergebnissen führt. Über die Bedeutung dieser Entwicklung sollte auch die unbestreitbare Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass bei den Versuchen zur Lösung internationaler Konflikte auch die bewährten Methoden der bilateralen Verhandlung und der klassischen Diplomatie nach wie vor eine hervorragende Rolle spielen. Immer häufiger werden aber auch für diese Form des zwischenstaatlichen Dialogs die Vereinten Nationen als Begegnungsstätte gewählt. Die Multilateralisierung der politischen Fragen und ihrer Regelung führt erfahrungsgemäss zu einer Verstärkung der bereits bedeutenden Verflechtung des internationalen Lebens, Auch die an einer Auseinandersetzung nicht direkt beteiligten Staaten werden durch Konflikte in vermehrtem Masse berührt und können in höherem Grade zu ihrer Beilegung beitragen.

Auch die Schweiz muss dieser Hinwendung zu einer multilateralen Weltpolitik bei der Gestaltung ihres aussenpolitischen Instrumentariums Rechnung tragen. Mit Bezug auf unsere Aussenwirtschaftspolitik ist dies bereits geschehen. Die Schweiz ist, um ihre bedeutenden Aussenhandelsinteressen wirksam verteidigen und an der internationalen
wirtschaftlichen Zusammenarbeit teilnehmen zu können, den meisten zu diesem Zweck in der Nachkriegszeit geschaffenen multilateralen Gremien beigetreten. Der Schwerpunkt liegt bei Organisationen wie der EFTA, der OECD und dem GATT, die über eigentliche Verhandlungs- und Beschlussfassungskompetenzen verfügen. Diese übertreffen an Bedeutung die wirtschaftlichen Gremien der Vereinten Nationen, die heterogener zusammengesetzt sind und nur die Befugnis haben, Empfehlungen an die Regierungen der Mitgliedstaaten zu richten. Da jedoch auch diese Organisationen vor allem auf dem Gebiet der handelspolitischen Entwicklungshilfe die Möglichkeit nützlicher Kontakte bieten und eine Koordination der nationalen Massnahmen zur Steigerung ihrer Wirksamkeit in die Wege leiten

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sollen, nimmt die Schweiz an deren Arbeiten ebenfalls teil. Sie wurde bei ihrer Tätigkeit in Gremien wie der UNCTAD, der ONUDI und dem PNUD, obschon es sich dabei um Organe der Generalversammlung handelt, durch ihre Nicht-Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen bisher kaum behindert.1' Wenn somit das Mitspracherecht der Schweiz bei der Gestaltung der Welthandelspolitik gesichert erscheint, ist dagegen im Bereich der allgemeinen Aussenpolitik sowie der Aussenpolitik auf dem Gebiete der Wissenschaft eine vermehrte Anpassung an die skizzierte Entwicklung norwendig.

£. Die Schweiz als Mitglied und als Nichtmitglied - Interessenabwägung 1. Allgemeine Beurteilung der Vereinten Nationen

a. «Politische» und «technische» Vereinte Nationen Für die Beurteilung der Vereinten Nationen und unseres Verhältnisses zu ihnen ist es zweckmässig, zwischen der politischen und der technischen Organisation zu unterscheiden.

Wenn man ganz allgemein von den Vereinten Nationen spricht, so versteht man darunter die politische Organisation der Vereinten Nationen, d, h.

den Sicherheitsrat und die Generalversammlung mit ihren sieben Hauptkommissionen und den zahlreichen Sonderausschüssen, den Wirtschafts- und Sozialrat, den Treuhandschaftsrat sowie das UNO-Sekretariat, soweit es sich mit politischen Fragen befasst.

Davon zu trennen ist das, was man stark vereinfachend die technische Organisation nennen kann, nämlich die grosse Familie der Spezialagenturen des Wirtschafts- und Sozialrates, das GATT, die Atomenergieagentur und die Organe für die multilaterale Entwicklungshilfe (UNCTAD, ONUDI), die direkt der Generalversammlung unterstehen, sowie der Internationale Gerichtshof3'.

Diese Scheidung drängt sich deswegen auf, weil die Schweiz der technischen UNO mit ganz wenigen Ausnahmen (Weltbank und Währungsfonds) als Vollmitglied angehört, während sie dei politischen UNO fernblieb. Offensichtlich bezieht sich das Postulat Bretscher auf die politische UNO. Nur bei dieser stellt sich allenfalls die Frage eines Beitritts. Die Unterscheidung erlaubt es aber auch, gewissen irrigen Vorstellungen mit Bezug auf das Ausmass unserer internationalen Zusammenarbeit zu begegnen. Wenn etwa von der «Isolierung» der Schweiz auf der internationalen Bühne gesprochen wird, so wird dabei gelegentlich die Tatsache ausser acht gelassen, dass sich unsere Nichtteilnahme in den Vereinten Nationen nur auf einen relativ kleinen, wenn auch wichtigen und spektakulären Teil, nämlich den politischen, beschränkt, wäh*> Vgl.untenESd.

!

>Vgl. Tabelle Anhang II.

1564 rend wir im übrigen, im technischen Teil, den man mit dem unter Wasser schwimmenden Eisberg vergleichen konnte, seit langem sehr aktiv mitarbeiten.

Anderseits erscheint die Frage berechtigt, ob es sinnvoll sei, in den Vereinten Nationen am wirtschaftlichen, technischen, sozialen und kulturellen Aufbauwerk teilzunehmen, ohne sich gleichzeitig ein Mitspracherecht im Bereiche der Politik zu sichern, von der es letztendlich abhängt, ob und in welchem Geiste dieser Aufbau erfolgt.

Ist nicht gerade unser technisches Zeitalter in ganz besonderem Masse darauf angewiesen, dass vorerst für die politischen Grundfragen wie Weltfriede, Nuklearwaffen und Abrüstung Antworten gefunden werden ?

b. Heutige Situation der Vereinten Nationen Anders als die technische UNO, die sich immer mehr entwickelt und auf zahlreichen Gebieten des menschlichen Zusammenlebens eine fruchtbare Tätigkeit entfaltet, befindet sich die politische Organisation der Vereinten Nationen eigentlich seit ihrer Gründung in einem Krisenzustand.

Es ist für den prekären Status der Organisation bezeichnend, dass sie nicht einmal ihr finanzielles Gleichgewicht aufrechterhalten konnte, sondern mit mehr als einer Milliarde Schweizerfranken verschuldet ist.

Die Verhcissung der Charta, «die kommenden Generationen vor der Geissel des Krieges zu bewahren», ist bisher nicht in Erfüllung gegangen. Die Vereinten Nationen vermochten die Kriege in Korea, in Vietnam und im Nahen Osten nicht zu verhindern und standen der militärischen Intervention in der Tschechoslowakei durch die Sowjetunion oder Konflikten wie in Jemen oder Nigeria ohnmächtig gegenüber.

Mit einer gewissen Resignation stellt der Generalsekretär in der Einleitung zum Jahresbericht 1967/68 fest: «Indem die Staaten mehr und mehr zur Gewalt Zuflucht nehmen, um ihre internationalen Konflikte zu lösen, ist es zu einer bedauerlichen Missachtung der Gebote der internationalen Ethik und Moral gekommen. Diese Tendenz, auf die Gewalt als Mittel der nationalen Politik zurückzugreifen, erschüttert die Organisation der Vereinten Nationen in ihren Grundfesten; der gerechte Ausgleich wird der Vorherrschaft der Macht geopfert, mit dem Ergebnis, dass die internationalen Spannungen zunehmen».1) Ist es da nicht verständlich, dass auch in unserm Lande immer wieder Zweifel an der Wirksamkeit und am Nutzen
der Weltorganisation geäussert werden und dass von ihrem Versagen die Rede ist? Die Frage verdient eine sorgfältige Prüfung, weil von ihrer Beantwortung letztlich unsere Einstellung und unser Verhältnis zu den Vereinten Nationen abhängen.

Zunächst ist zu sagen, dass der alte Spruch, wonach jedes Volk die Regierung habe, die es verdiene, sich auch auf die UNO übertragen lässt. Eine Welt« ONU, Chronique mensuelle, Bd. V, Nr. 9, S. 66 ff., 111 (Okt. 1968).

1565 Organisation kann nicht mehr und nicht besser sein als das, was ihre Mitglieder aus ihr machen. Es erscheint deshalb wenig sinnvoll, den Vereinten Nationen die Schuld für den unbefriedigenden Stand der internationalen Beziehungen zuzuschieben. Die Organisation ist ein Spiegelbild der politisch organisierten Menschheit in ihrer ganzen Vielfalt der Rassen, Religionen, Ideologien, Systeme und des geschichtlichen Werdeganges. Müsste man sich angesichts dieser von Vorurteilen, Ressentiments, Hunger, Egoismus und Hass geprägten Völkergemeinschaft nicht vielmehr fragen, wie es überhaupt möglich war, jenes Minimum an Konsens zu erzielen, das nötig war, um einen Völkerbund und eine UNO zu schaffen? Diese Frage ist von Völkern, welche die Schrecken der beiden Weltkriege am eigenen Leibe zu spüren bekamen, vielleicht leichter und auch gerechter zu beantworten als von den vom Kriege verschont gebliebenen, zu denen auch unser Land gehört.

Es ist interessant, festzustellen, wieviel realistischer als heute die Vereinten Nationen bei ihrer Gründung beurteilt wurden. Alle Teilnehmer an der Konferenz von San Francisco waren sich völlig bewusst, dass die zu schaffende Organisation ohne Einheit unter den Grossmächten nicht wirksam sein könnte. Die beste und einzige Garantie für die Erhaltung des Friedens schien damals die kombinierte Macht der « Grossen Fünf». Die Differenzen unter diesen waren allerdings schon in San Francisco so offensichtlich, dass niemand erwartete, ihre Einheit könne in Zukunft aufrechterhalten werden. Wesentlich erschien jedoch nicht, dass die Grossmächte zwangsläufig immer einig sein müssen, sondern dass ohne diese Einheit das UNO-Sicherheitssystem nicht funktionieren kann. Es wurde daraus auch die Konsequenz gezogen: Sollte das Sicherheitssystem mangels Einigkeit der Grossmächte versagen, so müsste den Mitgliedern das «inhärente Recht» zur Selbstverteidigung zurückgegeben werden (Art. 51 der Charta).

Diese realistische Konzeption der UNO ist später unter dem Einfluss der zahlreichen neuen Staaten, die keinen direkten Anteil am Kriegsgeschehen hatten, mehr und mehr aus den Augen verloren worden. An ihre Stelle trat eine idealistische Betrachtungsweise, die sich an der «fiktiven demokratischen» Macht der zahlenmässig überlegenen Dritten Welt nährte und aus der Organisation etwas machte,
das diese gar nicht ist und angesichts des heutigen Standes des Völkerrechts und der internationalen Beziehungen gar nicht sein kann.

Erst in jüngster Zeit sind im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt Anzeichen dafür erkennbar geworden, dass die Grossmächtc sich ihrer besondern Verantwortung im Rahmen des Sicherheitsrats wieder mehr bewusst geworden sind.

Eine solche Rückkehr zu den ursprünglichen Prinzipien von San Francisco kann der Organisation nur dienlich sein, wenn auch damit gewisse Illusionen, welche die mittleren und kleineren Nationen mit Bezug auf ihre Rolle in der Weltorganisation haben mochten, zerstört werden.

Es liegt im Wesen der Vereinten Nationen in ihren heutigen Grenzen, dass ihre politischen Leistungen nicht an spektakulären Erfolgen gemessen werden können. Zu ihren Wirkungsmöglichkeiten zählen die moraüsche Beeinflus-

1566 sung und die Isolierung eines Rechtsbrechers innerhalb und ausserhalb der Vereinten Nationen, Ganz allgemein liegt ihre Wirkung weitgehend im Präventiven, im Verhindern neuer gefährlicher Situationen, im Auffangen und Neutralisieren nationalistischer Exzesse und im geduldigen Suchen nach neuen Wegen internationaler Zusammenarbeit. Gerade in dieser realistischen Form bilden sie die einzige weltumspannende Institution, in der die Erwartungen der zivilisierten Welt auf ein friedliches Zusammenleben der Völker fassbare Gestalt annehmen. Die grösste Bedeutung der Vereinten Nationen liegt heute zweifellos darin, dass sie ein Forum bilden, in dem internationale Konflikte zwar selten eine endgültige Lösung finden, wo sie aber doch besprochen, gebremst, abgekühlt und vielleicht sogar entschärft werden können. Gleichzeitig bilden sie eine Stätte, an der sich die Vertreter aller Nationen und Rassen begegnen können, ohne auf ein ausgeklügeltes Protokoll Rücksicht nehmen zu müssen. Bei verfeindeten Parteien spielt erfahrungsgemäss die Frage, wer den ersten Schritt macht und wer zu wem kommt, eine bedeutende Rolle.

Die konstruktive Arbeit, die in der technischen Organisation der Vereinten Nationen geleistet wird, ist im übrigen nur möglich, weil sie in einer weitgehend entpolitisierten Atmosphäre geleistet werden kann, was allein darauf zurückzuführen ist, dass die politische Auseinandersetzung in den dafür geschaffenen Organen - Sicherheitsrat und Generalversammlung - stattfindet. Die schweizerischen Delegationen in den SpezialOrganisationen der UNO haben die Weisung, dafür einzutreten, dass die Behandlung politischer Fragen an diese politischen Organe verwiesen wird,1' Wie der Völkerbund ist auch die Organisation der Vereinten Nationen kein Idealgebilde, sondern ein Kompromiss zwischen der Idee einer vollkommenen Friedensorganisation und den politischen Gestaltungsmöglichkeiten in einer noch weitgehend nationalstaatlich ausgerichteten und ideologisch gespaltenen Welt. Der prekäre Friede, den wir heute gemessen, ist zweifellos nur zu einem kleinen Teil die Frucht der Bemühungen der Vereinten Nationen. Solange es nicht zu einer umfassenden Abrüstung kommt - und davon sind wir bekanntlich noch weit entfernt -, werden die Vereinten Nationen, wie immer man sie noch ausbauen und festigen mag, immer und
bestenfalls nur ein Hilfsinstrument und nicht Garant für die Friedenserhaltung sein. Der Gedanke der kollektiven Sicherheit bleibt utopisch, solange nationale Interessen mit Waffengewalt durchgesetzt werden können. Der Weg, den die Vereinten Nationen eingeschlagen haben, ist jedoch richtig. Die UNO ist auch der einzige Versuch einer Weltorganisation, dessen Zeugen wir sind. Sie ist gleichzeitig das grösste friedliche internationale Gemeinschaftswerk, das je auf der Erde unternommen worden ist, und sie besitzt den höchsten Grad von Universalität, der je erzielt wurde. Gemessen etwa am Westfälischen Frieden oder am Wiener Kongress sind die Vereinten Nationen ein Markstein in der Geschichte der politischen internationalen Organisationen und der Friedensordnung.

»> Vgl. l. Teil, III. Kap., C 4 d bb.

1567

e. Interesse der Schweiz an einer positiven Weiterentwicklung der Vereinten Nationen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen sind auch die unseren. In ihrer Verwirklichung liegt auch die Sicherheit unseres Landes beschlossen. Die Welt und der Friede sind bis zu einem gewissen Grade unteilbar geworden. Infolge der Interdependenz der modernen Staaten und der Multilateralisierung der internationalen Beziehungen muss auch die Schweiz die Aufrechterhaltung des Friedens, die Beachtung der Menschenrechte, die weltweite Zusammenarbeit und den wirtschaftlichen, sozialen und technischen Fortschritt auf der ganzen Welt, die sich die Organisation der Vereinten Nationen zum Ziele setzt, fördern und unterstützen.

Die allgemeine Entwicklung der Vereinten Nationen verläuft nicht in einem Sinne, der mit der Neutralität der Schweiz und ihrer politischen Haltung im Widerspruch steht. Sie hat Neutralen, die eine ähnliche Politik verfolgen, erlaubt, eine oft nützliche Rolle zu spielen, ohne sich ihrer Grundhaltung begeben zu müssen. Die Schweiz hat von jeher ein besonderes Interesse für die friedliche Beilegung internationaler Streitigkeiten gezeigt und auf diesem Gebiete zahlreiche Initiativen ergriffen.1' Auch hier stimmen ihre Ziele mit denjenigen der Vereinten Nationen überein. Wie immer aber die weitere Entwicklung der Vereinten Nationen verlaufen wird, so muss man, wie dies der Bundesrat 1962 getan hat2}, doch feststellen, dass sich in unserer Zeit eine friedliche Weltordnung ohne eine friedenserhaltende und umfassende politische Weltorganisation nicht mehr denken lässt.

In seinem Buch «Die Atombombe und die Zukunft des Menschen » S) schreibt der Philosoph Karl Jaspers: «Wahre Politik auch der Kleinsten ist heute Weltpolitik oder an der Wirklichkeit der Weltpolitik orientiert. Wir sind nicht allein in der Welt. Es ist merkwürdig: Die Grundtatsache, dass die anderen da sind, wird zwar von jedermann gewusst, aber praktisch so leicht vergessen. Wir sind auf das, was sie tun und denken, angewiesen. In jeder Lebenssituation und für das politische Denken ist es notwendig, maximal zu wissen und zu verstehen, was der andere will, was er in seiner gegenwärtigen Erscheinung aus seiner geschichtlichen Herkunft ist. Heute, wo nichts geschieht, was in seinen Folgen nicht auf die Dauer mitbestimmt wird von dem Ganzen
der Menschheit und für dieses eine Bedeutung hat, ist das Handeln blind, das ohne innere Gegenwärtigkeit dieses Ganzen, so wie es sich uns jeweils zeigt, getan wird. ... Der Sinn der grossen Politik muss auf eine Weltordnung gehen. Diese kann nur ausgehen von den gegebenen Staaten, Territorien und Machtverhältnissen. » In diesem Sinne hat auch die Schweiz ein vitales Interesse nicht nur am Weiterbestehen, sondern an einer immer grosseren Leistungsfähigkeit der politischen Vereinten Nationen, und dies um so mehr, je stärker sich die tnterde« Vgl.z. B. 1. Teil, IH. Kap., D.

*> Vgl. 1. Teil, HI. Kap., B l b.

»> Jaspers: Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, 1962,8.112,121.

1568

pendenz der Staaten fühlbar macht und in das Bewusstsein und Gewissen der Menschen eindringt, je intensiver die Multilateralisierung der internationalen Beziehungen wird und je mehr sich die Organisation der Vereinten Nationen konsolidiert und die damit freiwerdende Energie neuen Aufgaben zuwenden kann.

2. Neutralitätsrechtliche Probleme Zweifellos stellt die Frage, wie sich unsere Neutralität mit dem System der Charta in Einklang bringen Hesse, eines der Hauptprobleme einer allfälligen schweizerischen Mitgliedschaft dar. Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass sich auf diese Frage keine völlig eindeutige Antwort finden lässt.1) Theoretisch widersprechen sich die Begriffe der kollektiven Sicherheit und der ständigen Neutralität. Verschiedene Artikel der Charta sowie die Entwicklung der Vereinten Nationen seit 1945 erlauben aber den Schluss, dass die Neutralität weiterbestehen und sogar erhöhte Bedeutung gewinnen konnte. Aber auch wenn die Neutralität mit der Mitgliedschaft nicht unvereinbar ist, so hängt es doch weitgehend vom Willen der UNO-Organe ab, wieweit sich eine konsequente Neutralität im Rahmen der Vereinten Nationen durchführen liesse. Abschwächend ist dazu immerhin zu sagen, dass der Schweiz als Nichtmitglied aus ihrer Neutralität ebenfalls Probleme erwachsen könnten, müssen doch die Vereinten Nationen gemäss Artikel 2 Ziffer 6 der Charta dafür besorgt sein, dass auch Nichtmitglieder sich an die Grundsätze der Charta halten, soweit dies für die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit notwendig ist.2) Dass bisher eine solche Bedrohung des Neutraütätsstatuts nicht oder kaum erfolgt ist, darf angesichts der objektiven Ausgangslage nicht unbedingt als Garantie dafür betrachtet werden, dass dem auch in Zukunft so sein wird.

Vielmehr hat gerade der Rhodesienkonffikt gezeigt, dass ein aussenstehender Kleinstaat die von der Mehrzahl der Mitgliedstaaten der Weltorganisation und insbesondere den einstimmigen Grossmächten befolgte Linie nicht einfach ignorieren kann. Wohl wurden die schweizerischen Massnahmen freiwillig und einseitig ergriffen, aber ihr erklärtes Ziel war doch, die Haltung der Vereinten Nationen nicht zu durchkreuzen3). Etwas vereinfacht ausgedrückt: Entweder funktioniert das System der kollektiven Sicherheit - wie dies bisher der Fall war - nicht:
dann bleibt unsere Neutralität ungefährdet, ob wir Mitglied oder Nichtmitglied sind. Oder das System funktioniert: dann würde die Neutralität durch Sanktionsbeschlüsse berührt, ob wir Mitglied oder Nichtmitglied sind.

3. Neutralitätspolitische Probleme a. Könnte ein allfälliger Beitritt der Schweiz als Änderung unseres aussenpolitischen Kurses ohne äusseren Anlass ausgelegt werden, und würde damit die Glaubwürdigkeit unserer bisherigen Neutralitätspolitik in Frage gestellt? Der Einwand ist rweifellos ernst zu nehmen; doch sollte seine BeJ ) a

Vgl. 2. Teil, B.

> Vgl.2. Teil, B 2.

»> Vgl. 1. Teil, III. Kap., B 4 c.

1569 deutung nicht überschätzt werden. Angesichts der Entwicklung der Vereinten Nationen seit 1945 einerseits und der Wandlungen, die seither in den internationalen Beziehungen eingetreten sind, anderseits, ist die Frage ebenso berechtigt, ob nicht eine Anpassung unserer Politik an die dadurch geschaffene neue Situation notwendig sei, um diese Politik zeitgemäss und wirksam und daher auch glaubwürdig zu gestalten. In der Politik gibt es bekanntlich keinen Stillstand. Aus denselben Überlegungen dürfen wir uns auch nicht damit begnügen, auf die im Völkerbund gemachten Erfahrungen zu verweisen, sondern müssen die tiefgehend veränderte heutige Lage unseren Entschlüssen zugrunde legen.

b. Vom Standpunkt des nationalen Interesses der Schweiz aus gesehen, wird die Auffassung vertreten, dass unserem Land aus einer Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen keine nennenswerten Vorteile, wohl aber möglicherweise gewisse Nachteile erwachsen könnten. Die Schweiz wäre als Mitglied innerhalb der politischen Organe der Vereinten Nationen vermehrt gezwungen, zu zahlreichen politischen Problemen, an denen sie kein direktes Interesse hat, Stellung zu nehmen. Die Erfahrungen anderer Neutraler, insbesondere Österreichs und Schwedens, haben gezeigt, dass solche Stellungnahmen unvermeidlich sind und dass je nach den Verhältnissen auch die Stimmenthaltung oder das Fernbleiben von einer Debatte oder Abstimmung als Parteinahme ausgelegt werden kann.

Auch wenn die schweizerische Delegation ihren Voten eine klare und unmi ss verständliche neutralitätspolitische Linie zugrundelegen würde, ist doch nicht auszuschliessen, dass sich unsere Konzeption aus den aufeinanderfolgenden Stellungnahmen nicht immer mit der gewünschten Deutlichkeit ablesen liesse oder im Einzelfall verschiedene Deutungen unterworfen werden könnte. Zudem würden das in den Beschlüssen der Generalversammlung sich zuweilen äussernde zweierlei Mass, die den wirklichen Machtverhältnissen nicht entsprechende Stimmverteilung in der Generalversammlung und die Pflicht zur Solidarität mit befreundeten Staaten unser Bestreben erschweren, zu analogen Problemen im gleichen Sinn Stellung zu beziehen.

Wohl hätte die Mitgliedschaft der Schweiz kaum zur Folge, dass sie sich einem der bestehenden Blöcke anschliessen müsste; doch wird befürchtet, dass die schweizerische
Aussenpolitik ihre vorsichtige Zurückhaltung aufzugeben hätte, die sie bisher Problemen gegenüber eingenommen hat, die ihre eigenen Interessen nicht berühren, und dass die Schweiz Gefahr liefe, den Vorteil der Berechenbarkeit ihrer Aussenpolitik teilweise aufgeben zu müssen, wodurch wiederum die Glaubwürdigkeit ihrer Neutralität leiden könnte. Überdies wäre die Schweiz als Mitglied der Vereinten Nationen durch die Charta in gewissen Fällen zu einer Haltung verpflichtet, die bei einer strikten Handhabung der Neutralität bedenklich scheinen könnte. Es lässt sich daher die Auffassung vertreten, eine Mitgliedschaft unseres Landes könnte seinem Ruf dei politischen Integrität in der einen oder ändern Form Abbruch tun, da wir als Mitglied unweigerlich ins Spannungsfeld der weltweiten Gegensätze hineingezogen würden.

1570 c. Trotz dieser gewichtigen Bedenken sollten die einer Mitgliedschaft innewohnenden neutralitätspolitischen Risiken auch nicht überschätzt werden. Dies gilt einmal für den gelegentlich verfochtenen Grundsatz der Nichtbeteiligung der Schweiz an internationalen Organisationen politischen Charakters. Dieser Grundsatz ist kein klassischer Bestandteil unserer Neutralitätspolitik. Schon kurz nach der Jahrhundertwende hat sich die Schweiz aktiv an den Bemühungen um die Organisation der Völkergemeinschaft insbesondere an der Zweiten Haager Friedenskonferenz von 1907, beteiligt. Am Ende des ersten Weltkrieges legte der Bundesrat den ausländischen Regierungen einen eigenen Völkerbundsentwurf vor.1) In der Debatte über den Beitritt zum Völkerbund ist kaum von einer grundsätzlichen Nichtbeteiligung an politischen Organisationen die Rede gewesen. Bei der Überprüfung der Möglichkeit eines Beitritts der Schweiz zu den Vereinten Nationen kam die Konsultativkommission 1945 sogar einmütig zum Schluss, dass die Mitgliedschaft anzustreben sei.!> Als Hindernis wurde lediglich die Unvereinbarkeit der Neutralität mit dem System der kollektiven Sicherheit gesehen. Schliesslich ist die Schweiz 1963 auch dem Europarat beigetreten.3> Was im übrigen den Zwang zu politischen Stellungnahmen betrifft, so hat die Schweiz in der Vergangenheit und insbesondere im Völkerbund nicht gezögert, auch in heiklen Fragen eine eigene klare Linie zu verfolgen. Nach dem zweiten Weltkrieg hat der Bundesrat bereits Ende 1949 beschlossen, die Volksrepublik China anzuerkennen, also zu einem Zeitpunkt, in dem eine solche Haltung von den Vereinigten Staaten und der Mehrzahl ihrer Verbündeten missbilligt wurde. Im Herbst 1968 verurteilte der Bundespräsident vor den eidgenössischen Räten die militärische Intervention der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in der Tschechoslowakei; er hob dabei hervor, dass die Sowjetunion weder auf Volk und Regierung der CSSR noch auf das Völkerrecht, die Vereinten Nationen oder die öffentliche Meinung Rücksicht genommen habe.

Ähnlich äusserten sich die aussenpolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte sowie das Parlament selbst.

Obwohl die Erörterung politischer Fragen die eigentliche Aufgabe der UNO-Generalversammlung und des Sicherheitsrates und nicht der Spezialorganisationen ist, finden doch immer
wieder politische Abstimmungen auch in SpezialOrganisationen statt. Der Schweiz sind dabei aus ihrer jeweiligen Stellungnahme keine Nachteile erwachsen.

Freilich müsste sich eine Mitarbeit der Schweiz innerhalb der Vereinten Nationen wohl hauptsächlich auf die Generalversammlung sowie auf wirtschaftliche und technische Organe konzentrieren, wobei sich dort die Haltung des Mitgliedstaates Schweiz kaum grundsätzlich von der des heutigen Nichtmitgliedes unterscheiden dürfte.

Schliesslich ist nicht zu übersehen, dass die Entwicklung der Vereinten Nationen von einer Siegerallianz zu einer nahezu universellen Organisation, die Aufnahme zahlreicher neutraler Staaten und Staaten der Dritten Welt seit 1945, *> Vgl. I.Teil,II. Kap.,B2a.

»> Vgl. 1. Teil,III, Kap., AI c.

') Vgl. I.Teil, II. Kap.,B5bcc.

1571 die Erfahrungen mit den friedenserhaltenden Aktionen, die chronische Uneinigkeit der Grossmächte und andere Gründe mehr dazu geführt haben, dass das Prinzip der Neutralität heute höher eingeschätzt wird als vor 24 Jahren.

4. Die Stellung der Schweiz als Nichtmitglied Alles in allem sind der Schweiz bisher aus ihrer Nichtmitgliedschaft kaum greifbare Nachteile erwachsen. Dies mag teilweise darauf zurückzuführen sein, dass sich die Schweiz überall dort, wo dies auch ohne Mitgliedschaft in der Organisation selbst und in ihren politischen Organen möglich ist, aktiv an den Arbeiten der Vereinten Nationen, ihrer Hilfsorgane, regionalen und Spezialorganisationen beteiligt. So gehört die Schweiz mehreren Organen der Generalversammlung an, namentlich der Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), deren Rat im Gründungsstadium vom Schweizer Botschafter Jolies präsidiert wurde, sowie der Organisation für industrielle Entwicklung (ONUDI), Die Schweiz ist ferner in den Verwaltungsräten des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (PNUD) und des Kinderbilfsfonds (UNICEF) vertreten und gehört der Betäubungsmittelkommission an. Auch ist sie in das erweiterte Wirtschaftskomitee des Wirtschafts- und Spezialrats (ECOSOC) gewählt worden, das mit der Vorbereitung des zweiten Entwicklungsjahrzehnts beauftragt ist. An der 23. Generalversammlung der UNO wurde ihr sogar die Teilnahme an den Arbeiten der 6. Kommission gewährt, allerdings ohne Stimmrecht. Die schweizerische Beteiligung an diesen wirtschaftlichen, technischen, sozialen, kulturellen, humanitären und anderen Tätigkeiten der technischen Vereinten Nationen ist sehr bedeutend und wird auch international gebührend beachtet und gewürdigt1'.

Anderseits hat die Schweiz auch als Nichtmitgliedstaat die Möglichkeit, durch ihren ständigen Beobachter in Gesprächen mit dem Sekretariat und einflussreichen Delegationen ihre Auffassung bekanntzugeben, was von um so grösserer Bedeutung ist, als wichtige Entscheide oft nicht in öffentlichen Sitzungen, sondern im Rahmen vertraulicher Gespräche fallen. Dieser Umstand ist denn auch von Anhängern der Idee angeführt worden, die Schweiz könnte den Vereinten Nationen gegenüber die Rolle eines «Zugewandten Ortes» spielen. Wie die Schweizer Geschichte, aus welcher der Begriff des «Zugewandten Ortes» stammt, zeigt, würde
es sich um eine zweitrangige, abhängige und nichtgleichberechtigte Stellung handeln, die der Schweiz im Verhältnis zur UNO unwürdig wäre ; zudem dürfte die UNO für eine institutionalisierte Form einer solchen Rolle kein Interesse haben.

Wenn unser gegenwärtiges Verhältnis zu den Vereinten Nationen die Wahrung unserer wichtigsten nationalen Interessen bisher nicht behindert hat, so kann sich unser Land anderseits nicht unbedingt darauf verlassen, dass ihm 11

Vgl. die eingehenden Ausführungen zum Verhältnis der Schweiz zu einzelnen Organen der Vereinten Nationen sowie zu ihren SpezialOrganisationen im l. Teil, III. Kap., C.

Zur Unterscheidung zwischen politischen und technischen Vereinten Nationen siehe 2.Teü,Ela.

1572 auch in aller Zukunft keine oder nur unbedeutende Nachteile aus seiner Nichtmitghedschaft bei den Vereinten Nationen erwachsen werden.

5, Mitwirkungsmöglichkeiten der Schweiz in den Vereinten Nationen

a, Auswirkungen der Mitgliedschaft auf die innerstaatliche Struktur der Schweiz Im Gegensatz zu einem anfälligen Beitritt zur europäischen Wirtschaftsgemeinschaft würde die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen nach den Bestimmungen der Charta weder unsere direkte Demokratie noch die bundesstaatliche Struktur der Schweiz berühren. Die Charta respektiert die völlige Souveränität der einzelnen Mitglieder. Es entspricht dem universellen Charakter der Organisation, dass sie alle Staats- und Regierungsformen, alle Varianten der Demokratie und alle Schattierungen der Diktatur in sich schliesst. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die UNO z.B. vom Europarat, der nur freiheitlichrechtsstaatliche Demokratien als Mitglieder zulässt.

b. Politische Vorteile einer Mitgliedschaft Bei aller Bedeutung, die den Vereinten Nationen bei der Gestaltung der internationalen Beziehungen zukommt, darf nicht übersehen werden, dass die entscheidenden Vorgänge in der Weltpolitik immer noch weit mehr von der Grossmachtpolitik, von regionalen Zusammenschlüssen und von der bilateralen Diplomatie geprägt werden als durch die UNO. Es besteht aber unverkennbar eine Tendenz, die internationale politische Zusammenarbeit mehr und mehr in der Organisation der Vereinten Nationen zu konzentrieren. Namentlich für die mittleren und kleinen Mächte ist dies in vielen Fällen überhaupt der einzige Weg, auf das weltpolitische Geschehen einen Einfluss ausüben zu können.

Die überlieferte Mahnung, die neutrale Schweiz solle sich nicht in fremde Händel mischen, verliert insofern an Gewicht, als zufolge der gegenseitigen Interdependenz auch fremde Probleme Allgemeingut werden und in zunehmendem Masse auch Staaten berühren, die nicht direkt daran beteiligt sind.1' Ein Abseitsstehen wird nicht mehr so sehr als eine lobenswerte Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten betrachtet, sondern vielmehr als Mangel an weltweiter Solidarität. Schon jetzt wird das Fernbleiben der Schweiz von der politischen Tätigkeit der Vereinten Nationen im Kreise der in den letzten Jahren unabhängig gewordenen Staaten teilweise nicht mehr genügend verstanden.

Würde es nicht im nationalen Interesse der Schweiz liegen, dass sie ihre meist nüchternkonkrete Stimme im Forum der Vereinten Nationen vernehmen lässt ? Wir könnten unseren mässigenden, vermittelnden und möglichst sachlichen Einfluss ausüben und mithelfen, ganz im Sinne unserer Tradition der l

> Vgl. auch die Auffassung des Bundesrates im l. Teil, HI. Kap., B l b ; H. Huber : Weltweite Interdependenz, 1968.

1573 guten Dienste, die Gegensätze abzutragen und zu überbrücken, wie wir dies schon jetzt in den nichtpolitischen Organen und Organisationen der Vereinten Nationen versuchen. Dies würde nicht nur in besonderen Fällen geschehen, sondern ständig und in täglicher Mitarbeit bei formellen und informellen Gruppen und Ausschüssen, auch ausserhalb der öffentlichen Sitzungen. Der Beitrag, den wir auf diese Weise an die internationale Gemeinschaft zu leisten vermöchten, würde zweifellos von vielen Ländern geschätzt, wenn wir uns auch stets der Grenzen bewusst bleiben müssen, die dem Einfluss eines neutralen Kleinstaates in der Weltorganisation gesetzt sind, Die Organisation der Vereinten Nationen bietet im übrigen immer wieder Gelegenheit zu nützlichen Kontakten. Die Anwesenheit zahlreicher Aussenminister, hoher Beamter und anderer einflussreicher Persönlichkeiten insbesondere an der Generalversammlung unterstreicht die Wichtigkeit der Organisation als Forum des Meinungs- und Informationsaustausches und als Begegnungsstätte. Schliesslich würde sich auch der Schweiz in diesem.Rahmen laufend Gelegenheit bieten, ihren Standpunkt und ihre Interessen zu erläutern.

c. Besondere Wirkungsmöglichkeiten des neutralen Staates Erfahrungsgemäss greift man gerne auf Angehörige neutraler Staaten zurück, um ihnen den Vorsitz von Ausschüssen und Arbeitsgruppen anzuvertrauen, da ein Neutraler zuweilen bestehende Gegensätze, z. B. zwischen Ost und West oder zwischen früheren Kolonialmächten und jungen Entwicklungsländern, besser auszugleichen und auf ein gegenseitiges Verständnis hinzuwirken vermag.

Wie ändern neutralen Mitgliedern der Vereinten Nationen würde es auch der Schweiz wohl anstehen, in der Generalversammlung konstruktive Initiativen zu ergreifen, die dem friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Fortschritt dienlich sein können. Als Beispiel einer neutralitätspolitisch sicher unbedenklichen Initiative sei der Vorstoss Schwedens erwähnt, dass die durch die zunehmende Verschmutzung der menschlichen Umwelt gestellten Probleme einer internationalen Konferenz zur Behandlung vorgelegt werden sollten; die Generalversammlung stimmte dem Vorschlag zu und beschloss, dass 1972 eine solche Konferenz stattfinden solle.

d. Die schweizerische Mitgliedschaft bei den technischen Vereinten Nationen Wie bereits erwähnt, nimmt
die Schweiz an der Tätigkeit aller technischen, nichtpolitischen SpezialOrganisationen aktiv teil.1> Soweit es sich, wie bei der UNCTAD und der ONUDI, um Organe der Generalversammlung handelt, unterliegt ihre Mitwirkung insofern gewissen Einschränkungen, als sie keine Möglichkeit hat, in der Generalversammlung zu den Berichten und Anträgen dieser Gremien, einschliesslich der Budget-Anträge, nochmals Stellung zu nehmen.

« Vgl.2.Teil,El.

1574 e. Mitarbeit an der Weiterbildung des Völkerrechts Das moderne Völkerrecht wird mehr und mehr im Rahmen der Vereinten Nationen weiterentwickelt oder neugebildet. So wurde eine grosse Zahl wichtiger multilateraler Verträge im Rahmen der Organisation ausgearbeitet.1) Auch wenn die Schweiz völkerrechtlich nicht verpflichtet ist, solchen Verträgen bei- zutreten, bestimmen sie doch die Richtung der künftigen Rechtsentwicklung.

Auch können sich die in den Verträgen oder in den Resolutionen und Deklarationen der Generalversammlung niedergelegten Grundsätze unter bestimmten Voraussetzungen allmählich zu Gewohnheitsrecht verfestigen. Wie der Vorsteher des Politischen Departements bei der Behandlung der «Richtlinien der Regierungspolitik» am 17. Juni 1968 im Nationalrat erklärte, setzen die Vereinten Nationen mehr und mehr Recht, «dem wir unterworfen sind, ohne sein Entstehen beeinflussen zu können. Wir gelangen damit als Nichtmitglied in eine nicht unbedeutende Abhängigkeit, eine Abhängigkeit, die wir eben dadurch vermeiden wollten, dass wir auf einen Beitritt verzichteten.»a> Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Kommission für Internationales Recht, deren Entwürfe oft die Grundlage multilateraler Verträge bilden. Im Gegensatz zur früheren Praxis wird gegenwärtig die Schweiz nicht mehr zur Stellungnahme zu den von der Kommission für Internationales Recht ausgearbeiteten Berichten aufgefordert, sondern erst zu der mit der endgültigen Fassung des Textes beauftragten Kodifikationskonferenz eingeladen.

Überdies zeigt sich seit kurzem die Tendenz, die Kodifikation des Völkerrechts aus den praktisch allen Staaten offenstehenden internationalen Konferenzen in die Rechtskommission der Vereinten Nationen (die 6. Kommission der Generalversammlung) zu verlegen, von deren Verhandlungen die Schweiz als Nichtmitglied ausgeschlossen ist. Bisher wurden die grossen Kodifikationswerke des Völkerrechts von der Kommission für Internationales Recht im Entwurf vorbereitet und von der 6. Kommission der Generalversammlung kurz durchberaten. Die eingehende Verhandlung und die Annahme der Texte erfolgten jedoch an diplomatischen Staatenkonferenzen, an denen nicht nur Mitglieder der Vereinten Nationen, sondern auch Mitglieder der Spezialorganisationen und besonders eingeladene Staaten teilnehmen konnten. Die Schweiz
nahm an allen diesen Konferenzen teil. Entgegen dieser Praxis wurde kürzlich erstmals beschlossen, dass der von der Kommission für Internationales Recht vorbereitete Entwurf eines Übereinkommens über diplomatische Sondermissionen an der 23. Session der Generalversammlung im Rahmen der 6. Kommission beraten werden solle; anschliessend wird die Generalversammlung über die Annahme des endgültigen Entwurfes beschliessen. Es besteht demnach für die Schweiz eine gewisse Gefahr, von der Mitarbeit an der Entwicklung des Völkerrechts ausgeschlossen zu werden; das neue Verfahren könnte als Präzedenzfall für weitere Kodifikationsarbeiten dienen. 1968 gelang es der Schweiz allerdings, zu den Beratungen der 6. Kommission über diplomatische x > 2

Vgl. die Liste im Anhang VII.

> Vgl. Amtl. Bull. N, Sommersession 1968, S. 241.

1575 Sondermissionen mit Mitspracherecht, aber ohne Stimmrecht, zugelassen zu werden. Dank diesem Teilnahmerecht war es möglich, unsere spezifischen Anliegen bei der Ausarbeitung des Vertragstextes vorzutragen. Zweifellos werden wir uns auch weiterhin darum bemühen, bei der Schaffung von Völkerrecht im Rahmen der UNO zum Zuge zu kommen. Indessen dürfen wir nicht unbedingt damit rechnen, auch in Zukunft in ähnlichen Fällen als Teilnehmer zugelassen zu werden. Verschiedene Delegationen gaben uns zu verstehen, ein Nichtmitglied der Vereinten Nationen könne nicht darauf zählen, Rechte auszuüben, ohne gleichzeitig auch Pflichten zu übernehmen. Zudem werden sich heikle politische Probleme stellen, sobald sich geteilte Staaten (Deutschland, Korea, Vietnam) gleich der Schweiz um Zulassung zu den Beratungen der 6. Kommission bewerben sollten. Mit der Schwächung der schweizerischen Position bei der Entwicklung des Völkerrechts stehen zweifellos nicht zu unterschätzende schweizerische Interessen auf dem Spiel.

/. Gefahr der Abwertung des jetzigen Beobachterstatus Der rechtliche Status unserer Beobachter in New York und Genf ist nicht geregelt. Weder die Charta noch die Abkommen mit den Sitzstaaten der Vereinten Nationen sprechen sich darüber aus.1' Wie bereits erwähnt2), hat der Generalsekretär kürzlich angeregt, Zwergstaaten einen rechtlich genau umschriebenen Beobachterstatus zu geben. Sollte dabei kein Unterschied zu den Beobachtern von mittleren und kleinen Staaten gemacht werden, so wäre dies für uns offensichtlich unbefriedigend. Schon die heutige Situation ist übrigens nicht völlig unbedenklich, weil die Gleichstellung unserer Beobachter mit jenen der geteilten Länder immer wieder zur Folge hat, dass wir in den Bereich der politischen Anfechtungen gelangen, denen die Beobachter der geteilten Staaten (seitens gewisser Mächte) ausgesetzt sind.

6. Möglichkeiten der Leistung guter Dienste

Unser Land ist mit Recht stolz darauf, dass es ihm immer wieder vergönnt war, der internationalen Gemeinschaft in Konfliktsfällen gute Dienste zu leisten. Nicht nur war die Schweiz in zwei Weltkriegen für die Mehrzahl der Kriegführenden als Schutzmacht tätig, sie hat auch bei Versuchen, den Feindseligkeiten ein Ende zu setzen, ihre Vermittlung zur Verfügung gestellt. So wurden die Kapitulationsverhandlungen zwischen Japan und den Vereinigten Staaten durch Vermittlung der Schweiz eingeleitet. Auch in jüngerer Zeit hat die Schweiz zahlreiche Vertretungen fremder Interessen übernommen, und die guten Dienste, die sie etwa im Algerienkonflikt geleistet hat, haben wesentlich zur Beilegung dieses blutigen Krieges beigetragen.

Würde nun unsere Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen die Möglichkeiten, gute Dienste zu leisten, beeinträchtigen ? Stellt die Unabhängigkeit von den Vereinten Nationen, wie dies hie und da behauptet wird, tatsächlich *> Vgl. I.Teil, III. Kap., A 2.

*>Vgl.2.TeÜ,D6.

1576 einen wichtigen Faktor zugunsten der Leistung guter Dienste dar ? Und haben die Vereinten Nationen selbst ein Interesse an einer «Reservestellung»1) und Hilfe eines neutralen Nichtmitgljedes ?

Die Beantwortung dieser Frage ist von grosser Bedeutung; denn von ihr hängt es weitgehend ab, ob unsere Maximen der Solidarität und Disponibilität, die wir in den letzten Jahren als Ergänzung zu unserer Neutralität gewählt haben, auch wirklich glaubwürdig sind.

Zunächst ist festzustellen, dass sich die Gelegenheiten zur Leistung guter Dienste für die Schweiz vermindert haben. Sowohl die Art der Konflikte als auch ihr Schauplatz haben sich seit dem zweiten Weltkrieg verschoben. Europäische Konflikte sind selten geworden oder eignen sich ihrer Natur nach kaum für gute Dienste von Drittstaaten. Bei aussereuropäiscben Konflikten, an denen Länder mit ganz andersgearteter Mentalität beteiligt sind, sind gute Dienste von Europäern - mit Ausnahme rein humanitärer Dienste - kaum gefragt. Zum Teil treten hier regionale Organisationen wie die Organisation für afrikanische Einheit in Funktion, Wo die Interessen der Grossmächte direkt betroffen werden, besteht für die guten Dienste von Neutralen in der Regel überhaupt kein Bedarf. Von dieser Entwicklung ausgenommen bleibt die Wahrung fremder Interessen, wobei allerdings auch hier gewisse Verlagerungen stattgefunden haben, die unsere bisherige Vorrangstellung auf diesem Gebiete in Frage stellen könnten.

Es besteht heute eine gewisse Tendenz, beim Abbruch der diplomatischen Beziehungen die Interessenvertretung einem Lande anzuvertrauen, das zwar am betreffenden Konflikt nicht direkt beteiligt ist, das jedoch dem Auftraggeber gesinnungsmässig nahe steht und nicht unbedingt neutral sein muss. Jedenfalls ist nicht anzunehmen, dass unsere Tätigkeit als Schutzmacht durch die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen beeinträchtigt würde.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich im Rahmen der Vereinten Nationen immer wieder Gelegenheiten zur Leistung guter Dienste ergeben. Dank seiner einzigartigen Stellung kommt vor allem der Generalsekretär der Organisation immer wieder in die Lage, persönliche Vertreter zu bezeichnen, die für ihn und den Sicherheitsrat Vermittlungs-, Schlichtungs- oder Beobachtungsaufgaben erfüllen. Es liegt auf der Hand, dass er sich hiefür nicht an
Repräsentanten der Grossmächte oder sonstwie politisch engagierter Länder wendet, sondern sich an Angehörige neutraler und blockfreier Länder hält. So wurden vor allem Vertreter Schwedens, Finnlands und einzelner lateinamerikanischer Staaten mit Mandaten betraut. Vereinzelt wurden auch Schweizer herangezogen. Es ergab sich dabei von selbst, dass der Generalsekretär Persönlichkeiten den Vorzug gab, die ihm aus ihrer Tätigkeit in den Vereinten Nationen bekannt waren und von denen er wusste, dass sie mit den Problemen der Weltorganisation und ihren Arbeitsmethoden vertraut sind. So ist es zu erklären, dass z. B. die Botschafter Lmdt und Schnyder, die beide als schweizerische Beobachter in New York tätig waren, nacheinander mit dem Amt des Hochkommissars für das Flüchtlingswe1

' So drückte sich verschiedentlich Generalsekretär Dag Hammarskjöld gegenüber dem damaligen Vorsteher des Politischen Departements, Bundesrat Petitpierre, aus.

1577

sen betraut wurden oder dass Botschafter Thalmann, der ebenfalls während mehreren Jahren schweizerischer Beobachter bei der UNO war, vom Generalsekretär zu seinem persönlichen Vertreter für die Berichterstattung über die Lage in Jerusalem ernannt wurde. Natürlich mögen im Einzelfalle die Nationalität und andere Faktoren, wie z. B. Sprachkenntnisse, auch noch eine gewisse Rolle spielen ; doch dürfte das internationale Ansehen, das sich ein Diplomat in der UNO und anderen internationalen Organisationen zu erwerben vermag, meist den Ausschlag geben. In dieser Beziehung waren die Verhältnisse beim Völkerbund ganz ähnlich, auch dort kam die internationale Stellung von Persönlichkeiten wie Motta und Rappard noch mehr zur Geltung, Bei dieser Betrachtungsweise, die sich auf genaue Studien und Vergleiche stützt, ist der Schluss naheliegend, dass eine Mitgliedschaft unsere Möglichkeiten zur Leistung guter Dienste nicht beeinträchtigen, sondern eher begünstigen würde. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass die schweizerische Delegation geeignete Persönlichkeiten umfasst und konstruktive Arbeit leistet.

Der Gedanke einer «Reservestellung» («position de réserve») der Schweiz für den Fall, dass die UNO selbst Partei an einem Konflikt wäre, ist theoretisch zweifellos vertretbar; doch ist seit Bestehen der Vereinten Nationen kaum ein Fall eingetreten, in dem unser Land gute Dienste zu leisten vermochte, nur weil es Nichtmitglied war. Vielmehr hätte es diese Dienste auch als Mitglied leisten können. Im übrigen darf nicht ausser acht gelassen werden, dass vom Moment an, wo die Schweiz Mitglied würde, praktisch alle Neutralen in der UNO vereinigt wären ; die Möglichkeit, auf die Dienste der neutralen Schweiz zurückgreifen zu können, würde kaum an Interesse einbüssen.

Die Frage, ob sich eine allfällige Mitgliedschaft der Schweiz für Genf1) als internationalen Treffpunkt vorteilhaft oder nachteilig auswirken würde, lässt sich kaum mit Sicherheit beantworten. Die Wahl Genfs als europäischer Sitz der Vereinten Nationen ergab sich mehr oder weniger zwangsläufig aus der Übernahme des Völkerbundspalastes durch die UNO, und die Niederlassung mehrerer ihrer Spezialagenturen und zahlreicher anderer internationaler Gremien und Organisationen in Genf war ihrerseits wiederum weitgehend eine natürliche Folge der Präsenz eines
Teils des UNO-Sekretariates. Zweifellos haben dabei aber auch immer wieder die Beweggründe eine Rolle gespielt, die schon den Völkerbund veranlasst hatten, sich in Genf niederzulassen : die günstige Verkehrslage, der landschaftliche Reiz, das kulturelle Niveau und die weltoffene Tradition der Rhonestadt sicher aber auch das politische Klima der neutralen Schweiz. Diese Anziehungskräfte üben auch heute noch ihre Wirkung aus. Von ausländischen Delegationen hört man auch immer wieder, dass der soziale Friede und die öffentliche Ordnung sowie eine gewisse Absenz leidenschaftlicher politischer Auseinandersetzung geschätzt werden. Dies alles würde sich durch eine Mitgliedschaft in der UNO wohl kaum ändern. Sicher ist dagegen, dass sich die Schweiz als Mitglied gegenüber der wachsenden Konkurrenz anderer Städte wirksamer für Genf einsetzen könnte. Während andere Staaten in den Organen der UNO zuv Zum Sitz der Vereinten Nationen in Genf l. Teil, TU. Kap., A2.

Bundesblatt. 121. Jahrg. Bd. I.

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gunsten eigener Städte als Konferenzorte werden können, ist der Schweiz diese Möglichkeit versagt, was sich nicht zu ihrem Vorteil auswirkt, 7. Mitgliedschaft und Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK)

Es ist schon oft und mit Recht auf die Wechselwirkungen zwischen der Verhaltensweise der Eidgenossenschaft und der Tätigkeit des IKRK hingewiesen worden. «Eines steht zweifellos fest», erklärte Bundesrat Wahlen 19631): «Die Existenz des neutralen Kleinstaates Schweiz als Sitz des Internationalen Roten Kreuzes ist eine wesentliche, um nicht zu sagen eine absolute Voraussetzung für seine Funktionsfähigkeit.» Die Frage ist daher berechtigt, wie sich die Mitgliedschaft in der UNO auf die Tätigkeit des IKRK auswirken würde. Eine erste Feststellung ist die : Die Grundsätze des IKRK stehen in völligem Einklang mit dem Geist und dem Wortlaut der Charta der UNO. Und wenn diese, im Gegensatz zum Völkerbundspakt (Art. 25), das IKRK nicht namentlich erwähnt, so haben doch die Vereinten Nationen wiederholt zu erkennen gegeben, wie hoch sie die Tätigkeit des Komitees schätzen. Die von der Charta proklamierte Achtung der menschlichen Würde ungeachtet der Rasse, des Glaubens, des Geschlechts und der Nationalität, die Respektierung des Völkerrechts, die Bemühungen für die Erhaltung des Friedens, all dies stimmt mit den hohen Zielen des IKRK überein.

Während aber die Vereinten Nationen eine politische Organisation sind, die ihre Ziele mit politischen, gegebenenfalls sogar militärischen Mitteln zu erreichen sucht, ist das IKRK seiner Natur nach unpolitisch und neutral. Aus dieser grundsätzlichen Verschiedenheit könnten sich bei einer schweizerischen Mitgliedschaft gewisse Konflikte ergeben, so etwa, wenn die Vereinten Nationen militärische Sanktionen durchführen würden oder wenn sich die Schweiz an bewaffneten Interventionen von Blauhelmen beteiligen würde.2* Obgleich diese Konfliktsituationen wohl mehr theoretischen Charakter haben, können sie nicht ganz ausser acht gelassen werden; sie sprechen jedenfalls dafür, dass ein Beitritt der Schweiz zur UNO nur unter Aufrechterhaltung unserer Neutralität erfolgen dürfte.

Als Depositär und Treuhänder der internationalen Rotkreuzkonventionen ist der Bundesrat sich seiner Verantwortung dem IKRK gegenüber bewusst und entschlossen, den Rotkreuzgedanken nötigenfalls auch gegenüber den Vereinten Nationen aufrechtzuerhalten, die in den letzten Jahren eine gewisse Tendenz erkennen liessen, ihre Tätigkeit auf Gebiete auszudehnen, die bisher traditionell dem IKRK vorbehalten waren.
So hat etwa die Menschenrechtskonferenz in Teheran eine Resolution über die Menschenrechte in Kriegszeiten angenommen. Die Generalversammlung der UNO hat am 19. Dezember 1968 einen Entschluss gefasst, der vorsieht, dass der Generalsekretär prüfen solle, welche Schritte zur besseren Be*> Rede an der Delegiertenversammhmg des Schweizerischen Roten Kreuzes in Basel, am 19. Mai 1963, vgl. F. T. Wahlen: Dem Gewissen verpflichtet, S. 177 ff.

2 > Vgl. 1. Teil, III, Kap., B 3 c.

1579 achtung der bestehenden humanitären Übereinkommen in bewaffneten Konflikten geeignet seien. Der Generalsekretär soll ferner die Notwendigkeit neuer humanitärer internationaler Übereinkommen untersuchen. Dabei soll er das IKRK konsultieren. Die UNO-Mitgliedstaaten werden aufgefordert, den Generalsekretär in seinen Studien zu unterstützen. Man kann sich fragen, ob es klug wäre, die UNO an die Stelle des IKRK treten zu lassen, das als private Organisation mit hoher moralischer Autorität vieles vollbringen kann, was der UNO ganz einfach verwehrt ist. Als typische Beispiele seien die blutigen Bürgerkriege in Jemen und Nigeria genannt, wo die Vereinten Nationen mit Rücksicht auf das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes keinerlei Interventionsmöglichkeiten haben, wogegen das IKRK als rein humanitäre Organisation unzählige Menschenleben zu retten vermag.

Auch ist nicht daran zu zweifeln, dass die diskreten Demarchen, die das IKRK im Hinblick auf die Einhaltung der Genfer Konventionen unternimmt, von den Staaten kaum akzeptiert würden, wenn sie von einer politischen Instanz ausgingen.

Bis zu einem gewissen Grade werden jedoch die Vereinten Nationen die Weiterentwicklung des humanitären Rechts übernehmen. Gemäss der bereits erwähnten Resolution der Generalversammlung wird der Generalsekretär dabei das IKRK konsultieren. Es ist jedoch klar, dass es für die Schweiz von grösstem Interesse wäre, an den Arbeiten der UNO auf diesem Gebiete teilzunehmen, sowohl um ihre reiche Erfahrung beizutragen, als auch um den besonderen Anliegen des IKRK ihre Unterstützung zu leihen.

Ungeachtet der Bestrebungen der UNO wird das IKRK seine eigenen Arbeiten zur Weiterentwicklung des humanitären Rechts fortsetzen. Die ausgedehnten Studien, die es unter Beizug hervorragender international bekannter Juristen sowie eines Vertreters der Vereinten Nationen im Hinblick auf die Anpassung bestehender Normen an die moderne Kriegsführung veranlasst hat, werden u. a. Gegenstand der Verhandlungen der 21. internationalen Rotkreuzkonferenz sein, die im September 1969 in Istanbul stattfinden wird. Im Einvernehmen mit dem IKRK wird der Bundesrat hierauf die Vorbereitungen für die Einberufung einer diplomatischen Konferenz an die Hand nehmen.

8. Innenpolitische Aspekte a. Die Mitgliedschaft bei den
Vereinten Nationen könnte, wie die Erfahrungen anderer Staaten zeigen, innenpolitische Spannungen zur Folge haben.

Es könnte kaum ausbleiben, dass die Stellungnahmen unserer Delegation m der Generalversammlung von der schweizerischen Öffentlichkeit unterschiedlich bewertet würden. So wäre z. B. denkbar, dass die deutsche Schweiz darauf anders reagiert als die französische Schweiz. Daraus könnte sich zweifellos eine gewisse Belastung der helvetischen Eintracht ergeben.

Es hiesse jedoch sowohl die politische Reife als auch das Zusammengehörigkeitsgefühl unseres Volkes unterschätzen, wenn man annehmen wollte, es sei sol-

1580 eben Belastungen nicht gewachsen. Unsere Bevölkerung verfolgt das Geschehen in der Welt mit Interesse und spart auch nicht mit kritischen Meinungsäusserungen. Zwar hat der Erste Weltkrieg zu einer schweren Belastung des Zusammenhaltes unseres Volkes geführt. Sie konnte jedoch - wenn auch mühsam - überwunden werden. Um so fester erwies sich der Zusammenhalt im Zweiten Weltkrieg, Der Widerstreit der modernen Ideologien berührte unser Volk bisher kaum. Die Überwindung der natürlichen Antagonismen der verschiedenen Herkunft, Sprache und Religion hat aus der Schweiz eine Nation gemacht, deren Zusammenhalt neue Bewährungen nicht zu scheuen braucht.

Die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen wäre vielmehr geeignet, dem Schweizervolk, das mit lebhafter Anteilnahme die Weltpolitik verfolgt, die Möglichkeit zu geben, sich auch nach aussen dazu zu bekennen. Neutralität bedeutet nicht Indifferenz und schliesst eine Teilnahme an den geistigen und politischen Strömungen unserer Zeit keineswegs aus. Diese ständige Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen in der Welt ist ein Gebot der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit der Völker und gleichzeitig eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass unser Land seine Zukunft zu meistern vermag.1' b. Innenpolitische Probleme könnten vor allem auch durch die Volksabstimmung, die einem anfälligen Beitritt der Schweiz vorausgehen müsste2', aufgeworfen werden. Es wäre bedauerlich, wenn die Frage unser Land in zwei Lager spalten würde. Dies wäre auch sachlich kaum gerechtfertigt. Es geht nicht um eine Existenzfrage und auch nicht um eine brüske Neuorientierung unserer Aussenpolitik. Und schliesslich besteht auch kein Anlass zu einer emotionellen Ablehnung einer Organisation, der nahezu alle Staaten beigetreten sind und die, bei aller Unvollkommenheit, dem Frieden dient.

«Es gilt, Verständnis zu wecken für die Aufgaben und die Schwierigkeiten der Vereinten Nationen. Wir neigen zu sehr dazu, dieses gewiss unvollkommene Instrument des Friedens mit einem Achselzucken der Überlegenheit abzutun, weil es auch in seinem Rahmen immer noch vorkommt, dass die Macht stärker ist als das Recht. Dabei sollten wir doch das allergrösste Interesse haben an einem zwischenstaatlichen Forum, das der friedlichen Schlichtung von Differenzen unter der Kontrolle der Weltöffentlichkeit dienen
kann. Der Presse fällt hier eine wichtige Aufgabe zu, indem sie das Positive an den Leistungen der Nationen und der SpezialOrganisationen mehr betonen sollte, anstatt sich, wie es zu oft geschieht, auf die Berichterstattung über ihre Schwierigkeiten und Misserfolge zu beschränken. » Diese Worte von Bundesrat Wahlen aus dem Jahre 19561' haben nichts an Aktualität eingebüsst.

Der Bundesrat hofft, mit dem vorliegenden Bericht zur sachlichen Aufklärung beizutragen und damit auch zu einer fruchtbaren Diskussion, aus der allein der Entschluss reifen könnte, unser Verhältnis zu den Vereinten Nationen neu zu gestalten.

l

> Vgl, dazu die trefflichen Ausführungen von J. R. von Salis : Schwierige Schweiz, 1968, S. 213 u. 236 ff.

a > Vgl. 2. Teil, C 2.

1581

9. Finanzielle Beiträge der Schweiz an Organe, SpezialOrganisationen und Aktionen der Vereinten Nationen a. Damit die bisherige finanzielle Beteiligung der Schweiz an der Tätigkeit der Vereinten Nationen richtig gewürdigt werden kann, seien hier kurz einige Zahlen erwähnt.

b. Die Mitgliedschaftsbeiträge und freiwilligen Leistungen, die unser Land seit den Anfängen der UNO an die Organe und SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen bis Ende 1968 erbracht hat, betragen rund 210 Millionen Franken. Sie haben sich seit 1960 mehr als verdoppelt und zeigen - in Millionen Franken - die folgende Entwicklung: 1961 9,8

1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 15,1 17,2 16,8 19,4 20 22 25,1

Die Aufteilung dieser Beträge (die auch die freiwilligen Leistungen an das Entwicklungsprogramm der UNO [PNUD] umfassen) auf die einzelnen Organe und Organisationen sind dem Anhang VIII zu entnehmen.

c. Die schweizerischen Beiträge an die friedenserhaltenden Aktionen der UNO (Korea, Suez, Kongo, Zypern, Naher Osten) belaufen sich bis Ende 1968 auf insgesamt 37 Millionen Franken. Die Einzelheiten sind dem Anhang VIII zu entnehmen.

d. Schliesslich sei pro memoria noch die Zeichnung der UNO-Anleihe vom Jahre 1961 im Betrage von 8,2 Millionen Franken erwähnt2), die bis auf 6,5 Millionen Franken zurückbezahlt worden ist.

e. Die von der UNO - gestützt auf das Nationaleinkommen - für die Schweiz festgesetzte Beitragsquote, die heute schon den schweizerischen Beitragszahlungen in den UNO-Organen zugrunde gelegt wird, in denen wir Mitglied sind, beträgt 0,86 Prozent des UNO-Budgets. Unser Jahresbeitrag als UNO-Mitglied würde somit zur Zeit rund 5 Mio Franken betragen.

F. Schlussfolgerungen a. Die Historiker sind sich darüber einig, dass wir in einer Zeit tiefgreifender Wandlungen leben. Der Zusammenbruch der europäischen Weltmachtstellung, die Auflockerung der Blöcke zugunsten eines Polyzentrismus und regionaler Vereinbarungen, die geistig-technische Revolution, die alle bisherigen Vorstellungen übertrifft und das soziale Gefüge in Frage zu stellen droht, die ökonomischen Umbrüche und die Emanzipation der Dritten Welt haben eine Situation geschaffen, die ganz neue Massstäbe sucht. Die weitere Entwicklung ist schwer abzusehen, und der Bundesrat masst sich nicht an, Prognosen zu *' F. T. Wahlen: Dem Gewissen verpflichtet, S. 110 "> Siehe 1. Teil.m. Kap,,B l b.

1582 stellen. Es will ihm jedoch scheinen, dass die Vereinten Nationen einer geschichtlichen Logik entsprechen. Trotz allen Rückfällen in ein nationalstaatliches Denken besteht eine folgerichtige Entwicklungslinie, eine rational erfassbare Tendenz zur universellen Organisation der Staatenwelt, Die modernen Kommunikationsmittel und Massenmedien, die unablässig die Geschehnisse in der Welt in alle Winkel unseres Planeten tragen, der Vorstoss ins All und die gemeinsame Bedrohung durch die Kernwaffen haben ein Bewusstsein globaler Schicksalsgemeinschaft erstehen lassen, das nach neuen Formen der internationalen Zusammenarbeit ruft. Man wird in der Annahme kaum fehlen, dass sich die Multilateralität der internationalen Beziehungen, _die sich auf wirtschaftlichem Gebiet bereits weitgehend vollzogen hat, in Zukunft auch im politischen Bereich noch weiter verstärken wird.

Der Bundesrat sieht im gegenwärtigen Zeitpunkt davon ab, den Räten den Beitritt zu empfehlen, weil die angestellten Untersuchungen keine völlig eindeutige Schlussfolgerung zulassen. Er ist sich auch bewusst, dass das Schweizervolk der Weltorganisation gegenüber mehrheitlich entweder noch eher skeptisch eingestellt ist oder sich gleichgültig verhält, und sich bisher keine grössere Bewegung abgezeichnet hat, die auf den Willen breiter Kreise schliessen liesse, den Beitritt in naher Zukunft zu vollziehen. Dies ist von Bedeutung, da die Schweiz wohl als einzige Demokratie der Welt den Entscheid über einen allfälligen Beitritt der Volksabstimmung zu unterstellen hätte. Ein ablehnender Entscheid von Volk und Ständen könnte jedoch im Auslande zu Interpretationen führen, die unserer internationalen Stellung und unserem Verhältnis zur Organisation abträglich wären.

Der Bundesrat möchte mit dem vorliegenden Bericht zur sachlichen Aufklärung beitragen. Das Postulat von Herrn Bretscher und Mitunterzeichnern zeigt, dass eine umfassende Information auf diesem Gebiete einem weitverbreiteten Bedürfnis entspricht. Gestützt darauf soll sich dann die Diskussion in den Räten, im Volk und in den Parteien entfalten. Der Bundesrat verspricht sich davon nicht nur ein besseres Verständnis für die Vereinten Nationen, sondern auch vermehrten Rückhalt für seine aussenpolitische Linie, die unser Land weiterhin den Weltorganisationen, denen wir bisher nicht angehören,
annähert.

Wie immer die weitere Entwicklung sein mag, so schliesst der Bundesrat eine Mitgliedschaft unter Aufgabe oder Änderung der schweizerischen Neutralität zum vornherein aus. Er hofft vielmehr, dass der vorliegende Bericht dazu beiträgt, das Verständnis für unsere Neutralität zu vertiefen. Der Bericht soll auch in Erinnerung rufen, dass unsere Neutralität uns zu konstruktiver internationaler Zusammenarbeit befähigen soll und deshalb von Gemeinschaftssinn (Solidarität und Disponibilität) getragen sein muss.

Der Bundesrat erachtet es jedoch als seine Pflicht, verschiedene Massnahmen ins Auge zu fassen, durch die noch in vermehrtem Masse unsere Solidarität mit der in den Vereinten Nationen verkörperten internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht und eine weitere Annäherung an die Organisation angestrebt sind. Eine solche Orientierung unserer Aussenpolitik scheint schon

1583 deshalb angezeigt, weil die Schweiz bestrebt sein muss, ihren Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit auf allen Gebieten zu leisten, auf denen sie dazu befähigt und neutralitätspolitisch in der Lage ist. Diesen Bereich gilt es periodisch an die sich wandelnden Verhältnisse anzupassen und nach Möglichkeit auszudehnen. Dadurch dürfte auch die positive Einstellung der Mitglieder der UNO gegenüber einem allfälligen spätem Beitrittsgesuch der Schweiz gefördert und Einwendungen gegen die Weiterführung unserer Neutralität im Rahmen der UNO am wirksamsten begegnet werden. Unser Verständnis gegenüber den Vereinten Nationen wird bei ihnen auch Verständnis für unsere Anliegen wecken, b. Der Bundesrat sieht folgende konkrete Massnahmen vor aa. Der Bundesrat beabsichtigt, unsere finanziellen Beiträge an die Tätigkeit der Vereinten Nationen, ihrer Organe und SpezialOrganisationen in gewissen Fällen angemessen zu erhöhen. Dies soll vor allem dort geschehen, wo unser Land, gemessen an den Leistungen anderer vergleichbarer Staaten, im Rückstand ist und wo von uns vermehrte Anstrengungen erwartet werden dürfen.

Damit würde die Schweiz deutlich machen, dass sie sich zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen bekennt und dass ihre Nichtmitgliedschaft einzig der Sorge um die Beibehaltung unseres Neutralitätsstatus entspringt.

bb. Der Bundesrat wird dem weiteren Ausbau Genfs als Sitz der Vereinten Nationen und internationales Konferenzzentrum noch mehr Gewicht beimessen und seine Disponibilität fördern. Genf soll über die bestmöglichen Einrichtungen verfügen, um den Bedürfnissen der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen und der anderen internationalen Organisationen in jeder Hinsicht gerecht zu werden und die Nützlichkeit des neutralen Kleinstaates und Nichtmitgliedes für die Völkerfamilie unter Beweis zu stellen.

Wenn nötig ist die FIPOI, die sich bisher bestens bewährt hat, noch weiter auszugestalten. Angesichts des Umstandes, dass Genf bereits eine sehr grosse Zahl internationaler Organisationen beherbergt, wird der Bundesrat wenn möglich eine Ausdehnung in Richtung Lausanne anstreben.

cc. Der Bundesrat wird untersuchen, auf welche Weise eine vermehrte Beteiligung einzelner Personen mit genau umschriebenem Aufgabenkreis an den friedenserhaltenden Aktionen der Vereinten
Nationen und an Überwachungsund Beobachtungsaufgaben, die damit in Zusammenhang stehen, möglich ist. Es ginge namentlich darum, vermehrt und auf freiwilliger Basis Fachleute für solche Aktionen zur Verfügung zu stellen.

dd. Der Bundesrat sieht ferner einen Ausbau der Katastrophenhilfe im Ausland vor, ein Anliegen, dem die Vereinten Nationen seit einiger Zeit ihre besondere Aufmerksamkeit schenken. Den Räten wird in nächster Zeit im Zusammenhang mit der Motion Purgier ein entsprechendes Projekt vorgelegt.

Die Hilfe wird sich dabei nicht nur auf Natur- und Zivilisationskatastrophen

1584 sowie Epidemien, sondern auch auf die Folgen bewaffneter Konflikte erstrekken.

ee. Der Bundesrat strebt eine verstärkteEntwicklungshilfe inner- undausserhalb des Rahmens der Vereinten Nationen an, die auch eine intensivere Teilnahme an den Entwicklungsprogrammen der UNO bewirken soll.

ff. Der Bundesrat fasst ferner die Möglichkeit eines Beitritts zur Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (ECE), zum Internationalen Währungsfonds (IMF) und zur Weltbank (BIRD) ins Auge. Mit allen diesen Organisationen arbeitet die Schweiz heute schon eng zusammen.

gg. Im Einvernehmen mit dem IKRK erwägt der Bundesrat auch die Möglichkeit, auf dem Gebiet der Weiterentwicklung des humanitären Rechts neue Initiativen zu ergreifen, allenfalls durch die Einberufung einer Rotkreuzkonferenz.

Mi. Schon bisher ist das Parlament regelmässig über die Tätigkeit der Schweiz in den internationalen Organisationen, im Geschäftsbericht, und mit Bezug auf die wirtschaftlichen Gremien der UNO (z. B. UNCTAD, ONUDI) auch im Bericht über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Ausland unterrichtet worden. Der Bundesrat sieht nun überdies vor, den eidgenössischen Räten - soweit dies von ihnen gewünscht wird - gesondert über die Tätigkeit der Vereinten Nationen und ihrer SpezialOrganisationen einerseits und über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen und ihren Spezialorganisationen anderseits zu berichten. Ein solcher Bericht wäre eine Quelle objektiver Information. Er gäbe Gelegenheit, die tragenden Linien der Entwicklung der Vereinten Nationen zu verfolgen und unsere Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen gesamthaft darzustellen. Die parlamentarische Debatte über den Bericht und dessen Diskussion in der Öffentlichkeit würden es erlauben, über den Stand der Meinungen Aufschluss zu erhalten.

ü. Auf jeden Fall muss unsere Diplomatie vermehrt multilateral ausgerichtet werden. So soll in erster Linie eine möglichst grosse Anzahl junger Diplomaten mit den Arbeitsmethoden der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen, die sich von der Arbeitsweise der bilateralen Diplomatie in verschiedener Hinsicht unterscheiden, vertraut gemacht werden. Auch ohne den Beitritt der Schweiz zu den Vereinten Nationen im gegenwärtigen Zeitpunkt ist ein massvoller Ausbau unseres diplomatischen Apparates
für die vermehrte Pflege unserer multilateralen Beziehungen unausweichlich. Im Bereiche der Aussenwirtschaftspolitik sind übrigens die entsprechenden personellen und organisatorischen Massnahmen für eine vermehrte multilaterale Ausrichtung bereits getroffen worden.

c. Die dargelegten Massnahmeu pjäjudizieren die Frage eines allfälligen Beitritts der Schweiz zu den Vereinten Nationen nicht; sie sind jedoch geeignet, diesen Schritt, wenn er sich einmal aufdrängt, zu erleichtern. Ganz allgemein beabsichtigt der Bundesrat, das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Na-

1585 tionen im Sinne dieses Berichtes auszugestalten, wenn die Räte seine Auffassung grundsätzlich teilen. Der Bundesrat beantragt den Räten deshalb, zustimmend vom vorliegenden Bericht Kenntnis zu nehmen und das Postulat Bretscher abzuschreiben.

Bern, den 16. Juni 1969 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : L. von Moos Der Bundeskanzler : Huber

1586 Anhang I ABKÜRZUNGSLISTE

a. Vereinte Nationen AIEA BIE BIRD C.IJ.

(Ree.)

ECE ECOSOC EPTA FAO GATT IDA IFC IMCO IMF IRÒ OACI/ ICAO OIT OMM OMS ONUC ONUDI

Internationale Atomenergie-Agentur (Agence internationale de l'énergie atomique) Internationales Erziehungsamt (Bureau international d'éducation) Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Banque internationale pour la reconstruction et le développement) Internationaler Gerichtshof (Cour Internationale de Justice) (Recueil) Europäische Wirtschaftskommission (Commission économique pour l'Europe) Wirtschafts- und Sozialrat (Economie and Social Council) Erweitertes Programm für Technische Hilfe (Expanded Programme of Technical Assistance) Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (Food and Agriculture Organization) Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade) Internationale Entwicklungsorganisation (International Development Association) Internationale Finanzkorporation (International Finance Corporation) Intergouvemementale konsultative Organisation für Seeschiffahrt (Inter-Governmental Maritime Consultative Organization) Internationaler Währungsfonds (International Monetary Fund) Internationale Flüchtlingsorganisation: aufgelöst (International Refugees Organization) Internationale Zivilluftfahrtsorganisation (Organisation de l'aviation civile internationale) Internationale Arbeitsorganisation (Organisation internationale du travail) Meteorologische Weltorganisation (Organisation météorologique mondiale) Weltgesundheitsorganisation (Organisation mondiale de la santé) Operation der Vereinten Nationen im Kongo (Opération des Nations Unies au Congo) Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (Organisation des Nations Unies pour le développement industriel)

1587 PAM

Welternahrungsprogramm (Programme alimentaire mondial) PNUD UN-Entwicklungsprogramm (Programme des Nations Unies pour le développement) UIT Internationaler Fernmeldeverein (Union internationale des télécommunications) UNCTAD UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (U.N. Conference on Trade and Development) UN-Friedenserhaltungstruppe im Nahen Osten UNEF (U.N. Emergency Force) UNESCO Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (U.N. Educational, Scientific and Cultural Organization) UNFICYP UN-Friedenserhaltungstruppen auf Zypern (U.N. Forces in Cyprus) UN-Hochkommissar für Flüchtlingswesen UNHCR (U.N. High Commissioner for Refugecs) UNICEF Kinderhilfswerk der UN (U.N. Children's Fund) UNITAR UN-Institut für Ausbildung und Forschung (U.N. Institute for Training and Research) UNMOGIP Militärische Beobachtergruppe der UN in Indien und Pakistan (U.N. Military Observer Group in India and Pakistan) UNO Vereinte Nationen (United Nations Organization) UNRISD Forschungsinstitut der Vereinten Nationen für Sozialentwicklung (U.N. Research Institute for Social Development) UNRWA UN-Programm für Palästina-Flüchtlinge (U.N. Relief and Works Agency for Palestine Refugees in thè Near East) UNTSO UN-Waffenstillstands-Beobachtungsorganisation im Nahen Osten (U.N. Truce Supervision Organization) UPU Weltpostverein (Union postale universelle)

C.P.J.I.

S.d.N

b. Völkerbund Ständiger internationaler Gerichtshof (Cour permanente de justice internationale) Völkerbund (Société des Nations)

c, Schweiz Amtl, Bull, Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, N S = Ständerat AS Amtliche Sammlung BB1 Bundesblatt

Nationalrat,

1588

CIC

Internationales Konferenzzentrum (Centre international de conférences) FIPOI Immobilienstiftung für internationale Organisationen (Fondation des immeubles poux les organisations internationales) Gesch. Ber. Geschäftsbericht des Bundesrates IKRK Internationales Komitee vom Roten Kreuz NHG Neue Helvetische Gesellschaft StB

BIRPI

CERN CIME EFTA EWG NATO OAS OECD

Stenographisches Bulletin (ab 1.1.1963: Amtl. Bull), N = Nationalrat, S = Ständerat d, andere Vereinigte internationale Büros zum Schütze des geistigen Eigentums (Bureaux internationaux réunis pour la protection de la propriété intellectuelle) Europäische Organisation für kernphysikalische Forschung (Organisation européenne pour la recherche nucléaire) Zwischenstaatliches Komitee für europäische Auswanderung (Comité intergouvernemental pour les migrations européennes) Europäische Freihandelsassoziation (European Free Trade Association) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Nordatlantische Vertrags-Organisation (Norm Atlantic Treaty Organization) Organisation amerikanischer Staaten (Organization of American States) Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation économique pour la coopération et le développement)

1589 Anhang II

1590 Anhang m Wichtigste Fälle der Anwendung der Artikel 11,15 und 16 des Völkerbundspaktes a. Am 19. Juni 1920 richtete Grossbritaraiien auf Grand von Artikel 11 des Paktes die Aufmerksamkeit des Völkerbundsrates auf den zwischen Finnland und Schweden ausgebrochenen Konflikt über die Zugehörigkeit der Alandinseln. Der Rat überwies diese Frage einer Kommission von drei Juristen, welche die Inseln Finnland zusprach.

b. Ebenfalls auf Grund von Artikel 11 des Paktes wurde der Völkerbundsrat im September 1920 zuerst von Polen und dann von Litauen im Konflikt zwischen diesen Staaten über die Zugehörigkeit des Gebietes von Wilna angerufen. Angesichts der militärischen Besetzung dieser Gegend durch Polen verlangte Litauen auch die Anwendung von Artikel 16, was der Völkerbundsrat jedoch ablehnte. Eine Lösung des Konflikts durch die Vermittlung des Völkerbundsrates kam nicht zustande. Vielmehr musste sich der Rat mit dem Streitfalle im Jahre 1927 erneut befassen, wobei es ihm gelang, von den Parteien einen Verzicht auf weitere kriegerische Handlungen zu erwirken.

c. Im Frühjahr 1921 ersuchte Albanien den Völkerbundsrat gestützt auf die Artikel 11 und 15 des Paktes um seine Intervention bei der Festlegung der Grenze gegenüber Griechenland und Jugoslawien. Der Völkerbundsrat veranlasste die Botschafterkonferenz der Siegermächte, den Grenzverlauf festzulegen. Als Jugoslawien sich in der Folge weigerte, seine Truppen aus einem Albanien zugesprochenen Gebiet zurückzuziehen, verlangte Grossbritannien die Einberufung des Völkerbundsrates zur Prüfung der Anwendung von in Artikel 16 vorgesehenen Sanktionen, was Jugoslawien zum Nachgeben veranlasste.

d. Im August 1921 unterbreitete der Oberste Rat der Alliierten dem Völkerbundsrat auf Grund von Artikel 11 des Paktes die Frage der Grenzziehung zwischen Deutschland und Polen in Oberschlesien. Im Anschluss an eine Volksabstimmung waren hierüber sowohl zwischen den direkt beteiligten Staaten wie auch zwischen Mitgliedern des Obersten Rates der Alliierten Meinungsverschiedenheiten entstanden. Die vom Völkerbundsrat ausgearbeiteten Grundsätze über eine Aufteilung Oberschlesiens bildeten die Grundlage der anschliessend zwischen Deutschland und Polen vereinbarten Lösung.

e. Als Folge der Ermordung des italienischen Leiters einer Untersuchungskommission in Griechenland
besetzten im August 1923 italienische Truppen die griechische Insel Korfu, Griechenland unterbreitete diesen Streitfall auf Grund von Artikel 15 des Paktes dem Völkerbundsrat und erklärte gleichzeitig, es verzichte aut eine Anwendung von Artikel 16. Nach langwiciigen Verhandlungen arbeitete der Völkerbundsrat Vorschläge aus, auf Grund deren die Botschafterkonferenz der Alliierten eine Lösung des Konfliktes zuwege brachte, die zum Rückzug der italienischen Truppen führte.

1591 /. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit hatte sich der Völkerbundsrat verschiedentlich mit bulgarisch-griechischen Konflikten zu befassen. Das dadurch geschaffene feindselige Klima zwischen den beiden Staaten führte schliesslich im Jahre 1925 zum Einmarsch griechischer Truppen ins bulgarische Grenzgebiet.

Bulgarien unterbreitete dieses Problem dem Völkerbundsrat unter Anrufung von Artikel 11 des Paktes. Der Rat arbeitete Lösungsvorschläge aus, die von Bulgarien sofort angenommen, von Griechenland jedoch vorerst abgelehnt wurden. Erst als verschiedene Staaten ihre Absicht bekundeten, Artikel 16 anzurufen, nahm auch Griechenland die vorgeschlagene Lösung an.

g. Im Jahre 1931 kam es in Mukden zu einem schweren chinesisch-japanischen Zwischenfall. Japan besetzte hierauf die Mandschurei. Auch in Schanghai kam es zu schweren Kämpfen zwischen chinesischen und japanischen Truppen.

Die chinesische Regierung unterbreitete den Konflikt auf Grund von Artikel 11 des Paktes dem Völkerbundsrat, Dieser konnte sich aber auf keine Lösungsvorschläge einigen, da infolge des Vetos des japanischen Ratsmitgliedes die als erforderlich betrachtete Einstimmigkeit unter Einschluss der Parteien nicht zustandekam. Man konnte sich lediglich auf die Entsendung einer Untersuchungskommission einigen. Diese stand unter dem Vorsitz von Lord Lytton und bereiste 1932 die umstrittenen Gegenden. Inzwischen hatte China den Völkerbundsrat erneut angerufen, diesmal auf Grund von Artikel 15 des Paktes. Der Rat bemühte sich lange um Waffenstillstandsverhandlungen ; die Verhandlungen führten schliesslich zur Einstellung der Kämpfe um Schanghai.

Gleichzeitig musste er aber auch den Streit um die Mandschurei prüfen, in der Japan einen Vasallenstaat Mandschukuo errichtet hatte. Gestützt auf den Bericht der Lytton-Kommission fasste der Völkerbundsrat im Frühjahr 1933 eine Resolution, in der eine Anerkennung des Staates Mandschukuo abgelehnt wurde. Da diese Resolution nur der Einstimmigkeit der Ratsmitglieder unter Ausschluss der Parteien bedurfte, kam sie gegen die Stimme Japans zustande, das darauf seinen Austritt aus dem Völkerbund erklärte.

h. Im Jahre 1932 entflammte zwischen Kolumbien und Peru ein Konflikt um die im Amazonas-Gebiet gelegene Stadt Leticia. Man bemühte sich um eine Lösung im panamerikanischen Rahmen ; auch unterbreitete
Kolumbien diesen Streitfall dem Völkerbundsrat unter Anrufung von Artikel 15 des Paktes. Der Rat arbeitete Lösungsvorschläge aus, denen Kolumbien sofort zustimmte, während sie Peru erst nach der im Frühjahr 1933 erfolgten Ermordung seines Präsidenten annahm.

i. Ebenfalls im Jahre 1932 führte der seit langem schwelende Streit zwischen Bolivien und Paraguay um das Chaco-Gebiet zu einem Kriege. Im Dezember wurde der Völkerbundsrat von verschiedenen Seiten aufgefordert, gestützt auf Artikel 16 des Paktes ein Waffenembargo zu erlassen; doch kam die notwendige Einstimmigkeit nicht zustande. Im Frühjahr 1934 betässte Bolivien den Rat erneut mit dem Konflikt unter Anrufung von Artikel 15 des Paktes.

Gleichzeitig kam im Rahmen des Völkerbundes ein freiwillig von den Mitgliedern vereinbartes Waffenembargo zustande. Der Rat arbeitete auf Grund des

1592 Befundes einer schon früher entsandten Untersuchungskommission Lösungsvorschläge aus, die von Bolivien angenommen, von Paraguay dagegen abgelehnt wurden. Dies veranlasste den Rat, die einseitige Aufhebung des Waffenembargos gegen Bolivien im Sinne einer Sanktion gegen Paraguay zu empfehlen.

j. Ende 1932 ersuchte die britische Regierung den Völkerbundsrat gestützt auf Artikel 15 des Paktes um Intervention in ihrem Streit mit Persien über den Status der Anglo-Persian Oll Co. Der Rat vermochte durch seine Vermittlung einen neuen Konzessionsvertrag mit diesem Unternehmen zu erwirken.

k. Im Frühjahr 1935 rief Abessinien den Völkerbundsrat gestützt auf Artikel 11 des Paktes an mit der Bitte, vorsorgHche Massnahmen anzuordnen, um zu verhindern, dass durch kriegerische Zwischenfälle die bilateralen Verhandlungen mit Italien über die Lösung des Konfliktes zwischen den beiden Ländern unterbrochen würden. Infolge eines Vetos des italienischen Ratsmitgliedes kam kein Beschluss des Rates zustande, worauf Abessinien dem Rat unter Anrufung von Artikel 15 des Paktes die Streitigkeit selbst unterbreitete. Eine Vermittlung wurde jedoch wegen des noch hängigen bilateralen Schlichtungsverfahrens immer wieder aufgeschoben. Erst als das unmittelbare Bevorstehen eines italienischen Angriffs feststand, griff der Rat die Frage erneut auf und stellte in einem Beschluss vom 5. Oktober 1935 die Grundlosigkeit der italienischen Vorwürfe an Abessinien fest. Zwei Tage zuvor waren aber italienische Truppen in Abessinien einmarschiert. Angesichts der Feststellungen des Völkerbundsrates war eine Verurteilung Italiens zum Angreifer unausweichlich.

Die Völkerbundsversammlung trat daher am 9. Oktober nach bereits abgeschlossener Session erneut zusammen. Sie musstc feststellen, dass nicht sie, sondern die einzelnen Mitglieder über das Vorliegen der Voraussetzungen zur Durchführung und über das Ausmass der zu ergreifenden Sanktionen zu befinden hatten. Um ein einheitliches Vorgehen zu ermöglichen, bildeten die 50 Mitgliedstaaten, die eine Anwendung von Artikel 16 des Paktes befürworteten, einen Koordinationsausschuss, der Art und Umfang der Sanktionen festlegte. Diese führten nicht zum Ziele, da Italien sich die vom Embargo betroffenen Waren ausserhalb des Kreises der Völkerbundsmitglieder beschaffen konnte und überdies durch
politischen Druck auf Frankreich zustandebrachte, dass von einer Verschärfung der Massnahmen Abstand genommen wurde. Nach vollendeter Eroberung Abessiniens beschloss am 15. Juli 1936 eine Koordinationskonferenz der Mitgliedstaaten die Aufhebung der Massnahmen gegen Italien.

1. Als Japan im Sommer 1937 einen De-facto-Är/e^ gegen China auslöste, ersuchte dieses um eine Intervention des Völkerbundes, ohne vorerst formell einen der einschlägigen Artikel des Paktes anzurufen. Das Ergebnis war ein Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 5. Oktober 1937, dass es jedem Staat fieistehe, die Durchführung von Sanktionen auf Grund von Artikel 16 zu beschliessen. Da dies zu keinem praktischen Ergebnis führte, ersuchte China im September 1938 den Völkerbundsrat ausdrücklich um Anwendung des Sanktionsartikels 16. Ein entsprechender Beschluss erfolgte am 30. September,

1593 blieb jedoch ebenfalls wirkungslos, da die Durchführung der Sanktionen selbst den Mitgliedstaaten anheimgestellt blieb.

m. Als die Sowjetunion am 30. November 1939 einen Angriff auf Finnland auslöste, rief dieses gestützt auf die Artikel 11 und 15 des Paktes sowohl den Völkerbundsrat wie auch die Versammlung an. Die Versammlung verurteilte am 11. Dezember die Sowjetunion als Angreifer und forderte den Rat auf, die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Der Rat beschloss am 14. Dezember gestützt auf Artikel 16 des Paktes den Ausschluss der Sowjetunion aus dem Völkerbund.

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1594 Anhang IV Wichtigste Interventionen der Vereinten Nationen bei internationalen Konflikten a. Bereits in den ersten Nachkriegsjahren begann der machtpolitische und ideologische Konflikt zwischen den beiden Weltmächten Sowjetunion und Vereinigte Staaten von Amerika und ihren Verbündeten, das Weltgeschehen zu beherrschen. Er kam erstmals bei den Versuchen beider Mächtegruppen zum Ausbruch, die verschiedenen Gebiete des vom Kriege schwer heimgesuchten Europas in ihren Bannkreis zu ziehen. Bereits in den ersten Wochen seiner Tätigkeit, im Februar 1946, hatte sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Lage in Griechenland zu befassen, wo ein Bürgerkrieg zwischen prokommunistischen Guerillaverbänden und der prowestlichen Regierung im Gange war. Der Rat beschloss die Schaffung einer Untersuchungskommission.

Nachdem weitere Interventionen des Sicherheitsrates durch das sowjetische Veto unmöglich gemacht worden waren, befasste sich in den Jahren 1947 und 1948 die Generalversammlung mit dem Problem und schuf Untersuchungsund Vergleichskommissionen, denen jedoch der Zugang zu den Nachbarländern Griechenlands versagt blieb. Daneben verfügte die Generalversammlung 1949 ein allgemeines Waffenembargo gegenüber allen kriegführenden Parteien in Griechenland. Nach dem Sieg der Regierungstruppen wurde 1952 das immer noch bestehende Vergleichskomitee aufgehoben.

Ebenfalls im Jahre 1946 hatte sich der Sicherheitsrat mit der Anwesenheit sowjetischer Truppen in Iran zu befassen. Der Konflikt konnte bereits im Juni 1946 angesichts des Abzuges dieser Verbände beigelegt werden.

Im Jahre 1947 unterbreitete Grossbritannien dem Sicherheitsrat seinen Streit mit Albanien wegen der Verminung der Meerenge von Korfu. Eine Beschlussfassung wurde durch ein sowjetisches Veto verhindert; doch konnte der Streitfall dem Internationalen Gerichtshof überwiesen werden.

Im Juni 1948 kam vor dem Sicherheitsrat der kommunistische Umsturz in der Tschechoslowakei zur Sprache, wobei die Sowjetunion der Einmischung bezichtigt wurde. Eine Verurteilung konnte jedoch gegen die Stimme dieses ständigen Ratsmitgliedes nicht ausgesprochen werden.

Als im August 1968 die militärische Intervention der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in der Tschechoslowakei vor den Sicherheitsrat gebracht wurde, legte die Sowjetunion ihr 105. Veto ein,
um eine Verurteilung ihrer Intervention durch die Ratsmitglieder zu verhindern.

Ebenfalls im Juni 1948 kam es zwischen der Sowjetunion und den drei westlichen Alliierten um das Statut der Stadt Berlin zu einem schweren Konflikt. Die Sowjetunion blockierte alle Zugangswege zu Westberlin, so dass dieses aus der Luft versorgt werden musste. Am 29. September unterbreiteten die drei westlichen Alliierten dem Sicherheitsrat gemeinsam diesen Streitfall. Die

1595 vom Rat ausgearbeitete Kompromisslösung scheiterte jedoch am sowjetischen Veto, und auch das danach gebildete neutrale Expertenkomitee vermochte nicht, eine Lösung herbeizuführen. Schliessh'ch hob die Sowjetunion die Blokkade im April 1949 auf. In der Folge kam es wegen Berlins verschiedentlich erneut zu Spannungen; doch wurden diese nicht mehr den Vereinten Nationen unterbreitet, sondern in direkten Verhandlungen der beteiligten Staaten behoben.

b. Während der ganzen Zeit ihrer bisherigen Existenz haben sich die Vereinten Nationen mit Spannungen im Mittleren Osten zu befassen gehabt, die zur Hauptsache ihren Ursprung im Palästinakonflikt haben. Ende April 1947 trat angesichts des baldigen Ablaufs des britischen Mandats in Palästina die Generalversammlung zu einer Sondersession zusammen und ernannte eine Untersuchungskommission. Diese entwarf einen Teilungsplan, der aber sowohl vom arabischen wie vom jüdischen Bevölkerungsteil verworfen wurde. Der Sicherheitsrat berief daher am 30. März 1948 die Generalversammlung zu einer neuen Sondersession ein. Die Versammlung ersuchte den Treuhandschaftsrat, Massnahmen zum Schütze Jerusalems zu treffen, und ernannte am 14. Mai einen Vermittler. Am gleichen Tage lief das Mandat für Palästina ab, ohne dass eine Lösung für die Zukunft getroffen worden wäre. Die jüdische Bevölkerung rief daher den Staat Israel aus, während die arabischen Nachbarländer zum Angriff schritten. Es entwickelte sich ein Krieg, der trotz zahlreichen Aufrufen des Sicherheitsrates zur Feuereinstellung erst endigte, als sich die Fronten stabilisiert hatten. Nach mühsamen Verhandlungen, an denen sich auch eine von der Generalversammlung eingesetzte Vergleichskommission beteiligte, konnte Israel im Januar 1949 mit seinen Nachbarländern Waffenstillstands-Vereinbarungen abschliessen. Im April 1949 in Lausanne eingeleitete Friedensgespräche wurden nach zwei Monaten ergebnislos abgebrochen, während ein Beschluss der Generalversammlung vom 10. Dezember 1949 über die Internationalisierung Jerusalems weder von Israel noch von Jordanien angenommen wurde. Da über eine Million Araber das Gebiet Israels verlassen hatten, schuf die Generalversammlung eine besondere Organisation, die UNRWA, zur Betreuung dieser Flüchtlinge. Für die Überwachung des Waffenstillstandes war eine Beobachtergruppe (UNTSO)
eingesetzt worden, die heute noch tätig ist.

Auch in den Jahren nach 1949 konnte keine Lösung des Palästinakonflikts gefunden werden. Die Lage blieb gespannt, und gelegentliche Zwischenfälle drohten immer wieder, zu einem neuen Aufflammen der Kämpfe zu führen.

Die Schiessereien häuften sich zu Beginn des Jahres 1956 und veranlassten den Generalsekretär der Vereinten Nationen zum Eingreifen. Durch seine Vermittlung kam eine gewisse Beruhigung zustande. Die Nationalisierung des Suezkanals durch Ägypten führte jedoch zu neuen Spannungen, die sich im israelischen Angriff vom 29. Oktober 1956 entluden. Am lolgenden Tag richteten Frankreich und Grossbritannien ein Ultimatum an Ägypten, nach dessen Ablauf sie am 1. November Bombenangriffe auslösten, denen am 5. eine Luftlandeoperation gegen Port Said folgte. Der Sicherheitsrat war schon am 30. Okto-

1596 ber zusammengetreten, konnte aber keinen Befehl zur Feuereinstellung beschliessen, da Frankreich und Grossbritannien ihr Veto einlegten. Er berief daher die Generalversammlung zu einer ausserordentlichen und dringlichen Tagung ein, die am 1. November eröffnet wurde. Die Versammlung forderte in zwei Resolutionen vom 2. und 4. November zur Feuereinstellung auf; doch kam diese erst am 6. November zustande. Am 4. November wurde der Generalsekretär mit der Ausarbeitung von Plänen für die Schaffung der UNEF beauftragt. Am 5. November hiess die Sondersession der Generalversammlung eine Resolution gut, durch die ein UNO-Oberkornmando für eine noch zu schaffende Friedenstruppe (UNEF) gebildet wurde. Es war die Aufgabe der UNEF, die Beendigung und Überwachung der Feindseligkeiten in Ägypten sicherzustellen. Frankreich, Grossbritannien und Israel wurden zum Rückzug ihrer Truppen aufgefordert. Nachdem sich Israel geweigert hatte, UNEFTruppen auf seinem Gebiet aufzunehmen, setzte der Generalsekretär diese Truppen ausschliesslich auf ägyptischem Territorium ein (Sinai und Gazastreifen, entlang der Waffenstülstandslinie von 1949). Rund 6000 Mann aus zehn Staaten (Brasilien, Dänemark, Finnland, Indien, Indonesien, Jugoslawien, Kanada, Kolumbien, Norwegen und Schweden) kamen zum Einsatz. Sie trafen ab 19. November 1965 in Abu Suweir ein. Die Swissair transportierte zwischen dem 15. und 25. November 1956 3800 Mann samt Ausrüstung. Der Rückzug der Truppen Frankreichs, Grossbritanniens und Israels erfolgte erst anfangs 1957.

In den folgenden Jahren kam es in den arabischen Staaten zu einer revolutionären Entwicklung. Am 14. Juli 1958 wurde in Irak durch einen blutigen Staatsstreich das königliche Regime beseitigt. Die beiden kleinen Staaten Jordanien und Libanon wurden ebenfalls von schweren inneren Konflikten heimgesucht. Auf Ersuchen der beiden Länder trafen am 15. Juli amerikanische Truppen in Libanon, am 17. Juli britische Truppen in Jordanien ein. Der Sicherheitsrat befasste sich mit der hieraus entstandenen explosiven Lage, gelangte jedoch zu keinem Entscheid. Er beschloss daher am 7. August, die Generalversammlung zu einer Sondersession einzuberufen; diese begann schon am nächsten Tage. Nach langen Verhandlungen genehmigte die Versammlung am 21. August einstimmig einen arabischen Resolutionsentwurf,
der das Selbstbestimmungsrecht aller Staaten und den Grundsatz der Nichtintervention bestätigte. Gleichzeitig wurde der Generalsekretär mit einer Erkundungsmission an Ort und Stelle beauftragt. Die anschliessende Beruhigung der Lage ermöglichte den Rückzug der Truppen aus Jordanien und Libanon.

Im Verlaufe des Jahres 1966 häuften sich die Zwischenfälle an der israelischen Grenze. Im Frühjahr 1967 wurden auf beiden Seiten die Truppen verstärkt. Am 16. Mai forderte Präsident Nasser den Generalsekretär zum Rückzug der UNEF auf. Diesem Wunsche wurde am 18. Mai entsprochen. Am 22. Mai verfügte Präsident Nasser die Schliessung der Strafe veoi Tiran, die den Zugang zum israelischen Hafen Eilat ermöglicht. In den folgenden Tagen wurden auf beiden Seiten mehr und mehr Truppen zusammengezogen, bis am 5. Juni die Kämpfe ausbrachen. Der Sicherheitsrat trat am selben Tage zusam-

1597 men, konnte sich jedoch erst am folgenden Tag auf einen Befehl zur Feuereinstellung einigen, der, angesichts seiner Nichtbefolgung durch die Parteien, am 7. Juni wiederholt wurde. Am gleichen Tag wurde er von Israel und Jordanien angenommen, während Ägypten am 8. und Syrien am 9. Juni folgten. Schon am 6. Juni war auch die Generalversammlung auf Wunsch der Mehrheit der Mitglieder zu einer ausserordentlichen und dringlichen Tagung einberufen worden. Sie begann am 17. Juni. Die Versammlung verurteilte die von Israel beschlossene Annexion der Altstadt Jerusalems, konnte sich aber im übrigen auf keine weiteren Beschlüsse einigen. Auf ihren Wunsch entsandte der Generalsekretär einen persönlichen Vertreter nach Jerusalem zur Untersuchung der Lage in der Altstadt. Am 22. November 1967 genehmigte der Sicherheitsrat einstimmig eine Resolution, die unter anderem die Garantie der Integrität der bestehenden Staaten, die Beendigung des Kriegszustandes und die Ernennung eines Vermittlers durch den Generalsekretär vorsieht.

c. Ein weiterer Konflikt, mit dem sich die Vereinten Nationen seit Jahren immer wieder befassen mussten, ist der indisch-pakistanische Streit um Kaschmir. Bei der Teilung des ehemaligen britischen Dominions in einen indischen und einen pakistanischen Staat optierte der Maharadscha von Kaschmir für Indien, Dieser Entscheid wurde von einem Teil der vorwiegend mohammedanischen Bevölkerung abgelehnt und führte zu einem Bürgerkrieg, an dem sich auch indische und pakistanische Truppen beteiligten. Im Dezember 1947 befasste Indien erstmals den Sicherheitsrat mit dem Kaschmirproblem. Der Rat ernannte im April 1948 eine Kommission, die Kaschmir besuchte und Ende November ihren Bericht abfasste. Auf Grund der darin enthaltenen Vorschläge trat am 1. Januar 1949 ein Waffenstillstand in Kraft, während sich am 6. Januar Indien und Pakistan bereit erklärten, die Zugehörigkeit Kaschmirs einem Plebiszit zu unterbreiten. In der Folge konnten weder der Sicherheitsrat noch die von ihm eingesetzten Kommissionen und Vermittler weitere Fortschritte erzielen. Vielmehr distanzierte sich Indien mehr und mehr vom Gedanken eines Plebiszits und verfügte die endgültige Annexion von Kaschmir. Einzig die von den Vereinten Nationen eingesetzten Beobachter des Waffenstillstandes erwiesen sich als wirksam. Im Sommer 1965
kam es zu einem von Pakistan unterstützten bewaflheten Aufstand, dem die indische Armee entgegentrat. Dies veranlasste Pakistan seinerseits zum Eingreifen. Es entstand ein eigentlicher, an mehreren Fronten geführter Krieg, der vom 1. bis zum 21. September 1965 dauerte. Aufforderungen des Sicherheitsrates zur Feuereinstellung blieben wirkungslos, und auch der Generalsekretär konnte bei seiner Vermittlungsmission keinen Waffenstillstand herbeiführen. Erst einem neuerlichen Aufruf des Sicherheitsrates vom 20. September leisteten die Parteien Folge.

Auf Einladung des sowjetischen Ministerpräsidenten trafen sich am 4. Januar 1966 der Premierminister Indiens und der Präsident Pakistans in Taschkent, wo sie am 10. ein Abkommen zur Entschärfung des Konfliktes abschlössen.

d. Die während des zweiten Weltkrieges von Japan besetzte Halbinsel Korea wurde 1945 in eine amerikanische und eine sowjetische Besetzungszone

1598 aufgeteilt. Es sollten Massnahmen zur Vereinigung beider Zonen zu einem unabhängigen Staat ergriffen werden. Zu diesem Zwecke setzten die Vereinten Nationen am 15. November 1947 eine Kommission ein, die jedoch nie nach Nordkorea gelangte. In den beiden Zonen entstanden selbständige Staaten, von denen jeder Anspruch auf ganz Korea erhob. Am 25, Juni 1950 überschritten nordkoreariische Truppen die Demarkationslinie und begannen mit der Eroberung Südkoreas. Gleichentags trat der Sicherheitsrat zusammen. In Abwesenheit des sowjetischen Vertreters wurde der Angriff verurteilt und sofortige Waffenruhe gefordert. In der Resolution 83 vom 27. Juni 1950 empfahl der Rat, mit Waffengewalt gegen Nordkorea vorzugehen. Der sowjetische Vertreter,1 der an der Sitzung wiederum nicht teilgenommen hatte, erklärte den Beschluss aus diesem Grunde als nichtig. Die für Korea benötigten Truppen wurden von verschiedenen Stauten unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika freiwillig zur Verfügung gestellt. Sie dienten unter der Flagge ihres Heimatstaates und derjenigen der Vereinten Nationen. Am 8. Juli ernannte der Sicherheitsrat den amerikanischen General Douglas Mac Arthur zum Oberbefehlshaber.

Weitere Beschlüsse des Sicherheitsrates kamen angesichts der neuerlichen Teilnahme des sowjetischen Vertreters an den Sitzungen nicht mehr zustande.

Dies veranlasste die Vereinigten Staaten von Amerika, nach Lösungen im Rahmen der Generalversammlung zu suchen. Auf amerikanischen Antrag beschloss diese am 3. November 1950 die unter dem Namen «Uniting for Peace» bekannte Resolution, in der sie sich das Recht zusprach, im Falle der Aktionsunfähigkeit des Sicherheitsrates infolge eines Vetos an Stelle des Rates Empfehlungen zu erlassen.1' Die weiteren Massnahmen im Koreakriege sind auf Grund solcher Empfehlungen durchgeführt worden.

Nachdem die Frage der chinesischen Intervention seit dem 6. Dezember 1950 auf der Agenda der Generalversammlung gestanden hatte und nachdem die Kriegsparteien bereits längere Zeit Friedensgespräche durchgeführt hatten, beschloss die Generalversammlung im Februar 1953 einstimmig, dass zwischen den beiden Kriegführenden in Panmunjon Friedensgespräche aufzunehmen seien. Ihr Ergebnis war der WaffenstiUstandsvertrag vom 27. Juli 1953. Er enthielt ein Abkommen über die Kriegsgefangenen und sah
dafür eine Heimschaffungskommission unter dem Vorsitz Indiens vor, der ausserdem noch Polen, Schweden, die Schweiz und die Tschechoslowakei angehörten. Neben der Waffenstillstandskommission wurde auch eine aus neutralen Staaten zusammengesetzte Überwachungskommission geschaffen, der Polen, Schweden, die Schweiz und die Tschechoslowakei angehören. Ende 1968 war diese Kommission, obschon mit vermindertem Personalbestand, weiterhin im Einsatz. Zur Vorbereitung einer endgültigen Lösung, die auch die Wiedervereinigung beider Korea einschliessen sollte, trat die Generalversammlung am 18. August 1953 zu einer Sondersession zusammen und empfahl die Durchführung einer politischen Konferenz, an der sowohl die Kriegsteilnehmer wie auch Neutrale verl

>Vgl.l.Teil,LKap.,C7.

1599 treten sein sollten. Es gelang jedoch bis heute nicht, den Waffenstillstand in einen Friedensvertrag umzuwandeln.

e. Im Jahre 1949 hatte sich die Generalversammlung erstmals mit dem rechtlichen Statut der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika zu befassen, die während der Völkerbundszeit von Südafrika als Mandat verwaltet worden war. Im Gegensatz zu anderen Mandatsmächten weigerte sich Südafrika, mit den Vereinten Nationen einen Treuhandschaftsvertrag abzuschliessen, und wünschte, Südwestafrika zu annektieren. Die Debatte in der Generalversammlung führte zu keinem Ergebnis, und es wurde beschlossen, die Frage dem Internationalen Gerichtshofe zu unterbreiten. Dieser entschied, dass das Mandat nach wie vor bestehe, was Südafrika nie anerkennen wollte. Es entspann sich in der Folge ein stetiger Konflikt zwischen den Vereinten Nationen und Südafrika, der seinen Höhepunkt erreichte, als der Internationale Gerichtshof es in einem Urteil vom 18. Juli 1966 ablehnte, auf eine Klage zweier afrikanischer Staaten gegen Südafrika einzugehen: Die Generalversammlung beschloss hierauf am 27. Oktober 1966, das Mandat Südafrikas zu annullieren.

Am 19. Mai 1967 setzte sie sodann ein Organ ein, das im nunmehr Namibia genannten Gebiet die bis dahin von Südafrika ausgeübte Verwaltung übernehmen sollte; ferner wurde ein provisorischer UNO-Kommissar für Namibia bestimmt. Infolge der Weigerung Südafrikas, die Zuständigkeit der Vereinten Nationen für Südwestafrika anzuerkennen, blieb jedoch das Gebiet bis heute unter südafrikanischer Verwaltung.

/. Im Jahre 1955 beantragte Griechenland, dass sich die Vereinten Nationen mit der Frage der Zukunft Zyperns, das damals eine britische Kolonie war, befassten. Der Antrag wurde abgelehnt; doch kam das Problem in der Folge mehrfach im Rahmen der Vereinten Nationen zur Sprache. Schliesslich einigten sich die am meisten interessierten Staaten Griechenland, Grossbritannien und die Türkei direkt in zwei Vereinbarungen von Zürich und London vom Dezember 1958 und Januar 1959 auf die Schaffung eines unabhängigen Staates Zypern. Im Herbst 1963 beschloss jedoch der Staatspräsident mit der Unterstützung des griechischen Bevölkerungsteils eine Verfassungsänderung, die verschiedene Garantien zugunsten der türkischen Bevölkerung aufhob.

Daraus entstand eine Bürgerkriegslage, die im
Januar 1964, als Griechenland und die Türkei zu intervenieren drohten, derart bedrohliche Formen annahm, dass der Sicherheitsrat am 4. März 1964 einstimmig die Aufstellung einer Polizeitruppe (UNFICYP) beschloss, welche die beiden Bevölkerungsteile trennen sollte. Gleichzeitig wurde der Generalsekretär gebeten, einen Vermittler zu ernennen. Bis Ende 1968 haben alle Vermittlungsbemühungen zu keinem endgültigen Ergebnis geführt, so dass das Mandat der UNO-Truppe immer wieder verlängert werden musste.

g. Am 28. Oktober 1956 wurde der Sicherheitsrat zu einer dringlichen Sitzung über die Lage in Ungarn einberufen. Dort war eine antikommunistische Bewegung an die Macht gelangt, was eine bewaffnete Intervention der Sowjetunion zur Wiederherstellung des früheren Zustandes zur Folge hatte. Am

1600 1. November erhielt der Rat eine dringende Botschaft des ungarischen Ministerpräsidenten. Eine Beschlussfassung scheiterte jedoch am 4. November am Veto der Sowjetunion. Am gleichen Tag trat auch die Generalversammlung zu einer ausserordentlichen und dringlichen Tagung zusammen und verurteilte in einer Resolution die Haltung der Sowjetunion. An der Sitzung vom 9. November wurden drei Resolutionen angenommen, von denen zwei der Hilfe an die Opfer der Kämpfe gewidmet waren, während die dritte erneut die Sowjetunion verurteilte. Eine weitere Resolution wurde am 21. November von der 11. Tagung der Generalversammlung gefasst, die auch im folgenden Jahre vom 10.

bis zum 14. September die Ungarnfrage behandelte. Die rasche Zerschlagung des Aufstandes durch die sowjetischen Truppen und die Weigerung der wieder eingesetzten kommunistischen Regierung, irgendeinen Vertreter der Vereinten Nationen zu empfangen, erlaubten es diesen nicht, auf den Ablauf der Ereignisse einen Einfluss auszuüben.

h. Wenige Tage nach der am 30. Juni 1960 erklärten Unabhängigkeit der ehemaligen belgischen Kolonie Kongo meuterte die einzige lokale Ordnungsmacht, die «Force publique», was eine schwere Krise auslöste. Ohne die Bewilligung der kongolesischen Regierung einzuholen, setzte Belgien am 10. Juli zum Schutz seiner Staatsangehörigen Luftlandetruppen ein. Staatspräsident Kasavubu und Ministerpräsident Lumumba richteten hierauf am 12. Juli ein Telegramm an den Generalsekretär der Vereinten Nationen mit der Bitte um militärische Hilfe. Am 14. Juli fasste der Sicherheitsrat eine Resolution, in der Belgien aufgefordert wurde, seine Truppen zurückzuziehen, und der Generalsekretär die Ermächtigung erhielt, die notwendigen Vorkehrungen für eine militärische und technische Hilfe an die Regierung des Kongo zu treffen. Gestützt auf diese Ermächtigung rief der Generalsekretär die Operation der Vereinten Nationen im Kongo (ONUC) ins Leben; sie verfügte über eine Armee von 20 000 Maim, die in verschiedenen Gebieten des Kongo stationiert wurden.

Lediglich die Provinz Katanga, die sich unabhängig erklärt hatte, widersetzte sich einem Einmarsch von UNO-Einheiten. Der Sicherheitsrat beschloss hierauf am 9. August, die Besetzung Katangas wenn nötig zu erzwingen. In der Folge traten jedoch bedeutende Meinungsverschiedenheiten zwischen dem
Generalsekretär und der kongolesischen Regierung auf, die auch nach dem Ausbruch einer Verfassungskrise im Kongo nicht beigelegt werden konnten. Im Sicherheitsrat kam es ebenfalls zu Parteinahmen für die eine oder andere Seite; ein Beschluss über die Vorschläge des Generalsekretärs wurde am 17. September durch ein sowjetisches Veto verhindert.

Angesichts der Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates wurde die Generalversammlung zu einer Nottagung einberufen. Sie fasste am 20. September 1960 eine Resolution, in der das Vorgehen des Generalsekretärs gebilligt wurde. Inzwischen hatte sich aber die Anarchie im Kongo weiter ausgebreitet.

Verschiedene Gruppen erhoben Anspruch auf die Regierungsgewalt. Konflikte mit einzelnen UNO-Kontingenten führten zu deren Ausweisung oder Abberufung. In verschiedenen Gebieten herrschte Hungersnot. Eine Tagung des

1601 Sicherheitsrates und eine Sondersession der Generalversammlung im Dezember 1960 führten zu keinen Ergebnissen. Erst die Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Lumumba am 17. Januar 1961 vermochte Sicherheitsrat und Generalversammlung zu neuen Entscheiden anzuspornen. Energischere Massnahmen gegen Katanga und neue Versuche, die Zentralgewalt durch eine Verfassungsrevision wieder herzustellen, wurden beschlossen. Im Rahmen der sogenannten Zivilaktion im Kongo übernahmen die Vereinten Nationen auch einen grossen Teil der Verwaltungsaufgaben des kongolesischen Staates. Im Laufe der Jahre 1961 und 1962 konnten hinsichtlich der Wiederherstellung der Zentralgewalt gewisse Fortschritte erzielt werden. Dagegen musste das Problem Katangas mit Waffengewalt gelöst werden. Am 28. Dezember 1962 schritten die Truppen der Vereinten Nationen zum Generalangriff auf die katangischen Einheiten, was den Präsidenten Tschombe am 17. Januar 1963 veranlasste, sich geschlagen zu geben und das Land zu verlassen. Die letzten UNO-Truppen verüessen den Kongo erst am 30. Juni 1964, vier Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes.

i. Verschiedentlich hatten sich die Vereinten Nationen mit dem zwischen Indonesien und den Niederlanden entbrannten Konflikt um das Gebiet von West-Neuguinea (Irian-Barat) zu befassen. Am 15. August 1962 vereinbarten die beiden Staaten einen Waffenstillstand, auf Grund dessen das Gebiet bis zum 30. April 1963 unter die Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt werden sollte, bevor es am l. Mai an Indonesien überging. Die Vereinten Nationen erklärten sich bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Der Generalsekretär wurde ermächtigt, eine Verwaltung zu organisieren und eine Schutztruppe von 1000 Mann einzusetzen. Die Übergabe am 1. Mai 1963 erfolgte ohne Zwischenfall.

j. Mehrmals wurde von Kuba und den Vereinigten Staaten von Amerika der Konflikt, der die beiden Länder seit Jahren entzweit, vor die Vereinten Nationen getragen. Eine Verurteilung der Vereinigten Staaten kam im Frühjahr 1961 zustande, als eine von ihnen unterstützte Invasion von Exilkubanern in Kuba von den Regierungstruppen zerschlagen wurde. Die Entdeckung geheimer Raketenbasen durch amerikanische Erkundungsflugzeuge im Oktober 1962 führte zu einem besonders schweren Konflikt, der sich rasch auf das bilaterale amerikanisch-sowjetische
Verhältnis verschob. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen richtete einen dringlichen Appell an die beiden Mächte, während der Sicherheitsrat vom 23. bis zum 25. Oktober tagte. Die Auseinandersetzung wurde auf bilateralem Wege beigelegt, bevor ein Entscheid im Rahmen der Vereinten Nationen erfolgen konnte.

k. Im Anschluss an die Forderung Tunesiens an Frankreich, den Militärstützpunkt Bizerta zu räumen, kam es zwischen französischen und tunesischen Einheiten am 17. Juli 1961 zu Kämpfen, in deren Verlauf die französische Armee grössere Teile der Stadt Bizerta besetzte. Der Sicherheitsrat erliess am 21. Juli einen Befehl, das Feuer einzustellen, und beauftragte den Generalsekretär mit einer Vermittlungsmission. Frankreich weigerte sich jedoch, die

1602 Kämpfe einzustellen und den Generalsekretär zu empfangen. Eine Waffenruhe wurde erst auf bilateralem Wege vereinbart.

/. Im September 1962 stürzte eine von Oberst Sallal geführte Bewegung den Imam von Jemen und errichtete eine Republik, die vom Sicherheitsrat anerkannt wurde, obwohl der Rechtsstatus der beiden kämpfenden Parteien keiner näheren Untersuchung unterworfen wurde. Grössere Teile des Landes blieben in der Hand königstreuer Einheiten, die von Saudi-Arabien unterstützt wurden, während die Vereinigte Arabische Republik den Republikanern Hilfe leistete. Um einen Krieg zu verhindern, entsandte der Generalsekretär noch im gleichen Jahr einen Vermittler nach Jemen, der aber unverrichteter Dinge zurückkehren musste. Im Juni 1963 befasste sich der Sicherheitsrat mit einem Vorschlag der Generalversammlung, eine auf zwei Monate befristete Militärmission nach Jemen zu entsenden, deren Kosten von Saudi-Arabien und der Vereinigten Arabischen Republik getragen werden sollten. Nach einigem Zögern stimmte der Rat diesem Vorgehen zu; doch musste auch diese Mission schliesslich ihre Tätigkeit unverrichteter Dinge einstellen.

m. Das durch die Genfer Abkommen von 1954 geteilte Vietnam sollte auf dem Wege freier Wahlen wiedervereinigt werden. Eine derartige Wiedervereinigung kam indessen nicht zustande. Statt dessen schloss sich Nordvietnam eng an China und die Sowjetunion an, während Südvietnam mit den Vereinigten Staaten von Amerika ein militärisches Bündnis einging. Im Laufe der Jahre wirkte in Südvietnam mit wachsendem Erfolg eine prokommunistische Befreiungsfront, der gegenüber sich die durch interne Konflikte zerrissene Regierung in zunehmendem Masse als machtlos erwies. Auf Grund des Militärbündnisses sahen sich die Vereinigten Staaten von Amerika zu immer massiveren Hilfeleistungen gezwungen und mussten schliesslich die Hauptlast der Kriegführung tragen, was Nordvietnam seinerseits zu einer immer grosszügigeren Unterstützung der Befreiungsfront veranlasste. Verschiedentlich, so in den Jahren 1965, 1966 und 1967, versuchten die Vereinigten Staaten, den Konflikt im Rahmen der Vereinten Nationen zu lösen. Weder der Sicherheitsrat noch die Generalversammlung konnten jedoch zu einem positiven Entscheid kommen. Den nachdrücklichen Initiativen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen betreffend
Einstellung der Bombardierung Nordvietnams war kein Erfolg beschieden.

n. Im Frühjahr 1965 brach in der seit langem von Parteikämpfen erschütterten Dominikanischen Republik ein Bürgerkrieg aus, der die Vereinigten Staaten von Amerika zur sofortigen Entsendung von Truppen veranlasste. In der Folge wurden diese Einheiten einer interamerikanischen Streitmacht im Rahmen der Organisation der amerikanischen Staaten (OAS) eingegliedert. Auf Antrag der Sowjetunion befasste sich der Sicherheitsrat mit der amerikanischen Intervention. Ei sah jedoch von einer Verurteilung der Vereinigten Staaten ab und liess die Bemühungen der OAS um die Lösung der Krise von einem Beobachter verfolgen. Ende August und Anfang September 1965 stimmten die Parteien der Einsetzung einer Ubergangsregierung und der Durchführung von

1603 Wahlen zu. Die Wahlen brachten eine verfassungsmässige Regierung an die Macht, die ihr Amt im Sommer 1966 antrat. Die interamerikanische Truppe konnte hierauf im September abgezogen werden.

o. Verschiedentlich hatten sich die für die noch nicht unabhängigen Gebiete verantwortlichen Organe der Vereinten Nationen mit der Lage in der britischen Kolonie Südrhodesien zu befassen, wo eine weisse Minderheit mit allen Mitteln versuchte, ihr Herrschaftsmonopol beizubehalten. Zahlreiche Bemühungen Grossbritanniens, durch Verfassungsreformen den Übergang zu einem Mehrheitsregime zu verwirklichen, scheiterten am Widerstand der weissen Bevölkerung. Diese erwärmte sich mehr und mehr für den Gedanken einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung, die dann auch nach dem Scheitern einer neuen Verhandlungsrunde am 11. November 1965 erfolgte, wobei die Bezeichnung Südrhodesien in Rhodesien abgeändert wurde. Die gerade tagende Generalversammlung der Vereinten Nationen verurteilte dieses Vorgehen noch am gleichen Tage schärfstens und forderte Grossbritannien zur Wiederherstellung des legalen Zustandes auf. Die britische Regierung beschloss eine Reihe von Massnahmen, worunter auch eine teilweise Wirtschaftsblockade. Sie unterrichtete hievon den Sicherheitsrat, der am 20. November in einer Resolution die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen wie auch die Nichtmitglieder um Unterstützung der britischen Massnahmen ersuchte.

Alle im Verlaufe des Jahres 1966 geführten Gespräche zwischen Vertretern Grossbritanniens und Rhodesiens blieben erfolglos. Die Wirtschaftsblokkade konnte durch Benutzung der Transportwege durch das portugiesische Territorium Mosambik und Südafrika umgangen werden. Dies veranlasste den Sicherheitsrat, Grossbritannien auf dessen Wunsch durch eine Resolution vom 9. April 1966 zu ermächtigen, wenn nötig mit Gewalt, das Anlaufen des Hafens von Beira durch Schiffe zu verhindern, deren Ladung für Rhodesien bestimmt war. Nach dem endgültigen Scheitern aller Vermittlungsbemühungen beantragte die britische Regierung am 8. Dezember 1966 beim Sicherheitsrat die Verhängung nichtmilitärischer Massnahmen gegen Rhodesien im Sinne des Vn. Kapitals der Charta. Ein entsprechender Beschluss erfolgte am 16. Dezember, indem der Sicherheitsrat die für alle Mitgliedstaaten verbindliche Resolution fasste, gegen Rhodesien
eine Teilblockade zu verhängen. Gleichzeitig wurden die Nichtmitglieder der Vereinten Nationen aufgefordert, sich ebenfalls an den Sanktionen zu beteiligen. Infolge des Scheiterns der teilweisen Wirtschaftsblockade beschloss der Sicherheitsrat am 29. Mai 1968 weiter gehende wirtschaftliche Massnahmen gegenüber Rhodesien,

1604 Anhang V

Fälle, in denen die Schweiz vom Völkerbund ersucht wurde, sich an Sanktionsmassnahmen zu beteiligen a. Im Jahre 1920 beschloss der Völkerbund, angesichts des litauisch-polnischen Krieges Truppen nach der Gegend von Wilna zu entsenden, die dort die Durchführung einer freien Volksabstimmung über die Zukunft dieses umstrittenen Gebiets gewährleisten sollten. Am 21. Dezember 1920 richtete die französische Botschaft in Bern eine Note an den Bundesrat, in der sie um Gewährung des Durchzugsrechts für belgische, britische und spanische Truppen ersuchte. Der Bundesrat antwortete, dass er auf Grund der Londoner Erklärung des Völkerbundsrates vom 13. Februar 1920 unter keinen Umständen verpflichtet sei, Truppen im Rahmen von Aktionen des Völkerbundes den Durchzug zu gewähren. Allerdings könne auch nicht von einer Pflicht die Rede sein, einen solchen Durchzug zu verweigern. Im vorliegenden Falle müsse der Bundesrat jedoch von der Erteilung einer Erlaubnis absehen, da die Bedingungen für die Durchführung der geplanten Volksabstimmung in Wilna noch gar nicht abgeklärt seien. In Beantwortung einer Interpellation Brügger gab Bundesrat Motta im Ständerat über diesen Notenwechsel Auskunft und fügte bei, es sei unmöglich, für die Behandlung derartiger Gesuche generelle Regeln aufzustellen.

b. Im Jahre 1934 befasste sich der Völkerbund mit der Frage des Erlasses eines Waffenembargos gegen Bolivien und Paraguay, die miteinander im Kriege standen. Der Bundesrat erteilte seiner Delegation an der 15. Session der Völkerbundsversammlung folgende Weisung (BEI 1935 I 159): «Sollte nach Prüfung durch den Rat die Versammlung beschliessen, dass sie sich des Streitfalles annehmen will, so wird die Delegation allen Massnahmen beipflichten, die geeignet sind, die Achtung vor den Bestimmungen des Völkerbundsvertrages zu sichern und die Einstellung der Feindseligkeiten herbeizuführen.»

Die Versammlung beschloss ein allgemeines Waffenembargo, dem sich der Bundesrat mit folgenden Erwägungen anschloss (BEI 19351167): «Im Bestreben, sich der Solidaritätsverpflichtung nicht zu entziehen, die sich aus dem Völkerbundspakt und besonders aus Artikel 11 ergibt, und vom Wunsche geleitet, aktiv mitzuwirken, um eine der Quellen des Verderbnis bringenden und schon zu lange dauernden Krieges versiegen zu lassen, verbot der Bundesrat mit Beschluss vom 31, Mai (1934), gestützt auf Artikel 102 Absatz 8 der Bundesverfassung, den Export von Waffen und Munition nach Bolivien und Paraguay. Diese Massnahme ganz ausserordentlicher Natur drängte sich deshalb auf, weil ein Krieg zwischen Mitgliedstaaten des Völkerbundes in Frage stand und somit letzterer die gebieterische Pflicht hatte, die Feindseligkeiten mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu unterbinden.» Als hierauf Bolivien sich den Vorschlägen des Völkerbundes fügte, hob dieser das Embargo gegenüber Bolivien auf, was den Bundesrat veranlasste, am 15. März 1935 einen entsprechenden Beschluss zu fassen, ohne gleichzeitig das Verbot auch gegenüber Paraguay aufzuheben (BB11935 1440).

1605 c. Nach dem Einmarsch Italiens in Abessinien beschlossen im Oktober 1935 ungefähr 50 Mitgliedstaaten des Völkerbundes die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegenüber Italien. Dies geschah im Rahmen eines besonderen, durch die Generalversammlung eingesetzten Koordinationsausschusses, Die Sanktionen bestanden zur Hauptsache in der Verhängung eines Waffenembargos, einer Teilblockade und im Abbruch der Finanztransaktionen1). Nachdem die Schweiz sich der Ansicht des Völkerbundsrates, Italien sei als Angreiferstaat zu betrachten, angeschlossen und damit das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 16 des Völkerbundspaktes anerkannt hatte, erklärte Bundesrat Motta am 9. Oktober 1935: «Die Schweizerische Eidgenossenschaft wird sich ihrer Pflicht zur Solidarität mit den ändern Mitgliedern des Völkerbundes nicht entziehen» (BB11935 H 928 f.). Bei der Durchführung der beschlossenen Massnahmen behielt sich die Schweiz jedoch ein differenziertes Vorgehen vor, wobei sie ihre Haltung in einem Brief des Bundesrates an den Generalsekretär des Völkerbundes vom 28. Oktober 1935 erläuterte (BB1 1935 II 956 f.)- Die Schweiz stellte sich auf den Standpunkt, dass sie sich als Nachbar Italiens in einer besonders schwierigen Lage befinde und dass durch die Anerkennung des Grundsatzes ihrer Neutralität durch den Völkerbund auch ihre Pflicht zur Durchführung wirtschaftlicher Sanktionen nicht mehr absolut, sondern durch die Neutralität begrenzt sei.

Dies veranlasste den Bundesrat zu folgenden Beschlüssen bezüglich der Sanktionsmassnahmen2) : i. Das einseitige Ausfuhrverbot für Rohstoffe wurde gegen Italien in der vom Völkerbund vorgeschlagenen Weise verhängt.

ü. Das gegenüber Italien vorgesehene Waffenembargo glaubte der Bundesrat auf Grund der Artikel 7 und 9 des Haager Abkommens über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Landkrieg auch auf Abessinien ausdehnen zu müssen.

iii. Hinsichtlich des Verbots finanzieller Transaktionen machte der Bundesrat einen Vorbehalt mit Bezug auf die Beziehungen zwischen schweizerischen Finnen und ihren Filialen in Italien.

iv. Den Boykott italienischer Waren erklärte sich der Bundesrat angesichts des Nachbarschaftsverhältnisses mit Italien, ausserstande durchzuführen. Er beschränkte lediglich den Warenaustausch auf den Stand des Jahres 1934 und beschloss, die Überweisung einer allfäUigen Devisenspitze zugunsten Italiens nicht vorzunehmen.

Diese differenzierte Sanktionspolitik der Schweiz beruhte auf zwei verschiedenartigen Erwägungen. Die engen Wirtschaftsbeziehungen zu Italien hätten bei ihrem totalen Unterbruch für die Schweiz grössere Härten gebracht als für das Land, das bestraft werden sollte. Auch ein Unterbruch der Finanzbeziehungen zu den Filialen schweizerischer Unternehmen hätte in erster Linie die Schweiz und nicht Italien geschädigt. Was dagegen das zweiseitige Waffenembargo betrifft, das im Völkerbund auf heftige Kritik stiess, so berief sich die Schweiz ausschliesshch auf neutralitätsrechtliche Erwägungen. Sie betrachtete Waffenlieferungen als militärische Hilfe und nicht als wirtschaftliche Massnahme und vertrat daher die Ansicht, dass sie auf Grund der Erklärung des *> Vgl. Journal officiel S. d. N. 1935, Suppl. spéc. N» 150.

v Vgl. AS Bd. 51,1935 S. 693,717, 720 (BB vom 28. Oktober 1935).

1606 Völkerbundsrates vom 13. Februar 1920 nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, sich in dieser Hinsicht strikte an das geltende Neutralitätsrecht zu halten. Damit setzte sie sich allerdings in Widerspruch mit der wenige Monate zuvor eingenommenen Haltung im Chaco-Konflikt, als sie das Waffenembargo gegenüber Bolivien aufhob, jedoch gegenüber Paraguay, das sich den Vorschlägen des Völkerbundes nicht gefügt hatte, weiterhin bestehen liessa>.

D VgLobenb.

1607 Anhang VI Erfahrungen und Massnahmen Österreichs und Schwedens hinsichtlich Beteiligung an Friedenserhaltungs-Operationen a. Von sehen Österreichs haben im Rahmen der UNO-Opération im Kongo (ONUC) von 1960-1963 total 166 Personen (Angehörige der Année, aber auch Zivilisten, darunter zwei Frauen) mitgewirkt1}. Die Gruppe bestand aus Freiwilligen und war aus Ärzten, Krankenpflegern und -pflegerinnen, Übermittlungsfachleuten, Ernährungsspezialisten usw. zusammengesetzt.

Nachdem die Aufgabe zuerst in der Pflege von verwundeten UNO-Soldaten bestanden hatte, wurde später mehr sanitärische Entwicklungshilfe zugunsten der Zivilbevölkerung betrieben (neben Epidemiebekämpfung auch Kontrolle von Nahrungsmitteln und Wasser).

Beim erneuten Ausbruch der Kämpfe zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir stellte Österreich auf Ersuchen des Generalsekretärs zehn Offiziere zur Überwachung des Waffenstillstands zur Verfügung ; sie kamen jedoch nicht zum Einsatz. Im Rahmen der UNFICYP ist auf Zypern seit 1964 ein österreichisches Feldspital, samt Ambulanzflugzeug und Ambulanzfahrzeug, mit 54 Mann im Einsatz. Bis Ende April 1968 hatten 484 Freiwillige, alles Angehörige der Armee oder der Reserve, auf Zypern Dienst geleistet. Das Polizeikontingent setzt sich ebenfalls aus Freiwilligen zusammen und übt Polizeifunktionen aus. Von 1964 bis Ende März 1968 dienten 227 österreichische Polizisten auf Zypern. Seit November 1967 sind bei der UNTSO im Mittleren Osten acht österreichische Offiziere als Beobachter tätig, sowie seit Ende Februar 1968 ein Sanitäts-Unteroffizier. Österreich hat ein Bereitschaftskontingent aus Freiwilligen des Bundesheeres und der Reserve gebildet, das 628 Mann umfasst. Während zu Beginn infolge Fehlens einer gesetzlichen Basis die Entsendung der Freiwilligen auf Einzelverträgen beruhte, hat inzwischen die österreichische Verwaltung ein Verfassungsgesetz vom 30. Juni 1965 ausgearbeitet über «die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen»2). Ferner wurde ein Bundesgesetz ausgearbeitet, das die Ausführungsbestimmungen enthält3*. Diese Gesetze erlauben der österreichischen Regierung, mit Zustimmung der Hauptkommission des Nationalrats und unter Berücksichtigung der permanenten Neutralität Österreichs, Freiwillige ins Ausland zu
senden, die entweder Angehörige der Armee oder der Sicherheitskräfte sind oder Personen, die sich vertraglich für eine bestimmte Zeit verpflichten.

Im Gegensatz zu den Freiwilligen in den skandinavischen Ländern beziehen die österreichischen Freiwilligen keinen speziellen Sold für die Zeit, da sie nicht zum Einsatz kommen.

*> Dokument der Generalversammlung A/AC. 121/9.

« Bundesgesetzblatt Nr. 173/1965.

*) Bundesgesetzblatt Nr. 233/1965.

1608 b. Was den Einsatz schwedischer Bereitschaftstruppen1' betrifft, so hält Schweden im Rahmen einer 6400 Mann umfassenden Bereitschaftstruppe der skandinavischen Staaten ein Kontingent von 1600 Mann bereit. Die Rekrutierung erfolgt auf freiwilliger Basis. Die Kandidaten müssen die Rekrutenschule bestanden haben. Bei Antritt des Dienstes in den Bereitschaftstruppen erhält jeder Mann eine Prämie von 430 Franken. Gemäss Gesetz kann ein Arbeitgeber einen Angestellten nicht wegen seines Beitritts zur Bereitschaftstruppe entlassen. Die normale Dienstdauer beträgt sechs Monate. Als erstes gilt es, innerhalb der aus Freiwilligen gebildeten Truppe ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen. Ferner müssen in intensivem Unterricht ausreichende Englischkenntnisse vermittelt werden. Die Truppe untersteht dem schwedischen Strafrecht. Es mussten bisher wenig schwere Vergehen geahndet werden. Bis heute haben 32 Schweden in Friedenserhaltungs-Aktionen das Leben verloren. Die schwedische Öffentlichkeit wird laufend über die Aufgaben und Erfolge der Bereitschaftstruppen orientiert. Der Militärdienst im Ausland ist sehr begehrt und wird in den Schulen und Kursen der Armee als Ansporn zu gesteigerter Leistung in Aussicht gestellt.

Im April 1967 waren 1212 der insgesamt 1600 Mann im Einsatz: auf Zypern (UNFICYP) 657 Mann im Mittleren Osten (UNEF und UNTSO) 550 Mann in Kaschmir (UNMOGIP) 5 Mann

D Oberst N. Stenqvist : «The Swedish UN Stand-by Force and Expérience», Int. Information Center on Peacekeeping Opérations, Paris 1967.

1609 Anhang VU Übersicht über das Verhältnis der Schweiz zu den wichtigsten Übereinkünften der Vereinten Nationen (Stand I.Januar 1969)*)

Titel des Übereinkommens

a. Von der Uno ausgearbeitete, aber ausserhalb derselben abgeschlossene Obereinkünfte Abkommen vom 5. August 1963 über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Luft, im Weltraum und unter Wasser (AS 1964 193) Vertrag vom 27. Januar 1967 über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraumes, einschliesslich des Mondes und anderer Himmelskörper Übereinkommen vom 22. April 1968 über die Rettung von Raumfahrern, die Rückführung von Raumfahrern und die Rückgabe von in den Weltraum gestarteten Gegenständen Vertrag vom 12.Juni 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen

Anzahl Datum der RatifikationTM Unterzeichnung Ratifikation bzw. Annahmen durch bzw. Annahme bis zum 1.1.1969 die Schweiz durch die Schweiz

99

26. 8.1963 24.12.1963

45

27./30.1.1969

10

22. 4.1968

4

4

b. Grundlegende Texte der Vereinten Nationen Fakultativklausel des Statuts des Internationalen Gerichtshofes über die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten (AS 19481045)

43

c. Friedliche Beilegung internationaler Streitigkeiten Revidierte Fassung der Generalakte vom 26. September 1928 zur friedlichen Beilegung völkerrechtlicher Streitigkeiten vom 28. April 1949

6

28. 7.1948

28. 7.1948

w In dieser Übersicht werden nur Verträge berücksichtigt, die entweder von der Generalversammlung der Vereinten Nationen oder einer besonderen zu diesem Zwecke einberufenen, weltweiten Konferenz ausgearbeitet wurden. Angesichts ihrer Bedeutung werden ebenfalls die vier bereits erwähnten, ausserhalb der Vereinten Nationen abgeschlossenen, jedoch zuvor von deren Generalversammlung genehmigten Übereinkünfte berücksichtigt. Nicht aufgeführt werden dagegen Verträge, die im Rahmen von SpezialOrganisationen oder regionalen Nebenorganen wie der Europäischen Wirtschaftskommission ausgearbeitet wurden. Soweit als möglich wird die in den periodischen Übersichten der Vereinten Nationen verwendete Systematik gewahrt.

BuudesblatL 121. Jahrg. Bd. I

99

1610

Titel des Übereinkommens

Anzahl Datum der Ratifikationen Unterzeichnung Ratifikation bzw. Annahmen durch bzw. Annahme bis zum 1.1.1969 die Schweiz durch die Schweiz

d. Vorrechte und Befreiungen internationaler Organisationen, diplomatische und konsularische Beziehungen Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Befreiungen der Vereinten Nationen

96

Übereinkommen vom 21. November 1947 über die Vorrechte und Befreiungen der SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen

66

Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (AS 1964 433) Fakultativprotokoll über den Erwerb der Staatszugehörigkeit

82

18. 4.1961 30.10.1963

25

Fakultativprotokoll über die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten (AS 1964 451)

33

18.4.1961 22.11.1963

Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (AS 1968 887)

33

23.10.1963

Fakultativprotokoll über den Erwerb der Staatsangehörigkeit

11

Fakultativprotokoll über die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten (AS 1968 9)8)

11

e. Menschenrechte Übereinkommen vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes (Genozid) Internationales Übereinkommen vom 7.

März 1966 über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung Internationaler Pakt vom 19, Dezember 1966 über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte Internationaler Pakt vom 19. Dezember 1966 über die bürgerlichen und politischen Rechte Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte

73 27 -- -- --

23,10.1963

3. 5.1965

3.5.1965

1611

Tilcl des Übereinkommens

Anzahl Datum der Ranfikationm Unterzeichnung Ratifikation bzw. Annahmen durch bzw. Annahme bis zum 1.1.1969 die Schweiz durch die Schweiz

/. Flüchtlinge und Staatenlose Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (AS 7955 441) Abkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen Abkommen vom 30. August 1961 über die die Verminderung von Fällen der Staatenlosigkeit Zusatzprotokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (AS 7P5S1189)

54

28. 7.1951 21. 1.1955

20

28. 9.1954

l 28

20. 5.1968

g, Betäubungsmittel Ergänzungsprotokoll vom l I.Dezember 1946 zu den Übereinkommen und Protokollen über die Betäubungsmittel vorn 23. Januar 1912,11. und 19.Februar 1925, 13. Juli und 27. November 1931 und 26. Juni 1936 (BS12 534)

58

25. 9.1947

Vereinbarung vom 11. Februar 1925 über die Unterdrückung der Herstellung, des Binnenhandels und des Verbrauchs von aufbereitetem Opium, geändert durch das Ergänzungsprotokoll vom 11. Dezember 1946

9

Internationales Abkommen vom 19. Februar 1925 über die Betäubungsmittel, geändert durch das Ergänzungsprotokoll vom l I.Dezember 1946

75

Abkommen vom 13. Juli 1931 zur Beschränkung der Herstellung und zur Regelung der Verteilung der Betäubungsmittel, geändert durch das Ergänzungsprotokoll vom 11. Dezember 1946

85

Abkommen vom 27. November 1931 zur Unterdrückung des gewohnheitsmässigen Opiumrauchens, geändert durch das Ergänzungsprotokoll vom 11. Dezember 1946

9

Abkommen vom 23. Juni 1936 zur Unterdruckung des unerlaubten Verkehrs mit Betäubungsmitteln, geändert durch das Ergänzungsprotokoll vom 11. Dezember 1946 (AS 1953185)

32

25. 9.1947

25. 9.1947

31.12.1952

1612

Titel des Übereinkommens

Protokoll vom 19. November 1948 über die internationale Kontrolle gewisser Stoffe, die vom Abkommen vom 13. Juli 1931 nicht erfasst werden (AS 1953 185) Protokoll vom 23. Juni 1953 zur Beschränkung des Mohnanbaus, der Erzeugung und Verwendung von Opium sowie des internationalen Handels und Grosshandels (AS 1963 1099) Einheitliches Abkommen vom 30. März 1961 über die Betäubungsmittel

Anzahl Datum der Ratifikationen Unterzeichnung Ratifikation bzw. Annahmen durch bzw. Annahme bis zum l. l. 1969 die Schweiz durch die Schweiz

80

19.11.1948

18. 3.1953

50

23. 6.1953 27.11.1956

66

20. 4.1961

h. Menschenhandel Protokoll vom 12. November 1947 zur Abänderung des Internationalen Übereinkommens vom 30. September 1921 zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels und des Internationalen Übereinkommens vom 11. Oktober 1933 über die Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen

38

Internationales Übereinkommen vom 30.

September 1921 zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels, geändert durch das Protokoll vom 12. November 1947

41

Internationales Übereinkommen vom 11.

Oktober 1933 über die Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen, geändert durch das Protokoll vom 1. November 1947

28

Protokoll vom 4. Mai 1949 zur Abänderung des Internationalen Übereinkommens vom ] 8. Mai 1904 betreffend Unterdrükkung des Mädchenhandels und des Internationalen Übereinkommens vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung des Mädchenhandels

29

23. 9.1949

50

23. 9.1949

48

23. 9.1949

Internationales Übereinkommen vom 18, Mai 1904 betreffend Unterdrückung des Mädchenhandels, geändert durch das Protokoll vom 4. Mai 1949 Internationales Übereinkommen vom 4.

Mai 19] 0 zur Bekämpfung des Mädchenhandels, geändert durch das Protokoll vom 4. Mai 1949

1613

Titel des Übereinkommens

Übereinkommen vom 21. März 1950 zur Unterdrückung des Menschenhandels und der Ausbeutung der Prostitution ..

Schlussprotokoll der Konferenz zum Übereinkommen zur Unterdrückung des Menschenhandels und der Ausbeutung der Prostitution ». Unzüchtige Veröffentlichungen Protokoll vom 12. November 1947 zur Abänderung des Internationalen Übereinkommens vom 12, September 1923 zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebes unzüchtiger Veröffentlichungen Internationales Übereinkommen vom 12.

September 1923 zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebes unzüchtiger Veröffentlichungen, revidiert durch das Protokoll vom 12. November 1947 Protokoll vom 4. Mai 1949 zur Abänderung des Übereinkommens vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen (AS 1950 248) Übereinkommen vom 4. Mai 1910 zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen, geändert durch das Protokoll vom 4. Mai 1949 k. Internationaler Handel und Entwicklung Übereinkommen vom 8. Juli 1965 über den Transithandel der Binnenländer /. Verkehr und Fernverbindungen Internationales Abkommen vom 7. November 1952 zur Erleichterung der Einfuhr von Handelsmustern und Werbematerial (AS 19551003) Abkommen vom 4. Juni 1954 über die Zollerleichterungen im. Reiseverkehr (AS 1958101) Zusatzprotokoll vom 4, Juni 1954 zum Abkommen über die Zollerleichterungen im Reiseverkehr, betreffend die Einfuhr von Werbeschriften und Werbematenal für den Fremdenverkehr (AS 1958 710) ....

Anzahl Datum der Ratifikationen Unterzeichnung Ratifikation bzw. Annahmen durch bzw. Annahme bis zum 1.1.1969 die Schweiz durch die Schweiz

39

29

32

48

31

23. 9.1949

47

23. 9.1949

17

10.12.1965

50

4. 12. 1954

61

4. 6.1954

23. 5.1956

56

4. 6.1954

23. 5.1956

1614

Titel des Übereinkommens

Anzahl Datura der Ratifikationen Unterzeichnung Ratifikation bzw. Annahmen durch bzw. Annahme biszum 1.1.1969 dleSchweiz durch die Schweiz

Zollabkommen vom 4. Juni 1954 über die vorübergehende Einfuhr privater Strassenfahrzeuge (AS 1958 719)

58

Übereinkommen vom 19. September 1949 über den Strassenverkehr

79

19. 9.1949

Protokoll bezüglich der gegenwärtig besetzten Länder und Gebiete

19

19. 9.1949

Protokoll über die Strassensignalisation...

35

19. 9.1949

m. Wirtschaftsstatistiken Protokoll vom 9. Dezember 1948 zur Abänderung des Internationalen Übereinkommens vom 14. Dezember 1928 betreffend die Wirtschaftsstatistiken

18

9.12.1948

Übereinkommen vom 14. Dezember 1928 betreffend die Wirtschaftsstatistiken, geändert durch das Protokoll vom 9. Dezember 1948

23

n. Todeserklärung verschollener Personen Übereinkommen vom 6. April 1950 über die Todeserklärung verschollener Personen .

Protokoll vom 16. Januar 1957 zur Verlängerung der Gültigkeit des Übereinkommensvomö. Aprill950 Protokoll vom 15. Januar 1967 zur weiteren Verlängerung der Gültigkeit des Übereinkommens vom 6, April 1950

7 7 6

o. Rechtsstellung der Frau Übereinkommen vom 31. März 1953 über die politischen Rechte der Frau

61

Übereinkommen vom 20. Februar 1957 über die Staatsangehörigkeit der verheirateten Frau

41

Übereinkommen vom 10. Dezember 1962 über die Zustimmung zur Heirat, das Minimalalter für die Heirat und die Registrierung der Heirat

19

p. Informationsfreiheit Übereinkommen vom 31. März 1953 über das internationale Recht zur Berichtigung

8

4. 6.1954 23. 5.1956

1615

Titel des Übereinkommens

Anzahl Datum der Ratifikationen Unterzeichnung Ratifikation bzw. Annahme durch bzw. Annahme bin zum 1.1,1969 die Schweiz durch dìo Schweiz

g. Sklaverei Protokoll vom 7. Dezember 1953 zur Abänderung des Sklaverei-Abkommens vom 25. September 1926 Sklaverei-Abkommen vom 25. September 1926, geändert durch das Protokoll vom 7. Dezember 1953 Zusatzübereinkommen vom 7. September 1956 über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken (AS 1965133)

38

7.12.1953

7.12.1953

64

7.12.1953

7.12.1953

73

28. 7.1964

r. Rohstoffe Internationales Kaffeeabkommen 1962, vom 28. September 1962 (AS 1965 557) .

Internationales Kaffeeabkommen 1968 (AS 19681521)

67

30.11.1962

17.12.1964

60

29. 3.1968

30. 9.1968

Ä Alimentenforderungen Übereinkommen vom 20. Juni 1956 über die Einziehung von Alimenten im Ausland

32

55

22.10.1958

18. 5.1966

42

24. 5.1958

18. 5.1966

26

22.10.1958

18. 5.1966

39

22.10.1958

18. 5.1966

/. Seerecht Übereinkommen über das Küstenmeer und die Anschlusszone vom 29, April 1958 (AS196691T) Übereinkommen über die Hohe See vom 29. April 1958 (AS 1966 986) Übereinkommen über die Fischerei und die Erhaltung der biologischen Reichtümer der Hohen See vom 29. April 1958 (AS 1966996) Übereinkommen über den Festlandsockel vom 29. April 1958 (AS 19661003) Fakultatives Unterzeichnungsprotokoll über die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten (AS 19661007) u. Schiedsgerichtsbarkeit in Handelssachen Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (sog. New Yorker Übereinkommen) (AS 1965 793)

8

34

24. 5.1958 18. 5.1966

29.12.1958

1. 6.1965

Beitrage der Sckweiz an die Spezialorganisationen and Organs der Vereinten Nationen l%l

Organisationen

OIT

Internationale Arbeitsorgani-

OMS

Weltgesundheits-

Organisation fur Ernalirung und Landwirtschaft, Rom . . .

UNESCO Organisation der UN fur Erziehuag, Wissenschaft und

1962

1

1963

1964

1965

1966

1967

1968

593051

622452

782153

891555

1000188

1092613

1206589

1338890

753 090

923 622

1 162799

1292255

1467047

1508193

1 801 765

1 945 586

509100

802580

787888

950000

985999

1186594

1188374

1340937

574894

634139

717145

717145

833818

834444

1074795

1 078 761

36618

42105

54466

67221

81942

106809

105391

142766

248331

237 569

264309

275 560

325 387

372465

333399

332358

9250

10867

10193

11287

11917

11999

11756

12645

77171

86794

94048

109 779

150724

214777

265192

281 376

86621

185701

252152

4000000

8000000

8000000

8000000

PAO

OMM OACI

Meteorologische Weltorganisation Genf Internationale Zivilluftfahrts-

IMCO

Intergouvernementale konsultative Organisation fiir See-

GATT

AUgemeines Zoll- und Han-

UNCTAD UN-Konferenzfur Handel und PNUD ONUDI AIEA

LTN-Entwicklungsprogramm, Organisation der UN fur industrielle Entwicklung, Wien . . .

Internationale Atomenergie-

Internationale Betaubungsmi ttelkontrolle, Genf C.I.J.

Internationaler Gerichtsaof, UIT

Internationaler

UNICEF

Kinderhilfswerk der UN, New York UN-Hochkommissar fur

UNHCR

Total

330000 282 324

261251

326 193

343003

351 380

329085

376218

416955

28535

28595

30145

36733

35810

35918

39204

36350

28710 42344

29951 43275

36195 47955

34273 49980

39456 71343

39803 70665

39271 78405

42633 128415

298 123

236350

287524

284000

333000

390000

432000

456000

1500000

Fenunelde-

UNRWA UN-Programm fiir PalastinaFluchtlinge Beiruth Beiträge an International Organisationen

9500000 10000000 10000000 11000000

1500000

1500000

1900000

1900000

1900000

3400000

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700000

800000

820000

700000

660000

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9191

Anhang VII

1617 Beiträge der Schweiz an die friedenserhaltenden Aktionen der UNO (am 1. Januar 1969) Franken

1. Korea

Kosten der Beteiligung der Schweiz an der neutralen Überwachungskommission in Korea (seit 1953) 13 691 000

2. Suez

Kosten des Lufttransportes von Truppen an den Konfliktsort (1956) l 600 000

3. Kongo

Transportkosten (Lebensmittel) Andere Leistungen (Experten, usw.) (1960) Spital von Kintambo (1960 bis März 1969)

4. Zypern

Beiträge an die friedenserhaltenden Aktionen der UNO in Zypern (UNFICYP 1964) 4 700 000

5. Nahost

Kosten des zur Überwachung des Waffenstillstands in Palästina bestimmten Flugzeugs (seit Ende 1967) 1150 000 37041000

l 800 000 4 100 000 10 000 000

6. Anleihe der UNO Unterzeichnung von 8200000 Franken der Anleihe der UNO durch die Schweiz, auf Grund von 6 Rückzahlungen bis heute vermindert auf 6 568 680

1618

INHALT Einleitung A. Das Mandat B. Übersicht über den Bericht

Seite

l 2 Erster Teil

I.Kapitel: Die politischen internationalen Organisationen

4

A. Die politischen Grundlagen der internationalen Organisation 1. Historischer Rückblick 2. Die internationalen Verwaltungsunionen 3. Der Einfluss des ersten Weltkrieges

4 4 5 6

B. Der Völkerbund 1. Entstehungsgeschichte 2. Ziele und Verhältnis zu den Mitgliedern 3. Grundtendenzen 4. Völkerbund und Kriegsverbot 5. Verweis auf Anhang III

6 6 7 7 8 9

C. Die Vereinten Nationen 1. Entstehungsgeschichte 2. Ziele und Aufgaben 3. Rechtspersönlichkeit und Handlungsfähigkeit auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten 4. Revision der Charta 5. Friedliche Beilegung von Streitigkeiten 6. Massnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens 7. Ausgestaltung der Zwangsmassnahmen auf Grund des VII. Kapitels der Charta und Pflicht der Mitglieder zur Befolgung der Anordnungen des Sicherheitsrates 8. Zusammenfassender Überblick über den Friedensschutz im Rahmen der Vereinten Nationen 9. Verweis auf AnhanglV

9 9 11 12 13 13 14 15 17 19

ILKapitel: Die Neutralität

19

A. Die Neutralität im allgemeinen l. Grundsätze des Neutralitätsrechts a. Neutralität als Haltimg im Kriege zwischen Drittstaaten *. Wichtigste Neutralitätspflichten c. Militärische Aspekte der Neutralität d. «Wirtschaftliche» Neutralität e. Frage der Möglichkeit der Neutralität im modernen Kriege

19 19 19 19 20 21 21

1619 Seite

2. Nichtkriegführung und Neutralismus a. Nichtkriegführung b. Neutralismus , 3. Ständige Neutralität a. Neutralisierung b. Vertraglich vereinbarte Neutralität 4. Neutralitätspolitik a. Grundsätzliches b. Vorbereitung der Neutralität im Frieden c. Fehlen einer Rechtspflicht im Rahmen der Neutralitätspolitik d. Humanitäre Massnahmen

22 22 23 23 23 23 24 24 24 25 25

B. Die Neutralität der Schweiz 1. Begründung und Anerkennung des schweizerischen Neutralitätsstatuts...

a. Die Wiener und Pariser Akte von 1815; Staaten, welche die Neutralität der Schweiz anerkennen b. Art. 435 des Versailler Vertrages c. Zusammenfassung 2. Der Beitritt der Schweiz zum Völkerbund und das schweizerische Ncutralitätsstatut a. Schweizerischer Völkerbundsentwurf b. Die Erklärung des Völkerbundsrates vom 13.Februar 1920 und ihre Vorgeschichte 3. Die schweizerische Neutralität und das Sanktionsrecht des Völkerbundes .

a. Allgemeine Haltung der Schweiz b. Bemühungen zur Einschränkung der Sanktionsbestimmungen des Paktes und ihrer Anwendung c. Verweis auf Anhang V d. Sonstige neutralitätspolitische Stellungnahmen im Rahmen des Völkerbundes 4. Die Befreiung der Schweiz von den Sanktionspflichten des Völkerbundes a. Erklärung des Völkerbundrates vom 14. Mai 1938 b. Erklärung des sowjetrussischen Delegierten c. Neue Instruktionen des Bundesrates an die schweizerische Delegation .

5. Die Neutralitätspolitik der Schweiz seit 1945 a. Grundsätzliche Stellungnahmen b. Beispiele der Auslegung der Neutralitätspflichten

25 25

C. Die ständige Neutralität anderer Staaten 1. Österreich a. Begründung der ständigen Neutralität Österreichs b. Verfassungsrechtliche Verankerung der Neutralität c. Notifizierung an die ausländischen Staaten d. Anerkennung der österreichischen Neutralität e. Beitritt Österreichs zu den Vereinten Nationen /. Politik Österreichs innerhalb der Vereinten Nationen g. Zusammenfassende Wertung der österreichischen Neutralitätspolitik..

2. Schweden a. Grundlage der schwedischen Neutralität b. Beitritt Schwedens zu den Vereinten Nationen c. Neutralitätspolitik Schwedens in den Vereinten Nationen

38 38 38 39 39 40 40 41 42 42 42 42 43

25 26 27 27 27 28 29 29 30 31 31 31 31 32 32 33 33 34

1620 Seite

3. Laos 43 a. Die Neutralisierung von Laos 43 b. Merkmale der laotischen Neutralität 44 c. Abweichungen von der Neutralität Österreichs, Schwedens und der Schweiz 44 III. Kapitel: Das bisherige Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen A. Das Verhältnis zur Organisation selbst 1. Abklärung der Beitrittsfrage a. Das Vorgehen des Bundesrates b. Bericht der Experten an die Konsultativkommission von 1945 c. Stellungnahmen im Rahmen der Kommission d. Verzicht auf ein Aufnahmegesuch im Jahre 1946 e. Spätere Stellungnahmen zur Beitrittsfrage 2. Der Sitz der Vereinten Nationen in Genf a. Abschluss der Provisorischen Vereinbarung vom 19. April 1946 b. Frage des Vorbehalts der schweizerischen Neutralität und Sicherheit...

c. Inhalt der Vereinbarung vom 19. April 1946 d. Rolle Genfs als Sitz internationaler Organisationen e. Genf als Konferenzort /. Arbeitsteilung zwischen New York und Genf g. Eigene Briefmarken h. Massnahmen des Bundes und des Kantons Genf i. Eröffnung einer Ständigen Vertretung in der Schweiz k. Soziologische Untersuchung /. Bundesbeiträge für Genf m. Konkurrenzierung Genfs 3. Die Vertretung der Schweiz bei den Vereinten Nationen a. Ad hoc-Missionen b. Der Schweizerische Beobachter in New York c. Der Schweizerische Beobachter in Genf 4. Schweizer im Dienste der Vereinten Nationen a. Schweizer im Dienste der Vereinten Nationen selbst b. Spezialmissionen für Schweizer

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B. Das Verhältnis der Schweiz zu bestimmten Massnahmen der Vereinten Nationen 1. Den Vereinten Nationen gewährte Erleichterungen und Hilfe a. Überfliegung der Schweiz und Landung auf schweizerischem Gebiet...

b. Beteiligung an der Anleihe der Vereinten Nationen von 1962 2. Direkte und indirekte Beteiligung an gewissen Friedensaktionen der Vereinten Nationen a. Grundsätzliches b. Die Suezaktion 1956/57 c. Die Operation in Kongo 1960/61 d. Untersuchungskommission in Vietnam 1963 e. Die Intervention der Vereinten Nationen auf Zypern / Die Mittelostkrise von 1967 3. Die Frage der Beteiligung der Schweiz an einer internationalen Friedenstruppe a. Fälle der Aufstellung einer Friedenstruppe b. Rechtlicher Status der Friedenstruppe c. Auswirkungen einer Beteiligung der Schweiz d. Problematik einer schweizerischen Beteiligung

61 61 61 62 63 63 63 65 67 67 68 69 69 70 71 72

1621 Seins

4. Die Schweiz und die Zwangsvollstreckung im Rahmen der Vereinten Nationen a. Tragweite von Art.2 Ziff.6 der Charta b. Massnahmen der Vereinten Nationen in der Rhodesien-Krise c. Haltung der Schweiz gegenüber den Massnahmen der Vereinten Nationen in der Rhodesien-Krise d. Rechtliche Merkmale der schweizerischen Haltung C. Das Verhältnis der Schweiz zu einzelnen Organen der Vereinten Nationen sowie zu ihren SpezialOrganisationen 1. Einleitung a. Haupt- und Nebenorgane der Vereinten Nationen b. Spezialorganisationen der Vereinten Nationen c. Grundsätzliche Haltung der Schweiz 2. Das Verhältnis zu Organen der Vereinten Nationen a. Der Beitritt der Schweiz zum Internationalen Gerichtshof b. Beteiligung der Schweiz an Nebenorganen der Generalversammlung...

c. Das Verhältnis zu Nebenorganen des Sicherheitsrates und des Wirtschafts- und Sozialrates 3. Das Verhältnis zu den SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen a. Nichtmitgliedschaft bei den Institutionen von Bretton Woods (Währungsfonds, Weltbank und ihre Nebenorgane) b. Mitarbeit und spätere Mitgliedschaft beim GATT c. Mitgliedschaft bei SpezialOrganisationen, die vor dem zweiten Weltkrieg entstanden sind d. Mitgliedschaft bei Spezialorganisationen, die gleichzeitig mit oder nach den Vereinten Nationen entstanden sind 4. Allgemeine Probleme, die sich aus der Beteiligung der Schweiz an Organen und Spezialorganisationen der Vereinten Nationen ergeben a. Frage der grundsätzlichen Möglichkeit einer Beteiligung b. Frage der Vereinbarkeit einer Beteiligung mit der Neutralität c. Probleme im Zusammenhang mit dem Sitz gewisser Organe und SpezialOrganisationen in der Schweiz d. Die Politik der Schweiz als Mitgliedstaat von Organen und SpezialOrganisationen der Vereinten Nationen D. Die Schweiz und das Vertragswerk der Vereinten Nationen

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Zweiter Teil Möglichkeiten und Bedingungen einer Mitgliedschaft der Schweiz bei den Vereinten Nationen 98 A. Einleitung

98

B. Das schweizerische Neutralitätsstatut und die UNO-Mitgliedschaft 99 1. Die Frage der Vereinbarkeit des Neutralitätsstatuts der Schweiz mit einer Mitgliedschaft 99 2. Das Neutralitätsstatut im Falle der Nichtmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen 102

1622 Seite

C. Das Verfahren bei einem allfälligen Beitritt zu den Vereinten Nationen 1. Die Verwirklichung der Neutralität im Rahmen der Vereinten Nationen ..

a. Beitritt unter formellem Neutralitätsvorbehalt b. Beitritt mit gleichzeitigem Abschluss eines Abkommens nach Art. 43 der Charta c. Beitritt ohne ausdrücklichen Neutralitätsvorbehalt d. Assoziation oder Konsultativstatus ?

2. Das landesrechtliche Vorgehen im Falle eines Beitritts

104 104 104 104 105 106 106

D. Die allgemeine Entwicklung der Vereinten Nationen seit 1945 108 1. Chartarevisionen 108 2. Kollektive Sicherheit und Massnahmen zur Friedenserhaltung 108 3. Von der Allianz der Siegerstaaten des zweiten Weltkrieges zur nahezu universalen Organisation 109 4. Einfluss des Kalten Krieges 111 5. Entkolonisierung und Probleme der Dritten Welt 111 6. Das ungelöste Problem der Zwergstaaten 113 7. Hinwendung zu einer multilateralen Weltpolitik 114 E. Die Schweiz als Mitglied und als Nichtmitglied - Interessenabwägung 115 1. Allgemeine Beurteilung der Vereinten Nationen 115 a. «Politische» und «technische» Vereinte Nationen 115 b. Heutige Situation der Vereinten Nationen 116 c. Interesse der Schweiz an einer positiven Weiterentwicklung der Vereinten Nationen 119 2. Neutralitätsrechtliche Probleme 120 3. Neutralitätspolitische Probleme 120 4. Die Stellung der Schweiz als Nichtmitglied 123 5. Mitwirkungsmöglichkeiten der Schweiz in den Vereinten Nationen 124 a. Auswirkungen der Mitgliedschaft auf die innerstaatliche Struktur der Schweiz 124 b. Politische Vorteile einer Mitgliedschaft 124 c. Besondere Wirkungsmöglichkeiten des neutralen Staates 125 d. Die schweizerische Mitgliedschaft bei den technischen Vereinten Nationen 125 e. Mitarbeit an der Weiterbildung des Völkerrechts 126 / Gefahr der Abwertung des jetzigen Beobachterstatus 127 6. Möglichkeiten der Leistung guter Dienste 127 7. Mitgliedschaft und Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK)... 130 8. Innenpolitische Aspekte 131 9. Finanzielle Beiträge der Schweiz an Organe, SpezialOrganisationen und Aktionen der Vereinten Nationen 133 F. Schlussfolgerungen

133

1623 VERZEICHNIS DER ANHÄNGE Seite

Anhang I

Abküizungsliste

138

Anhang U

Graphische Darstellung der Organisation der Vereinten Nationen, ihrer Organe und Spezialorganisationen 141

Anhang III Wichtigste Fälle der Anwendung der Art. 11,15 und 16 des Völkerbundspaktes 142 Anhang IV Wichtigste Interventionen der Vereinten Nationen bei internationalen Konflikten 146 Anhang V

Fälle, in denen die Schweiz vom Völkerbund ersucht wurde, sich an Sanktionsmassnahmen zu beteiligen 156

Anhang VI Erfahrungen und Massnahmen Österreichs und Schwedens hinsichtlich Beteiligung an Friedenserhaltungs-Operationen 159 Anhang VU Übersicht über das Verhältnis der Schweiz zu den wichtigsten Übereinkünften der Vereinten Nationen 161 Anhang VIII Finanzielle Beiträge der Schweiz an OrganeSpezialorganisationenen und Aktionen der Vereinten Nationen 169

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen (Vom 16. Juni 1969)

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18.07.1969

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