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10270 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im Straßenverkehr (Vom 14. Mai 1969)

Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, Wir beehren uns, Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf eines Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im Strassenverkehr zu unterbreiten.

I.

Durch Ordnungsbussen soll die Ahndung einer Anzahl von Widerhandlungen im Strassenverkehr vereinfacht werden, um Behörden und Beamte von nutzloser Arbeit zu entlasten und dem polizeilichen Einschreiten gegen Disziplinlosigkeiten mehr Wirksamkeit zu verleihen. Ordnungsverstösse auf der Strasse, namentlich Parksünden der Fahrzeugführer und Verkehrsregelverletzungen der Radfahrer und Fussgänger, können nicht toleriert, müssen aber, weil nur eine geringe Busse in Betracht kommt, auf einfachste Weise geahndet werden. Bei Bagatellwiderhandhmgen soll und kann auf die Feststellung der Personalien des Täters verzichtet werden, weil sie, z. B. bei Fussgängern und Radfahrern, die in der Regel kein Ausweispapier mittragen, mit unverhältnismässigen Umtrieben verbunden wäre und weil sich anderseits eine Registrierung der Strafe erübrigt.

Der Bundesrat hat schon in der Botschaft zum Strassenverkehrsgesetz (SVG) auf die Wünschbarkeit eines solchen Verfahrens hingewiesen (BB11955II 38). Realisierungsversuche in einzelnen Kantonen stiessen auf rechtliche Schwierigkeiten; Tarif bussen harmonieren nicht mit den Strafzumessungsgrundsätzen des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Art. 63, 48 Abs. 2 StGB), welche nach den geltenden Bundesgesetzen (Art. 333 StGB, Art, 102 SVG) bei der Ahndung von Verstössen gegen die eidgenössischen Verkehrsvorschriften zu beachten sind. Solche Tarif bussen können rechtlich einwandfrei nur durch Bundesgesetz eingeführt werden.

Auf Veranlassung des Stadtrates von Zürich ersuchte der Regierungsrat des Kantons Zürich 1961 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, eine

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bundesrechtliche Lösung in die Wege zu leiten. Das Departement liess die Frage durch eine von ihm eingesetzte Expertengruppe für Strafrechtsfragen des Strassenverkehrs klären. Ein Vorentwurf dieser Expertengruppe für ein Ordnungsbussengesetz wurde 1966 den Kantonen unterbreitet und im Lichte ihrer Vernehmlassungen bereinigt. Der beiliegende Entwurf hält sich im wesentlichen an die Vorschläge der Expertengruppe.

II.

Die Notwendigkeit eines vereinfachten Ordnungsbussenverfahrens für geringe, aber häufige Verstösse gegen Verkehrsvorschriften dürfte unbestritten sein.

Die Mehrheit der Kantone und verschiedene Städte haben in den letzten Jahren, ungeachtet der Frage des Vorhandenseins einer hiefür genügenden bundesrechtlichen Grundlage, durch Gesetz, Verordnung oder blosse Dienstanweisung die Polizeiorgane ermächtigt, von zahlungswilligen Verkehrssündern Ordnungsbussen nach einem Tarif zu erheben. Alle Kantone haben in ihren Vernehmlassungen die Wünschbarkeit dieser vereinfachten Bussenerhebung anerkannt; einige wenige hätten freilich eine kantonalrechtliche Regelung vorgezogen.

Alle Nachbarstaaten der Schweiz und weitere europäische Länder kennen, bei erheblichen Unterschieden in den Einzelheiten, die Erhebung von kleineren Bussen oder die Aussprechung sogenannter gebührenpflichtiger Verwarnungen durch die Verkehrspolizei. Das Ministerkomitee des Europarates hat in einer Resolution vom 20. September 1968 allen Mitgliedstaaten die Einführung eines vereinfachten Bussenverfahrens für leichte Verkehrswiderhandlungen empfohlen.

Die Vereinfachung des Verfahrens wird nicht aus theoretischen und prinzipiellen Erwägungen (Reobjektivierung oder Entkriminalisierung des Verkehrsstrafrechts) angestrebt, sondern allein aus praktischen Gründen und unter dem Zwang der Tatsachen. Wo immer die Ahndung der leichten Verstösse im Strassenverfcehr noch dem Richter obliegt, ist auch er wegen der grossen Zahl der Anzeigen aus Zeitgründen gezwungen, auf die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der Vorstrafen des Täters zu verzichten und die Busse nach äussern Tatmerkmalen routinemässig zu bemessen. Mit der Einführung von Ordnungsbussen wird die Konsequenz aus dieser Entwicklung gezogen. Nachdem sich die Entscheidung praktisch auf einen mechanischen Vorgang reduziert hat, darf sie, bei Einverständnis des
Täters, ohne Bedenken der Polizei übertragen werden, zumal dadurch die verbleibende Tätigkeit des Richters aufgewertet sowie Zeit, Arbeitskraft und Geld eingespart werden und ausserdem die Intervention der Verkehrspolizei durch die prompte Sanktion zusätzliche Wirkung erhält.

Wie die in- und auslän dischen Erfahrungen zeigen, sind keine nennenswerten Nachteile zu befürchten. Dass bei Bagatellwiderhandlungen die äusserlich gleichen Verstösse im ersten Fall und bei Wiederholung für arm und reich zur gleichen Busse führen, wird von den Betroffenen und vom Publikum nicht als Rechtsungleichheit empfunden, weil das zu ahndende Unrecht gering ist, die Schuld nach Art und Intensität wenig Unterschiede aufweist und die Busse im untersten

1092 Bereich liegen muss, so dass für irgendwelche Abstufungen auf jeden Fall nur wenig Raum bliebe. Die Vereinfachung des Verfahrens mag auch dem Betroffenen willkommen sein. Dies ist zwar nicht bezweckt, aber nicht nachteilig. Die Annehmlichkeit der einfachem Erledigung wird durch die Drohung einer stärkern polizeilichen Intervention in generalpräventiver Hinsicht mehr als aufgewogen.

III.

Ist ein Eingriff des Bundesgesetzgebers nötig und am Platze ? Wie schon oben ausgeführt, kann nur ein Bundesgesetz von der Anwendung der Strafzumessungsgründsätze des Strafgesetzbuches dispensieren, d. h. vorsehen, dass die Busse in Abweichung von den Artikeln 48 und 63 StGB nach einem Tatbestandskatalog ohne Berücksichtigung der Täterverhältnisse ausgesprochen wird. Der Weg eines Bundesgesetzes wird also nicht deswegen gewählt, weil sich sonst einige Kantone genötigt sähen, eine entsprechende Revision ihres kantonalen Prozessrechtes rasch und erfolgreich durchzufUhren; ein Bundesgesetz ist vielmehr eine rechtliche Notwendigkeit für die Einführung von Strassenverkehrs-Ordnungsbussen, Der Bundesgesetzgeber kann aber nicht einfach die Kantone ermächtigen, Schemabussen nach freiem Ermessen einzuführen, sondern er muss selber mindestens den Anwendungsbereich dieser Bussen umschreiben, d. h. den Täterkreis, die Tatbestände und die Bussenbeträge bestimmen, für welche die Ausnahme von den ordentlichen Strafzumessungsregeln zulässig ist. Im Interesse einer einheitlichen und wirksamen Durchführung des eidgenössischen Strassenverkehrsrechts kann es auch nicht ins Belieben der Kantone gestellt sein, ob sie ihr ordentliches oder das vereinfachte Ordnungsbussenverfahren zur Anwendung bringen wollen oder nicht. Es ist vielmehr angezeigt, dass dieselben leichten Widerhandlungen im ganzen Land auf gleiche Weise mit den gleichen Ordnungsbussen geahndet werden.

Damit ist es gegeben, dass das Bundesgesetz nicht nur das materielle Recht der Ordnungsbussen enthält, sondern auch die wenigen rein verfahrensrechtlichen Fragen der vereinfachten Ahndung der leichten Verkehrswiderhandlungen (z. B. Erfordernis der Quittung, Dauer der Bedenkfrist, vgl. Art. 5 und 6 des Entwurfes) selber regelt. Eine einheitliche gesamtschweizerische Ordnung erleichtert die Anwendung des Verfahrens. Sie verhindert, dass ein Täter, der ausserhalb des eigenen Kantons eine Ordnungsbusse auf der Stelle annimmt, über ihre Bedeutung oder über seine Verfahrensrechte im unklaren ist, Da Strassenverkehrs-Ordnungsbussen rechtsgenügsam nur durch Bundesgesetz eingeführt werden können, werden die Kantone nach dem Inkrafttreten des Gesetzes nur noch in seinem Rahmen Ordnungsbussen durch Polizisten verhängen lassen dürfen. Die übrigen Übertretungen
des eidgenössischen Verkehrsrecht!) können uicht duich die Polizei auf der Stelle, sondern nur durch den Richter oder gemäss Artikel 345 Ziffer l Absatz 2 StGB durch eine Verwaltungsbehörde erledigt werden, jedoch ohne weiteres auf dem Wege eines Strafmandates oder Straf befehls.

1093 IV.

Hat der Bund die verfassungsmässige Befugnis zum Erlass eines solchen Gesetzes ? Prof. Dr. H. Nef, Zürich, hat die Frage im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements sorgfältig geprüft und eindeutig bejaht.

Artikel 37blB der Bundesverfassung ermächtigt den Bund zu Vorschriften über Motorfahrzeuge und Fahrräder. Der Bund kann in diesem Sachbereich nicht nur das materielle Recht erlassen, sondern auch die für dessen Durchsetzung nötigen Strafbestimmungen aufstellen und auch das zu ihrer Anwendung dienende Verwaltungs- oder Polizeistrafverfahren regeln. Diese aus der Befugnis zum Erlass der materiellen Verwaltungsnormen abgeleiteten Kompetenzen werden von der staatsrechtlichen Literatur und Praxis seit je bejaht. Solche Strafverfahrensbestimnmngen kann der Bund nicht nur dann erlassen, wenn sie sich - wie etwa im Zollrecht - an die eigenen Organe richten, sondern auch wenn sie sich an die (im übertragenen Wirkungsbereich tätigen) kantonalen Organe wenden; denn der Bund könnte die Durchführung des Strassenverkehrsrechtes eigenen Organen übertragen (vgl. Botschaft betreffend den neuen Art. 57MB SVG, BB1 1966II336; vgl. auch Amtl, Bull. 1967 S, S. HO).

Die Befugnis des Bundes zum Erlass von Strafverfahrensrecht lässt sich auch ableiten aus Artikel 64Ms Absatz 2 der Bundesverfassung, wonach für die Organisation der Gerichte das gerichtliche Verfahren und die Rechtsprechung «wie bis anhin» die Kantone zuständig sind; denn dieses «wie bis anhin» bedeutet, dass der Bund befugt ist, Verfahrensvorschriften aufzustellen, soweit es für die Verwirklichung des Bundesrechts, namentlich für seine einheitliche Durchführung, in sämtlichen Kantonen erforderlich ist.

Artikel 64ble Absatz 2 BV steht demnach dem Erlass des gegenwärtigen Gesetzes nicht im Wege ; denn der in der Verfassung enthaltene Vorbehalt zugunsten des kantonalen Strafprozesses greift hier nicht ein ; er bezieht sich nur auf die Anwendung des eigentlichen Strafrechts, jedoch nicht auf die Durchführung von Straf bestimmungen, welche lediglich die Einhaltung eidgenössischer Verwaltungs- und Polizeivorschriften gewährleisten wollen.

Der Bund ist demnach zur Regelung des Verfahrens der Ordnungsbussen im Strassenverkehr befugt und verletzt damit den Kompetenzbereich der Kantone nicht.

V.

Die Ordnungsbussen dienen der Durchsetzung der zum Verwaltungsrecht zu zählenden Verkehrsvorschriften ; aber sie sind keine besondere verwaltungsrechtliche Rechtsfolge, sondern trotz ihrer Abhängigkeit von der Zustimmung des Täters eine echte Strafe. Abgesehen davon, dass Vorleben und persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt werden, gelten die Grundsätze des Strafrechts. Vor allem ist eine Schuld des Täters vorausgesetzt. Wenn ein Verkehrsteilnehmer z. B.

aus fehlender Ortskenntnis zwar irrig, aber offensichtlich schuldlos handelte, darf die Polizei höchstens mit einer Belehrung eingreifen. Im übrigen hat man es bei

1094 den in Betracht kommenden Tatbeständen durchwegs mit einem problemlosen Verschulden zu tun, das weitgehend im objektiven Sachverhalt zum Ausdruck kommt. Bei Parkzeitüberschreitungen, Nichtbenützen von Fussgängerstreifen u. dgl, erübrigt es sich in 99 von 100 Fällen, näher auf das Verschulden einzugehen. Die Ordnungsbussen im Strassenverkehr sind also echte Strafen, aber aus Rationalisierungsgründen auf bestimmte Beträge schematisiert. Solche Nivellierung der Strafe ist nur bei geringfügigen Widerhandlungen angängig.

Der beigefügte Gesetzesentwurf sieht zwei Arten von Ordnungsbussen vor, nämlich einerseits die «kleine» Busse bis zu 20 Franken, mit prinzipiell sofortiger Zahlung, ohne Feststellung der Personalien des Täters, und anderseits die «grosse» Ordnungsbusse im Betrag zwischen 20 und 100 Franken, mit einem Kurzrapport und einer Bedenkfrist von fünf Tagen. Die «kleine» Ordnungsbusse ist gedacht für Bagatellwiderhandlungen, namentlich Parksündcn der Motorfahrzeugführer, und für Verhaltensfehler von Radfahrern und Fussgängern, Die «grosse» Ordnungsbusse erscheint als nützlich für gewisse eindeutig definierbare und zweifelsfrei feststellbare Widerhandlungen von Motorfahrzeugführern.

Die Liste der Ordnungsbussen-Tatbestände kann nicht im Gesetz fixiert werden, sondern muss auf Grund der Erfahrungen den sich mit der Zeit ändernden Bedürfnissen des Strassenverkehrs angepasst werden können. Die Aufstellung der Liste ist daher dem Bundesrat zu übertragen. Die Liste kann für die «kleine» und für die « grosse » Ordnungsbusse nur leicht schematisierbare Tatbestände enthalten, keine schwierigen Sachverhalte mit Ermessenselementen, keine groben VerstÖsse, vor allem keine konkreten Gefährdungen und bei Motorfahrzeugführern keine erhöht abstrakten Gefährdungen.

Die «kleine» Ordnungsbusse bis 20 Franken kommt gegenüber Motorfahrzeugführern, ausser bei Parksünden, etwa für die Missachtung gewisser Fahrverbote und anderer Signale, für kleine Mängel an Fahrzeugen, Nichtmitführen der Ausweise u, dgl. in Betracht. Die «grosse» Ordnungsbusse von 20-100 Franken ist für die mit Radargeräten festgestellten und nicht bloss geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitungen und für leichtere Fälle von Höchstgewichtsüberschreitungen bestimmt.

Die «grosse» Ordnungsbusse kann für Täter ohne Wohnsitz in der Schweiz
allenfalls auch bei weitern Tatbeständen in Aussicht genommen werden, wenn das zu fordernde Bussendepositum 100 Franken nicht übersteigt und der Täter aus eigenem Antrieb eine sofortige definitive Erledigung vorzieht.

Bei der Aus wähl der in die Liste aufzunehmenden Tatbestände wird darauf zu achten sein, dass die Aufmerksamkeit und die Interventionen der Polizei nicht fehlgeleitet werden. Einerseits müssen echte Disziplinfehler vorliegen; es darf kein leerer Formalismus aufkommen, der den vernünftig handelnden Bürger nur schikanieren uud mehr schaden als, nützen würde. Anderseits ist zu verhindern, dass ernsthafte Verstösse gegen die Sicherheit des Verkehrs der Einfachheit halber durch eine Ordnungsbusse erledigt und der richterlichen Beurteilung entzogen werden.

1095 VI.

Die einzelnen Bestimmungen des beigefügten Entwurfes rufen folgenden Erläuterungen :

Art. 2 a. Widerbandlungen, die den Verkehr gefährden, einen Personen- oder auch nur einen Sachschaden bewirkten, können nicht durch eine Ordnungsbusse auf der Stelle erledigt werden, wohl aber ein mit einer solchen Tat nicht zusammenhängender, aber etwa gleichzeitig begangener Disziplinfehler. Hat ein Automobilist die Parkzeit überschritten und verursacht er beim Wegfahren an einem ändern Wagen einen Sachschaden, so kann die Parkzeitüberschreitung separat durch Ordnungsbusse geahndet werden. Der Ausschluss der Ordnungsbusse für Sachschäden bedeutet nicht, dass die Polizei für jeden ihr bekannt werdenden Sachschaden-Unfall einen Verzeigungsrapport gegen die beteiligten Fahrer erstatten müsstc. Entsprechend der bisherigen Praxis kann sie die Fahrer den Schaden regeln lassen und von einer Intervention absehen, wenn nicht klare Anhaltspunkte für eine grobe Widerhandlung wenigstens eines Beteiligten vorliegen.

b. Wie in verschiedenen ausländischen Gesetzen wird gefordert, dass die durch Ordnungsbusse zu erledigende Widerhandlung von einem zur Anwendung dieses Verfahrens ermächtigten Polizisten selber beobachtet und ihm nicht bloss von Dritten gemeldet worden ist. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass ein ermächtigter Polizist, der beispielsweise eine Parkzeitüberschreitung feststellt, den fehlbaren Fahrer durch einen unter den Scheibenwischer geklemmten Zettel auf den Polizeiposten beordert und dass ein anderer ermächtigter Polizist dort die Busse erhebt.

c. Für Kinder bis zu 14 Jahren fällt gemäss den Grundsätzen der Artikel 82-88 StGB eine Geldstrafe, also auch eine Ordnungsbusse, ausser Betracht. Verkehrsfehler der Kinder können dagegen durch Schularrest, Strafaufsätze u. dgl. geahndet werden, ohne dass dies in der gegenwärtigen Vorlage geregelt wird.

Die Jugendlichen im Alter von über 14 Jahren benötigen bei den Verkehrsordnungsbussen keine Sonderstellung, sondern können hier den Erwachsenen gleichgestellt werden. Die Expertengruppe hatte ursprünglich dem gesetzlichen Vertreter ein befristetes Einspracherecht gegen die von einem noch nicht achtzehnjährigen Jugendlichen bezahlte oder anerkannte Ordnungsbusse einräumen wollen, liess den Gedanken aber fallen, weil kein genügendes Bedürfnis für eine solche Komplikation des Verfahrens angenommen werden kann.

Art. 3 Bei der Aufstellung der Tatbestände- und Bussenliste wird der Bundesrat die Erfahrungen der Kantone und Städte und die bestehenden Ordnungsbedürfnisse

1096 berücksichtigen. Diese sind in den Städten anders als im Überlandverkehr. Sie können aber wegen der Verschiedenheit der Verkehrsgewohnheiten und der Mentalität der Strassenbenützer auch von Landesgegend zu Landesgegend oder von Stadt zu Stadt wechseln. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement sollte deshalb ermächtigt werden, einem Kanton oder einer Stadt zu gestatten, einzelne Tatbestände, die in der bundesrätlichen Liste enthalten sind, für die betreffende Gegend aber keine Bedeutung haben, zu streichen. Dabei wird das Departement aber darauf achten, dass trotz solchen Unterschieden, die sich vorwiegend aus praktischen Gründen aufdrängen, die Listen im Grundsätzlichen einheitlich sind.

Die Anwendungsrichtlinien (Abs. 2) sollen eine sinnvolle Handhabung der Ordnungsbussen gewährleisten. Man muss anerkennen, dass die Verkehrspflichten stark von der Situation abhängig sind. Ist z. B. eine Kurve nicht mit einer Doppellinie, sondern aus Kostengründen mit einer einfachen Sicherheitslinie markiert, so ist es etwas ganz anderes, ob diese Linie vor oder nach dem Scheitelpunkt der Kurve überfahren wird. Es besteht ein grosser Unterschied, ob ein Fussgänger bei dichtem Fahrverkehr oder bei völliger Verkehrsruhe ausserhalb eines Fussgängerstreifens über die Fahrbahn geht. Die in Gesetz und Verordnungen enthaltenen Verkehrsregeln und auch die vom Bundesrat zu erlassende Ordnungsbussenliste können, wenn sie einigermassen übersichtlich bleiben sollen, nicht näher auf die verschiedenen Situationen eingehen. Aber nach Gesetz dürfen die Unterschiede nicht vernachlässigt werden. Ob eine konkrete oder potentielle Gefährdung (Art. 90 Ziff. 2 SVG), ob eine abstrakte Gefährdung oder ein Disziplinverstoss (Art. 90 Ziff. l SVG) vorliegt oder eine bloss formale oder nominale Widerhandlung, die keiner Sanktion bedarf (vgl. Art. 100 Ziff. l Abs. 2 SVG), hängt nicht von der übertretenen Verkehrsregel, sondern von der Situation ab, in welcher die Übertretung geschieht. Die Anwendungsrichtlinien des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements sollen für die einzelnen Tatbestände des Bussenkatalogs klarstellen, unter welchen Umständen eine Vorzeigung zu erfolgen hat, wann eine Ordnungsbusse am Platz ist und in welchen Situationen eine blosse Verwarnung genügt oder im Sinne von Artikel 100 Ziffer l Absatz 2 SVG nicht nur von Strafe, sondern bereits von einer polizeilichen Intervention abzusehen ist.

Art. 4 Die Befugnis, Verkehrsverstösse durch Ordnungsbussen zu erledigen, ist für die Durchführung des Strassenverkehrsgesetzes so bedeutsam, dass sie jeder Verkehrspolizei, auch den städtischen Polizeikorps, von Gesetzes wegen zustehen muss. Die zuständigen Behörden werden für diese Aufgabe Beamte bestimmen, die dafür besonders instruiert sind. Um Zweifel und Diskussionen über die Bcamtenei genschaft des handelnden Polizisten von vorneherein auszuschalten, sollen auf der Strasse nur Beamte in Dienstuniform eine Ordnungsbusse auferlegen dürfen.

1097 Art. 5 Die Expertengruppe empfahl, zur Vereinfachung des Verfahrens bei der «kleinen» Ordnungsbusse keine Bedenkfrist vorzusehen. Wenn der Täter nicht sofort zahlen will, soll das ordentliche Verfahren stattfinden. Dies vereinfacht die Arbeit der Polizei; sie muss keine Fälle pendent halten und keine Kontrolle darüber führen. Indessen sollte - auch nach den Empfehlungen des Europarates - der Verkehrssünder, der den erforderlichen Geldbetrag gerade nicht auf sich trägt, nicht schlechter gestellt sein und wegen dieses Umstandes ein Strafmandat entgegennehmen müssen. Unser Entwurf sieht für diesen Fall die Möglichkeit vor, dass in sinngemässer Anwendung von Artikel 6 der Beamte einen Kurzrapport erstellt und der Täter die Busse noch innert fünf Tagen begleichen kann. Immerhin besteht auch noch die Möglichkeit, dass der Polizist durch einen Hinweis im Rapport den Richter veranlasst, gemäss Artikel 10 im ordentlichen Verfahren die Ordnungsbusse auszusprechen, die wegen «Mittellosigkeit» des Täters nicht an Ort und Stelle ausgesprochen werden konnte.

Art. 7 und 10 Abs. 2 Die vollen Vorteile des Ordnungsbussenverfahrens treten nur ein, wenn die Bussen mit der Bezahlung rechtskräftig werden. Nachher soll die Angelegenheit grundsätzlich weder von amtlicher Seite noch vom Betroffenen neu aufgegriffen werden können. Doch es lässt sich nicht absolut jede Überprüfung oder neue Diskussion der Sache ausschliessen. Es ist z. B. denkbar, dass ein Fussgänger sich durch die Widerhandlung eines Radfahrers, die von einem Polizisten durch eine Ordnungsbusse geahndet wurde, derart gefährdet fühlte, dass er selber gegen den Radfahrer eine Anzeige einreicht und Bestrafung wegen Verkehrsgefährdung, also wegen eines Tatbestandes beantragt, für den die Ordnungsbusse grundsätzlich ausgeschlossen ist. Auch wenn eine Ordnungsbusse entgegen Artikel l Absatz 3 Buchstabe c von einem Kind entrichtet wurde, muss eine Korrektur möglich sein. Nach Artikel 10 Absatz2 ist der Richter für solche Korrekturen zuständig.

Art. 9 Die Annahme der Ordnungsbusse ist für den Täter freiwillig; bei Nichtannahme oder Nichtbezahlung tritt das ordentliche Verfahren ein. Aber auch der Polizeibeamte muss die einfache Erledigung durch Ordnungsbusse verweigern und das ordentliche Verfahren einleiten können, wenn er aus seiner Erfahrung weiss, dass der Täter sich durch frühere Ordnungsbussen nicht beeindrucken liess. Zwar ist die « kleine » Ordnungsbusse «anonym» - aber es widerspricht dem Sinn der gegenwärtigen Vorlage nicht, wenn z. B. Parkwächter die Kontrollschildnummern fehlerhaft parkierter Wagen aufzeichnen und anhand solcher Notizen die Fahrer verzeigen, die sich wiederholter Parkverstösse schuldig machten.

1098 Art. 11 In den Ausführungsvorschriften des Bundesrates wird u, a. auch die Frage zu beantworten sein, wie vorzugehen ist, wenn sich ein Fahrer gleichzeitig mehrere Ordnungswidrigkeiten zuschulden kommen lässt, z. B. Nichtmitführen des Ausweises, grundloses Hupen und defekte Beleuchtung. Wenn zuviele solche Fehler zusammenkommen, wird eine Verzeigung unumgänglich sein.

Wir beehren uns, Ihnen die Annahme des beiliegenden Gesetzesentwurfes zu empfehlen, und versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 14. Mai 1969 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: L. von Moos Der Bundeskanzler: Huber

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(Entwurf)

Bundesgesetz über Ordnungsbussen im Strassenverkehr Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 37Ms der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 14. Mai 1969, beschliesst: Geltungsbereich Art. l Grundsatz 1 Bei Übertretung von Strassenverkehrsvorschriften des Bundes tritt nach diesem Gesetz an die Stelle der im ordentlichen Verfahren auszufällenden Strafe eine Ordnungsbusse im Betrag bis zu 100 Franken.

2 Vorleben und persönliche Verhältnisse des Täters werden nicht berücksichtigt.

Ait. 2 Ausnahmen Die Ordnungsbusse ist ausgeschlossen: a. für Widerhandlungen, durch die der Täter Personen gefährdet oder verletzt oder Sachschaden verursacht hat; b. für Widerbandlungen, die nicht von einem ermächtigten Polizeibeamten selber beobachtet wurden; c. für Widerhandlungen von Kindern.

Art. 3 Bussenliste 1 Der Bundesrat stellt die Liste der Übertretungen auf, die durch Ordnungsbussen zu ahnden sind, und bestimmt den Bussenbetrag.

2 Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement kann einen Kanton oder eine Stadt ermächtigen, je nach den örtlichen Verhältnissen einzelne Tatbestände der Liste auszuschliessen.

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Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement erlässt oder genehmigt Richtlinien für die Anwendung der Bussenliste.

Art. 4 Zuständige Beamte 1

Die Kantone und die von ihnen mit der Ausübung der Verkehrspolizei betrauten Städte bezeichnen die zur Erhebung von Ordnungsbussen ermächtigten Polizeibeamten.

2 Die Beamten sind zur Erhebung von Bussen auf der Strasse nur befugt, wenn sie die Dienstuniform tragen.

Art. 5 Bussen bis 20 Franken 1

Wenn eine Busse von höchstens 20 Franken vorgesehen ist und der Täter sie sofort bezahlt, so erhält er eine Quittung, die seinen Namen nicht nennt.

2

Kann der Täter den Betrag nicht sofort bezahlen, so ist sinngemäss nach Artikel 6 vorzugehen.

Art. 6 Bussen über 20 Franken 1

Ist eine Busse von mehr als 20 Franken vorgesehen, so erstellt der Beamte einen Rapport.

2

Der Täter kann die Busse sofort oder innert fünf Tagen bezahlen; andernfalls wird das ordentliche Verfahren durchgeführt.

Art. 7 Rechtskraft Mit der Bezahlung wird die Busse rechtskräftig, unter Vorbehalt von Artikel 10 Absatz 2.

Art. 8 Täter ohne schweizerischen Wohnsitz Wenn ein Täter, der nicht in der Schweiz Wohnsitz hat, die Busse nicht sofort bezahlt, so hat er den Betrag der Busse und der mutmasslichen Kosten zu hinterlegen oder eine andere angemessene Sicherheit zu leisten.

noi Art. 9 Ablehnung, Verzeigung 1 Bezahlt der Täter die Busse nicht, so werden das ordentliche Strafrecht und die kantonalen Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften für Übertretungen angewendet.

2 Der Beamte sieht von der Ordnungsbusse ab und verzeigt den Täter, wenn anzunehmen ist, dass dieser wegen mehrfacher Wiederholung der Widerhandlung einer strengern Strafe bedarf.

Art. 10 Ordnungsbusse und ordentliches Verfahren 1

Eine Ordnungsbusse kann auch im ordentlichen Strafverfahren ausgefällt werden.

2 Stellt der Richter auf Veranlassung eines von der Tat Betroffenen oder des Täters fest, dass Artikel 2 missachtet wurde, so hebt er die Ordnungsbusse auf und bestimmt gegebenenfalls die Strafe unter Berücksichtigung des bereits bezahlten Betrages,

Art. 11 Ausführung des Gesetzes Der Bundesrat regelt die Einzelheiten und bestimmt oder genehmigt die Formulare.

Art. 12 Inkrafttreten Der Bundesrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes.

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06.06.1969

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