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Bundesblatt

87. Jahrgang.

Bern, den 6. November 1935.

Band TL.

Erscheint wöchentlich. Preis HO Frankem im Jahr, IO franken im Sattjahr, zuzüglich Nachnahme- and PostbesteHnngsgebllhr.

JUmrMcRangsgeiahr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stdmpfli £ Cie. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Eevision des Verfahrens bei Initiativ- und Referendumsbegehren.

(Vom 5. November 1935.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

I. Seit einiger Zeit ist eine wahre Überproduktion an Volksbegehren festzustellen. Wahrend in einem Zeiträume von mehr als 30 Jahren, d. h. von 1891--1933 insgesamt 28 Volksbegehren eingereicht worden sind, hat die Bundeskanzlei seit Anfang 1934 deren 9 erhalten und erwartet noch ein weiteres vor Ende des laufenden Jahres (Neuordnung der Wirtschaft). Dieser Überfluss ist der Entwicklung des Burgersinnes kaum förderlich. Die Ausübung des Initiativrechtes verliert an Ansehen und Bedeutung, sobald sie sich zu sehr wiederholt; denn dadurch, dass der Bürger gezwungen wird, allzuoft an die Urne zu gehen, wird er des Eechtes eher überdrüssig, als dass sein Interesse für die öffentlichen Dinge wach bleibt. So kann also die Ausübung eines spezifischen Volksrechtes durch Übertreibung gerade den Interessen schädlich sein, denen diese Einrichtung zu dienen hat.

Auf diese Gefahr war schon im Jahre 1923 durch die Herren Brügger und Maillefer aufmerksam gemacht worden, die damals, der erstgenannte im Ständerate, der andere im Nationalrate, Motionen zu deren Bekämpfung einreichten. Obgleich der Vertreter des Bundesrates sich bereit erklärt hatte, sie zur Prüfung entgegenzunehmen, wurden sie aber beide vom Parlamente abgelehnt.

Die Verwerfung der Motion Brügger lässt sich dadurch erklären, dass ihr Urheber, obwohl er beteuerte, dem Grundsatze des Initiativrechtes selber in keiner Weise nahetreten zu wollen, eine Eeihe von Massnahmen aufzählte, deren Anwendung eine Einschränkung dieses Prinzipes befürchten liess. Die Mehrheit wollte einen derartigen Vorwurf nicht auf sich laden. Der Sprecher des Bundesrates hatte ebenfalls unterstrichen, dass er Wert darauf lege, das Recht in keiner Weise schmälern zu lassen, welches die Verfassungsrevision von 1891 dem Volke eingeräumt hatte: Bundesblatt, 87. Jahrg. Bd. II.

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«Das Initiativrecht», sagte er, «ist unantastbar; es kann keine Eede davon sein, sich auch nur scheinbar einer reaktionären Bewegung hinzugeben. Tiefgreifende Umänderungen des Initiativrechtes sind nicht zu empfehlen, weil jede einschneidende Umwandlung die Substanz des Kechtes selbst angreifen würde. Verbesserungen sind möglich, Vervollkommnungen können verwirklicht werden. Der Bundesrat ist bereit, sie zu prüfen.» Der heutige Bundesrat muss diese Auffassung in allen Teilen bestätigen.

In der Tat gehört nach der schweizerischen staatsrechtlichen Auffassung die Souveränität im Staate dem Volke. Indem sich dieses das Initiativrecht auf dem Gebiete der Verfassung zugesprochen hat, tat es nichts anderes als eine Befugnis wiederum für sich zu beanspruchen, die es, gestützt auf sein Souveränitätsrecht, aus den Händen gegeben hatte. Man wird daher der Ausübung dieser Befugnis keinerlei Einschränkungen auferlegen können, die ihr Wesen berühren, ohne gleichzeitig das Souveränitätsrecht selbst zu treffen.

Diese Erwägung war für die Verwerfung der Motion Maillefer ebenfalls von gewissem Einflüsse. Dazu kam aber noch eine andere, die sich aus der besondern Natur dieses Antrages ergab. Während nämlich Herr Brügger hauptsächlich neue Anwendungsmodalitäten ins Auge fasste, verlangte Herr Maillefer eine Eevision der Bundesverfassung selbst, insbesondere in der Eichtnng einer Erhöhung der Zahl der erforderlichen Unterschriften für das Zustandekommen eines Volksbegehrens. Der waadtländische Volksvertreter wies nach, dass man bei der Beibehaltung der Zahl 50,000 wie anno 1899 -- und für die Totalrevision der Bundesverfassung wie 1848 -- die Ausübung des Initiativrechtes weitgehend erleichtere. Im Jahre 1891 entsprach diese Zahl in der Tat 7,8 % der Stimmberechtigten, 11,4 % anno 1848 und nur 5 % im Jahre 1923 (heute ist das Verhältnis sogar nur noch 4,3 %). Die Vernunft fordere also, sagte er, dass das Verhältnis wieder ungefähr auf den Stand zurückgeführt werde, von dem der Gesetzgeber des Jahres 1891 ausgegangen war. Die Mehrheit des Nationalrates weigerte sich jedoch, auf diese Gedankengänge einzugehen; sie befürchtete nicht mit Unrecht, dass ein derartiger Antrag, den das Volk als einen Versuch der Einschränkung seiner Eechte betrachten würde, nur wenig Aussicht auf Annahme hätte. Man konnte sich auch fragen,
ob die vorgeschlagene Eeform, die den Weg zum Volksbegehren nur noch grösseren, gut organisierten und über umfassende Mittel verfügenden Körperschaften offen liesse, die Unzuträglichkeiten der bestehenden Ordnung wirklich beseitigen würde.

Allerdings hat der Ständerat seither zwei Postulate angenommen, die das Studium des gleichen Problems verlangten: nämlich das Postulat de Meuron vom 14. März 1928 und dasjenige des Herrn Malche vom 12. Juni 1935.

Die obigen Erwägungen verhindern uns aber, Ihnen gegenwärtig eine Abänderung des Art. 121 der, Bundesverfassung, welcher das Initiativrecht regelt, zu beantragen, und ebensowenig eine Änderung des Art. 89, der sich auf das [Referendum bezieht und wovon in den beiden Beschlüssen des Ständerates -ebenfalls die Eede ist. Eine Partialrevision der Bundesverfassung, die sich ausschliesslich auf die Ausübung der Volksrechte bezöge, würde ganz gewiss

491 niissdeutet und beim Volk keine Gnade finden. Insbesondere wäre sie nicht geeignet, die Missstände zu beseitigen, die gegenwärtig bei den Unterschriftensammlungen vorkommen und auf die schon Herr Brügger im Ständerate aufmerksam gemacht hatte. Wir haben daher nach einem Mittel gesucht, das ohne Verfassungsänderung das ATolk vor einer bedauerlichen Überfülle von Initiativbegehren verschont und gleichzeitig diesen Missständen abhilft.

Sollte entgegen unserer Erwartimg dieses Mittel unwirksam sein, so wäre es immer noch früh genug, andere Vorkehren in Aussicht zu nehmen.

II. Das dem Volke durch Art. 121 der Bundesverfassung gewährte und durch das Gesetz von 1892 geregelte Initiativrecht geht äusserst weit. Erstens ist es unbegrenzt in dem Sinne, dass es gestattet, über irgendeinen Gegenstand einen vollständig ausgearbeiteten, d. h. unabänderlichen Entwurf aufzustellen.

In Wirklichkeit ist dies die einzige Form des Volksbegehrens, von der bis anbin Gebrauch gemacht wurde. Die Bundesversammlung ist also gehalten, den Entwurf tale quale dem Volke zum Entscheide zu unterbreiten, mit der einzigen Möglichkeit der gleichzeitigen Vorlage eines Gegenentwurfes, was die Anwendung eines komplizierten Verfahrens nötig macht, falls die Initianten an ihrem Wortlaute festhalten. Übrigens rechtfertigt sich ein Gegenentwurf nur, wenn die Bundesversammlung mit der vorgeschlagenen Eevision grundsätzlich einverstanden ist und nur bezüglich der Modalitäten eine Meinungsverschiedenheit besteht; ausserdem ist das Verfahren von einer solchen Starrheit, dass es dem Stimmberechtigten nicht immer möglich ist, seinen wahren Willen auszudrücken, was den Nationalrat im Jahre 1919 veranlasste, einer Motion Grünenfelder zuzustimmen, die den Bundesrat einlud, eine Gesamtrevision des Systems vorzuschlagen. Auch hat die Bundesversammlung nur in sehr seltenen Fallen von ihrem Eechte Gebrauch gemacht, einen Gegenentwurf vorzulegen. Jedenfalls muss das Initiativbegehren unverändert dem Volke unterbreitet werden.

Das Begehren kann die geistigen Fundamente antasten, auf denen unsere politische Organisation und die heutige Gesellschaft aufgebaut sind. Es kann die finanziellen und wirtschaftlichen Grundlagen des Landes gefährden. Das Gesetz will, dass abgestimmt werde, obgleich allein schon die öffentliche Diskussion hierüber sowohl
in ideeller als in materieller Beziehung gewaltige Störungen hervorrufen kann.

Wenn es 50,000 Bürgern, d. h. einem kleinen Bruchteil der Stimmberechtigten, ermöglicht wird, derartig tiefgehende Bewegungen auszulösen, so müssen für das Sammeln der Unterschriften ernsthafte Garantien geschaffen werden. Die einzigen Erfordernisse, die das geltende Gesetz aufstellt, sind aber rein formeller Natur: jeder Unterschriftenbogen, sagt Art. 4, soll den Namen des Kantons und der politischen Gemeinde angeben, den Wortlaut des Revisionsbegehrens und denjenigen von Art. 3 des Gesetzes enthalten und endlich eine Bescheinigung des Gemeindevorstandes aufweisen, dass die Unterzeichner in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt sind und ihre politischen Eechte in der betreffenden Gemeinde ausüben. Dies sind keine genügenden Sicherheiten.

492 Allerdings schreibt der oben genannte Art. 8 vor, dass der Bürger, welcher das Begehren stellen will, es eigenhändig zu unterzeichnen hat. Doch gewährleisten die Bestimmungen über die Kontrolle nur in unvollkommener Weise die Durchführung dieser Vorschrift. Die Gemeindebehörde ist wohl gehalten, zu untersuchen, ob diejenigen Bürger, deren Name auf den Unterschriftenbogen steht, ihre politischen Bechte in der Gemeinde ausüben. Sie ist jedoch nicht in der Lage --· das Gesetz zwingt sie übrigens nicht hierzu -- festzustellen, ob die Unterschriften wirklich von ihnen angebracht worden sind. Die von der Bundesverwaltung vorgenommene Überprüfung kann diese Unzulänglichkeit nicht ausgleichen; denn sie begnügt sich mit der Korrektur offenkundiger Fehler (verschiedene von ein und derselben Hand angebrachte Unterschriften, doppelte Unterschriften, Gänsefüsschen, unrichtige oder ungenügende Bescheinigungen usw.).

Diese Lücke im Gesetze wurde nicht sofort spürbar. Während längerer Zeit wurden die Unterschriftenbogen einfach in Wirtschaften oder Geschäftsläden aufgelegt, wo der Bürger in keiner Weise Gegenstand irgendwelcher Beeinflussung oder von Bitten um Unterzeichnung war. Später, als man begann, Sammler zu verwenden, benutzte man lediglich Leute, die guten Willens waren, aus Liebe zur Sache sich der undankbaren Aufgabe zu unterziehen. Mit der Zeit aber änderten sich die Verhältnisse ; für zahlreiche Volks"begehren wandten sich die Initiativkomitees, weil sie nicht über entsprechende Organe oder Agenten verfügten, an Leute, namentlich Arbeitslose, die sie pro Tag oder Unterschrift entschädigten oder indem sie beide Entschädigungsarten miteinander verbanden.

Dieses Vorgehen hatte die bedauerlichsten Folgen. Durch die Aussicht auf Gewinn angespornt, begannen die Sammler Unterschriften in Wirtshäusern, in Wohnungen, auf offener Strasse zu erbetteln, und einzelne von ihnen nahmen sich nicht nur nicht die Mühe, festzustellen, ob die auf ihren Unterschriftenbogen angebrachten Unterschriften richtig waren, sondern veranlassten sogar einzelne Bürger, für Verwandte oder Freunde, und die Frauen für ihre Ehemänner zu unterzeichnen. Ja, es gab solche, die auf ihre Bogen die Namen von Stimmberechtigten oder angeblichen Stimmberechtigten selbst hinschrieben, die sie auf den Briefkasten gelesen oder einfach einem
Adressbuch entnommen hatten. Die über die Freimaurerinitiative angeordnete Untersuchung deckte mit aller Deutlichkeit die Missstände auf, die sich bei der Unterschriftensammlung für dieses Volksbegehren ergeben haben, und Ihre Kommissionen haben uns eingeladen, zu prüfen, wie ihnen in Zukunft gesteuert werden könnte.

Ähnliche Fälle kommen in der Tat in mehr oder weniger grossem Massstabe bei sämtlichen Volksbegehren vor, für die die Unterschriften durch bezahlte Agenten gesammelt werden.

Wir sehen ein, dass dieser Zustand nicht länger andauern darf. Die demokratischen Einrichtungen können nur in der Aufrichtigkeit, in der Gewissenhaftigkeit und in der Würde gedeihen und ihre Mission in normaler Weise

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erfüllen. In Sachen Volksbegehren wird aber keine dieser Bedingungen erfüllt.

Die Aufrichtigkeit ist keineswegs gewährleistet, wenn der Bürger durch bezahlte Leute zur Erteilung seiner Unterschrift veranlasst wird. Die Gewissenhaftigkeit ist durch ein "Verfahren, welches der Behörde keinerlei Mittel zur Kontrolle der Echtheit der Unterschriften bietet, nicht gesichert. Die Würde ist verletzt, wenn diese Unterschriften in der oben angegebenen Weise zusammengebracht werden und der Erfolg des Volksbegehrens weniger von der Überzeugungskraft der Argumente als von der Grosse der dem Initiativkomitee zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel abhängt.

Es handelt sich jetzt darum, eine Lage wiederherzustellen, die durch Missbräuche gefährdet worden ist, welche seinerzeit vom Gesetzgeber nicht vorgesehen worden waren. Weit davon entfernt, den Volksrechten irgendwie nahezutreten, wird ihnen eine solche Keform nur nutzen, indem sie sie in den Augen der öffentlichen Meinung hebt und der politischen Unterschrift die Ernsthaftigkeit zurückgegeben wird, die ihr allein Ansehen verleiht.

Berücksichtigt man, dass die Missbräuche, wie gesagt, von der Art und Weise herrühren, wie heute die Unterschriften gesammelt werden, so könnte man denken, das Heilmittel bestünde in einem Verbote der Verwendung von Sammlern oder wenigstens von bezahlten Sammlern und in der Bestrafung von Übertretungen. Gegen eine solche Lösung sind aber zwei Einwendungen zu erheben. In erster Linie ist zu beachten, dass in Sachen Ausübung der Volksrechte so wenig als möglich Strafmassnahmen ergriffen werden sollten, namentlich, weil es im Einzelfalle sehr oft schwer sein dürfte, die wirklich Schuldigen zu treffen. Sodann wäre es immer leicht, die Verbote zu umgehen, und man müsste befürchten, dass die Missstände, die man hätte abstellen wollen, in verkappter Eorm fortdauern.

Das vom Ständerat auf Antrag des Herrn Malche am 12. Juni 1935 beschlossene Postulat deutet hingegen an. in welcher Richtung sich nach unserem Dafürhalten eine befriedigende Lösung finden liesse. Dieses Postulat lädt in seinem zweiten Teile den Bundesrat ein, zu prüfen, «ob es angezeigt ist...

zu bestimmen, dass jedes Eeferendums- und jedes Initiativbegehren in offiziellen eidgenössischen, kantonalen oder kommunalen Amtsräumen, wie Postbureaux, Polizeiposten,
Gemeindekanzleien usw. unterzeichnet werden muss.» Die Auswahl unter diesen verschiedenen Zeichnungsstellen ist nicht schwierig: sie fällt natürlicherweise auf das Gemeindehaus, die Gemeindekanzlei, d. h.

auf dasjenige Bureau, wo gegenwärtig die gesetzlich vorgeschriebene Kontrolle erfolgt. Diese Lösung wird bereits durch Gottfried Staub empfohlen in seiner Studie über «Das Stimrnregister im schweizerischen Eecht», S. 98, und es ist diejenige Lösung, die das reichsdeutsche Gesetz vom 27. Juni 1921 über den Volksentscheid gewählt hat. Immerhin haben wir, um den lokalen Eigenheiten Eechnung zu tragen, eine Losung gewählt, die der Behörde die Möglichkeit gibt, ausserdem andere Orte in der gleichen Gemeinde zu bezeichnen.

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Der Zwang für den Bürger, sich zur Unterzeichnung von Volksbegehren anderswohinzubegeben, rechtfertigt sich durch die Analogie zwischen der Ausübung des Initiativrechtes und derjenigen des Stimmrechtes. Indem das Bundesgesetz vom 19. Juni 1872 betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen die Stimmabgabe mittels Vollmachten und also auch die briefliche Stimmabgabe verboten hat, zwingt es jeden Bürger, der an der Abstimmung teilzunehmen wünscht, sich in das Stimmlokal seines Wohnsitzes zu begeben.

Die beiden einzigen Ausnahmen, die das Gesetz (zugunsten der Militärpersonen) und die Praxis (zugunsten der Kranken und Gebrechlichen) zulassen, erklären sich durch die Tatsache, dass die Abstimmung an einem bestimmten Tage stattfindet. Es besteht kein Grund, von der Eegel abzuweichen für einen Prozess, der sich auf mehrere Monate erstreckt. Es ist auch nicht unbillig, einen unbedeutenden Gang von Bürgern zu verlangen, die ja selbst die Gesamtheit der Stimmberechtigten zu einem solchen zwingen möchten. Endlich entspricht dieses Verfahren den Bedingungen, die an eine staatsbürgerliche Handlung geknüpft werden müssen. Der Bürger, der sich zur Unterzeichnung des Volksbegehrens irgendwohin begibt, findet die nötige Müsse, um sich über die wirkliche Bedeutung des Begehrens zu erkundigen und darüber nachzudenken.

Die Gewissenhaftigkeit wird garantiert dadurch, dass der Bürger seine Unterschrift vor einem Mitglied oder einem Bevollmächtigten der Behörde anbringt.

Was die Würde anbetrifft, so kann sie nicht mehr verletzt werden, wie dies heute geschieht, wo die Unterschriften unter Verbältnissen gegeben werden, die keineswegs der Feierlichkeit entsprechen, die die Ausübung einer staatsbürgerlichen Handlung umgeben soll.

III. Indessen dürfen die für die richtige Ausübung des Initiativrechtes vorgesehenen Garantien nicht eine Behinderung der Ausübung dieses Eechtes zur Folge haben. Dies träfe zu, wenn die Bäume, wo die Begehren zur Unterzeichnung aufliegen, nicht zu bestimmten Zeiten oder Stunden zur Entgegennahme der Unterschriften offen stünden am Samstagnachmittag oder am Sonntag. Die im beiliegenden Gesetzesentwurf aufgestellten Bestimmungen bieten in dieser Beziehung jede wünschbare Gewähr.

Wir haben uns für die Formulierung dieser Bestimmungen von den Gesetzen derjenigen zwei Kantone -- Freiburg
und Tessiti -- leiten lassen, die die Anbringung der Unterschriften bei einer amtlichen Stelle vorsehen.

Das freiburgische Gesetz vom 13. Mai 1921 verlangt, dass diese Amtsstelle während wenigstens zwei Stunden innerhalb 14 Tagen offen stehe. Im Kanton Tessin waren die Gemeindebehörden durch Gesetz vom 3. Dezember 1892 gezwungen, «die Sonntage und wenigstens noch einen andern Tag in der Woche sowie die Stunden (mindestens 2 Stunden hintereinander zwischen 9 Uhr morgens und 5 Uhr abends) zu bestimmen, während welchen die Bürger vorsprechen können, um ihre Unterschrift zu geben». Die Gesetzesänderung von 1921 ermöglicht nunmehr auch die Anbringung der Unterschriften ausserhalb der Gemeindeamtsstelle ; hingegen wurden die Vorschriften über die Öffnungszeiten für diese Amtsstellen beibehalten.

495 Wir fügen bei. dass das freiburgische Gesetz dem Bürger gestattet, Einzelzustimmungsforraulare zu unterzeichnen, in welchem Falle die Unterschrift von einem Mitgliede des Genieiiiderates oder vom Gemeindeschreiber beglaubigt werden muss. Diese Bestimmung, die erst im Grossen Rate beigefügt wurde, sollte verhindern, dass ein Bürger, der ein Initiativbegehren zu unterzeichnen wünscht, Gegenstand eine» Druckes von Seiten der Gemeindebehörden werden kann. Allein, abgesehen davon, dass dieser Grund für die eidgenössischen1 Volksbegehren kaum in Frage zu kommen braucht, rnüsste die Anwendung einer solchen Bestimmung in volksreichen Gemeinden auf praktische Schwierigkeiten stossen: entweder hätte der Wähler bei der Überreichung seines Zustimmungsformulares zwecks Beglaubigung den Identitätsausweis zu erbringen, was das ganze Verfahren komplizieren würde, oder aber die Identitätsprüfung würde illusorisch, was neuerdings Missbräuchen Tür und Tor öffnete.

Das tessinische Gesetz von 1892 enthielt ebenfalls eine Ausnahme: es gestattete die Unterzeichnung ausserhalb der Gemeindeamtsstelle unter der Bedingung der Beglaubigung der Unterschrift durch einen Notar. Wir hielten «s 'nicht für angezeigt, eine derartige Bestimmung in unseren Entwurf aufzunehmen, weil die Revision von 1921 zu einem grossen Teile eben durch die Missstände veranlasst worden ist, zu denen diese Ausnahme geführt hatte.

IV. Unsere Vorlage regelt überdies die Frage der Sanktionen, die in der bestehenden Gesetzgebung nur unvollständig behandelt ist. Was die Volksbegehren anbelangt, bestimmt Art. 3 des Gesetzes vom 21. Januar 1892 in dieser Beziehung was folgt: «Der Bürger, welcher das Begehren stellen will, .hat dasselbe eigenhändig zu unterzeichnen.

Wer unter eine Eingabe eine andere Unterschrift als die seinige setzt, unterliegt strafrechtlicher Ahndung (Art. 49 des Bundesgesetzes vom 4. Hornung 1853 über das Bundesstrafrecht).» Das Bundesgericht hat diese Bestimmung i. S- Bundesanwaltschaft gegen Ditzler mit Entscheidung vom 29. September 1922 dahin ausgelegt, dass die unbefugte Unterzeichnung durch Personen, die kein Stinimrecht besitzen (wie vom Aktivbürgerreclit Ausgeschlossene, Minderjährige, Frauen, Ausländer) nicht unter Strafe gestellt sei, weshalb heute zahlreiche Missbräuche der straf rechtlichen Ahndung entgehen. Mit den
nunmehr für die Teilnahme an. einem Initiativbegehren vorgeschlagenen Garantien wird diesen Missbräuchen fortan wirksam entgegengetreten werden können.

V. Wir beantragen Ihnen, die neuen Vorschriften, und zwar sowohl diejenigen über das Verfahren als diejenigen über die Sanktionen, auch für das Referendum vorzusehen. Allerdings hat die Unterschriftensammlung bei Eeferendumsbegehren nicht zu so zahlreichen und wiederholten Klagen Anlass gegeben, wie diejenige bei Initiativbegehren. Aber beide Einrichtungen weisen eine derart starke Analogie auf, dass man kaum daran denken kann, sie ver-

496 schieden zu behandeln, abgesehen davon, dass eine solche Doppelspurigkeit nur Verwirrung schaffen würde. Was übrigens die Strafbestimmungen anbelangt, so ist die Fassung von Art. 5 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, wonach derjenige, der «eine andere Unterschrift als die seinige setzt, der Anwendung der "Bestimmungen der Strafgesetze unterliegt», ebenfalls nicht befriedigend, hat doch das Bundesgericht erklärt, dass es zweifelhaft erscheine, ob damit überhaupt auf Art. 49 des Bundesstrafrechts und nicht vielmehr auf kantonale Strafgesetze verwiesen werden sollte (B. G. E. 48, I, 441). Es ist daher geboten, die Frage auch hier in eindeutiger Weise zu regeln.

Gestutzt auf diese Darlegungen bitten wir Sie, Herr Präsident und sehr geehrte Herren, den nachfolgenden Entwurf zu einem- Bundesgesetze anzunehmen und den zweiten Teil des Postulates des Ständerates vom 12. Juni 1935 durch die vorliegende Botschaft als erledigt zu betrachten. Wir benützen den Anlass, um Sie unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 5. November 1935.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

E. Minger.

Der Bundeskanzler:

G. Bovet.

49T

(Entwurf.)

Bundesgesetz betreifend

Abänderung der Vorschriften über die Unterzeichnung von Initiativ- und Referendumsbegehren.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 5. November 1935., beschliesst :

Art. 1.

1

Art. 3 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung wird aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt: Art. 3. Der Burger, welcher das Begehren stellen oder unterstützen/ will, muss dasselbe eigenhändig auf der Gemeindekanzlei des Ortes unterzeichnen, wo er seine bürgerlichen Eechte ausübt. Die Gemeinden können mit Erlaubnis des Kantons Vertreter der Behörde mit der Entgegennahme von Unterschriften außerhalb der Gemeindekanzlei beauftragen* Die Unterschriften sollen jede Woche während wenigstens zwei Stunden,, wovon eine Stunde am Samstagnachmittage oder Sonntag, entgegengenommen werden.

Wer unter eine Eingabe eine andere Unterschrift als die seinige setzt oder anderswie an einem Begehren unbefugt teilnimmt, unterliegt einer Busse bis zu Fr. 200 und in schweren Fällen einer Gefängnisstrafe von höchstens einem Monat. Beide Strafen können miteinander verbunden werden.

2 Art. 5 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmungen über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse wird aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt: Art. 5. Das Verlangen wird auf dem Wege der schriftlichen Eingabean den Bundesrat gerichtet.

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Der Bürger, welcher das Begehren stellen oder unterstützen will, muss dasselbe eigenhändig auf der Gemeindekanzlei des Ortes unterzeichnen, wo er seine bürgerlichen Eechte ausübt. Die Gemeinden können mit Erlaubnis des Kantons Vertreter der Behörde mit der Entgegennahme von Unterschriften ausserhalb der Gemeindekanzlei beauftragen.

Die Unterschriften sollen jede Woche während wenigstens zwei Stunden, wovon eine Stunde am Sanistagnachmittag oder Sonntag, entgegengenommen werden.

Der Gemeindevorstand oder sein Stellvertreter bescheinigen, dass die Unterzeichner in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt sind und ihre politischen Eechte in der betreffenden Gemeinde ausüben. Für diese Amtsverrichtung dürfen keinerlei Gebühren bezogen werden.

Wer unter eine Eingabe eine andere Unterschrift als die seinige setzt oder anderswie an einem Begehren unbefugt teilnimmt, unterliegt einer Busse bis zu Fr. 200 und in schweren Fällen einer Gefängnisstrafe von höchstens einem Monate. Beide Strafen können miteinander verbunden werden.

Art. 2.

Der Bundesrat setzt das Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes fest.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Revision des Verfahrens bei Initiativ- und Referendumsbegehren. (Vom 5. November 1935.)

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Jahr

1935

Année Anno Band

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Volume Volume Heft

45

Cahier Numero Geschäftsnummer

3323

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

06.11.1935

Date Data Seite

489-498

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