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3297 Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreifend das Postulat des Nationalrates über die Frage der Unterstützung von Kolonisationsprojekten und Organisierung der Auswanderung.

(Vom 13. September 1935.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Am 20. Dezember 1934 hat der Nationalrat anlässlich der Beratung der Massnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit folgendes Postulat angenommen : «Der Bundesrat wird eingeladen, zum Zwecke der Entlastung des einheimischen Arbeitsmarktes das Problem der Auswanderung allseitig zu prüfen, insbesondere zu untersuchen, ob nicht geeignete Kolonis a t i o n s p r o j e k t e u n t e r s t ü t z t werden sollten, und in möglichst kurzer Frist den eidgenössischen Eäten Vorschläge zu machen, in welcher Weise die freiwillige A u s w a n d e r u n g organisiert werden kann.» Vom Nationalrat sind schon vor einigen Jahren zwei von Herrn Abt eingereichte Postulate, die ebenfalls die Präge einer staatlichen Förderung der überseeischen Kolonisation zum Gegenstand haben, gutgeheissen worden.

Das erste Postulat, das am 25. Juni 1925 beschlossen wurde, hat folgenden Wortlaut : «Der Bundesrat wird eingeladen, die Frage zu prüfen, ob das Schweizerische Auswanderungsamt in ein Beratungs-, Organisations-, Schutz- und Fürsorgeinstitut für schweizerische Kolonisten ausgebaut werden sollte.» Das zweite Postulat, das am 11. Juni 1929 angenommen wurde, ist wie lolgt gefasst: «Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht den eidgenössischen Eäten ein Entwurf für die Eevision des Bundesgesetzes betreffend den ·Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen vom 22. März 1888, welcher Entwurf den neuern wirtschaftlichen Bedürfnissen unseres Landes auf dem Gebiete der Auswanderung und Kolonisation Eechnung tragen soll, vorzulegen sei.»

296 Die drei Postulate stehen nach den ihnen zugrunde liegenden Erwägungen und Absichten in so engem Zusammenhang, dass es sich rechtfertigt, die nachstehenden Untersuchungen auf alle Anregungen auszudehnen, die in den drei parlamentarischen Kundgebungen zum Ausdruck gelangt sind. Dass die Postulate vom 25. Juni 1925 und 11. Juni 1929 nicht schon ihre Erledigung gefunden haben, ist, wie in den jährlichen Geschäftsberichten hervorgehoben wurde, dadurch zu erklären, dass in den Nachkriegsjahren die künftige Entwicklung der Wanderungsbewegungen schwer beurteilt werden konnte. Nachdem die Auswandererziffer im Jahr 1920 auf 9276 und im Krisenjahr 192S auf 8006 hinaufgeschnellt war, hat sich in den folgenden Jahren die Zahl unserer Überseeauswanderer in den für unser Land normalen Ziffern zwischen 4140 (1924), 5272 (1927) und 4608 (1929) bewegt. Mit dem Jahr 1930 zeitigte die beginnende Weltkrise nicht, wie etwa zu erwarten gewesen wäre, ein erneutes Steigen der Zahl der Auswanderer, sondern vielmehr ein rasches Abgleiten bis auf 1167 im Jahre 1933, was bekanntlich darauf zurückzuführen ist, dass weltumspannende wirtschaftliche Störungen beinahe in allen Ländern starke Erschwerungen der Einwanderung und eine weitgehende Drosselung des Auswandererverkehrs mit sich brachten. Es dürfte in diesem Zusammenhang folgende Zusammenstellung der Jahreszahlen der aus der Schweiz nach überseeischen Gebieten Ausgewanderten seit den Vorkriegsjahren Interesse bieten: 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 1918

5178 5512 5871 6191 3869 1976 1464 656 304

1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926

3063 9276 7129 5787 8006 4140 4334 4947

1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934

5272' 4800 4608 3636 1707 1301 1167 1220'

Nach den Ziffern des letzten Jahrfünfts ist es schwer, vorauszusehen,, welches Schicksal unserer Auswanderung bescbieden ist, und es scheint wohl ratsam, mit einschneidenden Änderungen und Gesetzesrevisionen zuzuwarten,, bis sich etwas deutlicher zeigt, ob ein staatliches Eingreifen auf diesem Gebiete sich als notwendig herausstellt. Indessen wird jeder unvoreingenommene Beurteiler der heutigen allgemeinen Wirtschaftslage zugeben müssen, dass es zu den dringenden Forderungen der Stunde gehört, dass unsere Landesbehörden den Stockungen in der zwischenstaatlichen Bevölkerungsbewegung grösste Aufmerksamkeit widmen und in jedem Falle auf wirksame Abhilfe bedacht sein müssen. Eine solche dürfte nur von einer Verständigung mit den Staaten, die für eine Einwanderung schweizerischer Arbeitskräfte in Betracht kommen, zu erwarten sein, und es wird in Zukunft noch in vermehrtem Mass.

zur Aufgabe der Eegierungen gehören, durch gegenseitige Abmachungen auch auf diesem Gebiet die Schranken abzutragen, die nationalistische und auto-

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kratische Massnahmen errichtet haben. Aber selbst in dem günstigen, heute leider wenig wahrscheinlichen Falle, dass in Bälde die Einwanderungsstaaten ihre Pforten den europäischen Auswanderern in altem weitherzigem Geiste wieder öffnen werden, wäre es zweifellos angezeigt, den Strom der Auswanderer, der sich dann aus unserm Land ergiessen wird, nicht einfach seinem Lauf zu überlassen, sondern möglichst in jene Bahnen zu lenken, die für den einzelnen wie für unser Land als Ganzes am zweckmässigsten erscheinen.

Der Augenblick erscheint somit als gekommen, um Ihnen das Ergebnis unserer Prüfung bekanntzugeben, zu der wir durch die drei angeführten Postulate des Nationalrates eingeladen worden sind.

Die geltenden verfassungsmässigen und gesetzlichen Bestimmungen des Bundesrechts über das Auswanderungswesen werden heute oft leichthin als veraltet und überholt abgetan, weil das auf Art. 34, Abs. 2, der Bundesverfassung beruhende Bundesgesetz über den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen vom 22. März 1888 datiert. Es ist deshalb vor allem zu untersuchen, ob sich die Verhältnisse oder die Auffassungen so geändert haben, dass eine Revision der grundlegenden Linien unserer Ordnung des Auswanderungswesens notwendig erscheint, oder ob bloss mit einer gewissen Änderung einzelner Bestimmungen auszukommen wäre. "Wenn wir nun auf die Absichten zurückgehen, von denen sich Yerfassungs- und Gesetzgeber bei der in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorgenommenen Regelung haben leiten lassen, so liegen dieser Rechtsordnung Gedanken teils positiver, teils negativer Art zugrunde.

In positiver Hinsicht verfolgte man den Zweck, die Missstände zu beheben, die bei der seit den 50er Jahren eingetretenen starken Auswanderung, vorab nach den Vereinigten Staaten, sich gezeigt hatten, und die namentlich in einer Massenanwerbung durch zahlreiche, oft wenig gewissenhafte Agenten bestanden, welche die Leute durch lockende und irreführende Schilderungen zum Verlassen der Heimat zu bewegen wussten. Es wurden deshalb einmal eingehende gewerbepohzeiliche Vorschriften über die Ausübung des Berufs des Auswanderungsagenten erlassen, um deren Zahl einzudämmen und den Agentenstand zu heben. Ferner wurden Schutzvorschriften zugunsten der Auswanderer, besonders bezüglich ihrer Beförderung, aufgestellt und
Veröffentlichungen über und von Kolonisationsunternehmen, die vom Bundesrat nicht ausdrücklich zugelassen sind, untersagt.

Aber in der Beschränkung der bundesbehördlichen Aufgaben auf den Schutz der Auswanderer haben Bundesrat und Bundesversammlung auch einen negativen Standpunkt eindeutig bekundet. Sie lehnten es nämlich ab, die Auswanderungsbewegung selbst irgendwie zu beeinflussen, nicht nur dadurch, dass auf jegliche staatliche Kolonisationstätigkeit verzichtet wurde, sondern auch durch das Bestreben, überhaupt jede Förderung der Auswanderung zu vermeiden. Diese sollte als ein gegebenes bevölkerungspolitisches

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Phänomen hingenommen werden, und man erachtete es aus den verschiedensten Beweggründen nicht als angezeigt, sei es durch Beschränkung, sei es durch Unterstützung der Auswanderung, deren Ablauf zu hemmen oder zu fördern.

Die einmal zum Wegziehen Entschlossenen sollten nicht abgehalten werden, ihre Absicht auszuführen, weil man das Eecht der Freizügigkeit nicht antasten wollte und der einzelne nicht daran gehindert werden sollte, sein Glück in der Fremde zu suchen. Eine aktive Auswanderungspolitik hingegen erschien ebenfalls nicht tunlich, weil es der Landesregierung nicht zusteht, Volksgenossen dazu zu veranlassen, dem eigenen Land den Bücken zu kehren und einem Ungewissen Schicksal in fernen Ländern entgegenzugehen. So untersteht denn auf dem Gebiete des Auswanderungswesens lediglich der Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen der Aufsicht und Gesetzgebung des Bundes, und das hiezu erlassene Ausführungsgesetz vom 22. März 1888 hat sich naturgemäss an den gezogenen Eahmen gehalten.

Dieses Bundesgesetz hat übrigens segensreich gewirkt, und es ist seinerzeit von andern Staaten als vorbildlich angesehen worden. Wenn manche seiner Vorschriften von den Auswanderungsagenten hin und wieder auch angefochten wurden, so werden diese selbst am wenigsten verkennen wollen, was sie dem Gesetz zu danken haben. Eine Eevision ist in Vorbereitung, doch bedarf zu ihrer Durchführung vor allem die Frage der Abklärung, ob das Gesetz in seinen bisherigen Grundlagen unverändert bleiben oder ob der Bund zu einer Politik der Förderung der Auswanderung bzw. in welchem Umfang er zu einer Unterstützung des Siedlungswesens im Ausland übergehen soll. Sobald die Stellungnahme der eidgenossischen Eäte zu den drei in Behandlung stehenden Postulaten erfolgt ist, wird auch unverzüglich an die Gesetzesrevision herangetreten werden können.

* * * Die ausserordentlich schweren und langandauernden Störungen, von denen unser Wirtschaftsleben heimgesucht wird, hätten, wenn diese Erscheinungen beispielsweise nur auf die europäischen Staaten beschränkt geblieben wären, zweifellos wieder ein starkes Anwachsen der Auswandererziffern zur Folge gehabt. Nun werden aber von der Wirtschaftskrise alle Gebiete der Erde betroffen, ja, die überseeischen Staaten und unter ihnen diejenigen, die bisher die Auswanderermassen von Jahr zu Jahr aufgenommen
hatten, zum Teil in bedeutend stärkerm Masse als unser Land. Auch diese alten Einwanderungsstaaten kennen die grausame Geissel der Arbeitslosigkeit, und es ist begreiflich, dass sie sich durch Einwanderungsverbot oder weitgehende Einwanderungsbeschränkungen gegen ein weiteres Anwachsen ihres Arbeitslosenheeres zu schützen suchten. So wurden denn unsern Auswanderungswilligen die Tore der frühern Einwanderungsgebiete verschlossen, was sich um so unangenehmer bemerkbar machte, als durch die nationalistische Wirtschaftspolitik mancher anderer Länder, die von ihrem Arbeitsmarkt Ausländer fernzuhalten suchten, eine erhebliche Zahl von Auslandschweizern stellenlos wurde und in die Heimat zurückkehrte.

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Diese Verhältnisse haben bei uns zu einer Stauung an brachliegenden Arbeitskräften geführt. Wenn deshalb der Euf nach einem staatlichen Eingreifen zur Behebung der Auswanderungsschwierigkeiten und Schaffung von Siedlungsmöglichkeiten durch Abmachungen mit den in Betracht kommenden Staaten immer lauter und dringender wird, so ist diese Erscheinung an sich gewiss leicht verständlich, mag sie vielleicht auch nur ein weiteres Beispiel zu der Überschätzung der Staatshilfe liefern. Der Bundesrat ist nicht müssig geblieben und hat vor allem dafür gesorgt, dass die Zulassung neuer ausländischer Arbeitskräfte in der Schweiz auf das Notwendigste beschränkt wurde. Dass gleichwohl ausländische Arbeitnehmer in nicht unbedeutender Zahl noch in den letzten Jahren Aufenthaltsbewilligungen erhielten, erklärt sich dadurch, dass die Besetzung der betreffenden Stellen durch einheimische Arbeitnehmer oft auf grosse Schwierigkeiten stiess oder sich gar als undurchführbar erwies. Wenn wir einerseits der ausländischen Arbeiter und Angestellten somit noch nicht ganz entraten, können, so müssen wir anderseits auch Rücksicht nehmen auf unsere im Ausland arbeitenden Landsleute, die leider in manchen Staaten bloss geduldet und leicht irgendwelchen Zwangsmassnahmen ausgesetzt sind. Würden zur Behebung unserer Arbeitslosigkeit, wie vielfach empfohlen wird, vorerst die ausländischen Arbeitskräfte, gleichgültig ob sie im Besitz einer Niederlassungsbewilligung sind oder nicht, durch schweizerische ersetzt werden, was, wie gesagt, nicht einmal durchwegs möglich wäre, so kämen infolge Gegenmassnahmen der Heimatstaaten der betroffenen Ausländer weitere Zehntausende von Schweizern um ihre Stellen und würden in die> Schweiz zurückströmen. Es liegt auch auf fremdenpolizeilichem Gebiet nicht im Interesse unseres Landes, eine streng nationalistische Politik zu befolgen, und wir müssen im Gegenteil Bedacht darauf nehmen, nicht zum wenigsten auch zur Erhaltung unserer wirtschaftlichen Aussenbeziehungen, den schweizerischen Arbeitnehmern die noch bestehenden Arbeitsplätze im Ausland zu bewahren. Zu diesem Zweck hat denn auch der Bundesrat mit einigen Nachbarstaaten Abkommen getroffen, durch welche die Arbeitsmärkte dieser Staaten in gewissem Umfang für unsere Landesangehörigen offengehalten werden sollen. Ausserdem sind vom Bund im Einvernehmen
mit Kantonen und Gemeinden in vielen Fällen bedürftige Schweizerbürger im Ausland unterstützt worden, wodurch deren Heimnahme und damit auch eine stärkere Belastung der schweizerischen öffentlichen Kassen vermieden worden ist. Um das ganze verwickelte Problem zu erkennen, bedarf es eines tieferen Einblicks in unsere mit dem Ausland unterhaltenen Wechselbeziehungen und Verständnisses für die Notwendigkeiten der Wirtschaft.

Die oft zu hörende Ansicht, dass die in manchen Erwerbszweigen um sich greifende Beschäftigungslosigkeit auf eine eigentliche Übervölkerung der Schweiz von dauerndem Charakter zurückzuführen sei, lässt sich kaum auf ihre Richtigkeit erweisen. Unser Land ist wie vielleicht kein zweites mit der Weltwirtschaft verflochten, und deshalb sind die Produktions- und Absatzschwierig-

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keiten auch zwanglos mit den auf dem Weltmarkte sich zeigenden schweren Störungen zu erklären. Ohne auf theoretische Erörterungen einzutreten, genüge hier die nochmalige Feststellung, dass in allen Teilen des Erdballs, wohin wir auch unsere Blicke wenden mögen, in den agrarischen wie in den industriellen Gegenden Australiens, Nord- und Südamerikas, in dem menschenleeren Afrika wie in dem menschenreichen Asien, dass überall ein gewisser Bevölkerungsteil, und zwar proportionell von mindestens der gleichen Grosse wie in der Schweiz, ganz oder teilweise verdienstlos ist. Das Elend der Arbeitslosigkeit ist universell, und wollte es allein auf Übervölkerung zurückgeführt werden, so wäre die ganze Erde übervölkert. Diese Überlegung muss neben andern zu der Einsicht führen, dass die wirtschaftlichen Nöte unseres kleinen Landes nur Teile eines Weltgeschehens sind, was uns aber auch in der Überzeugung bestärkt, dass eine Besserung auf den Weltmärkten nicht verfehlen wird, im schweizerischen Wirtschaftsleben sich ebenfalls günstig bemerkbar zu machen. Bei dem in den Nachkriegsjahren eingetretenen Geburtenrückgang und der wachsenden Veralterung der schweizerischen Bevölkerung müsste eine Auswanderung von Tausenden junger Schweizer und Schweizerinnen in verhältnismässig wenig Jahren bei einer Wiederbelebung der Wirtschaft verhängnisvolle Bückwirkungen auslösen, und die entstandenen Lücken müssten wahrscheinlich wieder durch ausländische Arbeitskräfte ausgefüllt werden.

Bevor in erheblichem Umfange zum Aderlass der Auswanderung gegriffen wird, ist genau zu prüfen, ob die Funktionsstörungen, von denen unser Wirtschaftskörper heimgesucht wird, die Anwendung eines solchen Gewaltsmittels rechtfertigen. Trotz des harten Existenzkampfes, den manche unserer Landesindustrien zu führen haben, sollen und wollen wir Vertrauen aufbringen in die Ausdauer und den bewährten Gemeinschaftssinn unseres Volkes.

In den schweren Übergangszeiten werden indessen alle Kräfte angespannt, alle Möglichkeiten ausgeschöpft, alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden müssen, um den toten Punkt zu überwinden. Unter den in Aussicht genommenen Massnahmen zur Arbeitsbeschaffung ist nun u. a.

auch die Unterstützung von Siedlungen im In- und Ausland vorgesehen.

Dass die Förderung der Innenkolonisation den Vorrang hat, bedarf wohl keiner nähern
Begründung. Nun sind aber ihre Ausbaumögh'chkeiten beschränkt, und so ist gleichzeitig mit deren Ausnützung auch der allfälligen Schaffung einer gleichen Erwerbsgrundlage im Ausland näherzutreten. Dies kann allerdings nur unter der zweifachen Voraussetzung geschehen, dass die Unterstützung von Auslandssiedlungen gleichzeitig eine Entlastung des einheimischen Arbeitsmarktes und eine zweckmässige Aufwendung zugunsten solcher Landesangehöriger bedeutet, die für das Siedlerleben dieerforderlichen Eigenschaften aufweisen. Damit ist auch schon gesagt, dass Erwerbslose, die sich für schwere landwirtschaftliche Arbeiten nicht eignen, für Auslandssiedlungen nicht in Betracht fallen und dass die Auswanderungsfrage unter den heutigen Verhältnissen im wesentlichen als Siedlungsfrage anzusehen ist.

301 Inwiefern Nichtlandwirte durch Umschulung, z. B. in Arbeitsdienstlagern, dem Bauernberuf zugeführt werden können, bleibt eine Präge für sich. Theoretisch wäre es denkbar, dass mit einer grössern Siedlung auch eine gewisse industrielle Verwertung der gewonnenen Bodenprodukte und eine Beschäftigung von Handwerkern und Gewerbetreibenden verbunden würde. Doch ist es in der heutigen Zeit nicht zu verantworten, bei der Anlegung einer Siedlung andere Elemente als landwirtschaftlich Befähigte zu verwenden. Alle Einwanderungsstaaten lassen auch nur Landwirte als freie Einwanderer zu, während Angehörige anderer Berufsgruppen in der Eegel einer behördlichen Bewilligung zur Annahme ·einer Beschäftigung bedürfen. Umfassende Erhebungen, die durch Vermittlung unserer sämtlichen Aussenvertretungen vorgenommen wurden, haben ergeben, dass, von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, gegenwärtig nirgends damit gerechnet werden darf, dass schweizerische, nicht in der Landwirtschaft, tätige Berufsleute zur Arbeitsausübung zugelassen werden. Durch strenge Einwanderungsvorschriften suchen die Staaten der Gefahr zu begegnen, dass Siedler das Land betreten, welche das harte und entbehrungsreiche Kolonistenleben nicht auszuhalten imstande sind, so dass sie leicht der Versuchung erliegen, in die Städte abzuwandern, wo sie als Arbeitslose ein kärgliches Leben fristen oder gar zugrunde gehen müssen; denn eine finanzielle Unterstützung oder Heimnahme solcher Leute kann als ausgeschlossen erscheinen.

Die Frage, wie sich eine Unterstützung von Auslandssiedlungen mit der geltenden Rechtsordnung verträgt, ist im Nationalrat bei Behandlung einer Interpellation im Jahre 1923 eingehend erörtert worden. Damals hatte der Bundesrat der Schweizerischen Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft, die eine Aktion zur Ansiedlung von Arbeitslosen in Kanada und in Frankreich an die Hand genommen hatte, aus Bundesmitteln eine Subvention gewährt. Sein Vorgehen war mit der Begründung angefochten worden, dass es sich mit den im Bundesgesetz vom 22. März 1888 enthaltenen Grundsätzen nicht vereinbaren lasse. Wie weiter oben dargelegt wurde, regelt aber das erwähnte Bundesgesetz die Auswanderung als solche und die Kolonisationsunternehmungen überhaupt nicht. Es gibt in seinem Artikel 10 dem Bundesrat bloss die Kompetenz, zu
entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen er Privaten, Gesellschaften oder Agenturen gestatten wolle, ein Kolonisationsunternehmen zu vertreten. 'Es müsste deshalb, damit in der Gewährung einer finanziellen Unterstützung eines Kolonisationswerkes etwas Gesetzes- oder Verfassungswidriges erblickt werden könnte, dargetan werden, dass, abgesehen von den Bestimmungen des Auswanderungsgesetzes, überhaupt keine bundesrechtliche Grundlage für die Ausrichtung solcher Leistungen vorhanden sei.

Nun besteht aber für die Kolonisationsförderung zugunsten der Erschliessung von Erwerbsmöglichkeiten für Arbeitslose im Ausland genau die gleiche rechtliche Basis wie für die übrigen Massnahmen der Arbeitsbeschaffung, und im besondern für die Unterstützung der Innenkolonisation. Der blosse Umstand, dass die Unterstützungen ins Ausland gehen, vermag eine an sich zulässige Massnahme nicht zu einer rechtlich unstatthaften zu stempeln, denn es wird

302 niemand behaupten wollen, dass finanzielle Beihilfen an Schweizer im Ausland in keinem Falle gewährt werden dürften. Nur dann wären die Unterstützungen zu beanstanden, wenn der Bundesrat dazu übergehen wollte, zur Siedlung im Ausland zu ermuntern. Aber davon kann ja nicht die Rede sein. Eine Werbetätigkeit für die Auslandssiedlungen wird ebensowenig zugelassen, wie für die Auswanderung überhaupt. Wenn hingegen der Wille zum Siedeln einmal vorhanden ist, so ist es schliesslich nicht Sache der Behörden, die zum Auswandern Entschlossenen von ihrem Vorhaben abzuhalten. Anderseits kann natürlich der Bund aus dem Grunde, weil er ein Unternehmen subventioniert, auch keine Gewähr dafür übernehmen, dass alle diejenigen, die sich diesem anvertrauen, keine Enttäuschungen erleben. Das muss in gleicher Weise wie für Inlands- auch für Auslandsunternehmen gelten.

Eine Förderung von Kolonisationen kann in verschiedenen Formen geschehen: Soll der Bund selbst als Unternehmer auftreten, indem er Grund und Boden kauft, die Aufteilung unter die Siedler besorgt und für deren Ausrüstung, gegebenenfalls auch für deren Ausbildung das Erforderliche vorkehrt ?'

Oder soll er einzelne Siedler finanziell unterstützen und hiefür bestimmte Grundsätze aufstellen ? Oder hat er sich schliesslich damit zu begnügen, privaten Kolonisationsgesellschaften unter gewissen, diesen aufzuerlegenden BedingungenSubventionen auszurichten ? Unter den mannigfachen Kolonisationsplänen und -Vorschlägen, die dem Bundesrat schon eingereicht worden sind, finden sich alle die vorstehend angedeuteten Lösungen des Problems vertreten.

T. Wenn die Forderung einer eigentlichen staatlichen Kolonisationspolitik der Eidgenossenschaft unter den heutigen Verhältnissen kaum noch erhoben werden wird, so ist dagegen hin und wieder der Gedanke geäussert worden, dass es Aufgabe des Bundes wäre, ein grosses geschlossenes Areal zu erwerben, dessen Besiedlung die Schweiz durch Abmachungen mit dem betreffenden Staat vornehmen würde. Nach gewissen Auffassungen hätte sie es in der Hand, auf einem solchen Gebiet eine Art Idealstaat einzurichten, in welchem jedem Bürger sein eigenes Besitztum und sein Einkommen zugesichert wäre. Andere Vorschlage gehen weniger weit und begnügen sich z. B., dem Bund die Aufgabe zu überbinden, ein grösseres Gebiet käuflich zu erwerben und es auf Abzahlung oder unentgeltlich unter schweizerische Siedler aufzuteilen, wobei es dann Sache der Kolonisten wäre, sich gegebenenfalls zu gemeinsamer Interessenvertretung zusammenzuschliesseii.

Die Befürworter einer solchen «planmässigen» Siedlung gehen im allgemeinen von dem Gedanken aus, dass es dem Schweizer Kolonisten in fremder Umwelt und ungewohnten Daseinsbedingungen leichter falle, sich zu behaupten, wenn er nicht allein auf sich gestellt sei, sondern in einer grössern Siedlung von Landsleuten einen gewissen Bückhalt finde. Ja, sie glauben in der Anlegung einer Gruppensiedlung gleichzeitig auch die Möglichkeit der Unterbringung

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von Gewerbetreibenden und Handelsleuten sowie die Voraussetzungen für Absatz und Verbrauch der erzeugten Güter zu schaffen. Leider entsprechen» die Tatsachen nicht diesem Wunschbilde. Es ist meistens sehr schwer zu sagen, ob die natürlichen Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten für eine künstliche Siedlungsgründung jeweilen vorhanden sind; aber gewiss ist nur, dass, je grösser die Siedlergemeinschaft, um so grösser auch das Eisiko eines Fehlschlags ist. Jede gemeinschaftliche Niederlassung erfordert auch von vornherein besondere Aufwendungen für Gemeinschaftszwecke, so für Wege, Bahnen, Schulen, Kirchen usw., alles Auslagen, die beim Anschluss an< bestehende Siedlungen nicht in Betracht kommen. Die Errichtung von Gruppensiedlungen ist somit nur mit einem verhältnismässig grossen Kapitalaufwand durchführbar, an dessen allmähliche Bückzahlung oder gar Verzinsung nicht zu denken ist.

Vor allem zeugen indessen die in vielen Jahrzehnten nicht nur von Schweizern, sondern auch von Angehörigen anderer Staaten gemachten Erfahrungen, gegen die Zweckmässigkeit von Gruppensiedlungen. Das Besteben blühender Kolonien von Nachkommen schweizerischer Familien widerspricht dem Gesagten keineswegs. In diesem Jahr wurde z. B. der 50jährige Gedenktag der Gründung der Kolonie «Helvetia» im Staate Sào Paulo (Brasilien) gefeiert. Sie hat ihre Entstehung der Einwanderung von etwa 35 Obwaldner Familien zu verdanken, von denen nur einige wenige nach Jahren bitterer Lehrzeit es zu Erfolg gebracht haben. Wo sind aber die übrigen Familien geblieben? Die schweizerischen Hilfsvereine wissen etwas zu erzählen von dem Elend und der Heimschaffung unglücklicher Familien1'. Es sind uns keine Beispiele von Schweizerkolonien bekannt, die nicht auf schwere Opfer und Einbussen zurückblicken müssen, wohl aber nicht wenige, die gänzlich untergegangen sind. Natürlich hätte mit reichlicheren Geldmitteln in vielen Fällen eine gewisse Hilfe gebracht werden können, aber man glaube ja nicht, dass alles nur eine Geldfrage sei. Es ist für keinen Auswanderer gut, wenn er sich bei der Ausführung seines Vorhabens in weitgehendem Masse von den Mitteln und der Hilfe, die ihm die Heimat zukommen lässt, auch für die Zukunft abhängig macht. Ein Mann, der sich und seiner Familie eine neue Existenz zu gründen versucht, muss durchdrungen sein von einer
in der redlichen Erfüllung seiner Tagesarbeit liegenden Befriedigung, von dem Bewusstsein, auf eigene Kraft angewiesen zu sein und dem festen Willen, sich selbständig in neue Verhaltnisse einzuleben. Wer stets mit dem Gedanken der Bückkehr spielt oder doch mit der Unterstützung aus der alten Heimat rechnet, wird sich als untüchtig und wenig geschickt zur Begründung eines neuen Lebens erweisen. Zudem bekundet gerade der Schweizer unverkennbare Abneigung gegen Einordnung in ein System, das weitgehenden Verzicht auf persönliche Bewegungsfreiheit zur Voraussetzung hat.

Wo immer Gruppensiedlungen ohne erhebliche finanzielle Mittel Erfolg hatten, verdankten sie das einer auf Zucht und Opferwilligkeit aufgebauten Hingabe an die Gemeinschaft, wie sie ein a in grossen. mit patriarchalischem Geist erfüllten Familien, in religiösen Einrichtungen (Missionen, Klöster) oder Sekten

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(z. B. der Mennoniten), in stark national empfindenden Angehörigen bedürfnisloser Eassen (z. B. Japanern) usw. zu finden ist.

Grossbritannien hat vor einigen Jahren versucht, eine ansehnliche Zahl Arbeitsloser des Mutterlandes als Kolonisten in Australien und Kanada anzusiedeln, hat aber dabei nur Misserfolge geerntet. Wenn dies etwa damit erklärt wird, dass die englischen Gruben- und Hafenarbeiter sich wenig als Farmer ·geeignet hätten, so dürfte ein solcher Einwand in noch höherem Masse z. B, für die schweizerischen Arbeitslosen der Textil- und Uhrenbranche gelten oder gar von erwerbslosen kaufmännischen Angestellten und Intellektuellen unseres Landes. Ein sehr bemerkenswerter Bericht der britischen Eegierung gelangt denn auch zu einer unumwundenen Ablehnung der Unterstützung ·von Gruppensiedlungen. Sie spricht sich darin u. a. wie folgt aus: «Es lässt sich nicht rechtfertigen, eine Politik zu empfehlen, die vorsieht, Auswanderer mit dem Geld zu versehen, das sie in den Stand setzt, -sich anzusiedeln. Versuche in Australien und Kanada weisen beträchtliche Verlustziffern auf. Trotz schärfster Auswahl locken solche Unternehmungen ·zahlreiche Leute an, die deshalb bereit zum Siedeln sind, weil sie wissen, dass sie im Falle des Misserfolges kein eigenes Kapital investiert haben.

Der Einzeleinwanderer kann normalerweise sich der bereits vorhandenen Absatzwege bedienen. Wenn, wie es heute zutrifft, der Markt für Kolonistenprodukte gesättigt ist, wird es für ihn weit schwieriger sein, in einer ·Siedlung auf neuem Land seine Produkte zu verwerten, als inmitten einer .gleichen Zahl von Siedlern innerhalb einer schon bestehenden Gemeinde.

In letzterem Fall werden sie mit geringeren Schwierigkeiten auf den vorhandenen Wegen abgesetzt werden können, als wenn bei einer Gruppensiedlung auf Neuland für eine grosse Menge von Produkten neue Absatzwege gesucht werden müssen und vielleicht nicht gefunden werden. Schon die blosse Existenz neuer Vorräte kann in diesem Fall einen ernsten Preis·druck bewirken.

Die Erfahrung der letzten Zeit hat gezeigt, dass die organisierte tGruppensiedlung von der Leitung ein besonderes Mass von Fähigkeiten und von den Siedlern ein solches von Kameradschaft und Zusammenhalten verlangt. Ein Versagen wirkt sich auf die ganze Gruppe aus, bei der Einzelsiedlung wird die Gemeinschaft
davon nicht berührt.

Unmittelbare Ermutigung und Förderung von Kolonisationsunternehmen wecken den Glauben, die Eegierung gewährleiste den Erfolg und könne deswegen in jedem Notfalle zu Hilfe gerufen werden.» In dem Bericht wird mit vollem Eecht für das Gedeihen einer Siedlung -entscheidende Bedeutung dem Umstand beigemessen, dass für deren Erzeugnisse ein Absatz gewährleistet ist. Dass ein ausreichender Markt für die Produkte in der Kolonie allein vorhanden ist, kann bei den sehr beschränkten, in ihr gegebenen Aufnahmemöglichkeiten nicht angenommen werden. Eine .reine Naturalwirtschaft auf der Grundlage des Tauschverkehrs, wie sie verschie-

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denen Kolonisationsprojekten vorschwebt, dürfte schweizerischen, an eine höhere Wirtschaftsform gewöhnten Siedlern kaum genügen. Auch wäre es «ine verhängnisvolle Täuschung, anzunehmen, dass eine Selbstversorgung schon durch die blosse Tatsache gegeben sei, dass ein fruchtbarer Boden alles aum Leben Notwendige hervorbringe. Der Siedler wird -- so bezeugt es jeder Kolonist und die Geschichte aller Kolonien -- in jedem Fall ein gewisses Betriebskapital benötigen, um sich, seine Familie und sein Unternehmen während einer Anzahl von Jahren durchzubringen, nämlich so lange, bis der Ertrag seiner Wirtschaft ihm die erforderlichen Betriebsmittel liefert. Besitzt er keinen genügenden Betriebsfonds, so wird er bei angestrengtester Arbeit und bei bestem Willen auf keinen grünen Zweig kommen, da die Erhaltung und Erweiterung lebenden und toten Wirtschaftsinventars, Krankheiten in der Familie, an Tieren und Pflanzen, sowie Misswachs, Schädlinge, Naturereignisse usw., die gewöhnlich die ganze Siedlung heimsuchen, eine nicht geringe finanzielle Widerstandskraft erfordern.

In der'heutigen Krisenzeit, die besonders durch einen Tiefstand der Preise landwirtschaftlicher Produkte gekennzeichnet ist, ist es für neue Siedler beinahe aussichtslos, sich neue Absatzgebiete zu erobern, wo es schon die eingesessenen Farmer und Pflanzer schwer haben, den bisherigen Absatz beizubehalten.

Wenn die Weltwirtschaft unter einer Überproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse leidet, wie kann da noch Absatz für neue Mengen von Agrarprodukten erhofft werden?

Es ist deshalb der Gedanke geäussert worden, die Schweiz sollte die Abnahme der Erzeugnisse einer schweizerischen Kolonie dadurch sicherstellen, dass sie für die Unterbringung der von der Siedlung erzeugten Waren auf ihrem Binnenmarkte Sorge trage. Eine solche Gewährleistung müsste nun aber, wenn anders die Siedlung eine feste Grundlage für ihre Existenz haben soll, dauernden Charakter besitzen. Denn die Kolonisten dürften nicht Gefahr laufen, dass ihnen dieser sichere Boden unverhofft wieder entzogen wird. Auch für den Fall nun, dass unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine gewisse Begünstigung des Warenabsatzes sich ermöglichen liesse, dürfte es doch ausgeschlossen sein, dass eine absolute Garantie für eine längere Dauer solcher .Begünstigungen gegeben werden könnte. Durch
Gewährung von Zollerleichterungen liesse sich eine solche Vorzugsstellung kaum erreichen. Einmal aus ·dem Grunde nicht, weil die Zollbelastung in der Unkostenberechnung nicht .ausschlaggebend ist und Produktionskosten, Frachten, Währungsunterschiede n. a. eine grössere Eolle spielen, ferner aber auch deswegen nicht, weil die Schweiz für Kolonialwaren in der Hauptsache auf andere Lieferanten und Länder angewiesen wäre, die sich eine unterschiedliche Behandlung kaum gefallen lassen würden. Ini Wege der Kontingentierungspolitik liessen sich vielleicht Vergünstigungen für die Einfuhr von Erzeugnissen schweizerischer Siedlungen in Aussicht nehmen, doch könnte sich unsere Handels- und Zollpolitik nicht durch derartige Massnahmen fest binden und damit allgemeine und wichtigere wirtschaftliche Interessen der schweizerischen Bevölkerung geBundesblatt. 87. Jahrg. Bd. II.

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fährden. Wäre es zu verantworten, durch die Lockungen von Einfuhrerleichterungen eine Siedlung zu ermöglichen und nachher in einem Augenblick, wo die wirtschaftlichen Interessen unseres Landes eine Preisgabe dieses Zugeständnisses notwendig machen, diese Vorteile wieder aufzuheben und die Siedlung ihrem Schicksal zu überlassen? Oder könnten anderseits die Interessen der Heimatbevölkerung wegen derjenigen einer ausgewanderten kleinen Minderheit hintangestellt werden ? Gerade bei der gegenwärtigen unsichern Wirtschaftslage und schwer zu übersehenden künftigen Entwicklung der Aussenhandelsbeziehungen liesse sich eine Siedlung unmöglich allein auf der Tatsache aufbauen, dass ihre Produkte auf dem schweizerischen Binnenmarkte eine gewisse Begünstigung erfahren. Dass die Erzeugnisse aber ohne Begünstigung, vielleicht gar unter Zwang, dem schweizerischen Verbrauch zugeführt werden könnten, erscheint schon gar nicht durchführbar, denn das käme einer dauernden finanziellen Belastung unserer einheimischen Bevölkerung zugunsten der Kolonie gleich.

Im Siedlungsstaate selbst sind die Kolonisten für den Absatz sehr oft auf mächtige Einkaufsorganisationen angewiesen, die ihnen den Abnahmepreis der Produkte mehr oder weniger diktieren und sie in starker Abhängigkeit halten. Es ist äusserst fraglich, ob bei einer Gruppensiedlung durch Bildung von Genossenschaften für den Einkauf und Verkauf solchen Verhältnissen wirksam begegnet werden könnte und oh gegen die kapitalkräftigem Grossorganisationen des Landes aufzukommen wäre.

Anderseits könnte die blosse Eigenversorgung des Siedlers mit Bodenprodukten niemals als ein erstrebenswertes Ziel für eine schweizerische Siedlung angesehen werden. Sie hätte einen naturhaften Zustand zur Eolge, der vom Vegetieren nicht weit entfernt wäre und die Gefahr kulturellen Niedergangs in sich bergen würde. Ein mittelloser Siedler, der gezwungen wäre, in einer fensterlosen Lehm- oder Strohhütte, ohne Betten und Möbel, zu leben, hart zu arbeiten und sich nur mit Knollenfrüchten, Bohnen und Mais zu ernähren,, würde auf die Dauer der Einförmigkeit und den Mühsalen des Kolonistenlebens erliegen.

So anziehend auch der Gedanke sein mag, in überseeischen Staaten fürunsere auswandernden Landsleute grosse geschlossene Siedlungen zu schaffen, in denen eidgenössische Bruderhilfe und Pflege
schweizerischer Eigenart sinnfälligen Ausdruck fänden, so müssen wir ihn doch als undurchführbar betrachten, weil uns die wichtigsten realen Grundlagen eines solchen Unternehmens nicht gegeben zu sein scheinen. Schliesslich könnten auch solche Wege staatlicher Kolonisationspolitik nur beschritten werden, wenn die verfassungsrechtlichen Grundlagen hiefür bereitet würden.

II. Der zweite oben erwähnte Vorschlag, der dahingeht, dass der Bund jedem einzelnen Auswanderer eine gewisse Unterstützung gewähren solle, hat namentlich in einer Eingabe der Auswanderervereinigung «ANSA» (ArbeitsNotgemeinschaft für Siedlung und Auswanderung) an den Bundesrat seinen

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Ausdruck gefunden. Die darin enthaltenen Anregungen sind in folgenden fünf Punkten zusammengefasst worden: 1. Es sei jeder geeigneten Person schweizerischer Nationalität beiderlei Geschlechts, die das 18. Altersjahr erreicht hat, in bürgerlichen Ehren und Kechten steht und sich freiwillig zur Ansiedlung in einer Schweizerkolonie in Übersee entschliesst, eine einmalige Unterstützungssurnme à fonds perdu von Fr. 1000 zu entrichten.

2. An Eltern, welche auswandern, wird pro Kind unter 18 Jahren in gleicher Weise eine Unterstützung von Fr. 250 verabfolgt, wozu die Pieisekosten für jedes Kind geschlagen werden.

3. Es sei jedem Auswandererehepaar, das gewillt ist, in einer Kolonie Land zu erwerben und selber zu bebauen, pro ha Land ein angemessenes Darlehen zu gewähren bis zürn Höchstbetrage von Fr. 3000 mit der Auflage für den Darlehensnehmer, für mindestens ein Jahr einen alleinstehenden Landsmann in der Familie aufzunehmen.

4. Das Darlehen sei zinsfrei zu gewähren für drei Jahre und von da an angemessen zu verzinsen und zu amortisieren. Der Zinssatz soll keinesfalls 4% übersteigen und die Amortisationsquote nicht mehr als einen Fünftel des Gesamtbetrages ausmachen.

5. Solange das Darlehen nicht getilgt ist, unterstellt sich der Auswanderer einer Kontrolle, deren Modalitäten vom Bundesrat festzusetzen sind.

Es kann anhand dieser Vorschläge unschwer dargetan werden, welche gewaltigen Schwierigkeiten das Unterstützungsproblem für Auslandssiedlungen in sich birgt, aber auch in welchem Mass wirkliche Einsicht in diese wichtige Frage bei uns noch fehlt. Die oben wiedergegebenen Anregungen gehen davon aus, dass «jeder geeigneten Person» eine gewisse Unterstützungssurnme auszurichten sei, ohne sich weiter darüber zu äussern. welche Merkmale für diese Eignung gegeben sein müssen und wer die Feststellung über deren Vorhandensein vorzunehmen hätte. Es wird mit dieser Voraussetzung einer der heikelsten Punkte berührt, nämlich die Auslese der Personen, die für Siedlungen überhaupt in Betracht kommen können. Schon oben ist auf die körperlichen und geistigen Bedingungen hingewiesen worden, die für jeden Kolonisten unerlässlich sind, wenn er nicht binnen kurzem im Elend versinken soll: feste Gesundheit, ausreichende Körperkräfte für schwere ungewohnte Arbeit, eiserne Ausdauer, Bedürfnislosigkeit und Selbstzucht. Ob
jeweilen der Kolonist und seine Angehörigen in physischer Hinsicht allen Anforderungen entsprechen, lässt sich in den meisten Fällen erst an Ort und Stelle, unter den veränderten klimatischen und wirtschaftlichen Verhältnissen beurteilen. Wenn es richtig ist, dass nur an schwere Arbeit gewohnte Leute sich für die Siedlungstätigkeit eignen, so ist nicht minder wahr, dass auch von diesen nur solche Personen Erfolge haben, denen die vorerwähnten Eigenschaften des Willens nicht abgehen. Leider kann mit Sicherheit kaum vorausgesagt werden, ob alle diese persönlichen Fähigkeiten jeweilen vorhanden sind. Im Hinblick auf die grosse Verantwor-

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tung müsste bei der Auswahl ein strenger Massstab angelegt werden, so dass von den Arbeitslosen unserer Städte und Dörfer vermutlich weitaus die Mehrzahl der Bewerber zurückgewiesen werden müsste, was bei diesen wiederum zu Unzufriedenheit, Vorwürfen und Beschwerden führen würde.

Soweit tropische oder subtropische Gebiete in Frage kommen, gibt es nur ganz wenige Gegenden, in denen die manuellen Arbeiten des Ackerbaus und der Pflanzung von Leuten besorgt werden könnten, die in unserm Land aufgewachsen sind; und dort, wo die klimatischen Verhältnisse erträglich sind, wie in gewissen Gegenden Südamerikas oder Afrikas, sind diese meist sehr abgelegen von allen Verkehrswegen. In der Eegel halten namentlich Frauen und Kinder auf die Dauer der Hitze und Feuchtigkeit nicht stand, aber auch die Männer erliegen häufig den ungewohnten Lebensbedingungen und gesundheitlichen Gefahren verschiedenster Art. Es kommt hinzu, dass dort, wo die landwirtschaftlichen Arbeiten durch Eingeborene (Neger, Indianer, Mischlinge etc.) verrichtet werden, es einem Europäer nicht möglich ist, mit ihnen in Wettbewerb zu treten, da infolge der Bedürfnislosigkeit dieser einheimischen Arbeitskräfte ihre Löhne verhältnismässig gering und die mit ihrer Hilfe erzeugten Bodenprodukte mit wenig Unkosten belastet sind; an körperlicher Leistungsfähigkeit werden sie von 'den des Klimas ungewohnten Europäern niemals erreicht. Es muss auch gesagt werden, dass ein Weisser schon aus kulturellen Gründen nicht unter den gleichen Arbeitsbedingungen wie ein Farbiger sein Leben fristen könnte. Ferner ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass ledige Leute als Siedler sehr häufig mit einem Misserfolg enden, so dass die Gründung einer Kolonistenexistenz grundsätzlich nur Verheirateten empfohlen werden kann. Die Gesundheit von Frauen und Kindern von Europäern ist nun aber in jenen Zonen, wie schon erwähnt, schweren Gefahren ausgesetzt.

Ferner ist aber zu bedenken, dass der Staat, der durch seine Unterstützungen die Auswanderung einer Familie erst ermöglicht, dadurch auch grosse Gefahr läuft, für die Folgen eines missglückten Siedlungsunternehmens verantwortlich gemacht zu werden. Auch bei Wegbedingung einer rechtlichen Haftung würde die tatsächliche Lage in vielen Fällen eine Intervention der staatlichen Organe erfordern. Zudem wird in einem der eingangs
angeführten Postulate die Forderung erhoben, dass das Auswanderungsamt in ein Beratungs-, Organisations-, Schutz- und Fürsorgeinstitut für schweizerische Kolonisten ausgebaut werden solle. Auf diese Anregung ist weiter unten noch zurückzukommen, doch muss schon hier gesagt werden, dass eine Ausdehnung der staatlichen Fürsorgetätigkeit von den Kolonisten leicht dahin verstanden werden könnte, dass sie dauernd auf die finanzielle Hilfe der Heimat rechnen dürften.

Was die materielle Tragweite des Vorschlages des «AN S A »-Ver bandes betrifft, so müsste angenommen werden, dass bei den von ihm in Aussicht genommenen Ansätzen eine gewaltige Flut von Anmeldungen zu gewärtigen wäre. Da unter den berücksichtigten Personen sich wohl vorwiegend Ehepaare befänden, so hätte jeder Ehegatte auf eine einmalige Unterstützungssumme von je Fr. 1000 und das Ehepaar als solches auf ein Darlehen von etwa durch-

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schnittlich Fr. 2000 Anspruch. Bei einer Gesamtzahl von 5000 Familien mit insgesamt 10,000 Kindern würden die Aufwendungen für diese Personen allein etwa 22,5 Millionen Franken ausmachen, zu welcher Summe noch die Unterstützungen für die Einzelpersonen und Ersetzung der Eeiseauslagen der Kinder hinzukommen. Da mit einer Ausführung der Zins- und Amortis ationsbestimmungen angesichts des Umstandes, dass die Siedlungen in absehbarer Zeit kaum eine hiefür genügende Rendite abwerfen würden, nicht zu rechnen wäre, kämen die Leistungen des Bundes einer tatsächlichen Ausgabe von ca. 25 Millionen Franken gleich. Während i die im eigenen Land ausgegebenen Arbeitslosenunterstützungen auf unser Wirtschaftsleben anregend wirken, könnte das von den zum grössten Teil im Ausland verausgabten Unterstützungen kaum behauptet werden. Bei den Auswandernden wird es sich zudem um tüchtige und wertvolle Angehörige unseres Landes handeln, so dass deren Wegzug auch einen nicht leicht zu nehmenden Verlust an nationaler Volkskraft zur Folge hätte. Durch die ganze Unterstützungsaktion würde somit ein Menschen- und Kapitalexport ins Werk gesetzt, mit dem nach unserer Überzeugung eine gewisse Minderung der Arbeitslosigkeit und der Arbeitslosenunterstützungen zu teuer erkauft wäre.

III. Wenn sich der Bund als Siedlungsunternehmer und Begründer von Gruppensiedlungen nicht eignet, und wenn er auch für direkte Ausrichtung von Unterstützungen an Kolonisten nicht in Betracht kommen kann, so bleibt noch zu untersuchen, ob nicht auf dem indirekten Wege der Subventionierung von Kolonisationsunternehmen das erstrebte Ziel der Siedlungsförderung erreicht werden könnte. Es wäre also davon auszugehen, dass das Kolonisationswesen nach wie vor grundsätzlich privatem Unternehmungsgeist zu überlassen, jedoch zu prüfen sei, ob und unter welchen Voraussetzungen dieser einein öffentlichen Interesse dienstbar gemacht werden könnte. Man wird vielleicht einwenden, dass verschiedene gewichtige Bedenken, die oben erörtert worden sind, auch gegenüber privaten Siedlungsversuchen vorgebracht werden können, wie z. B. die Frage der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der Siedlungen, die abhängt von der Absatzmöglichkeit der Produkte. Das ist an sich richtig, aber einmal gibt es, um bei dem Beispiel zu bleiben, bereits Siedlungsgesellschaften, die ein gewisses
Absatzgebiet für ihre z. T. schon besiedelten Ländereien aufweisen können, selbst wenn eigentliche Gruppensiedlungen beabsichtigt sein sollten.

In vermehrtem Masse gilt das aber zur Unterbringung von Einzelsiedlern, die häufig unter schon kultivierten Gütern das ihnen zusagende aussuchen können, nachdem sie das Vorliegen der erforderlichen Bedingungen festgestellt haben.

Es ist anderseits nicht zu leugnen, dass gewisse Mängel auch der Siedlungsförderung in der Form der finanziellen Unterstützungen von Kolonisation unternehmungen anhaften. Bei den gemeinnützigen Unternehmen fehlt es manchmal an der nötigen kolonisatorischen Erfahrung und Sachkenntnis und ist hier auch meistens mit der Neigung zu rechnen, sich allzusehr auf die Hilfe des Staates zu verlassen, was wieder dessen Verantwortlichkeit mehr als wunschbar in Mitleidenschaft zöge. Bei Kolonisationsgesellschaften mit Erwerbszweck

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lässt sich schwer ein, allerdings vielfach unberechtigtes, Misstrauen überwinden, dass der Siedler ausgebeutet werde und dass er die von ihm gekauften Ländereien zu teuer übernehmen müsse. Es gibt aber auch Gesellschaften, die sich in Siedlungssachen betätigen, ohne hiebei einen eigentlichen Erwerbszweck zu verfolgen, wie z. B. grosse Eisenbahngesellschaften, deren Interesse sich darin erschöpft, die an ihren Linien gelegenen Ländereien zu bevölkern und damit den Bahnverkehr zu alimentieren.

Die berührten Nachteile dürften sich nun aber gerade durch eine Mitwirkung amtlicher Stellen in nicht geringem Mass beheben lassen. Bei gemeinnützigen Gesellschaften und Vereinen würde diese vor allem darin bestehen, sie mit Auskünften zu versehen und ihnen einen verlässlichen sachkundigen Berater zur Verfügung zu stellen. Eine finanzielle Hilfe des Bundes wäre davon abhängig zu machen, dass ein gewisses Mindestmass an Leistungen von Seiten der an dem Unternehmen Beteiligten aufgebracht werde. Bei privaten Erwerbsgesellschaften würde man natürlich eine eigentliche Subvention nicht in Betracht ziehen, hingegen könnten auch bei ihnen zugunsten wenig bemittelter Siedler die gleichen Unterstützungsgrundsätze wie bei den gemeinnützigen angewendet werden.

Durch die Tätigkeit der Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft sind auf dem Gebiet der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Privaten bereits nicht zu unterschätzende Erfahrungen gesammelt worden.

Wie weiter oben angeführt wurde, .ist der Geschäftsstelle dieses Vereins im Jahre 1922 versuchsweise die Funktion einer schweizerischen Zentralstelle für das Kolonisationswesen übertragen worden. Die Vereinigung hat damals ihre Aufgabe durch Unterbringung von je ca. 1000 Auswanderern in Frankreich und in Kanada in Angriff genommen. Die Aktion in Frankreich verlief erfolgreich, und die kolonisatorische Auswanderungsberatung für dieses Gebiet wurde von der Vereinigung bis in die letzten Jahre hinein fortgeführt. Im Frühling dieses Jahres ist durch Erhebungen, die der Direktor der Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft, Herr Professor Dr. H.

Bernhard, gemeinsam mit Herrn Oberstleutnant Aebi, Schätzungsexperte des schweizerischen Bauernsekretariats, in Südfrankreich' vorgenommen hat, festgestellt worden, unter welchen,
gegenwärtig allerdings sehr erschwerten Bedingungen die Arbeit der Stelle wieder aufgenommen werden könnte. -- Die Aktion der Vereinigung in Kanada war schon in ihrer ersten Etappe bei der vorläufigen Unterbringung der Ausgewanderten auf Farmen auf verschiedene Schwierigkeiten gestossen, sodass, da bald darauf die Arbeitslosigkeit in der Schweiz stark zurückging, von der Inangriffnahme der Siedlungsaufgabe selbst Umgang genommen wurde. Es dürfte aus den damals gemachten Erfahrungen sich der Schluss ziehen lassen, dass für überseeische Gebiete es zweckmässig erscheint, sich der Vermittlung amtlicher Stellen und der bereits vorhandenen Organisationen zu bedienen.

Im Jahre 1929 hat der Bundesrat einer privaten Kolonisationsgesellschaft, der Compania Eldorado in Buenos Aires, gestattet, Herrn Dr. F. Fuchs in

311 Zürich unter den nachstehend aufgeführten Bedingungen als ihren Vertreter in der Schweiz zu bestellen: 1. Die Auswanderungsbehörde verkehrt in der vorliegenden Angelegenheit mit Herrn Dr. Fuchs in Zürich.

2. Herr Dr. Fuchs verpflichtet sich, die vom Bundesrat erhaltene Bewilligung, Kolonisten für die von ihm vertretene Gesellschaft zu gewinnen, nicht ·ohne Zustimmung des Auswanderungsamtes propagandistisch zu verwerten und ohne eine solche Zustimmung weder durch Annoncen noch durch andere Publikationen Propaganda zugunsten der Auswanderung nach Misiones zu machen.

3. Die Personen, welche als Kolonisten gewonnen werden, hat er darauf aufmerksam zu machen, dass sie vom Auswanderungsamt sich über ihr Vorhaben informieren lassen können. Ferner hat er darauf zu achten, dass nur körperlich und geistig gesunde Personen, versehen mit den nötigen Mitteln zur Erfüllung ihrer einzugehenden Pflichten, auf die Kolonie befördert werden.

4. Die als Ansiedler gewonnenen Schweizer sind bis Buenos Aires von einheimischen Auswanderungsagenturen zu befördern. Im Jahre 1929 sollen ohne Zustimmung des Auswanderungsamtes nicht mehr als 50 Kolonisten nebst ihren Angehörigen nach der Eldorado-Kolonie gebracht werden.

5. Die neuangekomrnenen Kolonisten haben ein Anrecht darauf, nach ihrer Ankunft im Hafen von Eldorado bis zehn Tage zum Preise von l--1% Peso pro Person und pro Tag in der Einwandererherberge untergebracht und verpflegt zu werden.

6. Der Kolonist ist berechtigt, unter den vermessenen Landlosen dasjenige, das er besiedeln will, auszuwählen. Der Preis des Bodens beträgt, sofern es .sich nicht um für besondere Zwecke reserviertes Land handelt, vorläufig 80--100 Papierpesos pro Hektare. Preisänderungen sind dem Auswanderungsamt mitzuteilen, und die Preise dürfen nicht erhöht werden, bis das genannte Amt in den Besitz der diesbezüglichen Mitteilungen gelangt ist. Nach Abzahlung ·der Schuld ist dem Kolonist der Besitztitel auszuhändigen.

7. Die Eldorado-Gesellschaf t liefert dem Ansiedler auf Wunsch zum Selbstkostenpreis die nötigen Bretter und Nägel zum Bau einer Wohnhütte.

8. Auf Verlangen des Kolonisten sorgt die Eldorado-Gesellschaf t dafür, dass ihm 3 ha Boden zum Selbstkostenpreis urbarisiert werden.

9. Die neuangesiedelten Schweizer sind berechtigt, Kirche und Schule auf der Kolonie Eldorado
zu besuchen.

10. Der Koloniearzt wird angehalten, auch die Neusiedler im Krankheitsialle auf ihr Verlangen zu behandeln.

11. Die Eldorado-Gesellschaf t hat Kolonisten, die durch Vermittlung von Herrn Dr. Fuchs von ihr Landlose erworben haben und wegen Krankheit auf Anordnung des Arztes heimreisen müssen, sowie Kolonisten, deren Familienhaupt stirbt, auf Wunsch nach der Schweiz zurückzubefördern, das Landlos

312 als Treuhänder zu veräussern und den hiefür erhaltenen Preis nach Abzug der Barauslagen für die Heimbeförderung den Zurückgekehrten auszuhändigen, 12. Zur Schlichtung der Differenzen zwischen der Kolonieleitung bzw..

Herrn Dr. Fuchs und den Kolonisten hat jede Partei einen Vertrauensmann zu ernennen; unter dem Vorsitz des schweizerischen Gesandten in Buenos Aires oder eines von ihm bestimmten Obmanns wird von diesen drei Männern, ein bindender Entscheid gefällt.

13. Für allfällig nötig werdende Änderungen oder Ergänzungen dieser Bedingungen ist die Zustimmung des eidgenössischen Auswanderungsamtes erforderlich, das seinerseits hievon vor seinem Entscheid dem Politischen Departement Kenntnis zu geben hat.

14. Herr Dr. Fuchs hat bei einem schweizerischen Bankinstitut, zu dessen "Wahl das Auslanderungsamt seine Einwilligung zu geben hat, eine Kaution von Fr. 20,000 zu deponieren. Die Kaution dient zur Sicherheit für Ansprüche, welche nach Massgabe der vorerwähnten Bestimmungen und der schweizerischen Gesetze an Herrn Dr. Fuchs bzw. die Eldorado-Gesellschaf t gemacht werden können.

Die Zahl der durch die Vertretung der Eldorado- Gesellschaft in der Schweiz seither ausgewanderten Personen dürfte sich in bescheidenen Grenzen halten.

Nennenswerte Klagen gegen die Tätigkeit der Gesellschaft wegen Nichtinnehaltung der Bedingungen sind uns nicht zugegangen. Irgendwelche finanzielle Hilfe hat der Bund der Gesellschaft oder ihren Kolonisten nicht zukommen lassen.

* * * Sollen nun aus dem Vorangegangenen die sich ergebenden Schlüsse gezogen werden, so erachtet es der Bundesrat vor allem als ausserordentlich wichtig, dass bestehende Auswanderungsmöglichkeiten zugunsten der Bevölkerung unseres Landes erhalten bleiben und, soweit möglich, erweitert werden.

Bei den gegenwärtigen Verhältnissen wird im wesentlichen nur eine Auswanderung von zur Landwirtschaft befähigten Personen in Betracht fallen. Soweit ihm hiefür Mittel zu Gebote stehen, sollte der Bund unsern Landesangehörigen, die sich zu einer Ansiedlung in europäischen oder aussereuropäischen Gegenden entschliessen, Beistand und Unterstützung zukommen lassen. Diese Hilfe kann nicht darin bestehen, dass der Bund selbst Siedlungsunternehmen durchführt oder allein finanziert, sondern wird sich allein dahin äussern können, dass er die Siedlungstätigkeit
nach wie vor der privaten Initiative überlässt, dass er unter bestimmten Voraussetzungen aber eine gewisse Zusammenarbeit vorsieht. Es sind für das weitere praktische Vorgehen folgende Massnahmen in Aussicht genommen: 1. Als Zentralstelle für Siedlungsvermittlung in e u r o p ä i s c h e n Staaten wird die Geschäftsstelle der Schweizerischen Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft bezeichnet. Diese Einrichtung steht in enger Verbindung mit den zuständigen Bundesbehörden und wird alle Personen, diesich für Siedlungen in europäischen Staaten interessieren, unentgeltlich be-

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raten, soweit nicht den Betreffenden die Tragung entstandener Kosten zugemutet werden kann. Bei unbemittelten schweizerischen Landesangehörigen, die in persönlicher Hi n sich t die erforderliche Gewähr bieten, kann der Bund finanzielle Unterstützungen zu Siedlungszwecken gewähren, wenn von Kantonen und Gemeinden oder auch von anderer Seite in den betreffenden Fällen einein der Eegel mindestens gleich hohe Beihilfe geleistet wird. Die Behandlung solcher Gesuche erfolgt durch die hietür zuständigen Bundesbehörden, die über die Höhe der zu gewährenden Beiträge entscheiden.

2. Unternehmungen, die in a u ß e r e u r o p ä i s c h e n Ländern Siedlungen zu begründen oder zu übernehmen bezwecken, bedürfen zu ihrer Tätigkeit in der Schweiz einer Bewilligung des Bundesrates, der diese nur erteilt, wenn das Unternehmen die ihm auferlegten Bedingungen erfüllt. Unbemittelten schweizerischen Landesangehörigen, die in persönlicher Hinsicht die erforderliche Gewähr bieten, und von Kantonen, Gemeinden oder von anderer Seite eine Unterstützung für Siedlungszwecke in aussereuropäischen Ländern erhalten, kann der Bund eine Beihilfe für den gleichen Zweck in der Eegel im Höchstbetrage der ihnen bereits aus den erwähnten Quellen zufliessenden Summen gewähren.

3. Der Bundesrat hat der Bundesversammlung begründete Begehren über die benötigten Kredite zu unterbreiten, sobald über den Umfang der zu treffenden Massnahmen und die Möglichkeit ihrer befriedigenden Durchführung eine Abklärung erfolgt ist.

Zur Untersuchung von Siedlungsmöglichkeiten kann der Bund aus dem Fonds für Arbeitslosenfürsorge Beiträge leisten, wenn die Gesuchsteller ihrerseits mindestens gleich hohe Anteile an den Auslagen übernehmen.

Den vorstehenden Programmpunkten für eine Auslandssiedlungsförderung des Bundes kommt die Bedeutung eines Versuchs zu. denn es wird sich zeigen müssen, ob die in Aussicht genommenen Massnahmen in der Praxis den wünschbaren Erfolg zeitigen. Sie haben jedenfalls den Vorteil, dass sie keiner Gesetzesoder gar Verfassungsänderung bedürfen, da sie sich, wie schon oben erwähnt, im Eahmen der Arbeitsbeschaffung halten. Durch das Zusammenwirken verschiedener Stellen wird, soweit möglich, vermieden, dass ungeeignete Leute die Unterstützung in Anspruch nehmen können, wobei auch zu bedenken ist, dass in dieser Hinsicht die strengen
Vorschriften der Einwanderungsstaaten ein starkes Hindernis bilden werden. Berücksichtigt werden müssten also in erster Linie Landwirte mit Familien, deren Auswanderung zwar schon deswegen als bedauerlich anzusehen ist, weil sie vielleicht nicht einmal zu den Arbeitslosen zählen; doch ist in Betracht zu ziehen, dass die Arbeitslosigkeit unserer Städte namentlich durch den Zuzug vom Lande genährt wird und dass ein Wegzug von Bauernfamilien, in gewissem Umfange wenigstens, dazu beitragen wird, die Quelle des Übels zum Versiegen zu bringen. Andererseits wird es zu den Aufgaben der Vereinigung für Innenkolonisation gehören, Nichtlandwirte durch Umschulung zu siedlungstüchtigen Leuten zu erziehen. Bei

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der Unterbringung der Kolonisten wird besonderes Gewicht darauf zu legen »ein, dass sie in der Nähe bereits bestehender Siedlungen sich niederlassen können, was nicht ausscbliesst, dass ein Zusammenschluss mehrerer schweizerischer Siedler zu gemeinsamer Interessenvertretung gegebenenfalls erfolgen könnte. Die Bemessung der Beihilfen im einzelnen Fall wird Sache der beteiligten Behörden sein, nach Massgabe der ihnen zur Verfügung stehenden Kredite. Die Bundesbehörden werden auf Grund der mit dieser Eegelung zu machenden Erfahrungen die Entwicklungsmöglichkeiten für Schweizer Siedler im Ausland bald etwas besser überblicken können, und der Bundesxat wird dann auch in der Lage sein, zu den Fragen in einer etwas bestimmteren Form Stellung zu nehmen.

Ferner soll auch für die nicht landwirtschaftlich Berufstätigen der Auskunftsdienst über Arbeitsmöglichkeiten im Ausland mit Hilfe unseres auswärtigen Dienstes ausgebaut werden. Es sind wiederholt eingehende Erhebungen durch unsere Gesandtschaften und Konsulate vorgenommen worden, doch sollte es noch möglich sein, durch einen Ausbau des Konsulatsnetzes und unter Heranziehung von schweizerisch en Vertrauensleuten umfassendere und genauere Auskünfte zu erhalten. Unsere Zentralbehörden sowie unsere auswärtigen Vertretungen werden im übrigen den Schutz-, Beratungs- und Fürsorgebedürfnissen unserer Landsleute weitgehend entgegenkommen, doch darf hier wohl gesagt werden, dass diesachon heute in einem Umfang zutrifft, der weiten Kreisen vielfach unbekannt ist. Auswanderer und Siedler, die sich über die von ihnen in Aussicht genommenen Länder, über Arbeits- und Lebens Verhältnisse zu unterrichten wünschen, werden bereits jetzt in allen Einzelheiten beraten, beispielsweise hinsichtlich der Klauseln der von ihnen abzuschliessenden Dienst- und Arbeitsverträge. Über Bodenpreise, Absatzverhältnisse, Vertrauenspersonen usw. wird eingehende Auskunft erteilt, ganz abgesehen davon, dass unsere Aussenvertretungen für alle Kechtsschutzsachen natürlich jedem Landsmann zur Verfügung stehen. Nun ist richtig, dass bei den gewaltigen Entfernungen, die unsere Landsleute oft vom nächsten Konsulat trennen, es für sie manchmal schwierig ist, mit unsern Amtsstellen in Verbindung zu treten. Diesem Nachteil wird man nach Möglichkeit dadurch beizukommen versuchen, dass in den Gegenden,
wo grössere Agglomerationen von Schweizern entstehen, Konsulate oder Konsularagenturen errichtet werden oder doch wenigstens ein Vertrauensmann bestimmt wird, der den Verkehr mit der Heimat durch ihre amtlichen Vertretungen aufrechterhält. Damit wird auch einigermassen der Gefahr begegnet, dass unsere Landsleute sich an andere Nationalitäten enger anschliessen und sich mit der Zeit schweizerischer Denkart völlig entfremden. Das Netz unserer Aussenvertretungen ist in den letzten Jahren bedeutend engmaschiger geworden. Abgesehen davon, dass nunmehr schweizerische Konsulatsposten beinahe in allen selbständigen Staaten bestehen, mit denen die Schweiz Beziehungen unterhält und wo Schweizer sich befinden, sind seit dem 1. Januar 1934 noch 33 Konsularagenturen errichtet worden; weitere derartige Amtsstellen sollen eingerichtet werden. Die Vervollkommnung

315 der Organisation unseres Aussendienstes dürfte das zweckmässigste Mittel sein, um unsern Auslandssiedlern möglichst wirksamen Schutz und Beistand zukommen zu lassen.

Um keine Zeit zu verlieren, sind in den letzten Monaten gewisse Massnahmen in der oben vorgezeichneten Eichtung schon getroffen worden. Im März wurde eine Konferenz von Vertretern der Behörden und in der Schweiz entstandener KolonisationsOrganisationen einberufen, die zu folgenden Postulaten gelangte: 1. Der Bund fördert und unterstützt geeignete Kolonisationsprojekte und prüft die Frage der Organisation der freiwilligen Auswanderung, wobei der Zusammenhang mit der Innenkolonisation zu berücksichtigen ist.

2. Der Bund fördert und unterstützt das Studium und die Vorarbeiten von Kolonis ationsmöglichkeit en.

3. Der Bund sorgt unverzüglich für eine den heutigen Anforderungen entsprechende Ausgestaltung des eidgenössischen Auswanderungsamtes.

4. Die parlamentarische Behandlung des Berichts des Bundesrates über das Postulat des Nationalrates vom 20. Dezember 1934 muss mit Bücksicht auf die Dringlichkeit des Problems in der nächsten Junisession erfolgen.

Die Behandlung des Berichts des Bundesrates in der Junisession musste leider aus verschiedenen Gründen ausser Betracht fallen. Doch sind anschliessend an die Besprechung die Vorarbeiten in verschiedener Hinsicht gefördert worden. Von der Tätigkeit der A7ereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft war schon oben die Bede. Unter anderem wurde danach getrachtet, die nach den gemachten Peststellungen im südlichen Teil Frankreichs vorhandenen Ansiedlungsmöglichkeiten für Pächter und Halbpächter den hiefür geeigneten bedrängten schweizerischen Landwirtschaftsfamilien zugänglich zu machen. Zwecks Erleichterung der Ansiedlung solcher Familien in Frankreich und zum Unterhalt des von der Schweizerischen Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft geführten Beratungsdienstes "wurde dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit zu Lasten des Fonds für Arbeitslosenfürsorge ein Kredit von Fr. 50,000 eröffnet. Ferner sind seit Monaten umfangreiche Erhebungen über Kolonisationsmöglichkeiten in überseeischen Ländern durchgeführt worden. Im Augenblick der Abfassung dieses Berichts beabsichtigen zwei Delegationen, nach überseeischen Ländern zu reisen:
die eine als Vertreterin des Vereins zum Studium von Siedlungsproblemen, in Frutigen, begibt sich nach Kanada, um dort, namentlich inBritischKolumbien, für schweizerische Bauernfamilien geeignete Güter und Heimstätten zu ermitteln; die zweite Abordnung, in welcher der Gemeinnützige Ausland-Siedlungs-Verein, der «ANSA»-Verband und der Katholische Jugendverband vertreten sind, soll nach Brasilien und Argentinien sich einschiffen, um die Gegenden aufzusuchen, die unter Umständen für Schweizer Siedler in Präge kommen könnten. Beide Kommissionen reisen mit finanzieller Unterstützung des Bundes, und es ist ihnen auch ein vom Bundesrat bezeichneter

316 Experte beigegeben. Eine Anzahl, namentlich aus der Ostschweiz stammender Familien gedenkt unter Führung des «ANSA»-Verbandes im September dieses Jahres nach dem Staate Paranâ (Brasilien) abzureisen, und vielleicht werden ebenfalls noch im Herbst dieses Jahres einige Familien, besonders aus dem Berner Oberland, nach Kanada übersiedeln. Bei diesen Personen handelt es sich durchwegs um Leute mit eigenen Mitteln, die sich aber in gewissem Sinn als Pioniere unbemittelter oder schwach bemittelter Familien betrachten, die ihnen im Frühjahr des nächsten Jahres nachfolgen sollen.

Wenn der vorliegende Bericht ein ungefähres Bild geben dürfte von den mannigfachen Schwierigkeiten, die das dornige Siedlungsproblem in sich birgt und die nur zu häufig übersehen oder verkannt werden, so ist anderseits aus ihm der Wille des Bundesrats ersichtlich, der Siedlungsförderung zwar alle Aufmerksamkeit zu widmen, aber auf den in Aussicht genommenen Wegen auch mit der erforderlichen Vorsicht vorzugehen.

Wir bitten Sie, dem Bericht Ihre Genehmigung zu erteilen, und versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 18. September 1935.

Im Namen des Schweiz* Bundesrates, Der Bundespräsident : R. Minger.

Der Bundeskanzler:

G. Boret.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Postulat des Nationalrates über die Frage der Unterstützung von Kolonisationsprojekten und Organisierung der Auswanderung. (Vom 13. September 1935.)

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1935

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18.09.1935

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