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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend die Formulare der Heimatscheine.

(Vom 16. März 1885.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Die F o r m u l a r e der Heimatscheine, wie sie im Jahre 1854 von den Kantonen (mit Ausnahme von Appenzell I. Rh., Wallis und Neuenburg) durch ein Konkordat festgestellt worden (Amtliche Sammlung IV, 357), stehen nicht mehr in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen der Bundesverfassung von 1874 und genügen auch den Bedürfnissen der Gegenwart nicht mehr.

Es ist daher schon früher wiederholt, und von verschiedenen Seiten eine Aenderung jener Formulare augeregt und u. A. darauf hingewiesen worden , daß der im Formular der Heimatscheine für unverheiratete Personen beiderlei Geschlechts enthaltene Vorbehalt, daß zur Eingehung einer gültigen Ehe die Vorschriften des H e i matkanton beobachtet werden müssen, mit Artikel 54 der Bundesverfassung im Widerspruche steht.

Wir sahen uns indessen nicht veranlaßt, durch eine bezügliche Reform dem in der Bundesverfassung vorgesehenen Gesetze über die politischen Rechte der Niedergelassenen und Aufenthalter vorzugreifen und ein einheitliches Formular für die ganze Schweiz aufzustellen, um so weniger, als wir erwarten zu sollen glaubten, daß die Kantone von sich aus dazu kommen würden, die Formulare der Heimatscheine rnit den Vorschriften der Bundesverfassung in Einklang zu bringen.

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Diese Erwartung ist jedoch nur theilweise erfüllt worden.

Eine Prüfung der gegenwärtig iü deu Kantonen im Gebrauche befindlichen Heimatscheinformulare hat ergeben , daß zwar einzelne Kantone das im Konkordat aufgestellte Formular B in genügender Weise geändert, daß aber Andere gewisse Zusätze aufgenommen haben, die mit der Bundesverfassung im Widerspruch stehen.

Es ergibt sich nämlich bezüglich des Formulars B (Heimatschein für Unverheiratete) folgender Thatbestand : A. Das Formular des Konkordats ist noch beibehalten in den Kantonen Bern, Schwyz, Obwalden , Nidwalden, Glarus, BaselStadt, Schaffhausen, Appenzell I. Rh., St. Gallen, Tessin und Waadt (9 Kantone).

B. Die Bestimmung irn Konkordatsformular, daß ,,zur gültigen Eingehung einer Ehe die Vorschriften u n s e r s K a n t o n s zu beobachten sind", haben gestrichen die Kantone Zürich, Luzern, Uri, Zug, Solothurn, Basel-Landschaft, Appenzell A. Rh., Graubünden, Aargau, Thurgau, Neuenburg und Genf (11 Kantone).

Die Kantone Zug, Solothurn, Appenzell A. Rh., Graubünden und Aargau haben diese Streichung in der Weise bewerkstelligt, daß sie die Worte: ,,die Vorschriften u n s e r e s K a n t o n s " dahin abänderten: ,,es seien die Vorschriften des B u n d e s g e s e t z e s ü b e r C i v i l s t and u n d E h e zu beobachten.a Eine weitere bemerkenswerthe Abänderung enthält der Heimatschein des Kantons Z u g , indem hier beiden Formularen des Konkordats der Beisatz zugefügt wurde: ,,Die Gültigkeit dieser Urkunde beträgt z e h n J a h r e , vom Datum der Ausstellung an gerech net. " C. In den Kantonen Freiburg und Wallis dagegen hat das Formular für Unverheiratete folgende auffallende Aenderung erlitten : l} Freiburg : Der Inhaber erhält nicht die Ermächtigung, im Auslande eine Ehe einzugehen, «vu qu'à cet effet une permission spéciale du Gouvernement est nécessaire. » 2) Wallis : Der Heimatschein ist nicht ertheilt worden, um im Auslande eine Ehe eingehen zu können, «pour lequel il (der Inhaber) devra, cas échéant, se pourvoir d'une autorisation du Gouvernement. » Angesiehts dieses Zustandes sehen wir uns in die Lage versetzt, schon vor Erlaß des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

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der Niedergelassenen und Aufenthalter zu verlangen, daß die Heimatscheinformula mit Artikel 54 der Bundesverfassung in Uebereinstimmung gebracht werden, und haben daher, gestützt auf Artikel 102, Ziff. 2 und 13, der Bundesverfassung, beschlossen: I. Das Formular A (Heimatschein für Verheiratete) wird nach dem im Jahre 1854 von den Kantonen aufgestellten Wortlaute bis auf weiteres beibehalten.

II. Das Formular B (Heimatsehein für Unverheiratete, Verwittwete und Geschiedene) wird als Norm mit folgendem Inhalt anerkannt und dern Konsularreglement beigedruckt : ,,Wir, d i e unterzeichneten Vorstehet- d e r Gemeinde . . . .

Oberamts (Bezirks) . . . . Kantons . . . .

U r k u n d e n h i e r mi t : Daß dei Inhaber (die Inhaberin") dieser Urkunde (N. N.) . . ., ledigen Standes, geboren d e n . . . . eintausend achthundert , Unser Gemeindsbürger (Unsere Gemeindsbürgerin) sei und daß Wir ihn (sie) als solchen (solche) zu allen Zeiten anerkennen werden.

In Kraft dessen geben Wir die bestimmte Zusicherung, daß besagter, Unser Mitbürger (besagte, Unsere Mitbürgerin), jeder Zeit und unter allen Umstünden in Unserer Gemeinde wieder Aufnahme finden solle.

Urkundlich dessen ist dieser Heimatschein nach hierorts gewohnter Uebung und Form unterschrieben, besiegelt und ausgefertigt worden.

Gegeben zu . . .

., den Nebst angelegentlicher Empfehlung zu guter Aufnahme und Gewährung obrigkeitlichen Schutzes, beurkundet die Aechtheit obiger Unterschriften (0 r t und Datum) Die S t a a t s k a n z l e i des Kantons . . . " III. Die Regierungen der Kantone Bern, Schwyz, Obwalden, Nidwaiden, Glarus, Freiburg, Basel-Stadt, Schaffhausen, Appenzell I. Rh., St. Gallen, Tessin, Waadt und Wallis werden eingeladen, den Heimatschein B im Sinne obigen Normal-Formulars abzuändern, und jedenfalls die Bestimmung, daß zur Eingehung einer gültigen

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Ehe die Vorschriften dos Kantons beobachtet, resp. die Ermächtigung der Kantonsregierung eingeholt werden müsse, zu streichen und keine alten Formulare mehr ausgeben zu lassen.

IV. Die schweizerischen Gesandtschaften und Konsulate werden ermächtigt, diesen Vorbehalt auf den Wunsch des Inhabers eines solchen Heimatscheines und unter Berufung auf Art. 54 der Bundesverfassung von 1874 zu streichen und diese Streichung zu beglaubigen.

V. Die Regierung des Kautons Zug wird eingeladen, den Zusatz, wonach die Gültigkeit der Heimatscheine auf die Dauer von 10 Jahren, vom Tage der Ausstellung an, beschränkt wird, zu streichen.

Indem wir Sie ersuchen, für die Vollziehung dieses Beschlusses Sorge zu tragen, möchten wir Ihnen auch empfohlen haben, anzuordnen, daß die Unterschrift des Inhabers des Heimatscheins auf demselben eingetragen werde. Es dürfte dies den Mißbrauch dieser Legitimationspapiere einigermaßen erschweren.

Wir benutzen diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 16. März 1885.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft, : Ringier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend die Formulare der Heimatscheine. (Vom 16. März 1885.)

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28.03.1885

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